BANDITEN UND PIRATEN

Den Gesetzlosen kennzeichnet, dass er in Kontakt mit einer Gesellschaft lebt, die Gesetze dieser Gesellschaft aber nicht befolgt. Es liegt in der Natur stratifizierter Gesellschaften, dass Gesetzlose möglich sind. Stratifizierte Gesellschaften erzeugen ein Wert-, Macht- und Wohlstandsgefälle, das institutionalisiert und kulturell umgesetzt wird. Damit entsteht das Umfeld, in dem Gesetzlose auftreten. Einfach gesagt, ohne Gesetze keine Gesetzlosen, und hierarchisch gegliederte Gesellschaften benutzen in der Regel Gesetze, um ihre Struktur zu sichern. Ihre Basis – die Ausbeutung der einen zum Wohle anderer – kann dazu veranlassen, sich den Gesetzen zu entziehen. Eine Möglichkeit dazu ist der Schritt in die Gesetzlosigkeit.

Mit der einfachen Definition des Gesetzlosen – jemand, der zugleich im Geltungsbereich und jenseits des Gesetzes lebt – lässt man automatisch zwei in der römisch-griechischen Welt sehr präsente Typen des Gesetzlosen außer Betracht: zum einen die tribalen Gruppen der Gesetzlosen, von Zeitgenossen allgemein als »Banditen« oder »Piraten« bezeichnet, zum andern die gewöhnlichen Kleinkriminellen. Der Bandit oder Pirat vertritt einen Typus des Gesetzlosen, der nicht innerhalb der Sphäre der römischen Gesellschaft agiert; genauer gesagt, lebt er nicht »ohne Gesetz«, sondern »nach anderem Gesetz«, nicht »ungesetzlich«, sondern »eigengesetzlich«, denn er vertritt Sondergemeinschaften mit eigenen Gesetzen, die ihrerseits hierarchisch organisiert sind – nur sind ihre Gesetze nicht die der Mehrheitsgesellschaft. Zu dieser Kategorie zählen Gesetzlose wie die Banditen im Tal des Flusses Calycadnus in West-Kilikien, die Maratocupreni in Syrien und sehr viel später die marodierenden Sachsen der Spätantike. Es handelt sich bei ihnen um Räubergesellschaften, die wie entsprechende Gruppen in anderen Epochen der Antike, die kilikischen Piraten oder auch die homerischen Häuptlinge sowie in späterer Zeit die Wikinger, jeden ausplündern, dem man etwas nehmen kann. Der Geograph Strabon hat uns eine großartige Schilderung einer solchen Räubergesellschaft hinterlassen:

 

Nach dem Sindischen und Gorgippia kommt am Meer die Küste der Achaier, Zyger und Heniocher; sie ist größtenteils hafenlos und gebirgig (sie bildet ja einen Teil des Kaukasus). Sie leben von der Seeräuberei, wofür sie dünnwandige, schmale und leichte Boote haben, die etwa fünfundzwanzig Menschen fassen, selten ganze dreißig aufnehmen können; die Griechen nennen sie kamarai. … Aus den kamarai indessen bilden sie Flotten, fahren damit bald auf die Frachtschiffe, bald auf einen Landstrich und sogar eine Stadt los und beherrschen so das Meer; unterstützt werden sie manchmal von den Bewohnern des Bosporos, indem sie ihnen Ankerplätze bieten und Gelegenheit geben, das Geraubte auf dem Markt zu verkaufen. … Dasselbe machen sie auch in der Fremde, wo sie ihnen bekannte bewaldete Stellen haben, an denen sie die kamarai verstecken, während sie selber Tag und Nacht zu Fuß umherstreifen um Menschen zum Verkauf als Sklaven zu rauben: … Das den Römern unterstehende Gebiet dagegen bietet wegen der Gleichgültigkeit der dorthin geschickten Verwalter weniger Hilfe. (Strabons Geographika 11,2,12)

 

Die Römer, ihrerseits »Räuber« par excellence, die es verstanden, die gesamte mediterrane Welt zu erobern und auszuplündern, betrachteten und behandelten diese Art Stammestum als eine gegnerische Gemeinschaft.

Der normale Weg, mit diesen »Eigengesetzlichen« fertig zu werden, waren Militäraktionen. Im oben zitierten Text spricht Strabon von der Notwendigkeit, aber auch von der Erfolglosigkeit solcher Maßnahmen der Römer gegen die Banditen. Weil beide Gruppen denselben allgemeinen Regeln folgten, liegt die Gefahr auf der Hand: Die jeweils siegreiche Seite wird versuchen, die andere anzugreifen und auszuplündern, wenn nicht zu vernichten. Obwohl die Römer selbst in ihren Verlautbarungen oft nicht genau zwischen »Eigengesetzlichen« und«Gesetzlosen« unterscheiden, möchte ich diese Differenzierung hier deutlich hervorheben. Die Aktivität derjenigen »mit eigenem Gesetz« führt zu Aufsehen erregenden Auseinandersetzungen, die von den Eliten gestützt und von militärischen und diplomatischen Wortführern ausführlich dokumentiert werden. Wo es dagegen um »Gesetzlose« geht, ist die Elite einerseits weniger beteiligt – sie war unter allen gesellschaftlichen Gruppen am besten in der Lage, sich vor den Gesetzlosen zu schützen –, andererseits aber auch ideologisch stärker verunsichert, denn diese repräsentieren die Kritik an der hierarchischen Gesellschaft. Interesselos und isoliert, schenkt die Elite den Gesetzlosen allenfalls dann Beachtung, wenn sie zu einer Bedrohung wie die »Eigengesetzlichen« werden. Im Allgemeinen betrachtet man die Gesetzlosen als Teil des Alltags; man trifft Maßnahmen, um ihre Räubereien zu unterbinden und überlässt sie im Übrigen ihrem Dasein, ohne sie in den Quellen je zu erwähnen, wie alle Gruppen, die man der Beachtung durch die Elite nicht für wert hält.

Eine andere Gruppe, die ich nicht berücksichtige, sind die gewöhnlichen Verbrecher. Mörder, Diebe, kleine Gauner vergehen sich an der rechtstreuen Gesellschaft, in der sie aber ihren Ursprung haben und in die sie – mangels Alternative – immer wieder zurückkehren. Lukian wirft einen Blick auf ihr Treiben:

 

Als ich, aus Begierde mich mit der griechischen Bildung bekannt zu machen, die Reise aus meiner Heimat nach Athen unternahm, war die Stadt Amastris im Pontos meine erste Station, da sie denen, die aus Skythien über das Schwarze Meer hinüberschiffen, wegen ihrer geringen Entfernung vom Vorgebirge Karambis den bequemsten Landungsplatz bietet. Sisinnes, mein Kamerad von Kindheit auf, begleitete mich auf dieser Reise. Nach unsrer Ankunft sahen wir uns nach einem Gasthof nahe beim Hafen um, ließen unser Gepäck aus dem Schiffe dahinbringen und gingen dann auf dem großen Marktplatze spazieren, ohne uns was Böses träumen zu lassen. Indessen kamen Diebe, erbrachen unser Zimmer und trugen alles fort, was wir bei uns hatten, ohne auch nur so viel übrig zu lassen, daß wir einen Tag davon hätten leben können. (Toxaris, Bd. 3, S. 263)

 

In den Evangelien wie auch in Romanen und anderen Quellen wird mehrfach auf Diebe und Diebstähle Bezug genommen. Diese Kleinkriminellen lehnen die gesellschaftlichen Normen nicht grundsätzlich ab, sondern nutzen, oft durch Gelegenheitsverbrechen, Schwachstellen aus. Räuber hatten die Möglichkeit, das Leben für jeden schwierig und gefährlich zu machen, und diese Macht nutzten sie. Doch so verabscheuenswert und beunruhigend sie waren, eine wirkliche Bedrohung stellten sie nicht dar und fanden auch zu keiner geschlossenen Gruppenidentität.

Unbesorgt außer Acht lassen kann ich auch die metaphorische Verwendung des Begriffs »Bandit« und verwandter Begriffe durch die römischen Eliten zur gegenseitigen Diffamierung im politischen Wettbewerb. Allgemein gesprochen war damit jeder gemeint, der sich nicht an die Spielregeln hielt, und man benutzte das Wort, um sich in einer Diskussion oder gegen politische Konkurrenz durchzusetzen, um den Gegner zu kriminalisieren und jede Maßnahme gegen ihn zu rechtfertigen. Diese »Banditen« sind keineswegs »Gesetzlose«; sie wirken innerhalb des politischen und sozialen Kontexts der Elite und stehen in keinem Zusammenhang mit den Gesetzlosen als einer Gruppe, die außerhalb der Gesetze der Gesellschaft lebt.

