GLADIATOREN

Wohl keine andere Gruppe der römischen Mittel- und Unterschicht tritt in der modernen Vorstellung so klar konturiert in Erscheinung wie die Gladiatoren. Ihre Darstellung in antiker Kulisse ebenso wie ihr späteres Wiederaufleben in mythischer, metaphorischer und künstlerischer Form wecken Begeisterung und Faszination. Aber auch die Männer (und wenigen Frauen), die Gladiatoren wurden, standen mitten im Leben. Als typisch kann dieses Leben im Bannkreis der Arena, Schauplatz einer der populärsten Unterhaltungsveranstaltungen der römischgriechischen Welt, kaum gelten. Doch im Spannungsfeld zwischen Ruhm und tödlichem Finale gingen die Fechter ihren eigenen Weg.

Die Arena war, wie der Name sagt, ein Sandgelände. Sie konnte in einem gigantischen Gebäude wie dem römischen Kolosseum liegen (Taf. 26), in einem der sehr zahlreichen Amphitheater einfacherer Form, die im ganzen Reich zu finden waren, in einem umgerüsteten Theater oder sogar auf einem städtischen Platz, der bei Großveranstaltungen zeitweise für den Verkehr gesperrt wurde. Gladiatoren waren ausgebildete Unterhaltungskünstler, die in einer solchen Arena zur Belustigung der Menge mit Schwertern und anderen Waffen (meist) paarweise gegeneinander antraten. Doch vor einer ausführlichen Schilderung der Gladiatoren sollte man sich die demographischen Voraussetzungen der Arena bewusst machen. Wichtig ist zunächst, die Arena als Hinrichtungsstätte von der Arena als Kampfplatz zu trennen. Die Bewohner der römischgriechischen Welt glaubten fest an die Notwendigkeit und Wirksamkeit schmerzhafter, brutaler Todesarten für diejenigen, die wegen extrem asozialen Verhaltens wie Mord zum Tode verurteilt waren. So waren die Kreuzigung, die Verbrennung bei lebendigem Leib, die Tötung durch Raubtiere oder Mitgefangene auf ihrer Liste der Todesstrafen prominent vertreten. In diesen Fällen diente die Kombination beider Spektakel der Abschreckung, und die Wiederherstellung der sozialen Ordnung durch das brutale Vorgehen gegen jene, die ihrerseits brutal gegen diese Ordnung vorgegangen waren, entsprach aufs Genaueste dem Sinn des Durchschnittsbürgers für Recht und Gerechtigkeit. Hinrichtungen fanden gewöhnlich in der »Mittagspause« statt, zwischen den morgendlichen Raubtierjagden und den Gladiatorenkämpfen am Nachmittag. Sie wurden als Teil einer normalen Veranstaltung angekündigt, wie die folgende Inschrift aus Pompeji zeigt:

 

Zwanzig Gladiatorenpaare und deren Ersatzmänner werden am 5. und 6. Oktober in Cumae kämpfen. Es wird auch Kreuzigungen und eine Raubtierhetze geben. (CIL IV 9983 a)

 

Man muss hier deutlich unterscheiden, denn Hinrichtungen betrafen verurteilte Kriminelle, und sie waren in keiner Weise die »Wettkämpfe« oder »Sportereignisse«, als die man die beiden anderen Veranstaltungen immerhin darstellen konnte. Verbrecher wurden manchmal ganz einfach exekutiert, so wenn man gefesselte Opfer wilden Tieren aussetzte, manchmal auch als falsche Gladiatoren oder Raubtierjäger in die Arena geschickt, wo sie ohne Training und ohne Schutzausrüstung gegeneinander oder gegen Raubtiere kämpfen mussten. Gelegentlich konnte ein Verbrecher auch dazu verurteilt werden, eine Schule für Gladiatoren zu absolvieren, um nach der Ausbildung dann mit denselben Überlebenschancen wie seine Berufsgenossen nachmittags zum Kampf anzutreten. Überlebte er drei Jahre des Kampfes und zwei weitere als Trainer in der Gladiatorenschule, war er frei. Spricht man aber von den eigentlichen Gladiatoren, ist es wichtig, die Verbrecher auszuklammern, denn Umstände, Aussichten und Schicksale der Fechter waren völlig anderer Art als die der Kriminellen.

Gladiatoren entstammten zwei sozialen Gruppen: zum einen den Sklaven und zum andern Freien, die sich aus eigenem Antrieb für die Arena entschieden hatten. Dem Sklaven als Eigentum eines anderen blieb keine Wahl. Für den Sklavenbesitzer gab es zwei Gründe, seinen Sklaven zum Gladiator zu machen: den Wunsch nach Vergeltung und den nach Gewinn. Vielleicht wollte er einen Sklaven, der nicht parierte, loswerden und ihn an einen Agenten für Gladiatoren verkaufen. Vielleicht wollte er aber auch die besonderen Körperkräfte und Fähigkeiten eines Sklaven nutzen und ihn darum zum Training für die Arena verkaufen. Freiwillige hingegen gingen die vertragliche Verpflichtung, Gladiatoren zu werden, aus eigenem Antrieb ein, wie ein pompejanischer Graffito zeigt:

 

Severus, ein freier Mann, 13 (Siege).

Albanus, linkshändig, ebenfalls frei, 19 (Siege); gewonnen. (CIL IV 8056/ nach Hunink, Nr. 39)

 

Sich selbst unter Vertrag zu stellen – auctoratus ist der lateinische Begriff – war ein Rechtsgeschäft: Der Freiwillige erhielt ein Handgeld sowie im Erfolgsfall ein Preisgeld und verpflichtete sich seinerseits zu Ausbildung und Kampf. Insbesondere bekräftigte er durch Eid, seine Rechte auf gesetzlichen Schutz aufzugeben, und versprach, sich in seiner vereinbarten Stellung »verbrennen, fesseln, schlagen und töten« zu lassen. Das bedeutet jedoch keine Unterwerfung unter die Sklaverei. Am ehesten, wenn auch nicht wirklich vergleichbar wäre dieser Zustand mit dem Eintritt in die Armee, wo die Dienstzeit ebenfalls beschränkt ist, auf Rechtsansprüche verzichtet und ein Eid geleistet wird, der das Versprechen einschließt, für den Kaiser zu sterben. Dem Gladiatoreneid begegnen wir in Petrons Satyrica. Um sich die Sympathie möglicher Patrone zu erschleichen, unterbreitet der Antiheld Eumolpus ihnen einen Plan:

 

… »Macht mich also zu eurem Herrn, wenn das Geschäft recht ist!« Niemand unternahm einen Vorstoß, einen Trick zu verwerfen, der nichts kostete. So schworen wir, um dem Schwindel bei allen Bestand und Sicherheit zu geben, den von Eumolpus vorgesprochenen Eid: uns brennen, fesseln, peitschen sowie mit dem Schwerte richten zu lassen, und was Eumolpus sonst alles anordnen würde. Wie richtige Gladiatoren verpflichteten wir uns unserem Herrn hochheilig mit Leib und Seele. (Satyrica 117,5)

 

Der Vertrag des freiwilligen Gladiators galt für eine festgesetzte Zeit, und obwohl dieser sich auf sehr harte Bedingungen eingelassen hatte, wurden ihm die Forderungen vermutlich erlassen, wenn der Vertragspartner seinen Teil der Vereinbarung, besonders was den Bonus und die Bezahlung für die Auftritte betraf, nicht erfüllte.

Das Verhältnis von Sklaven und Freiwilligen bei den Kampfveranstaltungen ist unbekannt. Die wenigen, stark beschädigten Listen von Gladiatoren, die erhalten sind, führen Sklaven und Freie auf, doch scheint der Anteil der Sklaven zu überwiegen. Die meisten Epitaphe stammen von Freien oder Freigelassenen, doch dürften die Grabsteine nur einen Bruchteil der vielen Gladiatoren repräsentieren, die in der Arena kämpften. Außerdem standen die Mittel und die Beziehungen, die nötig waren, um einen Gedenkstein errichten zu lassen, wahrscheinlich eher den freien und freigelassenen Kämpfern zur Verfügung. Freie Gladiatoren galten verglichen mit den Sklaven im Allgemeinen als die besseren Kämpfer, weil sie den Beruf freiwillig aufgenommen hatten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie den Sklaven gegenüber in der Arena auch die Mehrheit bildeten. Das genaue Verhältnis ist letzten Endes nicht bestimmbar.

Abb. 29. Gladiatorinnen auf einem Relief aus Halikarnassos: Üblich war es keinesfalls, aber auch Frauen fochten in der Arena. Hier kämpfen zwei Fechterinnen, Achillia und Amazon, bis zu einem ehrenhaften Unentschieden.

