11. SALLOW ISLAND


Als wir das kleine Tal erreichen, bin ich müde und hungrig, aber die Aufregung lässt mich wachsam bleiben.

Jo ist noch immer wie ausgewechselt. Er lächelt, winkt Menschen zu, welche in kleinen Grüppchen über die Ebene verteilt sitzen, und berührt mich immer wieder zaghaft am Arm, um mir den Weg zu zeigen.

Ich schwebe nur so über den großen Platz, der auf zwei Seiten von Gebirgsflanken umgeben ist und offenbar das Zentrum des Dorfs bildet. Wobei man es eigentlich kaum als Dorf bezeichnen kann. Zwar sehe ich viele Menschen, aber keine Hinweise auf Unterkünfte oder sonst irgendwelche von Menschenhand geschaffenen Utensilien.

Wir überqueren die Fläche und gelangen durch einen breiten Spalt ins Innere des Gesteins. Von alleine hätte ich diesen Eingang niemals gefunden. Zwei sich knapp überschneidende Felswände kaschieren ihn. Erst wenn man direkt vor ihnen steht, erkennt man den Zugang.

Ich folge Jo durch die Dunkelheit. Zwar brennen alle paar Meter Fackeln, doch haben sich meine Augen noch lange nicht an das plötzliche Zwielicht gewöhnt. Ihm fällt es offenbar leichter oder er kennt sich einfach sehr gut aus.

»Gehen wir jetzt zu Alvo?«, frage ich ihn leise.

»Ja. Grimm sollte uns inzwischen angekündigt haben.«

»Aber wir sind mit dem Humvee gefahren. Sicher sind Grimm und Sannah noch gar nicht hier. Wir sollten warten.«

Er lacht beherrscht.

»Ich bin ein wenig im Kreis gefahren. Du hast es nur nicht bemerkt. Die beiden sind längst hier. Keine Sorge.«

Ich wundere mich über meinen fehlenden Orientierungssinn. Andererseits ging mir auf der Fahrt so vieles durch den Kopf, vermutlich ist es da kein Wunder, dass ich nicht auf die Strecke geachtet habe.

Der recht schmale Tunnel, durch den wir nun schon eine Weile tapsen, mündet in einen kleinen Raum, von welchem aus weitere Gänge gabeln. Jo wählt den linken. Dann geht es weiter und weiter in den Berg hinein. Ich bemerke, dass der Boden abschüssig ist. Wir gehen bergab.

Als ich schon nicht mehr daran glaube, das Tageslicht jemals wiederzusehen, endet der dunkle Gang und wir stehen plötzlich am Rande einer riesigen Kaverne. Der gigantische Hohlraum macht den Eindruck, als würde das Gewicht der kuppelartigen Decke nur durch die unzähligen, unregelmäßig geformten Tropfsteinsäulen gehalten. Natürlich ist das Unsinn, aber es wirkt deshalb nicht weniger beeindruckend.

»Du meine Güte …«, keuche ich.

»Ja, nicht wahr?«, erwidert Jo stolz. Es scheint, als würde er nach Hause kommen. Ich beiße mir auf die Lippen.

Auch hier sehe ich mehrere, kleine Gruppen von Menschen. Noch haben sie uns nicht bemerkt, aber wir schreiten weiter voran. Lange wird es nicht mehr dauern, bis sie mich als Eindringling identifizieren. Ich fühle mich unwohl.

»Wir gehen da hoch«, sagt Jo und deutet auf etwas, das wie eine in den Stein geschlagene Treppe aussieht.

Ich folge ihm hinauf und erkenne erstaunt, dass es hier so etwas wie Ebenen gibt. Zumindest erinnert mich das Ganze stark an die Galerie im CutOut, nur dass es keine Wände und Türen gibt. Alles ist offen und im selben rotbraunen Sandton.

Ein natürlicher HUB.

»Hast du schon mal nach oben gesehen?«, fragt Jo mich und grinst dabei vielsagend.

Sofort lege ich den Kopf in den Nacken und staune nicht schlecht. An zentraler Stelle befindet sich eine kreisrunde Öffnung, ein natürliches Opaion. So was habe ich noch nie gesehen, aber es liefert die Erklärung, wieso hier in der Halle mehr Licht vorhanden ist als in den Gängen, trotzdem ist es angenehm kühl.

»Wow!«

»Ja, nicht schlecht, oder?«

Ich nicke verhalten und fühle mich plötzlich ganz klein. Alles hier ist so gewaltig, man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll.

