Weiberabend, Vorspiel


Zwei Kilo. Die Waage lügt nicht. Der Blick in den Spiegel lügt nicht. Egal. Ich schlüpfe in die Jeans für Notfälle, Größe 40, den Knopf kriege ich bequem zu, ich muss kaum zehn Sekunden die Luft anhalten und den Bauch einziehen. Geht doch.

Gestatten, mein Name ist Paula Pfaff. Nein, nicht Constanze Corzelli, Sie müssen mich verwechseln. Sabine Müller? Nie gehört den Namen. Ja, natürlich, ich nehme immer den Aufzug! Körperliche Anstrengung? Habe ich nicht nötig. Jeden Morgen, wenn der Wecker klingelt, springe ich fröhlich aus dem Bett. Ich packe meine Nachwuchsgazelle ins Auto (nachdem wir ausgiebig gefrühstückt haben, versteht sich!) und fahre sie zur Schule, dann nehme ich die Umgehungsstraße und bin fünf Minuten später in der Redaktion. Doch, ich heiße noch immer Paula Pfaff. Constanze Corzelli ist mein Künstlername. Ich rufe das Textsystem auf und gebe meinen Rhabarberartikel den letzten Schliff, bis er in die Layoutschablone passt. Diesmal gibt es leckeren Rhabarberjoghurt! Er ist der erste Teil meiner Serie »Frühjahrsdiät – Schlank werden, ohne dass es wehtut«, nächstes Mal beschäftige ich mich mit voll leckeren und gesunden Sojakeimen. Ich liebe Sojakeime. Ich weiß nicht, wie das schmeckt, aber ich liebe sie, das weiß ich jetzt schon.

Mein Gott, wie sieht denn Ella heute Morgen aus? Ich mag ihre Beine, ja wirklich, aber muss sie sie unbedingt zeigen? Und in ihrem BH stecken heute nicht nur ihre Brüste, darauf würde ich wetten. Ich ahne, was dahintersteckt: ein Kerl. Heißt er zufällig Rasmus? Und wenn, was interessiert mich das?

Überhaupt: Alle Frauen im Büro sehen heute irgendwie anders aus. Sorgfältiger geschminkt, die Kleider kurz, die Hosen eng, die Oberweiten wie von Zauberhand um zehn Zentimeter größer. Oder täusche ich mich? Liegt es nur daran, dass ich heute so anders aussehe? Nur oberflächlich geschminkt, in einer Jeans, die ich sonst nicht mal für Gartenarbeit anziehen würde?

Ich rufe bei meinem Friseur an und vereinbare einen Termin für heute Mittag. Wenn schon unsportlich, dann sollte die Frisur wenigstens so aussehen, als würde ich jeden Tag mit einem Zehn-Kilometer-Waldlauf beginnen.

Acht Stunden später: Meine neue Frisur sieht aus, als hätte ich gerade einen Zehn-Kilometer-Waldlauf absolviert, wäre dabei dreimal gestolpert und kopfüber in die Brennnesseln gefallen. Horst – mein Friseur heißt wirklich so! - findet meine Haare natürlich »süß«. Würde ich auch, wenn ich sie verbrochen hätte.

Jetzt habe ich Hunger. Heute Mittag war fasten angesagt – oder sagen wir besser: Ich habe mich nicht ins Café Meier getraut. ER hätte ja dort sein können. Außerdem schäme ich mich vor Elvira nach dem gestrigen Auftritt. Und was hätte ich bestellen sollen? »Also bringen Sie mir bitte von der Lasagne, aber wenn der Herr wieder kommt – Sie wissen schon, der gutaussehende von gestern – dann kommen Sie schnell, räumen die Lasagne ab und stellen mir einen Salat hin.« Elvira ist eine altgediente Kraft, eigentlich kann sie nichts mehr überraschen. Aber bei dieser Nummer hätte sie bestimmt sofort den Notarzt gerufen.

Den Nachmittag verbringe ich damit, Leserinnenpost zu beantworten, mich köstlich zu amüsieren, als Daniela Hungerbühler mit ihren Zwölf-Zentimeter-Heels auf dem Teppichboden ins Stolpern gerät und beinahe hinhaut sowie mit zwei Besuchen bei Ludwig, um über das endgültige Design des Rhabarberfotos zu sprechen. Eigentlich hätte ich letzteres auch telefonisch erledigen können. Aber um zu Ludwig zu gelangen, muss ich an Rasmus' Büro vorbei. Die Tür steht offen, ich sehe seinen Rücken, mehr nicht, Rasmus dreht sich nicht um, beugt sich konzentriert zum Monitor hin. Verdammt, warum habe ich keine Heels an! Er kann so gar nicht hören, dass gerade eine Frau an seiner Tür vorbeigeht! Denn eins weiß ich genau: Jeder Mann, der die Geräusche von High Heels hört, schaut sofort, was in diesen Schuhen steckt.

