GEWÖHNLICHE FRAUEN

Römische Frauen lebten in einer Welt, die von einer eindeutig männlichen Auffassung ihres Geschlechts und ihrer Stellung geprägt war, einer Auffassung, die von der Elite für den eigenen Stand formuliert worden war, von den normalen Männern jedoch weithin geteilt wurde. Wie immer es sich im wirklichen Leben bewährte, das Ideal ist bei Johannes Chrysostomos zutreffend beschrieben. In seiner Darstellung einer zweifachen Ordnung der Gemeinschaft um einen männlichen und einen weiblichen Mittelpunkt spiegelt sich ein Denken, das für die klassische Antike insgesamt kennzeichnend war:

 

Die Aufgabe der Frau ist es, für Kinder, für ihren Ehemann und für ihr Heim zu sorgen … Denn das menschliche Tun ist in zwei Bereiche geteilt, einen, der das Leben außer Haus, und einen, der das Leben im Hause betrifft; »öffentlich« und »privat«, wie wir sagen könnten. Gott hat jedem Geschlecht eine Rolle zugeteilt; die Frauen haben für das Haus zu sorgen, die Männer für die öffentlichen Angelegenheiten, für das Geschäftliche, für rechtliche und militärische Aufgaben – für das gesamte Leben außerhalb des Hauses. Denn eine Frau kann keinen Speer werfen oder einen Pfeil abschießen; vielmehr kann sie spinnen, Tücher weben und alle anderen häuslichen Geschäfte übernehmen – und sie hervorragend ausführen. Sie ist nicht befähigt, im Stadtrat zu sprechen, kann aber ihre Meinung sagen, was den Haushalt betrifft. Ja, oft hat sie sogar ein besseres Verständnis für die häuslichen Bedürfnisse als der Ehemann. Zwar kann sie keine öffentlichen Pflichten übernehmen, doch ist es sehr befriedigend, gut geratene Kinder aufzuziehen, die das Licht unseres Lebens sind. Sie ist befähigt, Sklavinnen, wo nötig, zu disziplinieren und den Überblick über den ganzen Haushalt zu behalten. Sie hält alle Unruhe fern und befreit ihren Ehemann von allen Sorgen, wenn sie die Verantwortung für die Speisekammer, das Spinnen der Wolle, das Kochen und die Bekleidung und alle anderen Aufgaben übernimmt, die für Ehemänner unpassend sind. Sie kann diese sogar besser ausüben, als ein Ehemann es könnte, selbst wenn er versuchen würde, diese Aufgaben zu übernehmen. (Quales ducendae sint uxoresWelche Frauen zu heiraten sind 4)

 

In dieser Vorstellung befangen, setzte die römisch-griechische Welt die Behauptung der körperlichen und geistigen Minderwertigkeit der Frauen in jede mögliche Fuge des Lebens ein. Kaum ein Mann hätte Plautus widersprochen, der in seiner Komödie Die Bacchen (41) schrieb: Miserius nihil est quam mulier (»Nichts ist elender als eine Frau«). So tief saß die Überzeugung vom Wert allein des Mannes, dass zum Beispiel im apokryphen Thomasevangelium Maria, die Mutter Jesu, zum Mann werden muss, um des Himmelreichs teilhaftig zu werden:

 

1. Simon Petrus sprach zu ihnen: Maria soll von uns weggehen; denn die Frauen sind des Lebens nicht würdig. 2. Jesus sprach: Siehe, ich werde sie führen, auf dass ich sie männlich mache, damit auch sie ein lebendiger Geist werde, der euch Männern vergleichbar ist. 3. Denn jede Frau, die sich männlich machte, wird eingehen in das Königreich der Himmel. (Das Thomas-Evangelium, Logion 114)

 

Auch Artemidors Traumdeutungen liegt häufig Misogynie zugrunde, so wenn der Mann mit rechts, die Frau mit links assoziiert wird (Traumbuch 1,21) oder wenn Träume über einen Wandel vom Mann zur Frau Unglück verheißen (Traumbuch 1,50). Seine Traumdeutungen und Horoskope sind im Allgemeinen strikt auf Männer ausgerichtet und bezogen. Männer waren durchweg der Ansicht, Frauen seien schwach und benötigten Schutz vor finanziellem oder körperlichem Missbrauch. Sie galten als kraftlos, behindert durch Mutterschaft, unerfahren (was sie in »Männerangelegenheiten« zweifellos waren), als angewiesen auf männliche Verwandte oder Vormünder, wenn es um Eigentum, Recht oder Ähnliches ging, als geschwätzig, emotional labil, launenhaft, verletzlich und triebhaft.

Dieser männlichen Analyse zum Trotz werden Handlungen und Ansichten der Frauen aber auch gewürdigt. Die Zwiesprache zwischen Aurelia und ihrem Ehemann Aurelius ist eines der berührendsten Zeugnisse der lateinischen Epigraphik (Abb. 3). Der Ehemann Lucius Aurelius Hermia, ein Metzger auf dem Viminalis, spricht:

 

Die mir vorangegangen im Tod, meine einzige Gattin, keusch von Natur, deren Herz völlig dem meinen vereint, treu dem treuen Gemahl, mit ihm von gleicher Gesinnung, ohne die Neigung zum Geiz ließ von der Pflicht sie nicht ab. (ILS 7472/Geist, Grabinschriften, Nr. 30)

 

Auf dem Grabrelief ist Aurelia ihrem Mann durch den Handschlag – die sogenannte dextrarum iunctio – liebevoll verbunden (Abb. 3). Sie antwortet:

 

Dies ist Aurelia Philematio, Freigelassene des Lucius. In meinem Leben wurde ich Aurelia Philematio genannt, keusch, bescheiden, unwissend im üblen Gebaren der Menge, treu meinem Gatten. Er wurde freigelassen wie ich, er, der mir jetzt entrissen wurde – ach! Er war in Wahrheit und in der Tat wie ein Vater für mich und mehr. Er nahm mich, die erst Siebenjährige, auf den Schoß – jetzt nach mehr als 40 Jahren bin ich tot. Er blühte in all seinem Tun unter den Männern meiner treuen und festen Ergebenheit wegen. (CIL I 1221 = VI 9499 = ILS 7472, Rom)

Abb. 3. Eheliche Zuneigung: Aurelius Hermia und seine Frau Aurelia Philematio erinnern auf ihrem Grabstein an die glückliche Ehe. Das Relief wurde 1593 in einem Grab in der Nähe der Via Nomentana in Rom entdeckt.

Aurelia Philematio ist als Muster der idealen Gattin dargestellt, wenn ihre Bescheidenheit, Vortrefflichkeit, moralische Rechtschaffenheit und Treue gelobt werden. Sie gibt diesen Idealen selbst Ausdruck, aber da ihr Mann sie überlebte und den Grabstein aufstellte, ist anzunehmen, dass es seine eigenen Empfindungen sind, denen die ihren vielleicht durchaus entsprachen. In Richmond Lattimores Sammlung griechischer und römischer Grabinschriften werden als typische weibliche Eigenschaften am häufigsten genannt: schön, liebenswert (lieb, süß, nicht streitsüchtig), fruchtbar, keusch und gute hausfrauliche Fähigkeiten. Die essenziellen Werte der Frau in den Grabinschriften sind somit Treue, Keuschheit und Fleiß. Sie müsse ihren Platz kennen; in der Gegenwart von Männern dürfe sie nicht anmaßend auftreten, sondern sie »lerne in der Stille mit aller Untertänigkeit. Einem Weibe aber gestatte ich nicht, daß sie lehre, auch nicht, daß sie des Mannes Herr sei, sondern stille sei« (1. Timotheus 2,11 f.).

Die Frau war ein Mittel zum Zweck und dachte vermutlich auch von sich selbst nicht anders. Der Zweck war eine Familieneinheit, die Erben hervorbringen würde und damit ein Weg, Eigentum weiterzugeben. Es gab zwar sekundäre Möglichkeiten, aktiv zu werden, im Handel zum Beispiel, doch jede Frau, die eine davon zum vorrangigen Lebensziel gewählt hätte, hätte wählen können, wäre fürwahr rara avis gewesen. Begibt man sich in die Welt der römischen Frauen, sollte man sich in Erinnerung rufen, dass ihre Sicht, in eigenen Worten ausgedrückt, in fast allen literarischen und archäologischen Quellen fehlt. Ausnahmen sind in erster Linie Grabinschriften (sofern wir uns die Annahme gestatten, dass einige tatsächlich von den betreffenden Frauen selbst verfasst wurden) und Papyri. Doch sogar in diesen Texten finden sich keine Einwände gegen das männliche Denken oder Alternativen zu der vom Mann bestimmten Position der Frau in Kultur und Gesellschaft, was auf unser modernes Empfinden leicht verstörend wirkt. Das sollte uns jedoch nicht dazu verleiten, Spekulationen über geheime Wünsche und Erwartungen einer Befreiung anzustellen, die uns für immer verborgen sind; vielmehr ist zu vermuten, dass es solche geheimen Wünsche oder Erwartungen gar nicht gab. Soweit wir wissen, wurden alternative Lebensformen und Ziele weder angeboten noch in Betracht gezogen – nichts deutet darauf hin, dass die Frauen der griechisch-römischen Welt jemals Vorstellungen von einer Gesellschaft hegten, die sich von der unterschied, in die sie hineingeboren waren, oder dass sie jemals über die gedanklichen Grundlagen verfügten, alternative Lebensgestaltungen zu erwägen. Man sollte davon ausgehen, dass die Frauen ihren – in unseren Augen unterdrückten – Zustand akzeptierten und versuchten, sich darin so befriedigend wie möglich einzurichten, dass sie manchmal an Grenzen stießen, sich meist jedoch innerhalb dieser Grenzen hielten, manchmal dagegen aufbegehrten, sie aber nie überschritten. Innerhalb dieses Vorstellungsrahmens lässt sich ein nützliches und realistisches Bild der normalen Frauen und ihrer geistigen Welt entwerfen.

Es trifft zu, dass Frauen an wesentlichen Prozessen des öffentlichen Lebens nicht teilhatten. Sie waren nicht rechtsfähig, konnten nicht wählen und blieben von der höheren Bildung faktisch ausgeschlossen. Andererseits werden wir sehen, dass Frauen, die dem elitären männlichen Modell im Rahmen ihrer eigenen Realität nachlebten, in einem sehr viel weiteren Umfeld zu agieren wussten, als das elitäre Bild zu erkennen gibt. Briefe aus Ägypten zeigen willensstarke Frauen, die Verantwortung trugen. Sie zeigen die Frau nicht als schüchternes Pflänzchen oder im Bann ihrer Haushaltspflichten, eingeschlossen in einem Frauenquartier. Es ist sicher bedauerlich, dass in diesen Briefen »geheime« Gedanken selten offenbart werden. Ihr oft undurchsichtiger Charakter erweckt den Eindruck, die Verfasserinnen wollten vermeiden, dass mögliche fremde Leser erführen, worüber genau gesprochen wird. Von dem »Mit-teilen«, das sich zum Beispiel in den Briefen Ciceros findet, ist wenig zu spüren. Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass diese Frauen positiv und aktiv über ihr Leben bestimmten.

