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Dritter Monat der Überschwemmung – 4. Tag

 

Satipy sprach mit Yahmose. Ihre Stimme klang schrill.

»Du musst dich behaupten! Das sage ich. Du wirst nie etwas taugen, wenn du dich nicht behauptest. Dein Vater befiehlt dieses und jenes und macht dir Vorwürfe, wenn du etwas unterlassen hast. Und du hörst ihm widerspruchslos zu, entschuldigst dich, weil etwas nicht getan worden ist – etwas, das oft ganz unmöglich zu machen wäre! Dein Vater behandelt dich wie ein Kind, wie einen Knaben! Als ob du so alt wie Ipy wärst.«

Yahmose versetzte ruhig: »Mein Vater behandelt mich keineswegs wie Ipy.«

»Das stimmt.« Satipy ging sofort zu erneutem Angriff über. »Er ist ganz vernarrt in den verwöhnten Bengel! Mit jedem Tag wird Ipy unerträglicher. Er stolziert umher, rührt keine Hand und tut so, als ob alles, was von ihm gefordert wird, zu schwer für ihn wäre! Es ist eine Schande. Und all das, weil er weiß, dass dein Vater immer seine Partei ergreifen wird. Du und Sobek, ihr solltet etwas dagegen unternehmen.«

Yahmose zuckte die Schultern.

»Was –?«

»Du machst mich noch wahnsinnig, Yahmose – das sieht dir ähnlich! Du hast keinen Mut. Du bist schwach wie ein Weib. Allem, was dein Vater sagt, stimmst du zu!«

»Ich liebe meinen Vater eben.«

»Ja, und damit rechnet er! Immer nimmst du alle Schmach auf dich und tust Abbitte für Dinge, die gar nicht durch deine Schuld entstanden sind! Du solltest widersprechen wie Sobek. Sobek fürchtet sich vor keinem Menschen!«

»Ja, aber vergiss nicht, Satipy, dass mein Vater mir vertraut, nicht Sobek. Mein Vater überträgt Sobek keine Verantwortung. Alles bleibt meiner Entscheidung überlassen.«

»Und darum solltest du endlich eine führende Stellung einnehmen! Es ist nicht recht, dass du immer noch wie ein Kind behandelt wirst. Du solltest Teilhaber, Mitbesitzer werden.«

»Mein Vater möchte die Zügel in der Hand behalten«, sagte Yahmose zögernd.

»Das ist es ja! Alles soll von ihm abhängen – von seiner augenblicklichen Laune. Schlimm ist das, und es wird immer schlimmer. Wenn er diesmal heimkommt, musst du ihm kühn entgegentreten – du musst auf einer schriftlichen Vereinbarung bestehen, durch die du in eine rechtsgültige führende Position versetzt wirst.«

»Er würde mich nicht anhören.«

»Du musst ihn eben dazu zwingen. Oh, wenn ich doch ein Mann wäre! Ich an deiner Stelle wüsste, was ich zu tun hätte. Manchmal ist mir, als wäre ich mit einem Wurm verheiratet.«

Yahmose errötete.

»Ich will schauen, was sich tun lässt. Vielleicht könnte ich meinen Vater bitten…«

»Nicht bitten – fordern! Schließlich bist du der einzige, dem er die Verantwortung übertragen kann. Sobek ist zu wild, dein Vater vertraut ihm nicht, und Ipy ist noch zu jung.«

»Du vergisst Hori.«

»Hori gehört nicht zur Familie. Dein Vater gibt etwas auf sein Urteil, aber die Verantwortung würde er nur seinem eigenen Fleisch und Blut übertragen. Aber ich sehe, wie es sich verhält – du bist zu schwach und sanft, du hast Milch in den Adern, kein Blut! Du denkst weder an mich noch an deine Kinder. Erst wenn dein Vater tot ist, werden wir die uns gebührende Stellung einnehmen.«

Yahmose sagte düster: »Du verachtest mich, Satipy, nicht wahr?«

»Du erweckst Zorn in mir.«

»Höre, ich will mit meinem Vater reden, wenn er zurückkommt. Ich verspreche es dir.«

Satipy murmelte: »Ja, aber wie wirst du reden? Wie ein Mann oder wie eine Maus?«

 

Kait spielte mit ihrem jüngsten Kind, der kleinen Ankh. Das Kind lernte laufen, und Kait ermunterte es mit fröhlichen Zurufen, während sie mit ausgestreckten Armen vor ihm kniete. Kait wollte Sobek zeigen, was Ankh schon gelernt hatte, aber sie merkte plötzlich, dass er nicht Acht gab, sondern mit gerunzelter Stirn vor sich hin starrte.

