11
Während sie am nächsten Morgen beim Frühstück saß, warf Leonora einen Blick in ihren Terminkalender; ihre abendlichen Verpflichtungen waren mit einem Mal sehr viel dichter gesät als noch vor drei Tagen.
»Du entscheidest«, hatte Mildred ihr eingeräumt, als sie am Vorabend aus der Kutsche gestiegen war.
Leonora knabberte an ihrem Toast und wog die verschiedenen Möglichkeiten gegeneinander ab. Obwohl der offizielle Saisonbeginn erst in ein paar Wochen war, standen am heutigen Abend zwei Bälle an, zu denen man sie eingeladen hatte. Die weitaus bedeutendere Veranstaltung war der Ball der Colchesters in Mayfair, weniger wichtig und gewiss weit weniger förmlich war hingegen der Ball der Masseys in Chelsea.
Trentham ginge sicherlich davon aus, dass sie sich für die Veranstaltung in Colchester House entscheiden würde; wie zuvor bei Lady Holland würde er sie dort sicherlich erwarten.
Sie schob ihren Stuhl zurück, stand auf und begab sich in den Salon, um eine kurze Nachricht an Mildred und Gertie zu verfassen, worin sie ihnen mitteilte, dass sie sich entschieden hatte, die Einladung der Masseys anzunehmen.
Rasch brachte sie an ihrem Schreibtisch ein paar knappe Zeilen zu Papier, adressierte sie mit den Namen ihrer beiden Tanten und läutete schließlich nach einem Diener. Sie hoffte inständig, dass in ihrem Fall die Liebe mit der Entfernung abnahm, anstatt zu wachsen; abgesehen davon, dass Trentham sich über ihre Abwesenheit in Colchester House ärgern würde, fiele sein Blick - an einem solchen Ort allein gelassen - womöglich auf eine andere Lady; vielleicht würde ihn sogar eine Dame von Daphnes Schlag ein wenig ablenken …
Als der Diener hereinkam, blickte sie nachdenklich zu ihm auf und reichte ihm die Nachricht, die er überbringen sollte.
Nachdem sie dies erledigt hatte, wandte sie sich ernsthafteren Problemen zu. In Anbetracht ihrer überaus hartnäckigen Haltung hinsichtlich einer Heirat war es vermutlich naiv zu glauben, Trentham würde ihr auch weiterhin in Sachen Mountford zur Seite stehen; andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass er so einfach das Interesse verlieren und seine Leute, die bislang das Haus beobachtet hatten, kurzerhand abkommandieren würde. Ganz gleich, was zwischen ihnen beiden auch vorfiele, Trentham würde nicht zulassen, dass sie Mountford gegenüber auf sich allein gestellt wäre.
Nach allem, was sie über seinen Charakter erfahren hatte, erschien ihr der Gedanke regelrecht lachhaft.
Solange das Rätsel um Mountford nicht gelöst war, würde ihre inoffizielle Partnerschaft fortbestehen. Es war daher nicht mehr als ihr gutes Recht, in dieser Angelegenheit auf einen schnellen Fortschritt zu drängen. Permanent Trenthams Fallen auszuweichen, während sie Tag für Tag mit ihm zu tun hatte, würde gewiss nicht einfach werden; es hatte wenig Sinn, diese Gefahr auch noch unnötig in die Länge zu ziehen.
Die ersten Antworten auf ihre Anfragen würden frühestens in ein paar Tagen eintreffen. Was konnte sie bis dahin unternehmen?
Trenthams Vermutung, Mountford wäre hinter irgendetwas her, was mit Cedrics Arbeit zusammenhing, hatte ihr zu denken gegeben.
In Cedrics Werkstatt hatten sie neben seinen Briefen noch über zwanzig Kladden und Tagebücher gefunden. Sie hatte sie mit in den Salon genommen und in einer Ecke des Raumes aufgetürmt. Während ihr Blick nun darauf ruhte, trat ihr die feine, enge und verblasste Handschrift ihres verstorbenen Cousins wieder vor Augen.
Sie stand auf, ging die Treppe hinauf und warf einen Blick in Cedrics Schlafzimmer. Der Staub lag zentimeterdick auf allen Möbeln, und überall waren Spinnweben. Sie wies die Hausmädchen an, das Zimmer zu säubern - sie würde sich morgen damit befassen. Jetzt würde sie erst einmal in den Salon zurückkehren und sich mit Cedrics Aufzeichnungen beschäftigen.
Bis zum Abend hatte sie jedoch nichts Spannenderes entdeckt als eine Anleitung zur Zubereitung eines Mittels, mit dem man Flecken von Porzellan entfernen konnte; sie hielt es für äußerst unwahrscheinlich, dass Mountford und sein mysteriöser ausländischer Freund sich für so etwas interessierten. Sie schob die Bücher beiseite und ging nach oben, um sich fertig zu machen.
 
Die Masseys besaßen eine jahrhundertealte, weitläufige Villa direkt am Flussufer. Die Decken waren niedriger als inzwischen üblich; Balken und Wandvertäfelungen bestanden aus tiefdunklem Holz, doch zahlreiche Lampen, Leuchter und Kandelaber, die großzügig über die Räume verteilt waren, vertrieben alle Schatten. Die geräumigen, miteinander verbundenen Säle waren für einen weniger förmlichen Abend geradezu perfekt geeignet. An der dem Fluss zugewandten Seite des Speisezimmers, das kurzerhand zum Tanzsaal umfunktioniert worden war, spielte ein kleines Orchester.