Gerade rechtzeitig richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Füße, sonst wäre ich direkt in Jo hineingelaufen, der plötzlich stehen geblieben ist. Wir scheinen unser Ziel erreicht zu haben.

Vor uns ist eine Art Podest aus Stein und darauf befindet sich etwas, das auf den ersten Blick wie ein Zelt aussieht. Die Front ist offen, aber es hat "Wände" aus Tuch und trotz der einfachen Hilfsmittel aus Seilen und Stöcken wirkt es ein wenig wie ein winziger Palast.

Ich folge Jo hinein und entdecke Sannah in einer der Ecken. Sie hält ein Gefäß in Händen und nimmt hin und wieder einen Schluck daraus.

Ich nicke ihr höflich zu und warte gespannt ab.

»Ich grüße dich«, sagt Jo nun zu einem bärtigen Mann, bei dem es sich wohl um Alvo handeln muss.

Auf den ersten Blick scheint er weder sauer noch erstaunt über unser Auftauchen und macht keinen besonders gefährlichen Eindruck auf mich.

Jo erklimmt die zwei schrägen Stufen, um zu ihm zu gelangen, und wiederholt die Sallow-typische Begrüßung.

»Ich sehe, du bringst eine Freundin mit?«

Alvo spricht die Worte, ohne mich dabei zu beachten.

»Ganz recht, Alvo. Das ist Nova. Sie kommt von da, wo ich herkomme, und möchte gerne mehr über euch erfahren.«

»Mehr?«

»Sie würde gerne wissen, wie ihr lebt und wie es euch geht.«

Jo sagt dies, als hätten wir vorher bereits darüber gesprochen, dabei wusste ich bis vor wenigen Stunden nicht einmal, dass ich hierherkommen würde.

»Sannah sagt, sie ist nett, deine Freundin. Du weißt, ich schätze Sannahs Wort.«

Mir fällt auf, dass Alvo nicht ganz so seltsam spricht wie Grimm. Zwischen seiner Ausdrucksweise und unserer ist kaum ein Unterschied zu bemerken.

»Ich versichere dir, man kann ihr vertrauen«, sagt Jo nun und fügt dann hinzu: »Ich vertraue ihr.«

Wie ein kleines Mädchen stehe ich mit ineinanderverschränkten Händen da und warte auf mein Urteil.

»Gut. Dann wird Sannah sie begleiten, aber sollte sie sich seltsam verhalten oder zu viele Fragen stellen … dann kann sie nicht bleiben, verstanden?«

Jo nickt dankbar und dreht sich zu mir um. Ich bringe ein schüchternes Lächeln zustande.

Schon ist Sannah aufgestanden und gesellt sich zu mir.

»Komm«, sagt sie und nimmt meine Hand, als wären wir schon ewig befreundet.

Hier unten, ohne Kopftuch und gleißendes Tageslicht kann ich erkennen, dass sie zwar deutlich älter als Jo und ich ist, aber eine durchaus jugendliche Schönheit besitzt. Ihr feuerrotes Haar reicht beinahe bis zur Taille und ist leicht gewellt. Grüne Augen, unzählige, kleine Lachfältchen und eine kleine Stupsnase machen ihre leicht vorwitzige Erscheinung perfekt.

Sie zieht mich weg von den anderen und hinunter auf die steinige Ebene. Ein wenig verängstigt blicke ich mich noch mal zu Jo um, aber er nickt nur aufmunternd. Offenbar läuft für ihn alles nach Plan.

»Wohin gehen wir?«, frage ich leise.

»Wohin du willst, aber ich kann dir nich alles zeigen. Wär Alvo nich recht.«

»Können wir zum See gehen?«, frage ich hoffnungsvoll.

»Ja. Der See is toll. Is bestimmt ein guter Start für deinen Rundgang.«

Wir schlendern zurück durch den Berg, vorbei an verwundert dreinblickenden Sallows und kleinen Kindern, die große Augen machen. Ich bin froh, als wir endlich wieder draußen sind und auch die vereinzelten Grüppchen vor dem Höhleneingang hinter uns lassen.

Sannah schlingt sich ihr Tuch locker um ihren Kopf. Ich glaube, sie tut es mehr aus Gewohnheit als zum Schutz gegen die Sonne.

»Musst dich nich schämen«, wispert Sannah, die meine Unsicherheit scheinbar registriert hat, »die gucken nur. Tut nicht weh. Sind nur neugierig.«

Ich lächele verhalten und zucke mit den Schultern.

