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Zweiter Monat des Winters – 10. Tag

 

Ein Tag folgte dem andern, und Renisenb glaubte manchmal in einem Traum zu leben.

Sie hatte sich Nofret nicht mehr genähert. Sie fürchtete sich jetzt vor ihr. Nofret hatte etwas an sich, das sie nicht verstand. Nach jenem Vorfall im Hof war Nofret verändert. Sie zeigte ein friedliches Frohlocken, das Renisenb nicht zu ergründen vermochte. Bisweilen meinte sie, ihre Vorstellung, Nofret sei unglücklich, müsste auf einem lächerlichen Irrtum beruhen. Nofret schien mit dem Dasein und mit ihrer Umgebung zufrieden zu sein.

Und doch hatte sich ihre Umgebung ganz entschieden zum Schlechten verändert. Nach Imhoteps Abreise hatte Nofret, wie Renisenb meinte, absichtlich Zwietracht gesät.

Jetzt aber bildete die Familie eine geschlossene Front gegen den Eindringling. Es gab keine Streitigkeiten mehr zwischen Satipy und Kait, und Satipy schimpfte nicht mehr mit dem unglücklichen Yahmose. Sobek machte einen ruhigeren Eindruck und prahlte weniger. Ipy verhielt sich seinen älteren Brüdern gegenüber weniger frech und anmaßend. Es schien Harmonie zu herrschen in der Familie, doch diese Harmonie brachte Renisenbs Seele keinen Frieden.

Satipy und Kait stritten nicht mehr mit Nofret – sie mieden sie. Sie sprachen überhaupt nicht mit ihr, und sowie sie auftauchte, riefen sie die Kinder und entfernten sich mit ihnen. Gleichzeitig ereigneten sich sonderbare, ärgerliche kleine Vorfälle. Ein Linnengewand Nofrets wurde mit einem zu heißen Eisen versengt, ein Farbstoff mit einem andern zusammengeschüttet. Manchmal fanden scharfe Dornen den Weg in ihre Kleidungsstücke; ein Skorpion wurde bei ihrem Bett entdeckt. Die Speisen, die ihr gereicht wurden, waren zu scharf oder gar nicht gewürzt. In ihrem Brot fand sich eines Tages eine tote Maus.

Es war eine stille, unablässige Verfolgung, die sich nicht greifen ließ – offenbar der Feldzug eines Weibes.

Dann schickte Esa eines Tages nach Satipy, Kait und Renisenb. Henet befand sich schon dort; sie stand kopfschüttelnd und händereibend im Hintergrund.

»Da sind ja meine klugen Enkelinnen«, sagte Esa und betrachtete sie spöttisch. »Was treibt ihr da eigentlich? Was höre ich – Nofrets Gewand zugrunde gerichtet, ihr Essen ungenießbar?«

Satipy und Kait lächelten. Es war kein gutes Lächeln.

»Hat Nofret sich beschwert?«, fragte Satipy.

»Nein, Nofret ist zweimal so klug wie ihr alle drei zusammen.«

Satipys Gesicht verhärtete sich.

»Du bist alt, Esa, für dich bedeuten viele Dinge nichts mehr, die uns zu schaffen machen. Wir haben beschlossen, uns selber zu helfen, uns und unsere Kinder zu schützen. Wir haben Mittel und Wege, mit einer Frau fertig zu werden, die wir nicht mögen und hier nicht dulden.«

»Schöne Worte«, versetzte Esa kichernd. »Aber schöne Worte wissen auch Sklavinnen beim Mühlstein zu machen.«

»Wahr und klug gesprochen«, ließ Henet sich aus dem Hintergrund vernehmen.

