7
Er wählte seine Worte mit Bedacht, ehe er ihre
Frage beantwortete. »Manchmal.«
Ihre Augen blieben fest auf ihn gerichtet;
schließlich wandte sie sich wieder dem Garten zu. »Deshalb wussten
Sie auch, wer ich war, als ich Ihnen in die Arme gelaufen
bin.«
Er erwiderte nichts, sondern fragte sich
vielmehr, in welche Richtung ihre Gedanken sie wohl als Nächstes
führen würden.
Nach einer längeren Pause, den Blick weiterhin
aus dem Fenster gerichtet, murmelte sie: »Ich bin nicht besonders
gut, was das hier angeht.« Ihre Hand beschrieb flüchtig den
Zwischenraum zwischen ihnen beiden. »Ich habe nicht allzu viel
Erfahrung.«
Er stutzte innerlich. »Das hatte ich auch nicht
angenommen.«
Sie drehte den Kopf und sah ihn an. »Sie werden
es mir beibringen müssen.«
Während sie ihn betrachtete, richtete er sich
auf. Sie trat näher an ihn heran. Er runzelte die Stirn und
umfasste instinktiv ihre Taille. »Ich bin mir nicht sicher …«
»Ich bin durchaus gewillt zu lernen.« Ihr Blick
wanderte zu seinen Lippen; ihre eigenen nahmen einen unschuldig
sinnlichen Ausdruck an. »Geradezu begierig.«
Sie sah ihm wieder in die Augen; eine Hand gegen
seine Brust gestützt, reckte sie sich zu ihm hoch und näherte sich
seinen Lippen. Sie murmelte sanft: »Aber das wissen Sie ja
selbst.«
Sie küsste ihn.
Die Aufforderung war derart direkt, dass sie ihn
kurzfristig überwältigte, seinen Verstand ausschaltete und ihn
seinen eigenen Bedürfnissen bedingungslos auslieferte.
Und seine Bedürfnisse waren unerbittlich. Sie
verlangten nach mehr.
Mehr von ihr, von ihrem sanften, reichen Mund,
von ihren betörenden Lippen. Mehr von ihrem Körper, der sich
vorsichtig
und doch entschlossen gegen seinen deutlich härteren Körper
drängte.
Letzteres rüttelte ihn wach, erreichte seinen
Verstand zumindest so weit, dass er sich wieder unter Kontrolle
brachte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was da in ihr vorging
- solange ihre Lippen gegen seine drückten, ihr Mund ganz ihm
gehörte, ihre Zunge mit seiner wetteiferte, konnte er seinen
Verstand nicht genug beisammenhalten, um ihren Gedanken auch nur im
Ansatz folgen zu können.
Später.
Vorerst … konnte er nichts anderes tun, konnte
er seinen Körper zu nichts anderem zwingen, als ihrer Initiative
Folge zu leisten.
Und sie zu lehren.
Er ließ zu, dass sie sich fester an ihn presste,
und schloss sie fest in seine Arme. Er ließ zu, dass sie spürte,
wie sein Körper hart wurde und auf ihre Berührung reagierte, ließ
sie merken, was ihr femininer Körper - sinnlich, geschmeidig und
unverhohlen verführerisch - in all seiner Zartheit, all seiner
Hitze bei ihm auslöste.
Während sie durch das Haus gewandert waren,
hatte sie ihre Pelisse geöffnet. Er ließ seine Hand unter die
schwere Wolle gleiten und umfing ihre Brust - sie nicht mehr nur
leicht umspielend, sondern vollständig von ihr Besitz ergreifend.
Er löste nun ein, was er ihr bei ihrem vorigen Intermezzo nur
angedeutet, ihr neckend versprochen hatte.
Sie rang nach Luft, klammerte sich an ihn, doch
sie zeigte keinerlei Anzeichen von Zweifeln. Ihre Lippen waren mit
den seinen intim verschränkt und verlangten unschuldig nach mehr.
Frei von Angst, frei von Bedenken. Entschlossen. Entfesselt. Sie
war wie gebannt, völlig fasziniert. Er vertiefte den Kuss,
berührte, liebkoste sie.
Spürte, wie die Flammen aufloderten. Spürte, wie
Verlangen in ihm aufstieg, sich ausbreitete und hungrig um sich
griff.
Leonora fühlte es genauso, obwohl sie die
hitzige Leere in ihrem Innern mit keinem Wort hätte benennen
können. Es kochte langsam
in ihr hoch - genauso wie in ihm; verführerisch, verlockend. Es
verlangte sie danach, ihm noch näher zu kommen, die Umarmung noch
zu vertiefen. Ihre Arme wanderten höher, umschlangen seinen Hals;
sie seufzte, als durch die Bewegung ihre Brust noch fester gegen
seine harte Handfläche gepresst wurde.
Seine Hand schloss sich und versetzte ihre Sinne
in Aufruhr. Seine Finger tasteten, suchten, fanden, und ihr
Verstand, ihr gesamtes Leben schien plötzlich
stehenzubleiben.
Dann ein Bersten, eine Explosion, ausgelöst von
seinen erfahrenen Fingern, die fester und fester massierten, bis
sie durch den Kuss hindurch nach Luft rang.
Der Druck seiner Finger lockerte sich, und
glühende Hitze durchflutete ihren Körper - eine Woge der Lust, wie
sie sie noch nie empfunden hatte. Ihre Brust war angeschwollen, das
Mieder ihres Kleides erschien ihr mit einem Mal zu eng. Der dünne
Stoff ihres Unterkleids scheuerte auf ihrer Haut.
Er schien dies zu ahnen; mit geübten Fingern
öffnete er die winzigen Knöpfe auf der Rückseite ihres Kleides. Sie
bekam endlich wieder Luft. Doch im nächsten Moment stockte ihr der
Atem - vor lauter Lust, vor begieriger Erwartung -, als er seine
Hand kühn unter den Stoff ihres Kleides schob, um sie zu
streicheln, sie zu liebkosen. Zwischen ihr und seiner Berührung lag
nur der feine Seidenstoff ihrer chemise;
ihr Verlangen wurde erneut gesteigert und sehnte sich nach einem
noch direkteren Kontakt. Sie brannte darauf, seine Haut unmittelbar
auf der ihren zu spüren, sie brannte auf mehr.
Ihre Lippen waren gierig, ihre Forderungen
eindeutig. Tristan konnte nicht widerstehen. Versuchte es gar nicht
erst.
Mit einem gezielten Ruck lockerte er die
chemise; seine Finger schoben sich zwischen
ihre vollen Brüste und zogen den feinen Stoff nach unten.
Dann legte er seine Hand auf ihren runden
Hügel.
Er spürte den Schauder, der sie in ihrem
tiefsten Innern erschütterte.
Besitzergreifend schloss er seine Hand und
spürte, wie ihr Herz einen Satz machte.
