17. MEINE NOVA!


Kaum ist er außer Hörweite, dreht Sawyer sich beunruhigt zu Anny um und fragt: »Was hat er getan?«

Sie ist kreidebleich und schluckt ein paar Mal, bevor sie antwortet.

»Er hat denen da einen Befehl erteilt. Über mich. Ich meine, mit meinem Drift.«

»Wie lautet er?«, fragt Sawyer leise.

»Sie sollen uns erschießen, sobald er weg ist.«

Sawyer dreht sich hektisch um und die zutiefst verunsicherte Gruppe sieht gerade noch, wie die großen Türen sich hinter dem Souverän und Nova schließen.

»Joaquim!«, brüllt Sawyer und lässt eine erhebliche Menge Eis auf dem Kopf seines Freundes entstehen. »Jo! Hoch mit dir! Wir brauchen dich jetzt! Bitte! Steh auf!«

Damit wendet er sich ab und sucht den Raum nach einer geeigneten Deckung ab.

Die Soldaten machen sich feuerbereit und werfen sich gegenseitig bestätigende Blicke zu, während einer von ihnen noch etwas in seinen Kommunikator spricht.

 

***

Er kann Schüsse hören. Viele Schüsse.

Vorsichtig gräbt er in seinen Erinnerungen. Was ist geschehen? Wo ist er? Warum wird geschossen?

Doch er kann nur an den Schmerz denken. An diesen grauenvollen Schmerz. So etwas hat er noch nie gespürt. Als würden sich Tausende haarfeine Nadeln in seine Nervenenden bohren.

Und dann fällt es ihm plötzlich wieder ein.

Central.

Der Souverän.

Nova!

Schlagartig ist er hellwach und taxiert seine Umgebung. Ein dumpfes Pochen in seinem Hinterkopf lässt ihn seine Umwelt zunächst nur verschwommen wahrnehmen. Doch nach und nach stabilisiert sich das Bild.

Er sieht Sawyer, der Anny abschirmt, und Mailo, der sich hinter Paul versteckt. Offenbar hat er Schwierigkeiten seinen Drift anzuwerfen unter diesem ständigen Beschuss.

Schüsse! Ja richtig. Es wird geschossen. Er muss etwas unternehmen. Er muss zu Nova! Er muss ihr hinterher!

Joaquim braucht nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu handeln. Er wälzt sich auf die Seite, geht leicht in die Knie und holt dann weit aus.

Über ihnen fegt sein Drift eine Waffe nach der anderen hinfort, aber ein paar der Soldaten sind schneller und eröffnen erneut das Feuer.

»Mailo!«, brüllt er und dieser aktiviert augenblicklich seinen Drift, um sie endlich alle unsichtbar zu machen.

Doch die Soldaten feuern weiter. Ohne festes Ziel lassen sie den Kugelhagel einfach kreuz und quer durch den runden Saal regnen. Ein paar der entwaffneten Männer setzen nun auch ihren Drift ein und so sieht es schlecht aus.

Paul wird getroffen, aber einige der anderen schaffen es, sich hinter dem breiten Rednerpult, in der Mitte des Raumes, zu verkriechen.

»Fuck!«, flucht Mailo und deutet mit dem Kopf hin, zu Rubens Körper, der immer noch schwelend am Boden liegt.

Nur ein paar Meter entfernt kniet Sawyer. Dicht an sich gepresst hält er Anny. Sie blutet stark. Einer der Soldaten hat sie erwischt. Vorsichtig richtet er sie auf und die beiden humpeln in geduckter Haltung zu Mailo hinüber. Auch wenn die Soldaten sie nicht sehen können, zischen weitere Kugeln gefährlich nah an ihnen vorbei.

Joaquim sieht Paul am Boden liegen. Er bewegt sich nicht mehr. Verflucht! Wenn das so weitergeht, sind sie in wenigen Minuten alle tot und mit ihnen stirbt seine Hoffnung, Nova aus den Fängen des Souveräns zu retten.

Die Lage ist mies. Verdammt mies.

Doch dann gehen plötzlich alle Lichter aus. Ein Leuchtstreifen nach dem anderen verblasst und es wird immer dunkler im Saal. Ein abschwellendes Surren begleitet das Schauspiel.

»Arros!«, ruft Joaquim siegessicher. »Er muss mit seinem Team bis zur Maschinenebene vorgedrungen sein.«

Er ist sich nicht ganz sicher, ob Central eine Maschinenebene hat oder man es überhaupt so nennen würde, aber es muss Arros sein! Vielleicht hat er das Fiasko über Monitore verfolgen können und versucht nun zu helfen?

