20

 

„Darf ich dir nachschenken?“

Noel sah in ihr fast leeres Weinglas, überlegte und reichte es Marc entgegen. Sie beobachtete ihn unverhohlen, während er den Rotwein in ihr Glas fließen ließ. Das Flackern des Kaminfeuers spiegelte sich in seinen Augen wider. In der dunklen Beleuchtung hob sich sein weißes T-Shirt noch deutlicher von seinen dunklen Oberarmen ab. Er lag seitlich zwischen den Kissenbergen, den Ellenbogen aufgestützt, den Kopf in die Hand gelehnt und sah Noel lächelnd an, die im Schneidersitz neben ihm auf dem Boden saß.

Es war das erste Mal, dass sie sich mit ihm, wie mit einem richtigen Freund unterhielt. Sie hatten alle Probleme ausgesperrt, als sie das Haus betreten hatten, es sich gemütlich gemacht und sich über Gott und die Welt unterhalten.

„Habt ihr nicht mal darüber nachgedacht, ein Kind zu adoptieren?“ Marc hob fragend die Augenbrauen. „Alles, was du mir gerade über die Zeit mit Amelie erzählt hast zeigt, dass du in der Rolle als Mutter aufgegangen bist. Es hört sich an, als wenn du wirklich glücklich gewesen wärst.“

„Das war ich.“ Verstohlen wischte sie sich die Träne aus dem Gesicht, die ihre Wange hinab rollte. Sie nippte an ihrem Wein und stellte das Glas hinter sich auf den Beistelltisch. „Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich hatte zu sehr daran zu knabbern, dass ich keine eigenen Kinder mehr bekommen kann.“

„Gab es Komplikationen bei Amelies Geburt?“

Noel schüttelte den Kopf. „Deswegen kam es auch so unerwartet. Nachdem es einfach nicht geklappt hat, hat mich Ralf zu einer Gynäkologin in der Klinik gebracht. Sie hat festgestellt, dass ich nach einer unbemerkten Eileiterentzündung unfruchtbar bin.“ Als sie Marcs Hand auf ihrer spürte, öffnete sie die Hand und ließ es zu, dass er sie drückte. Sie hatte das Gefühl, dass Marc sie verstand. Das war eine Empfindung, die sie bei Ralf vermisste. Für ihn war das Thema nach der Untersuchung erledigt gewesen. Wie sehr sie darunter litt, hatte er nie bemerkt, weil er sich vor dem Thema verschlossen hatte.

Marc richtete sich auf und setzte sich ebenfalls im Schneidersitz neben Noel.

„Ich habe mir immer einen Haufen Kinder gewünscht.“ Er breitete die Hände aus und deutete durch den Raum. „Stattdessen wohne ich allein in meiner kleinen Hütte.“

„Vielleicht findest du eines Tages die richtige Frau, die dir deinen Haufen Kinder zur Welt bringt.“

Marc atmete hörbar laut aus. „Nicht ohne dass ein Wunder geschieht.“ Er sagte es flüsternd und Noel erkannte den Schmerz hinter seinen Worten.

„Wer ist der Vater von Amelie gewesen?“, fragte er vollkommen überraschend.

„Ein egoistischer Mistsack“, sagte Noel, lächelte jedoch. „Eine Jugendliebe. Der große Alptraum meiner Eltern. Ein Musiker, der durch die Lande gezogen ist.“

„Und du bist mit ihm durchgebrannt?“

„Gleich nach meiner ersten Ausbildung. Ich war blind vor Liebe und die Reisen waren Ideal für meinen Job.“

Er lächelte. „Die Fotos in deinem Haus sind von dir, stimmt’s?“

Noel trank ihr Glas leer, hielt es ihm noch einmal entgegen und wartete, bis er ihr und sich selbst nachgeschenkt hatte.