Und wie seines dem Beispiel folgte.
Mitten hinein in ein Feuer sinnlicher Lust, ein
begieriges Geben und Nehmen, ein tiefes gegenseitiges Bewusstsein
und ein allmählich dämmerndes Verständnis ihrer gegenseitigen
Bedürfnisse.
Der Hunger wurde beharrlich genährt - von ihren
Händen, ihren Lippen. Gierig. Unersättlich.
Die Art ihres Zusammenspiels veränderte sich.
Überrascht stellte er fest, dass nicht länger er die Regeln des
Spiels bestimmte, obwohl er es nach wie vor unter Kontrolle hatte.
Ihre zunehmende Selbstsicherheit, ihr Interesse und ihr Verständnis
steuerten die Bewegung ihrer Lippen, bestimmten die Art und Weise,
wie sie ihn empfing, das langsame, sinnliche Streicheln ihrer
Zunge, die verführerischen Liebkosungen ihrer Finger in seinem
Haar, ihre zuversichtliche und entschlossene Art, sich geschmeidig
und voller Wärme in seine Arme sinken zu lassen; sie versanken in
einem Flammenmeer gemeinsamer Leidenschaft, von der er nie geglaubt
hätte, dass er sie mit einer so unschuldigen Frau erleben
könnte.
Lust und eine tugendhafte
Frau.
Er hörte die Worte in seinem Kopf nachhallen,
während sie seine Sinne vollständig in Beschlag nahm. Sie war so
viel mehr, als er erwartet hatte - und er
war ein völlig anderer, als sie es geglaubt hatte. Er lag jenseits ihres Erfahrungsbereiches, doch
zugleich lag sie außerhalb des
seinen.
Das Feuer zwischen ihnen war echt, real; glühend
heiße, versengende Leidenschaft, die auf eine noch intimere Nähe,
auf die Befriedigung ihrer gemeinsamen Bedürfnisse drängte.
Er wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass
sie innerhalb von so kurzer Zeit so weit gehen würden. Er bereute
es keine Sekunde lang, aber …
Tief verborgene Instinkte ließen ihn den Rückzug
antreten und sie behutsam von sich schieben. Seine Berührungen
wurden ruhiger, leichter. Die Flammen verebbten zu einem zarten
Glühen.
Er hob den Kopf und beobachtete ihre Augen. Er
sah zu, wie ihre Lider sich öffneten, und begegnete dem Blick ihrer
klaren, durchdringend blauen Augen.
Er las in ihnen nicht den geringsten Anflug von
Empörung, Zweifel oder Nervosität - er las darin lebhafte Neugier.
Und eine Frage.
Was kommt als Nächstes?
Er kannte die Antwort, doch dies war nicht der
geeignete Moment, ihr die Richtung zu weisen. Noch nicht. Er
erinnerte sich, wo sie sich befanden und welche Pflicht ihn
erwartete. Er spürte, wie seine Züge sich verhärteten. »Es wird
schon dunkel. Ich werde Sie nach Hause begleiten.«
Leonora stutzte innerlich, doch dann fiel ihr
Blick über seine Schulter nach draußen; es war tatsächlich
inzwischen dunkel geworden. Sie blinzelte und tat einen Schritt
zurück, nachdem er sie losgelassen hatte. »Mir war nicht bewusst,
dass es bereits so spät ist.«
Natürlich nicht; ihr Verstand war schließlich
zwischenzeitlich in einen Wirbelsturm geraten. Einen überaus
angenehmen Wirbelsturm, der ihr die Augen ein gutes Stück weit
geöffnet hatte. Sie ignorierte ihre chemise
- sie war nicht gewillt, über das Vorgefallene in irgendeiner Weise
nachzudenken; das konnte sie später tun, wenn er nicht sah, wie sie
dabei errötete -, stattdessen rückte sie lediglich das Oberteil
ihres Kleides zurecht und schloss es rasch, dann knöpfte sie ihre
Pelisse zu.
Sein Blick, so scharf wie eh und je, blieb
beharrlich auf sie gerichtet. Sie hob den Kopf und blickte ihm in
die Augen. Er sah sie prüfend an, zog dann eine Augenbraue hoch.
»Gehe ich recht in der Annahme«, er ließ seinen Blick durch den
Raum schweifen, »dass Ihnen die Ausstattung zusagt?«
Voll Hochmut zog sie ebenfalls ihre Brauen hoch.
»Für Ihre Zwecke sicherlich bestens geeignet, würde ich sagen.«
Welche Zwecke das auch immer sein
mochten.
Mit hocherhobenem Kinn wandte sie sich der Tür
zu. Sie spürte
seine Blicke auf ihrem Rücken, als sie das Zimmer durchquerte,
dann rührte auch er sich und folgte ihr.
Sie hatte äußerst wenig Erfahrung mit Männern.
Vor allem mit Männern wie Trentham. Das war ihrer Überzeugung nach
ihre größte Schwäche, die ihr ungerechterweise beständig zum
Nachteil gereichte, wann immer sie sich in seiner Nähe
befand.
Sie unterdrückte ein ärgerliches Schnauben,
schlang den weichen Quilt fester um sich und ließ sich in den
Sessel vor dem Kamin ihres Schlafzimmers sinken. Draußen war es
eisig kalt, zu kalt, um im Wintergarten zu
sitzen und nachzudenken. Außerdem schienen ihr der Quilt und das
Kaminfeuer hinsichtlich der Dinge, die es zu überdenken galt, ein
weitaus angemesseneres Umfeld darzustellen.
Trentham hatte sie nach Hause geleitet und bei
der Gelegenheit um eine Unterredung mit ihrem Onkel und Jeremy
gebeten. Sie hatte ihn in die Bibliothek geführt und aufmerksam
gelauscht, während er die beiden fragte, ob sie zwischenzeitlich
über irgendetwas gestolpert wären, was den Einbrecher vielleicht
interessieren mochte. Sie hätte ihm bereits im Vorfeld sagen
können, dass keiner der beiden auch nur einen weiteren Gedanken an
den Einbrecher, geschweige denn an dessen Motiv, verschwendet
hatte, seit er, Trentham, das Thema zuletzt angeschnitten hatte -
und genauso war es auch. Keiner der beiden hatte eine Idee oder
eine Ahnung; der verblüffte Ausdruck in ihren Augen ließ vielmehr
erkennen, wie erstaunt beide darüber waren, dass Trentham sich
immer noch für dieses Thema interessierte.
Er erkannte dies ebenso gut wie sie; sein
Gesicht wirkte angespannt, doch er dankte ihnen trotz allem und
verabschiedete sich höflich.
Nur sie hatte seine
Missbilligung bemerkt; ihr Onkel und ihr Bruder hatten sich, wie
immer, entschlossen ahnungslos gegeben.
