SKLAVEN

Die Zähmung der Tiere und die Anfänge der Sklaverei gehen Hand in Hand, denn der Mensch ist potenziell das nützlichste aller Tiere. Folglich haben die Menschen seit frühester Zeit oft mit Erfolg versucht, andere Menschen zu beherrschen, um ihr eigenes Wohl zu fördern. Diese althergebrachte, organische Entwicklung der Sklaverei parallel zur allgemeineren Nutzung von Tieren, die den menschlichen Bedürfnissen unterworfen wurden, erklärt auch, warum die Institution der Sklaverei in der Antike im Wesentlichen unangefochten blieb, als sei sie nichts anderes als eine normale, vertretbare Art der Beziehung zu anderen menschlichen Wesen. In der römisch-griechischen Welt war Sklaverei omnipräsent. Ihre Form und Anwendung hing im Detail von lokalen Faktoren ab, ihre Existenz aber wurde in der Praxis nicht in Frage gestellt. Die physischen und psychischen Qualen, unter denen Einzelne durch ihre Versklavung zu leiden hatten, konnte ihren Herren gelegentlich bemerkbar werden; Philosophen machten sich Gedanken darüber, dass die Abgrenzung des »Sklaven« vom »Nicht-Sklaven« letztlich nur willkürlich zu treffen war. Doch außer einer Handvoll ungewöhnlicher und einflussloser Sonderlinge zog niemand das Verdienst oder den praktischen Nutzen einer Abschaffung der Sklaverei je in Erwägung – weder diejenigen, die über Sklaven und die Sklaverei nachdachten, noch diejenigen, die in ihrem Alltag mit den Sklaven anderer zu tun hatten, noch die Besitzer von Sklaven selbst. Die Geschichte der Sklaverei ist ein Vorgang allmählicher Gewöhnung oder wiederholter Versuche, sie im Einzelfall aufzugeben oder zu vermeiden, nicht aber den Zustand als solchen innerhalb der Gesellschaft zu liquidieren.

Diese kulturelle Realität liefert den Schlüssel zum Verständnis der besonderen Bedingungen, unter denen Sklaven ihr Leben verbringen. Der Sklave wird durch die Sklaverei nicht so sehr auf ein entmenschlichtes »Ding« reduziert als vielmehr in eine andere Art der Existenz versetzt, eine Umgebung, in der er in einer sozialen oder kulturellen Rolle »rehumanisiert« wird. Die Römer haben die »Menschlichkeit« der Sklaven, ihr »Sein« als Menschen, nicht Tiere, nie geleugnet, mochten sie ihre Sklaven auch noch so oft mit Tieren vergleichen oder sie als moralisch minderwertige, schwache menschliche Wesen bezeichnen. Sie wollten sie damit nur in ihrer Rolle als Sklaven sozialisieren. Aus der Perspektive der Versklavten zeigt sein oder ihr Leben mit der Bewältigung dieser Sklavenrolle, was es bedeutete, in versklavtem Zustand Mensch zu sein.

Es ist schwierig, sich von Sklaven in ihrer Selbsterfahrung ein Bild zu machen, denn diese Erfahrung ist komplex und vielfältig. Belege für die Geisteswelt des Sklaven sind spärlich. Schwierigkeiten ergeben sich auch daraus, dass man im Westen dazu neigt, Kenntnisse oder Eindrücke aus der Sklaverei der Neuen Welt zu nutzen, um sich auf die fragmentarischen Zeugnisse zur Sklaverei im römischen Kaiserreich einen Reim zu machen. Wie zu zeigen sein wird, gibt es wichtige, aufschlussreiche Vergleichspunkte, aber auch krasse Unterschiede. Ich erwähne nur die offensichtlichsten: das Fehlen des maßgeblichen Faktors der »Rasse« in der antiken Sklaverei und die weit größere Vielfalt des Sklavenlebens im griechisch-römischen Altertum.

Abb. 9. Auf dem Weg in die Sklaverei: Ein trauriger Zug von Männern, Frauen und Kindern wird in die Sklaverei geführt, als Ware des Händlers Aulus Caprilius Timotheus, der sich seines auch für die Zeitgenossen abstoßenden Berufs rühmt. Grabstein aus Amphipolis, Griechenland.

Die Stimme von Sklaven?

