KAPITEL 79

Sienna Brooks drängte sich zwischen den Touristen auf der Rialtobrücke hindurch und rannte die Fondamenta Vin Castello entlang nach Westen.

Sie haben Robert.

Vor ihrem geistigen Auge sah sie noch immer seinen verzweifelten Blick, als die Soldaten ihn in die Krypta zurückgezerrt hatten. Sie zweifelte nicht daran, dass die Männer ihn schon bald zum Reden bringen würden … so oder so.

Wir sind im falschen Land.

Weit schlimmer war jedoch die Tatsache, dass seine Häscher keine Zeit verschwenden und ihn über sämtliche Hintergründe aufklären würden.

Es tut mir ja so leid, Robert.

Alles tut mir leid.

Bitte, du musst mich verstehen. Ich hatte keine andere Wahl.

Seltsamerweise vermisste Sienna ihn. Hier, inmitten der Touristenmassen von Venedig, empfand sie plötzlich eine vertraute Einsamkeit.

Eigentlich nichts Neues für sie.

Seit ihrer Kindheit hatte Sienna Brooks sich einsam gefühlt. Dank ihres außergewöhnlichen Intellekts war sie sich immer vorgekommen wie eine Fremde in einem fremden Land.

Immer wieder hatte sie versucht, Freunde zu finden, doch die Gleichaltrigen in ihrem Umfeld gaben sich meist irgendwelchen Vergnügungen hin, an denen Sienna kein Interesse zeigte. Und sosehr sie damals auch die Erwachsenen respektieren wollte, waren doch die meisten von ihnen nur in die Jahre gekommene Kinder, denen es am grundlegenden Verständnis für die Welt um sie herum mangelte. Es war ihr unbegreiflich, dass viele von ihnen sich weder für die Welt interessierten noch um sie sorgten.

Ich hatte immer das Gefühl, nirgendwohin zu gehören.

Mit der Zeit hatte Sienna Brooks gelernt, ein Geist zu sein. Unsichtbar. Sie war zu einem Chamäleon geworden, zu einer Schauspielerin, die der Welt nie ihr wahres Gesicht zeigte. Schon als Kind hatte sie eine Leidenschaft für die Schauspielerei entwickelt, und bis heute träumte sie davon, jemand anderes zu sein.

Normal zu sein.

Durch ihre Rolle in Shakespeares Mittsommernachtstraum hatte sie sich zum ersten Mal einer Sache zugehörig gefühlt, und die erwachsenen Schauspieler hatten sie stets unterstützt, ohne herablassend zu sein. Siennas Freude war nur von kurzer Dauer gewesen. Sie hatte sich in dem Moment in Rauch aufgelöst, als sie am Premierenabend die Bühne verlassen und sich plötzlich einer Medienmeute gegenübergesehen hatte, während ihre Kollegen unbemerkt zum Hintereingang hinausgeschlichen waren.

Jetzt hassen die mich auch.

Im Alter von sieben Jahren hatte Sienna sich genug Wissen angelesen, um bei sich selbst eine schwere Depression zu diagnostizieren. Als sie ihren Eltern davon erzählte hatte, waren die genauso verwirrt gewesen wie immer, wenn die Seltsamkeit ihrer Tochter zum Vorschein kam. Trotzdem hatten sie Sienna zu einem Psychiater geschickt. Der hatte ihr viele Fragen gestellt, die ihr selbst schon längst in den Sinn gekommen waren, und ihr dann eine Kombination aus Amitriptylin und Chlordiazepoxid verschrieben.

Wütend war die kleine Sienna von der Couch gesprungen. »Amitriptylin? Ich will glücklich sein, kein Zombie!«

Man muss dem Psychiater zugutehalten, dass er angesichts ihres Ausbruchs vollkommen ruhig blieb und ihr einen zweiten Vorschlag unterbreitete. »Sienna, wenn du keine Medikamente mehr nehmen willst, dann können wir es gerne mit einer ganzheitlichen Therapie versuchen.« Er hielt kurz inne. »Es klingt, als wärest du in der Vorstellung gefangen, dass du nicht in diese Welt gehörst.«