Die Entdeckung der Gesetzlosen

Auf die Verwendung der verschiedenen Quellen gehe ich an anderer Stelle ausführlich ein. Es lohnt sich aber, hier auf die Bedeutung hinzuweisen, die insbesondere der literarischen Prosa bei dem Versuch zukommt, das Leben der Gesetzlosen in der römischen Welt zu erkunden. Diese Quellen benutze ich denn auch vorwiegend, obwohl daneben historische Werke, Inschriften und Papyri als Material zur Verfügung stehen. Die erzählenden Werke, vor allem Der goldene Esel des Apuleius und die griechischen Romane, schildern eine Welt, die von Wissenschaftlern heute als Abbild der Realität betrachtet wird. Das Wie der Abbildung ist zwar fiktional, doch hinter der Fiktion stehen Fakten der Sozialgeschichte, Fakten, die von den Historikern freigelegt und verwendet werden können. Dass ich aus den Romanen zitiere, als seien sie historische Dokumente, ist lediglich ein narratives Verfahren; dass sie keine historischen Dokumente sind, ist mir bewusst, und ich verwende sie im Vertrauen darauf, dass Tun und Reden der Figuren in den herangezogenen Episoden tatsächlich ein Spiegelbild der Realität darstellen, auch wenn die Worte und Situationen konstruiert sind.

Der Schritt in die Gesetzlosigkeit

Die Gesetzlosen, auf deren Darstellung ich mich hier beschränke – diejenigen, die mit der normalen Gesellschaft zwar in Kontakt sind, doch außerhalb dieser Gesellschaft stehen –, leben der Ideologie dieser hierarchisch gegliederten Gemeinschaft nach. Sie bilden ihrerseits eine Gemeinschaft, die auf den Erwerb von Macht und Besitz für einige auf Kosten anderer ausgerichtet ist. Doch anders als die von der Elite dominierte Gemeinschaft, die sich im Rahmen von Recht und Gesetz bewegt, agieren die Gesetzlosen außerhalb dieses Rahmens. In einer der ausführlichsten historischen Darstellungen eines Banditen aus antiker Zeit lässt der Geschichtsschreiber Cassius Dio den Räuberhäuptling Bulla Felix genau diesen Vergleich vorbringen. Als er von Männern des Kaisers Septimius Severus gefangen genommen und vor den Prätorianerpräfekten Papinian geführt wird, soll Papinian ihn gefragt haben: »Warum bist du Räuber geworden?« Worauf Bulla erwiderte: »Und warum bist du Präfekt?« (Cassius Dio, Rhomaïke historiaRömische Geschichte 77,10,7). Das Ereignis mag erdichtet sein, wichtig ist, dass beide in die Kategorie der Räuber gehören – der Präfekt innerhalb und Bulla außerhalb des gesetzlichen Rahmens. Ein weiterer metaphorischer Vergleich von Räubern und gesetzestreuen Bürgern – diesmal Ärzte – stammt von Galen:

 

Räuber in unserem eigenen Land verbünden sich, um anderen zu schaden und sich selbst zu schonen: ebenso tun sich auch diese [Ärzte] hier gegen uns zusammen, mit dem einzigen Unterschied, dass diese Männer in der Stadt zu Werk sind und nicht in den Bergen. (»Prognose«, in Corpus Medicorum Graecorum V 8,1)

 

Die Gemeinsamkeit der Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen im Rahmen und außerhalb des Gesetzes ist augenfällig.

Auch das Phänomen der Soldaten-als-Banditen illustriert die unscharfe Grenze zwischen »rechtmäßigen« und »gesetzlosen« Banditen. Die Plünderungen von Soldaten sind gut dokumentiert, ebenso der fließende Übergang vom Soldaten zum Banditen. Die jahrelange Gewöhnung der Soldaten an die gewaltsame Lösung von Konflikten, der Besitz von Waffen in einer generell waffenlosen, bestenfalls schwach bewaffneten Bevölkerung sowie die Autorität, die mit ihrer Stellung verbunden war, konnte leicht zu einem Missbrauch ihrer Macht führen, der nichts anderes war als Raub. Die Geschichte des Apuleius vom Zenturio, der Lucius in seiner Eselsform für sich beansprucht, vom Zorn, den er damit erregt, von der Attacke des Besitzers auf den Zenturio und dessen grausamer Rache fasst die möglichen Missbräuche und den Ärger darüber bei der zivilen Bevölkerung glänzend zusammen (Der goldene Esel 9,39 – 42). Die »Extrameile«, von der Jesus im Matthäusevangelium spricht (Matthäus 5,41), sowie die Ermahnung Johannes des Täufers an die Soldaten, keine überzogenen Geldforderungen zu stellen, niemandem Unrecht zu tun und sich mit ihrem Sold zu begnügen (Lukas 3,13 – 15), zielt in dieselbe Richtung. Für den Soldaten ergab sich ein Abdriften in das ungesetzliche Banditentum vielleicht als logische Folge des früheren »offiziellen« Banditentums in Uniform. Geschick in der Waffenführung, ein Hang zur Gewalt und die Lebensumstände einiger Soldaten, die praktisch am Hungertuch nagten, trugen zu diesem Schritt bei, denn von den allgemeinen Vorteilen des Wehrdiensts profitierten nicht alle Soldaten, und einige ließen die Standarten zugunsten des Räuberlebens hinter sich. Ein Beispiel gibt der Historiker Herodian:

 

Es war da ein gewisser Maternus, der früher Soldat gewesen war und viele arge Streiche ausgeübt hatte. Er war fahnenflüchtig geworden, hatte auch andere verführt mit ihm aus dem Dienste zu entweichen, und binnen kurzer Zeit eine große Schar schlimmer Gesellen zusammengebracht, mit welcher er anfangs gegen Flecken und Dörfer sein Raubhandwerk trieb. (Geschichte des römischen Kaisertums seit Marc Aurel 1,10)

 

Der Erfolg des Maternus übertraf dessen kühnste Vorstellungen; er plünderte ganze Provinzen und plante, Kaiser Commodus zu töten und selbst den Thron zu besteigen. Sein Ende kam, weil einige seiner Männer ihn verrieten.

Auch der Kriegsdienst in der Marine konnte zur Piraterie führen:

 

Nachdem sie nun einmal die reichen Gewinne gekostet hatten [als Freibeuter im Dienst des Mithridates], legten sie ihr Handwerk auch dann nicht mehr nieder, als Mithridates nach seiner Niederlage Frieden schloss. Hatten doch die Piraten wegen des Krieges ihren Lebensunterhalt und ihre Heimat verloren und waren in ärgste Not geraten, weshalb sie das Meer an Stelle des Landes abernteten und es zunächst mit Barken und Eineinhalbruderern, dann mit Zwei- und Dreiruderern in Geschwadern unter der Leitung von Piratenchefs gleich Kriegsfeldherren durchstreiften. (Appian, Rhomaïke historiaRömische Geschichte, Mithridates-Buch 92 [417])

 

Mithridates hatte zur Stärkung seiner Seemacht sogenannte Kaperschiffe eingesetzt, und deren Kapitäne gingen nach der Niederlage des Königs unter die Piraten, ein Vorgang, der sich in den europäischen Kriegen der Frühmoderne wiederholte.

Auch in einer weiteren Überlagerung der Welten des Gesetzes und der Gesetzlosigkeit treten Freibeuter und Banditen als Unternehmer eigener Art in Erscheinung, die ihren Erfolg in der von der Gesellschaft gebilligten Mittelbeschaffung suchen. So schreibt Eric Hobsbawm:

 

Der einzelne Bandit ist weder ein politischer oder sozialer Rebell – geschweige denn ein Revolutionär – als vielmehr ein Bauer, der die Unterwerfung verweigert und sich dadurch von seinen Schicksalsgenossen unterscheidet. Oder noch schlichter: es sind Leute, die sich von dem für ihresgleichen gewöhnlichen Schicksal ausgeschlossen sehen und deshalb dem Banditentum, der Ächtung und dem »Verbrechertum« in die Arme getrieben werden. … [das Banditentum] stellt vielmehr eine Form von Selbsthilfe dar, um unter bestimmten Umständen aus dieser Gesellschaft ausbrechen zu können. … Der Bandit ist Außenseiter und Rebell, ein Armer, der die normale Rolle der Armut zu spielen nicht gewillt ist, ein Mensch, der seine Freiheit mittels jener einzigen Möglichkeiten errichtet, die einem Armen gegeben sind: Stärke, Tapferkeit, Schlauheit und Entschlossenheit. … Zugleich bringt es ihn in Gegensatz zur Hierarchie von Macht, Reichtum und Einfluss, welcher er ja nicht angehört. … Dabei ist der Bandit jedoch unvermeidlich ins Netz von Macht und Besitz verstrickt, kommt er doch im Gegensatz zu den anderen Bauern zu Reichtum und Macht. (BanditsDie Banditen, S. 20 f. u. 21, S. 122 u. 122 f.)