Nachdem sie ihre Gastgeberin in der Eingangshalle begrüßt hatte, betrat Leonora den Salon und redete sich ein, dass sie sich gewiss hervorragend amüsieren werde. Und dass die unausweichliche Langeweile angesichts der Sinnlosigkeit solcher Veranstaltungen heute ausnahmsweise einmal ausbleiben würde, denn dieses Mal hatte das Ganze ja durchaus einen Sinn.
Unglücklicherweise erschien ihr die Aussicht, sich mit anderen Herren zu vergnügen, während Trentham sie nicht einmal sehen konnte, nicht eben besonders verlockend. Aber sie war nun einmal hier, und zwar in ein geradezu aufreizendes Kleid aus blauer Seide gehüllt, das eine deutlich jüngere unverheiratete Lady niemals hätte tragen können. Da sie ohnehin keinen großen Wert auf Konversation legte, konnte sie ebenso gut tanzen.
Sie ließ Mildred und Gertie in Gesellschaft einiger guter Bekannter zurück und steuerte zielstrebig durch den Raum, obgleich sie hier und da kurz innehalten musste, um einige flüchtige Worte zu wechseln.
Als sie den Durchgang zum Speisesaal erreicht hatte, ging gerade ein Tanz zu Ende; sie überflog kurz die Menge der Gentlemen und überlegte, welcher der Herren …
Kräftige Finger und eine harte Hand schlossen sich über der ihren; ihr Körper reagierte prompt und verriet ihr, wer da an ihrer Seite stand, noch bevor sie sich umwandte und zu ihm aufsah.
»Guten Abend.« Während er ihr tief in die Augen sah, hob er ihre Hand an seine Lippen. Er studierte ihren Blick. Zog fragend eine Augenbraue hoch. »Darf ich bitten?«
Der Ausdruck in seinen Augen, der Klang seiner Stimme - dies beides reichte aus, um ihren Sinnen neues Leben einzuhauchen, ihre Nerven nur so sprühen zu lassen. Ein Schauer freudiger Erwartung erfasste ihren Körper. Sie atmete tief ein, während ihre Vorstellungsgabe ihr mühelos ankündigte, wie es sich anfühlen würde, mit ihm zu tanzen. »Ich …« Sie wandte ihren Blick ab und ließ ihn über die Menge von Tänzern schweifen, die auf den Beginn des nächsten Tanzes wartete.
Er entgegnete nichts, sondern wartete nur ab. Als sie sich wieder ihm zuwandte, erwiderte er ihren Blick. »Nun?«
Seine braunen Augen funkelten aufmerksam, wachsam; dahinter schimmerte ein Hauch von Belustigung.
Sie presste die Lippen aufeinander und hob ihr Kinn. »Sicher. Warum nicht?«
Er lächelte - keineswegs charmant, sondern voll räuberischer Genugtuung darüber, dass sie seine Herausforderung annahm. Er führte sie auf die Tanzfläche, während die ersten Töne eines Walzers erklangen.
Ein Walzer - was auch sonst. In dem Moment, wo er sie in seine Arme zog, wusste sie, dass sie in Schwierigkeiten war. Sie versuchte wacker, die Reaktionen, die seine Nähe, seine überwältigende Stärke und seine Hand, die sich über die Seide in ihrem Rücken legte, in ihr hervorriefen, zu unterdrücken; gleichzeitig suchte sie fieberhaft nach einer Ablenkung.
Sie blickte stirnrunzelnd zu ihm auf. »Ich hatte angenommen, Sie würden den Colchester-Ball besuchen.«
Seine Mundwinkel hoben sich. »Ich wusste, dass Sie hier sein würden.« Sein Blick war forschend - hinterlistig und gefährlich. »Glauben Sie mir. Ich bin mit Ihrer Wahl absolut einverstanden.«
Hätte sie auch nur den geringsten Zweifel gehegt, worauf er damit anspielte, hätte ihr die Drehung am Ende des Raumes endgültig Gewissheit verschafft. In dem großen Ballsaal der Colchesters hätte er sie niemals so innig festhalten, seine Finger so eng über den ihren schließen oder sie in der Drehung so nah an sich heranziehen können, dass sich ihre Hüften berührten. Hier hingegen war die Tanzfläche überfüllt mit Paaren, die allesamt selbstvergessen den Augenblick genossen. Die Wände waren nicht gesäumt von Matronen, die gestrengen Auges nur darauf warteten, ihre Missbilligung anderen kundzutun.
Sein Oberschenkel schob sich zwischen ihre, während er sie mit wohlkontrollierter Kraft schwungvoll herumdrehte. Sie konnte sich ihrer Reaktion nicht erwehren - ein Schauder durchzuckte ihre Nerven, ihr gesamter Körper antwortete auf die Berührung.
Tristan betrachtete ihr Gesicht und fragte sich, ob ihr bewusst war, wie sehr sich ihre Reaktion in ihren Zügen spiegelte und was das Funkeln ihrer sich verdunkelnden Augen, das Herabsinken ihrer Wimpern, ihre leicht geöffneten Lippen im Gegenzug mit ihm anstellten.
Er wusste, dass sie nichts von alledem ahnte.
Das machte es allerdings nur umso schlimmer, verstärkte die Wirkung noch und vergrößerte seine Qual.
Seine drängende Sehnsucht hatte sich innerhalb der letzten Tage stetig gesteigert - eine nagende Pein, die er in dieser Weise noch nie zuvor erlebt hatte. Bislang hatte er sich bei ähnlichen Leiden nur allzu leicht Abhilfe verschaffen können. Doch diesmal …
All seine Sinne konzentrierten sich auf sie - auf die weichen Bewegungen ihres elastischen Körpers in seinen Armen, auf die verheißungsvolle Wärme, die vage, lockende Leidenschaft, die sie selbst so beharrlich leugnete.