»O Sobek, du siehst ja gar nicht zu. Schau doch her!« Sobek gab gereizt zurück: »Ich habe andere Sorgen.« Kait kauerte nieder und strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Wieso? Was gibt es denn?«, fragte sie mechanisch. »Mich bekümmert es, dass man mir kein Vertrauen schenkt«, erwiderte Sobek ärgerlich. »Mein Vater ist ein alter Mann mit veralteten Anschauungen, und er besteht darauf, jede Kleinigkeit selbst anzuordnen. Er will nichts meinem Urteil überlassen.«

Kopfschüttelnd sagte Kait leise: »Ja, ja, das ist schade.«

»Wenn nur Yahmose etwas mehr Mut hätte und mich unterstützen würde! Aber Yahmose ist zu zaghaft. Er führt jede Anweisung meines Vaters ganz genau aus.«

Kait hielt dem Kind einige Perlen hin und murmelte: »Ja, das ist wahr.«

»Was diesen Holzverkauf betrifft, so werde ich meinem Vater sagen, dass ich da ganz selbständig vorgegangen bin. Es war viel vernünftiger, den Preis in Flachs und nicht in Öl festzusetzen.«

»Ich bin sicher, dass du Recht hast.«

»Aber mein Vater will immer, dass alles nach seinem Kopf geht. Er wird ein Geschrei erheben: ›Ich habe dir gesagt, dass der Verkaufspreis in Öl festgesetzt werden soll. Du bist ein törichter Knabe, der nichts weiß!‹ Für wie alt hält er mich eigentlich? Um Reichtum zu erwerben, muss man etwas wagen. Ich habe Voraussicht und Mut. Mein Vater hat keines von beiden.«

Die Augen auf das Kind gerichtet, sagte Kait: »Du bist so kühn und so klug, Sobek.«

»Diesmal wird er die Wahrheit zu hören bekommen, wenn er es wagt, mich zu beschimpfen! Er muss mir freie Hand lassen, oder ich gehe fort.«

Kait, die der Kleinen die Hand hinstreckte, wandte jählings den Kopf.

»Du willst fortgehen? Wohin willst du gehen?«

»Irgendwohin! Es ist unerträglich, von einem alten Mann gescholten zu werden, der einem keine Möglichkeit gibt zu zeigen, was man kann.«

»Nein«, entgegnete Kait scharf. »Ich sage nein, Sobek.«

Er blickte sie an; ihr Ton hatte ihn veranlasst, ihre Gegenwart wirklich zu bemerken. Er war so daran gewöhnt, ihre Worte nur als untermalende Begleitmusik aufzufangen, dass er in ihr oft gar kein denkendes Menschenwesen sah.

»Was meinst du, Kait?«

»Ich meine, ich werde es nicht zulassen, dass du dich wie ein Narr benimmst. Dieses ganze Besitztum gehört deinem Vater, das Land, die Acker, das Vieh, das Holz, die Flachsfelder, alles! Nach dem Tod deines Vaters wird es uns gehören – dir, Yahmose und unseren Kindern. Wenn du dich mit deinem Vater entzweist und fortgehst, dann wird er deinen Anteil Yahmose und Ipy geben – schon jetzt liebt er Ipy allzu sehr. Ipy weiß das und zählt darauf. Du darfst Ipy nichts zuspielen. Es würde ihm wohl gut zupass kommen, wenn du dich mit Imhotep überwerfen und fortgehen würdest. Wir müssen an unsere Kinder denken.«

Sobek starrte sie an. Dann stieß er ein kurzes, verwundertes Lachen aus.

»Man weiß nie, was man von einer Frau zu erwarten hat. Ich hatte keine Ahnung, dass du so heftig werden kannst, Kait.«

Kait sagte ernst: »Streite nicht mit deinem Vater, widersprich ihm nicht. Sei noch eine Weile klug.«

»Vielleicht hast du Recht – aber es kann noch jahrelang so weitergehen. Mein Vater sollte uns zu Teilhabern machen.«

Kait schüttelte den Kopf.

»Das wird er nicht tun. Er findet allzu großen Gefallen daran, uns vorzuhalten, dass wir sein Brot essen, dass wir von ihm abhängig sind, dass wir ohne ihn verloren wären.«

Sobek musterte sie forschend.

»Du liebst meinen Vater nicht besonders, nicht wahr, Kait?«

Aber Kait beschäftigte sich schon wieder mit dem Kind.

»Komm, schau, da ist deine Puppe. Komm, komm…«

Sobek blickte auf ihren gebeugten dunklen Kopf nieder. Dann ging er mit verwirrter Miene hinaus.

 

Esa hatte nach ihrem Enkel Ipy geschickt.

Ipy, ein schöner, unzufrieden aussehender Knabe, stand vor ihr, während sie ihn mit ihrer hohen, schrillen Stimme anfuhr und ihn mit ihren Augen, die schlau blickten, obwohl sie nicht mehr gut sahen, zu durchbohren schien.