»Schon klar. Es fühlt sich nur seltsam an. Ich komme mir wie … ich weiß auch nicht, irgendwie feindlich vor.«

»Bist du ja auch«, gibt meine Fremdenführerin stumpf zurück, grinst aber breit, während sie die Worte ausspricht.

»Wieso glaubst du das?«, frage ich, »dass ich der Feind bin, meine ich.«

»Oh, ich glaub das nich. Aber die«, sagt sie und deutet mit dem Finger auf die immer noch gespannt hinter uns her blickenden Mitglieder ihres Dorfes.

»Aber ich kenne euch doch gar nicht. Ich würde euch nie etwas tun oder Böses wollen.«

»Das is schön. Nur gilt das nich für alle von euch. Musst du verstehen, Nova. Wir sind vorsichtig.«

Ich nicke und beschließe die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken. Lieber möchte ich mehr über das Überleben hier draußen erfahren. Eine Tatsache, die mich noch immer überrascht.

Wir sind nun ganz allein und nicht weit vor uns erstreckt sich der kleine See. So klein ist er allerdings gar nicht. In Anbetracht der Tatsache, dass ich in meinem ganzen Leben noch keinen See gesehen habe, könnte er auch nur eine Pfütze sein, ich fände ihn trotzdem super. Aber er ist keine Pfütze. Er sieht tief aus und dunkel.

»Habt ihr all die Jahre hier gelebt?«, frage ich vorsichtig.

»Die meisten von uns«, erwidert Sannah. »Ein paar stammen aus anderen Gebieten, weiter weg. Aber wir finden uns immer, weißt du.«

Sie lächelt geheimnisvoll.

»Ihr findet euch?«

»Wir haben wenig von diesem technischen Zeug. Keine … ähm, Hologramme und so was, aber wir reden trotzdem miteinander, auch wenn wir weit voneinander weg sind.«

»Ihr kommuniziert mit anderen Dörfern?«, frage ich erstaunt.

»Ja. Dauert etwas länger als mit dem da«, sie deutet auf mein Armdisplay, »aber es geht.«

Ich traue mich nicht zu fragen, wie sie es anstellen. Vielleicht wäre Alvo diese Frage nicht recht, aber ich bin enorm beeindruckt.

»Willst du rein?«, fragt Sannah mich nun.

Ich verstehe nicht gleich, was sie meint, bis sie an meinem Anzug zupft.

»In das Wasser?«, krächze ich fast ein wenig empört.

»Is zwar warm, aber macht echt Spaß!«

Das Angebot klingt verlockend. Sannah bemerkt meine neugierige Haltung und streift sich, ohne zu zögern, das Kopftuch und ihr langes Gewand ab. Darunter trägt sie ein leichtes Bustier und etwas, das wie Shorts aussieht. Es sind kleine Blümchen darauf. Früher einmal knallpink, müssen sie mit der Zeit verblichen oder verwaschen sein, denn sie sind nur noch blassrosa und ihre kleinen, grünen Blätter sind beinahe grau.

»Na los!«, fordert sie mich auf und ich gehorche.

Nach einem schnellen Blick über die Schulter stelle ich zufrieden fest, dass niemand in Sichtweite ist, und entledige mich ebenfalls meines schmutzigen SOLAR SUITs.

Ich war noch nie ohne Equipment, ohne Kleidung, Brille und Kopftuch im Feuerland. Das Gefühl ist atemberaubend. Eine leichte Brise streift die feinen Haare auf meinen Armen und ich schließe ganz automatisch die Augen.

Sannah gibt ein belustigtes Kichern von sich und nimmt meine Hand.

»Warte nur, wie es sich gleich anfühlt!«

Sie zieht mich zum Wasser und stürmt freudig hinein. Ich kann mich gerade noch losreißen und versuche es lieber ein wenig langsamer.

Wenn ich an Wasser denke, sehe ich stets nur die zylinderförmigen Verpackungen unserer Wasserrationen vor mir. Niemals hätte ich in Erwägung gezogen, einmal meinen ganzen Körper mit dem feuchten Element zu umhüllen.

Zaghaft setze ich einen Fuß vor den anderen und wate durch das flache Wasser. Mit jedem Schritt komme ich Sannah, die bereits bis zur Hüfte im See steht, näher. Es fühlt sich sehr warm an, aber nicht unangenehm. An den Stellen meiner Beine, wo das Wasser sie bereits berührt hat, hinterlässt der leichte Wind ein angenehmes Prickeln.

Sannah lacht laut auf und vollzieht eine Drehung. Noch während sie mir den Rücken zuwendet, lässt sie sich vornüber auf die glänzende Oberfläche fallen und wird vom See verschlungen.