Mick und Zoe sind inzwischen dabei, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Von ihrer geschützten Position aus können sie sich auf ihre mentalen Fähigkeiten konzentrieren und während Zoe fünf der Angreifer in eine Halluzination hüllt, befiehlt Mick einem Soldaten nach dem anderen sich auf den Boden zu legen und die Arme von sich zu strecken.

Kaum sind die Soldaten leidlich unter Kontrolle, gehen die Lichter wieder an. Es muss also tatsächlich Arros gewesen sein.

Während Joaquim die Männer des Souveräns in Schach hält, zwingt Mick jeden von ihnen, sich für die nächsten vier Stunden mit dem Kopf an die Wand zu stellen und nicht zu rühren.

Danach ist er völlig fertig. Seine Stimme zittert und auf seiner Stirn sieht Joaquim feine Schweißperlen.

»Ich kann das normalerweise nur mit drei oder vier Menschen auf einmal«, erklärt er und stemmt den Kopf in die Hände. »Das war jetzt einfach ein bisschen viel.«

Sawyer wirkt ein wenig hilflos. Zwar hat Anny sich ganz gut im Griff, aber man kann sehen, wie sehr ihr die Verletzung zu schaffen macht. Schließlich entscheidet Sawyer, dass einer von ihnen Anny und Mick zurückbringen soll, damit sie auf schnellstem Wege zu einer Medi-Station gelangen.

Zwar hatte Joaquim längst begriffen, dass er und Anny wieder ein Paar sind - er ist ja nicht blind -, aber der Kuss, den die beiden sich geben, hat es in sich und bringt ihn trotz der extremen Situation, in der sie sich befinden, zum Lächeln. Doch dann muss er sofort wieder an Nova denken und beschließt, dem Souverän so schnell es geht zu folgen. Sollen die anderen sich um die Verletzten kümmern. Die Zeit läuft ihm davon. Wer weiß, wohin der Mann inzwischen geflüchtet ist. Jede Sekunde zählt!

An seiner Seite sind nur noch Mailo, Sawyer, Zoe und Cole, dessen Namen er erst jetzt erfährt und der ziemlich kampflustig auf ihn wirkt. Er reckt trotzig das Kinn in die Höhe und scheint sich am liebsten gleich mit dem nächsten Soldaten anlegen zu wollen, dabei kann er nicht älter als achtzehn sein.

»Wir müssen ihnen hinterher!«, sagt Joaquim und ist bereits drauf und dran dem Souverän nachzulaufen.

»Wir sollten uns erst Verstärkung besorgen. Einer von uns kann Arros und ein paar von seinen Jungs herholen. Dann gehen wir weiter«, meint Mailo.

»Sicher tauchen die ohnehin gleich hier auf«, spekuliert Joaquim ungeduldig.

»Wir dürfen uns diese Chance nicht entgehen lassen. Dann wäre alles umsonst gewesen und er hat Nova!«, brüllt er nun beinahe und schaut dabei zu Jakobs Onkel hinüber. Der Anblick ist grauenhaft. Schnell wendet er sich ab.

Sawyer beschließt: »Gut. Dann gehen wir jetzt sofort. Die anderen werden uns eben finden müssen.«

Joaquim hat kein gutes Gefühl bei der Sache.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sie versagen werden, ist groß und ihr Scheitern wäre gleichbedeutend mit ihrem Tod. Aber sie müssen es versuchen.

»Dann los!«, sagt er und macht sich bereits auf den Weg zum Ausgang. Wenn dieser Dreckskerl Nova etwas angetan hat, wird er ihn notfalls quer durch das Feuerland jagen.

Eine Stimme in seinem Hinterkopf beruhigt ihn. Der Souverän hat Nova wegen ihres Drifts mitgenommen. Hätte er ihr etwas tun wollen, so wäre das bereits hier, mit den anderen geschehen. Sie ist in Ordnung. Sie muss es einfach sein!

Die anderen folgen ihm schweigsam.

Sie passieren die großen Türen und dahinter befindet sich, wie immer, ein langer Gang.

Joaquim lässt sich etwas zurückfallen und geht nun direkt neben Zoe.

»Kann ich dich um etwas bitten?«, fragt er sie leise.