Gefolgt von Henrietta, die Trenthams Anwesenheit
eindeutig
schätzte, waren sie zusammen in die Eingangshalle zurückgekehrt.
Sie hatte Castor bereits seiner Pflicht entbunden; im sanften
Lampenschein der vertrauten Umgebung hatte sie sich sicher
gefühlt.
Dann war ihr Blick zu Trentham hinaufgewandert,
und mit einem Mal fühlte sie sich nicht mehr sicher, sondern
vielmehr erhitzt. Wärme durchströmte ihre Haut; eine leichte Röte
stieg ihr ins Gesicht. Ein Blick in seine Augen und die darin
spielenden Gedanken hatte ausgereicht.
Sie standen dicht beieinander. Er fuhr ihr mit
seiner Hand über die Wange, legte dann einen Finger unter ihr Kinn,
um ihr Gesicht anzuheben. Er berührte ihre Lippen in einem
flüchtigen, unbefriedigenden Kuss.
Dann hob er den Kopf und sah ihr in die Augen.
Er hielt ihren Blick einen Moment lang gefangen, dann murmelte er:
»Geben Sie gut auf sich Acht.«
Er hatte sie gerade erst losgelassen, als Castor
wie aus dem Nichts auftauchte. Trentham war zur Tür hinausgegangen,
ohne sich noch einmal umzublicken, und hatte sie mit ihren Fragen
und Spekulationen allein gelassen. Und mit ihren Plänen.
Sie musste sich nur noch trauen.
Dies - so überlegte sie, während sie sich
zugleich tiefer in ihren Quilt kuschelte - war in der Tat die
zentrale Frage. Würde sie sich trauen, ihre Neugier vollends zu
befriedigen? In Wahrheit handelte es sich um weit mehr als nur
Neugier; sie verspürte ein unbändiges Verlangen zu wissen, zu
erfahren, was - körperlich wie emotional - zwischen einem Mann und
einer Frau alles passieren konnte.
Sie hatte immer damit gerechnet, diese Dinge
eines Tages zu erfahren. Doch das Schicksal und die Gesellschaft
hatten sich dazu verschworen, sie im Dunkeln zu lassen - nur weil
ein ungeschriebenes Gesetz es so vorsah, dass nur verheiratete
Frauen an dieser Erfahrung teilhaben, sie durchleben und die
entsprechenden Kenntnisse erlangen durften.
Das war ja alles schön und gut, wenn man noch
ein junges Mädchen war. Doch mit sechsundzwanzig war sie dieser
Kategorie eindeutig
entwachsen; aus ihrer Sicht hatte dieses Gebot für sie nicht
länger Gültigkeit.
Sie hatte noch keine sinnvolle moralische
Erklärung dafür gefunden, warum die Gesellschaft bei verheirateten
Frauen, sofern sie ihrem Gatten bereits einen Erben geschenkt
hatten, eine Affäre kommentarlos duldete, wenn diese nur diskret
genug gehandhabt wurde.
Leonora hatte vor, sich mehr als diskret zu
verhalten; sie selbst hatte überdies keinen
Schwur abgelegt, den sie hätte brechen können.
Wenn sie tatsächlich gewillt war, auf Trenthams
Angebot einzugehen, sich in die Freuden einweihen zu lassen, die
ihr bislang vorenthalten worden waren, so gab es ihrer Ansicht nach
keine gesellschaftliche Norm, an die sie sich dabei halten musste.
Und was das Problem einer ungewollten Schwangerschaft anbelangte,
so musste es hierfür eine Lösung geben, ansonsten wäre London mit
Bastarden nur so überschwemmt und mindestens die Hälfte der
verheirateten Damen müsste permanent schwanger sein; sie war
überzeugt davon, dass Trentham sich in dieser Hinsicht
auskannte.
Es waren nicht zuletzt seine Erfahrung und seine
offenkundige Sachkenntnis, die ihr Interesse geweckt und sie dazu
bewogen hatten, sein heutiges Angebot ohne zu zögern
anzunehmen.
Sicherlich hatte sie seine Aufforderung richtig
verstanden; das langsame Fortschreiten ihrer Beziehung - von einer
leichten Berührung, über einen Kuss hin zu intimer Liebkosung -
bestätigte das. Diesmal hatte sie den ersten Schritt getan, er
hatte ihr im Gegenzug einen Vorgeschmack auf das gegeben, was sie
bislang verpasst hatte - und was noch vor ihr lag.
Er hatte sie mit einer Intimität vertraut
gemacht, die eindeutig ein Vorspiel zu dem darstellte, was sie so
dringend erfahren wollte. Er war gewillt, sie in dieses Abenteuer
hineinzuführen, ihr Lehrer auf diesem Gebiet zu sein. Sie zu
leiten, zu lehren, einzuweihen. Im Gegenzug würde sie natürlich …
Aber das war ihr ja durchaus bewusst, und für wen sollte sie sich
schon aufsparen?
Die Ehe und die damit verbundene Abhängigkeit
waren ein Joch, das ihrer Natur zutiefst widersprach. Sie hatte
dies seit Langem akzeptiert, und ihr einziges Bedauern - ein
stilles Bedauern, das sie teilweise unterdrückt hatte - galt der
Tatsache, dass sie dieses spezielle sinnliche Vergnügen
körperlicher Nähe niemals erleben würde.
Doch plötzlich war Trentham erschienen und rieb
ihr dieses Vergnügen geradewegs unter die Nase.
Während ihre Augen fest auf die züngelnden
Flammen im Kamin gerichtet waren, spielte sie ernsthaft mit dem
Gedanken zuzugreifen.
Wenn sie jetzt nicht reagierte und die Chance
nutzte, die ihr das Schicksal so unerwartet darbot, wer weiß, wie
lange sein Interesse noch andauern, sein Angebot noch stehen würde?
Männer vom Militär waren nicht gerade bekannt für ihre
Beständigkeit; das hatte sie aus erster Hand erfahren müssen.
Ihre Gedanken wanderten weiter, abgelenkt von
den sich ihr bietenden Möglichkeiten. Die Flammen im Kamin wichen
allmählich einer feurigen Glut.
Als die Kälte des Raumes schließlich in ihre
Gedanken vordrang, wusste sie, dass sie einen Entschluss gefasst
hatte. Ihr Verstand kreiste längst um zwei ganz andere Fragen: Wie
würde sie Trentham ihren Entschluss begreiflich machen? Und wie
konnte sie die Geschehnisse steuern, sodass sie selbst die Zügel in
der Hand behielt?
Tristan erhielt ihren Brief mit der ersten Post
am nächsten Morgen.
Nach den gängigen Einleitungsfloskeln schrieb
Leonora:
Hinsichtlich der Frage, was der
Dieb in unserem Hause suchen könnte, erachte ich es für sinnvoll,
die Werkstatt meines verstorbenen Cousins Cedric zu durchsuchen.
