PROSTITUIERTE

»Du mit den Rosen, so schön wie die Ware – was willst Du verkaufen? / Rosen? Oder dich selbst? Oder gar beides zugleich?« (Dionysios Sophistes in: Anthologia GraecaGriechische Anthologie 5,81)

 

Ob Sklave oder Freier – der Lebensweg des gewöhnlichen Mannes wurde oft von seinen Fähigkeiten bestimmt. Körperkraft beim Bauen, Graben oder Pflügen war für einen jungen Mann von Vorteil, gleichgültig, ob er selbständig oder als Sklave arbeitete. Ein älterer Mann konnte Kenntnisse im Schustern oder Schmieden oder im Weinbau im eigenen Interesse oder dem eines Herrn nutzen. Eine erwachsene Frau konnte Haushalt und Familie vorstehen, in einem Laden aushelfen oder Heimarbeit leisten, auch sie entweder selbständig oder als Sklavin. Für ein Mädchen oder eine junge Frau hielt die Zukunft vielleicht eine Heirat bereit – oder auch die sexuelle Ausbeutung zu anderer Profit. Denn wie der junge Mann die Kraft seines Körpers einsetzen konnte, um der Nachfrage nach Schwerarbeit zu entsprechen, so konnte der Körper einer Frau benutzt werden, um den Bedarf an Sexualität zu befriedigen. Das Leben war oft von Zufall, Gefahr und Erniedrigung bestimmt. Doch Sklaverei wie Armut zwangen eine junge Frau, selbst tätig zu werden. Ihre Fähigkeit, sexuelles Begehren zu befriedigen, traf sich mit den lüsternen Bedürfnissen von Männern einer Kultur, in der die Keuschheit verheirateter Frauen oberstes Gebot war – Voraussetzungen für ein profitables Geschäft, das viele Sklavenbesitzer ebenso wie freie Frauen und ihre Familien nicht außer Acht lassen konnten.

Ich beziehe mich hier auf Frauen, doch ist anzumerken, dass in antiken Quellen auch die Existenz männlicher Huren ausdrücklich bezeugt ist, die vermutlich sowohl männliche wie weibliche Kunden bedienten. So bemerkt der römische Rechtsexperte Julius Paulus, dass ein Prostituierter von einem Ehemann getötet werden darf, wenn dieser ihn mit seiner Ehefrau in flagranti erwischt (Sententiae 2,26,4). Allerdings gibt es weder spezifische Bemerkungen noch Regeln oder Gesetze, die nur Männer betreffen oder Männer im Unterschied zu Frauen. Im Bemühen, meine Darstellung flüssiger zu gestalten, habe ich männliche Prostituierte darum nicht als gesonderte Kategorie behandelt. Es ist allerdings wichtig zu beachten, dass sie existierten und neben den Frauen ihr Gewerbe betrieben.

Das Leben einer Prostituierten darf nicht romantisiert werden. Auf jede Frau, die sich zu einem solchen Leben entschloss, kamen zahlreiche andere, denen es aufgezwungen wurde. Namentlich Sklavinnen waren hilflos und der Ausbeutung ausgeliefert. Zwar konnten Sklavenhalter die künftige Prostitution eines Sklaven durch eine Klausel im Verkaufsvertrag ausschließen, doch fehlt jeder Hinweis darauf, dass dies sehr häufig geschah. Vielmehr lässt sich mit guten Gründen vermuten, dass der Herr nichts anderes im Sinn hatte als maximalen Profit, wenn es um die Prostitution von Sklaven ging, von denen einige zu ebendiesem Zweck gekauft wurden. Kinder waren solcher Ausbeutung besonders schutzlos ausgeliefert. Auch freie Frauen müssen oft aus einer verzweifelten Situation heraus gehandelt haben, wenn ihnen die Armut auf den Fersen war und die Familie sie vielleicht dazu drängte, ein kleines Einkommen beizusteuern. Während ein Sklavenbesitzer möglicherweise einschritt, um die schlimmsten Formen von Massenvergewaltigungen zu verhindern, da sein Eigentum beschädigt wurde, hatten freie Frauen nicht einmal diesen schwachen Schutz, es sei denn, ein Kuppler mischte sich ein. Der körperliche Missbrauch durch Kunden war mit Sicherheit üblich. Gewaltsamer Geschlechtsverkehr musste zu vaginalen und analen Verletzungen und zu Harnwegsinfekten führen. Es war ein hartes, ein verzweifeltes Leben. Das sollte man sich immer vor Augen halten, wenn man an die geistige Welt und die Optionen von Prostituierten, Sklaven wie Freien, denkt.