Auch einige Frauen wurden Gladiatoren. Auf einem Relief aus Halikarnassos (Türkei), heute im Britischen Museum in London, sind zwei von ihnen im Kampf zu sehen, »Amazon« und »Achillia« (Abb. 29). Die Inschrift hält fest, dass sie ein ehrenhaftes Unentschieden erkämpften, also vermutlich erneut antraten. In der Literatur der Oberschicht wird verschiedentlich die Entehrung vornehmer Frauen erwähnt, die in der Arena kämpfen, und die Schändlichkeit der von den Kaisern veranlassten Darbietungen mit Frauen (und Zwergen) angeprangert. Eine Inschrift aus Ostia prahlt damit, Frauen aufs Kampffeld zu schicken:

 

Hostilianus, Bürgermeister, Quästor und Oberpriester in Ostia, ließ per Dekret des Stadtrats die Iuvenalia veranstalten. Er war der Erste seit Gründung der Stadt, der Gladiatorenspiele mit Frauen aufführen ließ. Er tat das zusammen mit seiner Frau Sabina. (CIL XIV 4616 = 5381)

 

Solche Spiele blieben allerdings immer eine Seltenheit. Keine Gladiatorin hat sich je in einer Grabinschrift gefeiert. Über diese Unterhaltungskünstlerinnen und ihr Leben ist nichts bekannt.

An der Beschaffung, Organisation, Verwaltung und Ausrüstung der Gladiatoren war zahlreiches Personal beteiligt. Am verrufensten waren die lanistae, die Gladiatoren anwarben, trainierten und vermieteten. Doch auch Privatleute und Gruppen (Priester, Vereine) spielten in der Branche ein Rolle ebenso wie im ganz großen Stil die kaiserliche Regierung. In jedem Fall mussten die Gladiatoren untergebracht, ernährt, vorbereitet, als Kranke oder Verwundete behandelt und für die Kämpfe ausgeliehen werden. Sie stellten eine bedeutende, langfristige Anlage dar und waren Teil eines komplexen Geschäftszweigs.

Freie, die es als Kämpfer in die Arena zog, wurden von der Elite stigmatisiert und als degenerierte, bankrotte Typen ohne jede Hoffnung dargestellt, die Verzweiflung zu ihrer Wahl getrieben hatte. Doch gerade diese beharrliche rhetorische Missbilligung sowie offizielle und gesetzliche Versuche, die Freiwilligen von solchen Vorhaben abzuhalten oder sie gar zu verbieten, belegen die starke Anziehungskraft, die die Arena auf Männer und vereinzelte Frauen ausübte. Selbstverständlich galten die Bedenken der Oberschicht nur für Standesgenossen. Wenn sogar Männer und Frauen höchsten Ranges sich von der Arena faszinieren ließen, obwohl ihr Erscheinen auf dem Sand von einem »Pfui Teufel!« ihrer Standesgenossen begleitet wurde – wie stark muss der Sog erst für den gewöhnlichen Römer gewesen sein, dem Ruhm und Profit winkten, während der Verlust seines früheren Lebens nichts weiter bedeutete als eine bescheidene Einbuße an Rechten und einen Gewinn an Prestige? Dass viel riskiert wurde, war nicht zu leugnen. Wenn das Ausbildungssystem funktionierte und der Debütant von den normalen Bedrohungen durch Krankheit und Unfall verschont geblieben war, standen die Chancen eins zu zehn, dass er im ersten Kampf starb, angenommen, er wurde gegen einen anderen Neuling eingesetzt. Wer überlebte, hatte im nächsten Kampf wahrscheinlich kaum bessere Aussichten. Doch mit jedem Sieg stiegen seine Überlebenschancen ebenso wie sein Preis und sein Ruhm. Auch wenn er als Sklave in die Arbeit des Gladiators hineingezwungen wurde, verfehlte diese Überlegung ihre Wirkung nicht. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass ein Sklave, der seinem Herrn zu dessen Zufriedenheit diente, zumindest eine gewisse Aussicht auf Freiheit hatte – ein Leistungsanreiz in der Arena ebenso wie in anderen Umständen eines Sklavenlebens. Seine Siege brachten dem Gladiator Preisgelder ein, von denen er – unter Berücksichtigung aller möglichen Risiken für das peculium – hoffen konnte, dass ihre Summe ihm einmal zum Kauf seiner Freiheit verhelfen würde. Die Lebensbedingungen der Gladiatoren waren zweifellos besser als die der Feldarbeiter und vielleicht denen eines geschätzten Haussklaven zu vergleichen, denn die Investition in einen Sklavengladiator war beträchtlich. Bei Freiwilligen fielen außer dem Handgeld keine Anfangskosten an, während der Manager des Sklaven außer den Kosten für Training und Unterhalt auch den Kaufpreis wieder hereinholen musste. Er hatte also allen Grund, den Sklavengladiator nicht nur am Leben, sondern auch gesund und kräftig zu erhalten und für den Kampf richtig einzustellen, denn ein motivierter Sklave glich dem Freiwilligen: Von ihm war eher zu erwarten, dass er die Oberhand gewann oder zumindest einen guten Kampf lieferte, was dem Ruf des Managers und den Antrittsgeldern zugute kam, die er in nachfolgenden Spielen verlangen konnte. Die Hoffnung auf Freiheit war die beste Motivation, und die Tatsache, dass Sklaven auch nach ihrer Befreiung weiterhin als Freiwillige in der Arena kämpften, deutet darauf hin, dass zumindest für einige von ihnen die Karriere nicht nur Frondienst bedeutete, sondern die Risiken durchaus wert war.

Man begreift, dass freigeborene junge Römer, vermutlich gesunde und kräftige Burschen, sich freiwillig für ein Leben als Gladiator entschieden. Diese Laufbahn bot ihnen Möglichkeiten wie keine zweite. Sie versprach Ruhm und Anerkennung. Die hierarchisch gegliederte römisch-griechische Sozialstruktur machte es sehr schwierig, sich in der Statusschlange nach vorn zu drängen, sei es nach Rang oder Reichtum. Als Gladiator jedoch verfügte ein junger Mann über eine Währung, die in allen Gesellschaftsschichten in Geltung war: überragenden Mut, physische Kraft und Gewandtheit (besonders im Waffengebrauch) sowie Ausdauer. Der siegreiche Kampf als positiver Test seiner Männlichkeit katapultierte ihn auf die Höhen sozialer Verehrung, denn herausragende Tapferkeit (latein. virtus von vir = Mann) war Trumpf und stach sogar Geld, Geburt und Bildung, wo es darum ging, Bewunderung zu wecken. Vom Standpunkt der Elite aus erklärt diese Tatsache zumindest einen Teil der Angst, mit der man den Gladiatoren begegnete: Sie errangen ein Ansehen und eine Anerkennung, die den Glanz der Elite überstrahlen konnte. Zunächst ging es einem jungen Mann, der die Karriere eines Gladiators anstrebte, aber nicht um hohe Ziele dieser Art, sondern um die Sicherung von Kost und Logis sowie um einen geregelten Verdienst. Hinzu kam die Möglichkeit, Beifall zu finden, ein Star zu werden:

 

Männer trainieren und mühen sich ab im weltlichen Wettkampf und halten es für den Ruhmestag ihrer Ehre, wenn sie bei den Zuschauern und dem anwesenden Kaiser gewinnen. (Cyprian, Briefe 58,8)

 

In Grabinschriften von Gladiatoren sticht diese Fixierung auf den Ruhm ins Auge: »Ich bin berühmt unter Männern, die mit Waffen kämpfen«, »An Ruhm unter allen Männern fehlte es mir nicht« (Robert, Nr. 69 und 260). Sie sonnten sich im Erfolg ihrer Kraft, ihres Könnens und Wagemuts und der Bezwingung aller Rivalen. Sie kannten die faszinierende Kraft dieses Ruhms. Es konnte den bereits aktiven wie auch potenziellen Kämpfern nicht entgehen, dass ihnen, wie Tertullian bemerkt (Über die Spiele 22,2), »Männer ihre Seelen unterwerfen, die Frauen aber sogar auch noch ihre Körper preisgeben«.