Doch Letzteres wollte er - konnte er - nicht zulassen.
Die Musik ging zu Ende; er war gezwungen, stehen zu bleiben und sie loszulassen, was er nur widerwillig tat - ihre weit geöffneten Augen verrieten ihm, dass sie dies erkannt hatte.
Sie räusperte sich und strich ihr Kleid glatt. »Vielen Dank.« Sie sah sich um. »Nun …«
»Bevor du deine Zeit damit vergeudest, unnütze Pläne zu schmieden - wie etwa einen anderen Gentleman heranzulocken, um mit ihm zu tanzen -, lass dir gesagt sein, dass du mit niemand anderem tanzen wirst, solange ich hier bin.«
Sie wandte sich abrupt um und sah ihn an. »Wie bitte?«
Sie konnte ihren Ohren wahrhaftig nicht trauen.
Sein Blick blieb hart. Er zog seine Brauen finster zusammen. »Möchtest du, dass ich es noch einmal wiederhole?«
»Nein, ich möchte viel lieber vergessen, dass eine derartige Unverschämtheit jemals an meine Ohren gedrungen ist.«
Er zeigte sich von ihrem Zorn gänzlich unbeeindruckt. »Das wäre unklug.«
Sie spürte, wie die Wut in ihr hochkochte; sie hatten beide leise gesprochen, aber ihr war mehr als klar, in welche Richtung sich dieses Gespräch bewegte. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und neigte so herablassend, wie es irgend ging, den Kopf. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden …«
»Keinesfalls.« Sein stählerner Griff umschloss ihren Ellenbogen; mit einem Kopfnicken wies er auf das andere Ende des Saals. »Siehst du diese Tür dort? Genau da werden wir beide jetzt hindurchgehen.«
Sie holte tief Luft und hielt den Atem an. Vorsichtig setzte sie an: »Mir ist bewusst, dass deine Erfahrung in gesellschaftlichen Kreisen …«
»Die gesellschaftlichen Kreise langweilen mich zu Tode.« Er sah auf sie herab; dann steuerte er unauffällig, aber überaus zielstrebig die geschlossene Tür an. »Daher bin ich auch keineswegs gewillt, mich deren Regeln zu beugen.«
Ihr Herz pochte heftig. Während sie in seine Augen blickte - die wie harte, haselnussbraune Edelsteine funkelten -, wurde ihr bewusste, dass sie hier nicht mit einem zahmen, sondern mit einem überaus wilden Wolf spielte. Der zudem keinerlei Regeln akzeptierte außer die eigenen. »Du kannst mich doch nicht so einfach …«
Entführen. Entehren.
Die Entschlossenheit in seinem Blick verschlug ihr den Atem.
Er sah sie unbeirrt an - einschätzend, wertend -, während er sie zugleich souverän durch den überfüllten Raum lenkte. »Ich schlage vor, wir begeben uns an einen Ort, wo wir vertraulich über unsere Beziehung sprechen können.«
Sie hatte schon öfter vertraulich mit ihm gesprochen - kein Grund, dass ihr Herz bei dem schlichten Wort einen solchen Satz machte. Und ihre Fantasie sogleich mit ihr durchging. Wütend über sich selbst, unternahm sie einen neuerlichen Versuch, die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen. »Nun gut. Ganz meine Meinung. Offenbar müssen wir unsere divergierenden Ansichten einmal aussprechen und gewisse Dinge klarstellen.«
Sie würde ihn nicht heiraten; diese Tatsache musste er ein für alle Mal akzeptieren. Solange sie dies nachdrücklich genug betonte und eisern daran festhielt, konnte ihr gar nichts passieren.
Sie erreichten besagte Tür, und er hielt sie ihr auf. Leonora betrat einen Korridor, der von hinten an die Empfangssäle grenzte. Der Gang war gerade breit genug, dass man zu zweit nebeneinanderhergehen konnte. Die eine Wand war mit Reliefen verziert, zwischen denen mehrere Türen eingelassen waren, die andere Wand bildete eine lange Fensterfront, welche die privaten Gärten überblickte. Im Frühjahr und Sommer, wenn die Fenster geöffnet waren, würde sich der Gang in einen beliebten Aufenthaltsort verwandeln, wo die Gäste auf und ab flanieren konnten. Doch an einem kalten, windigen Abend wie diesem, der sogar mit Frost drohte, waren alle Fenster und Türen verschlossen; der Korridor lag völlig verlassen da.
Das einfallende Mondlicht war hell genug, um den Gang einigermaßen erkennen zu lassen. Die Wände waren aus Stein, die Türen aus massiver Eiche. Nachdem Trentham die Tür hinter sich geschlossen hatte, standen sie in einer völlig abgeschiedenen, silbrig schimmernden Welt.
Er ließ ihren Arm los und hielt ihr stattdessen seinen hin; sie tat so, als würde sie es gar nicht bemerken. Mit hocherhobenem Kopf stolzierte sie langsam den Gang hinunter. »Der wesentliche Punkt, den wir zu besprechen haben …«
Sie brach ab, als er besitzergreifend ihre Hand umfasste. Sie blieb stehen und betrachtete ihre Finger, die von seiner Hand beinahe verschlungen wurden.