Im Folgenden geht es nur um die Frauen, die gewöhnliche Prostituierte werden, und um deren Kunden. Zwei andere Typen von Prostituierten übergehe ich: diejenigen, die vorgeblich im Tempel dienten, und die »Klassefrauen«, die den Wohlhabenden zu Diensten waren. Einige wenige Belege scheinen zwar darauf hinzudeuten, dass in der römisch-griechischen Welt so etwas wie Tempelprostitution geübt wurde, doch hat eine jüngst publizierte, sehr sorgfältige und umfassende Studie überzeugend dargelegt, dass dergleichen weder in Korinth (der Hauptkandidatin) noch andernorts existierte. Daher spielen Tempelprostituierte im Leben der gewöhnlichen oder auch anderer Römer keine Rolle. Anders die Edelprostituierten, die in der Gesellschaft sehr präsent waren. Sueton, Schriftsteller und Gelehrter der Oberschicht, ist Verfasser eines leider verlorenen Werks über »Das Leben berühmter Prostituierter«. Wie auch andere Schriftsteller war er fasziniert von diesen Kurtisanen; die Details sexueller Exzesse in einer sozialen Klasse, die die Moral hochhielt, sorgten für angenehmen Kitzel; die Verbindung von unverblümter Ausschweifung, Heuchelei und häufig auch höfischen Intrigen hatte ihren unwiderstehlichen Reiz. So richtet Kaiser Gaius (Caligula) in seinem Palast ein Bordell ein:

 

Und um keine Quelle, Gewinn zu machen, unerprobt zu lassen, errichtete er auf dem Palatin ein Bordell; dort hatte er mehrere kleine Räume abtrennen und einrichten lassen, so wie es der Würde des Ortes angemessen war; in diesen Räumlichkeiten mußten sich verheiratete Frauen und freigeborene junge Leute zur Liebe feilbieten. Dann schickte er Ausrufer über alle Foren und in alle Basiliken, die junge und alte Männer animieren sollten, ihre Lüste auszuleben. Denjenigen, die kamen, stellte er Geld gegen Zinsen zur Verfügung, und es standen Leute dabei, die ihre Namen öffentlich aufschrieben, so als seien das die Leute, die halfen, die Einkünfte des Kaiser aufzubessern. (Sueton, Leben des Gaius 41)

 

Sueton und Tacitus erzählen grelle Geschichten von kaiserlichen Frauen, die sich der Prostitution oder einer ähnlichen Tätigkeit hingaben, wobei gerade die Betonung dieser Erscheinungen deutlich macht, wie ungewöhnlich sie waren. Realistischer ist die Feststellung: Kurtisanen gab es, und sie standen der männlichen Oberschicht zu Diensten. In Plautus’ Eselskomödie zum Beispiel dreht sich alles um einen Wohlhabenden, der sich der Dienste einer jungfräulichen Kurtisane versichern will, und Lukians Hetärengespräche zeigen, wie man sich das Leben der Edelprostituierten vorstellte. Obwohl in den historischen Aufzeichnungen nur wenige Namen genannt werden, darf man annehmen, dass solche Frauen, die als Konkubinen oft zur Dauererscheinung wurden, einen gewissen Einfluss auf den Lauf der Dinge ausüben konnten. Natürlich bediente sich die Elite bei Gelegenheit auch gewöhnlicher Prostituierter, wie von den Kaisern Caligula, Nero und anderen berichtet wird. Aber da sie über eigene Sklavinnen verfügten und die Mittel hatten, sich eine Frau als Konkubine zu halten, war der Gang zur gewöhnlichen Prostituierten meist überflüssig.

