Bumm!


Etwas ist geschehen. Wie befürchtet, habe ich die ganze Nacht wachgelegen. Meine Wunsch- und meine Albträume haben es fröhlich miteinander getrieben und kleine Bestien gezeugt. In Rasmus' Armen in Rasmus' Bett – und dann wandert seine Hand über meinen Bauch...

Meinen Bauch! Ja, die Haut dort ist straff! Aber nicht vor lauter Jugendlichkeit, sondern weil ich so verfressen bin! Dann hüpfen wir in Zeitlupe über eine grüne Wiese, ich trage ein geblümtes Kleid (logo...), Geigen zirpen romantische Fahrstuhlmusik... und plötzlich liegt Daniela Hungerbühler vor uns im Gras. Sie sonnt sich. Sie ist nackt. Sie war gerade beim Silikontanken, ihre Brüste sehen aus wie aus dem Lehrbuch für pubertierende Jungs. Und Rasmus, dieser elende Verräter, stürzt sich sofort auf die Hungerbühler...

In diesem Moment konnte ich nicht mehr. Ich weiß nicht, ob ich geschlafen habe oder nicht, jedenfalls saß ich aufrecht in meinem Bett, schwitzte, mein Herz schlug panisch bis in den letzten Winkel meines geschundenen Körpers. Ich stand auf, ich war wütend, wütend auf Rasmus, wütend auf die Hungerbühler, aber vor allem wütend auf mich selbst. Schluss damit!

An den Computer, die Textverarbeitung hochfahren. Schreiben. »Manifest! Wir sind alle fett! Von Sabine Müller«.

»Frauen! Es ist genug! Befreit euch aus den Ketten der Sklaverei, lasst die Einflüsterer hinter euch, hört nicht mehr auf ihre dummen Sprüche, mit denen sie euch Schuldgefühle einreden wollen! Werdet selbstbewusst! Solidarisiert euch mit all jenen, die jeden Morgen auf der Waage stehen und zu heulen anfangen! Wir alle sind fette Frauen und wir sind stolz darauf! Wir sammeln die Frauenzeitschriften mit ihren unsinnigen Diätseiten, ihren Constanze-Corzelli-Kolumnen und ihren Molly-Moden, wir werfen sie auf einen großen Haufen und entzünden ein Freudenfeuer! Wir tragen einen großen Button an der Jacke: ICH BIN FETT! Wir emanzipieren uns! Wir beginnen unsere Körper zu lieben, wir machen lustvollen Sex mit diesen Körpern, wir zeigen diese Körper und ihre pralle Erotik! Wir sind Frauen! Wir sind fett! Wir sind stolz darauf!«

So! Ha! Jetzt geht es mir besser!

Jedenfalls bis zum Morgen. Bis zum Frühstück mit meiner Süßen, die sich angewöhnt hat, mir kommentarlos das Nutellaglas rüber zu schieben. Ich greife zögernd danach. Hm. Ist ja Knäckebrot drunter, also darf ein bisschen Schokocreme drauf sein. Constanze Corzelli und Sabine Müller schließen einen Kompromiss.

»Was liegt heute an?« Die Frage habe ich befürchtet. So tun, als wäre alles ganz normal.

»Och... nichts besonderes, mein Schatz. Wie lange hast du heute Schule? Ach ja, gut. Dann hole ich dich ab, mach dir was zu essen, dann müssen wir mal über deinen letzten Englischaufsatz reden – das geht besser, mein Liebling! - wir machen das Geschirr zusammen, dann mach ich mich fertig, spätestens um elf bin ich wieder daheim, da schläfst du ja schon und...«

»Hallo? Wie fertig? Wie spätestens um elf? Du gehst weg? Du isst nicht mit mir zu Abend oder wie soll ich das verstehen?«

Sie hat es gemerkt. Meine Tochter ist schlau, sie sieht mir an der Nasenspitze an, dass etwas nicht stimmt.

»Ja. Ich gehe... aus. Essen. Grieche. Was dagegen?«

»Er?«

»Wer?«

»Sag's oder ich nehm dir das Nutella weg.«

Kinder sind schreckliche Erzieher ihrer Eltern. Also kapituliere ich und nicke.

»Ist aber nur ein Arbeitsessen. Wir müssen einiges besprechen und du weißt ja, wie das ist. Im Büro ist immer alles so hektisch, man hat keine Zeit und das mit den sozialen Medien ist...«

»Hör auf«, sagt Alina nur knapp. »Keine Ausflüchte, das ist nur peinlich. Außerdem weiß ich genau, wie das ist. Ihr wollt mal allein sein, ist doch okay. Hauptsache, keiner von den Heiratsschwindlern aus dem Internet.«

Stimmt auch wieder.

»Wenn du heute Nacht bei ihm schläfst, sagst mir aber bis elf Bescheid, damit ich meinen Wecker eine Stunde später stellen kann.«

Ich verspreche es hoch und heilig.

Langsam werde ich wach. Was ist gestern Nacht passiert? Ich habe etwas geschrieben. Völligen Unsinn, irgend so ein Manifest. Puh! Gott sei Dank habe ich es nicht gleich an Thea geschickt, damit sie es auf die Webseite knallen kann. Oder? Ich habe es doch nicht etwa an Thea geschickt?

Panik. Schnell den Rechner hochfahren, das Mailprogramm öffnen. Nur das Übliche. Ich habe in der spanischen Emaillotterie zum fünfzehnten Mal in diesem Jahr 800.000 Euro gewonnen, ein Herr aus Kenia möchte mich gerne kennenlernen, weil sein Onkel verstorben ist und ein Konto hat, an das der Herr ohne mich nicht rankommt, Viagra gibt es jetzt auch in der preisgünstigen Familienpackung und Thea bedankt sich überschwänglich für »dein geiles Manifest, liebste Sabine! Wir müssen uns unbedingt mal kennenlernen! Ruf mich an, ja?«

Paula, das kann nicht gut enden. Paula, du steuerst auf eine Katastrophe zu. Lass Sabine Müller sterben! Sie steht dir im Weg!

In der Redaktion steht mir zuerst einmal die Hungerbühler im Weg. Sie balanciert auf verboten hohen Absätzen über den Flur, mit einem Berg Papier beladen, der gleich unweigerlich einstürzen und auf dem Teppichboden landen wird.

»Kann ich Ihnen helfen?«

Sie schaut mich dankbar an und drückt mir das Papier in die Arme. »Danke! Ich komme aus dem Archiv, wir planen eine große Serie Die Prinzessinnen und ihre Babys, angefangen bei Prinzessin Amalie von Dünkirchen im Jahr 1379. Wird bestimmt ein Knaller!«

Ja, befürchte ich auch. Und wieso tue ich der Kuh plötzlich einen Gefallen? Ich sag's ja: Katastrophen.