Das Gefühl der Überheblichkeit, stimuliert besonders durch den Pomp und das Gepränge, das die Kämpfe in der Arena umrahmte, gab dieser sehr natürlichen Ruhmbegierde neue Nahrung. Am Tag vor den Kämpfen zogen die Männer, die daran teilnehmen würden, in einer Prozession durch die Stadt. Ihre Begeisterung und ihr gutes Aussehen genügten, um andere mitzureißen, so auch die Freunde, die Lukian in seiner Erzählung schildert:

 

Des folgenden Morgens, als er auf dem Markte herumgeht, wird er einen Aufzug schöner und vornehmer junger Leute, wie sie ihm vorkommen, gewahr, die aber (wie es sich zeigte) eigentlich nichts als Gladiatoren waren, die die Tage darauf für Lohn gedungen öffentlich fechten sollten. (Toxaris, Bd. 3, S. 264)

 

Der Freund lässt sich begeistern, sein Geld auf dieselbe Weise zu verdienen, meldet sich und unterschreibt. Diese Art der Verpflichtung war kein wahrscheinliches Szenarium – Gladiatoren wurden schließlich zu Kämpfern ausgebildet und nicht auf der Straße aufgelesen –, doch der Enthusiasmus der Männer, die vor Gladiatorenspielen über den Marktplatz zogen, war es zweifellos. Am Tag nach dem Umzug saßen die Kombattanten locker zurückgelehnt auf einer Liege, nicht auf den üblichen Schemeln um den Tisch, und verzehrten gemeinsam ein feierliches Mahl, die cena libera, wörtlich das »freie Mahl«, will heißen, sie konnten essen, was sie wollten, und ihre Trainingsdiät außer Acht lassen. Es war ein Tag der Befreiung von allen Regeln und Vorschriften, der von diesem Festmahl gekrönt wurde. Nicht alle Gladiatoren waren so überheblich, dass sie die Gefahren, die sie in den nächsten Stunden erwarteten, ignorierten und nur den Überfluss genossen, der ihnen am Tag der Freiheit gewährt wurde; es gab andere, die statt dessen Vorsorge trafen für Besitz und Familie:

 

Selbst an den Gladiatoren, die nicht die reinen Wilden, sondern Griechen sind, bemerke ich, wenn sie im Begriff sind, den Kampfplatz zu betreten, und ihnen mancherlei köstliche Speisen angeboten werden, dass sie in solcher Lage lieber ihre Weiber der Obhut ihrer Freunde anvertrauen und ihren Sklaven die Freiheit schenken als sich an Bauchesgenüssen ergötzen werden. (Plutarch, MoraliaMoralische Schriften. Beweis, dass man nach Epikur überhaupt nicht vergnügt leben kann [1099])

 

Beim »letzten Festmahl« war als Teil von Prunk und Werbung das Publikum zugelassen und durfte sich unter die Feiernden mischen. Davon zeugt die Schilderung des letzten Mahles der (bald) heiligen Perpetua vor ihrer Hinrichtung als Verbrecherin – auch Kriminellen wurde diese cena libera zuteil:

 

Auch am Tag vor den Spielen, als sie jenes letzte Mahl, das man das Freimahl nennt, soweit es sie berührte, nicht als Frei- sondern als Liebesmahl begingen, schleuderten sie mit der gleichen Freimütigkeit Worte ins Volk und drohten das Gericht Gottes an, beteuerten die Glückseligkeit ihres Martyriums, höhnten über die Neugier der Zusammenströmenden. Saturus sagte: »Der morgige Tag ist euch nicht genug? Warum schaut ihr so gerne an, was ihr haßt? Heut’ Freund, morgen Feind. Prägt euch jedoch unsere Gesichter sorgfältig ein, damit ihr uns an jenem Tag wiedererkennt.« Da gingen alle erschüttert von dannen; viele von ihnen fanden zum Glauben. (Perpetua und der Ägypter 17)

 

Die Zaungäste, die sich als Zuschauer zu dem pompösen Festschmaus einfanden, warfen den Gladiatoren beifällige und kritische Bemerkungen zu und befassten sich auf ihre Art mit dem bevorstehenden Ereignis. Wären Autogramme Teil der damaligen Kultur gewesen, hätte man die Namen vermutlich als Souvenirs auf Miniaturschwerter oder Tonhelme gekritzelt.

Der Beruf des Gladiators weckte also leidenschaftliche Anteilnahme und bewundernde Anerkennung. Auch die Gladiatoren selbst sonnten sich in der Begeisterung, die sie auslösten. Ihre Epitaphe halten solche Gefühle fest: »laute Rufe durchtosten das Publikum, als ich Sieger wurde«, »ich war ein Liebling der Menge im Stadion« (Robert, Nr. 55 und 124). Ein pompejanischer Gladiator nahm sogar den »Arena-Namen« Celadus an, der vom griechischen Wort für »Lärm« abgeleitet ist. Sehr anschaulich berichtet Augustinus, wie die Arena einen jungen Mann namens Alypius in Bann schlug:

 

Doch hatte er die ihm von seinen Eltern angepriesene irdische Laufbahn nicht verlassen, sondern war mir nach Rom vorausgegangen, um Rechtswissenschaft zu studieren. Hier nun ließ er sich unverständlicherweise von geradezu unbegreiflicher Leidenschaft für die Gladiatorenschauspiele hinreißen. Denn obwohl er gegen derlei Widerwillen und Abscheu empfand, ließ er sich doch von einigen Freunden und Mitschülern, denen er zufällig auf dem Heimweg von der Mahlzeit begegnete, trotz heftigen Widerstrebens und Sträubens mit freundlicher Gewalt ins Amphitheater führen. Es waren nämlich gerade die Tage, an denen jene grausamen und schaurigen Spiele stattfanden … Er sagte ihnen: »Mögt ihr immerhin meinen Leib dahin schleppen; werdet ihr auch meinen Geist und meine Augen zwingen können, auf die Schauspiele achtzugeben? Wenn auch anwesend, werde ich doch abwesend sein und so über euch und die Spiele triumphieren.« Sie hörten sich das an und führten ihn nichtsdestoweniger mit sich. Sie waren wohl begierig zu sehen, ob er seinen Vorsatz würde ausführen können. Als man nun angekommen war und sich, wo Plätze frei waren, niedergesetzt hatte, flackerte überall bereits die wildeste Lust. Er aber schloss die Pforten seiner Augen und untersagte seinem Geist, an diesen Greueln Anteil zu nehmen. Hätte er doch auch seine Ohren verstopft! Denn was geschah? Als bei einem Zwischenfall des Kampfes das ganze Volk in ungeheures Geschrei ausbrach, wurde er so erschüttert, dass er, von Neugier überwunden und vielleicht sich einredend, er werde, was er auch erblicken möge, es verachten und Herr darüber werden, die Augen aufschlug. Da ward seiner Seele eine schwerere Wunde geschlagen als dem Leib dessen, den zu sehen ihn gelüstete, kam er jämmerlicher zu Fall als jener, dessen Fall das Geschrei verursacht hatte … Denn sobald er das Blut sah, durchdrang ihn wilde Gier, konnte er sich nicht mehr abwenden, sondern war von dem Anblick wie gebannt, schlürfte Wut ein und wusste es selbst nicht, hatte seine Wonne an dem frevlen Kampf und berauschte sich an grausamer Wollust. Nun war er nicht mehr, der er gekommen war, sondern nur noch einer aus der Masse, der er sich angeschlossen, und in Wahrheit ein Geselle derer, die ihn hergeführt. Was weiter? Er schaute, schrie, glühte und nahm seinen Wahnsinn mit nach Hause, der ihn stachelte, nicht nur wiederzukommen mit denen, die ihn verleitet, sondern es ihnen zuvorzutun und andere nach sich zu ziehen. (Bekenntnisse 6,8)

 

Der Enthusiasmus der Menge konnte sich leicht bis zu tumultartigen Unruhen steigern. Über die Literatur der Oberschicht verstreut finden sich immer wieder Beispiele dafür, dass das Publikum im Schutz der Massen – der sich manchmal als illusorisch erwies – beleidigende Rufe gegen den Kaiser richtete. Ja, die Versammlung des gemeinen Volkes an solchen Schauplätzen wie dem Theater oder Amphitheater bot vielleicht die beste Möglichkeit, den Herrschenden die Stirn zu bieten. In den Gladiatorenspielen konnten auch stellvertretend regionale Eifersüchteleien und Rivalitäten ausgetragen werden. Das wohl berühmteste Beispiel dafür ist die Erzfeindschaft zwischen den Bewohnern der Kleinstädte Nuceria und Pompeji in Kampanien. Der Historiker Tacitus beschreibt die Ausschreitungen zwischen Nucerinern und Pompejanern, die während eines Gladiatorenwettkampfs unter den Zuschauern ausbrachen:

 