„Erraten.“

Marcs Augen leuchteten, seine Lippen deuteten ein Lächeln an. „Ich habe es gewusst, als ich sie betrachtet habe. Was ist aus dem egoistischen Mistsack geworden?“

Noel zuckte die Achseln. „Als er von der Schwangerschaft erfahren hat, war ich für ihn erledigt. Nach diesem Verhalten war er es für mich allerdings auch. Ich habe ihm nicht nachgeweint.“

„Wieso hast du mit dem Fotografieren aufgehört?“

Noel holte tief Luft und ließ sie seufzend wieder aus dem Mund heraus. „Nach Amelies Tod bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Dann habe ich die Schwesternausbildung begonnen. Es hat sich so entwickelt, dass ich einfach nicht genug Zeit für den Job, die Leidenschaft und meinen Mann hatte.“

„Deine Werke sind großartig, Noel.“ Er sah sie lang und eindringlich an. „Solch eine Liebe und Begabung solltest du niemals aufgeben.“

Sie lächelte ihn zaghaft an. „Vielleicht habe ich den Kopf wieder dafür frei, wenn Amelies Tod gesühnt ist.“

Marc hob den Arm und zog Noel an sich heran. Mit geschlossenen Augen genoss sie seine Nähe und hatte das Gefühl mit seiner Hilfe alles erreichen zu können. Der einzige Wehrmutstropfen, der ihre Seele bedrückte, war der Gedanke daran, wie sehr sie die Nähe eines anderen Mannes genoss. Marc war einfühlsam, machte kein Geheimnis daraus, dass er sie mochte, und hielt sich trotzdem ehrenhaft und anständig zurück.

Sie lag noch lange wach in seinem Bett und versuchte sich jede Faser seines Körpers, seines Gesichtes und seines einfühlsamen Wesens einzuprägen, während er die dritte Nacht in Folge auf dem Sofa verbrachte.

 

„Langsam mache ich mir wirklich Sorgen. Ich kann ihn immer noch nicht erreichen.“ Marc reagierte mit einem Schulterzucken und einem argwöhnischen Gesichtsausdruck.

„Bist du mal auf die Idee gekommen, dass er ein Verhältnis haben könnte?“

Noel knallte die Kaffeetasse, die sie in der Hand hielt, auf den Küchentisch. „Das würde dir wohl sehr zugutekommen, was?“

Marc biss seelenruhig in sein Brötchen, ohne sie anzusehen, kaute, schluckte und blickte sie erst dann an. „Wäre mir das zu verübeln?“

Noel stand auf wandte ihm den Rücken zu und sah in den Obstgarten. „Vielleicht hast du gar nicht mal so Unrecht. Mir ist der Gedanke selbst schon gekommen.“

Marc schob seinen Teller von sich, stand auf, ging zu Noel und legte ihr die Hände auf die Schultern.

„Du hast mehr verdient, als deine Ehe dir gibt. Selbst ein Blinder sieht, dass du nicht glücklich bist.“

„So kann es nicht weiter gehen, Marc.“ Sie wandte sich ihm zu und sah ihm fest in die Augen. „Ich werde mir jetzt ein Taxi rufen und nach Hause fahren.“

„Rede keinen Unsinn. Ich fahre dich.“

„Okay“, sagte sie leise und senkte den Blick zum Boden. Sie konnte ihm nicht eine Sekunde länger in diese unglaublich vielsagenden Augen sehen, die sie schon seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf bekommen konnte. Die Gespräche wurden zu eng, zu bedrohlich, die Versuchung allgegenwärtig. Das Einzige, was ihr blieb, war die Flucht vor den Gefühlen, die an ihr nagten.

Sie packte ihre Sachen zusammen und wartete vor der Kommode im Flur auf Marc. Mit zusammengepressten Kiefern kam er auf sie zu und blieb stehen.

„Bist du so weit?“, fragte er barsch.

Sie nickte und wollte Richtung Tür gehen, als er sie plötzlich gegen die Wand drängte, eine Hand rechts, eine links von ihrem Kopf.

„Bitte nicht schon wieder, Marc. Ich will das nicht!“

„Zum Teufel nochmal, sehe denn nur ich, was zwischen uns beiden los ist?“

Noel versuchte ihm auszuweichen, doch er ließ es nicht zu und packte sie an den Handgelenken.

„Du bist doch größenwahnsinnig“, hörte sie sich sagen. Ihre Stimme klang unsicher und zittrig und schien ihn genauso wenig zu überzeugen, wie sie selbst.

Er kam einen Schritt näher, sodass seine Oberarme ihre Schultern berührten.