»Das hier«, ihre Augen verweilten bei dem Anblick, »ist ein hervorragendes Beispiel für das Problem, welches wir dringend besprechen müssen. Du kannst nicht einfach so herumlaufen und ständig meine Hand ergreifen, so als würde ich dir in irgendeiner Weise gehören …«
»Das tust du aber.«
Sie sah auf. Blinzelte. »Wie bitte?«
Tristan erwiderte ihren Blick; er hatte nichts dagegen, ihr diesen Sachverhalt näher zu erklären. »Du. Gehörst. Mir.« Es tat gut, diese Tatsache auszusprechen, ihren Wahrheitsgehalt zu bekräftigen.
Ihre Augen weiteten sich; er fuhr fort. »Was auch immer du bezwecken wolltest, du hast dich mir hingegeben. Dich mir angeboten. Ich habe dein Angebot angenommen. Und jetzt bist du mein.«
Ihre Lippen wurden hart, ihre Augen funkelten. »So ist es aber doch überhaupt nicht gewesen. Gott allein weiß, warum du die Tatsachen so verdrehst.«
Sie sprach nicht weiter, sondern sah ihn nur streitlustig an.
»Du musst dich schon etwas mehr anstrengen, wenn du mir weismachen willst, dass die Tatsache, dich in jenem Bett am Montrose Place nackt unter mir zu spüren, in Wirklichkeit meiner Fantasie entsprungen ist.«
Ihre Gesichtszüge spannten sich an. »Ich sprach von verdrehen, nicht von erfinden.«
»Ach. Also gibst du zu, dass du tatsächlich …«
»Tatsächlich«, fauchte sie, »war das, was zwischen uns geschehen ist - wie du selbst ganz genau weißt - nichts weiter als ein«, sie gestikulierte, »angenehmes Intermezzo.«
»Wenn ich mich recht entsinne, hast du mich praktisch angefleht, dich zu … initiieren - glaube ich, war das Wort, auf das wir uns geeinigt haben.«
Selbst in dem schwachen Licht konnte er sehen, wie sie errötete. Aber sie nickte. »Ganz richtig.«
Sie wandte sich ab und schritt den Gang entlang; er blieb an ihrer Seite, ohne ihre Hand freizugeben.
Sie sprach nicht sofort weiter, doch schließlich holte sie tief Luft. Ihm wurde bewusst, dass sie im Begriff war, eine Erklärung zu liefern - zumindest teilweise.
»Du musst endlich begreifen und akzeptieren, dass ich einfach nicht heiraten will. Dich nicht und auch niemanden sonst. Ich habe keinerlei Interesse an einer dauerhaften Verbindung. Was zwischen uns geschehen ist«, sie hob den Kopf und blickte den langen Gang hinunter, »ist nur deshalb geschehen, weil ich neugierig war. Weil ich diese Erfahrung einmal machen wollte.« Ihr Blick sank wieder zu Boden. Sie ging weiter. »Ich habe geglaubt, mit dir als Lehrer hätte ich eine vernünftige Wahl getroffen.«
Er wartete kurz ab, dann fragte er in ruhigem, neutralem Ton: »Und wieso hast du das geglaubt?«
Sie entzog ihm ihre Hand und deutete auf den Zwischenraum zwischen ihnen. »Diese Anziehungskraft. Es war so eindeutig. Es war ganz einfach da; du weißt, was ich meine.«
»Durchaus.« Allmählich dämmerte ihm etwas … Er blieb stehen.
Sie hielt ebenfalls inne und sah ihn an. Sie versuchte, seine Züge zu deuten. »Also verstehst du doch wohl, was ich damit sagen will, oder nicht? Ich wollte nur wissen, wie es ist - mehr nicht. Nur ein einziges Mal.«
Mit viel Bedacht hakte er nach. »Aus. Ende. Vorbei?«
Sie hob ihren Kopf. Nickte. »Ja.«
Er erwiderte ihren Blick einen Moment lang; dann murmelte er: »Aber ich habe dich bereits im Bett am Montrose Place gewarnt: Du hast bei deinen Berechnungen eines nicht bedacht.«
Sie hob ihr Kinn noch ein wenig höher, doch ihre Stimme klang gefasst. »Das war, als du das Gefühl hattest, mich heiraten zu müssen.«
»Ich weiß ohne jeden Zweifel, dass ich dich heiraten muss, aber darum geht es hier nicht.«
Verzweiflung sprach aus ihren Augen. »Worum geht es dann?«
Er spürte, wie ein düsteres Grinsen - eindeutig zynisch und ihn selbst herabwürdigend - danach rang, sich Ausdruck zu verschaffen; er drängte es zurück, behielt seinen neutralen Gesichtsausdruck bei. »Die Anziehungskraft, von der du gesprochen hast - ist sie verschwunden?«
Sie runzelte die Stirn. »Nein. Aber das wird sie. Du weißt genau, dass es so kommen wird …« Sie unterbrach sich, weil er den Kopf schüttelte.
»Das weiß ich ganz und gar nicht.«
Verhaltene Wut zeigte sich in ihren Zügen. »Ich gebe zu, dass sie noch nicht verschwunden ist, aber du weißt selbst, dass Männer sich nicht auf Dauer zu einer einzigen Frau hingezogen fühlen. In ein paar Wochen, wenn Mountford gestellt ist und wir uns nicht mehr täglich sehen, wirst du mich vergessen haben.«
Er schwieg eine Weile, während er seine Möglichkeiten überdachte. Schließlich fragte er: »Und wenn nicht?«
Argwöhnisch kniff sie die Augen zusammen. Sie öffnete die Lippen, um ihre Aussage erneut zu bekräftigen.
Doch er ließ sie innehalten, indem er näher an sie herantrat und sie rückwärts gegen das Fenster drängte.
Sofort wallte Hitze zwischen ihnen auf - verlockend, verführerisch. Ihre Augen flammten auf, ihr Atem stockte kurz, dann setzte er heftiger als zuvor wieder ein. Ihre Hände wanderten unruhig an seine Brust; ihre Wimpern sanken herab, während er sich ihr näherte.