Der Raum ist relativ groß, aber er wurde bereits vor Jahren
abgeschlossen,
noch bevor wir selbst hier eingezogen sind. Es wäre durchaus
möglich, dass eine intensive Durchsuchung etwas zutage fördert, das
einen realen, wenn auch eher geistigen Wert besitzt. Ich werde nach
dem Mittagessen mit der Suche beginnen; sollte ich irgendeine
beachtenswerte Entdeckung machen, werde ich es Ihnen
selbstverständlich mitteilen.
Hochachtungsvoll
etc.
Leonora Carling
Er las den Brief dreimal durch. Sein
wohlgeschulter Instinkt verriet ihm, dass mehr dahintersteckte, als
der einfache Wortlaut vermuten ließ, doch Leonoras tiefer gehende
Absichten blieben ihm unergründlich. In der festen Überzeugung, er
müsse wohl zu lange als verdeckter Agent gearbeitet haben und
überall Verschwörungen suchen, wo es offenkundig keine gab, legte
er den Brief beiseite und wandte sich dringlicheren Dingen
zu.
Seinen eigenen wie den ihren.
Er begann mit Letzteren und erstellte eine Liste
aller möglichen Vorgehensweisen, die dazu dienen mochten, die wahre
Identität von Montgomery Mountford zu ermitteln. Nachdem er die
Liste noch einmal überflogen hatte, schrieb er eine eindeutige
Vorladung und wies einen Diener an, diese umgehend zuzustellen.
Danach verfasste er eine Reihe von Briefen, auf die ihre jeweiligen
Empfänger wenig erpicht sein würden. Aber Schulden waren nun einmal
Schulden, ganz gleich welcher Art, und er trieb sie schließlich nur
ein, um damit einem guten Zweck zu dienen.
Eine Stunde später führte Havers eine
unscheinbare und eher schäbig wirkende Person ins Arbeitszimmer.
Tristan lehnte sich zurück und wies auf einen Stuhl. »Guten Morgen,
Colby. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«
Der Mann gab sich argwöhnisch, aber keineswegs
unterwürfig. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und setzte
sich. Während Havers die Tür hinter ihm schloss, blickte er sich
flüchtig um, dann
sah er wieder Tristan an. »Morgen, Sir … Verzeihung … Eure
Lordschaft, müsst es jetzt heißen, nich?«
Tristan lächelte nur.
Colbys Nervosität nahm sichtlich zu. »Also,
womit kann ich Ihnen behilflich sein?«
Tristan weihte ihn ein. Trotz seines
unscheinbaren Auftretens war Colby der unumstrittene Herrscher
jenes Teils der Londoner Unterwelt, der unter anderem den Montrose
Place umfasste. Tristan hatte mit ihm Bekanntschaft geschlossen -
oder vielmehr sichergestellt, dass Colby ihn kannte -, nachdem sie das Haus Nummer zwölf für
ihren Klub auserkoren hatten.
Als Colby von den seltsamen Machenschaften am
Montrose Place erfuhr, reagierte er grimmig und sog schneidend die
Luft durch die Zähne. Tristan hatte keinen Moment lang angenommen,
dass die versuchten Einbrüche das Machwerk örtlicher
Durchschnittsganoven waren; Colbys Reaktion wie auch seine verbale
Bestätigung gaben dieser Vermutung recht.
Colbys Augen verengten sich; er sah nun weit
mehr nach dem potenziell gefährlichen Schurken aus, der er
tatsächlich war. »Ich würd diesen feinen Gentleman ja zu gern mal
kennenlernen.«
»Er gehört mir«, entgegnete Tristan
sachlich.
Colby sah ihn einschätzend an, nickte dann. »Ich
werd’s allen sagen, dass Sie’n Wörtchen mit ihm zu wechseln haben.
Wenn einer meiner Jungs über ihn stolpert, werd ich Sie’s wissen
lassen.«
Tristan neigte den Kopf. »Sobald ich ihn in die
Hände bekomme, werden Sie nichts mehr von ihm hören.«
Colby nickte knapp - Geschäft angenommen.
Information als Gegenleistung für die Beseitigung eines
Konkurrenten. Tristan läutete nach Havers, der den Mann zur Tür
geleitete.
Tristan vollendete den letzten seiner Briefe -
alle mit demselben Inhalt, nämlich der Forderung nach Informationen
- und übergab sie an Havers, und zwar mit einer eindeutigen
Anweisung bezüglich ihrer Auslieferung: »Keine Livree, und schicken
Sie Ihren kräftigsten Diener.«
»Sehr wohl, Mylord. Verstehe. Wir wollen dem
Ganzen etwas mehr Nachdruck verleihen. Collison wäre sicherlich der
richtige Mann hierfür.«
Tristan nickte und unterdrückte ein Lächeln,
während Havers sich zurückzog. Der Mann war ein wahrer Segen; er
kümmerte sich um die schier endlosen Anliegen seiner älteren Damen
und widmete sich mit derselben Gelassenheit den ungleich raueren
Angelegenheiten seiner eigenen Geschäfte.
Nachdem Tristan alles erledigt hatte, was er in
Sachen Mountford unternehmen konnte, wandte er sich den
alltäglichen Aufgaben und Pflichten zu, die ihm sein Dasein als
Earl auferlegte; die Uhr tickte derweil beharrlich weiter, und
zahllose Minuten verstrichen, ohne dass Tristan hinsichtlich der
Sicherheit im Zuständigkeitsbereich selbigen Earls irgendwelche
nennenswerten Fortschritte verzeichnen konnte.
Für jemanden von seinem Naturell war diese
Tatsache überaus unerquicklich.
Er ließ sich von Havers das Mittagessen auf
einem Tablett servieren und arbeitete unermüdlich den Stapel an
Geschäftsbriefen ab. Auf den letzten dieser Briefe schrieb er einen
knappen Vermerk an seinen Verwalter, dann schob er den Stapel
seufzend beiseite.
Und richtete seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf
das Thema Heirat.
Auf seine zukünftige Gattin.
Es war bezeichnend, dass er sich Leonora nicht
als seine Braut vorstellte, sondern als seine zukünftige Ehefrau.
Ihre Verbindung würde sich nicht nach gesellschaftlichen
Äußerlichkeiten richten, sondern nach den praktischen, ungeschönten
Anforderungen des alltäglichen Lebens. Er konnte sie sich
problemlos an seiner Seite vorstellen, als seine Countess, wie sie
sich den Pflichten ihres zukünftigen Lebens widmete.
Er hätte wohl eine Reihe möglicher Kandidatinnen
in Betracht ziehen sollen. Hätte er darum gebeten, wären ihm die
werten Klatschmäuler in seinem Haushalt nur allzu gern mit einer
umfänglichen
Liste zu Hilfe geeilt. Er hatte mit diesem Gedanken gespielt,
zumindest hatte er sich das eingeredet, doch in einer so privaten
und wesentlichen Angelegenheit den Rat anderer einzuholen,
widerstrebte ihm heftig.
