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Zweiter Monat des Sommers – 16. Tag

 

»Hori, ist sie ermordet worden?«

»Ich glaube, ja, Renisenb.«

»Aber wie?«

»Das weiß ich nicht.«

»Sie war doch so vorsichtig, war immer auf der Hut. Alle ihre Speisen und Getränke wurden erst gekostet.«

»Ich weiß, Renisenb. Trotzdem glaube ich, dass sie umgebracht worden ist.«

»Und sie war die Klügste von uns! Hori, es muss ein Zauber sein, der Zauber böser, rächender Geister.«

»Das glaubst du, weil es am leichtesten zu glauben ist. So sind die Menschen. Esa wusste, dass es das Werk eines Lebenden war.«

»Und sie wusste, um wen es sich handelt?«

»Ja. Sie hat ihren Verdacht zu offen gezeigt. Sie wurde gefährlich für den Feind. Die Tatsache, dass sie gestorben ist, beweist, dass ihr Verdacht zutreffend war.«

»Und hat sie dir gesagt, wen sie verdächtigte?«

»Nein«, entgegnete Hori. »Sie hat nie einen Namen genannt. Gleichwohl bin ich überzeugt, dass sie dieselben Gedanken hegte wie ich.«

»Dann musst du es mir sagen, Hori, damit ich mich in Acht nehmen kann.«

»Nein, Renisenb, deine Sicherheit liegt mir zu sehr am Herzen, als dass ich das tun würde.«

»Droht mir denn keine Gefahr?«

Über Horis Gesicht fiel ein Schatten.

»Es droht allen Gefahr, niemand ist sicher. Aber es droht dir viel weniger Gefahr, wenn du die Wahrheit nicht weißt.«

»Und wie steht es mit dir, Hori? Du weißt doch Bescheid.«

»Ich glaube Bescheid zu wissen«, verbesserte er sie. »Aber ich habe nichts gesagt und nichts durchblicken lassen. Esa war unklug, sie sprach geradeheraus. Sie zeigte, in welche Richtung ihre Gedanken sich bewegten. Das hätte sie nicht tun sollen.«

»Aber du, Hori… wenn dir etwas zustößt…«

Sie hielt inne, weil Hori sie ernst und durchdringend ansah, als wollte er mit dem Blick bis zu ihrem Herzen dringen. Er ergriff ihre Hände.

»Hab keine Angst um mich, kleine Renisenb. Alles wird gut werden.«

Ja, dachte sie, wenn er das sagt, dann stimmt es. Seltsam, wie sicher sie sich in seiner Nähe fühlte, wie friedvoll und glücklich. Da gab es keine Ansprüche und keine Forderungen.

Unvermittelt sagte sie fast grob: »Ich werde Kameni heiraten.«

Ruhig ließ Hori ihre Hände los.

»Ich weiß.«

»Mein Vater hält es für das beste.«

»Ich weiß.«

Er entfernte sich.

Die Hofmauern schienen zusammenzurücken, die Stimmen im Haus und in den Kornspeichern klangen lauter als gewöhnlich.

Renisenb hatte nur einen Gedanken: Hori geht… Zaghaft rief sie ihm nach: »Hori, wohin gehst du?«

»Auf die Felder mit Yahmose. Wir haben viel zu tun. Bald ist Erntezeit.«

»Und Kameni?«

»Kameni kommt mit uns.«

»Ich fürchte mich hier. Ja, sogar bei Tage, obwohl ringsum die Diener sind und Re über den Himmel segelt – trotzdem fürchte ich mich.«

Er kehrte rasch zurück.

»Fürchte dich nicht, Renisenb. Ich schwöre dir, dass du keine Angst zu haben brauchst. Heute nicht.«

»Aber morgen?«

»Der heutige Tag genügt und muss erst erlebt werden. Und ich schwöre dir, dass dir heute keine Gefahr droht.«

Renisenb sah ihn an und runzelte die Brauen.

»Es droht uns also Gefahr? Yahmose, meinem Vater und mir? Ich bin nicht die erste, die in Gefahr ist, meinst du das?«

»Schlag dir diese Gedanken aus dem Kopf, Renisenb. Ich tue alles, was in meinen Kräften steht, wenn es dir auch scheinen mag, als ob ich nichts tue.«

»Ich verstehe.« Sie betrachtete ihn nachdenklich. »Yahmose wird also der erste sein. Zweimal hat der Feind es erfolglos mit Gift versucht. Er wird es ein drittes Mal versuchen. Darum willst du in seiner Nähe bleiben – um ihn zu beschützen. Und danach werden mein Vater und ich an die Reihe kommen. Wer ist es, der uns so sehr hasst, dass er…«

»Sei still. Du tätest gut daran, von diesen Dingen nicht zu reden. Sieh zu, dass du die Furcht bannst.«

Renisenb warf den Kopf zurück und blickte ihn stolz an.