Ich schlucke.

Für ein Mitglied der Division benehme ich mich heute ganz schön feige.

Ein paar Meter entfernt taucht Sannahs Kopf wieder auf und als ich sehe, wie sie sich die klitschnassen Haare aus dem Gesicht streicht, gibt es auch für mich kein Halten mehr.

Ich atme zweimal tief ein und presche vor. Nach ein paar Schritten drehe ich mich um, blicke nach oben und schließe die Augen. Die Sonne scheint mir unbarmherzig wie immer ins Gesicht. Doch dann lasse ich einfach los. Mit schlaffen Armen und Beinen sinke ich rückwärts und das Wasser umschließt gemächlich meinen Körper.

Und dann tauche ich unter.

Ein dumpfes Rauschen erklingt in meinen Ohren. Es ist, als hätte man einen Schalter umgelegt. Die ganze Welt wird zäh und langsam. Meine Arme schweben neben mir und meine Haare streifen über mein Gesicht. Es ist wie ein Wunder. Wie eine andere Welt. Wie der Himmel!

Doch dann mache ich irgendwas falsch. Panik steigt in mir auf und ich strampele wie verrückt mit Armen und Beinen. Keuchend und röchelnd durchbreche ich die Wasseroberfläche und ringe nach Luft.

»Oh neeeeeiiinn«, ruft Sannah, »das müssen wir noch üben!«

Sie lacht herzlich und schwimmt zu mir. Ich versuche hektisch das Wasser und einige Haarsträhnen aus meinen Augen zu bekommen.

»Ich wäre beinahe erstickt!«, wimmere ich.

»Nein, nein. Keine Angst. Das lernst du schnell«, beruhigt Sannah mich und streichelt liebevoll über meinen Rücken, bis ich wieder etwas zur Ruhe gekommen bin.

Ihr kurzes Top ist wegen der Nässe durchsichtig geworden und ihre weiblichen Merkmale zeichnen sich deutlich darunter ab. Ich schaue peinlich berührt an mir herab und überprüfe mein eigenes Outfit. Doch die schlichte, schwarze CutOut-Unterwäsche tut ihren Dienst. Alles ist da, wo es hingehört und nichts ist transparent.

Sannah bemerkt mein prüdes Verhalten nicht oder sie ignoriert es einfach.

»Komm. Ich zeige dir, wie man es richtig macht«, bietet sie an und wir beginnen mit einer improvisierten Unterrichtsstunde.

Die Zeit fliegt nur so dahin und ich kann gar nicht genug vom See bekommen. Am liebsten würde ich für immer hierbleiben. Wie konnte ich nur ein Leben lang ohne Schwimmen auskommen?

Lachend und johlend jagen Sannah und ich uns gegenseitig, tauchen uns unter, spritzen uns nass. Es ist das schönste Gefühl auf Erden. Man kann es mit nichts auf der Welt vergleichen.

»Eigentlich solltest du ja noch etwas mehr vom Dorf sehen«, meint Sannah, während sie einem meiner Angriffe ausweicht.

»Nein!«, rufe ich ausgelassen, »das hier ist alles, was ich wissen muss! Wir können die Tour später fortsetzen.«

Sie grinst breit und gibt sich geschlagen. Mit einem Satz geht sie in Rückenlage und macht nur noch hier und da eine matte Bewegung mit den Armen, um ihre Position zu halten.

Ich mache es ihr nach. Nachdem Sannah mir erklärt hat, wie man unter Wasser die Luft anhält und sich so bewegt, dass man auch von der Stelle kommt, ist es gar nicht mehr so schwierig und beängstigend. Ich fühle mich bereits nach so kurzer Zeit geradezu eins mit dem Element.

Wir treiben auseinander und genießen die plätschernde Stille. Es ist herrlich.

Irgendwann drehe ich mich zur Seite und meine Füße berühren den sandigen Boden. Nicht weit entfernt ragt ein kleiner Fels aus dem Wasser. Ich hebe die Hand vor die Augen, als ich eine Gestalt auf ihm ausmache.

Es ist Jo.

Vom Wasserspiel noch aufgeputscht und voller freudiger Emotionen raubt mir sein Anblick den Atem.

Auch er hat sich bis auf die schwarzen CutOut-Shorts ausgezogen und sitzt mit angewinkelten Beinen auf dem harten Stein. Wie lange schon, will ich mir lieber nicht ausmalen. Bestimmt hat er uns eine ganze Zeit beobachtet.