Außerdem war dies nun überflüssig, reine
Zeitverschwendung.
Rechts von seiner Schreibtischunterlage lag
Leonoras Brief. Sein Blick blieb daran haften, an der feinen
Handschrift, die deutlich an ihre Besitzerin erinnerte; während er
so dasaß und brütete, drehte er die Feder in seinen Fingern rastlos
hin und her.
Die Uhr schlug drei. Er blickte auf und legte
die Feder beiseite; dann schob er den Stuhl zurück, stand auf und
ging in Richtung Flur.
Havers erwartete ihn in der Eingangshalle; er
half ihm in den Mantel, reichte ihm seinen Stock und öffnete ihm
die Tür.
Tristan trat hinaus, ging schwungvollen
Schrittes die Treppe hinunter und machte sich auf den Weg zum
Montrose Place.
Er traf Leonora in Cedrics Werkstatt an, einem
großzügigen Raum im Kellergeschoss des Hauses. Die Wände bestanden
aus dickem, kaltem Mauerwerk. Entlang der einen Wand blickte eine
Reihe hochgelegener Fenster in Bodennähe auf den vorderen Garten
hinaus; sie hatten sicherlich einmal ausreichend Licht in den Raum
einfallen lassen, doch inzwischen waren sie trüb und
gesprungen.
Tristan bemerkte sofort, dass die Fenster selbst
für ein Kind zu klein waren, um hindurchkriechen zu können.
Leonora hatte ihn nicht hereinkommen hören; ihre
Nase war tief in einem dicken, moderigen Buch vergraben. Er kratzte
mit seiner Sohle über den Steinboden. Sie blickte auf - lächelte
ihn freudig an.
Er lächelte zurück und ließ sich von der
schlichten Geste wärmen; schlendernd betrat er den Raum und sah
sich um. »Sagten Sie nicht, dieser Raum wäre jahrelang verschlossen
gewesen?«
Er bemerkte keinerlei Spinnweben, und alle
Oberflächen - Tische, Fußboden und Regale - waren makellos
sauber.
»Ich habe die Hausmädchen heute Morgen hier
hereingeschickt.
« Sie begegnete seinem Blick, als er sich ihr zuwandte. »Ich bin
keine allzu große Freundin von Spinnen.«
Er bemerkte einen Stapel staubiger Briefe, die
neben ihr auf der Werkbank lagen; seine heitere Stimmung schwand.
»Haben Sie irgendetwas gefunden?«
»Nichts Konkretes.« Sie schlug das Buch zu; eine
Staubwolke stieg aus den Seiten auf. Sie deutete auf ein hohes
Holzregal - eine Art Kreuzung aus Registratur und Bücherregal -,
das die Wand oberhalb der Werkbank einnahm. »Er war zwar
ordentlich, aber leider ohne jede Methode. Er scheint über die
Jahre hinweg alles verwahrt zu haben. Ich habe Rechnungen und
Belege aus Stapeln von Briefen heraussortiert und Einkaufslisten
zwischen Entwürfen wissenschaftlicher Schriften
herausgefischt.«
Er nahm das oberste Blatt vom Stapel. Es
handelte sich um einen Brief in verblichener Schrift. Auf den
ersten Blick hätte er auf eine Frauenhandschrift getippt, aber der
Inhalt war eindeutig wissenschaftlicher Natur. Er warf einen Blick
auf die Unterschrift. »Wer ist A.J.?«
Leonora lehnte sich näher an ihn heran, um den
Brief genauer zu betrachten. Ihr Busen streifte seinen Arm. »A.J.
Carruther.«
Sie wandte sich ab und stellte das alte Buch
zurück ins Regal. Er unterdrückte den instinktiven Drang, sie
zurückzuziehen, um die körperliche Nähe wiederherzustellen.
»Carruther und Cedric haben regelmäßig
miteinander korrespondiert - wie es aussieht, haben sie vor Cedrics
Tod an einer gemeinsamen Abhandlung gearbeitet.«
Nachdem sie den Band sicher abgestellt hatte,
drehte sie sich um. Tristan blätterte die anderen Briefe durch.
Ihren Blick fest auf den Papierstapel geheftet, kam sie näher. Sie
verschätzte sich bei der Entfernung und machte einen Schritt zu
viel, ihre Hüfte und ihre Schulter streiften seinen Körper.
Verlangen loderte auf, züngelte zwischen ihnen
hin und her.
Tristan versuchte zu atmen. Vergeblich. Die
Briefe entglitten seiner Fingern. Er zwang sich, einen Schritt
zurückzutreten.
Seine Füße rührten sich nicht von der Stelle.
Sein Körper sehnte sich zu sehr nach der Berührung, als dass er sie
ihm hätte verwehren können.
Sie blickte durch ihre Wimpern hindurch flüchtig
zu ihm auf, dann wich sie - scheinbar peinlich berührt - ein
winziges Stück zurück, sodass zwischen ihnen ein Zentimeter Luft
entstand.
Zu viel. Und doch nicht genug. Seine Hände
wanderten bereits nach oben, um Leonora zurückzuziehen, als er sich
seiner Handlung bewusst wurde und die Arme abrupt sinken
ließ.
Sie griff rasch nach den Briefen und breitete
sie vor sich aus.
»Ich wollte«, ihre Stimme klang heiser; sie
unterbrach sich, um sich zu räuspern, »die hier gerade durchgehen.
Möglicherweise enthalten sie irgendeinen Hinweis.«
Es dauerte länger, als ihm lieb war, ehe er sich
wieder vollständig auf die Briefe konzentrieren konnte; er hatte
eindeutig zu lange in Abstinenz gelebt. Er holte tief Luft, atmete
aus. Sein Verstand kehrte zurück. »In der Tat. Möglicherweise
können wir daraus ableiten, ob Cedric irgendetwas entdeckt hat,
hinter dem Mountford her sein könnte. Wir dürfen nicht vergessen,
dass er das Haus zunächst kaufen wollte. Es muss also etwas sein,
das im Haus verblieben wäre.«
»Oder auf das er, als neuer Besitzer, Zugriff
gehabt hätte, noch bevor wir ausgezogen wären.«
»Richtig.« Er breitete die Briefe auf der ganzen
Werkbank aus und ließ dann seinen Blick über die Regalfächer
wandern. Er kehrte der personifizierten Versuchung den Rücken und
schritt die Werkbank entlang, seinen Blick fest auf das Regal
geheftet auf der Suche nach weiteren Briefen. Er zog alle heraus,
die ihm ins Auge fielen, und legte sie ebenfalls auf die
Arbeitsfläche. »Ich möchte, dass Sie alle Briefe durchgehen und
diejenigen zur Seite legen, die in dem Jahr vor Cedrics Tod
geschrieben wurden.«
Leonora schritt hinter ihm her und studierte
nachdenklich seinen Rücken, dann versuchte sie, einen Blick auf
sein Gesicht zu erhaschen. »Das sind sicherlich Hunderte.«
»Egal, wie viele - Sie müssen sie alle
durchsehen. Machen Sie eine Liste seiner Briefpartner, und senden
Sie jedem von ihnen ein Schreiben, in dem Sie fragen, ob Cedric
ihres Wissens nach an etwas gearbeitet hat, was einen kommerziellen
oder militärischen Nutzen haben könnte.«
Sie blinzelte. »Kommerziellen oder militärischen
Nutzen?«
»Seine Briefpartner würden es zweifellos wissen.
