29

 

„Ich hab’ dich vermisst.“

Marc lächelte sie an, wirkte viel entspannter als am Mittag. „Ich hatte etwas zu erledigen.“ Marc lachte leise. „Ich war unterwegs um mich abgrundtief zu blamieren.“

„Erzähl.“

„Erst wolltest du mir etwas erzählen. Oder hast du es schon vergessen?“

Noel hob die Hand und strich über Marcs Wange. Seine Gesichtszüge wirkten so entspannt. Sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde zerspringen. Seine Lippen strafften sich, verzogen sich zu einem Lächeln, das unermessliches Glück ausdrückte.

Wie hätte sie vergessen können, was sie ihm sagen wollte? Sie versuchte ernst zu bleiben, schaffte es aber nicht, sich ein Lächeln zu verkneifen.

Marc setzte sich zu ihr auf die Bettkante.

„Das von Dr. Malstein verordnete Paracetamol scheint gut zu wirken.“

Noel hob die Hand wieder an seine Wange, die sich warm und rau anfühlte.

„Du denkst, dass ich ihm mehr vertraue als dir, stimmt’s?“

Wider Erwarten lächelte Marc und schüttelte den Kopf.

„Ich hatte Angst, Ralf hätte dich vergewaltigt, als du wehrlos gewesen bist.“

„Was?“ Sie hielt sich die Hand an die Stirn. „Wie bist du bloß auf so eine Idee gekommen?“

Marc zuckte die Schultern. „Der Gedanke hatte sich plötzlich in meinen Kopf gebrannt. Du wolltest nicht noch einmal wehrlos sein und du hast nach deinem Gynäkologen verlangt.“

„Und ich wollte nicht mit dir reden.“ Sie senkte den Kopf, als ihr klar wurde, was für Ängste er um sie ausgestanden haben musste, nur weil sie geschwiegen hatte. Es war an der Zeit es zu ändern.

„Hätte ich geahnt, dass du auf solche Ideen kommen würdest, hätte ich es dir früher erzählt.“

„Was?“ Er rückte näher an sie heran und drückte ihre Hand in seiner.

„Ich hatte Angst, dass nach allem was geschehen war …“ Sie sah ihm tief in die Augen und hoffte, er würde sich über ihre Nachricht genauso freuen, wie sie selbst.

„Eigentlich dürfte es gar nicht möglich sein.“ Sie schluckte. Wieso grinste er die ganze Zeit? „Aber ich bin schwanger.“

Marc schloss die Augen, küsste ihre Hand, die er zwischen seinen beiden Händen umklammert hielt.

„Wir bekommen ein Baby?“, seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, seine Augen glänzten.

„Marc, ich kann dir nicht mit Sicherheit sagen, dass du der Vater bist.“ Sie spürte die Tränen kommen.

Marc legte seinen Daumen unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.

„Wenn du mit keinem anderen Mann außer mir und Ralf geschlafen hast, dann bin ich der Vater.“ Er strahlte über das ganze Gesicht. „Das weiß ich mit Sicherheit.“

„Natürlich habe ich mit keinem anderen Mann geschlafen“, sagte sie empört. „Was weißt du, das ich nicht weiß?“

Marc lachte leise. „Nachdem ich dachte, Ralf hätte dich vergewaltigt, habe ich ihm einen Haftbesuch erstattet. Ich habe ihm erzählt, weshalb ich meinte, er hätte dich vergewaltigt.“

Noel hielt sich die Hand vor den Mund. „Wie hat er reagiert?“

„Zumindest hat er mich nicht ausgelacht. Er war sehr reuig, konnte nicht verstehen, was in ihn gefahren war. Aber eine Vergewaltigung hat er so vehement abgestritten, dass ich ihm geglaubt habe.“

„Ich hoffe, er bleibt für den Rest seines Lebens reuig. Ich werde ihm niemals verzeihen, was er mir angetan hat und damit meine ich nicht einmal meine körperlichen Wunden.“

„Ich weiß“, sagte Marc und strich immer wieder mit dem Daumen über Noels Hand.