Zur selben Zeit kam es, ausgehend von einem unbedeutenden Streit, zu einem entsetzlichen Blutbad zwischen den Siedlern von Nuceria und Pompeii aus Anlaß eines Fechterspiels, das Livineius Regulus veranstaltete, dessen Entfernung aus dem Senat ich berichtet habe. Zuerst mit kleinstädtischem Mutwillen sich gegenseitig neckend, gingen sie zu Beschimpfungen über, griffen dann zu Steinen, zuletzt zum Schwert, wobei die Plebs von Pompeii, wo das Spiel stattfand, die Oberhand behielt. So brachte man viele von den Nucerinern durch Wunden entstellt in die Stadt, und sehr viele hatten den Tod von Kindern oder Eltern zu beklagen. Die Entscheidung in dieser Angelegenheit übertrug der Princeps dem Senat, der Senat den Konsuln. Und als die Sache dann wieder an die Väter zurückverwiesen wurde, verbot man den Pompejanern insgesamt auf zehn Jahre den Besuch derartiger Veranstaltungen und löste die Vereinigungen auf, die sie im Widerspruch zu den Gesetzen gegründet hatten; Livineius und wer sonst noch den Aufruhr veranlaßt hatte, wurde mit der Verbannung bestraft. (Annalen 14,17)

 

Erstaunlicherweise ist in Pompeji ein Fresko erhalten geblieben, das ebendiese Unruhen darstellt (Taf. 27). Ein paar Bürger kämpfen in der Arena, während Nuceriner und Pompejaner draußen mit Stöcken und Fäusten aufeinander losgehen. Ein andernorts gefundener Graffito liest sich wie ein Kommentar zu dem Fresko: »Kampaner, mit einem Sieg seid ihr erledigt, zusammen mit denen aus Nuceria« (CIL IV 1293/Hunink, Nr. 385). Andere Graffiti drücken ähnliche Gedanken aus, die aber wahrscheinlich mit dieser Veranstaltung nicht in direktem Zusammenhang stehen: »Alles Schlechte für die aus Nuceria!« (CIL IV 1329/Hunink, Nr. 381), »Heil den Puteolanern, Glück allen Nucherinern und zum Henker mit den Pompejanern …« (CIL IV 2183/Schumacher, Nr. 263). Man sieht, die Gefühle kochten hoch, nicht nur, was den Sieg in einem bestimmten Fechtkampf betraf.

Der Gladiator konnte nicht nur mit der Bewunderung der Menge rechnen, sondern auch mit einem großen Angebot an Sexualpartnerinnen. Die Verehrung, um nicht zu sagen Begierde, die die Frauen den Gladiatoren entgegenbrachten – praktisch nackten, muskulösen Gestalten, strahlend im Glanz ihrer virtus und notorisch verfügbar –, war allgemein bekannt. Der Reiz sexueller Eroberung, der mit den Siegen in der Arena einherging, spricht auch aus den Graffiti von Pompeji: In einigen Kritzeleien prahlt der erfolgreiche Gladiator Celadus: »Seufzer der Mädchen: der Thraker Celadus aus Octavius’ Schule, 3 (Kämpfe), 3 (Siege)« (CIL IV 4342 = ILS 5142a /Hunink, Nr. 335) und: »Stolz der Mädchen: Celadus der Thraker« (CIL IV 4345 = ILS 5142b /Hunink, Nr. 336).

Es wäre allerdings ein Irrtum anzunehmen, dass jeder Gladiator zum Liebling der Menge wurde. Auf jeden Mann, der das Herz des Publikums gewann, kamen viele andere, die sich mehr schlecht als recht durchschlugen, die sich mühsam am Leben hielten und kaum Bewunderung erregten. In seinen Satyrica lässt Petron einen Kritiker solcher Kämpfer zu Wort kommen. Nach einem Loblied auf künftige Spiele, in denen freie, nicht versklavte Gladiatoren auftreten, Männer zudem, die den Kampf nicht scheuen, fügt Echian hinzu:

 

Und wirklich wahr, was hat der andere [ein reicher Pompejaner] uns zu Gefallen getan? Er hat Gladiatoren präsentiert, die gerade einen Fünfer taugten und schon marode waren, zum Umfallen, wenn man sie angepustet hätte; ich habe schon bessere Leute vor die wilden Tiere werfen sehen. Was er an Berittenen töten ließ, waren Nippesfiguren, man konnte sie für Gockelhähne halten; der eine ein alter Packesel, der andere ein Schlappschwanz, der Reservemann eine Leiche als Leichenersatz mit seinen angeschlagenen Flechsen. Der einzige mit etwas Dampf war der Thraker, der sich wenigstens seinerseits nach den Regeln der Kunst geschlagen hat. Kurz und gut, alle kriegten später die Peitsche; zu laut hatten sie vom ganzen Publikum ›Gebt es ihnen!‹ zu hören bekommen, diese kompletten Hasenfüße. (Satyrica 46)

 

Außerhalb der Arena waren die Fechter Objekte der populären Kultur. Gladiatorenmotive fanden sich auf Lampen (Abb. 30) und extravaganten Glaskrügen. Trimalchio besaß kostbare Becher, die mit Szenen aus einem offenbar monumentalen Kampf zwischen zwei berühmten Gladiatoren, Petraites und Hermeros, illustriert waren, und er plante weitere Szenen aus Petraites’ Siegen auf sein Grabmal meißeln zu lassen (Satyrica 52,71). Kinder verkleideten sich und spielten Gladiatoren. Angesichts dieses Tamtams um die Publikumsmagneten ist es wenig erstaunlich, dass ein Gladiator, einmal in Dienst genommen, darauf brannte, zum Einsatz zu kommen:

Abb. 30. Souvenirs aus der Arena waren beliebt: Hier sieht man zwei kunstvoll gestaltete Lampen in Form von Gladiatorenhelmen.

Aber freilich, unter den Fechtern des Kaisers gibt es Leute, die ungehalten werden, wenn man sie nicht vorführt und ihnen keinen Gegner stellt. Sie rufen Gott darum an; sie liegen dem Oberaufseher in den Ohren, daß sie doch auch zum Zweikampf gelangen mögen. (Epiktets Gespräche 1,29,37)

 

Denn den süßen Ruhm gewann und wahrte sich der Fechter im Kampf.

Bei allem Kitzel wusste der Gladiator jedoch auch, dass er alles aufs Spiel setzte. Dieses Wissen spricht aus einer kretischen Grabinschrift: »Der Preis war nicht ein Palmzweig; wir kämpften um unser Leben« (Robert, Nr. 66). Die Rechnung ging nicht immer auf, wie der folgende Epitaph eindrucksvoll belegt:

 

Den im Stadion so Beherzten siehst du jetzt als Leichnam, Vorübergehender, den retiarius aus Tarsus, Mitglied der zweiten Truppe, Melanippos [mit Namen]. Nicht länger höre ich den Klang der Trompete aus gehämmerter Bronze, noch errege ich das laute Tönen der Flöten während einseitiger Wettkämpfe. Man sagt, dass Herakles zwölf Arbeiten vollendete; ich aber, nachdem ich dieselbe [Zahl] vollendet hatte, fand bei der dreizehnten den Tod. Thallos und Zoe errichteten dies als Denkmal für Melanippos auf eigene Kosten. (Robert, Nr. 298)

 

Die spärlichen epigraphischen Belege deuten darauf hin, dass vielleicht 20 Prozent der Teilnehmer an Kampfspielen zu Tode kamen. Wenn alle von ihnen Zweikämpfe ausfochten, dann führte eins von zehn Duellen zum Tod eines der Kämpfer. Andere Wissenschaftler allerdings sehen die Todesrate bei 5 Prozent oder einem tödlichen Ende auf zwanzig Partien. Wer mehr als zehn Zweikämpfe überlebte, für den stiegen die Chancen beiden Berechnungen nach beträchtlich. Am höchsten war die Wahrscheinlichkeit zu sterben im ersten oder zweiten Kampf (George Ville zieht hier einen erstaunlichen Vergleich mit den Luftkämpfen im Ersten Weltkrieg). Wer sein Debüt und den Folgekampf überlebte, erfocht oft zahlreiche weitere Siege. In außergewöhnlichen Fällen endete jeder Kampf tödlich, ein kostspieliges Ergebnis, dessen sich im Folgenden dennoch ein Sponsor, der viel Geld verloren hatte, brüstete:

 

Hier in Minturnae [Italien] hat Publius Baebius Iustus, Bürgermeister, zu Ehren seines hohen Amtes elf Kampfpaare erstklassiger Gladiatoren aus Kampanien aufgestellt; in jedem Kampf wurde ein Mann erschlagen. (CIL X 6012 = ILS 5062)

 