»Unsere gegenseitige Anziehungskraft hat nicht im Mindesten nachgelassen - sie ist im Gegenteil noch gewachsen.« Er hauchte die Worte gegen ihre Wange. Er berührte sie nicht, hielt sie nicht fest; einzig und allein durch seine Nähe hielt er sie gebannt. »Du behauptest, sie wird irgendwann nachlassen. Ich behaupte das Gegenteil. Ich bin mir sicher, dass ich recht habe, und du bist es ebenfalls. Du willst diese Sache ein für alle Mal klären. Gut, ich bin bereit, ein Abkommen zu treffen.«
Leonora wurde schwindelig. Seine Worte klangen finster, beschwörend, wie schwarze Magie. Seine Lippen huschten über ihre Schläfen; sein Atem berührte ihre Wange. Sie atmete gezwungen ein. »Was für ein Abkommen?«
»Wenn die Anziehungskraft tatsächlich nachlassen sollte, bin ich bereit, dich freizugeben. Solange sie andauert, bist du mein.«
Ihr lief ein Schauder über den Rücken. »Dein. Und was soll das bedeuten?«
Sie spürte, wie seine Lippen an ihren Schläfen zuckten.
»Genau das, woran du gerade denkst. Du warst und bist meine Geliebte.« Seine Lippen wanderten tiefer, um ihre Wangen zu liebkosen. »Solange diese Anziehungskraft anhält, werden wir ein Liebespaar sein. Wenn sie länger dauert als einen Monat - und ich bin mir sicher, das wird sie -, dann werden wir heiraten.«
»Einen Monat?« Seine Nähe raubte ihr den Verstand, sie fühlte sich benommen.
»Ich gewähre dir einen Monat Aufschub, nicht mehr.«
Mühsam versuchte sie, sich zu konzentrieren. »Und wenn die Anziehungskraft nachlässt - selbst wenn sie nicht ganz verschwindet, sondern im Laufe dieses Monats lediglich nachlässt -, dann wirst du mir zustimmen, dass eine Heirat nicht länger gerechtfertigt ist?«
Er nickte. »Ganz genau.«
Seine Lippen schwebten über ihrem Mund; ihre aufmüpfigen Sinne machten einen Satz.
»Bist du damit einverstanden?«
Sie zögerte einen Moment. Sie hatte sich bereit erklärt, ihm hierher zu folgen, um die Situation zwischen ihnen zu klären; sein Vorschlag klang vernünftig … Sie nickte. »Ja.«
Seine Lippen berührten die ihren.
Sie seufzte im Stillen vor Befriedigung; ihre Sinne reckten und entfalteten sich wie eine Blume im Sonnenschein, sie genossen den Augenblick, sogen ihn in sich ein. Genossen das unbändige Drängen ihrer gegenseitigen Anziehungskraft.
Aber sie würde nachlassen, ohne jeden Zweifel - Leonora war felsenfest davon überzeugt. Dass sie im Moment sogar noch wuchs, mochte daran liegen, dass diese Erfahrung - zumindest für sie - eine vollkommen neue war; aber letzten Endes würde ihre Macht unweigerlich schwinden.
Und in der Zwischenzeit … konnte sie noch mehr hinzulernen, noch mehr erfahren. Noch mehr entdecken. Wenigstens ein bisschen mehr. Sie ließ ihre Hände nach oben wandern und schlang ihre Arme um seinen Nacken; sie erwiderte seinen Kuss, öffnete ihre Lippen, lieferte ihm ihren Mund vollständig aus, spürte, wie die süchtig machende Wärme zwischen ihnen aufwallte, während er ihr Angebot begierig annahm.
Er schob sich näher an sie heran, drängte sie gegen das Fenster; seine kräftige Hand umschloss ihre Taille und hielt sie fest, während ihre Münder sich vereinten, ihre Zungen miteinander spielten, sich verwirrten, liebkosten, entdeckten, voneinander Besitz ergriffen.
Lust flammte auf.
Sie spürte es an der verräterischen Anspannung seiner Muskeln - eiserne Selbstbeherrschung, gezügeltes Verlangen -, spürte zugleich ihre eigene Reaktion, eine Welle heißer Sehnsucht, die sie von Kopf bis Fuß erfasste. Die sie dazu veranlasste, sich noch näher an ihn heranzudrängen, sein Kinn mit ihrer Hand zu umspielen, ihn zu ermuntern, sie noch inniger zu küssen.
Er gehorchte, und einen Moment lang verloren sie sich völlig in Raum und Zeit.
Die Flammen schlugen höher, tobten.
Er wich abrupt zurück. Er unterbrach den Kuss gerade so lang, um ihr zuzumurmeln: »Lass uns ein Schlafzimmer suchen.«
Ihr war schwindelig, ihr Verstand war völlig wirr. Sie versuchte sich zu konzentrieren - konnte es nicht. »Wieso?«
Seine Lippen kehrten zu ihren zurück, nahmen, hungerten, gaben. Er unterbrach sich erneut, sein Atem ging unregelmäßig. »Weil ich in dir sein will - und du willst es genauso. Hier ist es zu gefährlich.«
Seine direkten Worte schockierten sie, erregten sie. Rüttelten einen Teil ihres Verstandes wach, sodass sie zumindest vage an etwas anderes denken konnte als an die glühende Hitze in ihrem Körper, das heftige Pulsieren in ihren Adern.
Zumindest genug, um eines zu begreifen.
Es war überall zu gefährlich!
