Jubeltag


Wenn sie die Möhren-Magerquark-Torte hingestellt haben, bringe ich sie um. Vielleicht noch mit zehn Selleriestangen als Kerzenersatz. Schlagzeile: »Diätpäpstin verschlankt Belegschaft einer Frauenillustrierten«, haha.

Nein, mir ist nicht zum Lachen. »Weißt du, was für ein Tag morgen ist?«: Ella, die kein Geheimnis für sich behalten kann. »Dienstag«, habe ich arglos geantwortet und Ella hat losgeprustet. »Na, dann lass dich mal überraschen!« Ich hasse Ella. Sie ist meine Lieblingskollegin in der Redaktion.

Abends beim Duschen ist es mir dann eingefallen. 19. März 2003. Oh mein Gott! Es war ein milder Frühlingsmorgen (doch, das gab es damals noch!), wir hockten im Konferenzzimmer und ließen die üblichen Wehklagen des Chefs über uns ergehen. Schon wieder Auflagenrückgang! Die Konkurrenz schläft nicht, also müssen wir umso wacher sein! Ich war keine drei Wochen bei Frau im Spiegel der Welt, froh, überhaupt diesen Job nach meiner Scheidung von Pascal bekommen zu haben, noch froher, dass meine Mutter tagsüber die Kleine versorgte. Zwangsledige Frau mit alleinerziehendem Kind, das ist fast so schlimm wie Gewohnheitsverbrecher, der sich als Security bei einer Bank bewirbt. Aber ich hatte eben Glück. Bis zu diesem Morgen.

Milkers, der damals gerade Chefredakteur geworden war, hob ein paar der Konkurrenzblätter in die Höhe, wortlos zunächst. Dann fragte er: »Was sehen Sie?« Na, was sahen wir schon. Genau die gleichen bunten Bilder wie auf unseren Titelseiten. Prinz William hat schon wieder eine Neue, Filmstar XY ist betrunken Auto gefahren, das Schlagersternchen YZ lässt endgültig die Hüllen fallen, damit sich der Mantel des Schweigens über ihr dünnes Stimmchen ausbreitet.

Milkers schnaubte verächtlich. »Ach? Bunte Bildchen? Ja! Aber schauen Sie mal genau hin.«

Wie gesagt: Ich war neu in der Redaktion. Ich wusste nicht, dass Milkers dieses Spielchen jedes Mal zelebrierte, dass niemand mehr genau hinschaute. Ich tat es. »Diäten«, sagte ich schüchtern, nachdem ich mich ausgiebig geräuspert hatte. »Die haben alle irgendwelche Diäten im Heft. Kein Wunder, es ist Frühjahr.«

Heute glaube ich, dass Milkers überhaupt nicht mit einer Antwort gerechnet hatte. Er schien überrascht, fixierte mich, schaute dann selbst auf die Titelblätter und begann zu nicken, ja, er wollte gar nicht mehr aufhören zu nicken.

»Frau Pfaff hat es erkannt! Diäten! Hier: Die Eisendiät! Hier: Die Kartoffelgratin-Diät. Und da: Die Garantiert-fünf-Kilo-pro-Woche-Wegschmelz-Diät! Gut beobachtet, Frau Pfaff!«

Es war mir unendlich peinlich. Einige Kolleginnen sahen mich scheel von der Seite an, die meisten dösten allerdings im Halbschlaf und hatten gar nicht mitbekommen, wie sich mein trauriges Schicksal anbahnte.

»Wir brauchen auch eine Diätseite!« verkündete Milkers jetzt und breitete die Arme wie ein Evangelist aus, der gerade versucht, die letzten Sünder vor dem Fegefeuer zu retten.

Einige in der Runde nickten. Klar, brauchten wir. Konnte nichts schaden. Immerhin hatten wir schon eine Katzen-, eine Eheprobleme- und eine Mikrowellengerichte-Seite, warum also keine Diätseite?

»Wer übernimmt's?«

Niemand meldete sich. Jeder wusste, dass Milkers längst eine Kandidatin auserkoren hatte. Ella griente in sich hinein. Wer auch immer unsere zukünftige Diätexpertin sein würde – sie ganz bestimmt nicht. Man nimmt keine einssechzig kleine Blondine, die beim Wiegen immer denkt, dass sie wohl sehr schwere Knochen haben muss, weil die 75 Kilo anders nicht zu erklären sind.

»Frau Pfaff wäre doch geeignet«, meldete sich plötzlich Daniela Hungerbühler (allein wegen des Namens hätte man sie nehmen müssen!). War jetzt klar. Sie hatte mir von Anfang an den Zickenkrieg erklärt, Daniela, unsere Frau für das englische Königshaus, Daniela, die in Stutenbissigkeit promoviert zu haben schien.

