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»Sie sind nicht Erin«, sagt Karim heiser.

Die Frau lacht, ein verächtliches Lachen, das ihre Mundwinkel runterzieht. Ihre Augen lachen nicht mit, sie starren ihm eiskalt ins Gesicht.

»Ich weiß genau, wer Sie sind!« Karim will ihr die Worte tapfer vor die Füße spucken, aber seine Stimme vollführt seltsame Sprünge. »Sie sind Vita.« Er hat den Namen kaum ausgesprochen, als die roten Locken, die den Kopf der Frau bedecken, tanzend und wirbelnd von ihr wegfliegen wie Hunderte von roten Schmetterlingen. Eine rote Wolke, ein Funkenregen, innerhalb weniger Sekunden ins Nichts verschwunden.

Karim starrt fasziniert auf den kahlen Kopf mit den zierlichen dunkelblauen sich kringelnden und kräuselnden Zeichen. Nach Lennes Beschreibung hatte Karim eine Hexe so hässlich wie die Nacht erwartet, doch seltsam genug ist die Frau, die nun vor ihm steht – ungeachtet ihres kahlen, blau tätowierten Kopfs –, auf eine beinahe außerirdische Art schön. Sie ist groß, viel größer als Erin, und ragt hoch über ihm auf.

»Was haben Sie mit Lenne gemacht?«, krächzt Karim.

Die Augenbrauen der Frau kriechen über ihre Stirn nach oben. Es bilden sich geschlängelte Falten in den blauen Zeichen.

»Wo ist sie?«, schreit Karim mit sich überschlagender Stimme, und er stampft mit dem Fuß auf. »Ich will, dass ihr Lenne in Ruhe lasst! Sie ist meine Freundin, und ich will sie zurück!«

»Ach, wie rührend«, sagt Vita herablassend. Ihre Stimme ist tief und rauchig.

»Ihr habt doch schon Rinnie … Rune, warum müsst ihr dann auch noch Lenne haben?« Karim hört in seinen Worten einen ungewollten Schluchzer, den er mit einem Husten zu überdecken versucht. Er hat keineswegs die Absicht, dieser Hexe etwas vorzujammern! Er schaut ihr direkt in die Augen, und es ist ein Gefühl, als könnte er in diesem Blick versinken. Es sind Augen wie nasskalte, mitleidlose Ozeane aus flüssigem Gift, in denen man ertrinkt, um nie mehr wieder nach oben zu kommen. »Wo ist sie?«, fragt Karim noch einmal, und er weiß nicht, ob er das laut gesagt hat oder nur in Gedanken.

»Erzähl du es mir«, erklingt die rauchige Stimme.

»Ich? Was soll ich …?« Karims Lippen bewegen sich, formen mühsam die Buchstaben zu Worten, als hätte er den Mund voller Kaugummi, das ihm das Sprechen unmöglich macht. »Was … was soll ich erzählen?«

Vita tritt einen Schritt vor und beugt sich über ihn. »Langsam habe ich genug von dir. Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du kleines, mickriges Bürschchen, dass du uns so in die Quere kommst. Ich warne dich nur einmal. So weit gehe ich, doch dann will ich keinen Ärger mehr mit dir haben. Ich rate dir, den unsinnigen Kampf aufzugeben.«

»Ich bin kein mickriges … mickriges …« Karim ballt die Fäuste. »Und ich gebe auch nicht auf!«

»Ahahaha!« Ein hochmütiges Lachen kommt über Vitas Lippen. Sie blickt auf ihn herunter, als wäre er ein unscheinbares und allenfalls lästiges Insekt, das sie anödet. Dann schüttelt sie den Kopf und sagt mit einem bedauernden Blick: »Na gut, jetzt reicht es mir aber.« In ihren giftgrünen Augen flackert etwas auf.

Karim sieht, wie sie ihre linke Hand unter ihren Umhang schiebt. Sie will etwas holen, denkt er. Sie wird etwas tun, etwas Schlimmes. Etwas Schreckliches. Was hat sie da? Was tragen Hexen um ihre Hüfte gebunden? Ihren Dolch. Sie will mich ermorden. Wie jemand, der aus dem Tiefschlaf aufschreckt, erinnert sich Karim an das Medaillon. Er muss etwas machen, er kann doch nicht zulassen, dass er auf diese Art und Weise umgebracht wird! Seine Hände kramen in seiner Kleidung. Er muss Erin rufen, sie muss ihm helfen. Seine Finger verheddern sich in der Uhrkette. »Erin!«, ruft er, diesmal allerdings entschieden. Seine Stimme ist ein heiserer Schrei.