»Ich vertraue dir, Hori. Du wirst mich nicht sterben lassen… Ich liebe das Leben sehr und möchte es nicht verlieren.«

»Du wirst es nicht verlieren, Renisenb.«

»Du auch nicht, Hori.«

»Ich auch nicht.«

Sie lächelten einander zu, und dann ging Hori von dannen, um Yahmose zu suchen. Renisenb kauerte am Boden und sah Kait zu.

Kait half den Kindern, aus Lehm Spielzeug zu formen, wobei sie das Wasser des Sees benutzte. Ihre Finger waren eifrig tätig, und ihre Stimme ermunterte die beiden kleinen ernsten Knaben bei ihrer Arbeit. Kaits Gesicht zeigte den gleichen nichtssagenden Ausdruck wie immer. Sie schien von der Spannung, die in der Luft lag, nichts zu spüren.

Hori hatte Renisenb geraten, nicht mehr zu grübeln, aber sie konnte nichts dagegen tun, ihre Gedanken kreisten immer wieder um das Rätsel, wer der Feind sein mochte, den Esa erkannt hatte – ob sie wollte oder nicht.

»Was ist los mit dir, Renisenb?«, fragte Kait unvermittelt. »Du machst ein so merkwürdiges Gesicht.«

Renisenb stand rasch auf.

»Mir ist, als würde mir übel.«

In gewissem Sinn stimmte das. Die Gedanken, die Renisenb bewegten, bereiteten ihr Übelkeit.

Doch Kait nahm ihre Antwort wörtlich.

»Du hast zu viele grüne Datteln gegessen. Oder vielleicht war der Fisch nicht mehr gut.«

»Nein, nein, das ist es nicht. Es sind die entsetzlichen Ereignisse, die wir erleben.«

»Ach so.«

Kaits Stimme klang gleichgültig, dass Renisenb sie anstarrte.

»Hast du denn gar keine Angst, Kait?«

»Nein, ich glaube nicht.« Kait überlegte. »Wenn Imhotep etwas zustößt, wird Hori die Kinder beschützen. Hori ist ehrlich. Er wird über meine Erbschaft wachen.«

»Das wäre Yahmoses Amt.«

»Yahmose wird auch sterben.«

»Kait, du sagst das so ruhig! Wäre es dir denn gleichgültig, wenn mein Vater und Yahmose sterben würden?«

Kait überlegte abermals eine Weile. Dann zuckte sie die Schultern.

»Lass uns offen sein. Imhotep habe ich von jeher tyrannisch und ungerecht gefunden. Als er wieder ein Weib hatte, benahm er sich empörend. Er ließ sich von Nofret überreden, sein eigen Fleisch und Blut zu enterben. Ich habe Imhotep nie geliebt. Was Yahmose anbelangt, so ist er eine Null. Satipy hat ihn in jeder Weise beherrscht. Seit ihrem Tod gibt er sich neuerdings Würde und erteilt Befehle. Er würde seine Kinder den meinen stets vorziehen – das ist ganz natürlich. Wenn er also sterben muss, so ist das für meine Kinder nur von Vorteil – so sehe ich das. Hori hat keine Kinder, und er ist gerecht. Alle diese Geschehnisse waren sehr betrüblich, aber vor kurzem ist mir aufgegangen, dass sie eigentlich auch was Gutes haben.«

»Dass du so ruhig und kalt reden kannst, Kait. Wo doch dein eigener Gatte, den du liebtest, als erster getötet wurde!«

Ein unerklärlicher Ausdruck glitt über Kaits Antlitz. Sie bedachte Renisenb mit einem Blick, der einen gewissen zornigen Spott zu enthalten schien.

»Manchmal bist du wie ein Kind, Renisenb.«

»Du trauerst nicht um Sobek«, sagte Renisenb langsam. »Ich habe es bemerkt.«

»Ich habe allen Pflichten Genüge getan. Ich weiß, was eine Witwe zu tun hat.«

»Ja, das wohl. Das heißt also, dass du Sobek nicht geliebt hast?«

Kait zuckte die Schultern.