»Was höre ich da? Du willst dieses und jenes nicht tun? Du willst Yahmose nicht folgen, wenn er dir aufträgt, nach den Pflanzungen zu sehen? Wohin führt das, wenn ein Kind bestimmt, was es tun oder lassen will?«

Ipy erwiderte finster: »Ich bin kein Kind mehr. Ich bin jetzt erwachsen – und warum soll ich mich da wie ein Kind behandeln lassen? Die ganze Zeit wird mir von Yahmose befohlen, und ich darf nichts tun, was mir gefällt. Wofür hält Yahmose sich eigentlich?«

»Er ist dein ältester Bruder, und er trägt für alles die Verantwortung, wenn mein Sohn Imhotep abwesend ist.«

»Yahmose ist dumm. Ich bin viel gescheiter als er. Und auch Sobek ist dumm, obwohl er mit seiner Klugheit prahlt. Dabei hat mein Vater geschrieben, dass ich die Arbeit übernehmen soll, die ich selber wähle, dass ich mehr zu essen und zu trinken bekommen soll und dass er zornig werden wird, wenn er hört, dass man mich schlecht behandelt oder dass ich unzufrieden bin.«

Ipy lächelte, während er sprach.

»Du bist ein verwöhnter Junge«, bemerkte Esa nachdrücklich. »Das werde ich Imhotep auch sagen.«

»Nein, nein, Großmutter, das wirst du nicht tun.« Sein Lächeln wurde schmeichlerisch. »Wir beide, Großmutter, wir sind doch die Gescheiten in der Familie.«

»Du Frechdachs!«

»Mein Vater stützt sich auf dein Urteil – er weiß, dass du klug bist.«

»Das mag sein… ja, es stimmt… aber ich wünsche nicht, dass du es mir sagst.«

Ipy lachte.

»Du würdest besser auf meiner Seite sein, Großmutter.«

»Was soll das heißen?«

»Meine Brüder sind unzufrieden, weißt du das nicht? Natürlich weißt du es. Henet erzählt dir ja alles. Satipy hetzt Yahmose dauernd auf. Und Sobek hat sich bei dem Holzverkauf übers Ohr hauen lassen, und er fürchtet, dass mein Vater wütend werden wird, wenn er dahinter kommt. Du wirst sehen, Großmutter, in ein bis zwei Jahren bin ich der Teilhaber meines Vaters, und dann wird er alles tun, was ich wünsche.«

»Du, der Jüngste?«

»Was bedeutet das Alter? Mein Vater hat die Macht – und ich verstehe mich darauf, ihn richtig zu behandeln!«

»Das ist üble Rede, die du da führst«, sagte Esa.

Ipy antwortete sanft: »Du bist klug, Großmutter… Du weißt recht gut, dass mein Vater trotz seines großartigen Auftretens im Grunde ein schwacher Mann ist…«

Er brach unvermittelt ab, als er merkte, dass Esa den Kopf wandte und über seine Schulter spähte. Er drehte sich um und sah Henet hinter sich stehen.

»Imhotep ist also ein schwacher Mann?«, sagte Henet mit ihrer weichen, klagenden Stimme. »Er wird wohl nicht sehr erfreut sein, wenn er hört, wie du von ihm sprichst.«

Ipy ließ ein schnelles, verlegenes Lachen hören.

»Aber du wirst es ihm nicht sagen, Henet. Versprich es mir, Henet… liebe Henet…«

Henet glitt zu Esa.

»Natürlich möchte ich kein Unheil anrichten. Ich bin euch allen zugetan. Ich verrate nie etwas, außer wenn ich es für meine Pflicht halte…«

»Ich habe Großmutter geneckt, weiter nichts«, unterbrach Ipy sie. »Das werde ich auch meinem Vater sagen. Er wird wissen, dass ich die Worte nicht im Ernst gesprochen haben kann.«

Ipy nickte Henet kurz zu und verließ das Zimmer.

Henet blickte ihm nach und sagte zu Esa: »Ein schöner Knabe, ein schöner, gut gewachsener Knabe. Und wie tapfere Rede er führt!«

»Er führt gefährliche Rede«, gab Esa scharf zurück. »Mir gefallen die Gedanken nicht, die er in seinem Kopf hat. Mein Sohn ist zu nachsichtig mit ihm.«

»Wer wäre das nicht? Er ist ein so schöner, unwiderstehlicher Jüngling.«

Esa schwieg eine Weile, dann sage sie leise: »Henet, ich mache mir Sorgen.«

»Du, Esa? Warum? Nun, bald ist der Herr wieder da, und dann wird alles gut sein.«

Esa seufzte.

»Glaubst du? Ich bin mir da nicht so sicher.«