Ich lasse die mythische Tempelprostitution und die sehr realen Kurtisanen der Elite beiseite und wende mich den normalen Prostituierten zu, wie sie im römischen Gesetz definiert sind: »Nicht nur von einer solchen, welche in einem Hurenhaus sich Preis gibt, sondern auch, wenn Eine, wie es zu geschehen pflegt, in einem Wirtshause, oder sonst wo ihre Schamhaftigkeit nicht bewahrt, werden wir sagen, dass sie öffentlich mit ihrem Körper Gewinn treibe« (Digesten 23,2,43/pr. 1). Prostitution wurde nicht gesetzlich bestraft. Sie war legal, und eine Prostituierte konnte ihres Berufs wegen nicht gerichtlich belangt werden. Sexuelle Beziehungen zu einer Prostituierten galten nicht als Ehebruch, und eine unverheiratete Liebesdienerin konnte weder Beteiligte an einem Ehebruch noch selbst des Ehebruchs schuldig sein. Stuprum (illegaler Geschlechtsverkehr), der Begriff für sexuelle Beziehungen zu unverheirateten Mädchen/Frauen (oder Witwen) oder Knaben/Männern, war auf sexuelle Beziehungen zu Prostituierten nicht anwendbar. Diese konnten weder den Stammbaum der Familie gefährden noch die sexuelle Reinheit einer möglichen Ehefrau beeinträchtigen. Doch blieben gewisse Beeinträchtigungen der Rechtsfähigkeit: Prostituierte waren probrosae, das heißt, sie konnten gemäß den Heiratsgesetzen des Augustus keine freigeborenen römischen Bürger ehelichen. Außerdem waren sie dem prätorischen Edikt zufolge von der infamia betroffen – sie konnten kein Testament schreiben und waren nicht voll erbberechtigt. Doch ist anzunehmen, dass diese Einschränkungen oft missachtet oder ignoriert wurden, und das Stigma verschwand auf jeden Fall, wenn eine Prostituierte heiratete. Das römische Rechtssystem ließ die Prostituierten im Allgemeinen unbehelligt.

Soweit bekannt ist, waren den Behörden die moralischen Aspekte der Prostitution einerlei. Schließlich war der Verkehr mit Prostituierten kein Verstoß gegen das Gesetz und, was den Mann anging, nicht einmal gegen moralische Normen, da er nicht als Ehebruch galt. Für die Frau bedeutete die sexuelle Freizügigkeit zwar einen Makel, aber auch hier bestand kein rechtliches Verbot oder eine Strafe. Unwahrscheinlich ist, dass Prostituierte verpflichtet waren, sich bei den Behörden registrieren zu lassen. Da der Elite an einer »Kontrolle« der Prostituierten nicht das Mindeste gelegen war, bestand kein Grund für diesen Aufwand. Aber irgendwann dämmerte es den Behörden, dass entsprechende Dienstleistungen eine mögliche Steuerquelle darstellten. Ab der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. zahlten Prostituierte tatsächlich eine Steuer. Da eine solche Steuer zuvor nur für Athen sicher belegt ist, dürfte der Anstoß zum römischen Steuererlass in dieser früheren Praxis zu suchen sein. Die ersten dokumentarischen Belege stammen aus der Zeit Neros, doch schon Caligula machte ihn zur Regel:

 

Vom Stundenlohn der Prostituierten kassierte der Staat so viel, wie eine Dirne mit einem Beischlaf verdiente. Dieser Gesetzesparagraph wurde noch dadurch ergänzt, daß auch die dem Staat zu diesen Steuern verpflichtet seien, die einmal dem Gewerbe einer Dirne oder eines Kupplers nachgegangen seien, ja sogar Ehefrauen fielen unter das Gesetz. (Sueton, Leben des Gaius 40 – 41)

 

Nach Sueton entsprach der Steuerbetrag also dem Preis für einen Beischlaf, und seine Entrichtung konnte durch die Behauptung, man sei aus dem Geschäft ausgestiegen, nicht umgangen werden. Um diese »Dienstleistungssteuer« einzutreiben, mussten sich die Ämter über die Identität der Sexarbeiterinnen auf dem Laufenden halten. Der Einzug der Steuern (und damit die Verantwortung für die Aufsicht) oblag in den verschiedenen Regionen des Reiches verschiedenen Funktionären – teils den Steuereintreibern, teils den Beamten, am häufigsten aber offenbar Soldaten, die für diese Aufgabe abkommandiert wurden. Sie hatten die Steuern zu kassieren, betätigten sich aber oft auch als Wucherer. Ich denke hier etwa an Johannes den Täufer, der wie erwähnt Soldaten dazu anhielt, sich mit ihrem Sold zufrieden zu geben – etwas, das offensichtlich nur selten der Fall war. Prostituierte, die selbständig arbeiteten, stellten die Steuereinnehmer vielleicht vor Probleme, während die in privaten Bordellen beschäftigten registriert und identifiziert werden konnten. Und noch einfacher machten es die städtischen Bordelle, doch das hielt die kaiserlichen Beamten nicht davon ab, umso mehr Geld zu erpressen, wie ein Dokument aus Chersones an der Schwarzmeerküste bezeugt. Die missbräuchliche Behandlung der Prostituierten selbst, die dieses System ermöglichte, kann man nur ahnen.