»Klar. Schieß los!«

»Falls wir Nova finden und …«

Zoe unterbricht ihn barsch: »Wir werden sie finden!«

Er lächelt matt, dankbar für ihren Optimismus.

»Wenn wir sie finden und ihr etwas geschieht … ich meine, sollte sie verletzt werden, kannst du vielleicht etwas tun, ich meine, es ihr leichter machen, falls es nötig ist?«

Zoe stutzt kurz, doch dann versteht sie.

»Du meinst eine Halluzination?«

Er nickt sachte und versucht die Vorstellung einer verletzten oder gar sterbenden Nova aus seinen Gedanken zu vertreiben.

Zoe wedelt abwehrend mit den Händen.

»Ihr wird nichts geschehen. Du wirst sehen, wir zeigen es diesem Arschloch!«

Ihre brüske Ausdrucksweise belustigt ihn, obwohl er weiß, dass sie die Situation bloß auflockern will. Ihr ist die Nervosität ebenfalls deutlich anzusehen.

»Trotzdem. Falls, also wenn es dazu kommt …«

Seine Stimme bricht.

»Dann werde ich es tun. Natürlich. Ich verspreche es«, sagt sie schnell und setzt einen nachdenklichen Blick auf. Er scheint ihr Angst gemacht zu haben.

Als sie nach zwei kleineren, unbewachten Schleusen noch immer auf niemanden stoßen, wird Joaquim ernsthaft nervös. Wohin ist der Souverän gegangen? Ist er noch auf der Station? Er machte den Eindruck, als hätte er es eilig.

Und dann endet ihr Weg plötzlich.

Vor ihnen befindet sich ein kleiner Hangar. Er ist nur etwas größer als der Zugang, an welchem sie mit ihren Booten angelegt haben.

Mittig vor ihnen ist eine kleine Kabine, in der ein Soldat sitzt und etwas in seinen Kommunikator spricht. Noch hat er sie nicht gesehen.

Schnurstraks geht Sawyer auf ihn zu und packt ihn von hinten, um seinen Kopf anschließend gegen die Wand zu schmettern.

»Wo ist der Typ hin? Sag uns, wo der Souverän ist. Sofort!«

Der Soldat macht große Augen und fasst sich mit einer Hand an den Kopf.

»Ich weiß es nicht«, stammelt er. »Was wollt ihr hier?«

»Aufräumen«, sagt Joaquim knapp und deutet Sawyer an, zur Seite zu treten.

Dann lässt er den Mann, mittels seines Drifts, ein Stückchen in die Höhe schweben und transportiert ihn so bis hin zu dem breiten Anleger am Ende des Hangars.

Die anderen folgen den beiden und bauen sich hinter Joaquim auf.

Dieser bewegt den Soldaten weiter und weiter vorwärts, bis er gerade noch in Hörweite ist und nur einen halben Meter über der Wasseroberfläche baumelt.

»Wo ist der hin?«, brüllt er zu ihm rüber und lässt ihn langsam hinabsinken.

»Ich kann das ewig so weitermachen. Wie lange kannst du da draußen über Wasser bleiben, wenn ich dich nicht zurücklasse? He?«

Der Mann ist wie erstarrt und beäugt ängstlich die dunklen Tiefen unter seinen Füßen.

»Schon gut, schon gut! Ich sag es euch, aber hol mich zurück!«

Joaquim zögert noch einen Augenblick und erfüllt seinem Opfer dann den Wunsch.

Der Soldat kommt unsanft neben ihm auf dem Boden auf und kriecht noch ein ganzes Stück weiter weg von der Rampe.

»Er will rausfahren. Zur 86«, wimmert er.

»Zu was?«, hakt Sawyer nach.

»Das Schiff. Das ist die Nummer. Schiff Nummer 86.«

Der Soldat wirkt ernsthaft verstört und Joaquim glaubt ihm jedes Wort.

In seinem Kopf formen sich Gedanken. Der Souverän ist auf einem Schiff. Die Schiffe liegen draußen vor Anker, sagt Anny. Den Schluss daraus zu ziehen, ist einfach.

»Er haut ab!«, stellt er erschrocken fest.

»Mit 'nem Schiff?«, fragt Zoe verständnislos.

»Ja! Natürlich. Verdammt! Wir sind zu spät!«, wettert Sawyer.

»Ihr meint, nach Salgaia?«, flüstert Zoe verwirrt.