„Er hatte dann die Idee, dass du Dr. Malstein wegen eines Schwangerschaftstests gerufen haben könntest.“

„Dann war meine Nachricht gar keine Überraschung für dich?“

„Die Schönste, die du mir machen konntest. Ich wusste ja nicht, dass er damit Recht hatte.“

„Ich verstehe aber nicht, weshalb er so eine Idee haben konnte.“ Sie holte tief Luft und schluckte. „Ich bin nie diejenige gewesen, die keine Kinder bekommen konnte? Deswegen weißt du auch, dass nur du der Vater sein kannst, richtig?“

„Er hat eine Vasektomie bei sich machen lassen.“

Noel schüttelte fassungslos den Kopf.

„Mit was für einem Menschen habe ich nur zusammengelebt?“

„Mit einem, der unter dem Druck der Außenwelt zusammengebrochen ist, denke ich. Ich habe ihm länger zugehört, als ich es vorgehabt hatte.“

Noel hörte ihm aufmerksam zu.

„Er wollte es seinen Eltern Recht machen, er wollte es dir Recht machen und er wollte ein angesehener Arzt sein. Aber er wollte keine Kinder. Dafür wollte er viele Dinge, die weder seine Eltern noch du verstanden hättest.“

„Ich werde trotzdem niemals Mitleid für ihn empfinden können. Er hat Amelies Leben auf dem Gewissen, mich jahrelang hinters Licht geführt und er wollte mich umbringen.“ Sie beschloss auf der Stelle, diesen Lebensabschnitt hinter sich zu begraben. „Was ist mit seinem Auge?“

„Du hast bis zur letzten Sekunde gekämpft und es nicht vergessen. Wie kannst du dir jetzt noch Sorgen um ihn machen?“ Er strich ihr übers Haar. „Er wird einige Operationen über sich ergehen lassen müssen. Dann kann er damit rechnen, die Sehkraft zurückzuerlangen.“

„Ich hoffe nur, dass sie alle lange genug hinter Gitter gesperrt werden.“

„Es liegen ausreichend Beweise vor.“

Marcs Blick wurde ernster. „Dir ist aber bewusst, dass unser Baby es vielleicht nicht schaffen wird, nach allem, was dir geschehen ist?“

Noel senkte den Kopf. „Deshalb habe ich dir nichts erzählt, bevor Dr. Malstein hier gewesen ist.“

Marc drückte ihre Hand. „Ich bin bei dir, egal, was geschieht. Du weißt ja, ich wünsche mir einen Haufen Kinder.“

Noel wischte sich eine Träne von der Wange und sah Marc in die dunklen Augen. „Und ich bin in der Lage, sie dir zu schenken. Aber ich fühle tief in mir, dass alles gut gehen wird.“

Noel schloss zufrieden die Augen und schob sich die Decke bis zu den Beinen hinab. Sie zog ihr Krankenhaushemdchen hoch, entblößte den Bauch und öffnete die Augen.

„Gib mir deine Hände“, sagte sie leise.

Unsicher legte Marc seine Hände auf ihren Bauch. Sie legte ihre auf seine und erzitterte unter seiner Berührung.

„Ich kann nicht fassen, dass wir ein Baby bekommen“, sagte Marc. Er schob die Hände etwas höher und senkte die Lippen auf ihren Bauch.

Noel seufzte. „Marc?“

Er hob den Kopf. „Hmm?“

„Ich habe nie gesagt, dass wir ein Baby bekommen.“

Er sah verwirrt auf. „Du hast gesagt, du bist schwanger.“

„Richtig.“

Als sie in sein verunsichertes Gesicht sah, wusste sie, dass sie niemals aufhören würde, ihn zu lieben. Sie zog ihn in ihren Arm und strich durch sein Haar.

„Wir müssen über zwei Vornamen nachdenken.“

 

E N D E