„Bitte mach es nicht kaputt, Marc.“ Sie sah, wie er schluckte, sah sein Gesicht, seine Lippen und versuchte empört ihm auszuweichen, als er genau diese auf ihren Mund presste. Ohne Rücksicht auf ihren Widerstand drang er mit seiner Zunge in ihren Mund. Sie kämpfte gegen seine Hände, gegen seine Lippen und gegen seinen Körper, der sie bedrängte. Und sie spürte seine Erektion. Als er endlich nachgab und ihre Hände losließ, trommelte sie auf seine Brust ein. Seine muskulöse, breite Brust. Seine Hände umschlossen ihr Gesicht. Sie spürte seinen heißen Atem auf der Haut, krallte sich in sein Shirt und drängte seine Zunge aus ihrem Mund, um nun den seinen zu erforschen. Ihr Herz raste. Ihr Schoß schmerzte vor süßem Verlangen. Während sie seinen Mund schmeckte und ihren Unterleib an ihm rieb, zerrte sie sein Shirt aus der Hose und über den Kopf.

Er stöhnte und murmelte unverständliche Flüche, als Noel ihren Kopf auf seine Brust senkte und ihn entlang der Narbe küsste, bis sie durch sein Hosenbund gebremst wurde.

Marc zog sie zu sich herauf und sah sie benommen an. „Oh Gott, Noel.“ Er übersäte ihren Hals mit einer Serie zarter Küsse und begann die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen. „Ich will das schon so lange.“

„Nimm mich“, hauchte sie ihm ins Ohr und zerrte dabei an den Knöpfen seiner Jeans, bis sie ihn davon befreit hatte. Ihr Blut kochte in ihren Adern und wurde von seinem kräftigen Körper weiter erhitzt.

„Nicht so schnell du kleines Raubtier.“ Er öffnete ihren BH, streifte ihn von den Schultern und wiegte beide Brüste in seinen Händen. Zärtlich reizte er ihre Knospen, die sich unter seiner Berührung erregt aufrichteten. Als sie seine Zunge spürte, seufzte sie überrascht von diesem neuartigen Gefühl. In ihrem Körper lösten sich Qualen, die sich über Jahre angestaut hatten und kämpften um die Befreiung aus dem Gefängnis, das sie sich selbst auferlegt hatte. Sie befreite sich von ihrer Hose, stemmte sich auf die Kante der Holzkommode und schlang ihre Schenkel um Marcs Hüften. Erhitzt und unruhig atmend zog sie ihn an sich und sah ihm fest in die Augen. Seine Lippen bebten, seine Augen wanderten über ihren Körper. Dann fasste er ihr unter die Schenkel, zog ihr Becken bis an die Kante der Kommode und drang mit einem einzigen Stoß in sie ein. Ein überraschter Schrei entrang sich ihrer Kehle, als sie ihn in sich spürte. Sie krallte sich in die Haut seines Rückens, versenkte die Zähne in seinem Nacken und ritt ihn, als würde der Teufel sie jagen. Sein keuchender Atem und der verschwitzte, kräftige Körper trieben sie gnadenlos dem Gipfel entgegen. Schneller. Kräftiger. Tiefer. Noel schloss die Augen. Fühlte ihn. Hörte ihn. Schmeckte ihn. Vertraute ihm. Mit einem hemmungslosen Schrei sackte sie in seinen Armen zusammen und krallte sich an seine bebende Brust. Marc wiederholte leise murmelnd immer und immer wieder ihren Namen und presste sie an seine Brust, die sich mit jedem Atemzug kräftig hob und senkte. Als Noel die Augen öffnete, sah sie in ein Gesicht das so viel Glück ausstrahlte, dass es Noel Tränen in die Augen trieb. Für einen winzigen Augenblick war sie die glücklichste Frau der Welt.

Doch dann, als Marc aus ihr herausglitt und sie in die Arme nahm, hatte sie das Gefühl zu versteinern. Marc grinste sie augenzwinkernd an.

„Mein Gott, warst du ausgehungert.“ Er küsste ihren Hals und streichelte ihre Brüste. „Beim nächsten Mal überlässt du mir die Führung.“ Küssend bewegte er sich auf ihr Ohr zu und flüsterte: „Beim nächsten Mal will ich deinen Körper langsam erobern, dich verwöhnen, dich erkunden und dich zum Glühen bringen.“

Sie starrte ihn an, fühlte sich als würde sie den Boden unter den Füßen verlieren. „Es wird kein nächstes Mal geben, Marc.“

Was hatte sie getan? Mit einem Schlag hatte sie sich selbst aus der Welt gerissen. Sie hatte Marc gierig und ausgehungert verschlungen, ihn fast vergewaltigt. So groß war ihr Begehren nach ihm gewesen.

Und sie hatte Ralf betrogen!