Wissenschaftler wie Ihr Onkel oder Ihr Bruder, mögen sie auch noch
so sehr in ihrer Arbeit aufgehen, sind sich der Verwertbarkeit
ihrer Forschungsergebnisse meist sehr wohl bewusst.«
»Hm.« Ihr Blick war weiter auf seine
Schulterblätter geheftet, sie folgte ihm auf dem Fuß. »Ich soll
also jedem schreiben, mit dem Cedric in seinem letzten Lebensjahr
Kontakt hatte.«
Er erreichte das Ende des Raumes und drehte sich
schwungvoll um. Sie sah zu Boden … und lief geradewegs in ihn
hinein. Er fing sie ab; sie sah - mit gespielter Überraschung - zu
ihm auf.
Ihr Pulsrasen und das wilde Hämmern ihres
Herzens waren hingegen echt.
Er sah ihre Lippen an; ihr Blick wanderte zu den
seinen.
Dann blickte er hinüber zur Tür.
»Das Personal ist beschäftigt.« Dafür hatte sie
gesorgt.
Sein Blick kehrte zurück zu ihrem Gesicht. Sie
erwiderte ihn nur flüchtig; als er keine sofortige Reaktion zeigte,
befreite sie ihre Hände und schob die eine in seinen Nacken,
während sie mit der anderen sein Revers umfasste.
»Nun seien Sie nicht so zimperlich, und küssen
Sie mich schon.«
Tristan blinzelte sie an. Sie bewegte sich ganz
leicht und streifte unwillkürlich den Teil seines Körpers, der auf
ihre Nähe am empfindlichsten reagierte.
Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden,
beugte er sich zu ihr hinab.
Als Tristan ihr etwa eine Stunde später entkam,
war er einigermaßen verwirrt. Es lag Jahre - Jahrzehnte - zurück,
dass er sich heimlich
derart harmlosen Vergnügungen hingegeben hatte; doch statt der zu
erwartenden Langeweile erfüllte ihn eine Art selbstgefällige
Befriedigung, die in jenen geheimen Freuden nur so schwelgte.
Während er den Weg zum Tor entlangschritt, fuhr
er sich mit einer Hand durchs Haar und hoffte, dass seine
derangierte Frisur den Anforderungen genügte. Leonora hatte es sich
zur Gewohnheit gemacht, ihm das elegant geschnittene Haar gründlich
zu zerzausen. Nicht, dass er sich darüber beschweren wollte. Sie
zerzauste, er genoss.
Ihren Mund, ihre Kurven.
Als er den Arm wieder sinken ließ, bemerkte er
Staub an seinem Ärmel. Er klopfte ihn sich ab. Die Hausmädchen
hatten sämtliche Oberflächen abgestaubt, nicht jedoch die Briefe.
Als er und Leonora schließlich voneinander ließen, hatte er den
verräterischen Staub nicht nur von sich selbst, sondern auch von
Leonora abklopfen müssen. Und in ihrem Fall nicht allein von ihrer
Kleidung.
Der Anblick, den sie in diesem Moment geboten
hatte, flirrte nun vor seinem inneren Auge. Ihre Augen waren
strahlend, ihre Pupillen vergrößert gewesen, ihre Augenlider
schwer, ihre Lippen von seinem Kuss geschwollen. Er konzentrierte
sich im Geiste auf ihren Mund - ein überaus sinnlicher Mund, der
ihm zunehmend Bilder vor Augen führte, die für gewöhnlich nicht mit
einer tugendhaften Lady in Verbindung gebracht wurden.
Er zog das Eingangstor hinter sich zu und
unterdrückte ein süffisant männliches Grinsen - er ignorierte die
körperlichen Auswirkungen, die jene Gedanken ganz unweigerlich bei
ihm auslösten. Die nachmittäglichen Enthüllungen hatten seine
Stimmung erheblich verbessert. Rückblickend stellte er fest, dass
er gleich an mehreren Fronten Erfolge verzeichnen konnte.
Er hatte sich mit dem festen Entschluss in
Cedrics Werkstatt begeben, seine Nachforschungen bezüglich des
Einbrechers voranzutreiben. Seine Ungeduld spornte ihn an; es war
seine Pflicht zu heiraten, um seine alten Damen vor dem Schicksal
der Mittellosigkeit zu bewahren, doch bevor er Leonora heiraten
konnte, musste
er erst die ihr drohende Gefahr abwenden. Die Beseitigung dieser
Gefahr stand für ihn an erster Stelle; sie war viel zu konkret,
viel zu real, um in die Zweitrangigkeit abzurutschen. Bevor er
seine Mission nicht erfüllt hatte, würde er sich voll und ganz
dieser Sache widmen.
Nachdem er alle Kanäle der Londoner Unterwelt
bis an seine Grenzen ausgeschöpft hatte, widmete er sich den
möglichen Vorgehensweisen, die sich aus der Suche in Cedrics
Werkstatt ergeben konnten.
Cedrics Briefe mochten sich in der Tat als
dienlich erweisen. Zum einen, um herauszufinden, ob Cedrics Arbeit
das potenzielle Ziel der Einbrüche darstellte, zum anderen, um
Leonora zu unterhalten.
Nun, vielleicht nicht direkt, um sie zu
unterhalten, aber zumindest, um sie zu beschäftigen. Wenigstens in
dem Maße, dass sie sich nicht gleich wieder in irgendwelche neuen
Aktionen stürzte.
An einem einzigen Tag hatte er viel erreicht.
Zufrieden schritt er weiter und konzentrierte sich nun auf den
folgenden Tag.
Sich ihre eigene Verführung zurechtzuschneidern
oder zumindest aktiv in Gang zu bringen, gestaltete sich
schwieriger als erwartet. Leonora hatte gehofft, in Cedrics
Werkstatt noch weiter voranzukommen, aber Trentham hatte
unglücklicherweise die Tür offen stehen lassen. Quer durch den Raum
zu gehen und sie eigenhändig zu schließen, wäre wohl doch ein wenig
zu direkt gewesen.