Doch hatte ein Mann einmal in der Arena Fuß gefasst, sah er möglicherweise einer langen Karriere entgegen. Es gibt Inschriften mit der stolzen Erwähnung von zwischen fünfzig und über hundert Siegen. Solch ein Beispiel eines Gladiators mit langer Laufbahn findet sich im Epitaph des Flamma (»Flamme«), eines secutor, das heißt eines Schwerbewaffneten, der normalerweise gegen einen retiarius antrat, der mit Schwert und Netz kämpfte (vgl. Taf. 28 und 30):

 

Flamma der secutor lebte dreißig Jahre und kämpfte 34 Mal. Er erfocht 21 volle Siege; erkämpfte neunmal ein Unentschieden; wurde viermal ehrenhaft besiegt. Er stammte aus Syrien. Delicatus [der Herrliche] errichtete dies für seinen verdienstvollen Kampfgenossen. (ILS 5113, Palermo)

 

Flamma kämpfte also ungefähr dreizehn Jahre lang, von etwa siebzehn bis dreißig, und damit im Durchschnitt 2,5 Mal jährlich, häufiger als die meisten. Von den fünfzehn Gladiatoren, deren Geschichte bekannt ist, kämpften die meisten weniger als zweimal pro Jahr; einige wenige traten vielleicht mehr als dreimal auf – einige allerdings absolvierten ihre Kämpfe in schnellerer Folge, wie ein Graffito zeigt, das die Spiele eines Sommers festhält:

 

Am 28. Juli hat Florus gewonnen in Nuceria; am 15. August hat er gewonnen in Herculaneum. (CIL IV 4299, Pompeji/Hunink, Nr. 329)

 

Die Überlebenschancen eines Kämpfers konnten sich im Lauf der Zeit tatsächlich verbessern, nicht nur, weil er mit zunehmender Erfahrung seine Fähigkeiten perfektionierte; seinem Besitzer oder Manager gelang es auch, seine Investition zu schützen, wenn der Preis pro Kampf in die Höhe ging. Vielleicht arrangierte er Wettkämpfe gegen schwächere Gegner, vielleicht ließ er den zweiten Gladiator das Handtuch werfen, vielleicht konnte durch ein »ehrenhaftes Unentschieden« (missio) eine tödliche Niederlage abgewendet werden. Das Zeugnis von Gladiatoren, die mit der Übergabe des Holzschwerts (rudis) offiziell aus dem Dienst entlassen wurden, deutet auf relativ zahlreiche Siege: In den drei Beispielen für Siege, die auf Inschriften vorliegen, sind Zahlen zwischen sieben und achtzehn genannt. Diese Männer hatten sich ihre Entlassung schnell verdient. Doch bei so wenig verfügbarem Datenmaterial ist dazu nicht mehr zu sagen, als dass einige der erfolgreichen Gladiatoren eine lange, andere eine kurze Laufbahn hinter sich brachten. Weder lässt sich im Einzelfall ein Grund angeben, noch kann man sich einen Gesamtüberblick verschaffen.

Festgehalten werden kann aber: Das Leben eines Gladiators war deutlich kürzer als das von Menschen in anderen Berufen. Hatte ein Römer das Alter von zwanzig Jahren erreicht, konnte er im Schnitt mit ungefähr weiteren 25 Lebensjahren rechnen, während von den erwähnten fünfzehn Gladiatoren nur zwei älter wurden als dreißig; die meisten verloren ihr Leben in der Arena. Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung auf dem Friedhof der Gladiatoren, der 1997 in Ephesos entdeckt wurde: Fast alle 67 Skelette stammen von Männern unter dreißig. Die Beschreibungen körperlicher Defekte von Gladiatoren, die der Arzt und Forscher Galen als medizinischer Beistand dieser Männer untersuchte, sowie die Traumata, die man an den sterblichen Überresten in Ephesos feststellte, lassen den Schluss zu, dass die Männer zu Lebzeiten an ernsthaften Verletzungen litten. Das erklärt wahrscheinlich zum Teil, warum sogar diejenigen, die ihre Kämpfe überlebten, nicht alt wurden.

Die Güterabwägung, die ein Gladiator bei der Entscheidung für diese Laufbahn traf, liegt auf der Hand: ein Leben, das ihn unmittelbaren Risiken aussetzte, als Preis für ein Leben, das ihm sonst verschlossen blieb. Aber selbst das Risiko hat seine positive Seite: Körpertraining und natürliche körperliche Leistungskraft – heute als Athletentum oder Athletizismus bezeichnet – garantierten einem solchen Mann größere Kontrolle über sein Schicksal, als sie etwa einem Tagelöhner oder selbst einem Soldaten möglich war. Dieses Gefühl einer gewissen Autonomie mochte trügerisch sein, doch einem kräftigen jungen Mann, der im Hochgefühl der Jugend vielleicht ohnehin dazu neigte, sich für unverletzlich zu halten, kann man diesen Glauben verzeihen, vor allem angesichts einer Welt, die so wenig Möglichkeiten bot, in die Sphäre öffentlicher Anerkennung und zumindest relativ guter Lebensbedingungen vorzustoßen.

Dieser Realität zum Trotz sind die antiken Autoren der Oberschicht ebenso wie moderne Autoren darauf bedacht, fast könnte man sagen fixiert, die Stigmatisierung – die infamia – zu betonen, die dem Mann anhing, der als auctoratus freiwillig zum Gladiator wurde. Dieselbe Schande, so wird behauptet, traf den freiwilligen Raubtierkämpfer (venator, bestiarius). Diese Fixierung verdankt sich der obsessiven Pflege von Status und Würde bei den Alten und der Bereitschaft heutiger Autoren, diese Obsession bei der Deutung des Gladiatorendaseins als Leitbild zu übernehmen. Auch unter gewöhnlichen Menschen war diese Einstellung vertreten. Artemidor macht dies in einer Traumanalyse deutlich:

 

Es träumte jemand, er werde in einem Backtrog voll Menschenblut von einigen Leuten getragen und esse von dem geronnenen Blut; dann sei ihm seine Mutter entgegengekommen und habe ausgerufen: »Mein Sohn, du hast mich um meinen guten Namen gebracht!« Darauf hätten ihn die Träger abgesetzt, und er sei nach Hause gekommen. Er ließ sich als Gladiator eintragen und musste viele Jahre lang Kämpfe auf Leben und Tod in der Arena bestreiten; das Verzehren von Menschenblut bedeutete seine rohe und frevelhafte Art, mit Menschenblut seinen Lebensunterhalt zu verdienen, der Ausruf der Mutter weissagte ihm die Ehrlosigkeit seines Standes, und das Getragenwerden in einem Backtrog versinnbildlichte die Gefahr, in der er immer und unablässig schwebte; denn das, was man in einen Backtrog legt, wird auf jeden Fall verbraucht. Und der Mann wäre als Gladiator umgekommen, wäre er nicht abgesetzt worden und nach Hause zurückgekehrt; denn erst spät kam er auf energisches Betreiben von Freunden von den Gladiatoren frei. (Traumbuch 5,58)

 

Infamia war bestenfalls ein diffuser Begriff und ganz zweifellos keine Rechtsformel. Er wurde als Allerweltsfloskel zur Etikettierung vieler Verhaltensweisen benutzt, die den grundlegenden Gesellschaftsvertrag zu unterhöhlen schienen. Zur infamia führte zum Beispiel eine Verurteilung durch das Strafgericht oder in vielen Fällen auch durch das Zivilgericht, desgleichen verwerfliches Verhalten wie ein Konkurs, die Schädigung eines anderen (iniuria) und unehrenhafte Entlassung aus der Armee. Als Schande galten auch bestimmte Berufe, so die Kuppelei oder die Prostitution und, was im vorliegenden Zusammenhang von Interesse ist, die Tätigkeit des Gladiatorenmanagers bzw. »-zuhälters« (lanista) oder des Gladiators selbst.

Die Schriften der Oberschicht könnten den Gedanken nahelegen, dass die Verrufenheit der Gladiatoren eine gesellschaftlich vernichtende Brandmarkung war. Im Geist der Elite und zugleich aus der neuen Sicht eines Christen schreibt Tertullian:

 

… diejenigen, die die Schauspiele veranstalten und verwalten, sind dieselben, die jene ungemein beliebten Wagenlenker, Schauspieler, Athleten und Gladiatoren – denen die Männer ihre Seelen unterwerfen, die Frauen aber sogar auch noch ihre Körper preisgeben und derentwegen sie Dinge tun, die sie (sonst) tadeln – abwerten und herabsetzen, und zwar aufgrund derselben Tätigkeit im Spielewesen, derentwegen sie sie rühmen. Mehr noch: Sie verurteilen diese Leute ganz offen zu einer schimpflichen sozialen Stellung und zu bürgerlichem Ehrverlust, indem sie sie von der Curia, der Rednertribüne, dem Senat, dem Ritterstand und von allen anderen Ehrenstellen ebenso ausschließen wie von mancherlei Auszeichnungen. Welch eine verkehrte Welt! Sie lieben die, die sie erniedrigen, würdigen die herab, denen sie Beifall spenden; sie feiern die Kunst und brandmarken den Künstler. (Über die Spiele 22,2 f.)