Nicht, weil er unrecht hatte, sondern gerade weil er recht hatte.
Seine Worte allein hatten ihre Begierde um ein Vielfaches gesteigert, die Sehnsucht intensiviert, die Leere vergrößert, von der sie ganz genau wusste, dass er sie ausfüllen würde. Sie wollte - mehr als irgendetwas sonst - erneut in dem Genuss schwelgen, sich mit ihm zu vereinigen.
Sie entzog sich seiner Umarmung. »Nein, das können wir nicht …«
Er sah sie an. Blinzelte benommen. »Und ob wir das können.« Er sprach die Worte in einem Ton schlichter Überzeugung, so als würde er ihr versichern, dass sie zusammen einen Spaziergang im Park machen könnten.
Sie starrte ihn an. Ihr war klar, dass ihre Argumente ihn nicht überzeugen würden; sie war noch nie eine gute Lügnerin gewesen.
Bevor er ihr Handgelenk fassen konnte - wie er es andauernd tat - und sie in das nächstbeste Bett schleifen würde, wirbelte sie herum und ergriff die Flucht.
Den Korridor hinunter. Sie spürte seine Gegenwart in ihrem Rücken; sie schwang herum und öffnete eine der zahlreichen Türen. Sie stürzte hindurch.
Ihr Kiefer klappte nach unten, als würde sie ein stummes Oh! aussprechen. Sie blieb schwankend stehen, gefangen in einer großen Wäschekammer. Sie befand sich neben dem Speisezimmer; in den Regalen rechts und links von ihr türmten sich Tischdecken und Servietten. Ihr gegenüber, in der Lücke zwischen den Regalen, befand sich eine Ablage zum Falten der Wäsche.
Bevor sie sich umdrehen konnte, spürte sie Trentham hinter sich. Er füllte den Türrahmen aus, schnitt ihr den Fluchtweg ab.
»Eine hervorragende Wahl.« Seine Stimme war ein tiefes, samtiges Schnurren. Seine Hand umfasste ihr Gesäß und schob sie vorwärts, um ihr in den Raum zu folgen.
Er schloss die Tür.
Sie wirbelte herum.
Tristan zog sie in seine Arme, presste seine Lippen auf die ihren und ließ sich gehen. Er küsste sie besinnungslos, ließ die Leidenschaft von ihnen beiden Besitz ergreifen, ließ die aufgestaute Erregung der vergangenen Woche durch seinen gesamten Körper fließen.
Sie sank gegen ihn, mitgerissen vom Sog. Er genoss ihre Reaktion. Spürte, wie ihre Finger sich anspannten, ihre Nägel sich in seine Schultern bohrten, während sie sich gegen ihn presste - ihn besänftigte und im gleichen Augenblick quälte.
Ihn antrieb.
Warum sie sich gegen ein Bett entschieden hatte, war ihm schleierhaft; vielleicht wollte sie ihren Horizont erweitern. Er war nur allzu begierig, ihr dabei entgegenzukommen, ihr all das zu zeigen, was selbst in so beengten Verhältnissen möglich war.
Ein kleines Lüftungsgitter oberhalb der Tür ließ einen schmalen Streifen des Mondlichts hereinfallen, sodass er genug sehen konnte. Ihr Kleid erinnerte ihn an einen sturmgepeitschten Ozean, aus dem ihre Brüste geschwollen hervorragten - erhitzt und versessen darauf, von ihm berührt zu werden.
Er legte seine Hände darüber und hörte, wie sie seufzte. Hörte das drängende Flehen, das sich dahinter verbarg.
Sie war ebenso erhitzt, ebenso begierig wie er. Mit seinen Daumen umkreiste er ihre Brustwarzen, die sich durch die feine Seide hindurchdrückten - heiß, hart und hungrig.
Während er tiefer in den Kuss versank - ihren Mund andeutungsvoll plünderte, ihr bildhaft vorauszeichnete, was als Nächstes käme -, gab er ihre Brüste frei und löste rasch ihr Mieder; das dunkle Kleid sank bis auf ihre Hüfte herab. Dann öffnete er die Knöpfe an der Vorderseite ihres Unterkleids.
Er schob es über die Schultern herab, bis ihr gesamter Oberkörper nackt war. Ohne den Kuss zu unterbrechen, umfasste er ihre Taille und hob sie auf den Tisch. Er nahm ihr Brüste erneut in die Hände, unterbrach den Kuss und neigte sich hinab, um sich ihnen hingebungsvoll zu widmen.
Sie rang nach Luft, ihre Finger verkrampften sich an seinem Hinterkopf, während ihr Rücken sich nach hinten bog. Ihr Atem klang unterbrochen, verzweifelt; er drängte sie schonungslos weiter, leckte, sog, bis sie schließlich schluchzte.
Und sein Name sich ihren flehenden Lippen entrang.
»Tristan.« Er liebkoste sanft ihre geschwollenen Brustwarzen, dann hob er seinen Kopf. Und küsste sie leidenschaftlich.
Dann schob er ihre Röcke hoch, bauschte ihre weichen Unterröcke um ihre Hüfte herum zusammen, während er ihre Knie zugleich auseinanderdrängte und dazwischentrat.
Er ergriff mit einer Hand ihre nackte Hüfte.
Ließ die Finger seiner anderen Hand über die zarte Haut ihres Oberschenkels nach innen wandern, berührte sie.
Der Schauder, der ihren Körper durchfuhr, hätte ihn beinahe in die Knie gezwungen. Er war genötigt, den Kuss zu unterbrechen und erst einmal tief Luft zu holen, um wenigstens ein winziges Fünkchen Kontrolle zurückzuerlangen.