»Das stimmt«, bestätigte Sienna. »Ich versuche es ja, aber es geht nicht.«

Er lächelte ruhig. »Und natürlich kannst du damit nicht einfach aufhören. Es ist für den menschlichen Geist unmöglich, an nichts zu denken. Die Seele giert nach Emotionen, und sie sucht nach immer neuem Brennstoff dafür … egal ob gut oder schlecht. Dein Problem ist, dass du ihr den falschen Brennstoff gibst.«

Sienna hatte noch nie jemanden so nüchtern über dieses Thema reden hören und war sofort fasziniert. »Und wie gebe ich ihr einen anderen Brennstoff?«

»Du musst deinen intellektuellen Fokus verlagern«, sagte der Psychologe. »Im Augenblick denkst du hauptsächlich über dich selbst nach. Du fragst dich, warum du nicht in die Welt passt und was mit dir nicht stimmt.«

»Ja, genau«, bestätigte Sienna. »Aber ich versuche, das Problem zu lösen. Ich versuche, mich anzupassen. Ich kann ein Problem ja nicht lösen, wenn ich nicht darüber nachdenke.«

Der Psychologe lachte. »Ich glaube, das Nachdenken über das Problem ist das Problem.« Er riet ihr, sich nicht länger über sich selbst und die eigenen Probleme den Kopf zu zerbrechen. Stattdessen solle sie ihre Aufmerksamkeit auf die Umwelt richten … und auf deren Probleme.

Von diesem Tag an hatte sich alles verändert.

Sienna verschwendete nicht mehr all ihre Energie auf Selbstmitleid, sondern entwickelte Mitgefühl für die anderen. Sie arbeitete für gemeinnützige Organisationen, gab in Obdachlosenheimen Suppe aus und las Blinden vor. Unglaublicherweise schien keiner der Menschen, denen Sienna half, ihre Andersartigkeit zu bemerken. Sie waren einfach dankbar dafür, dass sich jemand um sie kümmerte.

Sienna arbeitete immer härter, und schließlich konnte sie kaum noch schlafen, weil so viele Menschen ihre Hilfe brauchten.

»Sienna, mach langsam!«, ermahnten die Leute sie. »Du kannst nicht die ganze Welt retten!«

Was für eine schreckliche Aussage.

Durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit kam Sienna mit verschiedenen Mitgliedern örtlicher Wohlfahrtsorganisationen in Kontakt, und als diese sie zu einem einmonatigen Trip auf die Philippinen einluden, ergriff sie die Gelegenheit beim Schopf. Sienna nahm an, das Ziel der Reise bestünde darin, arme Fischer und Bauern vor dem Hungertod zu retten. Sie hatte gelesen, das Land sei von unglaublicher Schönheit, voller bunter Korallenriffe und atemberaubender Ebenen. Doch als die Gruppe sich in den Slums von Manila einrichtete, der am dichtesten bevölkerten Stadt der Welt, verschlug es Sienna die Sprache. Sie hatte noch nie so viel Elend gesehen.

Wie kann ein einziger Mensch hier etwas bewirken?

Für jeden Menschen, dem Sienna etwas zu essen gab, starrten sie hundert andere hoffnungslos an. Manila litt unter unglaublichen Verkehrsstaus, erstickendem Smog und einer furchtbaren Sexindustrie, in der vor allem Kinder arbeiteten. Kinder, die von den eigenen Eltern an Zuhälter verkauft wurden, allerdings nicht aus Bosheit, sondern in dem Wissen, dass die Kinder auf diese Weise wenigstens etwas zu essen bekamen.

In diesem Chaos aus Kinderprostitution, Bettlern, Taschendieben und Schlimmerem war Sienna plötzlich wie gelähmt. Überall sah sie, wie Menschen nur noch von ihrem Überlebensinstinkt getrieben wurden. Wenn wir verzweifelt sind, werden wir zu Tieren.

Dann kehrten die Depressionen zurück. Mit einem Mal sah Sienna die Menschheit als das, was sie wirklich war: eine Spezies am Rand des Abgrunds.

Ich habe mich geirrt, dachte sie. Ich kann die Welt nicht retten. Sie begann zu rennen.

Wie eine Wahnsinnige jagte sie durch die Straßen Manilas und bahnte sich einen Weg durch die Menschenmassen. Sie musste hier raus. Sie brauchte Luft.