»Klar. Die meisten anderen Schiffe sind bereits unterwegs und er ist das Regierungsoberhaupt. Nur logisch, dass er irgendwann folgen würde. Und hier wird's für ihn jetzt ziemlich unangenehm, wo die Lager überrannt und der Aufstand in vollem Gange ist. Er wechselt den Standort und lässt den Rest hier zurück. Vermutlich ein vertretbarer Kollateralschaden?«, beantwortet Sawyer ihre Frage ausführlicher als nötig, denn der Rest von ihnen hat längst begriffen, was Sache ist.

In diesem Moment bewegt sich etwas am Horizont. Zunächst nur ganz seicht, dann immer heftiger zeichnet sich eine Veränderung ab.

Erst jetzt bemerkt Joaquim die vielen Erhebungen, die wie kleine Hügel in Reih und Glied aus dem Wasser ragen. Es sind mehr, als er aus dem Stegreif zählen kann, und sie liegen still nebeneinander.

Alle, bis auf eins.

Dieses bewegt sich, löst sich aus der schwimmenden Formation!

Immer weiter driftet es ab und scheint dabei immer größer zu werden. Dann begreift Joaquim: Es kommt näher!

»86«, sagt der Soldat ergeben.

»Fuck, fuck, fuck!«, wettert Sawyer.

Joaquim gerät in Panik. Sind sie bereits auf dem Schiff? Ist er zu spät gekommen? Die Vorstellung, er könnte Nova für immer verloren haben, bringt ihn beinahe um den Verstand. Doch dann fällt ihm etwas auf. Er wendet sich ruckartig zu dem am Boden kauernden Soldaten um und sagt: »Du sagtest, er will rausfahren? Ist er noch hier? Rede!«

Der Mann hebt zitternd einen Finger und deutet auf den länglichen Anleger, welcher vor ihnen seinen Anfang nimmt und sich offenbar zu beiden Seiten der großen Öffnung fortsetzt.

»Er geht an Bord des Transporters. Wollte gehen … ist dabei meine ich …«

Joaquim flucht und während er bereits lossprintet, brüllt er den Mann an: »Wieso sagst du das nicht gleich?«

Aus dem Augenwinkel sieht er Zoe sich über den Mann beugen. Dieser schreit augenblicklich auf. Sie muss ihm eine besonders fiese Vorstellung in den Kopf gestreut haben. Gut so!

Als Joaquim den Rand der großen Luke erreicht, hält er inne und späht vorsichtig um die Ecke.

Sawyer erscheint neben ihm.

»Und? Siehst du was?«, fragt er Joaquim angespannt.

Auf der linken Seite des Betonanlegers tut sich nichts, aber dafür rechts. Joaquim kann gerade noch sehen, wie zwei Soldaten sich an Bord eines mittelgroßen Transportschiffs, mit diversen Aufbauten, begeben. Der Souverän muss bereits an Bord sein und mit ihm Nova.

»Wir müssen uns beeilen«, stellt Joaquim fest und fügt hinzu: »Ich hab da eine Idee.«

 

Im Laufschritt nähert sich Joaquim dem Transporter und mobilisiert seinen Drift. Das hier ist seine einzige Chance. Novas letzte Chance. Er darf sich jetzt keine Fehler erlauben und kann nur hoffen, dass Sawyer seinen Teil beiträgt, so wie sie es besprochen haben.

Er hechtet auf die nebeneinanderliegenden großen und kleinen Schiffe und Boote zu, die in einer Reihe mit dem Gefährt des Souveräns sachte hin und her schaukeln. Mit aller Kraft richtet er seinen Drift auf das Erste in der Reihe und schiebt es unter gewaltiger Anstrengung gegen seinen schwimmenden Nachbarn. Nacheinander stoßen die Boote so zusammen und schieben sich ineinander, als würde eine riesige Hand sie hinwegfegen wollen.

Das Ganze geht viel zu langsam, denkt Joaquim und legt noch mehr Kraft in seine Attacke.

Da! Endlich kommt Bewegung in die Sache. Kurz bevor das letzte Schiff unter dem Druck der anderen den Transporter erreicht, hat sich so viel Wasser aufgestaut, dass eine kleine Welle über die Rehling des Fluchtgefährts schwappt.

»Jetzt!«, schreit Joaquim und verschluckt sich beinahe an dem Wort, so aufgeregt ist er. Wenn der Plan misslingt, wird der Souverän schneller auf dem offenen Ozean sein, als sie gucken können.