 

Sein Urteil über die Gladiatoren lautet, »man müsse diesen Leuten die Vorzüge ehrenhafter Stellungen entziehen und sie gewissermaßen auf eine Klippe des üblen Leumundes verbannen« (Über die Spiele 23,1).

Doch im Leben der normalen Bevölkerung blieb jede Stigmatisierung, ob rechtlicher oder praktischer Art, wie sie in der Oberschicht weithin verbreitet war, so gut wie bedeutungslos. Praktische Folgen hatte die Etikettierung als durch Handlung oder Beruf »entehrt« für den Gladiator im Grunde kaum. Zum einen zieht es keine Verurteilung nach sich, wenn man der »Schande« bezichtigt wird. »Schande« ist Begleitumstand einer gesetzlich bestraften oder sozial missbilligten Handlung, doch niemand wird wegen »Schande« dem Richter vorgeführt. Allerdings hatte die infamia rechtliche Auswirkungen. Der Ehrlose konnte zum Beispiel in einer Rechtssache weder als Vertreter noch als Belastungszeuge fungieren noch seine Person vertreten lassen – er musste sich selbst verteidigen. Auch konnte er keine Klage vor Gericht bringen, aber das war auch Minderjährigen, Frauen, unter Vormundschaft Stehenden, Freigelassenen (wenn ihr Patron betroffen war) und amtierenden Magistraten verwehrt. Natürlich konnte, wie Tertullian bemerkt, ein Gladiator nicht zum Senator oder Ritter oder lokalen Beamten werden, doch welcher Gladiator hätte sich dergleichen erträumt oder gewünscht oder auch nur durch den Kopf gehen lassen? Auch die gewöhnlichen Römer auf den Rängen der Arena kümmerte es keinen Deut – schließlich kamen infolge der Gesellschaftsstruktur auch sie, die keineswegs Ehrlosen, für diese Funktionen nicht in Frage! Die »Schande« konnte einen Gladiator von einer Begräbnisstätte ausschließen, aber das hing von der Haltung des Besitzers ab und von seiner Einstellung zur Beisetzung von verfemten Personen in seiner Begräbnisstätte. War ein Gladiator so sorg- oder glücklos, sich in flagranti erwischen zu lassen, konnte ihn der entehrte Gatte wie einen Sklaven behandeln, das heißt, ihn auf der Stelle töten. Doch dieses Plazet war wohl eher die Folge der Adaption an die Sklaverei, die der Eid des Gladiators bewirkte. Und schließlich konnte ein Gladiator nicht Soldat werden (»Ehrlose dienen nicht in der Armee«), aber man traf die Wahl zwischen dem Eintritt ins Heer und dem Auftritt in der Arena, so dass sich einem aktiven Fechter die Frage eines Eintritts in die Armee wohl kaum stellte. Die wenigen Gegenbeispiele erscheinen ausnahmslos in rhetorischen Übungen der Oberschicht und sind unverkennbar zu diesem Zweck gewählt. Kurz, das Abstempeln zum Ehrlosen von Berufs wegen blieb für die meisten Gladiatoren in wichtigen Lebensbereichen ohne Folgen – und zweifellos tat es dem Vergnügen des Publikums und seiner enthusiastischen Bewunderung für die Stars der Arena keinen Abbruch.

Dieser Widerspruch zwischen einer angeblichen Schande und deren geringer Auswirkung auf das Ansehen in der breiten Bevölkerung zeigt sich am deutlichsten in den Grabinschriften von Gladiatoren. Sie sind zahlreich und höchst informativ. Bemerkenswert ist vor allem eins: Unter allen, die als ehrlos gelten – Bestattungsunternehmer, Sklavenhändler, Dirnen, Kuppler und Gladiatorenmeister –, sind mit einer Ausnahme allein die Epitaphe der Gladiatoren nach Inhalt und ausgedrückten Gefühlen von denen der Durchschnittsrömer nicht zu unterscheiden. Gleiches gilt nur für die Grabinschriften von Schauspielern, einer anderen Gruppe von Unterhaltungskünstlern, für die sich die Menge begeisterte und die ihrerseits von der Oberschicht für ehrlos erklärt wurde. Mit anderen Worten, Gladiatoren machten aus ihrem Beruf kein Geheimnis; sie strichen ihn vielmehr heraus, denn sie waren stolz darauf, und seine packende Wirkung übertrumpfte jedes angebliche Stigma, das ihm theoretisch anhaften mochte.

Dass dieses Stigma im Wesentlichen ein Hirngespinst der Elite war, zeigt sich an einer aufschlussreichen Bemerkung in den Rechtsschriften. Der Jurist Ulpian hält fest, dass Arenakämpfer, die sich nicht bezahlen lassen, von der infamia nicht betroffen sind: »So sagen auch die alten Juristen, daß diejenigen kein Vorwurf trifft, die dies tun, um ihren Mut zu beweisen, nicht um des Lohnes willen« (Digesten 3,1,1,6). Der Haupteinwand gegen den Beruf des Gladiators galt also nicht der Beschmutzung durch Blut, sondern der durch Abhängigkeit – die Arbeit gegen Entlohnung. Der Hinweis, dass gewöhnliche Menschen ständig für Geld arbeiteten, ist wohl überflüssig; ihr Leben hing davon ab. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass sie die engstirnige, die Kämpfer diskriminierende Auffassung der Oberschicht teilten.

Der Sklavengladiator, der im Verlauf seines Diensts in der Arena von einem römischen Bürger freigelassen wurde, hatte unter einem sehr konkreten und härteren Nachteil zu leiden als dem der vorgeblichen »Schande« – er betraf das praktische Leben. Ihm blieb das römische Bürgerrecht versagt, das eigentlich Teil seiner Freilassung war. Hier ließ sich das Stigmatisierungsurteil der Elite durchsetzen, denn die Freilassung eines Sklaven konnte ein Rechtsverfahren sein. Aber der Sklave ergriff den Beruf nicht wie der auctoratus aus eigenem Willen. Für den Freiwilligen fielen absehbare soziale Sanktionen durch Mitbürger, die entweder zum geistigen Umfeld der Oberschicht zu rechnen waren oder vor dem blutigen Gemetzel echten Abscheu empfanden, kaum ins Gewicht, vor allem gemessen am zwielichtigen, vielleicht aber auch echten Ruhm, der ihm infolge des gewählten Berufs zufiel.

Während seiner Dienstzeit hatte der Gladiator, so er nicht selbständig operierte, Anschluss an eine familia. In der familia (wörtlich »Hausgemeinschaft«) waren das Zusammenleben und die Ausbildung organisiert; manchmal war sie wie in Pompeji in einem eigenen Gebäude untergebracht, manchmal lebten die Fechter in der Stadt und aßen und trainierten zusammen. Der 1997 in Ephesos entdeckte Gladiatorenfriedhof lässt sich zwar nicht zweifelsfrei dem Besitz einer einzelnen familia zuordnen, doch die Tatsache, dass dort 67 Gladiatoren und ein Veteran des Standes, der Trainer und vielleicht auch Manager, zusammen begraben sind, legt einen solchen Zusammenhang nahe.

Die familia erinnert, wie so viele Aspekte des Gladiatorenlebens, an die Welt des Militärs. Es gab »Dienstgrade«. Ein Neuling, der soeben den Eid abgelegt und sich der Branche angeschlossen hatte, war ein novicius. Im Lauf der Ausbildung erhielt er den Spitznamen tiro – ein Wort, das auch den noch ungeübten Rekruten bezeichnete. Dieser Grad blieb ihm bis nach dem ersten Kampf, in dem sich normalerweise zwei tirones gegenüberstanden. Nicht ausnahmslos allerdings, denn eine pompejanische Inschrift berichtet von einem tiro, der gegen einen erfahrenen Kämpfer antrat – und siegte, nicht nur einmal, sondern zweimal im Verlauf derselben Spiele:

 

Marcus Attilius, Anfänger [tiro], gewonnen. Hilarus aus Neros Schule, 14 Kämpfe, 12 Siege, unterlag. Marcus Attilius, 1 Kampf, 1 Sieg, erneut gewonnen. Diesmal hat Lucius Raecius Felix, 12 Kämpfe, 12 Siege, verloren. (CIL IV 10236)

 

Und ein weiteres Beispiel frühen Erfolges:

 

Spiculus aus Neros Schule, gewonnen, Anfänger [tiro]

Aptonetus, gestorben, ein freier Mann, 16 (Kämpfe) (CIL IV 1474, Pompeji/nach Hunink, Nr. 405)

 

Hatte man sich als erfolgreicher tiro sozusagen die Sporen verdient, war die Karriere gesichert. Der Gladiator konnte kämpfen, solange er lebte und sich vermarkten ließ, ob mit Manager oder auch in eigener Regie. In einigen Fällen zumindest blieben dienstentlassene Gladiatoren auch als Trainer oder Manager weiterhin im Geschäft; die alten Gladiatoren, die in Ephesos neben den jungen bestattet sind, scheinen ein Beispiel dafür zu sein.