Mit den Behörden hatten es die Prostituierten auch bei einer weiteren Gelegenheit zu tun: Wenn sich bei kultischen Festen oder etwa an einem besonderen Markttag mehr Menschen als gewöhnlich in einer Stadt einfanden, wurde den Prostituierten eine Tageslizenz ausgestellt, vermutlich gegen Gebühr, was allerdings nicht ausdrücklich bezeugt ist. Eine solche Lizenz liegt aus Ägypten vor:

 

Pelaias und Sokraton, Steuereinnehmer, an die Prostituierte Thinabdella, Grüße. Wir geben dir die Erlaubnis zum Geschlechtsverkehr an diesem Ort, mit wem immer du willst am unten angegebenen Tag. Jahr 19, der 3. Tag des Monats Phaophi. [gezeichnet] Sokraton, Sohn des Simon. (WO 1157)

 

Zwar fehlen uns detaillierte Kenntnisse darüber, auf welche Weise eine so mobile Dienstleistung wie die Befriedigung sexueller Bedürfnisse kontrolliert werden konnte, doch offensichtlich hatten die Römer die Sache im Griff. Der Tarif basierte wieder auf dem Preis eines einzelnen Beischlafs. Ein Dokument aus Palmyra, im fernen Osten des Reiches, nennt genau drei verschiedene Beträge: ein Preis von einem Denar oder mehr pro Beischlaf erbrachte einen Denar, ein Preis von acht Assen (acht Zehntel eines Denars) erbrachte den entsprechenden Betrag, und dasselbe galt für den Preis von sechs Assen (sechs Zehntel eines Denars). Wie viel tatsächlich eingetrieben wurde, lässt sich jedoch nicht feststellen. Wesentliche Details sind unbekannt, zum Beispiel für welchen Zeitraum die Steuer erhoben wurde (für einen Tag? einen Monat?). Wenn also eine Prostituierte, die einen Denar verlangte, fünf Mal pro Tag einen Beischlaf absetzte und die Steuer täglich bezahlte, hätte sie 20 Prozent ihrer Einnahmen dem Staat abgeliefert. Wenn die Steuern dagegen monatlich anfielen und sie regelmäßig zu demselben Preis arbeitete, dann hätte sie in, sagen wir, 20 Arbeitstagen im Monat 20 × 5 = 100 Denare verdient, von denen nur ein Denar an Steuern bezahlt wurde, ein Satz von einem Prozent. Letzteres ist sehr viel wahrscheinlicher, da sich die Steuersätze in anderen Milieus normalerweise im ein- bis fünfprozentigen Bereich bewegten. Faktisch wurden die Steuern statt von der Prostituierten selbst möglicherweise vom Zuhälter oder sogar von einem Besitzer mehrerer Bordelle bezahlt. Strichmädchen sahen sich vermutlich dem gnadenlosen Druck von Beamten ausgesetzt, die Bestechungsgelder oder eine Bezahlung in Naturalien erwarteten. Dasselbe galt, wie man sich vorstellen kann, für Frauen, die einer Mehrfachbeschäftigung in der Prostitution und in anderen, steuerfreien Berufen nachgingen – als Stubenmädchen, Bedienerin in einer Taverne oder Unterhaltungskünstlerin. Die vorliegenden Zeugnisse liefern Beispiele für die Besteuerung aus weit auseinanderliegenden Gebieten des Reiches; die Steuer wurde also offenkundig reichsweit erhoben. Aus Ägypten sind sogar einige Quittungen wie die folgende erhalten:

 

Pasemis, an Senpsenmonthes, Tochter des Pasemis, Grüße. Ich habe von dir als Steuer für Prostituierte in Memnonia für das erste Jahr Neros, des Kaisers, vier Drachmen erhalten. Datiert am fünfzehnten Tag des Monats Pharmouthi. (O. Berl. Inv. 25474)

 

Das planvolle Vorgehen – ein Steuerregister, regelmäßiges Inkasso, ein System zur Gewährung von Eintageslizenzen – macht es deutlich: Die Steuer für Prostituierte wurde mit großem Eifer eingezogen und verschaffte, wie man wohl mit Recht annehmen darf, der Regierung nicht unerhebliche Einnahmen.

Die Erhebung der Steuern war die einzige Form, in der der Staat in das Leben der Prostituierten eingriff, es sei denn, dass es im Verlauf ihrer Tätigkeit zu wilder Unruhe oder zu Schäden kam. Natürlich konnte die Prostitution Ursache oder Begleiterscheinung von Rüpeleien sein. Im Blick darauf behielt der für die öffentliche Ordnung zuständige Magistrat – in Rom die Ädilen – die einschlägige Tätigkeit im Auge. Da es jedoch kein ungesetzliches Gewerbe war, konnte nur die Störung der öffentlichen Ordnung amtliche Interventionen auslösen.