Außer Haus erscheinen die Frauen zu Routineanlässen. Sie erledigen Einkäufe oder machen Besorgungen. Sie nehmen an öffentlichen religiösen Zeremonien teil. Sie treten auch bei den nicht seltenen öffentlichen Unruhen in Erscheinung. In seinen Tiraden gegen ein solches Verhalten bezeugt Philo von Alexandria, dass Frauen sich an Straßenaufständen beteiligten:

 

Wenn aber Frauen sich erdreisten, zu Männnern, die in einem Wortwechsel oder in einer Schlägerei begriffen sind, hinauszueilen, um mitzukämpfen oder zu helfen, so ist das tadelnswert und in hohem Grade schamlos: hat doch das Gesetz sie nicht einmal zur Beteiligung an Kriegen, Feldzügen und Gefahren für das gesamte Vaterland zugelassen, mit Rücksicht auf die Schicklichkeit, die es jederzeit und allerorten unverrückt gewahrt wissen wollte, da es gerade sie an und für sich für ein höheres Gut hielt als Sieg, Freiheit und jegliches Wohlergehen. Wenn indessen eine Frau selbst erfährt, daß man ihrem Manne Gewalt antut, und wenn sie dann ihrer zärtlichen Empfindung für ihn erliegt und von dem in ihr aufsteigenden Gefühl der Gattenliebe getrieben wird, zu seiner Hilfe hinauszueilen, so überschreite sie doch nicht in ihrer mannhaften Keckheit die natürlichen Grenzen, sondern bleibe Frau, auch wenn sie beisteht; denn es wäre sehr schlimm, wenn eine Frau, die ihren Mann vor Verunglimpfung schützen will, sich selbst verunglimpfte, dadurch daß sie ihr eigenes Leben mit Schmach erfüllt und mit der großen Schande, (die sie) durch unsühnbare Dreistigkeit (auf sich lädt). Wird denn etwa eine Frau auf (offenem) Markte Schimpfworte gebrauchen oder sonst einen ungehörigen Ausdruck in den Mund nehmen …? Tatsächlich gehen jedoch manche so weit, daß sie nicht nur mitten unter Männern – als Frauen! – mit ihrer frechen Zunge Schmähungen und Schimpfworte ausstoßen, sondern selbst ihre Hände erheben, die im Weben und Spinnen, nicht im Schlagen und Mißhandeln geübt sind. Und wenn man auch anderes noch ertragen könnte, so ist es doch unerträglich, wenn eine Frau sich so weit erdreistet, daß sie den Gegner (ihres Mannes) an seinen Geschlechtsteilen packt; denn sie soll, weil sie anscheinend zur Unterstützung ihres Mannes solches getan, darum keineswegs straflos ausgehen, sie soll vielmehr in ihrer das Maß überschreitenden Dreistigkeit dadurch gehemmt werden, dass sie eine Strafe zu erleiden hat, die sie an der nochmaligen Ausübung der gleichen Missetat, falls sie danach Lust trägt, hindern und zugleich die anderen, die frecheren Sinnes sind, abschrecken und in ihre Schranken weisen wird. (Philo von Alexandria, De specialibus legibusÜber die Einzelgesetze 3,172 – 175)

 

Natürlich war das Erlebnis der Öffentlichkeit den jeweiligen Gewohnheiten entsprechend sehr unterschiedlich. Einige Frauen waren häuslicher als andere, auch die Kleidersitten variierten: Wir wissen, dass die Frauen an einigen Orten verschleiert aus dem Haus gingen (Petron, Satyrica 14,16) und dass an anderen sogar die vollständige Verhüllung des Körpers üblich war. In jedem Fall aber mussten Frauen besorgt sein, die Grenzen des »Anstands« einzuhalten. So konnten Frauen zwar zusammen mit ihren Männern an religiösen Versammlungen teilnehmen, doch weist Paulus sie an, in der Gemeinde zu schweigen und ihre Fragen erst daheim zu stellen (1. Korinther 14,34 f.). Letzten Endes aber war es in den zahlreichen Haushalten, die ohne oder mit nur wenigen Sklaven auskommen mussten, ganz einfach unpraktisch, die Frauen von der Welt abzukapseln. Sie mussten ja auf dem Markt einkaufen und vielleicht sogar Verkäufe tätigen und sich um die Hauswirtschaft kümmern. Sogar im eigenen Haus waren sie nicht abgesondert. Der Verfasser des Timotheusbriefs spricht von falschen Priestern der letzten Tage, »die hin und her in die Häuser schleichen und führen die Weiblein gefangen, die mit Sünden beladen sind und von mancherlei Lüsten umgetrieben, und lernen immerdar und können nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen« (2. Timotheus 3,2 – 7). Offenbar bot das Leben den Frauen ein recht breites Spektrum an Erfahrungen.

Grundsätzlich lebte die große Mehrheit der Frauen für das Gedeihen von Familie und Hauswesen. Das oft erwähnte Ideal der Frau an Herd und Spinnrad entspricht der Norm vorindustrieller Gesellschaften. Zwar boten sich einige wenige Optionen darüber hinaus, doch jedes Mädchen lernte schon von frühester Kindheit an, dass Erwartung und Wunsch für die Zukunft Ehe und Kinder waren. Hatte eine Frau diese Belehrungen verinnerlicht, bekam ihr Leben gewissermaßen eine feste Grundlage, und wenn sie ihnen folgte, fand sie darin Halt sowie Beispiele und Präzedenzfälle zur Bewältigung etwaiger Probleme. Im Verlauf ihrer Entwicklung von der jungen Braut zur Mutter und zur älteren »Matrone« gewann sie an Alter und Erfahrung, Eigenschaften, die in der römischen Kultur hochgeachtet waren, und ihr Einfluss innerhalb des Hauses nahm allmählich zu. Von der Welt, die den Männern offenstand, blieb sie nach Recht und Sitte lebenslang ausgeschlossen. Sie war nicht rechtsfähig und brauchte, besondere Umstände ausgenommen, zum Abschluss öffentlicher Geschäfte einen Vormund, so wenn sie ein Testament aufsetzen oder einen Verkaufsvertrag unterschreiben oder andere rechtliche Verpflichtungen eingehen wollte wie im Fall von Aurelia Ammonaion aus Oxyrhynchos:

 

[Ersuchen] An Gaius Valerius Firmus, Präfekt von Ägypten, von Aurelia Ammonaion. Ich bitte dich, mein Herr, mir gemäß der lex Iulia et Titia und dem Erlass des Senats Aurelius Ploutammon zum Vormund zu geben. Datiert im Konsulat unserer Herren Philippus Augustus, zum zweiten Mal, und Philippus Caesar. (AD 247)

[Antwort] Damit … nicht abwesend sei, ernenne ich Ploutammon zum Vormund gemäß der lex Iulia et Titia. Ich habe dies gelesen. (Rowlandson, Nr. 140)

 

Von dieser Einschränkung waren die Frauen mit dem dritten Kind befreit (Freigelassene mit dem vierten). Eine gebildete Frau, Aurelia Thaisous, ersucht um dieses Recht:

 

… [Seit langem bestehen Gesetze], höchst würdiger Präfekt, die Frauen, die das Recht von drei Kindern haben, dazu ermächtigen, Herrinnen ihrer selbst zu sein und ohne einen Vormund alle ihre Geschäfte zu führen, vor allem die, welche schreiben können [in Wirklichkeit rechtlich irrelevant]. Da auch ich die glückliche Ehre habe, mit Kindern gesegnet zu sein, und da ich fähig bin, mit großer Leichtigkeit zu schreiben, wende ich mich mit diesem Ersuchen also in größter Gewissheit an Eure Hoheit in der Absicht, dazu befähigt zu werden, jedes Geschäft, das ich von jetzt an durchführe, ohne Hindernis zu vollbringen, und ich bitte Euch, es unbeschadet meiner Rechte im Büro Eurer Hoheit aufzubewahren, damit ich Eure Unterstützung erhalte und meine unversiegbare Dankbarkeit bekenne. Lebt wohl. Ich, Aurelia Thaisous, auch Lolliane genannt, habe diese Darstellung geschickt. Jahr 10, Epheiph 21.

[Antwort] Dein Antrag wird im Büro [d. h. ›in den Akten‹] aufbewahrt. (Rowlandson, Nr. 142)

 

Allerdings taten Kindersterblichkeit, Unkenntnis gesetzlicher Rechte und die schwere Hand eines Gatten zweifellos das Ihre und ließen solche Ambitionen kaum aufkommen.

Ehe und Sexualität

Durch den Wunsch nach Kindern zur Erhaltung der Familie und die Notwendigkeit einer helfenden Hand zur Verbesserung der Überlebenschancen sahen sich sogar Männer und Frauen am unteren Rand der sozialen Schicht, die ich die normale nenne, zur Heirat gedrängt. Diesen ursächlichen Zusammenhang illustriert einer der von Artemidor gedeuteten Träume: »Verwandelt sich ein Mann in eine Frau, so ist das für einen Armen und einen Sklaven ein gutes Vorzeichen. Der eine wird wie eine Frau einen Ernährer finden …« (Traumbuch 1,50). Dass die Frauen den Wunsch des Manner nach einer Ehe teilten, wird aus einer der Fragen ersichtlich, die im Orakelbuch Sortes Astrampsychi gestellt werden: »Werde ich heiraten und wird dies für mich von Vorteil sein?« (Rowlandson, Nr. 247 = Frage 21). Frauen versuchten zu erfahren, mit welcher Art Ehemann sie rechnen mussten. Im Carmen (2,3 f.) werden mithilfe der Gestirnkonstellation bei der Geburt die Typen von Ehemännern aufgezählt, die eine Frau zu erwarten hatte: kein Ehemann, mehrere Ehemänner, ein alter Mann, »ihr Großvater oder Onkel väterlicherseits oder Onkel mütterlicherseits oder ein anderer ihrer Verwandten«, ein herrischer Mann, ein Soldat aus der Fremde, ein in seiner Stadt bekannter Mann, ein Schürzenjäger. Obwohl die Ehe das erwünschte Ziel war, konnte das Eheleben selbst »Schande, Ausschweifung und Zerstörung« mit sich bringen, und Alkoholismus oder Betrug und Streit konnten zum Scheidungswunsch führen. Das tat dem Heiratswunsch an sich allerdings keinen Abbruch.

Es gab Frauen, die einem Mann, dem die Ehe widerstrebte, sogar mit Erfolg nachstellten:

 

Es träumte jemand, eine Frau, die er seit längerer Zeit kannte, verfolge ihn in der Absicht, ihm Pänulen [ein Obergewand] …, deren Naht in der Mitte aufgetrennt war, umzuwerfen, und schließlich lasse er es widerwillig mit sich geschehen. Die Frau verliebte sich in den Mann und heiratete ihn gegen seinen Willen, aber schon nach einigen Jahren ließ sie sich von ihm scheiden, weil die Pänulen aufgetrennt waren. (Traumbuch 5,29)

 

Sie konnten auch Zauberkraft benutzen, um ihr Ziel zu erreichen:

 

(Ich binde) Aristokudes und die Frauen, die mit ihm gesehen werden. Er soll keine andere Frau oder Jungfrau heiraten [als mich]. (Gager, Nr. 23) Ich rufe dich an, der die ganze Welt erschütterte, der den Rücken der Berge bricht und sie aus dem Wasser heraus erhebt, der die ganze Erde erzittern lässt und dann alle ihre Bewohner erneuert. Ich rufe dich an, der Zeichen macht am Himmel, auf der Erde und auf dem Meer – bringe Urbanus, der von Urbana geboren wurde, und vereinige ihn als Gatten mit Domitiana, die von Candida geboren wurde, der sie liebt, schlaflos vor Sehnsucht nach ihr, und nach ihr verlangt und sie bittet, in sein Haus zurückzukehren und seine Frau zu werden … (Gager, Nr. 36)

 

Für die legale Eheschließung eines römischen Bürgers mussten vier Voraussetzungen erfüllt sein: Beide Partner mussten frei sein und nicht von gesetzlichen Einschränkungen betroffen, die eine Ehe ausschlossen; sie mussten mindestens im Pubertätsalter stehen, und alle relevanten Parteien musste ihre Zustimmung geben (d. h. der Mann, die Frau und beider Eltern). Eine amtliche Bewilligung oder Registrierung der Ehe war nicht erforderlich und nicht einmal eine religiöse Zeremonie oder eine öffentliche Feier (obwohl beides in der Regel stattfand).

