Scharmützel


»Am liebsten ginge ich rüber und würde der Tante ins Gesicht sagen, was ich von ihr halte!«

Thea ist außer sich. Daran kann auch das extragroße Stück Cordon Bleu mit einem Mount Everest Pommes nichts ändern.

»Die stellt uns hin, als wären wir die Schädlinge der Volksgesundheit! Dabei ist sie es doch, die die Leute krank macht!«

»Sie ist sowieso nicht im Büro«, sage ich vorsichtig und schaue deprimiert auf meinen Salatteller. Mir ist der Appetit vergangen. Schon dreißig Minuten nach Constanze Corzellis erstem Blogeintrag hat sie vierzig Kommentare bekommen, zwanzig positive und zwanzig negative. Inzwischen tobt dort wohl ein erbarmungsloser Krieg der Anschauungen.

»Ich kann nur hoffen, dass Sabine Müller den Fehdehandschuh auffängt«, teilt Thea kauend mit. Oh ja, muss sie wohl. Mein eh schon nicht vorhandener Appetit verflüchtigt sich endgültig.

»Die hat schon 119 Likes!« entsetzt sich Thea nach einem Blick auf ihr I-Phone. »Wahrscheinlich alles irgendwelche Salatfresserinnen – oh, entschuldige. Hast du keinen Hunger heute?«

»Nein«, sage ich mit knurrendem Magen. Natürlich habe ich Hunger. Ich habe immer Hunger. Aber mein Magen verweigert die Nahrungsaufnahme, wahrscheinlich ist es der Magen von Constanze Corzelli.

Als ich eine halbe Stunde später wieder im Büro bin, sind es schon 153 Likes. Und mindestens 50 bösartige Kommentare. Wenigstens halten 64 verteidigende Kommentare dagegen. Ich liebe das Internet. Stellen Sie sich vor, die Parteien stünden sich leibhaftig gegenüber! Dutzende keifender, zorniger Frauen! Es gäbe ein garantiertes Blutbad, von den ausgerissenen Haaren gar nicht zu reden, aus denen man zig Perücken machen könnte.

Schlammschlachten. Die Kombattantinnen sind jetzt dazu übergegangen, sich »Pussy« und »Quetschkommode« zu nennen. Eine »Christiane_123« erklärt sich bereit, großangelegte Verbrennungen von Frauenzeitschriften – vor allem natürlich unserer – zu organisieren, einen Button hat sie bereits entworfen. Er zeigt auf gelbem Grund die Buchstaben »CC«, um die rote Flammen züngeln. Da will »Model_new« nicht nachstehen und kontert mit einem Button, auf dem ein durchgestrichenes Kuchenstück abgebildet ist. Weiber!

Milkers, der beschwingt durchs Büro tappt, findet das alles »ganz toll!« Er redet von »Pageviews« und »Primary Klicks«, wahrscheinlich hat ihn Rasmus mit diesen Fachausdrücken bestückt. Hm, Rasmus. Der lässt sich nicht blicken.

Ich ertappe mich dabei, wie die Sabine Müller in mir ihr Contra auf Constanzes Blogbeitrag formuliert. Lass das sein, Paula! Kann ich nicht, entgegnet Paula, die Tussen lassen sich nichts befehlen. Ach so.

200 Likes. Milkers rennt euphorisiert durch die Räume. »Bei 1000 Likes verlosen wir ein Abo!« kommt ihm die grandiose Idee, die er sofort zu Rasmus trägt. Zehn Minuten später steht es auf unserer Facebookseite, weitere zwanzig Minuten später steuern wir auf die 500 Likes zu.

»Na, Frau Corzelli? Sie melden sich ja gar nicht!«

Auch das noch! Erwarten diese aufgescheuchten Hühner tatsächlich, dass ich zu allem meinen Senf dazugebe? Sie erwarten es. Milkers erwartet es auch, wie er mir mit einem tadelnden Blick zu verstehen gibt. Seufzend rufe ich das Blog auf. 99 Kommentare inzwischen, meiner wird der hundertste sein. Ob ich jetzt auch ein Abo gewinne?