Sannah hat ihn auch entdeckt und schwimmt zu ihm hin. Sie reden kurz und Sannah lacht laut auf. Dann schwimmt sie zum Ufer, schnappt sich ihre Sachen und zieht sich unter einen schattigen Felsvorsprung zurück. Eine andere Sallow erscheint und die beiden flüstern sich Dinge zu und kichern.

Ich schaue wieder zu Jo. Er ist inzwischen aufgestanden und sein makelloser Körper wirkt gegen das Sonnenlicht beinahe übermenschlich. Sofort überkommt mich eine unbändige Sehnsucht, doch ich rühre mich nicht von der Stelle.

Jo streckt indessen die Arme und stößt sich elegant vom Felsen ab. Mit einem leisen "Swusch" durchbricht er die Wasseroberfläche und ist verschwunden.

Ich paddele ein bisschen mit den Armen und sehe mich neugierig um. Noch kann ich ihn nirgends auftauchen sehen. Er bleibt bedenklich lange unter Wasser.

Als ich schon beginne mir Sorgen zu machen, schießt er nur einen halben Meter von mir entfernt empor und macht mich dabei ganz nass. Ich lache vergnügt auf.

»Hi«, sagt er schwer atmend.

Feine Wasserperlen rinnen über seine Nase und seine Wangen.

»Hi«, sage ich fröhlich.

»Und du kannst jetzt also schwimmen?«, fragt er grinsend.

»Jawohl! Das kann ich jetzt«, erwidere ich und dann werfe ich alle Zurückhaltung über Bord und gleite auf ihn zu.

Kleine Wirbel aus Sand umhüllen meine Füße, während ich mich ihm nähere. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals. Mein Gesicht ist jetzt nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt.

Worte brauche ich nicht. Mein ganzer Körper strahlt Glück aus. Und auch er ist vollkommen gelöst. Fort ist der nachdenkliche, traurige Joaquim.

Wir küssen uns, befühlen die glitschige Haut des anderen mit den Fingerspitzen. Dann schwimmen wir um die Wette, tauchen unter, verknoten unsere Körper unter Wasser und kommen prustend und jauchzend wieder hoch.

Die Sonne steht schon tief, als wir eine kleine Ansammlung von Felsen entdecken und ich erstaunt feststelle, dass auf ihr tatsächlich so etwas wie ein Baum wächst. Er ist klein und struppig, aber seine nadelartigen Blätter sind grün.

Wir hieven unsere nassen Körper auf die winzige Insel und bleiben erschöpft auf dem Rücken liegen.

»Das ist der schönste Tag in meinem Leben«, sage ich nach einer Weile.

Er erwidert nichts, lächelt aber zufrieden.

Ich krieche zu ihm herüber und schmiege mich an seine Brust. Mein nasses Haare bildet eine kleine Pfütze unter uns.

Jo beginnt damit, mir zärtlich über den Rücken zu streicheln.

»Meinst du, die anderen können uns sehen?«, frage ich ihn leise.

»Nein. Ich glaube nicht. Dafür ist der Vorsprung hier zu abschüssig.«

Erst während er dies sagt, begreift er den Hintergrund meiner Frage. Ein erstaunter Ausdruck huscht über sein Gesicht und dann zieht er mich näher an sich heran und küsst mich.

»Das habe ich vermisst«, säusele ich.

»Oh Gott, wem sagst du das!«

Ich kichere. Jetzt und hier sind alle Sorgen und alles, was zwischen uns stand, vergessen. Ich weiß nicht, ob es bloß dem See oder Sannah geschuldet ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich Jo schon nach der kurzen Zeit an diesem Ort viel besser verstehen kann oder weil ich plötzlich befürchte, die ganze Zeit über falsch gehandelt zu haben. Es gibt so viele Fragen und Ängste, aber jetzt, in genau diesem Moment, sind sie alle unwichtig.

»Ich liebe dich«, sage ich mit fester Stimme.

Er hält inne und schiebt mich ein Stück weg. Mit beiden Händen an meinen Schultern schaut er mir in die Augen. Ich kann es sehen. Ich bin das Wichtigste für ihn. Nicht die Sallows oder die Division sind seine Nummer eins. Auch nicht das Feuerland.

Ich bin es!

»Ich liebe dich auch, Nova. Das musst du mir glauben. Du musst es einfach.«

»Ich glaube dir«, sage ich und ein Zittern überkommt mich. »Ich glaube dir!«, sage ich erneut und dann versinkt die Welt um uns herum im Wasser. Worte und Gedanken sind wie ausgelöscht, es gibt nur noch uns und diese kleine, steinige Insel.