Gibt es in antiken Quellen tatsächlich Stimmen der Sklaven selbst? Einige Autoren, die im Geist der Elite schrieben, haben den Anfang oder einen Teil ihres Lebens als Sklaven verbracht: Plautus, der Komödiendichter der römischen Republik, der Grieche und erste Kyniker Diogenes, Epiktet, der römische Stoiker der frühen Kaiserzeit, sowie die Fabeldichter Äsop und Phaedrus – sie alle behaupteten, sie hätten ihr Leben als Sklaven begonnen oder seien eine Zeitlang versklavt gewesen. Höchst verblüffend ist, dass keiner dieser Autoren, der nachweislich Sklave ist oder war, ausdrücklich die Aufgabe übernimmt, über seine Erfahrung als Sklave zu schreiben. Am nächsten kommen dem Epiktet und Plautus, denn des Ersteren Beispiele aus dem Sklavenleben und Plautus’ Verwendung von Sklavenfiguren in seinen Komödien thematisieren fraglos die drei Hauptprobleme der Lebensauffassung eines Sklaven. Dennoch könnte man erwarten, unter den Zehntausende Seiten umfassenden lateinischen und griechischen Werken eines zu finden, das ausdrücklich von einem Sklaven geschrieben wurde und eigene Erfahrungen behandelt – zumindest aber unter den Tausenden von Titeln antiker lateinischer und griechischer Werke, die existierten, aber nicht überliefert sind. Schließlich wissen wir, dass viele Sklaven gebildet waren. Einer unter ihnen, Phlegon von Tralles, schrieb zum Beispiel historische und andere Werke zur Zeit des Kaisers Hadrian, während ein zweiter, Q. Remmius Palaemon, nach Erlangen seiner Freiheit in Rom zum renommierten Grammatiker und literarischen Mentor wurde. Sachbücher, die zumindest vorgeblich von Sklaven über Sklaven verfasst sind, fehlen jedoch, und es gibt nur ein einziges literarisches Werk: Das Leben Äsops, verfasst von einem unbekannten Autor. Es gibt Literatur, die auf brillante Art »Sklavenerfahrungen« in den Mittelpunkt stellt: Petrons Satyrica, Apuleius’ Der goldene Esel, verschiedene antike Liebesromane sowie Die entlaufenen Sklaven und einige andere Erzählungen Lukians sind zu verschiedener Zeit und auf verschiedene Art aus der Perspektive eines Sklaven erzählt. Die Satyrica und Der goldenen Esel sind von Angehörigen der Oberschicht verfasst – Petron gehörte zum kaiserlichen Hof und Apuleius zur Elite der Provinz. Der Hintergrund der Verfasser der Liebesromane ist unbekannt. Das Leben Äsops scheint angesichts der Einfachheit von Sprache und Stil von einem gewöhnlichen Römer zu stammen, während Lukian in einer Handwerkerfamilie aufwuchs und so das Leben gewöhnlicher Leute aus eigener Anschauung kannte.

Sklaven werden natürlich von Historikern und in anderen literarischen und juristischen Quellen erwähnt, Texten, die traditionell allen Diskussionen über die antike Sklaverei zugrunde liegen. Meine Absicht ist es jedoch, die geistige Welt der Sklaven ohne die kulturellen Vorurteile und Entstellungen zu erkunden, die sich unvermeidlich einstellen, wenn die Eliten das Thema Sklaven und Sklaverei behandeln. Natürlich lässt sich völlig zu Recht einwenden, dass diese Standardquellen benutzt werden können, wenn man sich bemüht, ihren sozialen Blickwinkel in Rechnung zu stellen; ebendies haben viele Wissenschaftler auch getan. Ich möchte sie jedoch beiseite lassen, um das Bild ins Licht zu rücken, das ohne ihren Beitrag entstehen kann. Es ist ein Stück weit ein Experiment, aber ich bin überzeugt, dass ohne ihre Stimme ein unmittelbarerer Zugang zur Geisteswelt der Sklaven möglich wird. Ich benutze zwar einige Texte von Autoren der Oberschicht wie Agrarschriften oder die Romane von Petron und Apuleius, die sich bemühen, die Welt der Sklaven in den Blick zu nehmen, aber die Standardhistoriker, -biographen und -verfasser von Briefen aus der Oberschicht kommen in meiner Darstellung nur vereinzelt vor.

