24

 

Am nächsten Morgen traf sie die Erkenntnis der Geschehnisse mit voller Wucht. Am Vortag war ihr Gehirn noch nicht in der Lage gewesen zu verstehen, was geschehen war. Obgleich sie das Ende ihrer Ehe vorhergesehen hatte, war ihre tatsächliche Trennung nicht verlaufen, wie sie gehofft hatte.

Noel drehte sich auf dem verschwitzten Laken und betrachtete Marcs zerschundenen Körper. Das war nun das Werk des Mannes, den sie geliebt hatte, den sie geheiratet hatte, den sie niemals gekannt hatte. Dann war da ihr Liebesleben. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, inzwischen konnte sie es, waren sie nie auf einer Wellenlänge gewesen. Sie liebte Zärtlichkeiten, er brauchte es ruppig. Sie mochte es, wenn er sich Zeit ließ, für ihn galt, je schneller desto besser. Deswegen war sie nicht verwundert, dass er sein Sexualleben offensichtlich mit einer Anderen auslebte.

Noel setzte sich stöhnend auf, hielt sich die Hand auf den Magen und holte tief Luft, um die Übelkeit wegzuatmen. Sofort saß Marc aufrecht im Bett.

Sie wollte etwas zu ihm sagen, spürte jedoch, dass es dafür zu spät war. Sie hielt sich die andere Hand vor den Mund, stürzte ins Bad und übergab sich, bis sie schwitzend und bebend vor der Toilette sitzen blieb.

Dankbar nahm sie das feuchte Tuch, das Marc ihr reichte, und wischte sich das Gesicht sauber.

„Geht es dir jetzt besser?“, fragte Marc, der sich neben sie hockte und einen Arm um ihre Schulter legte.

Sie nickte und ließ sich in seinen Arm fallen.

„Ich kann einfach nicht begreifen, was geschehen ist“, stammelte sie.

„Komm erstmal hoch. Ich kann dir Midazolam in einer leichten Dosis injizieren.“

Noel ließ sich von ihm aufhelfen und zurück ins Bett begleiten.

„Leg dich wieder hin. Mit einem Sedativum wird es dir besser gehen.“

Noel schüttelte entschieden den Kopf. „Ich will keine Beruhigungsmittel. Mein Kopf wird es akzeptieren müssen. Besser heute als morgen.“

„Du solltest dich aber auch nicht zu hart rannehmen.“

Sie legte sich zurück und wandte sich auf die linke Seite, um ihn anzusehen. Er saß auf der Bettkante und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht.

Sie wusste, dass er es gut meinte, aber eine Flucht in Medikamente, die ihre Sinne benebelten, kam nicht in Frage.

„Amelie ist gestorben, während ich in sedierter Zufriedenheit Zuflucht gesucht habe.“

„Ich verstehe“, sagte Marc und sie hörte die Enttäuschung, die in seiner Stimme mitklang.

„Tust du nicht“, sagte sie und strich ihm federleicht über den Oberarm. „Es hat nichts mit dir zu tun. Seit dem Tag habe ich nur einfach eine Phobie dagegen, meinen Körper nicht selbst kontrollieren zu können.“

Marc lächelte und legte sich neben sie, den Ellenbogen aufgestellt, den Kopf auf die Hand gestützt. „Ich gebe dir nichts, was du nicht willst.“ Er kratzte sich die Wange.

Wahrscheinlich juckten die wuchernden Bartstoppeln inzwischen.

Er legte den Arm um Noels Schulter und zog sie an sich. Sie fühlte seinen warmen Atem auf ihrer Haut.

„Ich fühle mich wie ein Schwein“, sagte er plötzlich.

Noel sah ihn verwundert an.

„Der Einzige, der aus dem Geschehen profitiert, bin ich.“

„Blödsinn“, sagte Noel und strich ihm mit den Fingern durch das wirr vom Kopf abstehende dunkle Haar.

„Ich muss gestehen, dass ich ihn nie leiden konnte. Er hatte etwas, das ich wollte, und wusste es nicht zu schätzen.“

“Und jetzt?“, fragte sie kokett.

Marcs Finger glitten entlang Noels Ausschnitt. „Jetzt habe ich, was er will“, antwortete er kaum hörbar.

„Bist du da so sicher?“

Er beugte sich über sie und ersetzte die Beschäftigung seiner Finger durch seine Lippen. „Ich war noch nie so sicher“, antwortete Marc, legte seine Hände um Noels Gesicht und senkte die Lippen auf die ihren. Zurückhaltend, beinahe ängstlich hauchte er viele kleine Küsse auf ihr Gesicht.