Ich werde von menschlichem Fleisch erstickt!

Und während sie lief, spürte sie wieder die Blicke. Sie gehörte nicht länger zu der Welt ringsum. Sie war groß, hellhäutig und blond. Die Männer starrten sie an, als wäre sie nackt.

Als ihre Beine schließlich müde wurden, hatte sie keine Ahnung, wie weit sie gelaufen war oder wohin. Sie wischte sich Tränen und Dreck aus den Augen und sah, dass sie in einer Art Barackensiedlung stand, in einer Stadt aus altem Metallschrott, Pappe und Wellblech. Überall heulten Babys, und es stank nach menschlichen Exkrementen.

Ich bin durch das Tor zur Hölle gerannt.

»Turista«, schnaubte eine Stimme hinter ihr. »Magkano?« Wie viel?

Sienna fuhr herum und sah drei junge Männer auf sich zukommen wie gierige Wölfe. Sie wusste sofort, dass sie in Gefahr schwebte, und versuchte zurückzuweichen, doch die Kerle trieben sie in die Enge.

Sienna schrie um Hilfe, aber niemand reagierte. Wenige Meter entfernt saß eine alte Frau auf einem Reifen und schnitt mit einer rostigen Klinge den Schimmel von einer Zwiebel. Die Frau hob nicht einmal den Kopf, als Sienna schrie.

Als die Männer Sienna packten und in einen kleinen Verschlag zerrten, wusste sie ganz genau, was als nächstes geschehen würde. Die Angst drohte sie zu verschlingen. Mit aller Kraft setzte sie sich zur Wehr, doch die Männer waren stark und drückten sie auf eine alte, schmutzige Matratze.

Sie rissen ihr die Bluse auf und krallten sich in ihre weiche Haut. Als Sienna erneut um Hilfe schrie, stopften sie ihr ein zerrissenes Hemd so tief in den Rachen, dass sie zu ersticken glaubte. Dann drehten sie sie auf den Bauch und drückten ihr Gesicht in die stinkende Matratze.

Sienna Brooks hatte stets Mitleid für all die armen, unwissenden Seelen empfunden, die glaubten, man könne Gott im großen Leid dieser Welt erblicken. Nun betete auch sie … Sie betete voller Inbrunst.

Lieber Gott, bewahre mich vor dem Bösen.

Und noch während sie betete, hörte sie die Männer lachen. Sie begrabschten sie mit ihren schmutzigen Händen und rissen ihr die Jeans von den strampelnden Beinen. Einer von ihnen stieg auf Siennas Rücken. Er schwitzte und war schwer, und sein Schweiß troff auf ihre Haut.

Ich bin noch Jungfrau, dachte Sienna. Und das wird mein erstes Mal.

Plötzlich sprang der Mann von ihr herunter, und das spöttische Lachen wich schmerzerfüllten Angstschreien. Der warme Schweiß, der über Siennas Rücken rann, verfärbte sich plötzlich rot.

Als Sienna sich umdrehte, sah sie die alte Frau, die mit der halbgeschälten Zwiebel in der einen und dem rostigen Messer in der anderen Hand über Siennas Angreifer stand. Der Mann blutete stark aus einer Wunde am Rücken.

Die alte Frau funkelte die anderen Männer drohend an und fuchtelte mit ihrem blutigen Messer herum, bis die drei schließlich verschwanden.

Wortlos half die alte Frau Sienna beim Aufsammeln ihrer Sachen und beim Anziehen.

»Salamat«, flüsterte Sienna mit tränenerstickter Stimme. »Danke.«

Die alte Frau tippte sich ans Ohr und gab ihr auf diese Weise zu verstehen, dass sie taub war.

Sienna faltete die Hände, schloss die Augen und senkte den Kopf zum Zeichen des Respekts. Als sie die Augen wieder öffnete, war die Frau verschwunden.