Marc schloss die Augen, als hätte sie ihn geohrfeigt und wich einen Schritt zurück.

„Sag, dass das nicht wahr ist.“ Er stieg in seine Hose, zerrte sie über die Hüften und schloss die Knöpfe. Nicht eine Sekunde wich sein Blick von ihren Augen.

„Das hätte niemals passieren dürfen.“ Sie zog ihre Hose an und knöpfte die Bluse zu, ohne an den offenen BH zu denken. „Was habe ich nur getan?“

„Du hast dir die Seele aus dem Leib gevögelt.“ Er kniff die Augen zusammen, presste den Unterkiefer so stark gegen den Oberkiefer, dass sie sein Kiefergelenk knacken hörte und er durchbohrte sie mit seinem Blick. „Du hast mich benutzt.“

„Du hast es herausgefordert, Marc“, sagte sie und hoffte, nicht jede Sekunde an ihren verlogenen Worten zu ersticken. Sie langte in ihre Handtasche und holte ihr Handy hervor.

„Was soll das werden?“

„Ich werde mit dem Taxi nach Hause fahren.“

„Bullshit.“ Ohne sie antworten zu lassen, klappte er das Gerät, das sie gerade erst geöffnet hatte, wieder zu.

Sie ließ ihn stehen, ging auf sein Telefon zu, nahm den Hörer ab und wählte die Nummer einer Taxi-Zentrale. Marc zog den Netzstecker, kam auf sie zu, legte seine Hände auf ihre Schultern und drückte sie auf die Armlehne des Sessels, vor dem sie stand.

„Wie lange willst du noch vor deinen Problemen davonlaufen, Noel?“

Sie war im Begriff wieder aufzustehen, doch er beugte sich über sie und hielt sie fest.

„Willst du mich zwingen, hier zu bleiben?“ Zu ihrer Verwunderung ließ er sie los. Er holte sichtbar tief Luft und wanderte im Wohnzimmer auf und ab. Bis er abrupt stehen blieb und sie so laut anschrie, dass sie zusammenzuckte, als hätte er seine Faust in ihren Magen gerammt.

„Du läufst vor allem davon. Du belügst deine Mitmenschen und hoffst so deine Vergangenheit begraben zu können.“

„Das höre ich mir nicht an.“ Sie stand auf, doch er schlug erst mit der Faust auf den Tisch und drückte sie dann auf ihren Platz zurück, ohne sie wieder loszulassen. Ungeachtet ihres Widerstandes ließ er seine Worte auf sie niederprasseln.

„Ich habe kein Mitleid mit deinem Mann, weil du ihn gerade betrogen hast, weil ich dich, verdammt noch mal, vom ersten Tag seit ich dich kenne, begehre.“ Er beugte sich über sie und kam ihrem Gesicht so nahe, dass sie seinen Atem auf ihren Lippen spürte. „Aber ich habe Mitleid mit ihm, weil er seit Jahren mit einer Frau lebt, die er nicht kennt. Du lebst mit diesem Mann, weil er gut zu dir gewesen ist, als du jemanden gebraucht hast. Wie kannst du ihn lieben und ihm gleichzeitig eine Lüge über dein Leben auftischen?“

„Ich habe ihn niemals belogen“, schrie sie zurück, obwohl sie wusste, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte.

Marc lachte sarkastisch. „Natürlich nicht. Du hast ihm nur nicht erzählt, was dich bewegt. Was geht es den Lebenspartner auch an, wenn seine Frau ihre Liebe für die Fotografie aufgibt und eine Schwesternausbildung macht, um den Tod ihrer Tochter zu rächen?“

Noel wandte den Blick von ihm ab und krampfte ihre Finger in das Leder des Sessels.

„Sieh mich gefälligst an“, befahl er und nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. Er drückte es hoch, sodass sie nicht anders konnte, als ihn wieder anzusehen. „Ehrlich gesagt ist es mir scheißegal, was du mit deinem Mann machst“, setzte er seine Ansprache in ruhigem Tonfall fort. „Ich habe aber keine Lust, zuzusehen, wie du dich selbst belügst.“

Noel öffnete den Mund, um etwas zu erwidern.