Vitas Hand schießt auf ihn zu wie die Klaue eines Raubvogels. »Nichts da!«, zischt sie und grapscht ihm etwas aus der Hand. »Hast du gedacht, ich wüsste nicht, dass du Erins Kette trägst? Ha! Erins aussichtslose Sabotageversuche, ich könnte darüber lachen, wenn ich sie nicht so mitleiderregend fände.«

Sie hat eine Kette in der Hand, eine Kette, die sie ihm abgenommen hat. Sie streckt den Arm aus, sodass er nicht mehr heranreicht. Sie lässt den runden silbernen Gegenstand an der Kette hin und her schwingen, als ob sie ihn damit hypnotisieren wollte. Wieder lacht sie ihr höhnisches Lachen, und Karim fühlt sich wie eine Katze, die mit einem baumelnden Spielzeug gequält wird. Sobald er sich bewegt, krallen sich die Finger der Hexe um das silberne Schmuckstück, und es gibt ein knackendes und scharfes Geräusch. Vita öffnet die Hand.

Karim blickt auf die Überreste des alten Schmuckstücks, schluckt und geht einen Schritt zurück.

Die Hexe hält die Hand schräg, und Glassplitter und verbogenes Silber rieseln auf den Boden der Turnhalle.

Karim geht noch einen Schritt zurück. Dann greift er blitzschnell unter sein Hemd. »Erin!«, ruft er laut. »Erin … Erin!«

Vita schaut ihn verwundert an. Mit dem Fuß stößt sie gegen die Trümmer des zerstörten Schmuckstücks. Sie will etwas sagen, doch dann sieht sie, was Karim unter seiner Kleidung hervorholt, und in ihren Augen brennt es. »Was! Du armseliger kleiner Knirps! Ich hab dich gewarnt!«

Karim spannt die Finger um das Medaillon. Das Medaillon, das Vita übersehen hat. Sie hat ihm aus Versehen einfach die alte Uhrkette aus der Hand gerissen.

Vita hebt die Arme. Ihr Blick ist tödlich.

In diesem Augenblick taucht Erin zwischen ihnen auf.

Erin, die Vita den Weg versperrt und ihre Verwünschung zunichtemacht. Erin, die ebenfalls die Arme in die Luft streckt und in einer Sprache, die Karim nicht versteht, zischende und sprühende Laute ausstößt. Die zwei Frauen stehen sich gegenüber wie zwei Katzen, die kurz davor sind, kreischend einen Kampf auszufechten. Karim springt zur Seite. Er möchte etwas tun, aber er hat keine Ahnung, was. Ist Erin in der Lage, sich gegen die fauchende, aufbrausende Vita zu wehren? Karim befürchtet, dass sie das nicht ist. Muss er dann hier stehen bleiben und zusehen, wie Vita den Kampf aller Wahrscheinlichkeit nach gewinnt? Und dann? Wenn sie Erin geschlagen hat, würde sie sich wieder über ihn hermachen? Ihm fällt nichts Besseres ein, als wegzurennen. Aus der Turnhalle raus, den Flur entlang, aus der Dunkelheit raus. Stolpernd rennt, fällt, taucht er durch die Umkleideräume und reißt die Tür zum Flur auf.

Und plötzlich steht Lenne vor ihm. Der Mund bleibt ihm offen stehen. Er will etwas sagen. Er muss sie etwas fragen. Er weiß nicht mehr, was.

»Karim, ich hab wie verrückt nach dir gesucht. Wo warst du?«

»Ich … da …«

»Was machst du denn in der dunklen Turnhalle? Jesse hat mir gesagt, dass du mich gesucht hast. Er hat gesehen, wie du in diese Richtung gegangen bist.«

»Lenne … Lenne, nicht reingehen.« Karim hält Lenne am Ärmel fest. »Vita ist da drin.«

»Was?«

»In der Turnhalle. Vita und Erin. Ein Kampf … ich wollte … Vita wollte …« Karim hustet und schluckt und erstickt fast an seinen Worten.