Mein Gott, ich benehme mich tatsächlich wie ein Teenager!

Aus dem Friseurgeschäft – zum Auto sprinten – Alina abholen – schnell nach Hause fahren – aufbrezeln. Als Alina meine neue Frisur sieht, sagt ihre Stimme: »Wow, sieht prima aus!« Und ihre Lippen formen stumm: »Oh mein Gott!«

Aber ich habe jetzt keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Schminken, umziehen. Der schwarze Lederrock. Oder ist das zu gewagt? Steht da nicht für jedermann gut sichtbar »Ich suche einen Kerl!« drauf? Mir doch egal. Der Lederrock ist der einzige, der mir nach den zusätzlichen zwei Kilos noch passt.

Das Taverna gehört nicht zu meinen bevorzugten Adressen, wenn ich ausgehe. Okay, wann gehe ich schon mal aus. Aber wenn ich ausgehen würde, dann nicht hierhin, wo dir der Kellner nicht mal auf den Arsch schaut, wenn du reinkommst. Und das soll ein Italiener sein? Wer's glaubt...

Thea und drei ihrer Freundinnen haben bereits den größten Tisch des Lokals in Beschlag genommen, erste Karaffen mit Wein sorgen für hörbar gute Stimmung.

»Da bist du ja!« ruft mir Thea entgegen. Genau, da bin ich.

Vorstellungsrunde. Sibylle, die Frau mit der runden Brille und dem länglichen Gesicht, natürlich auch Lehrerin. Manchen Leuten sieht man ihren Beruf an der Nasenspitze an. »Du bist also die Paula, so, so.« Ich überlege noch, ob das jetzt nett klingen soll, als mir meine Nebenfrau herzhaft auf den Rücken schlägt. Birgit.

Sie ist die einzige, die von sich behaupten kann, aus gutem Grund bei den fetten Frauen zu sein. Nicht dass sie wirklich »fett« wäre. Sie hat einfach nur eine Menge Übergewicht. Dabei ist sie bildhübsch und lustig, gerade hat sie einen Witz erzählt und, ich sagte es schon, mir auf den Rücken geschlagen, damit ich auch darüber lache. Ich tue ihr den Gefallen.

»Wenn ich den in der Firma erzähle, krieg ich die Kündigung!« prustet sie los. Birgit arbeitet als Sekretärin in einer kirchlichen Einrichtung, man kann sich also denken, was für ein Witz das war.

»Ui«, lacht Ulla, »da werden deine Pfaffen aber grübeln, ob das mit dem Zölibat richtig ist!«

Ulla. Sie sitzt mir gegenüber. Eine knapp vierzigjährige klassische Schönheit, kurvenreich und dennoch schlank. Keine Ahnung, was sie arbeitet, vielleicht überlässt sie das ihrem Mann.

»Mein Mann holt mich um zwölf ab, bis dahin will ich was erlebt haben heute«, kündigt sie jedenfalls an. Wir nicken und studieren die Speisekarte. »Stellt euch mal vor, Mädels, die olle Corzelli wär jetzt hier und würde sehen, was wir gleich so wegspachteln!« platzt Birgit heraus. »Geh mir weg mit der«, winkt Ulla ab, »wenn ihr mich fragt, ist die völlig untervögelt.«

Luigi, der gerade die Bestellungen entgegengenommen hat, spitzt die Ohren. Also doch Italiener.

»Paula arbeitet ja mit ihr zusammen«, sagt Thea – und sofort stehe ich im Mittelpunkt, was mir aus naheliegenden Gründen peinlich ist.

»Na ja«, dämpfe ich gleich die Erwartungen, »ich hab kaum etwas mit ihr zu tun. Sie ist halt – die Corzelli.«

»Aber untervögelt?« will Birgit wissen.

»Hm...«. Ich überlege. »Würde ich so nicht sagen. Sie hat ein Verhältnis mit unserem Webmaster. Also... erzählt man sich.«

»Wow«, kommentiert Sibylle, »Die Obst- und Gemüselädy steht sexmäßig auf Frischfleisch. Webmaster sind doch meistens so knackige Typen.«

»Oder picklige Nerds«, weiß Ulla. Sie schaut mich erwartungsvoll an.

»Na ja... eher Frischfleisch«,sage ich und werde rot. Mein Gott, ich hätte nicht herkommen dürfen.