Die Lebensbedingungen konnten hohen Erwartungen entsprechen, mussten es aber nicht. Es gab überfüllte Unterkünfte; einige Männer schliefen in Feldbetten oder auf Matratzen am Boden. An anderen Orten waren die Verhältnisse wahrscheinlich besser. Die zwei erhaltenen Gladiatorenschulen (ludi), beide in Pompeji, sind relativ weiträumig, nicht zur Stadt hin abgeschlossen, und die Waffen waren offenbar unbewacht. Das heißt, die dort lebenden Gladiatoren konnten kommen und gehen, wie es ihnen beliebte, und die Manager machten sich offenbar keine Sorgen, die Männer könnten zu den Waffen greifen und eine Revolte à la Spartacus vom Zaun brechen. Nahrung, wenn auch sehr einförmige, war reichlich vorhanden. Die beliebteste war ein mit Kohlehydraten gesättigter Haferschleim, die sagina. Von Galen wissen wir, dass sie Bohnen und Gerste enthielt, was den Gladiatoren auch den Scherznamen hordearii, »Gerstemänner«, eintrug. Bohnen als Hauptnahrungsmittel der Gladiatoren sind auch in rabbinischen Quellen erwähnt. Dank dieser Kombination von Getreide und Bohnen entwickelten die Männer eine kräftige Statur und gewaltige Muskeln. Die Angaben der antiken Quellen werden durch forensische Untersuchungen bestätigt, die an den Knochen von Gladiatoren aus Ephesos vorgenommen wurden; die Nahrung diente dazu, die Männer »vollzupumpen« und durch die Zufuhr von Fett die Knochen zu schützen.

Trainer, vermutlich selbst ehemalige Gladiatoren, waren zur Hand, um die einzelnen Kampfarten, zum Beispiel des thrax oder des secutor, einzuüben. Daneben gab es medizinische Helfer. Der berühmteste unter ihnen, der Arzt und Forscher Galen, benutzte die Behandlung verwundeter Gladiatoren, um seine Kenntnisse der menschlichen Anatomie zu erweitern. Die Verhältnisse sind also durchaus mit denen in einem Militärlager zu vergleichen – bis auf die Nahrung, die bei den Gladiatoren vermutlich besser war.

Die familia war aber nicht nur ein Trainingslager; sie schuf auch menschliche Nähe. Eine Inschrift aus dem Süden Spaniens berichtet von der Bestattung eines Gladiators durch seine familia:

 

Ein Gladiator und Wagenkämpfer mit Namen Ingenuus, aus der Gladiatorenschule ludus gallicus, 25 Jahre alt, Sieger in 12 Wettkämpfen, von Geburt Germane, liegt hier. Seine ganze familia errichtete dies auf eigene Kosten. Möge die Erde dir leicht sein! (CIL II2 /7, 362, Córdoba)

 

In einer Inschrift aus Smyrna heißt es, dass die familia ihre Mittel zusammenlegte, um einem ihrer Gladiatoren die Begräbnisehren für seinen kleinen Sohn zu ermöglichen. Eine dritte aus Telmessos berichtet, dass ein Gladiator den Grabstein für einen Gefährten aus seiner Trainingsschule errichtete.

Wie sich diese Bindungen auf Gladiatoren auswirkten, die ihren Gefährten aus derselben familia im Kampf gegenübergestellt wurden, werden wir nie wissen. Wenn 49 Paare aus einer einzigen familia die Klingen kreuzten, ist kaum auszuschließen, dass auch Freunde gegeneinander antraten:

 

49 Gladiatorenpaare aus der Schule des Capinius werden auf Kosten des Kaiserhauses in Puteoli kämpfen am 4. Tag vor den Iden des Mai, am Vortag der Iden sowie am 17. und 15. Tag vor den Kalenden des Juni (d. h. am 12., 14., 16. und 18. Mai). Sonnensegel werden aufgezogen. … (CIL IV 7994, Pompeji/Schumacher, Nr. 259)

 

Einige Epitaphe allerdings lassen die Möglichkeit erkennen, dass es zu inneren Konflikten kommen konnte, wenn Männer einer familia sich in der Arena gegenüberstanden. Louis Robert zitiert die Beispiele von einem gewissen Olympos, auf dessen Grabstein man liest: »er schonte viele in der Arena« (Nr. 56), und Ajax: er »rettete viele Seelen« (Nr. 55). Solche Empfindungen lassen erkennen, dass diese Männer, und vielleicht auch andere, ihre Aufgabe zwar ernst nahmen, dass sie aber nicht mit unkontrolliertem Zorn oder Blutdurst kämpften. Sie fochten, um zu siegen, nicht um zu töten, wenn sich das vermeiden ließ. Doch selbst wenn man voraussetzt, dass die »Kampfregeln«, strikt eingehalten, sowohl eine erstklassige Schau als auch das beiderseitige Überleben ermöglichten, blieb doch immer der ungewollte Fehlstoß. Und natürlich bot allein das Zusammenleben in der familia keine Garantie dafür, dass alle Kämpfer der Truppe einander gewogen waren. Konkurrenzdenken, Stolz und Eifersucht – viele Affekte konnten die Mitglieder einer familia auch emotional gegeneinander in Stellung bringen. Das Nebeneinander von Freundschaft und Rivalität muss zu diffizilen Beziehungen geführt haben. Vielleicht war der beste Freund mitunter ein Vierbeiner: Robert nennt mehr als ein halbes Dutzend Grabreliefs für Gladiatoren, auf denen Hunde abgebildet sind (Abb. 31).

Abb. 31. Ein Gladiator und sein treuer Hund: Viele Gladiatoren sind auf ihren Grabsteinen mit einem Hund zu ihren Füßen abgebildet.

Ich habe bereits auf die Textstelle bei Plutarch hingewiesen, in der berichtet wird, dass einige Gladiatoren am Vorabend eines Kampfes ihre Frauen der Fürsorge von Freunden anvertrauten und ihre Sklaven freiließen. In seinen Kaiserleben schreibt Sueton von Claudius, dass der Kaiser einen essedarius (Wagenkämpfer) freiließ, der fünf Söhne hatte. Auch zahlreiche epigraphische Zeugnisse belegen, dass die Gladiatoren, ob Sklaven oder Freie, Familie hatten. Ihre Grabinschriften sind manchmal von Mitkämpfern oder anderen Männern verfasst, am häufigsten aber von Frauen, oft mit Worten liebevoller Hingabe. Wenn die Gladiatoren in manch anderer Hinsicht den Soldaten verglichen wurden, so besteht hier ein deutlicher Unterschied: Soldatengräber sind nicht zufällig fast immer von einem Mann errichtet, da den Soldaten im Wehrdienst die Heirat lange Zeit verboten war. Die Grabinschriften von Gladiatoren zeigen somit in aller Deutlichkeit, dass sie, sofern es um die Familie ging, zur »normalen« Welt gehörten. In einer Reihe von Zueignungen sind sogar die Namen von Kindern aufgeführt, das Familienleben ging also über die reine Zweierbeziehung hinaus. Außerdem sollte nicht unbemerkt bleiben, dass der Begriff contubernalis (»Zeltgefährtin«), der für die Liaisons von Sklaven üblich war, die wie die Soldaten keine rechtsgültige Ehe schließen durften, in den Zueignungen der Gladiatoren fast vollständig fehlt. Vielmehr erscheinen coniunx oder uxor, beides Bezeichnungen für die gesetzliche Ehefrau. Es besteht kein Grund, diese Benennung nicht wörtlich zu nehmen. Freie Gladiatoren waren verheiratet, und Sklaven-Gladiatoren schienen bereitwillig die Terminologie zu benutzen, die eigentlich nur auf Freie anwendbar war. Trotz der Abschätzigkeit elitärer Rhetorik wäre es ungerechtfertigt, diese Frauen als »Groupies« zu betrachten, die beim Tod eines Gladiators an den nächsten weitergereicht wurden, vergleichbar langjährigen Prostituierten. Nach Form und ausgedrückter Empfindung ist zwischen den Gladiatoreninschriften und denen für andere Römer der Mittel- und Unterschicht keinerlei Unterschied festzustellen. Berücksichtigt man, dass ein Gladiator nicht nur den »Sex-Appeal« besaß, der in den Quellen der Oberschicht so regelmäßig erwähnt wird, sondern auch eine feste Anstellung, die ein- bis zweimal im Jahr ein Preisgeld in vielleicht beträchtlicher Höhe abwarf, ist es wenig erstaunlich, dass einige Männer dauerhafte Beziehungen eingingen und Kinder hatten.