So sorglos war die Einstellung der Behörden gegenüber diesem Gewerbe, dass jeder Versuch fehlte, die Prostitution »einzugrenzen« – kein Rotlichtbezirk also. Der Strich war kreuz und quer über Groß- und Provinzstädte verstreut. Natürlich war die Aktivität in einigen Gegenden lebhafter als in anderen, zum Beispiel um das Forum und die Tempel herum oder, in Rom, im berüchtigten Viertel Subura. Aber Dirnen waren in einer Stadt fast überall zu finden. Gesundheitliche Fragen waren für die Bürokratie kein Thema. Und abgesehen von den Steuern und dem sozialen Stigma, das für einen Teil der Bürger mit dem Beruf verknüpft war, hatte die Ausübung der Prostitution für die betroffenen Frauen kaum praktische Konsequenzen.

Rein theoretisch betrachtet, muss die Prostitution für eine Frau im marktgängigen Alter und/oder in verzweifelter Lage sehr reizvoll gewesen sein. Das Einkommen war potenziell gut, Mädchen, die man für mögliche Interessentinnen hielt, wurden mit dem Versprechen von Kleidung und anderen Verlockungen geködert, und andere Fähigkeiten oder Produkte hätten ihnen nicht annähernd so viel eingebracht – mit Sicherheit weder die Weberei noch die Tätigkeit als Amme, die zwei anderen wichtigen Einkommensquellen der Frauen. Doch das System war nicht darauf eingerichtet, die individuelle unternehmerische Prostitution zu begünstigen, auch wenn einige Freudenmädchen tatsächlich selbständig arbeiteten, was sich daran ablesen lässt, dass sie die Prostitutionssteuer zahlten. Der Zuhälter, eine Standardfigur in Theaterstücken und Erzählungen zum Thema Prostitution, war omnipräsent. Er – oder sie, denn zweifellos gab es auch Zuhälterinnen (Taf. 23) – organisierte und kontrollierte die Prostituierten und beutete sie aus, wenn er nicht sogar ihr Besitzer war. In eigenem Namen oder als Agent für einen vermögenden Investor kassierte er einen großen Teil des Verdiensts der Mädchen, ein Drittel bestimmt, sehr wahrscheinlich mehr. Wenn er für Unterbringung, Kleidung oder Nahrung aufkam, wurde das alles vom Verdienst abgezogen. Die Frau war machtlos dagegen, buchstäblich im Fall der Sklavin, de facto, wenn sie eine Freie war. Trotz guter Einkommensaussichten blieb einer typischen Prostituierten letzten Endes nur ein kleiner Nettolohn, und natürlich war die zwielichtige Atmosphäre der Bordelle, Kneipen und Straßenecken, wo schnelles Geld locker saß, nicht geeignet, zu umsichtigen Sparplänen anzuregen. Aber wir sollten die Freudenmädchen nicht unter ihrem Wert verkaufen. Es scheint, dass viele von ihnen mit der Zeit zu Freigelassenen wurden, sie müssen also nicht nur genug verdient haben, um sich aus der Sklaverei freizukaufen, sondern auch nach dem Freikauf im Geschäft geblieben sein. Ein paar wurden vielleicht zu Madams und setzten ihr Gewerbe indirekt fort. Eine gewisse Vibia Calybe begann als versklavte Prostituierte und stieg als Freigelassene zur Verwalterin des Freudenhauses ihrer ehemaligen Besitzerin auf:

 

Vibia Chresta, Freigelassene des Lucius, errichtete dies Grabmal für sich und die Ihren, und für Gaius Rustius Thalassus, Freigelassener des Gaius, ihren Sohn, und für Vibia Calybe, ihre Freigelassene und Bordellverwalterin. Chresta hat die Gedenkstätte ganz aus ihrem eigenen Verdienst gebaut, ohne irgendjemanden zu betrügen. Dies Grab soll nicht von den Erben benutzt werden! (CIL IX 2029 = ILS 8287, Benevent)

 

In einem gewagten lyrischen Versuch zu Ehren des phallischen Gottes Priapus wird der Erfolg einer anderen Sklavendirne gefeiert:

 

Telethusa, bekannt unter den Mädchen der Subura, / die, glaube ich, durch ihr Gewerbe frei geworden ist, / bekränzt das Glied dir, Heiliger, mit einem vergoldeten Kranz: / Diese sehen die geilen Dirnen ganz wie die höchste Gottheit an. (Carmina Priapea 40)

 

Es spricht für sich, dass Artemidor dem Traum von einer Prostituierten künftige Erfolge zuschreibt:

 