Angesichts der Rolle von Sklaven im frühen Christentum und in frühchristlichen Gemeinschaften könnte man hoffen, ihre Stimmen in der christlichen Literatur zu finden. In den Evangelien gibt es unzweideutige Beispiele aktiver Sklaverei neben einem gewissen Verständnis für die Haltung der Sklaven. Doch in den Briefen des Neuen Testaments scheint nur der erste Petrusbrief über die Sklaven aus der Sicht eines Sklaven zu sprechen, trotz aller Rhetorik über die Sklaven als einen wichtigen Teil der christlichen Gemeinde, und wenn der Autor ein Sklave war, hat er das gut kaschiert. Auch die spätere christliche Literatur ist keine Hilfe. So ist also in der heidnischen wie in der christlichen Literatur die Stimme des Sklaven schwer zu finden.

Sieht man sich weiter um, dann zeigen die vielen Verweise auf Probleme, die für Sklaven von Bedeutung waren – besonders Sexualität und Flucht betreffend –, dass die Traumdeutung und atsrologische Werke direkt auf die Sklaven und ihre Anliegen reagierten. Auch die Fabel wurde in der Antike und wird heute mit Recht als Textsorte betrachtet, die in vielen Fällen unverfälschte Einstellungen und Strategien von Sklaven ausdrückt. Diesen Befund vor Augen, ist es rätselhaft, warum andere Gattungen der Volksliteratur das Leben der Sklaven weitgehend ausblenden. In Sprichwörtern und Sentenzen kommt die Sklaverei so gut wie nicht vor. Es bleibt befremdlich, dass Fabeln die Situation der Sklaven offenbar wachrufen, Sprichwörter und andere Volksliteratur dagegen nicht.

Außerhalb der Literatur haben Sklaven die eigene Stimme natürlich auf ihren Gräbern als – meist sehr kurze – Grabinschriften hinterlassen. Diese Grabsteine kann man sich leichter als echte Stimmen von Sklaven vorstellen, und sie geben wertvollen Einblick in das Sklavendasein. Ich nutze sie extensiv. Weitere archäologische Zeugnisse der Sklaverei sind kaum vorhanden, und das, was vorliegt, lässt sich nur schwer auf die geistige Welt der Sklaven beziehen. Die materielle Kultur trägt also nur wenig zu unserem Thema bei. Die Papyri allerdings sind eine nützliche Quelle für neue Erkenntnisse über Sklaven, denn sie sind sowohl demographisch als auch vom Text her aufschlussreich und bieten Belege, die unser Verständnis außerordentlich bereichern.

Zahlen und Quellen der Sklaven

Zum Hintergrund der geistigen Welt der Sklaven tragen unter anderem demographische Daten bei. Im Kaiserreich war Sklavenarbeit nicht die vorherrschende Form der Landarbeit. Sie konzentrierte sich auf relativ wenige ausgedehnte Güter meist in Italien und Sizilien; dazu kam ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Sklaven in größeren Provinzstädten und Großstädten. Bei offenbar starken regionalen Unterschieden besaß, insgesamt gesehen, vielleicht nur ein Hauhalt von sieben einen Sklaven, von denen die meisten im Besitz der Oberschicht und nicht in der Landwirtschaft, sondern mit Hausarbeit beschäftigt waren. Ein sehr großer Teil der Wirtschaftseinheiten der Mittel- und Unterschicht wäre nicht in der Lage gewesen, sich einen Sklaven zu leisten oder Sklavenarbeit wirtschaftlich rentabel zu machen. (Wie schon Aristoteles bemerkte: »Denn die Armen müssen ihre Frauen und Kinder in Ermangelung von Sklaven als Diener verwenden.« [Politik 6,1323 a5])

Einer begründeten Vermutung nach – viel mehr lassen die weit verstreuten und fragmentarischen Quellen nicht zu – lag die Zahl bei etwa fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung und in vielen Gegenden weit niedriger. Im Blick auf die Sklaven der römisch-griechischen Welt ist es wichtig, sich diese Fakten zu vergegenwärtigen. Die Sklaven lebten in einer Gesellschaft mit vielen anderen Sklaven, doch ihre Zahl und Bedeutung war von Ort zu Ort verschieden. Das mildert die oft schrecklichen Bedingungen der antiken Sklavenhaltung zwar nicht, bedeutet aber, dass das Leben eines Sklaven vielleicht weniger eingeschränkt, weniger unterdrückt und weniger gefährdet war, als es in einer Gesellschaft mit weit größerem Sklavenbedarf der Fall gewesen wäre.