 

Dieses Hin und Her ermöglichte es manchem Banditen, mit der einen oder anderen Gruppe gesetzestreuer Römer auf gutem Fuß zu stehen. Von Bulla Felix wird zwar gesagt, er habe sich dem Zugriff der Behörden immer wieder durch Schläue und Bestechung entzogen (»… wurde er doch niemals, wenn gesehen, wirklich gesehen, wenn aufgefunden, tatsächlich aufgefunden, wenn gefangen, in Wahrheit gefangen« [Cassius Dio, Römische Geschichte 77,10,2]), doch ohne Zweifel erfreute er sich eines gewissen Schutzes in der breiteren Bevölkerung. Es steht fest, dass er in der rechtstreuen Gesellschaft seine Spione hatte, ob es ihrerseits Banditen waren oder nur Sympathisanten, ist nicht klar. Von ihnen erhielt er besonders präzise Informationen, die ihm bei seinen Überfällen von Nutzen waren: »Erfuhr er doch von jedem, der aus Rom abreiste, von allen, die in Brundisium an Land gingen, wer und wie viele ihrer waren und was und wieviel sie mit sich führten« (Cassius Dio, Römische Geschichte 77,10,2). Auch bei Apuleius mischen sich die Banditen unter die Mehrheitsgesellschaft und liefern der Gruppe zweckdienliche Hinweise: so wenn einer der Banditen zurückbleibt, um in Erfahrung zu bringen, welche Schritte die Behörden nach dem Überfall auf Milos Haus einleiten, wenn ein zweiter ausgeschickt wird, um die Möglichkeiten für künftige Raubzüge auszukundschaften, dann wieder, wenn man herausfinden will, wo Chryseros sein Geld versteckt hält (Der goldene Esel 7,1 und 4,9). In der Erzählung über die Liebenden Chaereas und Callirhoe hat sich der Pirat Theron mit Booten im Hafen günstig in Stellung gebracht, von wo er, als Fährmann getarnt, sein Unwesen treibt. Die Gesetzlosen scheinen oft als Persönlichkeiten mit zwei Gesichtern konzipiert – einerseits gehen sie einer rechtmäßigen Beschäftigung nach, andererseits verdingen sie sich als Banditen oder Piraten. In Achilles Tatius’ Leukippe und Kleitophon (5,7) trifft Kleitophon auf Molluskenfischer, die eigentlich Seeräuber sind. Wenn Bulla Felix Gefangene machte, »begnügte er sich damit, ihnen nur einen Teil ihres Besitzes wegzunehmen und sie dann sofort zu entlassen, Handwerker behielt er hingegen eine gewisse Zeit bei sich und nützte ihre Kunstfertigkeit, um ihnen dann wieder die Freiheit und dazu ein Geschenk zu geben« (Cassius Dio, Römische Geschichte 77,10,3). Mit solchem Verhalten ließ sich jede Empörung der Bevölkerung gegenüber den Banditen beschwichtigen. Als der Marodeur Maternus mit seinen Plünderungen begann, ließ er Gefangene frei und nahm sie in seine Bande auf (Herodian 1,10,2); als gemeinnützige Maßnahme ist das zwar noch nicht zu bezeichnen, deutet aber in diese Richtung. Bei Apuleius besteht eine enge, symbiotische Beziehung zwischen den Banditen und Teilen der bürgerlichen Bevölkerung. Das wird besonders an zwei Stellen deutlich. In der folgenden Passage ist die Bande nach der Plünderung von Milos Haus auf dem Rückweg in ihr Lager:

 

Etwa um die Mitte des Tages, als die Sonnenhitze schon glühend wurde, kehrten wir in einem Dorf bei alten Leuten ein, die den Räubern bekannt und befreundet waren; denn dies konnte aus der ersten Begrüßung, dem ausgedehnten Gespräch und den getauschten Küssen selbst ein Esel entnehmen. Auch beschenkten sie ja die Leute mit einigen Sachen, die sie von meinem Rücken luden, und schienen in heimlichem Getuschel anzudeuten, daß es Räuberbeute sei. (Der goldene Esel 4,1)

 

Solche Beziehungen ließen sich leicht unterhalten; sie waren für beide Seiten von Vorteil, und da sich die Banditen im Aussehen nicht von anderen Menschen unterschieden, konnten sie sich nach Belieben unerkannt unter die Menge mischen. Unter diesen Umständen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Banditen sich mit der Gesellschaft als Ganzer mehr oder minder in Einklang sahen. Dieser »Einklang« bedeutete allerdings nicht, dass sie sich an die Spielregeln der Elite hielten, sondern ein Leben im Widerspruch zur Normalität.

Wer wird zum Gesetzlosen?

In den rechtsfreien Raum auszuweichen war ein möglicher Weg – vielleicht der einzige und gewiss der schnellste –, die schwere Hand des Gesetzes und seiner Vollstrecker zu lähmen, die die Armen der Armut, die Unterdrückten der Unterdrückung und das Vermögen ungefährdet den Händen der bereits Wohlhabenden überließ. Angesichts dieser Perspektiven ist es begreiflich, dass die Banden der Gesetzlosen in der stark stratifizierten Gesellschaft der römischen Antike in der Tat ein alternatives Leben führten: Ihr Lebensstil sucht nicht die Veränderung und ist keine Form des Widerstands. Er richtet sich vielmehr auf wenige ganz bestimmte Ziele, und seine soziale Dimension ergibt sich aus der Notwendigkeit, sie zu erreichen. Der Typus des Gesetzlosen sowie Ziele und Organisation der Gruppe werden erkennbar, wenn man versucht, die Perspektive der Gesetzlosen auf ihre Welt einzunehmen.

Eine Gruppe, aus der Gesetzlose hervorgehen, ist in den antiken Quellen eindeutig zu identifizieren: die Desperados. Bei Apuleius zum Beispiel stellt Hämus, der neue Bandenführer, fest, dass er zahlreiche neue Männer für die Bande rekrutieren könne, weil es draußen so viele Arme und Hoffnungslose gebe (Der goldene Esel 7,4). In den Ephesiaca (Die Waffen des Eros) des Xenophon von Ephesos hofft Hippothoos, in Mazakos, einer Stadt in Kappadokien, »gesunde und kräftige junge Leute« anwerben zu können (S. 127 [2,11 – 14]). In Chaereas und Callirhoe durchstreift Theron die Hafenbordelle und -kneipen auf der Suche nach Männern für seine Crew. Strabon bezeugt, dass die verbreitete Armut und das harte Leben die Menschen dazu trieb, sich den Piraten anzuschließen. Und als der Bandit Bulla einen Zenturio gefangen nahm, »bestieg Bulla in Amtskleidung ein Tribunal, rief den Zenturio herbei, ließ ihm einen Teil des Kopfes kahl scheren und gab ihm den Auftrag: ›Melde deinen Gebietern: Ihr sollt eueren Sklaven genug zu essen geben, damit sie nicht zu Räubern werden!‹« (Cassius Dio, Römische Geschichte 77,10,5). Dio fährt fort: »Bulla hatte tatsächlich eine sehr große Zahl kaiserlicher Freigelassener um sich, die entweder schlecht entlohnt waren oder überhaupt keine Bezahlung empfingen.« Im 6. Kapitel habe ich auf die Lebensumstände von Soldaten nach der Entlassung hingewiesen, die oft zu einem Abgleiten in die Gesetzlosigkeit führten. Ein Beispiel vom anderen Ende des Spektrums führt Xenophon in den Ephesiaca an: einen Adligen, der nach Niederlagen und Rückschlägen das Leben eines Banditen begann. Hippothoos, ein wohlhabender junger Mann in Perinth, Thrakien, hat homosexuelle Kontakte zu Hyperanthes (der in einem Schiffswrack stirbt), wird daraufhin in einige Abenteuer verwickelt und macht sich dann auf den Weg nach Pamphylien:

 

… hier, in meiner Not und in meiner Verzweiflung über mein Unglück, ergab ich mich dem Raub. Anfangs war ich nur ein Mitglied in der Räuberbande, schießlich aber stellte ich in Kilikien eine eigene Mannschaft auf, die sich weithin einen Namen machte, bis endlich meine Leute gefangengenommen wurden, kurz bevor ich dich traf. (Die Waffen des Eros S. 129 [3,2])

 

Heliodor erzählt von einem Banditen ähnlicher Herkunft. Dieser Anführer einer Bande, heißt es, »stamme aus einem angesehenen Geschlechte und habe sein gegenwärtiges Leben aus Not gewählt«. In Memphis als Sohn eines Hohenpriesters geboren, war er von einem jüngeren Bruder unrechtmäßig verdrängt worden und hatte sich unter die Banditen begeben, »um Rache zu erlangen und die Würde wieder an mich zu bringen« (Äthiopische Geschichten 1,19). Auch wenn keine Namen genannt werden, darf man annehmen, dass es in der stratifizierten Gesellschaft einen Anteil Außenseiter und Taugenichtse gab, die sich in dieses Gefüge nicht einordnen konnten oder wollten und in die Gesetzlosigkeit flüchteten.