Doch Sawyers Timing ist perfekt. Er ist die ganze Zeit über neben Joaquim hergelaufen und überholt ihn jetzt mit großen Schritten. Die Hände in die Luft erhoben, senkt er seinen Drift auf die Welle hinab und lässt das feuchte Element zu Eis gefrieren. Die mindestens ein Meter dicke Schicht zieht sich über eine Seite des Transporters, welcher hierdurch in leichte Schräglage gelangt.

»Ich habs gleich«, ruft Sawyer, während Joaquim an ihm vorüberzieht.

Der Anführer der Division setzt die Eisschicht fort bis hin zum Anleger und verankert das Transportschiff damit. Es müssten schon übermenschliche Kräfte am Werk sein, um sich aus dieser Lage zu befreien. Der Souverän sitzt vorerst fest.

Mir einem Satz springt Joaquim vom Anleger auf den Transporter und blendet dabei die Gefahr, frontal gegen den Bug zu schlagen und im Wasser zu landen, aus.

Rutschend und mit den Armen ringend kommt er an Bord auf und versucht, mit seinen Füßen Halt zu finden. Doch bevor ihm das gelingen kann, erscheint auch schon ein Soldat vor ihm. Seine Waffe steckt im Halfter, er wird also seinen Drift einsetzen, erkennt Joaquim.

Nicht ahnend, welche Kräfte der Mann haben könnte, zögert er nicht lange und hebt den Soldaten noch während seiner Rutschpartie in die Luft, um ihn über Bord zu werfen. Doch sein Gegner mobilisiert ebenfalls seine Fähigkeit und schleudert Joaquim eine Feuersbrunst entgegen.

Erschrocken rollt dieser sich zur Seite und versucht in Deckung zu gehen. Dadurch befreit sich der Soldat aus den Fängen des Drifts und kommt unsanft auf dem Boden auf. Immer wieder kann Joaquim die Hitze spüren, während ein Feuerball nach dem anderen in seine Richtung geschleudert wird. Er findet Schutz hinter einer großen Metallkiste und betet, dass sich nichts Explosives darin befindet.

»Sammy! Lass den Typen. Kümmere dich um das Eis. Sofort!«

Die Stimme des Souveräns ist unverkennbar. Mit Genugtuung bemerkt Joaquim, dass sie ungehaltener wirkt als zuvor. Der Mann ist verunsichert. Verschwunden ist der selbstsichere Lackaffe. Stattdessen scheint er nun endlich um das Gelingen seines Aufbruchs zu bangen. Na also!

Joaquim läuft geduckt ein paar Schritte zur Mitte des Schiffs und wirft zwischendurch einen Blick über die Schulter. Hinter ihm haben sich weitere Soldaten postiert, die Sawyer und die anderen davon abhalten, an Bord zu gelangen. Er ist auf sich allein gestellt.

Als er eine längliche Luke erreicht, zögert er nicht lange und stürmt hinein. Dahinter befinden sich dieser jämmerliche Soldat mit seinen Folter-Fähigkeiten, der Souverän und … Nova!

Ihre Augen sind vor Schreck geweitet und ihre Hände zucken unruhig hin und her, aber ansonsten sieht sie unverletzt aus.

Erleichtert atmet Joaquim aus und sammelt neue Kraft, um dem Ganzen nun endlich ein Ende zu setzen. Er sieht sich vorsichtshalber um und stellt zufrieden fest, dass neben der Luke keine weitere Gefahr lauert. Außer ein paar blinkenden Lichtern und Knöpfen ist die Wand neben dem Eingang leer. Keine weiteren Soldaten in Sicht.

Offenbar will es sich der Souverän nicht nehmen lassen, ihn selbst zu quälen, denn er will seine Hand gerade auf die Schulter des Soldaten legen, als Joaquim der Kragen platzt.

Noch einmal wird er sich nicht so überrumpeln lassen. Am liebsten würde er den Anführer dieser kranken Regierung als Erstes plattmachen, aber das wäre dumm. Zuerst muss der Folter-Kerl weg. Ohne ihn ist der Souverän aufgeschmissen, denn es ist weit und breit kein anderer Drift-Besitzer in Sicht.

Noch bevor sich die Hand seines Widersachers auf die Schulter des Soldaten gesenkt hat, legt Joaquim los. Sein Drift schleudert den Soldaten gegen die Wand, sodass er kurz ganz benommen wirkt. Aber Joaquim ist noch nicht fertig. Wieder und wieder schmettert er ihn rückwärts gegen den harten Untergrund und verzieht sein Gesicht dabei zu einem überlegenen Grinsen. Soll der Kerl doch selber mal erfahren, was Schmerzen sind!