Esa wandte sich ihr zu: »Nun, Henet, was sagt Nofret zu all diesen Geschehnissen? Du solltest es wissen, du bedienst sie schließlich immer.«

»Wie Imhotep mir befohlen hat. Es widerstrebt mir natürlich, ihr zu dienen, aber ich muss tun, was der Herr mir befiehlt. Du glaubst doch hoffentlich nicht…«

Esa schnitt Henets jammernde Stimme ab: »Wir wissen Bescheid. Du bist treu und ergeben, Henet, und erntest nie den Dank, der dir gebührt. Was sagt Nofret zu alldem? Das habe ich dich gefragt.«

Henet schüttelte den Kopf.

»Sie sagt nichts. Sie… lächelt nur.«

»Ganz recht.« Esa nahm eine Jujube von der neben ihr stehenden Schale und steckte sie in den Mund. Dann stieß sie mit plötzlicher bösartiger Verdrossenheit hervor: »Ihr seid alle dumm. Nofret hat die Macht, nicht ihr. Ihr spielt ihr in die Hände. Ich möchte schwören, dass euer Tun ihr sogar gefällt.«

Satipy erwiderte scharf: »Unsinn! Nofret ist allein unter vielen. Wieso hat sie Macht?«

Esa sagte grimmig: »Die Macht einer jungen, schönen Frau, die mit einem alternden Mann verheiratet ist. Habe ich nicht Recht?« Henet zuckte zusammen. Seufzend schlang sie die Hände ineinander.

»Der Herr hält sehr viel von ihr.«

»Geh in die Küche«, befahl Esa. »Bring mir Datteln und syrischen Wein, ja, und auch Honig dazu.«

Als Henet gegangen war, sagte die Alte: »Es braut sich Unheil zusammen – ich rieche es. Satipy, du bist die Anstifterin. Hüte dich, dass du Nofret nicht in die Hände spielst, während du geschickt zu sein glaubst.« Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Ich habe euch gewarnt – nun geht.«

»Wir in Nofrets Gewalt!«, sagte Satipy mit einem Zurückwerfen des Kopfes, während sie zum See gingen. »Esa ist so alt, dass sie wunderliche Anschauungen hat. Wir haben Nofret in unsrer Gewalt! Wir werden ihr nichts antun, das hinterbracht werden kann, aber ich glaube, dass es sie bald reuen wird, hierher gekommen zu sein.«

»Du bist grausam!«, rief Renisenb. Satipy blickte sie belustigt an.

»Gib dir nicht den Anschein, Nofret zu lieben, Renisenb.«

»Nein, nein. Aber du redest so… so rachsüchtig.«

»Ich denke an meine Kinder – und an Yahmose! Ich bin kein schwaches Weib, und ich habe Ehrgeiz. Ich würde der Frau mit dem größten Vergnügen den Hals umdrehen. Leider geht das nicht so einfach. Imhotep darf nicht erzürnt werden. Aber ich glaube, dass sich doch etwas machen lässt.«

 

Der Brief war wie ein Dolchstoß.

In benommenem Schweigen starrten Yahmose, Sobek und Ipy auf Hori, als er die Worte von der Papyrusrolle ablas.

 

»Sagte ich nicht zu Yahmose, dass ich ihn zur Rechenschaft ziehen würde, wenn meinem Weib das geringste Leid geschähe? Ihr alle seid gegen mich, und ich bin gegen euch! Ich dulde euch nicht länger in meinem Hause, weil ihr mein Weib nicht geachtet habt. Ihr seid nicht mehr meine Söhne. Ihr alle, Yahmose, Sobek, Ipy, habt meinem Weib Leid zugefügt. Das ist durch Kameni und Henet beglaubigt. Ich werde euch aus meinem Hause verbannen, euch alle! Ich habe für euren Unterhalt gesorgt, jetzt werde ich nicht mehr für euch sorgen.«

 

Hori machte eine Pause und fuhr fort:

 

»Der Ka-Diener Imhotep spricht zu Hori. Du, der du treu warst, wie geht es dir? Grüße meine Mutter Esa und meine Tochter Renisenb, und grüße Henet. Kümmere dich sorgsam um meine Geschäfte, und bereite alles vor, dass mein Weib Nofret meine Teilhaberin wird. Weder Yahmose noch Sobek soll mein Teilhaber werden; auch werde ich sie nicht mehr unterhalten, und hiermit klage ich sie an, meinem Weib Leid zugefügt zu haben! Hüte alles gut, bis ich wiederkomme. Wie schlimm ist es, wenn die Familienangehörigen eines Mannes seinem Weib Böses tun! Was Ipy betrifft, so sei er gewarnt, und wenn er meinem Weib das Geringste zuleide tut, wird auch er bestimmt aus meinem Hause verbannt.«

 

Gelähmt schwiegen alle, dann erhob sich Sobek in heftigem Zorn.