Ein wesentlicher Bestandteil jeder Heirat war die Mitgift. Bei einfachen Leuten war ihre Höhe oft sehr gering, fiel innerhalb ihrer ökonomischen Situation aber vermutlich ins Gewicht. Jane Rowlandson legt eine Reihe von entsprechenden ägyptischen Dokumenten vor: Nr. 252 nennt eine Aussteuer für die Heirat »einer dem Anschein nach bescheidenen Dorffamilie«, deren Wert (in Kleidung und Schmuck) mit 200 Drachmen angegeben ist; Nr. 127 enthält einen Vertrag mit einer Mitgift in etwa derselben Höhe in Schmuck und Kleidern; Nr. 128 beläuft sich auf 200 Drachmen, und ein »Haus und Grundstück« sind zu verkaufen, um diese Summe aufzubringen, wenn die Ehefrau sie zurückfordert; Nr. 129 gibt etwas über 240 Drachmen in Form von Schmuck und Kleidung an sowie 120 Drachmen in bar; in Nr. 132 scheinen nur 72 Drachmen (informelle) Mitgift enthalten. Man vergleiche eine Aussteuer in Kreisen der Elite (Nr. 141): ein halbes Goldtalent in Gütern, Schmuck im Wert von 1500 Drachmen, Kleidungsstücke im Wert von 5000 Drachmen sowie vier Talente und 2000 Drachmen in Münzen.

Da eine Mitgift im Scheidungsfall zurückgegeben werden musste, besaß die Frau damit ein gewisses Druckmittel, denn der Ehemann war häufig auf diese Ressourcen angewiesen und/oder hoffte sie zu erben. Die Ehefrau hatte also verständlicherweise ein waches Auge auf ihren Besitz. Sie konnte über einen Missbrauch des Geldes durch den Gatten in Wut geraten: »die Mitgift der Braut erleidet Schaden, und sie wird wüten wie ein brennendes Feuer wegen Frauen, und die Ehe wird damit [trotzdem] stattfinden« (Carmen 2,1). Und sie war schnell damit bei der Hand, die Mitgift zurückzufordern (oder auch einfach an sich zu nehmen), wenn über eine Scheidung gestritten wurde. In Plautus’ Komödie Aulularia lässt sich Megadorus endlos darüber aus, wie die Frauen ihre Mitgift nutzen, um die Männer zu beherrschen und herumzukommandieren, und er preist die Idee einer Heirat ohne Mitgift, um so die Frauen in ihre Schranken zu weisen (Aulularia 475 ff.).

Wenn die Aussteuer der Frau in der Ehe auch einen gewissen Einfluss sicherte, so war sie doch fast immer der Autorität eines Mannes unterworfen. Vor der Heirat war es ihr Vater. Wer nach der Heirat im Normalfall diese Rolle innehatte, Vater oder Gatte, ist nicht ganz klar, üblicherweise aber nahm die Frau Wohnung bei ihrem Ehemann. Hätten konkurrierende Autoritäten ihr Kopfschmerzen bereitet? Bei Artemidor findet sich folgendes Beispiel: »Es träumte einer, seine Schwester werde vom Vater ihrem Mann entrissen und einem anderen zur Frau gegeben« (Traumbuch 5,43). Wäre das nicht auch im täglichen Leben möglich gewesen, wäre der Traum belanglos. Wie üblich war es aber? Rowlandson führt den Fall eines Vaters an, der unter ägyptischem Recht die Erlaubnis verlangt, seine verheiratete Tochter gegen ihren Willen zurückzuholen (Nr. 138). Die römischen Instanzen weisen die Forderung jedoch als zu hart ab – und merken an, sie unterständen ägyptischem (d. h. griechischem) Recht, nicht römischem, deshalb habe die patria potestas (die absolute Macht des Vaters) keine Gültigkeit. In der Bittschrift gibt die Ehefrau an, sie habe Dokumente vorgelegt, »die alle beweisen, dass erwachsene Frauen die Herrinnen über die eigene Person sind und nach ihrem eigenen Wunsch bei ihren Ehemännern bleiben können oder nicht; und sie … sind nicht ihren Vätern unterworfen …«. Einer der angerufenen Präfekten urteilt: »Die entscheidende Frage ist, bei wem die verheiratete Frau zu leben wünscht.« Offenbar war es Brauch, dass die Frauen unter der Kontrolle ihrer Ehemänner lebten, nicht unter der ihrer Väter, und dass das Haus des Ehemanns nach ihrer Heirat praktisch unwiderruflich zu ihrem eigenen wurde.

Liebe konnte zwar ein Teil der Ehe sein, doch spielte romantische Liebe in dieser Beziehung keine wesentliche Rolle, war vielleicht völlig bedeutungslos. Romantische Liebe erschien als verdächtig, als Maske, hinter der sich die wahre Natur verbarg, wie in der Fabel »Die Katze als junge Braut«:

 

Die Katze hatt sich einst verliebt in einen wunderschönen Mann, / und Kypris [Venus], aller Liebesfreuden Mutter, gab ihr die Erlaubnis, / zu wechseln die Gestalt und eine Frau zu werden, / und zwar solch feine Frau, daß jeder gern sie haben mußte. / Wie jener sie erblickte, war er gleich gefangen / und wollte Hochzeit halten. Als die Tafel war gedeckt, / lief eine Maus vorbei; flugs sprang die junge Braut / vom Speisesofa und ihr hinterher. / Das Hochzeitsmahl ging so zu Ende; Eros, der so hübsch / gescherzt, macht sich davon, und die Natur blieb Sieger. (Babrios, Äsopische Fabeln 32)

 

Auch in aphoristischen Äußerungen wird romantische Liebe als trügerisch verunglimpft. Es ist schwierig zu entscheiden, ob die leidenschaftlichen Graffiti in Pompeji für romantische Liebe oder für männliche Eroberungslust stehen. Ein Beispiel: »Vibius Restitutus hat hier allein geschlafen, und seine Urbana hat er vermisst« (CIL IV 2146/Hunink, Nr. 672) – aber wenn im Folgenden derselbe Restitutus spricht, sehnte er sich nicht nur nach Urbana: »Restitutus hat viele Mädchen oft getäuscht« (CIL IV 5251/Hunink, Nr. 932). Was immer junge Burschen an die Wände schrieben, die Ehe war zu wichtig, um sie romantischen Launen auszuliefern; der Weiterbestand der Familie und das Eigentum standen auf dem Spiel, sogar in armen Familien und beim einfachen Volk gewiss.

In Sprichwörtern und anderen Beispielen aus der volkstümlichen Literatur wird an Frauen prinzipiell die Erwartung gerichtet, der Mittelpunkt der Familie zu sein, und ihnen wird jede Rolle außerhalb des Hauses verwehrt (sie werden zum Beispiel als unsoldatisch verlacht). Tatsächlich aber konnte die Ehe für beide Gatten ein breites Spektrum an Erfahrungen umfassen. Das Ideal war ein Leben ohne Konflikte, ohne jeden Streit, wie es auf Grabsteinen wieder und wieder bezeugt ist. So auch in dieser Inschrift:

 

Diesen Grabstein errichtete Gaius Aonius Vitalis für Atilia Maximina, sie, des reinsten Geistes, eine unvergleichliche Ehefrau, die 18 Jahre, 2 Monate und 9 Tage ohne jeden Streit mit mir lebte; sie lebte 46 Jahre und führte ein Leben der Ehre und des guten Namens, mein immerwährender Trost. Leb wohl. (CIL V 3496 = ILS 8457, Verona)

 

Oder in der folgenden:

 

Pompullius Antiochus, ihr Ehemann, errichtete diesen Grabstein für Caecilia Festiva, seine geliebte, süße Gattin, hart arbeitend und verdienstvoll, die 21 Jahre ohne ein Wort des Widerspruchs mit mir lebte. (CIL IX 3215 = ILS 8433, Corfinio, Italien)

 

Ein Heiratsvertrag aus Ägypten bezeugt Monogamie beider Partner, Respekt und geteilte Verantwortung. Im Idealfall also war die Grundlage der Ehe wenn nicht Liebe, so doch Respekt, Partnerschaftlichkeit und Treue. Faktisch aber stand das Eheleben häufig unter einem schlechten Stern: Nach Artemidor kündigen sich »Aufregungen und üble Nachrede« an, wenn ein Mann von der Ehe träumt, »denn ohne Wirrwarr geht es bei keiner Hochzeit aus« (Traumbuch 2,65). Dieselbe Einschätzung geht aus dem Carmen hervor; in Horoskopen des Dorotheos von Sidon werden Dinge vorausgesagt wie die Heirat eines Mannes mit einer angenehmen Frau, Freude für den Vater eines Kindes oder umgekehrt »Unheil und Schande durch Frauen und kummervolle Ängste ihretwegen«. Oder die Ehefrau wird sich als Hure erweisen, oder ein Zeichen »deutet auf Böses in der Ehe von Männern und Frauen, so dass sich sein Leben wegen der Frauen in einem Kreis von Kummer und Elend bewegt …« (Carmen 2,1).

Trotz offenkundiger Dominanz des Mannes in der Ehe war die Frau aktive Partnerin und ließ sich nicht in den Hintergrund drängen. Vorrangig hatte sie für den Haushalt zu sorgen, Nahrung und Kleider eingeschlossen, und die Kinder aufzuziehen. Diese Erwartung wird von den ersten Christen übernommen. Wie um 200 n. Chr. der heilige Clemens festhält, ist eine Frau »bestimmt für die Schwangerschaft und die Haushaltung« (Stromateis 4,8,58,2 – 60,1 [Rowlandson, Nr. 51]). Doch wurden an eine Ehefrau noch zahlreiche weitere Erwartungen gestellt. Vor allem hatte sie gewisse Grundsätze hochzuhalten. Im Amphitryon lässt Plautus Alkmene sagen:

 

Nicht eracht ich das für meine Mitgift, was sonst Mitgift heißt, / Sondern Sittsamkeit und Scham und eine mäßige Begier, / Götterfurcht und Elternliebe und Familien einig, / Um gefällig dir, den Guten mild, den Braven zu Nutz zu sein.

