KAPITEL 65

Die Toilette des Frecciargento war winzig – nicht größer als in einem Passagierflugzeug. Man hatte kaum Platz, sich umzudrehen. Der Mann mit dem Ausschlag beendete sein Gespräch mit dem Provost und steckte das Telefon wieder ein.

Plötzlich ist alles anders, wurde ihm bewusst. Er brauchte einen Moment, um sich über die Konsequenzen klar zu werden.

Meine alten Freunde sind jetzt meine Feinde.

Der Mann lockerte seine Paisley-Krawatte und starrte in das pustelübersäte Gesicht im Spiegel. Er sah schlimm aus. Doch das bereitete ihm weniger Sorge als der Schmerz in seiner Brust.

Zögernd öffnete er mehrere Knöpfe seines Hemds.

Er zwang sich, in den Spiegel zu sehen … und seinen nackten Oberkörper zu betrachten.

Himmel!

Der dunkle Fleck wurde immer größer.

Die Haut in der Mitte der Brust war blauschwarz. Vergangene Nacht war der Fleck noch so groß wie ein Golfball gewesen – inzwischen hatte er die Größe einer Orange. Vorsichtig betastete der Mann das empfindliche Fleisch und zuckte zusammen.

Rasch knöpfte er das Hemd wieder zu. Er hoffte, dass er noch die Kraft aufbrächte, um zu tun, was getan werden musste.

Die nächste Stunde wird kritisch. Eine komplizierte Abfolge von Schachzügen.

Er schloss die Augen, riss sich zusammen und ging in Gedanken noch einmal durch, was jetzt geschehen musste. Meine alten Freunde sind jetzt meine Feinde.

Trotz der Schmerzen atmete er mehrmals durch, um sich zu beruhigen. Er wusste, dass er äußerlich gelassen wirken musste.

Innere Ruhe ist wichtig für eine überzeugende schauspielerische Leistung.

Täuschungsmanöver waren für den Mann nichts Neues; trotzdem schlug ihm das Herz bis zum Hals. Er atmete noch einmal tief durch. Du führst seit Jahren Leute hinters Licht, ermahnte er sich. Das ist dein Beruf.

Der Mann straffte die Schultern und bereitete sich darauf vor, zu Langdon und Sienna zurückzukehren.

Mein letzter Auftritt.

Bevor er die Zugtoilette verließ, nahm der Mann den Akku aus dem Telefon, um das Gerät funktionsunfähig zu machen.

Er sieht blass aus, dachte Sienna, als der Mann mit dem Ausschlag in das Abteil zurückkehrte und sich mit einem gequälten Seufzer auf den Sitz fallen ließ.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie teilnahmsvoll.

Er nickte. »Danke, ja. Alles in Ordnung.«

Offensichtlich war das alles, was der Mann dazu sagen wollte. Sienna wechselte das Thema. »Ich brauche noch mal Ihr Handy«, sagte sie. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne noch ein paar Dinge zu unserem Dogen recherchieren. Vielleicht bekommen wir ja noch ein paar Antworten, bevor wir im Markusdom eintreffen.«

»Kein Problem«, sagte der Mann, nahm das Gerät hervor und sah auf das Display. »Oh, zu dumm – anscheinend ist der Akku leer. Es lässt sich nicht mehr einschalten.« Er sah auf seine Uhr. »Aber wir sind ja bald in Venedig. Es dauert nicht mehr lang.«

Fünf Seemeilen vor der italienischen Küste, an Bord der Mendacium, verfolgte der Koordinator Laurence Knowlton stumm, wie der Provost in seiner Glaskabine ruhelos auf und ab lief. Offenbar kreisten seine Gedanken noch um den Anruf, und Knowlton wusste, es war klüger, den Mund zu halten, wenn der Boss nachdachte.

Schließlich sprach der sonnenverbrannte Mann wieder, und seine Stimme klang so angespannt, wie Knowlton es noch nie gehört hatte. »Uns bleibt keine Wahl. Wir müssen dieses Video Elizabeth Sinskey zeigen.«

Knowlton saß da wie erstarrt. Er wollte sich seine Überraschung nicht anmerken lassen. Dem silberhaarigen Teufel, vor dem wir Zobrist ein Jahr lang versteckt haben? »Jawohl, Sir. Soll ich ihr das Video per E-Mail zukommen lassen?«

»Um Himmels willen, nein! Wir dürfen unter keinen Umständen riskieren, dass das Video an die Öffentlichkeit gelangt. Eine Massenpanik wäre die Folge. Ich will Dr. Sinskey so schnell wie möglich an Bord dieses Schiffes haben.«

Knowlton starrte ihn ungläubig an. Er will, dass ich die Direktorin der WHO an Bord der Mendacium bringe? »Sir, durch diesen Bruch des Protokolls riskieren wir …«

»Tun Sie, was ich Ihnen sage, Mr. Knowlton. SOFORT