Einige allerdings müssen aus reiner Habsucht zum Banditentum gefunden haben und nicht aufgrund verzweifelter Umstände. Apollonios behauptet zwar, einen Anwerbungsversuch durchkreuzt zu haben, doch die Erzählung lässt erkennen, welche Versuchung das Dasein jenseits der Gesetze für gute Bürger darstellen konnte:

 

Da sprach Apollonios. »Da du das Gespräch auf meine Seefahrererleben gebracht hast, so höre denn, welche gesunde Tat ich damals meiner Ansicht nach vollbracht habe! Einst lagen in der Phönizischen See Piraten auf der Lauer. Auch in den Städten trieben sie sich umher, um auszukundschaften, welche Fracht die Leute mit sich führten. Als nun die Agenten der Räuber die reiche Ladung meines Schiffes sahen, nahmen sie mich beiseite und fragten mich aus, wie groß mein Anteil am Frachtgut sei. Ich sagte ihnen, daß er tausend Drachmen betrage, da im ganzen vier Personen das Kommando über das Schiff hätten. ›Hast du ein eigenes Haus?‹ wollten sie wissen. ›Eine erbärmliche Hütte‹, erwiderte ich ihnen, ›auf der Insel Pharos, wo einst Proteus wohnte.‹ ›Möchtest du wohl‹, fragten sie mich nun, ›das Meer mit dem Land, die Hütte mit einem Haus vertauschen, ein zehnfaches Frachtgeld erhalten und den tausendfältigen Übeln entgehen, die den Steuermann bei stürmischer See bedrängen?‹ Ich erwiderte, daß ich das schon wünschte, daß ich aber kein Räuber werden wolle, nachdem ich viel erfahrener geworden sei als früher und mir meine Kunst viel Anerkennung verschafft habe. Als sie weiterhin darauf bestanden und mir einen Geldbeutel mit zehntausend Drachmen versprachen, wenn ich mit von der Tour wäre und ihrem Wunsch nachkäme, forderte ich sie auf, offen zu reden, und versprach ihnen, nichts zu unterlassen, um mich ganz als ihren Mann zu erweisen. Sie sagten darauf, sie seien Agenten der Räuber und bäten mich, ihnen die Gelegenheit zu geben, das Schiff zu rauben. Ich sollte nach der Abfahrt nur nicht in die Stadt segeln, sondern mich vor dem Vorgebirge vor Anker legen, wo die Schiffe der Piraten zum Empfang bereit wären. Sie wollten sich auch durch einen Eid verpflichten, mich nicht zu töten und denjenigen den Tod zu erlassen, die ich mir ausbedingte. Ich hielt es nicht für gefahrlos, ihnen abzuraten, sondern fürchtete vielmehr, daß sie in der Verzweiflung das Schiff mitten in der See angreifen könnten und wir auf offenem Meer umkommen würden. Deshalb versprach ich zu tun, was sie wollten, und verlangte, daß sie ihre Aussagen eidlich bestätigten. Als sie ihren Eid abgelegt hatten – unsere Unterredung fand nämlich gerade in einem Tempel statt –, sagte ich: ›Geht nun zu den Piratenschiffen; denn wir werden in der Nacht die Anker lichten.‹ Sie faßten dann noch mehr Vertrauen zu mir, als ich auf das Geld zu sprechen kam, das ich mir im kursierenden Wert ausgezahlt wünschte, und zwar nicht vor der Eroberung des Schiffes. Dann zogen sie weg, während ich über das Vorgebirge hinaus in See stach.« (Das Leben des Apollonios von Tyana 3,24)

Wie reagiert der Staat auf Gesetzlose?

Es ist einer der interessantesten Aspekte der Beziehung zwischen den Gesetzlosen und der Obrigkeit, dass nie auch nur versucht wurde, der Gesetzlosigkeit an sich ein Ende zu machen. Natürlich werden Maßnahmen gegen die Kriminellen ergriffen. Augustus ließ, wie sein Biograph Sueton berichtet, rund um das Reich Garnisonen errichten, mit denen das Räuberunwesen eingedämmt werden sollte; zwei Jahrhunderte später existierte es laut Tertullian wie zuvor. In Ägypten befahl Baebius Juncinus, dass gegen Unterstützer von Banditen vorzugehen sei, um deren Rückhalt in den Städten zu zerstören. Ebenfalls in Ägypten erließ ein Beamter namens M. Sempronius Liberalis eine dreimonatige Amnestie für Banditen, in der festgehalten war, dass sie nach Ablauf dieser Zeit nicht mehr mit Gnade rechnen durften. Marcus Valerius Maximianus, ein erfolgreicher Berufsoffizier, rühmt sich in seiner Grabinschrift unter anderem des Verdiensts, ein Kommando angeführt zu haben, das eine Banditenhorde im unteren Donaubecken vernichtete. Diese Maßnahmen waren eine anhaltende Reaktion auf ein anhaltendes Problem, das für Behörden allerorts ein chronisches Ärgernis darstellte. Nur in Fällen persönlicher Betroffenheit oder schwerer Ausschreitungen setzten die zentralen Behörden umfangreiche Mittel ein, um eine Bedrohung durch die Banditen auf Dauer zu verhindern. Zwei Inschriften schildern solche Aktionen. Die folgende stammt aus Syrien:

 

Auf Befehl unserer Herren Konstantin, des Triumphierenden Augustus und erlauchten Julius Caesar, hat Bassidius Lauricius, der unübertreffliche Mann, Waffengefährte und Anführer, eine Festung eingenommen, die seit langem von einer Bande Gesetzloser beherrscht wurde und die Provinzen bedrohte; er sicherte sie darauf mit einer Garnison Soldaten, so dass Antiochia sich eines langen und sicheren Friedens erfreuen konnte. (CIL III 6733 = ILS 740)

 

Und aus Rom:

 

Geweiht der Stärke der Armee, die mit Treue und Ergebenheit die hohen Hoffnungen und die Gebete der Römer erfüllte, indem sie die wildesten Verbrecher zunichte machte. (CIL VI 234 = ILS 2011)

 

Einen ähnlichen, sehr detaillierten Bericht gibt Apuleius. Banditen machten den Fehler, das Gefolge eines in Ungnade entlassenen kaiserlichen Beamten anzugreifen; dessen Frau schrieb an den Kaiser, der Truppen auf den Weg schickte, um die Banditen niederzuwerfen – was sie dann auch sehr effizient besorgten (Der goldene Esel 7,7). In anderen Romanen sind die römischen Soldaten entscheidend am Sieg über große und gefährliche Banditenhorden beteiligt. Der Historiker Cassius Dio schildert Bulla Felix mit seiner Bande von etwa 600 Mann als so bedrohlich, dass zunächst ein Zenturio mit seiner Truppe abgeordnet wurde, um ihn zur Strecke zu bringen, und als dieser erste Versuch scheiterte, ein Tribun der Prätorianergarde: »Da schickte er [Severus] schließlich einen Tribunen aus seiner Leibwache mit starker Reiterei und drohte ihm harte Bestrafung an, wenn er den Verbrecher nicht lebend beibringe« (Cassius Dio, Römische Geschichte 77,10,6). In der Spätantike (354 n. Chr.) verfasste Ammian die ausführliche Beschreibung eines bedrohlichen Banditenaufstands im südlichen Kleinasien, der endlich niedergeschlagen wurde, nachdem umfangreiche kaiserliche Mittel zum Einsatz gekommen waren (Römische Geschichte 14,2,1 – 20). Diese vereinzelten Beispiele sollten jedoch nicht den Eindruck aufkommen lassen, dass die Zentralbehörden tatsächlich viele Reserven an Menschen und Material in die Bekämpfung des Banditentums investierten. Bei den meisten der von Apuleius geschilderten Verstöße gegen das Gesetz bleibt die Staatsmacht unsichtbar. Dasselbe gilt für die übrigen Romane, und in anderen antiken Quellen findet sich nichts, was diesem Befund widerspräche.

Im Gegenteil ist festzuhalten, dass es sich bei Behörden, die im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Banditen und Piraten erwähnt sind, in der Regel um lokale Verwaltungen handelt. Bei Apuleius sind es zum Beispiel die Magistrate, die nach dem Einfall der Banditen in Milos Haus die Suche nach Lucius organisieren (Der goldene Esel 7,1 f.). Strabon erwähnt häufig Aktionen, mit denen lokale Autoritäten versuchen, auf die Piraterie vor der kilikischen Küste zu reagieren. Die Handlungsmöglichkeiten dieser Lokalbehörden waren begrenzt, weil ihnen Polizeikräfte fehlten. Allerdings kommandiert bei Xenophon der Eirenarch (»Friedensmeister«, Beamter mit Polizeifunktion) von Kilikien, Perilaos, eine Truppe, die stark genug ist, einen Trupp Banditen anzugreifen und zu vernichten (Die Waffen des Eros S. 126 [2,11 – 14]).

Weit verbreitet sind sind Bürgerwehren, im Dienst der Behörden oder auch nicht. Einzelne nahmen die Sache in die eigene Hand. In Dakien zum Beispiel wird Bassus gerächt:

 

Geweiht den Göttern der Unterwelt von Lucius Julius Bassus, Sohn des Lucius, aus dem Stimmbezirk Sergia, Stadtrat in Dobreta und Schatzmeister. Er wurde in seinem vierzigsten Jahr von Banditen getötet. Julius Julianus und Julius Bassus errichteten dies für ihren Vater, zusammen mit Julius Valerianus, seinem Bruder, der seinen Tod rächte. (CIL III 1579)

 

Ebenfalls in Dakien wird ein weiteres Opfer der Banditen beklagt:

 

… [Name fehlt] wurde von Banditen getötet. Ulcudius Baedari und Sutta Epicadi, liebende Eltern, errichteten diesen Grabstein für ihren Sohn. Er wurde gerächt. (CIL III 1585)

 