»Liebe Leserinnen! Es freut mich, dass meine Zeilen dafür gesorgt haben, dass Sie hier engagiert über Sinn und Unsinn von Diäten und gesunder Ernährung streiten. Auch wenn die Diskussion bisweilen aus dem Ruder zu laufen scheint, wird doch eines klar: Es gibt Redebedarf. Ja, wir reden vielleicht die ganze Zeit aneinander vorbei und sind eigentlich gar nicht so weit voneinander entfernt. Was wir vermeiden sollten, sind Extreme. Die sind nie gut, wie wir alle wissen, nirgendwo. Nein, wir wollen keine Hungerhaken sehen – aber auch keine übergewichtigen Kinder, die ihre Pfunde kaum noch tragen können. Reden wir wie erwachsene Menschen, wägen wir Pro und Kontra ab. Das ist eine gute Idee, oder?«

»Wow, Constanze Corzelli, die Diplomatin! Erst hier Hass predigen und dann einen auf Friede, Freude, Eierkuchen machen! Halten Sie die Frauen wirklich für so blöde? Aber eins sage ich Ihnen: Ihre Zeit ist abgelaufen! Sogar in ihrer geldgeilen Redaktion gibt es Menschen, die GEGEN SIE SIND! Glauben Sie das nur, ich weiß es aus erster Hand! Mit verachtenden Grüßen Thea.«

Oh mein Gott, Thea! Ich muss sie bremsen, sie ist imstande und nennt meinen Namen! Mir wird abwechselnd heiß und kalt.

Zurück zu Facebook: Inzwischen 541 Likes, der Eintrag mit dem Link zu meinem Blog wurde 76 mal geteilt, zieht immer weitere Kreise. Mein Magen schreit nach Nahrung. Mein Gehirn schreit zurück. Gibt nichts!

»Paula?«

Ella, die schon wieder hinter mir steht.

»Also ich bin das nicht, ehrlich.«

»Was bist du nicht?«

»Na die, von der diese Thea geschrieben hat, dass sie gegen dich ist. Kann nur die Hungerbühler sein.«

Ich nicke und schenke Ella ein beruhigendes Lächeln.

»Weiß ich doch, dass du mir niemals in den Rücken fallen würdest, Schätzchen.« (Aber dafür stehst du mir dauernd im Rücken!)

Apropos die Hungerbühler. Wo ist die eigentlich? Wieder nicht an ihrem Arbeitsplatz. Ich stehe auf und gehe in die Kaffeeküche. Niemand da. Hm, ich müsste mal aufs Klo. Nein, nicht auf das nächstgelegene. Auf das am anderen Ende des Flurs, zwei Türen hinter Rasmus' Büro.

Tatsächlich! Da steht das Miststück (roter Ledermini, schwarze Netzstrümpfe, ein Pulli wie ein Freigehege für zwei beißwütige Möpse) über Rasmus' Schreibtisch gebeugt. Rasmus hat einen roten Kopf, sie reden miteinander, sie lachen, die Hungerbühler dreht sich auf ihren halsbrecherischen Stöckeln leicht hin und her, eindeutig Balz- und Begattungsbewegungen.

Ich stehe wie angewurzelt im Türrahmen, es dauert, bis mich Rasmus' Blick erfasst (kein Wunder, wo seine Augen höchstens zehn Zentimeter von Daniela Hungerbühlers Brüsten entfernt sind), sofort wird aus seinem roten ein käseweißer Kopf, er hebt die Augenbrauen – und ich drehe mich um, nichts wie weg hier!

Wenn ich mich jetzt an Daniela Hungerbühlers Computer setzen würde... das Büro ist gerade ziemlich leer und wer anwesend ist, tut ziemlich beschäftigt... wenn ich von ihrem Rechner aus etwas in Constanzes Blog schreiben würde... »Ja, ich bin auch auf eurer Seite, Thea! Ich kann die Corzelli nicht leiden, weil sie besser schreiben kann als ich! Bei mir reicht es nur für die Hofberichterstattung! Deine Daniela Hungerbühler«… wenn ich das schreiben würde... nein. So fies bin ich nicht. Außerdem verraten die Klacks auf dem Flur, dass die Hungerbühler zurückkommt. Mist.