Sosia: Meiner Treu, sagt sie die Wahrheit, ist sie die Vorzüglichste! (Amphitryon 839 – 843)

 

Sieht man von Übertreibungen im Dienst der komödiantischen Wirkung ab, entspricht dieses Porträt im Wesentlichen dem Bild der Frau, das die Grabinschriften vermitteln. Allem voran wird die Keuschheit gepriesen. Die folgende römische Inschrift steht für zahlreiche weitere Zeugnisse, in denen der hohe Wert der moralischen Rechtschaffenheit einer Ehefrau beschworen wird.

 

Titus Flavius Flavianus errichtete dieses Grabmal für Papinia Felicitas, die 25 Jahre, 5 Monate und 25 Tage lebte. Sie war eine höchst tugendhafte und keusche Gattin, unvergleichlich unter den Frauen. (CIL VI 23 773 = ILS 8441, Rom)

 

Oder die folgende aus Nordafrika:

 

(Sie [Postumia Matronilla] war) eine unvergleichliche Gattin, gute Mutter, überaus liebevolle Großmutter, züchtig, fromm, fleißig, brav, energisch, wachsam, besorgt; sie war nur einmal verheiratet, teilte nur mit einem das Lager; sie war eine Frau voller Tatkraft und Verlässlichkeit. (CIL VIII 11 294 = ILS 8444, Jabal az Zaatli bei Thelepte, Numidien/Blank-Sangmeister, Nr. 15)

 

In Postumias Inschrift wird auch die Haushaltsführung angesprochen und neben anderen Tugenden ihre Tüchtigkeit und Sparsamkeit gelobt. Liebevolle Fürsorge in der Familie war stets die vornehmste Pflicht der guten Ehefrau. Es mochte normale Männer geben, die ihre Frauen mit Preziosen schmückten, um nach dem Beispiel der Elite ihren Reichtum zur Schau zu stellen, doch üblicherweise gehörte zur Bescheidenheit auch die entsprechende Kleidung. Frauen wurden angehalten, sich »in zierlichem Kleide mit Scham und Zucht … [zu] schmücken, nicht mit Zöpfen oder Gold oder Perlen oder köstlichem Gewand …« (1. Timotheus 2,9; vgl. auch 1. Petrus 3,3 f.). Nicht zuletzt hatte die Ehefrau mit ihrem Mann auf gutem Fuß zu stehen. Jenseits des banalen »wir hatten niemals Streit« des idealen Paares zeigt sich hier das Bild einer Frau, die dem Mann Gehorsam schuldet. Artemidor nennt Ehefrauen böse, wenn sie »bellen oder beißen« (Traumbuch 2,11), d. h. ihrem Gatten bzw. Herrn widersprechen. »Desgleichen [d.h. wie Sklaven ihren Herren] sollen die Weiber ihren Männern untertan sein …« heißt es im ersten Petrusbrief (3,1). Allerdings soll der Ehemann diese Unterwerfung nicht zu seinem Vorteil ausnutzen, vielmehr der Frau Rücksicht erweisen. So rät der Apostel: »wohnet bei ihnen mit Vernunft und gebet dem weiblichen als dem schwächeren Werkzeuge seine Ehre« (1. Petrus 3,7).

Eine Frau hat aber nicht nur selbst Prinzipien zu wahren, sondern sie auch jüngeren Frauen und Kindern einzuprägen. Die älteren Frauen haben die Aufgabe, den jüngeren das richtige Verhalten beizubringen, nämlich Ehemann und Kinder zu lieben, vernünftig, keusch, häuslich und freundlich zu sein und sich dem Ehemann zu unterwerfen (vgl. Titus 2,4).

In der traditionellen Sicht der römischen Elite war die Ehe eine kalte Beziehung, die von den Eltern für ihre Kinder arrangiert wurde. Zweck und Kern dieser Institution waren die Fortpflanzung und der Erhalt des Wohlstands und Einflusses der Familie. Die Frau aber »legte sich zurück und dachte an Rom«1, während der Mann seine sexuelle Potenz nicht nur an ihr, sondern auch an Konkubinen, Huren und Sklavinnen auslebte. Diese Sicht stand nie ganz in Einklang mit den Äußerungen über ein behagliches Familienleben voller Fürsorge, wie sie in Grabinschriften und anderen Zeugnissen jenseits der literarischen Gedankenspiele der Elite – und verschiedentlich sogar in diesen Schöpfungen selbst – zu finden ist. Ein direkter Zugang zum römischen Ehebett ist uns zwar verwehrt, doch lässt sich mit einiger Sicherheit festhalten, dass nach sozialen ebenso wie nach religiösen Konventionen Sexualität in der Ehe weniger dem Vergnügen als der Fortpflanzung diente.

Dennoch war Sexualität für die Frau zweifellos ein selbstverständlicher Teil des Ehelebens. In ihr spiegelte sich das kulturelle Schema dominant/unterwürfig, das die Institution Ehe prägte, doch im Rahmen dieser Praxis bestand die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit, dass die Frau ein guter Sexualpartner war. Wenn die literarische Version eines Hochzeitsliedes aus der Hand des Elite-Lyrikers Catull die authentische, normale Empfehlung an die Braut resümiert, dann ist ihre Rolle im Sexualverkehr unleugbar die der Unterwürfigen: »Du Braut, hüte dich, daß du nie / weigerst, was der Gemahl begehrt; / denn er sucht es sonst anderswo« (CarminaGedichte 61,151 – 153). Artemidor bekräftigt diesen Rat für gewöhnliche Menschen:

 

Seiner eigenen Frau beizuwohnen, wenn sie einwilligt, dazu Lust hat und sich gegen den Verkehr nicht sträubt, ist für alle ohne Ausnahme gut; denn die Gattin bedeutet das Handwerk des Träumenden oder sein Geschäft, aus dem er Lust und Freude schöpft, dem er wie seiner Frau vorsteht und das er leitet. Das Traumgesicht bezeichnet also den materiellen Nutzen, den man aus seinen Tätigkeiten zieht; denn ebenso wie der Liebesgenuß bereitet auch materieller Gewinn den Menschen Freude. Sträubt sich aber die Gattin oder ist sie nicht zu Willen, bedeutet es das Gegenteil. (Traumbuch 1,78)

 

Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie »alte Frauen« jungen Bräuten raten, das zu tun, was die Männer wünschen – »Männer sind nun mal Männer« –, um neben dem Ziel der Fortpflanzung auch die psychologische Seite der ehelichen Sexualität gelten zu lassen. Dass die erklärtermaßen keuschen Frauen derb und drastisch männlicher Sexualität ausgesetzt waren, sei es in Riten wie den Lupercalia, sei es angesichts der Genitalien, die sich ihren Blicken darboten, wenn sie beim Kult der Fortuna virilis (Ovid, FastiSagen des römischen Festkalenders 133 – 156) zusammen mit den Männern die Bäder aufsuchten, führte vor Augen, dass der Mann der Herr und Schöpfer war, die Frau aber das Gefäß.

Unverblümte sexuelle Anspielungen fanden sich allerorten. In Pompeji zum Beispiel steht die Zeile »Hier wohnt das Glück« (hic habitat felicitas) über und unter dem Symbol der männlichen sexuellen und beschützenden Macht, dem Phallus (CIL IV 1454/Hunink, Nr. 370). Den Männern stand es mehr oder weniger frei, ihr sexuelles Potenzial mit Sklaven und Prostituierten auszuleben, den Frauen nicht. So war das sexuelle Vergnügen »respektabler« Frauen auf die Ehe beschränkt. Und ihr Vergnügen hatten sie durchaus – und mussten es auch haben, wenn die Empfängnis möglich sein sollte. In den medizinischen Schriften von Hippokrates bis zu Galen und Soranus wird der weibliche Orgasmus, zumindest aber eine positive Einstellung zum Geschlechtsverkehr, mit der Empfängnis verknüpft. Folglich war im Rahmen der maßgeblichen Funktion der verheirateten Frau das Vergnügen an der Sexualität nicht nur erlaubt, sondern auch erhofft.

Das Spektrum dieses Vergnügens reichte von »heiterer Pflichterfüllung« bis zum Schwelgen in sexuellen Exzessen. Die von Paulus im ersten Korintherbrief (7,2 – 5) geäußerten Anschauungen sind beispielhaft für die Erfahrung der Frau: Sex ist »Pflicht«.

 

Aber um der Hurerei willen habe ein jeglicher sein eigen Weib, und eine jegliche habe ihren eignen Mann. Der Mann leiste dem Weib die schuldige Freundschaft, desgleichen das Weib dem Manne. Das Weib ist ihres Leibes nicht mächtig, sondern der Mann. Desgleichen der Mann ist seines Leibes nicht mächtig, sondern das Weib. Entziehe sich nicht eins dem anderen, es sei denn aus beider Bewilligung … (vgl. auch 1. Thessalonicher 4,3 – 6)

 

Bei Galen findet sich eine Zustimmung zu dieser verhaltenen, doch wenigstens potenziell vergnüglichen ehelichen Erotik, wenn er die Christen wegen ihrer »Zurückhaltung beim Beilager« lobt, und auch Seneca preist die unterkühlte Ehefrau. Glaubt man dem Dichter Lukrez, auch er der Elite zugehörig, war die weniger leidenschaftliche Position a tergo beim ehelichen Beischlaf die bevorzugte:

 

Eine sehr große Bedeutung gewinnt auch die Art des Vollzuges / lockenden Lebensgenusses. Nach weit verbreiteter Meinung / werden die Frauen leichter geschwängert, wenn sie den Samen / wie die vierfüßigen Tiere empfangen: Der Samen erreiche / eher sein Ziel bei tiefliegender Brust und erhobenen Schenkeln. (De rerum naturaDas Wesen des Weltalls 4,1263 – 1267)

 

Die »Missionarsstellung« führte allzu leicht zu unnötiger, exzessiver Leidenschaft und zum Coitus interruptus als Mittel zur Verhütung einer Schwangerschaft:

 

Geile Bewegungen nützen den Gattinnen nicht im geringsten. / Sie widersetzen sich nur der Empfängnis und können sie hemmen, / wenn sie wollüstig, mit schwingenden Hüften, den drängenden Gatten / auffangen, ihn zum Erguß noch reizen mit wogenden Brüsten, / lenken sie doch das Pflugschar lediglich in die verkehrte / Richtung und lassen den Ausstoß des Samens das Ziel nicht erreichen. (Das Wesen des Weltalls 4,1268 – 1273)

 

Am anderen Ende des Meinungsspektrums findet sich ein Diktum des Dichters Publilius Syrus: »Eine willfährige Ehefrau hält den Mann von Huren ab« (Sentenz 492). Angesichts der sexuellen Kompetenz zumindest einiger Prostituierter war damit die Messlatte für eine Reihe von Paaren wohl recht hoch gelegt.

»Natürliche« Erotik also konnten die Ehefrauen auskosten, verpönt war dagegen »abweichendes« Verhalten im Ehebett. In einer seiner Fabeln schreibt Phaedrus, Prometheus machte bei der Schöpfung des Menschen nach »der Bildung des Schamglieds die Zunge der Frau. / Von da kommt die Nachbarschaft des Obzönen« (Äsopische Fabeln 4,15). Für einige verheiratete Paare gehörte oraler Sex aber eindeutig dazu: Firmicius schreibt in einem seiner Horoskope, ein Zeichen zeige an, dass ein Ehemann und seine Frau »unreinen Geschlechtsverkehr vollziehen«, und bezieht sich damit vermutlich auf Oralsex (Mathesis 6,31,38 f.). Artemidor ist sich des vollen Spektrums sexueller Praktiken eindeutig bewusst, wenn er von Ehepaaren spricht, die im Traum die ganze Palette üblicher und abweichender Positionen und Akte nutzen, auch wenn seine Deutungen immer auf das Grundprinzip zurückgehen, dass Herrschaft gut, Unterwerfung schlecht sei.