Die Magistrate wurden im Allgemeinen erst dann tätig, wenn die Bürgerschaft bereits eigene Abwehrmaßnahmen ergriffen hatte. Solche Maßnahmen konnten verschiedene Formen annehmen. Eine aufgebrachte Menschenmenge fiel über einen Mann her, den sie eines Gesetzesbruchs verdächtigte, sei es Raub, Gewalttätigkeit, religiöser Frevel oder ein anderes Verbrechen, schleppte den oder die Verruchten an einen Versammlungsort – normalerweise das Forum, manchmal auch das Theater –, wo die Magistrate eine Art Gerichtssitzung abhielten, die in der Regel mit der Bestrafung der Ergriffenen endete. So erging es Lucius, nachdem er drei Männer getötet hatte, die versucht hatten, in Milos Haus einzubrechen, woraufhin er von den Bürgern wegen der Tat verfolgt wurde (Der goldene Esel 3,5 f.). Für die zweite Form der Bürgerwehr-Aktionen wurde eine Gruppe »abgeordnet«, die sich in die Umgebung aufmachte, um sich der Banditen anzunehmen. Einen Musterfall finden wir wiederum bei Apuleius. Tlepolemus geht zurück in die Höhle der Banditen, nachdem er seine Geliebte Charite befreit und die Dorfbewohner um Hilfe gebeten hat. Lucius erzählt:

 

… ich folgte gern, war ich doch überhaupt neugierig und wünschte auch jetzt Zuschauer zu werden, wie man die Räuber fing. Wir fanden sie immer noch mehr vom Fusel als von den Fesseln geknebelt. Nachdem man nun die ganzen Bestände zu Tage gefördert und herausgeschafft und uns mit Gold und Silber und so weiter beladen hatte, wälzte man die Kerle teils gebunden, wie sie waren, hinaus und stürzte sie kopfüber auf die nächsten Klippen, andere köpfte man mit ihren eigenen Säbeln und ließ sie liegen. Froh und befriedigt von der gründlichen Justiz kehrten wir in die Stadt zurück. (Der goldene Esel 7,13)

 

Hier handelt es sich um »Bürgerwehr« im eigentlichen Sinn, bis hin zur summarischen Hinrichtung der Kriminellen ohne auch nur die Vorspiegelung eines Prozesses. Ein ähnliches Verhältnis zum Banditentum findet sich im Leben des Kaisers Maximinus: »In früher Jugend war er ein Hirt, er war auch Anführer der Jugend, stellte in dieser Eigenschaft Räubern nach und schützte die Seinen vor Überfällen« (Historia Augusta, »Die beiden Maximine«, 2,1 f.).

Ein weiteres Beispiel stammt ebenfalls aus ländlichen Regionen, denn dort war Selbsthilfe gegen die Banditen ein Muss, da eine Vertretung der staatlichen Autorität fehlte. Lucius wird von Sklaven mitgenommen, die ihrem Herrn entfliehen wollen. Auf ihrer nächtlichen Flucht werden sie von wilden Hunden angefallen und von den Bewohnern eines Bauernhofs attackiert, die sie für Banditen halten. Die Bauern ziehen sich erst zurück, als sie von den friedlichen Absichten der Gruppe überzeugt werden können:

 

Aber die Bauern eines Gehöfts, an dem wir dann zufällig vorbeimarschieren, halten unseren Haufen für Räuber und bekommen es, in einigem Bedacht um ihre Habe, mächtig mit der Angst: Ungetüme von bissigen Hunden, reißender als alle Wölfe und Bären, die sie als Wachposten sorgfältig aufgezogen hatten, hetzen sie mit den gewohnten Kommandos und allerlei Rufen auf uns los. Abgesehen von ihrem bösartigen Naturell macht sie das Lärmen ihrer Leute wild, dass sie auf uns losstürzen, uns von allen Seiten umzingeln und überall anspringen, ohne Wahl Packtiere und Menschen mit eins zerfleischen und in langem Auf und Ab die meisten niedermachen. … Da folgte der heiklen Gefahr noch ein größeres Unglück auf dem Fuße: Von Dachgiebeln und einem nahen Hügel lassen diese Bauern mir nichts dir nichts Steine auf uns hinunterpoltern, … [Schließlich gelang es den Reisenden, ihren Angreifern zu zeigen, daß sie keine Banditen waren. Einer der Angreifer rief ihnen zu:] »Aber wir sind gar nicht lüstern, euch zu plündern und auszuräubern, sondern wir halten uns gerade solche eine Heimsuchung durch euch vom Leibe!« (Der goldene Esel 8,17)

 

Die Bewohner waren unverkennbar darauf vorbereitet, ihr Eigentum mit Gewalt vor Banditen zu schützen. Die Episode illustriert aber auch ein zweites einfaches Mittel, sich Banditen vom Leib zu halten: bei Nacht nicht ins Freie zu gehen. Als Lucius nachts eine Stadt verlassen will, warnt man ihn: Er sei von Sinnen, aus Furcht vor Verbrechern reise niemand in der Nacht (Der goldene Esel 1,15). Städte, vor allem ummauerte Städte, verschafften in Verbindung mit festen Toren und Türen der Häuser einige Sicherheit. Verlässlichen Schutz gegen Banditen boten allerdings weder die Stadt noch verbarrikadierte Türen, wie der Angriff von drei Rabauken auf das Haus des Milo zeigt (Der goldene Esel 2,32).

Der bei weitem effizienteste Weg, mit Banditen fertig zu werden – der einzige auch, der in allen Quellen erwähnt ist –, war der Verrat. Tlepolemus bei Apuleius sollte man hier vielleicht nicht mitrechnen, weil er schon als »Maulwurf« in der Bande war. Aber die Vernichtung der Bande wurde dank seinen Aktionen erst ermöglicht (Der goldene Esel 7,10 – 13). Durch Verrat wurde Bulla Felix aufgespürt: Die Behörden fanden heraus, dass er eine Affäre mit einer verheirateten Frau hatte, und konnten das Ehepaar überzeugen, Bulla mit dem Versprechen des Schutzes vor Strafverfolgung zu überlisten. Bulla wurde gefasst, während er in einer Höhle schlief (Cassius Dio, Römische Geschichte 77,10,7). Auch der erwähnte Maternus fiel der Obrigkeit durch Verrat in die Hände, ebenso Jesus von Nazareth. Ohne Verrat war der Erfolg der Behörden gegen die Gesetzlosen offenbar minimal.

War ein Verbrecher gefasst, folgte die angemessene Bestrafung. Im Vorfeld wurden die Verbrecher häufig öffentlich zur Schau gestellt. Im 1. Jahrhundert v. Chr. ließ Servilius Isauricus gefangene Seeräuber vor der Hinrichtung regelmäßig durch die Städte führen:

 

P. Servilius hat allein mehr Räuberhauptleute lebend gefangengenommen als alle Vorgänger zusammen. Hat denn hierbei jemals irgendeiner auf den Genuß verzichten müssen, einen gefangenen Seeräuber sehen zu dürfen? Im Gegenteil, wohin ihn sein Weg auch führte, bot er allen den höchst willkommenen Anblick der gefesselten und gefangenen Feinde. Daher strömten die Leute von überallher bei ihm zusammen, so daß sie nicht nur aus den Städten, durch die diese geführt wurden, sondern auch aus den benachbarten herbeieilten, um sie zu sehen. (Cicero, 2 gegen Verres 5,26,66)

 

Der im Rahmen von Recht und Gesetz lebenden Bevölkerung hatten es die Piraten offenbar angetan. Man denke nur an die Menge der Städter, die sich einstellte, um den Piraten Herakleon bei seinem »Triumphzug« zu beobachten, als er den Römern eine Nase drehte und ungestraft im inneren Hafen der Stadt Syrakus herumsegelte (Cicero, 2 gegen Verres 5,37,97 – 38,100)

Banditen hatten die Todesstrafe zu erwarten. Das bedeutete Kreuzigung oder Tod in der Arena, in den Klauen von Raubtieren – die zwei schmachvollsten Hinrichtungsarten der römischen Welt. Strabon berichtet von Selouros, dem Anführer einer Banditenhorde, die ihr Lager auf dem Ätna in Sizilien aufgeschlagen hatte. Er wurde gefasst und in der römischen Gladiatorenarena exekutiert. Bulla Felix rettete zwei seiner Männer aus dem Gefängnis, wo sie auf den Tod durch die Raubtiere warteten. Als Felix selbst seinen Häschern in die Hände fiel, wurde auch er den Raubtieren vorgeworfen. Apuleius treibt vermutlich seinen Spaß mit dieser Art Todesstrafe, wenn er den Banditen Thrasyleon als Raubtier (in diesem Fall ein Bär), nicht durch ein Raubtier sterben lässt – und die Ironie durch den zusätzlichen Gag unterstreicht, dass das Fell, das Thrasyleon zum Bären macht, von einem Tier stammt, das für den Einsatz in der Arena gehalten wurde (Der goldene Esel 4,13 – 24). Nach einer Kreuzigung wurden die Körper oft noch zur Schau gestellt – wie in der frühen Neuzeit die Körper erhängter Seeräuber und anderer Verbrecher. Der Jurist Callistratus erklärt, die Körper hingerichteter Banditen sollten am Ort ihrer Verbrechen hängen bleiben, um die zu trösten, denen sie Leid zugefügt hatten, und die in Angst zu versetzen, die ein solches Leben planten.