„Wage es nicht, mir zu widersprechen. Ich werde dir sowieso kein Wort glauben. Alles, was du jetzt sagst, sagst du nur um deine Haut zu retten und wieder einmal vor der Wahrheit davon zu laufen.“

„Welcher Wahrheit?“

„Noel“, er kniete sich vor den Sessel und sprach in einem fast schon hypnotischen Tonfall. „Du hast dich so tief in deine Lügen verstrickt, dass du dich inzwischen selbst belügst.“

„Bist du jetzt unter die Psychoärzte gegangen, Herr Doktor?“

„Spar dir deinen Sarkasmus. Das, was eben zwischen uns geschehen ist, war kein verdammter Ausrutscher von dir. Oder willst du mir wirklich weismachen, dass du die Femme-Fatale bist, die ihren geliebten Mann mal eben mit ihrem Ex-Vorgesetzten betrügt?“ Er legte seine Hand auf ihre Wange und streichelte sie so zärtlich, dass Noel die Augen schloss und ihr Gesicht in seiner Hand wiegte, ohne sich gegen seine Berührung wehren zu können.

„Bitte rede nicht weiter, Marc. Mach den Moment nicht kaputt“, sagte sie, hörte aber nicht mehr als ein Flüstern ihrer Stimme.

„Ich muss.“ Er legte auch die andere Hand an ihren Kopf und liebkoste ihr Gesicht mit zärtlichen Berührungen. „Weil ich Angst habe, dass ich dich sonst für immer verliere.“

„Du weißt, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben.“

„Nicht, solange du nicht die Wahrheit über dich selbst erkennst.“

„Du glaubst, dass ich Ralf nicht liebe.“

„Ich glaube, dass du ihm so dankbar bist, dass du alles für ihn tun würdest.“ Er senkte den Blick. „Wen du liebst, kannst nur du wissen. Aber du hast nur ein Leben und du verdienst es, richtig zu lieben und geliebt zu werden.“ Er nahm ihre Hand in seine und fuhr zärtlich mit den Lippen darüber.

Sie legte die andere Hand an seine raue Wange und sah ihm in die Augen, aus denen ihr pure Verzweiflung entgegen strahlte.

„Ich denke, dass dein Kopf so sehr von deinen Racheplänen geleitet wird, dass du dein eigenes Leben dahinter zurückgestellt hast.“

„Was unterscheidet uns da so sehr voneinander?“, fragte sie und doch wusste sie, dass er mit jedem seiner Worte ins Schwarze getroffen hatte.

„Ich belüge niemanden.“

Und noch ein Volltreffer, musste sich Noel eingestehen. „Und genau das ist der Punkt.“ Er stand auf und zog sie an seine Brust. „Ich dulde nicht, dass du mich belügst. Sag nicht, dass es ein Ausrutscher gewesen ist, wenn du es genauso gewollt hast, wie ich es wollte. Ich werde dich niemals zu einer Entscheidung drängen, aber ich verlange Ehrlichkeit von dir!“

Sie ließ den Kopf gegen seine Brust sinken, krallte sich in sein Shirt und wiegte sich an seinem Körper. Leise sagte sie: „Es war kein Ausrutscher. Ich wollte es. Ich wollte es so sehr, dass es wehgetan hat.“

Er legte eine Hand auf ihren Hinterkopf und küsste ihr Haar. „Oh Noel“, flüsterte er.

„Ich kann doch aber nicht einfach alles hinschmeißen.“

„Das verlange ich doch gar nicht von dir. Das Letzte, was ich will ist, dich durch eine Affäre mit mir unglücklich zu machen. Du brauchst Zeit, um dir über deine eigenen und ehrlichen Gefühle im Klaren zu sein.“

Sie nickte und ließ einen einzigen, alles ausdrückenden Kuss zu, der ihr mehr Zuneigung gab, als sie in ihrer Ehe jemals empfangen hatte. Als er seine Lippen nach einer schieren Ewigkeit von ihr löste, sah er sie an und lächelte.

„Und nun leg endlich das Telefon aus der Hand. Ich fahre dich nach Hause.“

Sie sah auf ihre Hand und lächelte, als sie das Telefon wahrnahm. „Ist sowieso kein Strom drin, was?“

Er lächelte und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht fassen, dass du mich nach der Nummer einfach mit wehender Fahne stehen lassen und in ein Taxi flüchten wolltest.“

Sie senkte den Kopf. „Ich habe mich vor mir selbst erschrocken.“

„Du hast dich gehen lassen.“ Er nahm ihre Hand und umschloss sie. „Und ich habe jede Sekunde ausgekostet. Jetzt lass uns los. Sonst schaffe ich es nicht, dich gehen zu lassen.“