KAPITEL 24

Vayentha stieg hart auf die Bremsen.

Das Motorrad schleuderte laut quietschend, hinterließ einen langen schwarzen Gummistreifen auf der Viale del Poggio Imperiale, und kam am Ende eines unerwarteten Verkehrsstaus zum Stehen. Die Autoschlange vor Vayentha bewegte sich keinen Millimeter.

Ich habe keine Zeit für diesen Mist!

Vayentha reckte den Hals und versuchte zu erkennen, was den Stau verursachte. Sie hatte einen weiten Bogen eingeschlagen, um dem SRS-Team zu entgehen, und jetzt musste sie in die Altstadt, um das Hotelzimmer zu räumen, in dem sie während der vergangenen Tage gewohnt hatte.

Ich wurde fallengelassen. Ich muss aus Florenz verschwinden, so schnell es geht.

Doch ihre Pechsträhne schien noch nicht zu Ende zu sein. Die Route in die Altstadt, die sie ausgewählt hatte, war blockiert. Vayentha war nicht in der Stimmung zu warten. Sie lenkte das Motorrad auf den Pannenstreifen und fuhr an den stehenden Fahrzeugen vorbei, bis sie den Grund für die Verzögerung sah. Ein Stück weiter vorn trafen sechs Hauptverkehrsstraßen in einem Kreisverkehr aufeinander. Dort war die Porta Romana, die Zufahrt zur Altstadt von Florenz.

Was zum Teufel ist da los?

Dann bemerkte Vayentha, dass die ganze Gegend von Polizei nur so wimmelte – eine Straßensperre oder eine Art Kontrollpunkt. Augenblicke später entdeckte sie mitten im Gewühl etwas, das ihr die Sprache verschlug – ein vertrauter schwarzer Van. Mehrere Männer in schwarzen Einsatzmonturen standen um das Fahrzeug herum und riefen den lokalen Polizeibeamten Befehle zu.

Die schwarz gekleideten Männer waren zweifellos Mitglieder von Brüders SRS-Team. Vayentha konnte sich nicht vorstellen, was sie hier suchten.

Es sei denn …

Sie schluckte mühsam und wagte den Gedanken kaum zu vollenden … War Langdon etwa Brüders Team ebenfalls entwischt? Es schien unvorstellbar – die Chancen zur Flucht waren nahezu Null gewesen. Andererseits arbeitete Langdon nicht allein, und Vayentha hatte aus erster Hand erlebt, wie listenreich die blonde Frau war.

Vor ihr tauchte ein Polizist auf, der von Fahrzeug zu Fahrzeug ging und ein Foto von einem attraktiven Mann mit dichtem braunem Haar zeigte. Vayentha erkannte das Bild sofort. Das Pressefoto von Langdon. Ihr Puls rauschte hoch.

Brüder hat ihn nicht erwischt …

Langdon ist noch im Rennen!

Diese Entwicklung änderte ihre eigene Situation beträchtlich. Sie hatte mehrere Möglichkeiten.

Option Eins – fliehen, wie geplant.

Vayentha hatte eine kritische Mission verpatzt und war deswegen abgelöst worden. Wenn sie Glück hatte, würde es eine formelle Befragung geben, und wahrscheinlich wäre ihre Karriere damit beendet. Doch wenn sie Pech hatte und den Ernst der Lage unterschätzte, würde sie möglicherweise den Rest ihres Lebens damit verbringen, über die Schulter zu sehen und nach einem Killer des Konsortiums Ausschau zu halten.

Jetzt ist eine zweite Option hinzugekommen.

Die Mission abschließen wie geplant.

Dieses Vorgehen stand in direktem Widerspruch zum Protokoll und den damit verbundenen Verhaltensmaßregeln. Doch da Langdon auf freiem Fuß war, hatte Vayentha die Chance, ihre Fehler zu korrigieren.

Wenn Brüder Langdon nicht zu fassen kriegt, dachte sie aufgeregt, und wenn ich Erfolg habe …

Es war reine Spekulation, doch wenn Brüder bei Langdons Ergreifung scheiterte, und wenn Vayentha den Auftrag zu Ende brächte, dann hätte sie ganz allein dem Konsortium aus der Klemme geholfen. Und der Provost hätte gar keine andere Wahl, als Milde walten zu lassen.

Ich behalte meinen Job, dachte sie. Vielleicht werde ich sogar befördert.

Schlagartig wurde ihr klar, dass ihre gesamte Zukunft von einem einzigen kritischen Unternehmen abhing. Ich muss Langdon aufspüren … bevor Brüder ihn findet.

Es würde nicht leicht werden. Brüder hatte endlose Ressourcen zur Verfügung – sowohl Personal als auch modernste Überwachungstechnologie. Vayentha hingegen operierte allein. Allerdings verfügte sie im Gegensatz zu Brüder, dem Provost und der Polizei über eine entscheidende Information.

Ich kann mir denken, wo Langdon hinwill.

Sie wendete die BMW, gab Gas und jagte den Weg zurück, den sie gekommen war. Ponte alle Grazie, dachte sie und stellte sich die Brücke nach Norden vor. Es führte mehr als eine Route in die Altstadt von Florenz.