Das Sozialleben von Banditen

Obwohl keine literarischen oder sonstigen Dokumente vorliegen, die von Banditen selbst verfasst wurden, ist es möglich, ihre soziale Organisation und ihre allgemeine Lebensauffassung zu rekonstruieren. Antike Quellen, die eine solche Rekonstruktion ermöglichen, sind Berichte über Aktivitäten und Denkweise der Banditen aus der Hand von Autoren, die dem Banditenmilieu fernstanden. Wie oben bereits angemerkt, scheinen den fiktionalen Schilderungen von Banditen klare Vorstellungen der Erfahrungen und Lebensumstände realer Briganten zugrunde zu liegen. Dasselbe kann für andere Aussagen über Banditen im Werk von Historikern wie Cassius Dio und Herodian sowie im Neuen Testament gelten. Schon Homer war wie andere Autoren nach ihm in der Lage, einen zumindest plausiblen Eindruck von den Piraten zu gewinnen. Doch wie weit lassen sich diese Quellen als Spiegel des wirklichen Lebens und Denkens von Banditen verstehen? Zwei einander ergänzende Ansätze bieten sich an: Erstens ist es erforderlich, aufgrund der verschiedenartigen antiken Quellen ein kohärentes Bild vom Leben des Banditen und von seinen Anschauungen zu ermitteln. Dieses Bild lässt sich zweitens mit gut dokumentierten Banditenleben aus anderen Zeiten und Orten vergleichen.

Keine andere Quelle des römisch-griechischen Altertums informiert so detailreich über Banditen wie Der goldene Esel des Apuleius in den Büchern 4 – 7. Die folgende Beschreibung stützt sich also in erster Linie auf seine Darstellung; andere Quellen werden herangezogen, sofern sie sich als aufschlussreich erweisen.

Bei Apuleius sind die Banditen eine reine Männergemeinschaft. Die Nacktheit der Männer bei ihrem Bankett betont ihre Virilität, da man sofort die nackten Körper im Gymnasion vor sich sieht. Auch die grölenden Gesänge und unflätigen Späße sind Ausdruck rein männlicher Kumpanei. Frauen sind aus dieser Männergesellschaft ausgeschlossen; das alte Weib in der Höhle zählt nicht als Frau, und Charite ist eine Gefangene und Quelle des Profits, kein Objekt sexueller Begierde. Die soziale Herkunft der Banditen bleibt bei Apuleius unerwähnt, am wahrscheinlichsten aber kommen sie aus dem Kreis der Personen, die der Banditenführer Hämus als potenziellen Nachwuchs im Auge hat: die Armen und Hoffnungslosen. Gesetzlose leben in eigenen Räumen, abseits der Gesellschaft des Rechts; in diesem Fall haben sie ihre Operationsbasis nicht auf einem Piratenschiff oder einer Insel, sondern in einer Höhle. Sie liegt in den Bergen, die, zerklüftet und dünn besiedelt, zu allen Zeiten ein Lieblingsversteck von Banditen waren. Die Bande des Hippothous lebt in einer Höhle in Kilikien (Xenophon, Die Waffen des Eros, S. 126 f. [3,3]), aber auch jeder andere abgelegene Flecken ist willkommen; die boukoloi des Deltas in Ägypten benutzten Inseln im Schwemmland: »… es ist fast unmöglich, sie aufzuspüren, denn sie ziehen sich in ihre Verstecke und Schlupflöcher in der Marsch zurück« (Äthiopische Geschichten 2,24). Piraten nutzten als Basis natürlich das Meer ebenso wie Buchten und Inseln und waren auf diese Weise noch schwieriger zu fassen:

 

Nun konnte man den Beutezügen zu Land, die, von den Städten aus besser beobachtet, den angerichteten Schaden aus der Nähe erkennen ließen und so die Festnahme der Übeltäter nicht eben schwer machten, einigermaßen leichter begegnen; das Freibeutertum zur See hingegen nahm riesige Ausmaße an. (Cassius Dio, Römische Geschichte 36,20,3 f.)

 

In ihrem Lager leben die Banditen als egalitäre Gemeinschaft. Bei Heliodor wird dieser Egalitarismus beiläufig vor Augen geführt: Eine erste Gruppe von Korsaren lädt die Beute vom Schiff und teilt sie in gleich schwere Stapel, so dass alle zehn Gruppen dieselbe Last tragen (Äthiopische Geschichten 1,3). Sie binden sich durch einen Eid und schwören insbesondere, einen Kameraden in Not zu retten. Banden bekämpfen sich nicht untereinander. Durch einen geheimen rituellen Gruß geben sie sich als Mitglieder der Gesetzlosen zu erkennen. Zwar werden nirgendwo ausdrücklich Regeln erwähnt, denen eine Bande unterworfen ist, doch weist Cicero in seinem Traktat Vom rechten Handeln auf einen solchen Vertrag hin: »Ja, sogar die Räuber sollen Gesetze haben, denen sie gehorchen und die sie achten« (2,11,40). Auf einen ähnlichen Vertrag unter Banditen bezieht sich Leukippe in Achilles Tatius’ Leukippe und Kleitophon:

 

[Chaireas] war es nämlich gewesen, der dazu geraten hatte, an meiner Stelle sie zu töten und über Bord zu werfen. Der Rest der Räuberbande erklärte, sie würden mich nicht ihm allein überlassen, denn sie hätten bereits vorher eine andere Sklavin besessen, die, wäre sie verkauft worden, ihnen Gelegenheit zu gutem Gewinn geboten hätte, und an Stelle der Toten müsse ich verkauft werden als gemeinsames Eigentum von allen und nicht von ihm allein. Dem widersprach er, indem er argumentierte und sich auf die Vereinbarung berief, er habe mich nicht für sie zum Verkauf, sondern für sich selbst als Geliebte entführt. Als er dabei allzu hitzig wurde, da hieb ihm einer der Räuber … den Kopf ab. (Leukippe und Kleitophon 8,16,4 – 7)

 

Die »Gesetze« der Banditen waren außerdem nur bis zu einem gewissen Grad festgeschrieben. Einen Hinweis darauf gibt Heliodor (Äthiopische Geschichten 5,31 f.): Der Pirat Pelorus, verliebt in Charikleia, verlangt sie als Belohnung dafür, dass er als Erster ins Schiff der Phönizier eingedrungen ist. Trachinus, der Anführer, widersetzt sich der Forderung. Darauf entgegnet Pelorus: »… dann hebst du das in der Bande geltende Gesetz auf, welches demjenigen, der zuerst ein feindliches Schiff besteigt und den Kampf vor allen wagt, die beliebige Auswahl anheimstellt.« Trachinus antwortet: »Nicht dieses Gesetz hebe ich auf, mein Bester, … sondern ich stütze mich auf ein anderes, welches die Untergebenen den Herrschenden nachgeben heißt.« Pelorus wendet sich an die Bande und sagt: »Seht ihr das Handgeld für die Mühen … Ebenso wird auch jeder von euch einmal seines Ehrengeschenkes beraubt werden und dieses tyrannische Gesetz erfahren.« Es folgt eine Schlägerei. Diese Passage veranschaulicht sowohl die Bedeutung der Regeln, nach denen die Banditen lebten, als auch die Rolle der Banditenversammlung für die Gleichstellung aller Bandenmitglieder.

Die Pflichten, zum Beispiel der Wach- oder Tischdienst, werden bei den Banditen des Apuleius durch das Los verteilt. Der Führer wird gewählt: So kommt Hämus an die Spitze, als der vorherige Kapitän im Kampf getötet wird. Bei Heliodor hält der Banditenchef Thyamis eine Rede, in der die entscheidenden Züge eines Anführers dargelegt werden: die Fairness, bei der Verteilung der Beute nicht mehr zu beanspruchen als die Mannschaft, die sorgfältige Verwahrung des gemeinsamen Geldvorrats, gute Rekrutierung und die angemessene Behandlung von Frauen:

 

Kameraden, wie ich stets gegen euch gesinnt gewesen bin, wißt ihr. Es ist euch bekannt, daß ich ein Sohn des Oberpriesters in Memphis bin, da ich aber nach dem Hintritt meines Vaters das Priesteramt nicht erhielt, weil mein jüngerer Bruder gesetzvergessen genug war, es zu stehlen, so nahm ich zu euch meine Zuflucht, um Rache zu erlangen und die Würde wieder an mich zu bringen. Von euch würdig befunden, euch zu beherrschen, habe ich bisher mir nicht mehr angeeignet, als jeder bekommt, sondern bin bei einer Verteilung der Schätze mit dem gleichen Anteil zufrieden gewesen, oder wenn Gefangene verkauft wurden, machte ich den Erlös zum Gemeingut, in der Überzeugung, daß ein guter Führer an den Taten den größten, an dem Gewinne den gleichen Anteil haben müsse. Gefangen genommene Männer reihte ich uns selbst ein, wenn sie uns durch ihre Körperkraft nützen konnten, die Schwächeren verkaufte ich. Gegen Weiber habe ich mir nie einen Frevel zu Schulden kommen lassen, die von guter Herkunft gab ich entweder für Geld los oder aus bloßem Mitleid mit ihrem Schicksal, die geringeren aber, die nicht mehr die Gefangenschaft, als die Gewohnheit zu dienen zwang, verteilte ich an Jegliche von euch als Dienerinnen. (Äthiopische Geschichten 1,19)

 

Im Goldenen Esel treffen die versammelten Banditen ihre Entscheidungen im Konsens. Über den Beschluss, Lucius zu töten, wird im Rat abgestimmt, und Hämus’ Plan, Charite zu verkaufen, findet nach Beratungen und anfangs unterschiedlichen Meinungen ihre Zustimmung. In Charitons Chaereas und Callirhoe diskutieren die Piraten darüber, was mit Callirhoe geschehen soll. Hier findet keine Ratsversammlung im eigentlichen Sinn statt, aber es werden verschiedene Vorschläge geäußert, bevor der Anführer sich durchsetzt. In Heliodors Äthiopischen Geschichten ruft der Häuptling die Banditen zur Beratung zusammen: »Als sie hingeführt waren und die übrige Menge [der Banditen] sich versammelt hatte, nahm Thyamis, die Insel zum Versammlungsort erklärend, auf einer Erhöhung Platz« (1,19). Wenn sie Beute anhäufen, fungiert einer aus ihrer Mitte als »Hüter der Kasse« und gibt Empfehlungen für die beste Nutzung dieser Beute. Die Amtsbezeichnung verwendet Apuleius zwar scherzhaft, doch die Funktion gab es. Wesentlich für den Zusammenhalt der Bande war die gleiche Beteiligung am Gewinn, wie Cicero mit Bezug auf die Führung der Bande festhält: »Jener aber, den man Piratenhäuptling nennt, würde entweder von seinen Genossen umgebracht, wenn er die Beute nicht gerecht teilte, oder verlassen« (Vom rechten Handeln 2,11,40).

