KAPITEL 33

An Bord der ankernden Luxusyacht Mendacium saß der Koordinator Laurence Knowlton allein in seiner gläsernen Kabine und versuchte vergebens, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Geplagt von dunklen Vorahnungen, hatte er das Video ein weiteres Mal begutachtet und im Verlauf der letzten Stunde den neunminütigen Monolog analysiert, der irgendwo auf der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn anzusiedeln war.

Knowlton spielte die Sequenz im schnellen Vorlauf ab. Er suchte nach einem Hinweis, den er möglicherweise übersehen hatte. Er übersprang die Tafel am Grund des Wassers … den Beutel mit der gelbbraunen Flüssigkeit … bis er die Stelle erreichte, als der Schatten mit der schnabelartigen Nase auftauchte, eine deformierte Silhouette an der tropfenden Wand einer Kaverne, illuminiert von weichem roten Licht.

Laurence lauschte der dumpfen Stimme und versuchte, die kunstvolle Sprache zu entschlüsseln. Etwa in der Mitte der Rede schien der Schatten an der Wand plötzlich zu wachsen, und der Klang der Stimme wurde eindringlicher.

Dante ist nicht Fiktion – sein Werk ist Prophezeiung.
Erbärmliches Elend. Quälendes Leid. Das ist die Welt von morgen.
Ist die Menschheit unkontrolliert, gleicht sie einer Seuche, einer Krebsgeschwulst. Unsere Zahl wächst mit jeder folgenden Generation, bis aller weltliche Komfort geschwunden ist, der einst unsere Tugend und unsere Bruderschaft nährte … bis die Monster in uns zum Vorschein kommen und kämpfen auf Leben und Tod, um die Jungen zu nähren.
Dies sind die neun Höllenkreise von Dante.
Dies ist es, was die Menschheit erwartet.
Und wenn diese Zukunft Gestalt annimmt, getrieben von der unerbittlichen Malthusianischen Mathematik, stehen wir wankend über dem ersten Kreis der Hölle … unser Absturz ist schneller, als wir es je für möglich gehalten hätten.

Knowlton hielt den Videoclip an. Malthusianische Mathematik? Eine rasche Internetrecherche führte ihn zu einem Eintrag über einen wichtigen englischen Mathematiker und Demografen des neunzehnten Jahrhunderts: Thomas Robert Malthus, der den globalen Kollaps aufgrund von Überbevölkerung vorhergesagt hatte.

Malthus’ Biografie enthielt, wie Knowlton beunruhigt feststellte, einen Auszug aus seinem bekannten, zunächst anonym veröffentlichten Aufsatz: An Essay on the Principle of Population – Das Bevölkerungsgesetz.

Das zahlenmäßige Wachstum der Bevölkerung ist der Kraft der Erde, Nahrung für den Menschen hervorzubringen, so sehr überlegen, dass die menschliche Rasse auf die eine oder andere Weise einen vorzeitigen Tod erleiden muss. Die Laster der Menschen sind aktive und wirksame Mittel der Entvölkerung und doch nur Vorboten einer riesigen Lawine der Vernichtung. Nicht selten beenden die Menschen selbst die grausige Arbeit; sollten sie jedoch eines Tages in ihrem Vernichtungskriege innehalten, werden sich Seuchen, Epidemien und Pestilenz auf furchtbare Weise vermehren und Tausende und Abertausende hinwegraffen. Falls das noch immer nicht zum Erfolge führt, lauert im Hintergrund eine unvorstellbare Hungersnot, die mit einem gewaltigen Schlage die Bevölkerung auf ein Maß reduziert, welches dem der vorhandenen Nahrungsmittel entspricht.

Mit klopfendem Herzen blickte Knowlton zu dem angehaltenen Video mit dem Schatten.

Ist die Menschheit unkontrolliert … gleicht sie einer Krebsgeschwulst.

Unkontrolliert. Der Klang des Wortes gefiel Knowlton nicht im Geringsten.

Seine Finger zitterten, als er das Video weiterlaufen ließ. Die dumpfe Stimme fuhr fort.

Nichts zu unternehmen bedeutet, Dantes Hölle willkommen zu heißen – überfüllt, hungrig, in Sünde suhlend.
Und deswegen habe ich gehandelt.
Manch einer wird sich vor Abscheu winden, doch jede Erlösung hat ihren Preis.
Eines Tages wird die Welt die Schönheit meines Opfers begreifen.
Denn ich bin euer Erlöser.
Ich bin der Schatten.
Ich bin das Tor zum Posthumanen Menschen.