Die Frauenzimmer jedoch haben mit dem Ort nichts gemein; sie selbst bedeuten Glück, nur der Ort nicht. Deshalb ist es günstiger, im Traum herumstreichende Hetären zu sehen. Glückbringend sind auch die, welche vor dem Bordell ihre Reize zur Schau stellen, die etwas verkaufen und den Liebeslohn kassieren … (Traumbuch 1,78; vgl. 4,9)

 

Andererseits müssen viele, von allen vergessen, früh in Armut und Elend gestorben sein, ein Schicksal, das auch für zahlreiche andere gewöhnliche Menschen nichts Ungewöhnliches war, falls ihre Möglichkeiten zum Erwerb eines wenn auch nur geringen Einkommen altersbedingt oder aufgrund misslicher Umstände schwanden. Eine weitere Deutung Artemidors weist in diese Richtung:

 

Eine Frau, die vom eigenen Fleisch ißt, wird huren und sich auf diese Weise durch den eigenen Körper ernähren. (Traumbuch 3,23)

 

Im nordafrikanischen Bulla Regia wurde das Skelett einer Sklavin gefunden, der ein Bleiband um den Hals gebunden war – eine Aufforderung an jeden, der sie außerhalb der Stadt antraf, sie aufzuhalten und zurückzubringen. Darauf stand: »Dies ist eine betrügerische Hure! Ergreift sie, denn sie ist aus Bulla Regia entflohen!« (AE 1996, 1732, Hammam Derradji, Tunesien). Ihr Leben kann nichts anderes gewesen sein als reiner Horror (vgl. Taf. 22).

An Dirnen herrschte kein Mangel. Einige wurden in die Prostitution gezwungen, vielleicht von einer Familie, die dem Verhungern nahe war, wie es in einem Dokument aus Ägypten anschaulich dargestellt ist. Ein gewisser Diodemos, Ratsherr in Alexandria, fasst eine Zuneigung zu einer Prostituierten, verbringt viele Abende mit ihr und ermordet sie dann. Er wird festgenommen und legt schließlich ein Geständnis ab:

 

Und die Mutter der Prostituierten, eine gewisse Theodora, eine arme alte Frau, verlangte, Diodemos solle gezwungen werden, ihr eine Unterhaltszahlung zu leisten als kleine Entschädigung [vermutlich für den Verlust der Tochter]. Denn sie sagte: »Aus diesem Grund habe ich meine Tochter an den Bordellverwalter gegeben, damit ich ein Auskommen habe. Da ich durch den Tod meiner Tochter der Unterhaltsmittel beraubt bin, bitte ich darum, dass man mir den bescheidenen Bedarf einer Frau für meinen Unterhalt gibt.« Der Präfekt sagte [zu Diodemos]: »Du hast eine Frau ermordet, die ihr Schicksal unter den Menschen damit zu Schmach und Schande macht, dass sie ein unmoralisches Leben führte, aber am Ende ihr Gewerbe ausübte … Ja, ich habe sogar Mitleid mit der Unglücklichen, denn als sie lebte, war sie jedem verfügbar, genau wie ein Leichnam. Denn die Armut des Schicksals der Mutter drückte sie so überwältigend nieder, dass sie ihre Tochter zu einem schmachvollen Preis verkaufte, so dass sie in den schlechten Ruf einer Prostituierten geriet.« (BGU IV 1024, Kol. VI / Rowlandson, Nr. 208)

 

Diodemus wurde schuldig gesprochen, hingerichtet und ein Zehntel seines Vermögens der Mutter übergeben, »die der Armut wegen, die sie einschnürte, ihre eigene Tochter vom Pfad der Tugend wegzog, weshalb sie sie verloren hat …« Man sollte auch die Sympathie zur Kenntnis nehmen, die der Beamte für die Mutter und postum für die Tochter empfand, die zur Prostitution genötigt wurde – eine Sympathie, die so weit ging, dass er zur Bestrafung eines Standesgenossen bereit war. Auch in der Literatur drängen Mütter ihre Töchter zur Prostitution, damit sie Geld nach Hause bringen. In Lukians Hetärengesprächen sind solche Mütter dargestellt.