Erst als er plötzlich Novas Stimme rufen hört, hält er inne. Der Soldat gleitet bewusstlos zu Boden. Sein Kopf hängt seltsam nach vorne geknickt, zwischen seinen Schultern.

Joaquim wirbelt herum und spürt plötzlich ein elektrisierendes Knistern in der Luft.

Die Erkenntnis fährt durch seinen Kopf wie die Nachwirkungen eines harten Schlages, aber erst, als er es mit eigenen Augen sieht, wird ihm so richtig schlecht.

Er hat sich geirrt. Es gibt jemanden mit einem Drift in der Nähe des Souveräns.

Nova.

Mit tränenerfüllten Augen steht sie zitternd neben dem Mann, der seine Hand nun um ihren Oberarm geschlungen hat.

Er hat die volle Kontrolle über ihren Impuls!

Joaquim schnappt nach Luft, spielt mehrere Szenarien im Kopf durch, aber in jeder Version kämen entweder er oder sie zu Schaden. Was soll er tun?

Doch da hat der Souverän auch schon ihren Drift aktiviert und knisternde Ausläufer ranken sich um die beiden. Mit einem Aufschrei reißt Nova ihren Arm hoch und entlädt ihre Kraft nicht auf Joaquim, so wie es ihr Geiselnehmer wohl geplant hatte, sondern auf die Schalttafeln schräg hinter ihm.

Schockiert reißt Joaquim die Arme hoch, um sein Gesicht zu schützen. Durch die Verstärkung des Souveräns haben Novas Fähigkeiten ungewohnte Ausmaße angenommen und fegen die komplette Wand, an welcher sich verschiedene Messinstrumente befunden haben, weg.

Durch seinen misslungenen Anschlag kurz abgelenkt, lässt der Souverän seine Hand mit Novas Arm daran sinken.

Jetzt! Er muss jetzt handeln. Bevor der Typ Nova noch einmal zwingt, ihren Drift loszulassen.

Ein schneller Blick durch die kokelnde, mannshohe Öffnung zeigt ihm, dass die Luft dahinter rein ist. Ohne länger zu zögern, aktiviert er seinen Drift erneut und schleudert Nova durch die Öffnung.

Ein erstickter Schrei begleitet ihren Flug, aber sie reckt mutig die Arme empor, um sich auf die Landung im Wasser zu wappnen.

Von draußen hallen Rufe. Sammy, der Feuer-Soldat, meldet, dass der Transporter freigelegt sei und sie starten können. Als er durch die halbzerfetzte Luke eintritt, rammt Joaquim ihm seine Schulter in die Seite und prescht an ihm vorbei.

Sie werden sich etwas anderes überlegen müssen, um den Souverän aufzuhalten. Zuerst muss er sehen, ob Nova ihren Flug gut überstanden hat. Sammy hinter sich lassend, stürmt Joaquim hinaus, hält am ebenfalls ziemlich zerstörten Rand des Transporters kurz inne und sucht die Wasseroberfläche ab. Als er Nova japsend und mit den Armen paddelnd entdeckt, braucht er nur den Bruchteil einer Sekunde, um sich ebenfalls in die Fluten zu stürzen. Das Wasser ist erstaunlich warm und er findet schnell an die Oberfläche zurück.

Mit schnellen Zügen schwimmt er zu Nova und erreicht sie nach wenigen Metern. Adrenalin pumpt durch seine Adern und sein Atem geht stoßweise.

»Geht es dir gut?«, fragt er stockend und spuckt hastig etwas Wasser aus.

Sie rührt noch immer mit den Armen im Wasser. Ihr Mund steht offen, schließt sich wieder, geht wieder auf. Dann endlich bringt sie ein paar Worte hervor.

Hinter ihnen dröhnen die Maschinen des Transporters. Er macht sich auf den Weg zu Schiff Nummer 86.

»Hattest du nicht versprochen, deinen Drift nie wieder gegen mich einzusetzen?«, sagt sie mit zitternder Stimme.

Er lacht auf, hebt eine Hand aus dem Wasser, an ihr Kinn. Lange schaut er sie an. Erleichterung macht sich in ihm breit.

»Meine Nova«, sagt er leise.