»Vita? In der Turnhalle?«

»Deine Uhr«, fällt Karim ein. »Lenne, es tut mir so leid wegen deiner Uhr, die von deinem Opa … oder von wem die auch war … Vita hat sie kaputt gemacht.« Inzwischen ist er dabei, Lenne mit sich zu ziehen, weg von der Turnhalle, weg von den Hexen im Dunkeln. Aber Lenne reißt sich los. »Aber was machen die denn da? Ein Kampf, sagst du? Zwischen Vita und Erin?«

»Vita wollte mich umbringen! Ich schwör’s dir. So wie sie mich angesehen hat. Sie war gerade dabei, was zu machen, als ich Erin gerufen hab, mit dem Medaillon. Jetzt ist Erin auch da, und sie kämpfen, Lenne. Mit Worten. Ich weiß nicht, was das für Worte sind, ich verstehe sie nicht, aber sie sind dabei …«

»Jetzt mach mal langsam, Mann!«, schnauzt Lenne und gibt Karim einen Stoß. Nicht um ihm wehzutun, sondern um ihn zur Besinnung zu bringen. Sie will den Strom seiner Worte unterbrechen, aus dem sie nicht schlau wird. »Vita wollte dich ermorden, und Erin ist dir wie der Blitz zu Hilfe gekommen? Und jetzt rennst du davor weg?«

»Was soll ich denn machen?«

Lenne zögert. »Aber Erin ist Vita bestimmt nicht gewachsen! Sie hat selbst gesagt, dass Vita so furchtbar mächtig ist. Sie kommt nicht gegen sie an!«

»Nein, nein, das glaube ich auch, aber was sollen wir denn machen? Ich weiß einfach nicht, wie wir ihr helfen können.«

»Ich schon«, sagt Lenne da entschieden. Sie greift nach dem Beutel, der an der Schnur um ihre Hüfte hängt. »Jedenfalls hoffe ich das. Ich hoffe, dass das Ding hier genauso funktioniert wie dein Medaillon.«

Karim sieht zu, wie sie den Beutel aufmacht und den Inhalt auf ihre Hand rollen lässt. Zwischen Daumen und Zeigefinger hält sie die grüne Kugel hoch.

»Ich weiß nicht, ob ich es so richtig mache«, flüstert sie nervös. »Aber ich probier es einfach.« Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie in das grüne Glas. »Alba«, sagt sie laut und deutlich. Die grüne Kugel versprüht Funken. »Alba!«, sagt sie noch einmal. Dann wirft sie Karim einen verzweifelten Blick zu.

Aus einem Impuls heraus greift Karim ebenfalls nach der grünen Kugel, seine Hand um die von Lenne gelegt. Und zusammen rufen sie die Hexe zum dritten Mal: »ALBA!«

Plötzlich spürt Karim, wie sich ein paar eiskalte Finger um sein Handgelenk legen. »Lass los«, zischt eine frostige Stimme in sein Ohr.

Erschrocken zieht Karim seine Hand zurück.

Die Hexe mit den weißen Haaren steht neben ihnen. Sie sieht Karim böse an.

»Alba«, sagt Lenne schnell, »Du musst uns helfen!« Sie spannt die Finger um die grüne Kugel und hält sie beschützend vor sich. »Ich hab dich gerufen. Ich weiß nicht, ob ich das durfte, aber ich hab es einfach gemacht. Wir haben zusammen gerufen, Karim und ich. Es geht um Erin. Erin und Vita sind da drin …« Lenne streckt die Hand aus. »Sie kämpfen. Um mich, glaube ich. Und um Karim. Karim wollte mich beschützen, und dann wollte Erin Karim beschützen, und …«

Alba dreht sich wie ein Wirbelwind um und ist im Nu verschwunden.

»Wo ist sie hin?«, stammelt Lenne.

»Dahin«, sagt Karim und deutet mit dem Kopf zur Turnhalle. »Wohin sonst?«

»Sie trennen? Ich hoffe nur, das Erin und Alba zusammen zumindest ebenso mächtig sind wie Vita alleine.«

Von der anderen Seite kommt jemand durch den dunklen Gang gelaufen. Karim sieht auf. Es ist Jesse, dicht gefolgt von Arne.

»Da habt ihr euch ja endlich gefunden! Das Fest ist fast zu Ende. Wir kriegen auch alle noch ein Geschenk, aber dafür müsst ihr jetzt kommen.«

»Ein Geschenk?«, murmelt Lenne. Ihr ist im Moment nicht im Entferntesten nach Geschenken.

»Ja, eine Kerze«, verrät Arne. »Ich hab sie schon gesehen, mein Vater war mit, als sie sie bei einem Großhändler gekauft haben. Die verteilen sie jetzt am Schuleingang. Jeder, der vorbeikommt, um nach Hause zu gehen, kriegt eine kleine Kerze mit.«

»Ist gar nicht so schlecht«, meint Jesse. »So eine Art Teelicht in der Form von einem Kürbis.«

Karim und Lenne wechseln einen müden Blick. Was sollen sie denn jetzt mit einer albernen Kerze!