Die vom Gleichheitsgedanken bestimmte Form des Zusammenlebens wurde manchenorts offenbar beifällig aufgenommen. Er ist in den Rechtsquellen vermerkt und wird sogar geschätzt, weil darin persönliches Verdienst zum Tragen kommt. Bei Lukian wird diese Haltung durch Samippos vertreten, der kundtut, was er sein bzw. haben möchte, wenn er Sein und Haben nach Belieben bestimmen könnte:

 

… weil uns das Gesetz des Timolaos nun einmal erlaubt hat, unsere Wünsche so weit zu treiben, als sie gehen können und vorauszusetzen, daß die Götter zu allem ja sagen werden: so will ich die mit keiner solchen Kleinigkeit, wie ein Schatz ist, bemühen oder ihnen zumuten, mir so und soviel Scheffel Goldstücke zuzumessen; kurz, da für sie auch das, was uns das Größte dünkt, eine Kleinigkeit ist: so wünsche ich mir nichts Geringeres als – ein König zu werden. Aber nicht etwa so ein König wie Alexander, Philipps Sohn, oder wie Ptolemäos oder Mithridates oder irgendeiner von denen, die durch Erbfolge zum Thron gelangt sind. Ich will beim Räuberhauptmann anfangen und wünsche mir fürs erste nur ungefähr dreißig getreue und entschlossene Kameraden, die sich verschworen haben, bis auf den letzten Mann bei mir auszuhalten. Aus diesen dreißig sollen nach und nach dreihundert, sodann tausend und bald darauf zehntausend werden, und so soll es fortgehen, bis ich eine Kriegsmacht von fünfzigtausend Mann zu Fuß und fünftausend Reitern beisammen habe. Diese sollen mich dann einhellig zu ihrem Anführer ausrufen, bloß weil sie mich für den tauglichsten unter ihnen allen halten, Menschen zu regieren und Geschäften vorzustehen. Ich werde also eben dadurch größer als die übrigen Könige sein, daß ich meine Feldherrnstelle durch meine persönlichen Verdienste erworben, nicht von einem anderen geerbt habe. Denn dies letztere sieht so ziemlich dem Schatze des Adimantos ähnlich und ist bei weitem nicht so angenehm, als wenn einer die höchste Gewalt seinem eigenen Kopfe und Arme zu danken hat. (Das Schiff oder Die Wünsche, Bd. 1, S. 257 f.)

 

Andererseits werden »normale« Bindungen zwischen den Männern durch die Härte des Banditenlebens auch erschwert. In den Äthiopischen Geschichten betont Heliodor, dass den Banditen vor allem an reicher Beute gelegen war und dass freundschaftliche und verwandtschaftliche Bindungen wenig zählten:

 

Und bei dem Verlust von so vielen eigenen Leuten empfinden sie [die Sieger] mehr Freude, den Mörder derselben lebendig in Händen zu haben, als Schmerz, so viele Angehörige eingebüßt zu haben. Räuber ziehen Geld sogar ihrem Leben vor und bestimmen den Namen der Freundschaft und Verwandtschaft nur nach dem Gewinne. So war es auch mit diesen. (Äthiopische Geschichten 1,32)

 

Auch Cicero deutet auf zumindest eine mögliche Quelle von Spannungen unter den Banditen und ihre Lösung hin: »Denn wer einem von denen, die gemeinsame Raubzüge unternehmen, etwas stiehlt oder entreißt, kann nicht einmal in einer Räuberbande seinen Platz behaupten« (Vom rechten Handeln 2,11,40). Tatsächlich wird in Achilles Tatius’ Leukippe und Kleitophon ein Banditenführer, der die Beute nicht gleichmäßig zuteilt, von seinen Männern getötet. In Heliodors Roman ist das Versprechen, die Beute gleichmäßig zu verteilen, der Hauptantrieb für die Räuberbande. Da bei Apuleius unter den Banditen keine Uneinigkeit herrscht, fehlt eine Darstellung von Verfahren der Konfliktlösung.

Neben diese antiken Beschreibungen des Banditentums stelle ich im Folgenden als Vergleich einen sehr lebendigen Bericht über das Leben von Seeräubern auf dem Atlantischen Ozean im »Goldenen Zeitalter der Piraterie«, der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In seinem Buch Between the Devil and the Deep Blue Sea legt Marcus Rediker einen glänzenden Bericht über diese Männer vor. Zwar gab es bereits im 18. Jahrhundert und früher Darstellungen der Piraten und des Piratenlebens, darunter ein pseudonym erschienener, zu Recht berühmter Roman von Daniel Defoe, doch liegt die besondere Bedeutung von Redikers Darstellung darin, dass er authentische Äußerungen von Piraten verwendet. Sie stammen zum Teil aus einer Zeit, in der ein Pirat »anständig« geworden war und seine Lebenserinnerungen zu Papier brachte – vermutlich eine Mischung aus Wahrheit und Dichtung; zum Teil gehen sie auf Forschungen anderer Autoren zurück. Das anschaulichste Material stammt jedoch aus Gerichtsakten, in denen die Aussagen angeklagter Piraten aufgezeichnet sind. Diese Gerichtsverhandlungen waren öffentlich und boten ein Schauspiel, das allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Im Verlauf des Prozesses machten die Piraten Aussagen über ihre Taten; ihr Zeugnis wurde protokolliert und zu den Akten genommen. So existieren also Erklärungen, die von den Piraten selbst abgegeben wurden. Auch wenn sie nicht unbedingt zum Nennwert zu nehmen sind, enthalten sie immerhin etwas Neues, Authentisches, das unseren Quellen aus der Antike vollständig fehlt.

Redikers Seeräuber lebten abseits der rechtlich geordneten Gesellschaft auf einem Piratenschiff und/oder in einem Basislager auf einer Insel, und ihre Gemeinschaft weist eine klar erkennbare soziale Ordnung auf. Zeitgenossen erschien diese Ordnung als Unordnung, doch bei näherer Betrachtung erweist sie sich angesichts von Herkunft, Möglichkeiten und Zielen der Bandenmitglieder als logisch, zweckmäßig und effizient. Hinzu kommt: »Diese soziale Ordnung, wie sie in der Organisation des Piratenschiffs ihren Ausdruck findet, wurde von den Piraten selbst konzipiert und gezielt ausgearbeitet. Ihr Kennzeichen war ein rudimentärer, improvisierter, doch wirksamer Egalitarismus, der die Machtbefugnis in die Hände der ganzen Mannschaft legte … an Bord des Piratenschiffs wurde der Egalitarismus institutionalisiert.« Die Piraten stammten fast ausnahmslos aus armen Verhältnissen. Wie zu erwarten ist, hatten die meisten einige Erfahrung in der Seefahrt. Fast alle waren Männer; unter den 521 Piraten, die Rediker dokumentiert (von vielleicht 5000, die in der Blütezeit der Piraterie aktiv waren), sind nur zwei Frauen. Im Allgemeinen waren sie, wenn sie zu den Banditen stießen, frei von engeren Bindungen an die Mehrheitsgesellschaft: Ehefrauen oder Familie waren nicht erlaubt; die offzielle Politik verlor ihre Bedeutung; die offizielle Religion wurde dezidiert abgelehnt. Abgelehnt wurde die gesamte Struktur der herrschenden Gesellschaftsordnung, vornehmlich aber die Ideologie der stratifizierten, hierarchischen Zivilgesellschaft, die in Gesetze gefasst und durch Gesetze definiert war. An ihre Stelle setzten sie den erwähnten Egalitarismus und darauf basierende neue Gesetze. Innerhalb der Gemeinschaft bedeutete diese Ideologie, dass die Stimme jedes Banditen gleich viel Gewicht besaß und dass Beschlüsse gemeinsam getroffen wurden. Nach außen hin bedeutete sie, dass Piraten nicht auf Piraten schossen – die Seeräuber waren einander durch ein gewisses Gemeinschaftsbewusstsein verbunden, auch wenn nur wenige »Piratenallianzen« bezeugt sind. Das Gefühl, Mitglied einer besonderen Gemeinschaft zu sein, wurde vielleicht durch die Verwendung einer »Geheimsprache« verstärkt, eines Pidgin-Englisch, das sich vor allem durch einen Reichtum an Kraftausdrücken und einen begrenzten Wortschatz auszeichnete.