Sienna verließ die Philippinen sofort, ohne sich von den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe zu verabschieden. Sie erzählte nie jemandem, was ihr widerfahren war. Anfangs glaubte sie noch, die Erinnerung an das Erlebte würde irgendwann verblassen, wenn sie sie immer wieder verdrängte. Doch das schien alles nur noch schlimmer zu machen. Noch Monate später wurde sie von Alpträumen geplagt. Sie fühlte sich nirgends mehr sicher. Sienna betrieb Kampfsport und erlernte schnell die tödliche Kunst des Dim Mak; trotzdem blieb das quälende Gefühl allgegenwärtiger Gefahr.

Ihre Depressionen waren inzwischen schlimmer denn je, und bald fand sie überhaupt keinen Schlaf mehr. Jedes Mal, wenn sie sich die Haare kämmte, fielen große Büschel aus. Zu ihrem Entsetzen war sie binnen weniger Wochen halb kahl. Sie zeigte Symptome, die sie selbst als psychisch bedingten Haarausfall diagnostizierte. Stress war die Ursache dafür, und die einzige Heilung bestand in der Vermeidung von Stress. Doch jedes Mal, wenn Sienna in den Spiegel blickte, sah sie ihren kahlen Kopf, und ihr Herz raste.

Ich sehe aus wie eine alte Frau!

Schließlich blieb ihr keine andere Wahl, als sich den Kopf kahl zu rasieren. Jetzt sah sie zumindest nicht mehr alt aus, sondern nur noch krank. Doch sie wollte nicht wie eine Krebspatientin aussehen; also kaufte sie sich eine Perücke, band sich das blonde Kunsthaar zu einem Pferdeschwanz und sah wenigstens wieder halbwegs so aus wie früher.

Doch im Inneren hatte Sienna Brooks sich verändert.

Ich bin beschädigte Ware.

In dem verzweifelten Bemühen, ihr altes Leben hinter sich zu lassen, reiste sie nach Amerika und studierte Medizin. Sie hatte schon immer ein Interesse für Medizin gehabt. Vielleicht würde sie sich endlich wieder nützlich fühlen, wenn sie erst einmal Ärztin war. Sie wollte einfach nur irgendetwas tun, um den Schmerz dieser leidenden Welt zu lindern.

Trotz des umfangreichen Lernstoffs fiel ihr das Studium leicht, und während ihre Kommilitonen auch noch abends lernten, nahm Sienna einen Nebenjob als Schauspielerin an, um sich etwas hinzuzuverdienen. Es war zwar kein Shakespeare, doch dank ihrer Begabung kam ihr die Schauspielerei nicht wie Arbeit vor. Das Theater war im Gegenteil eine Zuflucht für Sienna. Dort konnte sie vergessen, wer sie war und jemand anderes sein.

Egal wer.

Seit sie sprechen konnte, war Sienna auf der Flucht vor sich selbst gewesen. Schon als Kind hatte sie ihren eigentlichen Vornamen abgelegt, Felicity, und sich stattdessen für ihren zweiten Namen entschieden, Sienna. Felicity hieß übersetzt ›die Glückliche‹, und glücklich war sie ganz und gar nicht.

Konzentrier dich nicht so sehr auf deine eigenen Probleme, ermahnte sie sich. Konzentrier dich stattdessen auf die Probleme der Welt.

Seit ihrer Panikattacke in den überfüllten Straßen Manilas bereitete ihr die Bevölkerungsexplosion auf der Welt Sorge. In diesem Zusammenhang stieß sie auf die Schriften von Bertrand Zobrist, einem Gentechniker, der eine Reihe äußerst kontroverser Thesen zur Überbevölkerung veröffentlicht hatte.

Er ist ein Genie, erkannte Sienna, als sie seine Arbeiten las. Nie zuvor hatte sie so von einem anderen Menschen gedacht. Je mehr sie von Zobrist las, desto stärker wurde das Gefühl, es mit einem Seelenverwandten zu tun zu haben. Sein Artikel »Du kannst die Welt nicht retten« erinnerte Sienna daran, was man ihr als Kind stets gesagt hatte … und doch glaubte Zobrist genau das Gegenteil.

Du KANNST die Welt retten, schrieb Zobrist. Wenn nicht du, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann sonst?

