KAPITEL 49

Im geheimen Studio der Herzogin Bianca Cappello vernahm Agent Brüder einen lauten dumpfen Schlag, gefolgt von aufgeregten Rufen unten im Saal der Fünfhundert. Er stürzte zu dem Gitter in der Wand und spähte hindurch. Er benötigte mehrere Sekunden, um die Szene auf dem eleganten Steinboden zu erfassen.

Die schwangere Kuratorin hatte ihn und sein Team inzwischen eingeholt. Sie spähte ebenfalls durch das Gitter und schlug vor Entsetzen die Hand vor den Mund – dort unten lag eine gekrümmte Gestalt in einer riesigen Blutlache, umgeben von panischen Touristen. Dann wanderte ihr Blick langsam zur Decke des Saals, und sie stieß ein gequältes Wimmern aus. Brüder folgte ihrem Blick zu einem runden Deckengemälde – einer Leinwand mit einem großen Riss in der Mitte.

Er wandte sich der Frau zu. »Wie kommen wir da hinauf?«

Am anderen Ende des Gebäudes rannten Langdon und Sienna die Treppe vom Dachstuhl hinab und hasteten durch eine Tür in den Palazzo. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Langdon den kleinen Alkoven gefunden hatte, den er von seiner Führung durch die geheimen Passagen und Gänge von Florenz kannte. Der Eingang zur Treppe des Herzogs von Athen lag geschickt getarnt hinter einem roten Vorhang.

Der Lärm rennender Schritte und gebrüllter Befehle schien inzwischen aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Langdon wusste, dass sie keine Zeit mehr verlieren durften. Er zog den Vorhang beiseite, und sie schlüpften durch die dahinterliegende Öffnung. Sie standen auf einem schmalen Treppenabsatz.

Ohne weitere Worte stiegen sie die beängstigend enge und steile Treppe hinab, die im Zickzack nach unten führte. Nach jeder Biegung schienen die Wände enger zusammenzurücken. Panik stieg in Langdon auf, doch dann erreichten sie unvermittelt das Ende der Stufen.

Geschafft.

Sie befanden sich in einer winzigen gemauerten Kammer. Die Tür vor ihnen war ein willkommener Anblick … und gewiss eine der kleinsten der Welt. Nicht viel höher als einen Meter, war sie aus massivem Holz mit eisernen Nieten gearbeitet und innen mit einem schweren Riegel gesichert, um Unbefugte am Betreten zu hindern.

»Ich kann draußen Straßenlärm hören«, flüsterte Sienna. Sie wirkte noch immer erschüttert. »Was liegt auf der anderen Seite?«

»Die Via della Ninna«, antwortete Langdon und stellte sich die überlaufene Fußgängerstraße vor. »Aber es kann sein, dass draußen die Polizei wartet.«

»Die Polizei wird uns nicht erkennen. Sie sucht nach einer blonden Frau und einem dunkelhaarigen Mann.«

Langdon runzelte die Stirn. »Aber genau das sind wir doch …?«

Sienna schüttelte den Kopf, und ein Ausdruck melancholischer Entschlossenheit trat in ihr Gesicht. »Ich wollte eigentlich nicht, dass Sie mich so sehen, Robert … aber so sehe ich im Moment leider nun mal aus.«

Abrupt hob sie die Hand, packte ihren blonden Haarschopf und zog mit einem festen Ruck daran.

Langdon fuhr zusammen, verblüfft von der Tatsache, dass Sienna eine Perücke trug. Ohne Haar sah sie völlig verändert aus. Sienna Brooks war in Wirklichkeit kahl, ihre nackte Kopfhaut glatt und bleich wie bei einer Krebspatientin in Chemotherapie.

Was denn – sie ist auch noch krank?

»Ich weiß«, sagte sie. »Das ist eine längere Geschichte. Vorbeugen, bitte.« Sie hielt die Perücke hoch, eindeutig in der Absicht, sie Langdon überzustreifen.

Ist das ihr Ernst? Langdon beugte sich halbherzig vor, und Sienna zwängte ihm die blonden Haare auf den Kopf. Die Perücke war ein wenig zu klein, doch Sienna zupfte daran, bis sie richtig saß. Dann trat sie einen Schritt zurück und begutachtete prüfend ihr Werk. Noch nicht ganz zufrieden trat sie wieder vor, löste Langdons Krawatte und band sie ihm wie ein Stirnband um.

Anschließend machte sie sich an ihrer eigenen Kleidung zu schaffen. Sie krempelte sich die Hosenbeine hoch und rollte die Socken nach unten, und als sie den Blick hob, hatte sie ein spöttisches Grinsen aufgesetzt. Die schöne Sienna Brooks hatte sich in einen Skinhead verwandelt. Die Verwandlung der ehemaligen Shakespeare-Darstellerin war verblüffend.

»Vergessen Sie nicht: Wenn jemand Sie wiedererkennt, liegt das zu neunzig Prozent an Ihrer Körpersprache«, sagte sie. »Bewegen Sie sich da draußen wie ein alternder Rocker.«

Alternd geht in Ordnung, dachte Langdon. Beim Rocker bin ich mir nicht so sicher.

Bevor er widersprechen konnte, hatte Sienna die winzige Tür entriegelt und aufgezogen. Sie duckte sich hindurch und trat auf das Kopfsteinpflaster einer belebten Gasse. Langdon folgte ihr auf allen Vieren ins helle Tageslicht.

Niemand schenkte ihnen Beachtung, abgesehen von ein paar Touristen, die das ungleiche Paar angafften, das aus der winzigen Tür im Unterbau des Palazzo Vecchio kam. Sekunden später waren Langdon und Sienna auf dem Weg nach Osten, untergetaucht in der Menge.

Der Mann mit der Plume-Paris-Brille kratzte an seinen blutenden Pusteln, während er sich in sicherem Abstand hinter Robert Langdon und Sienna Brooks durch die Menge wand. Trotz ihrer Verkleidung hatte er die beiden sofort erkannt, als sie aus der winzigen Tür an der Seite des Palazzo Vecchio in die Via della Ninna geschlüpft waren.

Er war ihnen noch nicht weit gefolgt, als sich seine Brust verkrampfte und er nur noch hechelnd atmen konnte. Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand einen Schlag gegen das Brustbein versetzt.

Er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich mit aller Energie auf Langdon und Sienna Brooks. Dann folgte er ihnen weiter unbemerkt durch die Straßen von Florenz.