»Wie ist es dazu gekommen? Was hat mein Vater vernommen? Wer hat ihm Lügen zugetragen? Sollen wir das dulden? Mein Vater kann uns nicht so einfach enterben und alle Güter seinem Weib geben!«

Hori entgegnete milde: »Nach dem Gesetz hat er diese Macht.«

»Sie hat ihn behext, diese schwarze, arge Schlange hat ihn verzaubert!«

Yahmose murmelte benommen: »Es ist unglaublich, es kann nicht wahr sein.«

»Mein Vater ist verrückt geworden!«, rief Ipy. »Er wendet sich sogar gegen mich!«

Beruhigend fiel Hori ein: »Imhotep wird bald zurückkehren. Bis dahin ist sein Zorn vielleicht abgekühlt; er meint seine Worte wohl nicht ernst.«

Ein kurzes, unangenehmes Lachen erklang. Satipy stand in der Tür zum Frauenquartier und blickte auf die Männer.

»Wir sollen also abwarten, nicht wahr, höchst ausgezeichneter Hori?«

»Was können wir anderes tun?«, versetzte Yahmose bedächtig.

Satipys Stimme hob sich: »Was habt ihr alle eigentlich in den Adern? Milch? Yahmose ist kein Mann, das weiß ich. Aber du, Sobek, hast du kein Mittel gegen diese Plagen? Ein Messer ins Herz, und die Frau könnte uns nichts mehr antun.«

»Satipy!«, schrie Yahmose auf. »Mein Vater würde uns das nie vergeben!«

»Ich sage dir, ein totes Weib ist nicht dasselbe wie ein lebendes Weib! Ist sie erst tot, so wird sein Herz sich wieder seinen Söhnen und Enkeln zuwenden. Und wie würde er überdies erfahren, woran sie gestorben ist? Wir könnten sagen, ein Skorpion habe sie gestochen.«

Yahmose erwiderte nachdrücklich: »Mein Vater würde es erfahren. Henet würde es ihm sagen.« Satipy lachte erregt.

»Höchst kluger Yahmose! Höchst sanfter, vorsichtiger Yahmose! Du solltest die Kinder pflegen und die Frauenarbeit im Haus besorgen. Sakhmet steh mir bei! Verheiratet mit einem Mann, der kein Mann ist… Und du, Sobek, der du immer so prahlst, wo ist dein Mut, deine Entschlossenheit? Ich schwöre bei Re, ich bin mehr Mann als ihr alle zusammen.« Mit einem Ruck drehte sie sich um und entfernte sich. Kait, die hinter ihr gestanden hatte, trat einen Schritt vor. Mit bebender Stimme sagte sie:

»Satipy spricht wahr! Sie ist mehr Mann als ihr alle zusammen. Yahmose, Sobek, Ipy, wollt ihr alle nichts unternehmen? Sollen deine Kinder hungern, Sobek? Nun, wenn du nichts unternimmst, ich werde es!«

Nachdem auch sie gegangen war, fuhr Sobek auf: »Bei den Göttern, Kait hat Recht! Es gibt Männerarbeit zu tun, und wir sitzen hier und schütteln den Kopf.« Er schritt auf die Tür zu. Hori rief ihm nach: »Sobek, Sobek, wohin gehst du? Was willst du tun?« Sobek, schön und feurig, rief von der Tür aus: »Ich werde etwas tun – das steht fest. Und ich werde es mit Wonne tun!«