Sienna studierte Zobrists Gleichungen und las seine Vorhersagen einer malthusianischen Katastrophe und des unmittelbar bevorstehenden Endes der menschlichen Spezies. Sie liebte seine hochwissenschaftlichen Spekulationen, merkte aber auch, dass ihr Stresslevel stieg, wenn sie in die Zukunft sah … die mathematisch garantierte Zukunft … so offensichtlich … unvermeidlich …

Warum sieht das keiner kommen?

Obwohl ihr Zobrists Ideen Angst machten, war Sienna von ihm geradezu besessen. Sie sah sich Videos seiner Vorlesungen an und las alles, was er je geschrieben hatte. Als Sienna hörte, dass er einen Vortrag in den Vereinigten Staaten halten würde, wusste sie, dass sie dorthin fahren musste. Wie sich herausstellte, war dies der Abend, an dem sich ihre Welt veränderte.

Ein Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht, ein seltener Augenblick des Glücks, als sie an diesen magischen Abend zurückdachte. Erst vor wenigen Stunden – im Zug mit Langdon und Ferris – hatte sie sich schon einmal an diesen Abend erinnert.

Chicago. Der Blizzard.

Januar vor sechs Jahren … aber es fühlt sich wie gestern an. Ich stapfe durch die Schneewehen der windgepeitschten Magnificent Mile. Ich habe den Kragen hochgeklappt. Aber auch die Kälte wird mich nicht von meinem Ziel fernhalten. Heute habe ich die Chance, den großen Bertrand Zobrist zu hören … persönlich.

Der Saal ist fast leer, als Zobrist die Bühne betritt. Er ist groß … so groß. Und hat leuchtend grüne Augen, in denen alle Mysterien der Welt versunken scheinen.

»Zur Hölle mit dem leeren Auditorium«, sagt er. »Gehen wir in die Bar.«

Und dann sind wir da, eine Handvoll von uns, in einer ruhigen Nische, und er spricht von Genetik, Bevölkerungspolitik und seiner neuesten Leidenschaft: dem Transhumanismus.

Alkohol fließt, und ich habe das Gefühl, eine Privataudienz bei einem Rockstar zu haben. Jedes Mal, wenn Zobrist zu mir herübersieht, lösen seine grünen Augen ein unerwartetes Gefühl in mir aus: sexuelle Anziehung.

Das ist völlig neu für mich.

Und dann sind wir allein.

»Danke für diesen Abend«, sage ich zu ihm. Ich bin ein wenig beschwipst. »Sie sind ein fantastischer Lehrer.«

»Schmeichelei?« Zobrist lächelt, beugt sich näher zu mir, und unsere Beine berühren sich. »Mit Schmeichelei erreichen Sie alles.«

Dieser Flirt ist unangemessen, aber es ist eine verschneite Nacht in einem einsamen Hotel in Chicago, und es fühlt sich an, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen.

»Und? Was denken Sie?«, fragt Zobrist. »Nehmen wir noch einen Schlummertrunk auf meinem Zimmer?«

Ich bin wie erstarrt, und ich weiß, dass ich aussehe wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

Ich weiß nicht, wie das geht!

Zobrist zwinkert freundlich. »Lassen Sie mich raten«, flüstert er. »Sie waren noch nie mit einem berühmten Mann zusammen.«

Ich spüre, wie ich erröte, und ich kämpfe gegen eine Woge von Gefühlen an: Verlegenheit, Aufregung, Angst. »Um ehrlich zu sein«, sage ich zu ihm, »war ich noch nie mit einem Mann zusammen.«

Zobrist lächelt und rückt näher. »Ich bin zwar nicht sicher, worauf Sie … worauf du gewartet hast, aber bitte, lass mich der Erste sein.«    

In diesem Augenblick verschwinden all die sexuellen Ängste und Frustrationen meiner Jugend … sie lösen sich auf in der verschneiten Nacht.

Dann liege ich nackt in seinen Armen.

»Entspann dich, Sienna«, flüstert er. Seine erfahrenen Hände rufen Gefühle in mir hervor, die völlig neu sind für meinen unerfahrenen Körper.

In Zobrists schützenden Armen habe ich endlich das Gefühl, dass alles in Ordnung ist, und ich weiß, dass mein Leben von nun an einen Sinn hat.

Ich habe die Liebe gefunden.

Und ich werde ihr überallhin folgen.