Damit er sie nicht auf der Stelle nahm.
Er trat näher an sie heran, drängte ihre Schenkel weiter auseinander und öffnete sie mit seinen Fingern. Ihre Lider zitterten; ihre Augen funkelten hinter den dichten Wimpern.
Ihre Lippen waren geschwollen und leicht geöffnet, ihr Atem kam stoßweise, ihre alabasterweißen Brüste hoben und senkten sich, ihre Haut schimmerte im silbrigen Licht.
Er suchte ihren Blick, hielt ihn gebannt, sodass sie sich ganz auf ihn konzentrierte, während seine Finger in ihre enge Spalte eindrangen. Ihr Atem stockte einen Moment, brach dann heftig hervor, während er tiefer in sie hineindrängte. Ihre Finger umklammerten seine Oberarme. Sie war schlüpfrig und feucht und so heiß, dass er sich schier an ihr verbrannte. Er wollte nichts mehr, als seine quälende Erregung in ihrer lockenden Hitze zu vergraben.
Während ihre Blicke fest aneinandergeheftet blieben, bereitete er sie vor, schob seine Finger noch tiefer, um ihren Körper vollkommen gefügig zu machen; dann ließ er ihre Hüfte los, um die Knöpfe seiner Hose zu öffnen und sein Geschlecht an sie heranzuführen. Er packte ihre Hüfte, hielt sie fest und drang vorsichtig in sie ein.
Er betrachtete ihr Gesicht, beobachtete, wie sie ihn ansah, während er tiefer eindrang. Er ließ seine Hand von ihrer Hüfte zu ihrem Hintern gleiten und zog sie etwas nach vorn. Mit der anderen Hand führte er ihr Bein nach oben.
»Leg deine Beine um meine Hüfte.«
Sie atmete tief ein und tat, wie von ihr verlangte wurde. Mit beiden Händen zog er sie an die Kante der Arbeitsfläche und drang Zentimeter für Zentimeter tiefer in sie ein, während er spürte, wie ihr Körper nachgab, sich ihm fügte, ihn in sich aufnahm.
Ihr Blick blieb bei ihm, während ihre beiden Körper sich immer inniger vereinten. Als er schließlich auch den letzten Zentimeter von ihr ausfüllte, nun vollständig in ihr versunken, hielt sie den Atem an. Ihre Wimpern sanken herab, ihre Augen schlossen sich; ihr Gesicht war vor Leidenschaft ganz leer, während ihr Körper den Moment auskostete.
Er teilte den Augenblick mit ihr, beobachtete sie, wusste - fühlte -, was sie fühlte.
Erst als sie ihre Augen wieder aufschlug, ihn wieder ansah, fing er an, sich zu bewegen.
Langsam.
Sein Herz schlug wie wild, Verlangen schoss durch seine Adern, alles in ihm tobte, aber er behielt die Kontrolle - dieser Augenblick war zu wertvoll, um ihn leichtfertig zu verschenken.
Die überwältigende Nähe, als er vorsichtig aus ihr herausglitt, um dann wieder vollständig in ihr zu versinken; der Ausdruck in ihren Augen, die sich vor Leidenschaft immer mehr verdunkelten. Er wiederholte die ruhige Bewegung - in völligem Einklang mit ihrem Herzen, ihrem Verlangen, ihrem drängenden Bedürfnis. Anders als die brutale, harte Lust, die in ihm tobte, erfüllte sie ein weicher, weiblicher Hunger.
Den er noch viel dringender befriedigen musste als seinen eigenen.
Er bewegte sich daher langsam und konzentrierte sich darauf zu beobachten, wie sie immer mehr aufblühte, wie ihr Blick verschwamm, wie ihr Atem abriss, wie sie sich völlig in seiner Umarmung verlor. Er lauschte ihrem sanften Stöhnen, bis er sie schließlich küssen musste, um die allzu verräterischen Geräusche zu ersticken - den allersüßesten Klang, den er je vernommen hatte.
Er hielt sie fest, tief in ihren Körper, tief in ihren Mund versunken, während sie um ihn herum erschauderte, erbebte und schließlich zum Höhepunkt kam. Um ihn völlig überraschend mit sich zu reißen.
In einen Zustand tiefster Glückseligkeit.
Ihr langsames, inniges und zutiefst befriedigendes Zusammenspiel ebbte allmählich ab, kam zum Stillstand. Schwer atmend, die Stirn aneinandergelegt, blieben sie reglos vereint. Beiden dröhnte der Puls in den Ohren. Ihre Augen öffneten sich, ihre Blicke begegneten sich.
Ihre Lippen huschten gegeneinander, ihr Atem vermischte sich.
Ihre gemeinsame Wärme hielt sie beide umfangen.
Er war vollständig von ihrer glühenden Hitze umschlossen und verspürte nicht den geringsten Drang, dies zu ändern. Ihre Arme waren fest um seinen Hals geschlungen, ihre Beine hielten seine Hüfte fest umklammert, sie machte ebenfalls keinerlei Anstalten, die Verbindung zu lösen, ihn freizugeben.
Sie schien noch benommener, noch verwundbarer als er selbst.
»Alles in Ordnung?«
Er flüsterte die Worte und beobachtete, wie ihr Blick aufklarte.
»Ja.« Ihre Antwort kam mit dem Ausatmen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und warf einen flüchtigen Blick auf seine. Dann räusperte sie sich. »Das war …«
Leonora fand kein Wort, das dem gerecht werden konnte.
Seine Mundwinkel zuckten nach oben. »Unbeschreiblich.«
Sie traf seinen Blick, hütete sich aber zu nicken. Sie konnte nur fassungslos staunen, welcher Wahnsinn sie da eben gepackt hatte.