Noel legte ihm die Arme um den Hals, zog ihn an sich und eroberte endgültig seinen Mund. Ihre Zunge drang zwischen seine Lippen und erforschte sein süßes Inneres, seine Zunge, die Zähne, die Lippen.

„Ganz langsam, Noel.“ Er schob die Hände unter ihr Shirt und entlockte Noel einen leisen Seufzer, als er durch den seidigen Stoff des BHs hindurch über ihre Spitzen glitt. Sie sog die Luft ein und spürte wie sich ihre Knospen erregt emporreckten.

„Ich will, dass du das hier niemals vergisst“, sagte Marc und zog ihr das Shirt über den Kopf.

Noel fuhr mit den Fingern über seine Brust, ertastete jeden einzelnen Muskel. Der dunkle Flaum, der sich um seine Brustwarzen kringelte, kitzelte auf ihrer Haut. Erregt richtete sich Noel auf und öffnete ihren BH. Der Glanz in Marcs Augen vertrieb ihre Unsicherheit. Sie nahm seine Hände und führte sie an ihre Brüste.

Marc setzte sich ebenfalls auf und liebkoste ihre Spitzen erst mit den Fingern, dann mit der Zunge. In dem Moment als Noel die feuchte Wärme seiner verspielten Zunge spürte, nahm sie kleine Explosionen in sich wahr. Sie streckte sich ihm entgegen und schmiegte sich an seinen Hals, den sie mit Küssen überdeckte.

Marc drückte sie zurück ins Kissen und beugte sich über sie. Sein Blick wanderte über ihren Körper. Sein Atem klang unruhig. Schnell hob und senkte sich sein Brustkorb bei jedem Atemzug. Er senkte die Lippen zwischen ihre Brüste, streichelte ihren Körper und glitt mit der Zunge auf ihrem Bauch hinab. Noel hob die Arme über den Kopf und krallte sich an das Bettgestell. Als er ihren Bauchnabel passierte, hielt sie die Luft an. Ihre Bauchdecke zitterte, ihr Schoß brannte. Ein nie geahntes Verlangen durchzuckte ihren Körper und fand sich zwischen ihren Schenkeln wieder.

Marc schob ihr den Slip von den Hüften und legte sich neben Noel, halb über sie gebeugt. Noel ertastete seinen kräftigen Körper, küsste ihm die Brust, schmeckte seine salzige Haut. Seine Hand drängte sich zwischen ihre Schenkel. Noel erzitterte unter seinen offensichtlich erfahrenen Fingern. Gleich würde er sie in sie hinein stoßen. Ohne dass sie es wollte, erkaltete ihre Erregung.

Marc schien zu spüren, dass etwas schief gelaufen war, und hielt inne.

„Ist es dir zu früh mit mir zusammen zu sein?“ In seiner Stimme klang weder Enttäuschung noch Vorwurf mit und Noel wollte ihn. Wollte ihn so sehr, dass es schmerzte. Sie schüttelte den Kopf, wusste nicht, wie sie ihm sagen sollte, was sie bedrückte.

„Das ist es nicht, Marc. Ich will dich. Jetzt.“

„Was ist es dann? Ich würde dir jeden Wunsch erfüllen.“ Er strich ihr eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich möchte nichts machen, was dir nicht gefällt.“

„Du hast nichts getan, das mir nicht gefällt.“

„Aber du hast Angst davor. Hat er dir wehgetan?“

„Ich war dankbar für jede Nacht, die er zu müde für Sex war“, sagte sie flüsternd.

Marc schloss die Augen, öffnete sie wieder und senkte seinen Kopf auf Noels Brust. „Ich könnte dir niemals wehtun.“

Anstatt zu antworten nahm Noel seine Hand in die ihre und führte sie an ihren Venushügel. Sie schloss die Augen und öffnete die Schenkel.

„Berühre mich“, flehte sie und wusste, dass sie keine Angst vor einem rücksichtlosen Eindringen haben musste. Langsam tastete er sich an ihre Perle vor und rieb sie sanft, erhöhte leicht den Druck und massierte sie, bis Noel ihre Hüften seicht hin und her wiegte. Das Gefühl, das er ihr mit diesen zärtlichen Berührungen schenkte, durchflutete ihren gesamten Körper. Sie rieb sich an seinen Lenden und schob die Hand in seine Shorts. Marc half ihr sie auszuziehen und drängte sich mit seinem erigierten Penis gegen ihren Körper.

Noel umfasste ihn zögerlich und lächelte vor Glück, als sie die verzückten Muskelzuckungen auf Marcs gestähltem Becken unter ihrem Arm spürte. Als er tatsächlich mit dem Finger in sie eindrang, breitete sich ein köstliches Vergnügen in ihrem Schoß aus.