In welchem Ausmaß lesbische Liebe Eingang ins Leben der gewöhnlichen Frauen fand, ist unmöglich abzuschätzen; dass sie vorkam, steht jedoch fest. So lesen wir bei Pseudo-Lukian:

 

Recht so, du neue Zeit, die du seltsame Lüste sanktionierst und neue Bahnen der Wollust den Männern eröffnest, gib denn dieselbe Vergünstigung auch den Weibern und laß sie wie Männer miteinander verkehren. Die Erfindung schamloser Instrumente verwertend, den monströsen Zauberstab unfruchtbarer Liebe, soll das Weib beim Weibe schlafen wie ein Mann; jenes Wort, das bisher nur selten an das Ohr drang – ich schäme mich es zu nennen – tribadische Unzucht mag zügellos ihre Trümpfe feiern. Alle unsere Frauengemächer sollen voll sein von den Schamlosigkeiten der androgynen Liebesszenen einer Philainis. (ErotesEin Gespräch über die Liebe 28)

 

Artemidor zufolge, der in seinem Werk die Möglichkeit sexueller Kontakte zwischen Frauen erwähnt, wurde lesbische Liebe in der breiten Bevölkerung praktiziert:

 

Wenn eine Frau eine andere gebraucht, wird sie ihre Geheimnisse der Beischläferin mitteilen. Kennt sie aber diese nicht, wird sie nutzlose Handlungen in Angriff nehmen. Wird eine Frau von einer anderen in Anspruch genommen, wird sie sich von ihrem Ehemann trennen oder verwitwen; nichtsdestoweniger wird sie die Geheimnisse der Beischläferin kennenlernen. (Traumbuch 1,80)

 

Diesen sachlichen Darstellungen der Homosexualität zwischen Frauen stehen andere gegenüber, denen zufolge gleichgeschlechtliche Beziehungen von Frauen zu vermeiden waren, so die Verurteilung heidnischer Frauen durch Paulus im Römerbrief: »denn ihre Weiber haben verwandelt den natürlichen Brauch in den unnatürlichen« (Römer 1,26).

Frauen im Haushalt

Neben dem ehelichen Sexualleben standen den Frauen zahlreiche weitere Quellen der Freude und des Vergnügens offen. Wie bereits ausgeführt, hätte eine Frau ihre Rolle niemals in Frage gestellt – zu stark und folgenreich war die kulturelle Prägung, und Verhaltensmuster anderer Art standen nicht zur Wahl. Wenn sie sich aber in Einklang mit den Gegebenheiten befand, besaß sie ein hohes Maß an emotionaler Sicherheit, und hatte sie ihrem Wert und damit ihrer Stellung durch die Geburt von Kindern erst einmal Geltung verschafft, waren kaum noch Probleme zu erwarten, auf deren Bewältigung ihre Erziehung sie nicht vorbereitet hätte. An Traumatisierung durch Kinderlosigkeit, durch Unfruchtbarkeit, durch Kindersterblichkeit wird es nicht gefehlt haben, doch eine Frau war selten allein, so dass psychologische Unterstützung bereitstand und ihr half, mit diesen »zu erwartenden« Rückschlägen fertigzuwerden.

Die gesammelte Aufmerksamkeit der Eltern galt ihren Kindern. Diese standen im Mittelpunkt und waren von so fundamentalem Wert, dass die Mutterschaft den ersten Christen als besondere Gabe der Frau, als der ihr eigene Weg zum ewigen Leben galt: »Sie wird aber selig werden durch Kinderzeugen, so sie bleiben im Glauben und in der Liebe und in der Heiligung samt der Zucht« (1. Timotheus 2,15). Ein Brief aus Ägypten ist beredter Ausdruck von Zuwendung, Teilnahme und Sorge:

 

Isidora ihrem Her[rn Brud]er Hermias vielmals Grüße. Setze alles daran, [schi]ebe alles auf und komme morgen. Das [Ki]nd ist krank; dünn ist es gewor[den, hat nicht] gegessen. 6 Tage sind es nun, ich fü[rchte,] es stirbt, und du bi[st] nicht [hi]er. Werde dir aber darüber klar, daß, wenn es s[tirbt], und du bist nicht da – paß auf, daß [nicht] Hephaistion findet, wie ich mich erhängt [habe] … (PSI III 177, Oxyrhynchos, 2. und 3. Jh. n. Chr./TUAT N. F. 5 [2010] S. 349)

 

Unter normalen Umständen liebten Mütter ihre Kinder, auch wenn wie in jeder Gesellschaft abnormes Verhalten vorkam. Die Aussetzung von Kindern gehört zu den Erscheinungen der Antike, mit denen sich der moderne Mensch besonders schwer tut. Von Juden und Christen wurde der Brauch verurteilt, er war jedoch tief verwurzelt und gesellschaftlich weit verbreitet. Es ist schwer, sich in die Gedankengänge einer Familie hineinzuversetzen, die ihr Neugeborenes willentlich dem Ungewissen preisgibt und damit auch seinen Tod in Kauf nimmt. Solche Entscheidungen gingen den Frauen vielleicht mehr zu Herzen als den Männern. Und mit Sicherheit waren mehr Mädchen als Jungen betroffen. Ein berühmter Brief aus Ägypten ist Zeugnis dieser Realität:

 

Hilarion seiner Schwester Alis viel Freude und meiner Herrin Berûs und dem Apollonaris. Wisse, daß wir auch jetzt noch in Alexandreia sind; sei nicht ängstlich, wenn sie ganz heimkehren; ich bleibe in Alexandreia. Ich bitte dich und ermahne dich, sorge für das Kind, und sobald wir Unterhalt bekommen, schick ich dich (!) etwas hinauf. Wenn du mit Gottes Segen (?) gebierst, wenn es männlich ist, laß es, wenn es weiblich ist, setz’ es aus. Du hast der Aphrodiaias gesagt, »vergiß mich nicht«; wie kann ich dich vergessen? Ich bitte dich also, ängstige dich nicht. Jahr 29 des Caesar, Payni 23. (P.Oxy. IV 744/Schubart, Nr. 46 = Rowlandson, Nr. 230)

 

Hier verbindet sich also die unzweifelhafte Liebe zum einen Kind mit der unbeirrbaren Entschlossenheit, das nächste loszuwerden, sollte es ein Mädchen sein. Es gab zwar Verhütungsmittel und Behandlungen, die Fehlgeburten herbeiführten, doch der sicherste Weg, das gewünschte Kind zu behalten und sich des unerwünschten zu entledigen, war die Aussetzung. Noch der Heranwachsenden konnte eine andere Form der »Aussetzung« drohen, wenn eine verzweifelte familiäre Situation dazu führte, dass das Mädchen in die Prostitution verkauft wurde, um der Familie das Geld für Nahrung und Kleidung zu verschaffen, auch das eine schmerzliche Entscheidung.

Wenden wir uns einem glücklicheren Aspekt des Frauenlebens zu – den vielen Möglichkeiten, auch außerhalb von Heim und Familie unter die Leute zu kommen. Alles weist darauf hin, dass Frauen engen Kontakt untereinander pflegten. Sie besuchten Verwandte und Freunde; Familienereignisse waren zu planen und gaben Anlass zu Besuchen; Einkäufe auf dem Markt fielen den Frauen zu, denn die einfachen Leute hatten für solche Besorgungen im Allgemeinen keinen Sklaven, und auch andere tägliche Verrichtungen außerhalb des Hauses gehörten zu ihren Pflichten, so das Wasserholen vom nächsten Brunnen mit Klatsch und Tratsch während des Weges. Und natürlich gab es religiöse Zeremonien, an denen sie teilnehmen mussten, nicht nur innerhalb des eigenen Hauses, sondern auch in Kultstätten in der Nachbarschaft und in nahegelegenen größeren Heiligtümern – vielleicht sogar dann und wann eine Wallfahrt zu weiter entfernten heiligen Orten. Die zahlreichen religiösen Anlässe aller Art sorgten dafür, dass »die Frauen aus dem Haus kamen«, und gaben Gelegenheit zu manchmal feierlich-ernsten, manchmal auch ausgelassenen Feiern. Der gesellschaftliche Verkehr der Frauen wurde von den Männern als Anlass zu bestenfalls frivolem Geschwätz und schlimmstenfalls bösartiger Diffamierung gebrandmarkt; oft wurde auch vermutet, dass Trinkorgien damit einhergingen. Besonders die frühchristliche Literatur gefiel sich darin, kritisch auf diese angeblichen Schwächen hinzuweisen. Während der Autor des Titusbriefs älteren Männern zu Vernunft, Ernst und Mäßigkeit rät, warnt er die älteren Frauen davor, sich Verleumdungen und der Trunksucht hinzugeben, und betont damit die zwei »weiblichen« Schwächen: Tratschen und Saufen (Titus 2,3). Frauen, die als Diakoninnen in der Gemeinde eine Leitungsfunktion übernehmen wollen, müssen »ehrbar« sein, »nicht Lästerinnen, sondern maßvoll, treu in allen Dingen«. Ein maßvolles Wesen wird auch als Voraussetzung für den guten Ehemann genannt (1. Timotheus 3,2), dass aber von Männern Verleumdungen ausgehen könnten, wird nicht angedeutet (1. Timotheus 3,2). Insbesondere Witwen gelten als anfällig für die Laster Sex, Klatsch, Wichtigtuerei und Trunksucht: »Der jungen Witwen aber entschlage dich, denn wenn sie geil geworden sind wider Christum, so wollen sie freien und haben ihr Urteil, daß sie den ersten Glauben gebrochen haben. Daneben sind sie faul und lernen umlaufen durch die Häuser; nicht allein aber sind sie faul, sondern auch geschwätzig und vorwitzig und reden, das nicht sein soll« (1. Timotheus 5,11 – 13). Diese Vorstellung eines mangelnden Verantwortungsbewusstseins ist fester Bestandteil der allgemeinen Herabwürdigung der Frau, von der die männliche Kultur geprägt ist. Sieht man jedoch von solchen Feindseligkeiten und Verdächtigungen ab, bietet sich das Bild sozial vernetzter Frauen, die Kontakt miteinander halten, Informationen austauschen und ganz allgemein eine Umgebung schaffen, in der wichtige Entscheidungen getroffen werden können, die sie selbst und ihre Familien angehen.

Während den Männern das Sozialverhalten der Frauen zu denken gab, hatten die Frauen ernsthaftere Probleme. Ihre vordringliche Sorge galt der Gesundheit, der eigenen und der ihrer engsten Angehörigen, sowie dem Wohlergehen der verschiedenen Familienmitglieder. In den auf Papyrus geschriebenen Briefen von Frauen geht es vor allem um diese zwei Punkte; dazu kommen geschäftliche Schwierigkeiten, was erneut auf die aktive Rolle der Frauen innerhalb wie außerhalb des Hauses verweist. Dass Frauen sich mit Fragen der Gesundheit, vor allem der eigenen, befassten, ist nicht erstaunlich. Die häufige Erwähnung des Todes von Frauen in der Epigraphik sowie in den Briefen zeigt, wie verbreitet der Tod im Kindbett gewesen sein muss, der historisch betrachtet immer eine der Hauptursachen für die Frauensterblichkeit war. Man darf davon ausgehen, dass er den Frauen jederzeit vor Augen stand, weil die kulturelle Erwartung, Kinder zu gebären, ihre Wirkung tat.