Nicht, dass es überhaupt keine Fortschritte zu
verzeichnen gäbe; sie hätte sich lediglich größere Fortschritte
gewünscht.
Und nun hatte er ihr auch noch die Arbeit mit
Cedrics Korrespondenz aufgehalst. Wenigstens hatte er die Suche auf
dessen letztes Lebensjahr beschränkt.
Den Rest des gestrigen Tages hatte sie mit Lesen
und Sortieren zugebracht - sprich damit, verblichene Handschriften
und unleserliche Daten zu entziffern. Heute Morgen hatte sie die
relevanten Briefe nach oben in den Salon getragen und sie auf
diversen Tischen
verteilt. Im Salon erledigte sie für gewöhnlich alle Arbeiten, die
die Haushaltsführung betrafen; sie setzte sich an ihren Sekretär
und erstellte pflichtbewusst eine Liste aller Namen und
Adressen.
Eine sehr lange Liste.
Dann setzte sie ein Schreiben auf, in dem sie
dem jeweiligen Empfänger mitteilte, dass Cedric verstorben war, und
ihn darum bat, mit ihr in Kontakt zu treten, sofern er irgendetwas
darüber wusste, ob Cedrics Arbeit - seine Entdeckungen, seine
Erfindungen - oder auch sein Besitz irgendetwas beinhalten mochte,
das von besonderem Wert war. Anstatt die Einbrüche als Begründung
heranzuziehen, erklärte sie, man sei aus Platzgründen leider
gezwungen, alle wertlosen Schriften, Stoffe und Hilfsmittel zu
verbrennen.
Wenn sie diese Wissenschaftler richtig
einschätzte, würden sie unmittelbar zur Feder greifen, wenn sie
erfuhren, dass irgendetwas Wertvolles der Zerstörung anheimfallen
sollte.
Nach dem Mittagessen machte sie sich an die
undankbare Aufgabe, ihren Brief unzählige Male abzuschreiben und an
die diversen Empfänger auf ihrer Liste zu adressieren.
Als sie beim Schlag der Uhr aufsah und
feststellte, dass es bereits drei Uhr war, legte sie die Feder
beiseite und streckte ihren schmerzenden Rücken.
Genug für heute. Nicht einmal Trentham würde von
ihr erwarten, dass sie alle Briefe an einem Tag abarbeitete.
Sie ließ sich den Nachmittagstee servieren; als
Castor ihr das Tablett brachte, goss sie sich ein und schlürfte
genüsslich das heiße Getränk.
Und dachte an Verführung.
Ihre eigene.
Ein überaus anregendes Thema, besonders für eine
sechsundzwanzigjährige, unfreiwillige, doch resignierte Jungfrau.
Zumindest war sie das bislang gewesen; ihre Resignation hatte sie
allerdings inzwischen abgelegt. Die Gelegenheit lockte, und sie war
fest entschlossen, sie zu nutzen.
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war zu
spät, um Trentham
zum Nachmittagstee einen Besuch abzustatten. Außerdem legte sie
keinen gesteigerten Wert darauf, sich von seinen älteren Damen
umzingeln zu lassen; damit war ihren Absichten keineswegs
gedient.
Aber einen ganzen Tag ungenutzt verstreichen zu
lassen, war nicht ihre Art. Sie musste sich einen guten Grund
einfallen lassen, um jetzt noch bei ihm aufzukreuzen und ihn
hierher - in eine hilfreichere Umgebung - zu locken.
»Wünschen Sie, dass ich Sie ein wenig herumführe,
Miss?«
»O nein, danke.« Leonora trat in den
Wintergarten von Trentham House und schenkte Trenthams Butler ein
bestätigendes Lächeln. »Ich werde einfach ein bisschen
herumspazieren und auf Seine Lordschaft warten. Sie sind sich doch
sicher, dass er bald zurückkehren wird?«
»Er wird ganz sicher vor Einbruch der Dunkelheit
wieder hier sein.«
»In dem Fall …« Sie lächelte und machte eine
ausschweifende Geste, während sie einen weiteren Schritt in den
Raum tat.
»Sollten Sie irgendetwas wünschen, hier links
befindet sich der Klingelzug.« Ruhig und besonnen verneigte er sich
und ließ Leonora allein.
Sie sah sich um. Trenthams Wintergarten war sehr
viel größer als ihr eigener; er war geradezu gigantisch. Sie
erinnerte sich an seinen vermeintlichen Wunsch nach Informationen
und schnaubte verächtlich. Sein Wintergarten war nicht nur größer,
er war auch noch besser, die Temperatur war gleichmäßiger und der
Boden mit einem wunderschönen blau-grünen Mosaik ausgelegt.
Irgendwo plätscherte ein kleiner Springbrunnen - hinter all dem
kunstvoll angelegten, dichten, saftigen Grün konnte sie ihn nicht
sehen.
Ein kleiner Weg führte sie tiefer in den Garten
hinein; sie schlenderte weiter.
Es war vier Uhr; das Licht, das durch die
Scheiben hereinfiel, wurde rasch schwächer. Trentham würde
höchstwahrscheinlich
bald zurückkehren; aber warum er unbedingt vor Einbruch der
Dunkelheit zu Hause sein wollte, war ihr unverständlich. Der Butler
hatte dies jedoch nachdrücklich betont.
Sie erreichte das Ende des Weges und betrat eine
Art Lichtung, die von hohen Büschen und blühenden Sträuchern
gesäumt wurde. In ihrer Mitte befand sich ein kleiner Teich mit
einer niedrigen Fontäne, die für das plätschernde Geräusch
verantwortlich war. Hinter dem Teich, ihr gegenüber, stand eine
üppig gepolsterte Bank, die dem Verlauf der gebogenen Fensterfront
folgte. Von ihr aus hatte man entweder einen Blick auf den Garten
draußen oder auf den Teich und den reich bestückten Wintergarten
hier drinnen.
Sie ging hinüber zur Bank und ließ sich auf die
Kissen sinken. Sie waren dick und weich - für ihre Zwecke mithin
bestens geeignet. Sie überlegte kurz, dann stand sie auf und ging
einen Weg hinunter, der sie an der gewölbten Fensterfront
entlangführte. Sie würde Trentham besser im Stehen begegnen; er
überragte sie auch so schon bei Weitem. Sie konnte ihn genauso gut
von hier aus zur Bank zurückführen …
Eine flüchtige Bewegung draußen im Garten
erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie blieb stehen und sah genauer hin,
konnte aber nichts Besonderes entdecken. Während sie herumspaziert
war, hatte die Dunkelheit beständig zugenommen; dichte Schatten
lagen unter den Bäumen.
Plötzlich löste sich aus einem dieser Schatten
die Silhouette eines Mannes. Groß, schlank, dunkelhaarig, mit
zerlumptem Mantel und dreckiger Cordhose, eine ramponierte Kappe
tief in die Stirn gezogen. Er sah sich verstohlen um und näherte
sich mit eiligen Schritten dem Haus.