»Kommt ihr mit?«, fragt Jesse. »Deine Mutter sucht dich übrigens auch schon, Lenne. Du sollst helfen, Sachen zum Auto zu bringen.«

Lenne seufzt tief. Es bleibt ihnen wohl nicht viel anderes übrig, als mit den beiden Jungen zu gehen. Denn was sollten sie denn zu ihnen sagen? Gut, wir kommen gleich, aber erst müssen wir den Kampf zwischen ein paar Hexen abwarten. Ja, die sind nämlich zufällig gerade in unserer Turnhalle.

»Was habt ihr eigentlich hier gemacht?«, fragt Arne verwundert. Er stößt Jesse an. »Da gibt es mal ein wirklich tolles Fest, und die zwei hocken sich im Dunkeln in die Umkleideräume!«

Jesse kichert. »Die sind bestimmt verliebt!«

»Hör auf zu stänkern, du Idiot!«, zischt ihn Lenne entrüstet an. »Wir haben uns nur gegenseitig gesucht.«

»Und sie haben einander gefunden«, prustet Arne lachend und gibt Jesse noch einen vielsagenden Stoß.

»Lass sie«, sagt Karim leise zu Lenne. »Lass die Jungs doch denken, was sie wollen, alles ist besser als die Wahrheit.«

 

Lenne und Karim helfen Marit beim Einladen ihrer Sachen. Leere Flaschen, übrig gebliebene Äpfel, Glasschüsseln – alles kommt auf die Rückbank. »Und wenn ihr euch dann auch auf die Rückbank setzt, könnt ihr den Kram ein bisschen im Auge behalten«, sagt Marit. »Oh, Augenblick, ich habe noch eine Tasche vergessen.«

Karim und Lenne klettern schnell ins Auto, während Marit noch einmal hin und her rennt.

Lennes Blick schweift in Richtung Turnhalle. Da ist nichts zu sehen oder zu hören. Kein Gekreische, keine Blitze, keine Stichflammen. Eigentlich weiß sie selbst auch nicht so genau, was sie erwartet hat, doch auf jeden Fall nicht so eine Totenstille. »Wie ist das wohl ausgegangen?«, fragt sie Karim leise.

»Man sollte doch denken, dass es da richtig abgeht«, brummt er, »drei kämpfende Hexen in einer dunklen Halle. Aber ich sehe nichts.«

Viel mehr können sie dazu nicht sagen, denn Marit ist schnell wieder zurück. »Ihr seid heute so still«, bemerkt sie unterwegs. »Seid ihr müde von dem Fest?«

»Überhaupt nicht«, sagt Lenne. »Wie spät ist es?«

Marit schaut auf die Uhr. »Halb zehn.«

Karim tastet nach der Westentasche. Zum Teufel, er muss Marit und Noud noch von der kaputten Uhr erzählen. Seine Wangen beginnen bereits im Voraus zu glühen, so peinlich ist ihm das. Vielleicht ist es das Beste, einfach zu sagen, er hätte sie verloren.

»Sollen wir auch wieder beim Ausladen helfen?«, fragt Lenne, als sie vor der Tür parken.

»Nein, das braucht ihr nicht.« Marit schüttelt den Kopf. »Karim geht am besten gleich nach Hause. Seine Eltern finden wahrscheinlich auch, dass es jetzt Zeit ist, ins Bett zu gehen.«

»Es ist aber doch Wochenende«, murrt Lenne.

Karim steigt aus und bleibt zögernd neben dem Auto stehen. Nach Hause, denkt er, ins Bett – danach steht ihm der Sinn jetzt wirklich nicht. Wie soll er denn jetzt schlafen können? Unmöglich, nach dem, was passiert ist. Heute oder morgen explodiert sein Kopf noch von all den Informationen, die in ihm stecken. Wie soll er das alles noch länger für sich behalten können? Er will allen erzählen, was er weiß, er will darüber reden, er muss es loswerden. Jetzt brav in sein Zimmer und in sein Bett zu gehen und dann morgen wieder aufzustehen, als ob es ein ganz normaler Samstag wäre, Frühstück mit einem gekochten Ei, Hausaufgaben machen – das ist alles viel zu normal geworden. Er kann das einfach nicht mehr. Was ist mit Erin passiert? Wie soll es mit Rinnie weitergehen? Sollten Rinnies Eltern nicht inzwischen wissen, wo ihre Tochter ist? Karim seufzt. Er schlägt die Autotür mit einem Rums zu. Wie kann man Hexen mit dem alltäglichen Leben zusammenbringen? »Darf ich bei Lenne übernachten?«, fragt er Marit einfach so.