Traumdeutungen sollten die Befürchtungen der Schwangeren zerstreuen. Artemidor hält fest, wie verbreitet Totgeburten waren:

 

Wenn eine schwangere Frau träumt, sie gebäre einen Fisch, so wird … das Kind, das sie zur Welt bringt, … nur kurze Zeit leben … denn jeder Fisch verendet, wenn er das ihn bergende Element verläßt. (Traumbuch 2,18)

 

Entscheidend waren auch elterliche Unterstützung und Hilfe:

 

Die Mutter … (?) grüßt … Ptollis, Nikandros, Lysimachos und Tryphaina. Wenn es euch gut geht, dürfte es sein, wie <ich es wünsche>. Ich bete zu den Göttern, euch gesund wiederzusehen. Ich erhielt das Briefchen von dir, in dem du anzeigtest, entbunden zu haben. Ich betete täglich zu den Göttern für dich: nun aber, nachdem du es überstanden hast, werde ich eine Zeit größter Freude durchleben. Ich habe dir eine volle Flasche mit Salböl und … Minen getrockneter Feigen übersandt; bitte entleere die Flasche und schicke sie mir sicher zurück, weil ich sie hier brauche. Zögere nicht, die Kleine Kleopatra zu nennen, damit du dein Töchterchen … (P. Münch. III 57)

 

Mit zunehmendem Alter der Kinder waren die Sorgen, die ihre Gesundheit, Sicherheit und Erziehung betrafen, ebenso häufig wie selbstverständlich. Der oben zitierte Brief Isidoras an ihren Bruder ist ein lebendiges Beispiel. Im folgenden Brief drückt eine Großmutter ihre Besorgnis um Tochter und Enkel aus – und klagt zugleich über mangelnde Unterstützung:

 

Eudaimonis an ihre Tochter Aline, Grüße. Vor allem bete ich dafür, dass du rechtzeitig gebären kannst und dass ich Nachricht von einem kleinen Jungen erhalte. Du bist am 29. fortgesegelt, und am nächsten Tag wurde ich damit fertig, [die Wolle?] herunterzuziehen … Deine Schwester Souerous hat geboren. Teeus schrieb mir einen Brief, um dir zu danken, so weiß ich, meine Dame, dass meine Anweisungen gültig sein werden, denn sie hatte ihre ganze Familie verlassen, um mit dir zu kommen. Die Kleine sendet dir ihre Grüße und lernt weiter eifrig. Sei sicher, dass ich Gott keine eifrige Aufmerksamkeit schenken werde, ehe ich nicht meinen Sohn sicher zurückbekomme. Warum hast du mir in meiner schwierigen Situation 20 Drachmen geschickt? Ich sehe mich schon nackt, wenn der Winter beginnt. Leb wohl. (P. Brem. 63)

 

Wie aus den Briefen hervorgeht, war eine weitere große Belastung die Witwenschaft und die damit einhergehende Hilflosigkeit. War die Witwe noch jung, standen ihr Möglichkeiten offen, wie der Timotheusbrief bezeugt: »So will ich nun, dass die jungen Witwen freien, Kinder zeugen, haushalten …« (1. Timotheus 5,14). Ägyptischen Quellen zufolge waren die meisten Witwen allerdings älter und nur wenige heirateten wieder – vielleicht war das Wagnis einer Schwangerschaft zu groß, vielleicht suchten die Männer jüngere Frauen und verschmähten die Witwen. In der Geschichte von Cupido und Psyche, einer Binnenerzählung im Rahmen von Apuleius’ Goldenem Esel, wirft Venus dem Cupido Respektlosigkeit vor, und sie sagt, er behandle sie so verächtlich, wie man sonst Witwen begegne (5,30). Was auch immer die Gründe sein mochten, eine zweite Heirat war offenbar selten. Die Hilfsbedürftigkeit der Witwen war bekannt und ihre Situation oft prekär; ein Leben als Witwe war keine erbauliche Zukunftsaussicht. Doch obwohl Witwen allgemein als benachteiligt, hilfs- und schutzbedürftig galten und Missbräuchen ausgesetzt waren, fanden sich zumindest einige von ihnen in der neuen Lage gut zurecht. Bei Artemidor liest man die folgende Traumdeutung: »… die zweite Frau wird ihren Mann verlieren und ihren Haushalt allein führen, wird somit Ehefrau und Ehemann in einem sein« – ein Beleg dafür, dass einige Frauen im Witwenstand der Situation ohne Mann im Haus problemlos Herr wurden.

Sorgen bereitete auch die Sicherheit von nahen Angehörigen, die auf Reisen waren:

 

Eutychis sendet ihrer Mutter Amertrion viele Grüße. Vor allem anderen bitte ich Gott, dass es dir gut gehen möge. Ich möchte dir sagen, dass ich am 30. des Monats Tybi nach Tyrannion kam und keine Möglichkeit fand, zu dir zu gelangen, weil die Kameltreiber sich weigerten, nach Oxyrhynchos zu gehen. Und nicht nur das – als ich in Antinooupolis ein Schiff suchte, fand ich keins. Ich plane also jetzt, meine Güter nach Antinooupolis zu bringen und dort zu bleiben, bis ich ein Schiff finde und flussabwärts segeln kann … Grüße alle im Hause und alle unsere Freunde; ich bin bald bei euch. Ich bete für eure Gesundheit. (P. Oxy. XIV 1773)

 

Die Briefe zeigen, dass Frauen tatsächlich erstaunlich häufig auf Reisen gingen, sei es um die Familie zu besuchen (besonders um bei Geburten zu helfen), sei es in Geschäften oder um verstreuten Landbesitz zu warten. Sie fanden nichts dabei, auf den Straßen unterwegs zu sein. Auch in anderen Quellen treffen wir auf mobile Frauen wie Priska/Priscilla in der Apostelgeschichte (18,1 – 3). Priscilla und ihr Mann stammten aus Pontus, hatten in Rom gelebt und waren in Korinth, als Paulus bei ihnen Wohnung nahm. Aber Reisen bargen immer Probleme, und es kann nicht überraschen, dass viele der von Artemidor gedeuteten Träume die Möglichkeiten von mehr oder weniger angenehmen Erlebnissen einschließen, die auf die Reisenden zukommen konnten.

Ägyptische Haushalte bestanden zumeist aus Großfamilien. Sie dürften in dem hier behandelten geographischen Gebiet die übliche Form des Zusammenlebens gewesen sein, denn sie entsprechen im Großen und Ganzen dem, was man in vorindustriellen Kulturen erwartet und auch für den gesamten Mittelmeerraum vormoderner Zeit feststellen konnte. Die in ägyptischen Dokumenten erwähnten Haushalte bestehen zu etwa 60 Prozent aus Großfamilien, zu 35 Prozent aus Einpaarfamilien (Kernfamilien), und nur 5 Prozent der Menschen lebten allein. Angesichts solcher Verhältnisse, in denen sich eine große Zahl Menschen in aller Regel auf engstem Raum zusammendrängten, erstaunt es nicht, dass die Papyri voll sind von Familiendramen. Kummer und Sorge bereiteten vor allem die Kinder. Im folgenden Brieffragment zum Beispiel schreibt eine Mutter der eigenen Mutter über eine Tochter, die ihr Sorgen macht:

 

Heliodora an meine Mutter, viele Grüße. Ich bin sehr erbittert über dich, weil ich dir nicht einmal wert scheine, einen Brief mit Nachrichten von dir zu erhalten. Seit der Zeit, als ich dich verließ, hat meine Tochter mir viel Kummer bereitet. Sieh, wie viel sie dazu beitrug, den Gutsherrn und seine Nachbarn zu verärgern, und dann zornig auf ihn war. Sie hat mir alles genommen und hat meinen Goldschmuck und meine Ohrringe erwischt und mir eine [getragene] Tunika gegeben, so dass … Rufe den Gott für mich an, dass er sich erbarmt. Tu alles, um meinen Bruder zu mir zu schicken. Ich gehe mit Hermous nach Senepta. Schicke mir nicht …: was ich habe, ist genug für mich. Grüße alle meine Brüder und die, die dich lieben. Ich bete für deine Gesundheit. (SB XVI 12 326)

 

Innerfamiliäre Spannungen gibt es zuhauf; oft geht es um Konflikte zwischen den Generationen. Im Folgenden setzt eine Mutter ihren Sohn darüber ins Bild, dass seine Frau, ihre Schwiegertochter, Probleme verursacht und ihn um den kleinen Finger wickelt:

 

An Kopres [von seiner Mutter], Grüße. Ich kenne dein hitziges Temperament, aber deine Frau reizt dich, wenn sie dir alle Stunde sagt, dass ich dir nichts gebe. Als du kamst, gab ich dir kleine Münzen, weil ich etwas Getreide bekommen habe, aber in diesem Monat konnte ich [nichts] finden, um es dir zu geben. Ich halte nichts vor dir zurück, weil ich dir vertraue. Deine Frau sagt aber, »Sie vertraut dir nicht« … Niemand kann dich lieben, denn sie formt dich zu ihrem Vorteil … (SB III 6264)

 

Von einer Ehefrau wurde erwartet, dass sie Schwächen ihres Mannes duldete, die wir für schwerwiegend halten würden (z. B. Alkoholmissbrauch, Spielsucht oder Frauenaffären). Und das ungeachtet der Tatsache, dass solches Verhalten, »objektiv« betrachtet, leicht den Besitz und das Wohlergehen der Kinder in Gefahr bringen konnte. Eine gute Ehefrau sah über die Tändeleien des Gatten mit Sklavinnen und Prostituierten hinweg; solche Liebschaften kamen ihr möglicherweise entgegen, wenn sie eine Abneigung gegen ihn hatte oder weniger Kinder wollte. Unruhig wurde sie erst, wenn es um einen wirklichen Ehebruch oder um ein unverhohlenes Konkubinat ging, denn das bedrohte ihre Stellung und die ihrer Kinder. Doch die Achtlosigkeit eines Ehemanns ging oft über bloßes Fremdgehen hinaus. Gewalt und Missbrauch waren sehr verbreitet. Ein plastisches Bild davon vermitteln die misslichen ehelichen und familiären Verhältnisse, in denen Monica, die Mutter des heiligen Augustinus, ihr Leben verbrachte. Die Schilderung ihres Lebens in den Bekenntnissen zeigt Kränkung und Misshandlung von Ehefrauen in ihrer Stadt Thagaste als grassierendes Übel. Die Erfahrungen Monicas mit ihrem Ehemann Patricius gehören in den Haushalten der Stadt zum Alltag; die meisten Frauen sind von den Schlägen ihrer Männer auch körperlich gezeichnet. Augustinus’ Familie ist Teil der städtischen Elite, sein Vater, Patricius, ist städtischer Beamter. Monicas Erfahrungen sind also nicht typisch für die einer gewöhnlichen Frau. Es besteht aber kein Grund zu der Annahme, dass die männliche Einstellung zum Missbrauch der Frau in der Ehe bei den Nichtprivilegierten und Armen eine andere war. Man beachte die Androhung von Gewalt und die rabiate Sprache Petrons in der Schilderung Trimalchios und seiner Frau Fortunata:

 

Im folgenden geriet unsere Heiterkeit zum ersten Mal ins Wanken; denn als ein nicht unhübscher Bursche unter den neuen Dienern eingetreten war, fiel Trimalchio über ihn her und begann, ihn ausgiebig zu küssen. So begann Fortunata, um den Satz »Gleiches Recht für alle« als gültig zu erweisen, auf Trimalchio zu schimpfen und ihn mit »Unflat« und »Schandkerl« zu titulieren, der seine Geilheit nicht beherrschen könne. Am Ende setzte sie sogar hinzu: »Du Hund!« Trimalchio auf der anderen Seite nahm die Schelte übel und schleuderte Fortunata einen Becher ins Gesicht. Sie brüllte, als hätte sie ein Auge verloren, und schlug sich die bebenden Hände vor das Gesicht. Auch Scintilla geriet in Bestürzung und legte schützend ihren Arm um die Zitternde. (Satyrica 74 f.)