Obwohl das laufende Training ein gutes Stück Zeit in Anspruch nahm, konnten die Gladiatoren kaum über mangelnde Freizeit klagen, denn im Allgemeinen kämpften sie nur selten. Ein intelligenter Manager muss sich deswegen nach Gelegenheiten umgesehen haben, seine Investition gewinnbringend einzusetzen. Als naheliegende Möglichkeit bot sich an, Fechter als Leibwächter zu vermieten. Leider ist diese Tätigkeit nur vereinzelt, und immer in Bezug auf die Oberschicht erwähnt. Wie so vieles andere im Leben eines Gladiators bleiben uns auch seine Aktivitäten außerhalb der Arena verborgen.

Jenseits von familia und Familie fanden die Männer soziale Kontakte und Beziehungen in Berufsvereinen. Wie in anderen Organisationen dieser Art traf man sich in diesen collegia zum gemeinsamen Mahl, zur Erörterung beruflicher Fragen, zu Klatsch und Tratsch und vielleicht auch, um Geld für die Kosten eines ordentlichen Begräbnisses zusammenzubringen. Aus Nordafrika ist ein großartiges Mosaik erhalten, auf dem möglicherweise ein Klub von Tierkämpfern bei Tisch dargestellt ist. Auch andere Inschriften berichten über Vereine von Tierkämpfern wie auch von einem collegium pensionierter Gladiatoren in Rom.

Abb. 32. Ein Gladiator opfert der Nemesis: Gladiatoren und Raubtierkämpfer standen unter dem Schutz der unbarmherzigen und grimmigen Rachegöttin.

Sehr wenig ist über die religiöse Gesinnung von Gladiatoren bekannt, ein Befund, der überrascht, denn in einem so lebensbedrohlichen Beruf wäre ein Interesse an schutzbringenden Gottheiten zu erwarten. Ein Gladiator bringt Venus eine Weihung dar, aber das ist kaum mit der Tätigkeit in der Arena in Zusammenhang zu sehen. Ein anderer bringt, was zu erwarten ist, dem Kriegsgott Mars Weihgaben dar, ein dritter der Nemesis (Abb. 32). Die Göttin Nemesis war nach römisch-griechischer Vorstellung eng mit dem Schicksal verbunden und als solche die Macht, die man bei risikoreicher Tätigkeit, im Militär oder in der Arena, anrief. Es fällt jedoch auf, dass von fast 250 lateinischen Inschriften, in denen Nemesis erwähnt ist, nur drei von Professionellen aus der Arena stammen – zwei von Tierkämpfern und eine von einem Gladiator –, die weitaus meisten dagegen von Soldaten verschiedener Dienstgrade. Dem entsprechen griechische Belege: Nemesis wird nur in vier oder fünf der Quellen genannt.

Während die Gladiatoren Blutopfer brachten, um sich der Hilfe des Übernatürlichen zu versichern, benutzen ihre sterblichen Zeitgenossen das Blut der Fechter ihrerseits als Zaubertrank. Der römische Altertumsforscher Festus (55,3L) schreibt: »Das Haar der Braut wurde mit dem ›zölibatären‹ Speer geteilt, den man in den Körper eines getöteten und beiseite geschafften Gladiators gesteckt hatte.« Das Blut auf dem Speer hielt man offenbar für einen Fruchtbarkeitstrank. Wie wurde das Blut sonst beschafft? Man stürzte in die Arena und holte es sich vom Schauplatz des Todes. Tertullian berichtet, dass die Zuschauer das Blut in Bechern auffingen und forttrugen:

 

Und ebenso diejenigen, die beim Kampfspiel in der Arena das Blut der getöteten Verbrecher, wenn es noch frisch ist und aus ihrer Kehle herabfließt, mit gierigen Zügen einschlürfen, um damit die Fallsucht zu heilen – sind sie nicht auch hier? (ApologeticumVerteidigung des Christentums 9,10)

 

Angesichts von Tertullians Aversion gegen die Spiele könnte man vielleicht von Übertreibung sprechen. Doch schon Jahre zuvor schrieb der Mediziner Celsus: »Einige haben sich durch tiefe Züge des warmen Bluts, das aus der Kehle eines Gladiators strömte, von der Epilepsie befreit« (Über Medizin 3,23,7). Auch der ältere Plinius empfiehlt dieses Blut als Mittel gegen die Epilepsie:

 

Die Epileptiker trinken sogar das Blut der Fechter, gleichsam aus lebenden Bechern … jene halten es für das wirksamste, das warme und mit Atem erfüllte Blut und gleichsam die lebende Seele aus dem Menschen mit den Lippen auf den Wunden zu schlürfen, … (Naturkunde 28,4 f.)

 

Und bei Aretaios von Kappadokien liest man genau das, was Tertullian beschreibt: »Ich habe Leute gesehen, die einen Becher unter die Wunde eines Mannes hielten, der soeben erschlagen wurde, und einen Schluck dieses Blutes tranken!« (Behandlung chronischer Krankheiten 7,4,7 f.). Doch das Blut eines Gladiators half nicht nur gegen Unfruchtbarkeit und Epilepsie, nützlich war es auch als Liebestrank:

 

Herbeiführender Liebeszauber mit Hilfe von toten Massenkämpfern (›Heroen‹) oder Gladiatoren oder sonst gewaltsam Getöteten. Laß von dem Brot, das du issest, ein weniges übrig, zerbrich es und mach es zu sieben Brocken und geh dahin, wo Heroen erschlagen wurden, Gladiatoren und sonst gewaltsam Getötete, sprich das Gebet über die Brocken, wirf sie hin und heb Unrat auf von dem Orte, wo du agierst, und wirf ihn hinein zu der, die du begehrst; dann geh weg und leg dich schlafen. (PGM IV 1390 – 1398)

 

Der Nimbus von Heldentum und Gewalt, den die Gladiatoren zelebrierten, machte nach seinem Tod nicht nur die Essenz seines Lebens, »den ganz besondren Saft«, begehrt. Als weitere Kuriosität ist festzuhalten, dass einige sich nicht mit dem Blut des Gladiators begnügten, sondern auch seine Leber herausschnitten. Der römische Arzt und Pharmakologe Scribonius Largus berichtete: »Einige Leute nehmen die neunfache Dosierung einer kleinen Menge Leber, die aus einem gefallenen Gladiator herausgeschnitten wurde« (Compositiones 17). Da Largus die Leber eines Hirschs, der mit einer Waffe getötet worden war, die zuvor zum Tod eines Gladiators geführt hatte, bereits früher als Mittel gegen die Epilepsie empfohlen hatte, darf man wohl annahmen, dass auch die dem Gladiator entnommene Leberdosis gegen die Epilepsie zu verwenden war.

Fazit

Die Gladiatorenkämpfe repräsentieren nur einen Typus der Schauspiele, die von normalen Römern geschätzt wurden. Auch Bühnenstücke, Wagenrennen oder Leichtathletikwettkämpfe waren Teil ihres Lebens. Aber die Verbindung von sagenhafter Popularität, blutiger Gefahr und relativ umfangreichen Lebenszeugnissen macht diese Idole der Arena besonders interessant. Die freien, freiwilligen Kämpfer führten ein äußerst gefährliches Leben, doch die Gefahr war Teil des Reizes wie der Ruhm und, vielleicht, das Spiel des Zufalls. Als Sklave blieb dem Gladiator natürlich kaum eine Wahl, aber selbst hier konnte die Aussicht auf Freiheit als Ansporn wirken. Umgeben von Ungewissheiten und Risiken meisterten Männer (und einige Frauen) ein Leben mit Freunden und Familie, noch während sie sich auf Zweikämpfe im Sand vorbereiteten. Nicht anders als die übrigen Angehörigen der Mittel- und Unterschicht taten sie auf ihre Weise das Beste, um in einer Welt, die ihnen wenig Chancen bot, dennoch zu Erfolg zu kommen.