Leonora schnappte erschrocken nach Luft. Wilde
Spekulationen über einen weiteren Einbrecher und Erinnerungen an
einen Mann, der sie zweimal angegriffen hatte, schossen ihr
unvermittelt durch den Kopf. Dieser Mann hier war hingegen deutlich
größer; wenn er erst einmal Hand an sie legte, würde sie sich wohl
nicht selbst befreien können.
Und seine weit ausgreifenden Schritte führten
ihn geradewegs auf den Wintergarten zu.
Vor lauter Panik erstarrt, blieb sie regungslos
im Schatten der dicht gedrängten Pflanzen stehen. Die Tür war
gewiss verriegelt; Trentham hatte einen hervorragenden Butler
…
Der Mann griff nach Tür, nach der Klinke,
drückte sie herunter.
Die Tür schwang nach innen. Er kam herein.
Ein schwacher Lichtschein, der vom Flur
herüberdrang, beleuchtete den Mann, als dieser die Tür hinter sich
schloss, sich umdrehte, sich aufrichtete.
»Großer Gott!«
Die Worte platzten nur so aus ihrer angespannten
Brust heraus. Sie starrte ihn fassungslos an.
Trenthams Kopf war beim ersten Geräusch
herumgeschnellt.
Er starrte in ihre Richtung, dann presste er die
Lippen zusammen und runzelte die Stirn - er hatte sie
erkannt.
»Sssch!« Er bedeutete ihr, still zu sein, warf
einen flüchtigen Blick zum Flur und trat leisen Schrittes an sie
heran. »Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole - was zur
Hölle tun Sie hier?«
Sie starrte ihn sprachlos an - den Schmutz auf
seinem Gesicht, die dunklen Stoppeln auf seinem Kinn. Ein Streifen
von Ruß reichte von seiner Augenbraue hinauf bis zu seinem Haar,
das strähnig und platt unter einer abscheulichen Schottenkappe
hervorlugte, die bemerkenswerterweise aus der Nähe noch viel
unmöglicher aussah als aus der Entfernung.
Ihr Blick wanderte über seinen Mantel -
verschlissen und nicht allzu sauber - weiter zu seinen Kniehosen,
den gestrickten Socken und den groben Arbeiterstiefeln an seinen
Füßen. Dort angekommen glitt ihr Blick den gesamten Weg wieder nach
oben bis hin zu seinen Augen. Seinen zornigen Augen.
»Beantworten Sie meine Frage, und ich beantworte
Ihre. Was in drei Teufels Namen wollen Sie mit diesem Aufzug
darstellen?«
»Wie sehe ich denn aus?«
»Wie ein Straßenarbeiter in einem der elendsten
Viertel Londons.
« Ein ganz spezieller Geruch drang ihr in die Nase, sie
schnüffelte. »Hafenviertel würde ich sagen.«
»Überaus scharfsinnig«, erwiderte Tristan
mürrisch. »Also. Was führt Sie her? Haben Sie etwas
herausgefunden?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kam her, um mir
Ihren Wintergarten anzusehen. Sie sagten, Sie würden ihn mir einmal
zeigen.«
Das Gefühl der Anspannung - der Ahnung -, das
ihn gepackt hatte, als er sie hier bemerkte, wich von ihm. Er sah
an sich herab und verzog das Gesicht. »Sie haben sich einen
unglücklichen Zeitpunkt ausgesucht.«
Sie runzelte die Stirn, ihren Blick erneut auf
sein schäbiges Äußeres gerichtet. »Aber was haben Sie überhaupt
gemacht? Wo sind Sie denn in diesem Aufzug
gewesen?«
»Im Hafenviertel - wie Sie selbst so
scharfsinnig bemerkten.« Und zwar auf der Suche nach irgendeinem
Hinweis, einem Wink, einer Anspielung auf Montgomery
Mountford.
»Sind Sie nicht ein bisschen zu alt, um sich
solche Späße zu erlauben?« Sie sah wieder auf und begegnete seinem
Blick. »Oder tun Sie so etwas häufiger?«
»Nein.« Nicht mehr. Er hatte nicht damit
gerechnet, diese Kleidung jemals wieder zu brauchen, aber als er
sie heute Morgen angezogen hatte, erschien ihm seine Entscheidung,
sie nicht wegzuwerfen, mit einem Mal vollkommen gerechtfertigt.
»Ich habe ein paar Spelunken besucht, in denen sich potenzielle
Einbrecher mit Vorliebe herumtreiben.«
»Oh. Verstehe.« Sie musterte ihn mit
unverhohlener Neugier. »Und? Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Nicht direkt, aber ich habe mein Anliegen ein
wenig verbreitet …«
»Ach, sie ist also hier im Wintergarten,
Havers?«
Ethelreda. Tristan fluchte im Stillen.
»Wir werden ihr ein bisschen Gesellschaft
leisten, bis der gute Tristan zurückkommt.«
»Warum sollte sie ganz allein hier warten und
sich langweilen!«
»Miss Carling? Sind Sie hier drin?«
Er fluchte erneut. Sie hatten sich alle
versammelt … und kamen geradewegs hier herein. »Herrgott noch
mal!«, murmelte er. Er wollte Leonora am Arm packen, dann fiel ihm
ein, dass er schmutzige Hände hatte. Er hielt sich von ihr fern.
»Sie müssen sie ablenken.«
Ein unumwundenes Flehen - er sah sie beschwörend
und mit so viel ehrlicher Verzweiflung an, wie er irgend aufbringen
konnte.
Sie erwiderte seinen Blick. »Die Damen haben
wohl keine Ahnung, dass Sie sich gerne als Flegel
verkleiden?«
»Nein, und sie werden Anfälle bekommen, wenn sie
mich so sehen.
Und Anfälle wären sogar noch das kleinere Übel;
Ethelreda hatte die unangenehme Angewohnheit, beim kleinsten Anlass
in Ohnmacht zu fallen.
Sie kamen bereits den Weg entlang, sich
unerbittlich nähernd.
Er streckte seine Hände vor sich aus.
Flehentlich. »Bitte.«
Sie lächelte. Kalkuliert. »Nun gut. Ich werde
Sie retten.« Sie drehte sich um und ging dem weiblichen
Stimmengewirr entgegen, dann warf sie einen Blick zurück über die
Schulter. Und suchte erneut seinen Blick. »Aber Sie schulden mir
etwas.«
»Alles.« Er seufzte erleichtert. »Nur sehen Sie
zu, dass Sie sie hier rauskriegen. Führen Sie sie in den
Salon.«
Mit einem breiten Lächeln wandte sie sich um und
ging beherzt weiter. Alles, hatte er
gesagt. Ein unerwartet befriedigendes Endergebnis einer ansonsten
völlig unergiebigen Aktion.