»Warum hätte ich ihn lieben sollen?«

»Kait! Es war dein Gatte. Du hast Kinder von ihm.«

Kaits Miene wurde weicher. Sie blickte auf die beiden kleinen Knaben nieder, die mit dem Lehm beschäftigt waren, dann auf Ankh, die sich hin und her wiegte und sang.

»Ja, ich habe Kinder von ihm. Dafür bin ich ihm dankbar. Aber was war er schließlich? Ein schöner Tunichtgut, ein Mann, der immer andere Weiber aufsuchte, der in übel beleumdete Häuser ging, wo er Kupfer und Gold ausgab, wo er auch trank und die kostspieligsten Tanzmädchen anforderte. Zum Glück hielt Imhotep ihn kurz und ließ ihn keine Entscheidungen über das Besitztum treffen. Wie könnte ich für einen solchen Mann Liebe und Achtung aufbringen? Und wozu taugen Männer überhaupt? Sie sind notwendig, um Kinder zu zeugen, weiter nichts. Was die Männer betrifft, sie sollen nur zeugen und früh sterben…«

Zorn und Verachtung ließen Kaits Stimme metallisch klingen. Ihr starkes, nicht sonderlich schönes Gesicht war wie verwandelt.

Renisenb dachte bestürzt: Kait ist voller Kraft. Wenn sie wirklich dumm ist, so ist es eine Dummheit, die sich selbst genügt. Sie hasst und verachtet die Männer. Ja, Kait ist stark…

In Gedanken versunken ließ Renisenb den Blick auf Kaits Hände fallen – kräftige, sehnige Hände, die den Lehm kneteten. Und sie musste daran denken, dass eine kräftige Hand Ipys Kopf unter das Wasser gedrückt hatte…

 

»Yahmose, nimm dich vor Kait in Acht.«

»Vor Kait?« Yahmose zeigte großes Erstaunen. »Meine liebe Renisenb…«

»Ich sage dir, sie ist gefährlich.«

»Unsere stille Kait? Sie war jeher ein schwaches, unterwürfiges Weib, nicht sehr gescheit…«

Renisenb unterbrach ihn: »Sie ist weder schwach noch unterwürfig. Ich fürchte mich vor ihr. Ich bitte dich, sei auf der Hut.«

»Vor Kait?« Er war immer noch ungläubig. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass Kait ringsum Verderben sät. Dazu fehlt es ihr an Verstand.«

»Ich finde nicht, dass der Verstand dabei eine Rolle spielt. Man muss über Gifte Bescheid wissen, mehr ist nicht nötig. Und es ist dir wohl bekannt, dass bestimmte Familien ein solches Wissen haben. Es vererbt sich von der Mutter auf die Tochter. Sie brauen die Getränke aus den starken Kräutern selbst. Eine solche Kenntnis könnte Kait leicht haben. Sie braut Tränke, wenigstens für ihre Kinder, wenn sie krank sind.«

»Ja, das ist wahr«, sagte Yahmose nachdenklich.

»Auch Henet ist ein böses Weib«, fuhr Renisenb fort.

»Henet, ja. Wir haben sie nie geliebt. Wenn mein Vater sie nicht so schätzen würde…«

»Unser Vater täuscht sich in ihr«, sagte Renisenb.

»Das mag wohl sein.« In sachlichem Ton fügte Yahmose hinzu: »Sie schmeichelt ihm.«

Renisenb sah ihn einen Augenblick überrascht an. Zum ersten Mal hörte sie Yahmose einen Satz äußern, mit dem er Kritik an Imhotep übte. Es hatte immer so ausgesehen, als erstürbe er in Ehrfurcht vor seinem Vater.

Aber jetzt, das wurde ihr klar, ergriff Yahmose allmählich die Führung. Imhotep war in den letzten Wochen um Jahre gealtert. Er war außerstande, Befehle zu erteilen und Entscheidungen zu treffen. Auch seine körperliche Tatkraft schien wie gelähmt. Stundenlang starrte er geistesabwesend vor sich hin. Manchmal hörte er nicht einmal, was man zu ihm sagte.

»Glaubst du, dass sie…« Renisenb brach ab und schaute um sich. »Glaubst du, dass sie es ist…?«

Yahmose packte sie am Arm.

»Schweig, Renisenb. Diese Dinge bleiben besser ungesagt. Nicht einmal im Flüsterton darf man darüber reden.«

»Dann glaubst du also…«

Yahmose fiel sanft, aber eindringlich ein: »Sag jetzt nichts. Wir haben Pläne.«