Alle schauten mich jetzt an. Ich musste rot geworden sein, Ella nickte mir aufmunternd zu, aber was viel schlimmer war: Auch Milkers nickte. Was also sollte ich machen? Ich nickte ebenfalls.

So also hat alles angefangen, so wurde ich Constanze Corzelli, CC für unsere Leserinnen, alle zwei Wochen achtzig Zeilen und ein paar hübsche Fotos garantiert schlankmachender Nahrungsmittel.

Dass man mir ein Pseudonym verpasste, dafür hatte ich volles Verständnis. Paula Pfaff, PP für unsere Leserinnen, das ging gar nicht. Aber warum wollte Milkers kein Bild von mir im Kolumnenkopf? Gut, ich bin nie schön gewesen. Aber auch nicht hässlich. Ich sehe – nett aus. Und damals, mit 34, sowieso. Nicht gertenschlank, normalgewichtig eben, eine Frau mit Kleidergröße 38, die zur Not auch in 36 kriechen konnte, ohne wie eine Wurst auszusehen. Oder doch wenigstens wie eine leckere Wurst. Schöne Zeiten, ferne Zeiten.

Milkers hatte es mir dann erklärt. »Constanze Corzelli ist eine Marke, meine Liebe, verstehen Sie? Kein Mensch aus Fleisch und Blut, nichts, das altern oder sich sonst wie verändern darf. Und was tun wir, wenn Sie eines Tages die Kolumne nicht mehr schreiben? Wenn Sie keine Lust mehr haben oder uns verlassen? Dann müssten wir das Bild austauschen! Was glauben Sie, wie das unsere Leserinnen in existentielle Krisen stürzen würde!«

Ich verstand das. Man kaufte bei einer Fotoagentur das Bild eines jungen, superschlanken australischen Models, eines Mädchens, dessen Namen ich niemals erfahren werde und das selbst niemals wissen wird, dass es in Deutschland als »Diätpäpstin Constanze Corzelli« seit exakt zehn Jahren die beste Freundin der mit Kilos reich gesegneten Frauen ist. Stattdessen erscheint sie alle zwei Wochen auf Seite 14 und lächelt, lächelt für immer und ewig – und altert nie. Im Gegensatz zu mir.

Die erste Kolumne wurde die längste meines Lebens. Ich verbrachte Stunden mit den Formulierungen, die Sätze verfolgten mich überall hin, bis ich – nach genau 80 Zeilen – endlich ein Punkt setzen konnte. »Die Traumfigur – und warum sie kein Traum bleiben muss«. Die Überschrift gefiel.

Wir haben unser Versprechen gehalten. Die Traumfigur ist kein Traum geblieben, sie ist ein Albtraum geworden. Millionen von Kalorien haben uns den Krieg erklärt und bombardieren uns mit Fettzellen, süße Zuckerschlangen versuchen uns und vertreiben uns aus dem Paradies des idealen Body-Mass-Index. Doch noch gibt es Hoffnung! Constanze Corzelli, die Heilige Johanna der Übergewichtigen, zückt ihr Schwert und tritt dem Feind mutig entgegen! Die Kiwi-Diät! Die Blumenkohl-Diät! Die Ich-esse-nach-achtzehn-Uhr-nichts-mehr-Diät!

Alle zwei Wochen ist jene Seite 14 die erste, auf die sich unsere von Dickmachern gebeutelten Leserinnen stürzen, sie betrachten das schöne bunte Bildchen und wundern sich, dass schnöde Sojapampe so unsagbar lecker aussehen kann. Nun ja, wir haben einen prima Fotografen und das beste Bildbearbeitungsprogramm der Welt.

Zehn Jahre, in denen viel passiert ist. Meine Kleine ist inzwischen größer als ich, eine siebzehnjährige Gazelle mit pubertären Launen und einem Magen, der alles verdaut und dafür sorgt, dass sich kein Gramm Fett im Körper als Dauermieter einnisten kann. Ich selbst bin jetzt Mitte Vierzig, in der Redaktion etabliert, sogar Daniela Hungerbühler wagt es nicht mehr, mich offen zu attackieren.

Nur manchmal, wenn sie glaubt, ich bemerke es nicht, lächelt sie hämisch. Immer dann, wenn ich morgens vor dem Kleiderschrank gestanden und mich für ein Kleid in Größe 38 entschieden habe, obwohl mir mein Verstand sagt, es sollten doch wenigstens 40 sein. Aber seit wann hört eine Frau auf ihren Verstand? Sie ist froh, dass sie einen hat, schließlich unterscheidet sie das vom Mann. Außerdem ist es gesund, acht Stunden am Tag den Bauch einzuziehen. Ob das wissenschaftlich erwiesen ist? Nein. Aber Constanze Corzelli schwört darauf.