Einer der interessantesten Aspekte dieser »neuen Gesellschaft« ist die Existenz, ja das Erfordernis eines schriftlichen Vertrags, »Artikel« (»Articles«) genannt, der die »Verfassung« der Gruppe bildete. Es war die Zeit, bevor es üblich wurde, sich unter der Grundlage der Staatsführung ein ausgeklügeltes Dokument vorzustellen und nicht göttliches Recht und/oder eine immerwährende Tradition (zum Beispiel die durch Jahrhunderte überlieferten »Rechte der Engländer«), und die Piraten orientierten sich an Geschäftsverträgen und legten wechselseitige Verpflichtungen, Führungsstrukturen, Verhaltensregeln und Wirtschaftsregeln fest. Diese Dokumente haben viele gemeinsame Elemente, so dass es möglich ist, sich ein Bild der »normalen« Verhältnisse zu machen.

Die Befehlsgewalt lag bei der Bande. Das Versprechen, als Gruppe zusammenzuarbeiten, wurde durch Eid bekräftigt. Jeder Mann hatte eine Stimme, und es galt das Mehrheitsrecht. Jeder war der Autorität der Gemeinschaft unterworfen und hatte ihren in den »Artikeln« vorgeschriebenen Regeln zu gehorchen, auch der Anführer. Ja, »der Anführer war das Geschöpf seiner Mannschaft«. Die Führungsstruktur schloss Elemente der Gesetzgebung, der ausübenden Gewalt und der Rechtsprechung ein. Die Regeln wurden, wie bereits erwähnt, in einer Versammlung der Gemeinschaft, dem Rat, beschlossen. Dieser Rat war Exekutivorgan (d. h., über wichtige Entscheidungen geplante Aktionen betreffend wurde abgestimmt) und fungierte ebenfalls als Judikative, wenn er als Gericht zusammentrat, um über soziale oder disziplinarische Probleme zu befinden. Die oberste Führung, der Hauptmann, wurde vom Rat gewählt. Im Kampf oder in anderen Krisensituationen besaß er volle Befehlsgewalt, sonst hatte er durch Konsens, Überredung oder Überzeugung zu führen, denn der Rat konnte ihn jederzeit absetzen. Der andere gewählte Funktionär war der Quartiermeister. Er hatte die Interessen der Mannschaft wahrzunehmen. Insbesondere hatte er die Aufsicht über die Beute und sorgte für deren gerechte Verteilung. Neben dem »militärischen« Hauptmann war er eine Art »ziviler« Magistrat.

Gerade in diesen beiden Ämtern sind die dominierenden Grundbedürfnisse der Bande treffend zusammengefasst: Beute zu machen und sie zu verteilen. Das Raubgut wurde in Anteile aufgeteilt (die Analogie zu Aktiengesellschaften ist nicht zu übersehen), die an die Mannschaft verteilt wurden. Kapitän und Quartiermeister erhielten aufgrund ihrer größeren Verantwortung mehr Anteile als der Rest – jeder von ihnen 1,5 bis 2 Anteile. Mehr, das heißt 1,25 bis 1,5 Anteile, ging auch an Männer mit besonderen Fähigkeiten wie die Kanoniere. Die übrigen Männer erhielten jeder einen Anteil. Der egalitäre Geist konkretisierte sich also in der Beuteverteilung. Alle waren an einem gemeinsamen »Risikounternehmen« beteiligt; keiner war Arbeiter, keiner war Herr.

Selbstverständlich hatten die Gruppen der Gesetzlosen ihre Probleme mit Disziplin und Ordnung. Die meisten Männer waren aus dem stark strukturierten und disziplinierten Leben auf See geflohen, das die Traditionen der britischen Marine, aber auch der Handelsschifffahrt prägte, und nicht bereit, das verhasste Leben, das sie hinter sich gelassen hatten, wieder aufzunehmen. Mit der Disziplin nahm man es also nicht allzu genau. Das grundlegende Bestreben war, Gewalt innerhalb der Gemeinschaft zu verhindern, die grundlegende Methode, das Problem zu identifizieren und einer schnellen Lösung zuzuführen – durch Ausschluss aus der Gemeinschaft oder Tod. Auspeitschen war generell verboten. Die Peitsche, das schmerzhafteste Symbol der Brutalität von Kriegs- und Handelsmarine, war in der Piratengemeinschaft verpönt. Streit zwischen zwei Mitgliedern wurde durch ein Duell entschieden. Entstand ein Konflikt zwischen der Gruppe und einem Einzelnen, wurde dieser an einem schwer zugänglichen Ort ausgesetzt. Die Hinrichtung eines Gruppenmitglieds war selten; zur Anwendung kam sie nur im Fall von Verrat oder wenn versucht wurde, verweichlichende Elemente wie Frauen oder Knaben in die Gemeinschaft zu bringen.

Die Ähnlichkeit zwischen Redikers frühmodernen Piraten und den Banditen der antiken Romanautoren ist frappant. Neben der egalitären Gesinnung hatten die Gruppen viele Institutionen und Gewohnheiten gemeinsam, so den Rat zur Beschlussfassung und den im Kollektiv abgesprochenen Verhaltenskodex. Eine vollständige Übereinstimmung besteht natürlich nicht. So haben Redikers Freibeuter keinerlei Beziehung zu irgendeiner Religion, während Apuleius’ Banditen ebenso wie die Xenophons in den Ephesiaca (S. 125 [2,11 – 14]) ihren Schutzgott Mars bzw. Ares verehren. Bei Plutarch ist allerdings irreligiöses und ungewöhnliches religiöses Verhalten erwähnt: »Selbst viele heilige Stätten … wurden von ihnen überfallen und zerstört …Sie feierten auch in Olympus fremde und ungewöhnliche Feste und hielten geheime Mysterien« (Pompejus 24). Auf einer Inschrift sind die Folgen eines solchen Überfalls festgehalten:

 

Diese Statue der Venus ist Valerius Romanus, dem Hochverdienten, geweiht, Wächter und Aufseher in der prächtigen Kolonie Sicca Veneria, ein Mann wundersamer Güte und Rechtschaffenheit, denn er erneuerte das Standbild der Göttin, das vor langer Zeit durch Banditen beschädigt wurde, die in den Tempel eingebrochen waren. Möge das Gedenken an unseren unbeirrbaren Patron die Jahrhunderte überdauern! (CIL XIII 3689 = ILS 5505)

 

Kannibalismus und die blutigen Rituale, die bei Heliodor und Achilles Tatius belegt sind, stehen in einem weiteren literarischen Beispiel für eine totale Absage an das »Schickliche« in der üblichen Religion und entsprechen damit der Absage an diese Religion von Redikers Korsaren, die sich allerdings nicht so ruchlosem Tun hingeben. In der alten Welt andererseits fehlte mit den staatskirchlichen Institutionen, die den Status quo untermauern, auch der Impuls, dagegen zu revoltieren, den Redikers Freibeuter ausleben; allerdings konnte, wenn man sich von anderen Aspekten der rechtlich verfassten Gesellschaft abwandte, auch ihre Preisgabe als dezidierte Bekundung eigener Unabhängigkeit gelten. Auch ohne den grellen Details der Romanautoren Glauben zu schenken, kann man als allgemeinen Hintergrund anerkennen, dass die Banditen nicht nur den Rechtsnormen der Gesellschaft, sondern auch den von ihr geübten religiösen Bräuchen feindlich gesinnt waren.

Die den Piraten Redikers und den Banditen des Altertums gemeinsamen Merkmale und Gewohnheiten, die uns in Geschichtsschreibung und Literatur begegnen, sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass unsere Darstellung der römisch-griechischen Banditen der Realität entspricht – einer Realität, auf die uns die Quellen keinen unmittelbaren Blick erlauben, die sich aber durch sorgfältigen Gebrauch dieser Quellen, antiker wie moderner, wiedergewinnen lässt.

Fazit

Das Banditentum war ein möglicher, vielleicht der einzige Weg, sich schnell und wirkungsvoll gegen das Gesetz und seine Vollstrecker zu behaupten. So betrachtet, führten die Gesetzlosen innerhalb der stark hierarchisch gegliederten Gesellschaft der römisch-griechischen Welt der Antike ein wirklich alternatives Leben. Wie Redikers historische Piraten leben auch die erdichteten Banditen des Apuleius und der griechischen Romane in einer Welt von grausamer Härte, kultivieren aber zugleich eine Art von Egalitarismus und Demokratie, die zur hierarchischen Struktur des herrschenden Sozialsystems in äußerstem Kontrast steht. Ihre Gemeinschaften bilden eine – vielleicht die einzige – alternative Sozialstruktur in ihrer jeweiligen Welt und damit eine nachdrückliche, radikale Kritik an dieser Welt. Die negative Deutung dieser gelebten Kritik durch die Eliten, die der Selbstrechtfertigung und dem Selbstschutz diente, könnte zu dem Gedanken verleiten, bei dem von den Banditen angestrebten Gemeinschaftsethos jenseits von Recht und Gesetz handle es sich um eine Illusion; doch die Zeugnisse der Antike und Redikers Piraten setzen ein unmissverständliches Zeichen: Für die Armen, die Unterdrückten und die Banditen selbst war es Realität.