Sie zog Marc auf sich herauf, sah ihm in die Augen und kostete seinen Mund. Streckte sich ihm entgegen, hielt die Luft an und ließ sie erst dann langsam wieder hinaus, als Marc in sie eindrang. Er nahm zärtlich ihre Hände in seine, drückte sie rechts und links neben ihr Gesicht und spielte mit ihren Fingern, während er in ihr war. Mit jeder Bewegung ließ sich Noel tiefer ins erlösende Nichts fallen. Als er den Mund auf ihre Brust senkte und abwechselnd an ihren Knospen saugte, glaubte sie, der Himmel würde die Tore für sie öffnen. Als er sich schneller in ihr bewegte, sein Atem sich beschleunigte und ein verschwitzter Film zwischen ihrer Haut sie zu einer Einheit werden ließ, vergaß sie alles, was jemals wichtig gewesen war. Als er ihre Hände losließ, umklammerte sie seinen Körper. Als er ihren Namen flüsterte, ließ sie sich fallen. Als er in ihr zusammensackte, fühlte sie grenzenloses Glück. Als er sie ansah, lächelte sie.

 

Die Filetsteaks brutzelten auf dem Grill und verbreiteten einen unverschämt köstlichen Duft. Noel fühlte buchstäblich das Wasser im Munde zusammen laufen. In Slip und einem T-Shirt, das Marc ihr geliehen hatte, stand sie frisch geduscht hinter ihm, während er die Steaks im Auge behielt. Noel schlang ihm die Arme um den Körper und lehnte den Kopf gegen seinen Rücken. Marc legte seine Hand auf ihre und überprüfte die mindestens zwei Finger dicken Steaks auf den richtigen Garzustand.

„Perfekt. Reichst du mir die Teller?“

„Nicht wenn ich dich dafür loslassen muss.“

Er drehte sich ihr zu und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. „Ich habe keine Lust deinen Magen noch länger knurren zu hören. Her mit den Tellern!“

Da sein Argument überzeugend war, gab sie nach und reichte ihm die Teller, auf die er die Steaks legte. Während er die Folienkartoffeln aus der Glut fischte, holte sie den frischen Salat aus der Küche, den sie bereitet hatte, als er den Grill vorbereitet hatte. Sie deckte den Tisch, servierte den gekühlten Weißwein und setzte sich mit Aussicht in den Garten an den Tisch.

Marc servierte das köstlich duftende Grillgut und ließ sich Noel gegenüber auf seinen Stuhl sinken.

„Guten Appetit beim garantiert besten Steak, das dir je unter den Gaumen gekommen ist.“

Sie hob das Weinglas, prostete ihm zu und trank einen Schluck. „Dir auch, Angeber“, sagte sie schmunzelnd, schnitt in das saftige Fleisch und staunte, als sie die Farbe des Steaks auf der Gabel betrachtete.

„Hmm, Angeber?“

Sie lächelte, schob das Fleisch in den Mund, kaute und schloss genießerisch die Augen. „Okay, du verstehst dein Handwerk.“

Marc grinste eindeutig zufrieden über sein gelungenes Werk.

„Du isst dein Steak nicht blutig“, stellte sie fest.

„Es hat fürchterlich geschmeckt“, sagte er lachend und probierte sein Fleisch. Der Genuss war ihm beim Kauen anzusehen.

„Weshalb hast du es dann bestellt?“

Er zuckte die Schultern und grinste. „Ich hatte das Gefühl, dass du es eklig finden würdest.“

Sie stieß ihm mit dem Fuß gegen das Schienbein. „Allein der Gedanke hat mich angeekelt. Schön, dass es dir nicht geschmeckt hat.“ Sie schüttelte den Kopf. „Männer!“

Er lachte. „Halt endlich den Mund und genieß dein Steak.“

Nach dem Essen saßen sie noch lange im Garten. Nachdem sie gemeinsam abgeräumt hatten, schlenderten sie in den hinteren Teil des Gartens zu der Hollywoodschaukel hinter dem Gartenteich. Noel schmiegte sich in seine Arme, die den Grillgeruch angenommen hatten und ihre Fantasie unanständig beflügelten.

Draußen dämmerte es, was die Insekten der Nacht hervorrief. Das Zirpen der Grillen konkurrierte mit dem Gequake von mindestens zwei Fröschen. Auf dem kleinen Tisch standen die Weingläser, die sie mitgenommen hatten, neben mehreren verschieden hohen Teelichthaltern, in denen die Flammen sanft zuckten. Eine Atmosphäre, die perfekter nicht sein konnte.