Außer dem relativ geringen Bestand an Sklaven und dass sie überwiegend im Besitz der vermögenderen Stadtbewohner waren, ist der Hinweis wichtig, dass die Sklaven mit ihren Herren weitgehend die typischen körperlichen Merkmale, die kulturellen Wurzeln und oft auch die Sprache teilten. Sklaven mit anderer Hautfarbe und Gesichtsform waren immer selten, obwohl auch Afrikaner aus der Subsahara versklavt wurden und in der römisch-griechischen Welt in Erscheinung traten, ebenso wie großgewachsene, blonde, hellhäutige Germanen zum Beispiel. Weil sich die Mehrheit der Sklaven in das äußere Erscheinungsbild der Gesellschaft einfügte und weil die Sklaven sich außerdem meist genauso kleideten wie gewöhnliche Leute, die derselben Beschäftigung nachgingen, gab es kein leicht erkennbares äußeres Zeichen der Sklaverei, wenn kein Brandmal, kein Haarschnitt oder Sklavenhalsband, keine Tätowierung oder andere spezifische Kennzeichnungen verwendet wurden. Für Sklaven und Freie, besonders gerade freigelassene Sklaven, war es also einfach und selbstverständlich, miteinander umzugehen, und wenn ein Sklave die Flucht ergriff, war es ein Leichtes, sich unter die Bevölkerung zu mischen und so der Entdeckung zu entgehen. Das Fehlen äußerlicher Merkmale der Sklaverei brachte Chancen mit sich, die andere historische Gesellschaften mit Sklavenhaltung nicht kannten.

Es gab verschiedene Möglichkeiten, in Sklaverei zu geraten. Mit der Ausbreitung der römischen Herrschaft in den Tagen der Republik stellten Kriegsgefangene die vielleicht zahlreichsten Sklaven, die auch das größte öffentliche Aufsehen erregten; spätestens zur Regierungszeit des Augustus waren die großen Kriege mit ihrer Vielzahl von Kriegsgefangenen jedoch relativ selten geworden. Eine weitere Möglichkeit bestand darin, die Sprösslinge von Sklaven aufzuziehen. Die Nachkommen von Sklaven waren natürlich ihrerseits Sklaven und wuchsen in der Sklaverei auf. Unerwünschte Kinder freier Römer konnten ausgesetzt werden, was auch geschah, und jeder, der ein solches Kind annahm, konnte es aufziehen. Die römischen Gesetze legten zwar fest, dass Findelkinder immer Freigeborene blieben, doch war es praktisch unmöglich, nach einer Kindheit als Sklave die »ursprüngliche Freiheit« zu beweisen. So waren Findelkinder eine stete Quelle neuer Sklaven.

Die vierte, wenn auch weniger wichtige Quelle war die Versklavung Erwachsener. Obwohl gelegentlich auch Kriegsgefangene darunter waren, kamen diese hauptsächlich aus der Hand von Banditen und Piraten, die Reisende und andere ungeschützte Personen in Kleinstädten und auf dem Land entführten. Augustinus bezeugt den Schrecken ihrer wahllosen Übergriffe auf freie Bewohner in abgelegenen Gegenden und jenseits der Reichsgrenzen:

 

So groß ist in der Provinz Afrika die Zahl der »Sklavenfänger«, wie sie im Volksmund heißen, dass sie die Provinz praktisch menschenleer machen, indem sie Leute entführen, die in Orte jenseits des Meeres verkauft werden – und fast alle sind Freie. Denn von den wenigsten wird festgestellt, dass sie von den Eltern verkauft wurden –, und auch diese werden nicht vertraglich für 25 Jahre in die Knechtschaft verkauft, wie es das römische Recht erlaubt, sondern sie werden als echte Sklaven verkauft und als Sklaven über das Meer verkauft. Die Sklavenhändler kaufen nur sehr selten echte Sklaven von ihren Herren. Außerdem sind durch diese Bande von Sklaventreibern Scharen von Plünderern und Entführern so außer Kontrolle geraten, dass sie, furchterregend wie Soldaten oder Wilde gekleidet, unter Geheul in unterbevölkerte ländliche Gegenden einfallen und die Leute mit Gewalt wegschleppen, die sie dann an die Sklavenhändler verkaufen. (Brief *10)

 

Einer dieser Unglücklichen war Gaius Tadius:

 

Dem Gaius Tadius Severus, Sohn des Gaius, entführt von Banditen im Alter von 35 Jahren, und seinem Sohn Proculus, 6 Jahre alt. Limbricia Primigenia errichtete diesen Grabstein für ihren Mann und Sohn. Wehe, hätte doch der Sohn seiner Mutter den Grabstein errichten sollen! (ILS 8506)