Marit blickt ihn zweifelnd an. »Aber ihr seid doch so müde.«

»Überhaupt nicht!«, ruft Lenne. »Und morgen können wir doch ausschlafen.«

»Hm … ich weiß nicht.« Marit hebt eine Tasche vom Boden auf.

Karim nimmt sofort die andere Tasche, die da steht. Er muss eben zeigen, dass er noch lange nicht müde ist.

»Also gut, von mir aus geht das«, sagt Marit kopfschüttelnd. »Aber fragt erst einmal bei Karim zu Hause nach.«

 

Eine Stunde später liegt Karim auf einer Luftmatratze in Lennes Zimmer.

»Ich wollte einfach nicht nach Hause. Mir platzt gleich der Kopf!«

»Mir meiner auch.« Lenne nickt. »Karim, wir müssen was tun. Ich geb uns jetzt noch dieses eine Wochenende. Wenn der ganze Wirbel mit Rinnie dann noch nicht zu Ende ist, gehe ich zu ihren Eltern. Es ist mir egal, ob wir uns mit der Hexengeschichte lächerlich machen oder nicht. Wenn sie uns nicht glauben wollen, also dann glauben sie uns eben nicht.«

»Aber vielleicht bringen wir Rinnie damit gerade in Lebensgefahr! Vita wird dann … also ich meine, Erin hat gesagt …«

»Ja! Erin hat so viel gesagt! Und wo bleibt sie in der Zwischenzeit mit einem Plan, um irgendwas zu ändern?«

»Es kann doch sein, dass sie einfach noch etwas Zeit braucht. Vielleicht ist sie ja gerade dabei, etwas auszutüfteln.«

»Du musst sie morgen rufen«, meint Lenne. Mit einer etwas weicheren Stimme fügt sie hinzu: »Zumindest, wenn sie noch in Ordnung ist.«

»Was meinst du mit in Ordnung?« Karim kaut auf seinen Nägeln.

»Du weißt, was ich meine. Ich hoffe nur, dass Alba rechtzeitig gekommen ist.« Lenne nimmt die grüne Kugel in die Hände. »Ich schlafe jetzt«, sagt sie dann und zieht sich die Bettdecke höher.

Karim knufft sich sein Kissen in die richtige Form, folgt Lennes Beispiel und fasst sein Medaillon an. »Ja, gute Nacht«, murmelt er verzweifelt. Er ist sich ganz sicher, kein Auge zutun zu können, doch nach wenigen Minuten ist er bereits in einem unruhigen Traum gelandet, in dem kahlköpfige Hexen eine große Rolle spielen.

Von einer Hand auf seiner Schulter schreckt er auf. Jemand rüttelt ihn. Den Kopf noch voller gruseliger Traumbilder, schlägt er die Hand wütend weg.

»Au!«, hört er Lenne sagen.

»Oh … tut mir leid«, stammelt Karim. »Ich hab gedacht, du wärst eine Hexe.

Lenne zeigt auf das Fenster. »Da draußen«, sagt sie.

Karim schießt von seiner Luftmatratze hoch. »Was?« Ängstlich starrt er auf die Vorhänge, die leicht hin und her schaukeln. »Und das Fester ist offen«, zischt er empört. »Hast du es aufgemacht?«

»Ja. Ich denke, dass sie auf uns wartet.«

»Wer?« Karims Stimme überschlägt sich. Die Erste, an die er denkt, ist die unheimliche kahle Zauberin, die gerade noch seine Träume unsicher gemacht hat.

Aber Lenne legt eine Hand auf seinen Arm und sagt beruhigend: »Es ist Alba.«

Karim findet das geöffnete Fenster allerdings immer noch keine so gute Idee. Er fasst nach dem Fenstergriff, um es wieder zu schließen.

»Nein, warte noch«, sagt Lenne. »Sie steht da nicht ohne Grund.«

Karim zögert. »Was glaubst du denn, was sie von uns will?«

»Das können wir nur rausfinden, wenn wir zu ihr gehen.« Lenne läuft zu dem Stuhl, über dem ihre Kleider hängen. »Ich zieh mich jetzt an, und dann geh ich sie fragen, warum sie da steht.«

»Willst du das wirklich machen?«

Aber Lenne ist noch nicht fertig mit Sprechen. Sie grinst. »Und ich erwarte von dir, dass du mitgehst, um mich zu beschützen, falls das nötig sein sollte.«

»Puh!«, stößt Karim aus.

Lenne schiebt ihm seine Socken zu, die auf dem Boden liegen. »Beeilst du dich ein bisschen?«