Wenn sich nicht die Vergangenheit in Noels Gehirn brennen würde. Wie eine Wand, die sie von ihrem Glück zu trennen suchte, schob sie sich in ihre Gedanken. Noel schmiegte sich näher an Marc, der sanfte Kreise mit der Hand auf ihrem Arm zeichnete.

„Du bist heute nicht dieselbe Frau gewesen, mit der ich schon einmal geschlafen habe.“

Noel knuffte ihn sanft gegen die Rippen. „Erinnere mich nicht daran.“

„War es so schlimm?“

„Ich habe mich hinterher abgrundtief geschämt.“

Marc küsste Noels Haar und strich mit den Fingern hindurch. Seine Stimme klang rau. „Das war sehr erotisch. Nur hattest du mir keine Zeit gelassen dich wirklich spüren zu lassen, wie sehr ich dich begehre.“

Bei diesen Worten musste Noel schlucken. Sie füllten sie warm aus und gaben ihrem Selbstwertgefühl all das zurück, dessen Ralf sie entmächtigt hatte.

„Ralf hat sich nie Zeit für ein Vorspiel genommen.“ Sie drückte seine Hand fester. „Es war mein erster Orgasmus seit Jahren.“

„Ich hoffe, nicht dein Letzter.“

Sie lächelte und küsste ihn. „Seit heute Nachmittag kann ich dir garantieren, dass es damals nicht mein Letzter gewesen ist“, sagte sie lachend. Wieder ernst fügte sie hinzu: „Ich wollte dich damals, aber ich wusste, dass ich zögern würde, wenn ich meinem Gehirn Zeit zum Denken gelassen hätte.“

„Mach dir keine Gedanken mehr darüber. Viel wichtiger ist, was du jetzt machen willst.“

Damit hatte er den Punkt angesprochen, der ihr bereits den gesamten Abend auf dem Magen gelegen hatte. Sie holte tief Luft.

„Ich habe im Moment das Gefühl, nicht zu wissen, wer ich bin. Mein ganzes Leben war eine Lüge.“ Sie lachte sarkastisch. „Nicht nur wegen Ralfs Reaktion, die ich wohl niemals verstehen werde.“ Sie machte eine ausladende Handbewegung, als würde sie die Antwort in der Luft finden. „Ich brauche Zeit.“

„Ich werde dir alle Zeit der Welt lassen. Du kannst hier wohnen. Ich werde dich nicht bedrängen, solange du nicht bereit dazu bist.“

Noel lachte leise. „So geht das nicht, Marc. Ich bin mehr als nur bereit für dich. Wenn du um mich herum bist, könnte ich alles vergessen.“

„Was ist es dann?“, fragte er und Noel erkannte die Unsicherheit in seiner Stimme.

„Du wirst nicht den Rest deines Lebens vierundzwanzig Stunden am Tag um mich herum sein können.“

Er beugte seinen Kopf auf ihre Schulter und hauchte ihr einen Kuss auf die Haut. „Wenn man mich lassen würde?“

„Ich muss die Vergangenheit auch begraben können, wenn du nicht bei mir bist. Zumindest das Leben, das ich in den letzten Jahren geführt habe, muss ich hinter mir lassen.“ Noel befreite sich aus Marcs Umarmung, stand auf und ging vor dem Teich auf und ab.

Sie hatte nicht bemerkt, dass Marc aufgestanden und hinter sie getreten war. Er legte seine Arme von hinten um ihren Körper und zog sie mit dem Rücken gegen seine Brust. Noel schloss die Augen, lauschte den Insekten, sog diese einzigartige Atmosphäre in sich auf.

Sie drehte sich ihm zu und legte die rechte Hand an seine Wange.

„Wirst du auf mich warten, auch wenn ich ein paar Wochen allein sein möchte?“

Marcs Lippen bebten, sein Blick wanderte von ihren Augen, zu ihrem Mund und zurück zu den Augen. „Ich werde jede Sekunde an dich denken, wenn du nur zu mir zurückkommst.“

Noel rückte einen Schritt näher an ihn heran und berührte seine Lippen hauchzart. „Ich brauche keine Zeit, um zu wissen, dass ich mit dir zusammen sein will. Ich muss ein wenig allein sein, um mich selbst wiederzufinden.“

„Pass auf dich auf, Noel.“

„Er wird nicht wissen, wo ich hinfahren werde.“

„Werde ich es wissen?“

„Ich rufe dich an, sobald ich selbst weiß, wo ich gestrandet bin.