Andere Frauen flüchteten sich in diesen Beruf. Wieder andere wuchsen in der Sklaverei auf, und viele wurden für diese Arbeit versklavt. Das Mädchen, das von Räubern oder Piraten entführt und in die Sklaverei verkauft wird, ist in den Romanen dieser Zeit ein stehendes Motiv. Im Goldenen Esel sieht sich Charite, die Tochter einer Oberschichtsfamilie aus der Provinz und Gefangene von Räubern, diesem Schicksal gegenüber. Die Banditen haben beschlossen, sie wegen eines Fluchtversuchs zu töten, als einer der Männer, in Wirklichkeit Charites Verlobter, der sich unerkannt Zugang zu der Bande verschafft hat, zu einem anderen Vorgehen drängt:

 

… sofern ihr die Jungfrau vernichten solltet, dürftet ihr lediglich – ohne jeden Gewinn – euer Mütchen kühlen. Ich bin vielmehr der Meinung, man sollte sie in irgendeine Stadt abführen und dort verkaufen; so etwas Knuspriges wird man ja für einiges Geld losschlagen können. Ich kenne nämlich auch selber von früher her gewisse Hurenwirte, von denen der eine oder der andere, wie ich erachte, das Mädchen da ihrem Stande entsprechend für eine wirklich erkleckliche Summe erstehen kann, daß sie auf den Strich geht statt wie jetzt auf- und davonzulaufen und auch als Dienstperson im Bordell euch ein gut Teil Buße abdient. (Der goldene Esel 7,9)

 

Ein weiteres Standardthema der Literatur sind Findelkinder, die für die Prostitution aufgezogen werden, was auch durch andere antike Zeugnisse bestätigt wird.

Prostituierte waren buchstäblich überall. Schätzungen zufolge kam in Pompeji auf vielleicht hundert Einwohner (Männer, Frauen und Kinder) eine Prostituierte, basierend auf geschätzten hundert Prostituierten bei einer Bevölkerung von 10 000 Einwohnern. Die Zahl läge um einiges höher für Frauen im blühenden Alter von, sagen wir, 16 bis 29 Jahren. Vormodernes Vergleichsmaterial deutet auf etwa zehn bis zwanzig Prozent Frauen, die zumindest zeitweise als Prostituierte arbeiteten. Bei durchschnittlich etwa zehn Kunden pro Tag, eine vergleichsweise moderate Zahl, bedeutete das, dass es allein in Pompeji täglich tausend Mal zum Geschlechtsverkehr kam. Auf den ersten Blick mögen diese Zahlen sehr hoch erscheinen, aber die Verbindung einer starken Nachfrage mit einem relativ geringen gesundheitlichen Risiko (vgl. u.) und dem Fehlen alternativer Verdienstmöglichkeiten für Frauen trieb viele in die Prostitution. Der Elite galt jede Dirne automatisch als einer Heirat unwürdig, und der eigenen Ehefrau die Prostitution offen oder indirekt zu erlauben oder sie dazu zu nötigen hätte man in diesen Kreisen zweifellos aufs schärfste missbilligt. Doch von den Römern der Mittel- und Unterschicht wurde diese Einstellung nicht unbedingt geteilt. Ein Ehemann konnte seine Frau durchaus sexuell missbrauchen, indem er sie zwang, sich zu prostituieren:

 

Es träumte einer, er führe seine Frau wie ein Opfertier vor und schlachte sie, schneide ihr Fleisch in Stücke, verkaufe es und erziele damit einen ansehnlichen Gewinn. Es träumte ihm weiter, er empfinde Freude darüber und versuche, das eingenommene Geld aus Furcht vor dem Neid der Umstehenden zu verstecken. Dieser Mann verkuppelte seine eigene Frau und bestritt mit dem schmutzigen Geschäft seinen Lebensunterhalt. Dieses war für ihn zwar eine gute Einnahmequelle, durfte aber unter keinen Umständen ans Licht der Öffentlichkeit kommen. (Traumbuch 5,2)

 

Dank der guten Rendite, die Investitionen ins ambulante Gewerbe abwarfen, wurde der Markt auch regelmäßig von Sklavenhaltern beliefert. So hatte die Sexindustrie einen steten Nachschub an Arbeitern, nicht nur in Person der Sklavenhalter, sondern auch in der von Kupplern, die bereit waren, in Bordellen, Gasthäusern oder Bädern freie Frauen anzustellen.

 

Hurenwirthschaft treibt, wer Sklavinnen des Gewinns halber gehalten hat, aber auch, wer mit freien Menschen diesen Gewinn treibt … Mag er übrigens hauptsächlich dieses Geschäft treiben, oder nebenbei sich mit einer anderen Beschäftigung abgeben, wie wenn er ein Gastwirth war, oder ein Stallwirth, und solche Sclavinnen hielt, welche bedienten und bei Gelegenheit der Bedienung [mit ihrem Körper] Gewinn trieben, oder wenn er ein Bademeister gewesen, der, wie es in einigen Provinzen geschieht, in den Bädern zur Bewachung der Kleider Sclavinnen der Art … gedungen hatte – so wird er der Strafe der Hurenwirthschaft verfallen. (Ulpian, ad edictum – Über das Edikt = Digesten 3,2,4,2 – 3)