Und welcher Hunger, welche raue Lust ihn gepackt hatte.
Seine Augen waren verdunkelt, aber weich, nicht so durchdringend, wie sie es für gewöhnlich waren. Er schien ihre Verwunderung zu spüren; seine Lippen umspielte ein Lächeln. Er drückte sie gegen die ihren.
»Ich will dich besitzen.« Wieder fühlte sie die sanfte Berührung seiner Lippen. »Auf jede mögliche Art und Weise.«
Sie hörte die Wahrheit hinter seinen Worten, erkannte ihren Klang. Aber sie verstand sie nicht. »Warum?«
»Wegen dem hier. Weil ich niemals genug davon bekommen werde.«
Sie fühlte, wie die Macht der Begierde erneut in ihm aufkeimte; merkte, wie das Gefühl, ihn in sich zu spüren, an Intensität gewann.
»Noch einmal?« Sie hörte die Verblüffung in ihrer eigenen Stimme.
Er antwortete ihr mit einem leisen Knurren, das nach einem dunklen, sehr männlichen Lachen klang. »Noch einmal.«
 
Sie hätte diesem zweiten hitzigen Geschlechtsakt zwischen den Tischdecken in der Wäschekammer niemals zustimmen, ihm niemals nachgeben dürfen.
Als sie am nächsten Morgen am Frühstückstisch saß und ihren Tee schlürfte, beschloss Leonora, in Zukunft unnachgiebiger zu sein - in dem einen Monat, der ihnen beiden verblieb. Trentham - oder Tristan, wie sie ihn seinem eigenen Wunsch nach nennen sollte - hatte sie schließlich mit einem selbstgefälligen, besitzergreifenden und absolut männlichen Lächeln in die Empfangsräume zurückgeführt; ein Verhalten, das sie maßlos geärgert hatte. Zumal sie den starken Verdacht hegte, seine Selbstgefälligkeit mochte daher rühren, dass er glaubte, sie sei seinen Liebeskünsten vollständig erlegen und würde einer Heirat nunmehr willenlos zustimmen.
Aber mit der Zeit würde er eines Besseren belehrt werden. Und bis dahin schien es ihr durchaus angebracht, sich ein wenig mehr in Acht zu nehmen.
Sie hatte ja nicht einmal vorgehabt, dem ersten Akt zuzustimmen, geschweige denn einem zweiten.
Doch sie hatte wieder etwas hinzugelernt und ihren Erlebnisschatz deutlich erweitert. Ihrem Abkommen nach hatte sie nichts zu befürchten - dieser Impuls, dieser körperliche Drang, der sie zueinandertrieb, würde definitiv nachlassen; die eine oder andere Vergnügung zwischendurch war schließlich keine allzu große Sache.
Abgesehen von der überaus realen Möglichkeit, dass sie ein Kind von ihm empfangen konnte.
Die Vorstellung schlich sich völlig unerwartet in ihre Gedanken. Sie nahm sich eine weitere Scheibe Toast und dachte über die Möglichkeit nach. Sie dachte zugleich über ihre intuitive Reaktion hierauf nach.
Die überraschenderweise völlig anders ausfiel, als sie es erwartet hätte.
Mit nachdenklichem Blick wartete sie darauf, dass ihr gesunder Menschenverstand wieder einsetzte.
Schließlich musste sie sich eingestehen, dass ihr Umgang mit Trentham Dinge über sie zutage förderte, die sie selbst gar nicht wusste.
Die sie nicht einmal vermutet hätte.
 
In den folgenden Tagen fand sie reichlich Ablenkung, indem sie sich Cedrics Tagebüchern widmete und sich ansonsten um Humphrey und Jeremy und ihre alltäglichen Pflichten am Montrose Place kümmerte.
Abends hingegen …
Fühlte sie sich wie ein ewiges Aschenputtel, das Nacht für Nacht zum Ball fuhr und ganz unweigerlich in den Armen ihres Prinzen endete. Ein überaus gut aussehender und raffinierter Prinz, der sie, all ihrer Entschlossenheit zum Trotz, jedes Mal aufs Neue um den Verstand … und in ein privates Hinterzimmer brachte, wo sie sich ungestört den sinnlichen Freuden hingeben konnten und dem drängenden Bedürfnis, ihre Körper zu vereinigen - eins zu werden -, hemmungslos nachgaben.
Seine Treffsicherheit war erschreckend; sie hatte keine Ahnung, wie er das anstellte. Selbst wenn sie die naheliegenden Veranstaltungen allesamt ignorierte und sich sehr genau überlegte, wo er sie wohl erwarten würde, um dann gezielt woandershin zu gehen, tauchte er unweigerlich an ihrer Seite auf, sobald sie auch nur den Fuß zur Tür hineinsetzte.
Was seine Kenntnis der jeweiligen Räumlichkeiten anbelangte, grenzte diese schon fast an Hexerei. Sie hatte weitaus mehr Zeit in gesellschaftlichen Kreisen verbracht als er, noch dazu in jüngerer Zeit, und dennoch führte er sie stets mit unfehlbarer Sicherheit in einen kleinen Salon oder eine abgeschiedene Bibliothek, ein Arbeitszimmer oder einen kleinen Wintergarten.
Am Ende der ersten Woche fühlte sie sich regelrecht gehetzt.
Allmählich kam ihr der Verdacht, dass sie ihre gegenseitige Anziehungskraft womöglich unterschätzt hatte.
Oder - schlimmer noch - dass sie die Natur dieser Anziehungskraft völlig falsch gedeutet hatte.