 

Das Beispiel zeigt die Vulgarität, die Trimalchio bei allem Reichtum kennzeichnet – zumindest Petron glaubte also, dass sich die Subelite auf diese Weise benahm. Auch im Goldenen Esel wäre ein Ehemann aus Ärger darüber, dass seine Frau ihm Hörner aufsetzte, gewalttätig geworden, hätte nicht eine Freundin der Ehefrau geraten, das Feld zu räumen, bis der Ärger des Mannes verraucht war – eine Taktik, die Monicas Beifall gefunden hätte. Die Schläge selbst liegen im Rahmen des Erlaubten, wie Artemidors Deutung eines Traumes belegt: »Prügeln sollte man nur diejenigen, deren Gebieter man ist, ausgenommen die Frau; denn diese treibt Ehebruch, wenn sie geprügelt wird« (Traumbuch 2,48).

Ein Brief auf Papyrus gibt die wortreiche Klage über einen prügelnden Ehemann wieder:

 

An Protarchos. Von Tryphaine, Tochter des Dioskourides. Asklepiades, mit dem ich verheiratet bin, hat meine Eltern überzeugt, mich ihm als meinem Fürsorger zu übergeben, obwohl ich selbst nicht willens war, und … [Asklepiades] ging die Ehe ein und [erhielt?] in meinem Namen auch eine Barzahlung auf meine Mitgift bestehend aus Kleidung im Wert von 40 Drachmen und 20 Drachmen in Silbermünzen. Aber mein Ankläger, Asklepiades, ist während der ganzen Ehe immer wieder ohne Grund von Hause fort, hat die erwähnten Güter verschleudert, mich gekränkt und beleidigt und mich, die er auch tätlich angriff, benutzt, als wäre ich seine gekaufte Sklavin … (Rowlandson, Nr. 257)

 

Gewalt in der Ehe ist selbst auf einigen Grabsteinen bezeugt. Von einer gewissen Iulia Maiana heißt es, sie sei im Verlauf eines häuslichen Streits erschlagen worden:

 

… der ewigen Ruhe der Iulia Maiana, einer höchst tugendhaften Frau, erschlagen von der Hand des grausamsten Ehemannes; sie starb, bevor es ihr Schicksal (so) bestimmt hat. Mit ihm (dem Gemahl) lebte sie 28 Jahre und brachte von ihm zwei Kinder zur Welt: einen Sohn, 19 Jahre alt, (und) eine Tochter, 18 Jahre alt. O Treue, o Liebe! Iulius Maior, ihr Bruder seiner süßesten Schwester, und Ingenuinius Ianuarius, ihr (?) Sohn, haben (den Grabstein) setzen lassen … (CIL XIII 2182 = ILS 8512, Lyon/Schumacher, Nr. 223)

 

Im folgenden Beispiel geht es um eine Familie, die ein Denkmal für eine sechzehnjährige Ehefrau errichtete, die von ihrem Gatten ermordet wurde:

 

Restutus Picenesis und Prima Restuta machten diesen Grabstein für Prima Florentia, ihre liebe, liebe Tochter, die ihr Ehemann, Orfeus, in den Tiber warf. Der Mann mit Namen December errichtete dies für eine, die nur 16 Jahre lebte. (IPOstie-A, 210 = ISIS 321)

 

Gewalt hatten Frauen auch in anderen Lebensbereichen zu fürchten. Ein Brief aus Ägypten berichtet von einem Arbeitgeber, der die Frau eines Angestellten schlug:

 

Als ich mit Bentetis, Sohn des Bentetis, ein Schafhirte von Oxyrhynchos in demselben Bezirk, Rechnungen machte und als er mich nicht bezahlen wollte, sondern betrügen, verhielt er sich auf beleidigende Art zu mir und meiner Ehefrau Tanouris, Tochter des Heronas, im erwähnten Areos Kome. Außerdem prügelte er meine Frau mit harten Schlägen schonungslos auf jeden Teil ihres Körpers, wo er nur konnte, obwohl sie schwanger war, so dass sie einen toten Fötus gebar, und sie selbst liegt jetzt in ihrem Bett und muss um ihr Leben fürchten. (Rowlandson, Nr. 229)

 

Eine Frau konnte auch von Mitbürgern bedroht werden:

 

Von Hippalos, Sohn des Archis, staatlicher Bauer aus dem Dorf Euphemeria im Bezirk Themistos. Am 6. des Monats Tybi, während meine Frau Aplounous und ihre Mutter Thermis badeten, wurden sie von Eudaimonis, Tochter des Protarchos, und von Etthytais, Tochter des Pees, und Deios, Sohn des Ammonios, und Heraklous angegriffen, und meine Frau Aplounous und ihre Mutter erhielten im Badehaus des Dorfes viele Schläge am ganzen Körper, so dass sie das Bett hüten muss, und in dem Streit verlor sie einen goldenen Ohrring, drei Quarter schwer, ein Armband aus ungestempeltem Gold, 16 Drachmen schwer, eine Bronzeschale im Wert von 12 Drachmen; und ihre Mutter Thermis verlor einen goldenen Ohrring, zweieinhalb Quarter schwer, und … (Rowlandson, Nr. 254)

 

Eine Ehefrau benutzte gegenüber den Wutausbrüchen und Schimpfworten des Ehemanns die Waffen der Vernunft und Selbstbeherrschung. Monica, die Mutter des heiligen Augustinus, zeigt einen anderen Weg, mit rabiaten Ehemännern umzugehen – sie umsichtig zu behandeln. Oft wird zur Beschreibung des Verhältnisses von Mann und Frau die Sprache der Sklaverei benutzt, und in einer schwierigen Beziehung waren die Strategien eines Sklaven zur Vermeidung von Schlägen auch einer Ehefrau dienlich. »Die rechtschaffene Hausfrau ordnet ihr Heim, indem sie aufmerksam ist auf die Wünsche ihres Mannes«, sagt Publilius Syrus (Sentenz 108). Von jungen Jahren an wurde ihnen geraten, im Umgang mit dem Mann ihres Lebens Schmeicheleien (blanditiae) und ähnliche Mittel einzusetzen.

Der letzte Ausweg war eine Scheidung. Manchmal wurde sie durch heillose eheliche Verhältnisse wie Untreue oder Misshandlung ausgelöst, manchmal erfolgte sie aber auch in beiderseitigem Einverständnis, wie dieser Brief aus Ägypten zeigt:

 

An Promachos von Zois, Tochter von Heraclides, zusammen mit ihrem gesetzlichen Vormund, ihrem Bruder Irenaeus, Sohn des Heraclides, und auch von Antipater, Sohn des Zeus: Zois und Antipater sind sich einig, dass sie voneinander getrennt sind und das über die Ehe Vereinbarte null und nichtig ist … Zois hat von Antipater aus eigener Hand aus dem gemeinsamen Haushalt erhalten, was er aus der Mitgift besaß, nämlich Kleidung im Wert von 120 Drachmen und ein Paar Goldohrringe. Von diesem Moment an ist der Ehevertrag völlig ungültig … und von jetzt an ist es für Zois gesetzlich erlaubt, jeden Mann ihres Wunsches zu heiraten, und für Antipater, jede Frau seines Wunsches zu heiraten, und beide sind frei von jeder Bedrohung durch rechtliche Schritte. (BGU IV 1103)

 

Schließlich waren Frauen angesichts einer Ehekrise oder auch nur der Launen des Glücks durchaus in der Lage, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen und ihren Mann zu verlassen, um sich ohne Rücksicht auf die »rechtliche« Situation mit einem anderen zusammenzutun:

 

An Claudius Alexandros, Zenturio, von NN, Sohn des Panetbeous, staatlicher Bauer aus dem Dorf Theadelphia. Die Ehefrau, mit der ich gelebt habe [und von der] ich ein Kind habe, wurde unzufrieden mit ihrer Ehe mit mir, [ergriff] die Gelegenheit einer Abwesenheit von mir und verließ mein Haus … Vor Monaten, ohne eine sogenannte [? Scheidung], nahm ihre Güter mit und viele von meinen, darunter einen großen, weißen ungewalkten Mantel und ein oxyrhynchisches Kissen, und einen gestreiften dilassion [ein Kleidungsstück], Stoff für zwei Chitone und anderes Arbeitsgerät von Bauern. Und obwohl ich ihr oft Nachricht gegeben habe, um meine Sachen zurückzubekommen, hat sie nicht geantwortet oder sie zurückgeschickt, und doch decke ich ihr die Kosten für die Versorgung unseres Kindes. Und weil ich außerdem jetzt erfahren habe, dass ein gewisser Neilos, Sohn des Syros, aus demselben Dorf sie gesetzwidrig zu sich genommen und geheiratet hat, unterbreite ich [diese Bittschrift] und ersuche darum, dass sie und Neilos vor euch geladen werden, damit ich Rechtshilfe erhalten kann und meine Sachen zurückbekomme und mir geholfen wird. Lebt wohl. (Rowlandson, Nr. 137)

Frauen in der Wirtschaft

Bemerkenswert an der ökonomischen Rolle römischer Frauen aller Schichten und Einkommensklassen ist vor allem, dass sie ihren Haushalt im Griff hatten. Ihre Pflichten reichten von der profanen Hausarbeit bis zu manchmal komplizierten Handelsgeschäften. Hierokles, ein Philosoph des 2. Jahrhunderts n. Chr., beschreibt allem Anschein nach einen Bauernhaushalt. Die Frauen machen Wollarbeiten, kochen, backen Brot, zünden das Feuer an, holen am Brunnen das Wasser, machen die Betten und führen rings ums Haus eine Reihe von Tätigkeiten aus, die Körperkraft verlangen: Kornmahlen, Teigkneten, Holzschneiden, Holzholen, das Herumtragen großer Gefäße und das Ausschütteln der Bettdecken. Die Frauen helfen, wenn sie gebraucht werden, auch auf den Feldern und bei der Ernte. Dieses Bild deckt sich weitgehend mit der Lebensweise, die aus Galiläa überliefert ist. Die dort bezeugten Arbeiten umfassen das Backen von Brot und den Verkauf auf dem Markt, das Führen eines Geschäfts, Hilfe bei der Landarbeit, besonders während der Ernte, den Verkauf von Produkten aus dem eigenen Haus und den Transport der Waren zum Verkauf auf den Markt sowie den Einsatz als Amme. In der Mischna werden, in ebendieser Reihenfolge, folgende Arbeiten der Hausfrau aufgezählt: Sie hatte Korn zu mahlen, zu backen und zu waschen, die Mahlzeiten zuzubereiten, die Kinder zu pflegen, ihrem Mann das Bett zu machen und Wollarbeiten anzufertigen. Andere Arbeiten, die getan werden mussten, sind hier nicht aufgeführt, so das Fegen und Putzen, das Besorgen von Lampen und Feuerstellen, der Einkauf von Vorräten auf dem Markt und die Verwaltung der Haushaltskasse. Mit jedem Sklaven, der ins Haus kam, konnte eine der aufgelisteten Pflichten nach der anderen gestrichen werden, obwohl der jüdische Schriftgelehrte Gamaliel der Meinung war, dass die Wollarbeit auf jeden Fall auszuführen sei, um dem Müßiggang vorzubeugen.