 

Der am besten organisierte Arbeitsplatz der Prostituierten war das Bordell. Von einem Bordell, dem Lupanar in Pompeji, wissen wir mit Sicherheit, dass es speziell für diesen Zweck erbaut wurde. Kombiniert man die Aufschlüsse, die sich daraus gewinnen lassen, mit literarischen Hinweisen, lässt sich ein anschauliches Bild eines Bordells entwerfen: Möglicherweise gab es eine Empfangsfläche, die sich, nur durch einen Vorhang geschützt, zur Straße öffnete. Im Inneren gingen die Prostituierten herum und boten sich, hauchdünn bekleidet oder nackt, dem abschätzenden Blick potenzieller Kunden dar, oder sie saßen auf Stühlen oder Chaiselongues. Jede hatte einen kleinen Raum mit einem Bett aus Holz oder Backstein (Abb. 27; Taf. 24). Im Empfangsraum oder über der Tür der Kammern waren die besonderen Dienstleistungen der Frauen und vielleicht auch die Preise angegeben. Zum Herumschlendern war in den einzelnen Zellen wenig Raum, sie dienten offenbar nur dem Kerngeschäft. Privatsphäre schien kein Anliegen zu sein; es gibt kaum Hinweise auf Vorhänge an den Eingängen der einzelnen Kammern und nicht einen auf eine Tür. Mit anderen Worten, das Freudenhaus scheint kein Ort der Geselligkeit und der Unterhaltung gewesen zu sein, denen das sexuelle Vergnügen folgte. Das Bordell war sehr wahrscheinlich schwach erleuchtet und verschmutzt – allerdings sah es an den meisten Orten, wo gewöhnliche Menschen zusammenkamen, nicht anders aus.

Abb. 27. Ein Bordell: Das einzige archäologisch identifizierte Bordell der römischgriechischen Welt befindet sich im Haus der Lupanare in Pompeji. Hier standen den Prostituierten kleine Kämmerchen zur Verfügung. Über jedem Eingang war die Wand mit erotischen Malereien geschmückt.

Eine prägnante Skizze solcher Bordelle enthalten Petrons Satyrica. Enkolpius hat seinen Geliebten Askyltos aus den Augen verloren. Auf der Suche nach ihm fragt er eine alte Frau, die auf der Straße Gemüse verkauft: »Weißt du, wo ich wohne?« Die schlaue Alte bejaht und führt ihn – in ein Bordell.

 

Als ich jetzt sagte, es sei nicht das richtige Haus, sehe ich ein paar Männer zwischen Schildern und nackten Huren verstohlen umherschleichen. Mit Verspätung, nein erst zu spät wurde mir klar, dass man mich in ein Freudenhaus verschleppt hatte. So ließ ich einen Fluch … los … und nahm einen Anlauf, quer durch das Bordell ins Hinterhaus zu entkommen: sieh einmal an, da läuft mir … Askyltos in die Arme … So begrüßte ich ihn lachend und fragte, was er an diesem verrufenen Ort zu suchen habe. Er wischte sich mit beiden Händen den Schweiß ab und sagte: »Wenn du wüßtest, was mir zugestoßen ist!« »Was gibt es?«, sprach ich. Da sagte er, fast am Ende seiner Kräfte: »Als ich in der ganzen Stadt umherirrte und nicht darauf kam, wo ich die Herbergstür hinter mir zugemacht hatte, trat ein seriöser Herr zu mir und erbot sich mit den liebenswürdigsten Worten, mir den Weg zu zeigen. Als er dann kreuz und quer die finstersten Gassen passiert hatte, brachte er mich hierher, zog die Börse und machte mir den Antrag, ihm zu Willen zu sein. Schon hatte eine Hure als Leihgebühr für ihre Zelle einen Groschen eingezogen, schon hatte der Mann mich gepackt, und wenn ich nicht der Stärkere gewesen wäre, hätte er mir übel mitgespielt.« (Satyrica 7)

 

Hier nahmen also zwei verschiedene Personen die Gelegenheit wahr, einen Fremden ohne sein Wissen in ein Freudenhaus zu führen – vermutlich gegen ein gutes Trinkgeld. In den Bordellen konnten die Prostituierten sich einquartieren; für Kunden wie den Intimus des Askyltos, die ihre eigene Lustquelle mit sich führten, gab es aber auch stundenweise Zimmer zu mieten. Interessant ist, dass Enkolpius, sobald er erkannte, dass er in einem Bordell war, seinen Kopf bedeckte, die traditionelle Bewegung beim Betreten eines solchen Ortes.