Dieser Gedanke klingt auch im vielzitierten Epitaph der Claudia an:

 

Fremdling, was ich sage, ist kurz; bleib stehen und lies: Hier ist das nicht schöne Grab einer schönen Frau. Mit Namen nannten die Eltern sie Claudia. Ihren Gatten hat sie von ganzem Herzen geliebt. Zwei Kinder brachte sie zur Welt: eines von beiden lässt sie auf Erden zurück, eines unter der Erde beigesetzt. Ihre Rede war anmutig, ihr Gang indes gefällig. Sie hütete das Haus, spann Wolle. Ich bin zu Ende, geh! (CIL VI 15 346 = ILS 8403, Rom/Blank-Sangmeister, Nr. 12)

 

Das Weben wurde so sehr als Inbegriff weiblicher Tätigkeit betrachtet, dass »eine Frau träumte, sie habe ihr Gewebe vollendet. Tags darauf starb sie; denn sie hatte keine Arbeit mehr, das heißt, sie hatte nicht mehr zu leben« (Artemidor, Traumbuch 4,40). Von zentraler Bedeutung war auch die Zubereitung der Mahlzeiten, ebenso Mutterschaft und Kinderpflege. Das Bedürfnis nach einer großen Zahl Kinder, um die hohe Kindersterblichkeit auszugleichen, hatte zur Folge, dass die Frauen vollständig in ihrer Rolle als Gebärerinnen aufgingen, beginnend mit der ersten Menstruation der etwa Vierzehnjährigen, bis die Fruchtbarkeit ab Dreißig allmählich zurückging und mit Mitte Vierzig endete.

Obwohl Hausarbeiten wie die genannten im Leben der überwiegenden Mehrzahl der Frauen von zentraler Bedeutung waren, sind Frauen in dieser Rolle nie auf Grabreliefs abgebildet, ein Kuriosum, denn in Schriftform ist gute Haushaltsführung wie die Arbeit mit Wolle und andere Tätigkeiten in den Inschriften häufig genannt. Amymone zum Beispiel, verstorben in Rom, wird von ihrem Gatten als die Beste und Schönste gepriesen, als Wolle spinnend, als fromm, sittsam, sparsam, keusch und häuslich – auf dem Grabstein sind jedoch keine praktischen Pflichten dargestellt (CIL VI 11 602 = ILS 8402).

Die Wollarbeit war nicht nur für den praktischen Hausgebrauch von Bedeutung. Über den privat benötigten Kleiderstoff hinaus konnte ein Überschuss zum Verkauf hergestellt werden. Diese »Heimarbeit« war für das Überleben armer Haushalte entscheidend, wie eine Geschichte des Apuleius veranschaulicht:

 

Der Mann hatte seine Not mit Meister Schmalhans, verdang sich zu Handlangerarbeiten und fristete mit dem bißchen Lohn davon sein Leben. Dabei hatte er aber ein Frauchen, das wohl auch selbst ziemlich schäbig, aber doch auch als äußerst leichtfertiges Wesen bekannt war. … »So ein Tagedieb und Müßiggänger bist du also, daß du mir mit den Händen in den Taschen herumspazieren willst und nicht an deine gewohnte Arbeit gehen, um für unsern Unterhalt zu sorgen und etwas zu futtern herzuschaffen? Aber ich armes Wesen muss mir Tag und Nacht beim Spinnen die Muskeln verrenken, damit in unserer Bude wenigstens eine Lampe leuchtet!« (Der goldene Esel 9,5)

 

Aber auch die gewöhnliche Frau saß am Webstuhl. Johannes Chrysostomos hält fest, eine Frau solle Tuch zu Hause herstellen; tue sie das nicht, könne sie das Tuch anderer Frauen kaufen, die es selbst zu Geld machten und auf den Märkten verkauften (Gegen die Männer, die mit Jungfrauen in wilder Ehe leben 9, PG 47,507). Auch aus Ägypten liegen viele Verträge und Dokumente vor, die darlegen, dass die Frauen das Weben nicht nur als Heimarbeit betrieben, sondern innerhalb einer Manufaktur. Sie konnten sogar ganze Webereien besitzen und leiten (Rowlandson, Nr. 205). Frauen, die sich mit Akkordarbeit am Webstuhl ein mageres Einkommen verdienten, hatten eine lange Geschichte – man kann sogar auf ein homerisches Gleichnis verweisen: »… sie hielten sich, / So wie die Waagschalen eine Frau, eine ehrliche Spinnerin, / Die hier das Gewicht hält und dort die Wolle und auf beiden Seiten / Hochzieht und das Gleichgewicht herstellt, dass sie den Kindern den kärglichen Lohn erwirbt« (Ilias 12,432 – 435). In Ägypten suchte eine ganze Familie zusammen mit Mutter und Ehefrau solche Beschäftigung:

 

Zenon Gruß von den Brüdern Apollophanes (und) Demetrios, Fachleute in der Weberkunst der gesamten durch Frauenarbeit ausgeübten Wollweberei. Falls es Dir gut dünkt und Du zufällig Bedarf hast, sind wir bereit, Dir Dienste zu leisten. Als wir nämlich vom Ruhm der Stadt (d. h. des Ortes Philadelphia) hörten und daß Du als Vorsteher (des an den Dioiken Apollonios vergebenen Lehenslandes) gut und gerecht seist, hielten wir es für richtig nach Philadelphia zu Dir zu kommen – wir selbst, (unsere) Mutter und die Ehefrauen. Damit wir nun Arbeit haben, beschäftige uns, falls es Dir gut scheint. … (PSI IV 341 [= Rowlandson, Nr. 201]/Hengstl, Nr. 103)

 

Neben der Heimarbeit suchten Frauen also auch Verdienst außerhalb des Hauses. Wie groß ihre Zahl war, lässt sich unmöglich sagen, aber ihre Arbeit ist reichlich belegt. Eine Studie von Susan Treggiari über berufliche Beschäftigungen zeigt, dass für Männer sechsmal so viele Beschäftigungen bezeugt sind wie für Frauen; außerdem ist aufschlussreich, dass auf hundert Grabsteinen von Frauen berufliche Arbeit nur ein einziges Mal erwähnt ist. In Artemidors Traumbuch und in den astrologischen Handbüchern sind Beschäftigungen von Frauen ebenfalls weit seltener genannt als die von Männern; angegeben sind Arbeit als Schauspielerin, Hebamme, Krankenpflegerin, Priesterin, Putzfrau und Prostituierte. Berufsarbeit wurde offensichtlich nicht als integraler Teil der weiblichen Identität betrachtet und spielte also in Ratschlägen über Ehe, Familie und Kinder keine große Rolle. Treggiari schreibt: »Es scheint, als seien Frauen im Bereich der ›Dienstleistung‹ (Nahrungsversorgung, Prostitution) konzentriert, im Handel vor allem mit Nahrungsmitteln, als Verkäuferinnen in Geschäften, in bestimmten handwerklichen Tätigkeiten, vor allem in der Herstellung von Stoff und Kleidern, in diffizilen Jobs wie der Arbeit mit Blattgold oder als Friseusen, im Handel mit bestimmten Luxusgütern wie Parfum. Damit ist zumindest ein Teil der Realität annähernd getroffen.« Sie schätzt, dass in nur einem Prozent der Grabschriften für Frauen eine Beschäftigung erwähnt ist. Diese geringe Zahl entspricht übrigens den Belegen aus dem vorindustriellen Brasilien, wo in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus Notariatsakten hervorgeht, dass nur etwa drei Prozent der Frauen eine Arbeit außer Haus angaben.

In ihren Untersuchungen über die Darstellung von Frauen bei der Arbeit kommt Natalie Kampen zu dem Ergebnis, dass Frauen, im Gegensatz zur realistischen Darstellung von Männern bei ihrer Berufsarbeit, immer in einem mythologischen oder allegorischen Kontext abgebildet sind, d. h. nicht als eigentliche Handwerkerinnen. Treggiari zufolge zeigen bestimmte Inschriften, dass sie tatsächlich handwerklich tätig waren, und Texte bestätigen, dass Frauen »Produktionsarbeit« verrichteten – in einem Brief aus Ägypten zum Beispiel erklärt eine Frau, dass sie »von ihrer Hände Arbeit lebt« (Rowlandson, Nr. 130). Nur werden sie in der bildenden Kunst von Belang nicht entsprechend dargestellt. Es gibt auch keine Bilder von Frauen, die auf dem Feld arbeiten oder einen großen Geschäftsbetrieb führen. Kampen nimmt an, dass Berufstätigkeit nicht mit der mythologischen Vorstellung von der Frau als häusliches Wesen/ Hausverwalterin harmonierte, und sie vermutet sogar, dass derartige Arbeit außer Haus dem Status der Frau abträglich war. Träfe das zu, dann wäre es ein Beweis dafür, dass das Image der Frau als Inbild der Häuslichkeit bis in die Handwerkerklasse hinein wirksam war.

Interessant ist andererseits, dass durchaus realistische Abbildungen von Frauen als Verkäuferinnen existieren (vgl. Abb. 4 und 5). Warum diese Diskrepanz? Kampen sieht den Grund darin, dass der Verkauf unvermeidlich mit der Vorstellung von Öffentlichkeit einherging, im Unterschied etwa zum Tuchhandel, der leicht mit häuslicher Arbeit zu verwechseln war, und dass darum Männer und Frauen in derselben Bildsprache dargestellt werden konnten. Doch dürfte der relativ bescheidene Umfang solcher Darstellungen ebenso wie die geringe Zahl der Erwähnungen auf Inschriften darauf zurückgehen, dass diese Art von Arbeit zusätzlich geleistet wurde – will heißen: Nach dem Vergleichsmaterial aus anderen vorindustriellen Kulturen zu urteilen, war weibliche Arbeit außerhalb des Hauses in der Regel nicht die primäre Erwerbsquelle, obwohl besondere Situationen wie der Tod des Ehemanns dieses Bild in Einzelfällen auch ändern konnten.

Abb. 4. Frauen bei der Arbeit: Eine Verkäuferin – vermutlich die Ehefrau des Besitzers – hilft einer Kundin beim Einkauf von Schuhen. Malerei auf der Außenwand des Filzwarenladens des Verecundus in Pompeji.