1. HEIMKEHR


Wenn nur mein verfluchtes Herz endlich aufhören würde, so laut zu schlagen! Ich kann mich nicht auf meine Umgebung konzentrieren, achte nur auf dieses dumpfe Gefühl in meiner Brust. Ich sollte es inzwischen besser können, mich mehr unter Kontrolle haben.

Jetzt spüre ich zu allem Überfluss auch noch Jos Blick auf mir. Er kennt mich zu gut. Meine Unsicherheit muss für ihn praktisch greifbar sein. Ich fluche innerlich. Tief durchatmen. Ich muss mich zusammenreißen.

Aus dem Augenwinkel sehe ich zwei blaue Soldaten auf unsere kleine Gruppe zukommen. Noch haben sie keine Ahnung von dem, was ihnen blüht. Gut so!

Wir setzen uns ebenfalls in Bewegung und während Gibbs zusammen mit Sawyer die Soldaten überwältigt, pirscht der Rest von uns sich näher an die Schleuse heran.

Mailo hat es bisher geschafft, uns unentdeckt bleiben zu lassen. Dank seines Drifts können die feindlichen Soldaten uns nicht sehen. Lange werden wir damit nicht mehr durchkommen. Irgendwer wird Meldung machen oder Mailos Illusion wird plötzlich in sich zusammenfallen. Aber solange wir unbemerkt weiterkommen, nutzen wir diesen Vorteil natürlich.

Von der Anspannung, die unser kleines Unterfangen mit sich bringt, einmal abgesehen, bin ich mit meinen Gedanken bei Nume. Ich brenne darauf, sie endlich wieder in die Arme schließen zu können, sie zu fragen, ob es ihr gut gehe, was sie durchmachen musste. Ich hoffe, die feindliche Übernahme des CutOuts war nicht zu schrecklich für sie. Möglicherweise ist sie ohne einen Kratzer davongekommen und bloß wütend. Das wünsche ich mir so sehr!

Es wundert mich, dass Mailo so gefasst seinen Dienst tut. Er muss noch viel ungeduldiger sein als ich.

Seit Sawyer beschlossen hat, den CutOut zurückzuerobern, haben wir uns den heutigen Tag herbeigesehnt. Den Tag, an dem wir endlich einen Schritt vorankommen. Unser Eigentum zurückfordern und den Blauen zeigen, zu was wir fähig sind.

Wir befinden uns bereits mittendrin. Sind nur noch eine Ebene von der Kommunikationszentrale entfernt, von der aus wir uns die Zentrale der Division wieder zu eigen machen werden. Die nächsten Minuten entscheiden über das Gelingen oder das Scheitern unserer Mission.

Es ist ein seltsames Gefühl wieder durch den CutOut zu streifen. Jede Abzweigung und jede Nische ist mir so vertraut. Es ist, als wären wir nur ein paar Tage weggewesen. Ich muss mich zusammenreißen, um weiter auf jeden meiner Schritte zu achten. Es fühlt sich an, als würde man in seine eigene Wohneinheit einbrechen - irgendwie falsch und doch richtig. Mit angehaltenem Atem versuche ich meine Aufregung zu ignorieren und mich stattdessen noch mehr auf unser Vorhaben zu konzentrieren.

Ich bin Mailo dicht auf den Fersen, als er um eine Ecke biegt, und laufe ihm beinahe von hinten in die Füße, als er abrupt stehen bleibt. Ein Soldat steht direkt vor uns. Und er hat uns gehört. Verdutzt blickt er durch Mailo und mich hindurch und versucht die Quelle der Geräusche auszumachen.

Ich schnelle nach vorn, lege ihm meine Hand auf den Mund und verdrehe ihm den Arm nach hinten. Jo, der jetzt ebenfalls hinter Mailo aufgetaucht, zieht an Numes Freund vorbei und eilt auf mich zu.

Ich nehme meine Hand weg. Bevor der Soldat einen Ton von sich geben kann, hat Jo ihn auch schon mit einem Kinnhaken niedergestreckt. Ich gehe mit dem Mann in die Hocke, als er zusammensackt.

Während Gibbs und Zoe ihm die Handgelenke fesseln, setzen Mailo, Jo und ich unseren schweigsamen Weg fort.

Wie immer, wenn ich schnell reagieren muss, überkommt mich eine seltsame Ruhe. Mein Herz hat aufgehört zu trommeln, mein Atem geht gleichmäßig. Alle meine Sinne sind wach. Irgendwie finde ich es bedenklich, dass mich diese Art Einsatz ruhiger und nicht noch nervöser werden lässt. Doch da diese Eigenschaft gerade extrem nützlich ist, ignoriere ich die Tatsache, dass ich offenbar Spaß an der körperlichen Auseinandersetzung mit anderen Menschen habe. Vielleicht ist es nicht normal, vielleicht ist es verwerflich, dass ich mir ein Leben ohne die Revolution, ohne den Kampf kaum mehr vorstellen kann - egal, ich kann meine Zeit nicht damit verbringen, mich ständig selber zu analysieren. Noch haben wir eine Revolution und noch muss ich kämpfen. Noch ist es also gut, dass ich gerne mitten im Gefecht bin!

Trotz der jüngsten Rückschläge bin ich weiterhin optimistisch. Zu keinem Zeitpunkt, in der über 130-jährigen Geschichte der HUBs, war die Regierung so angreifbar wie jetzt. Wir haben mit unserer Botschaft etwas ins Rollen gebracht. Und auch wenn der CutOut noch nicht wieder unter unserer Kontrolle ist, der Souverän die Grauen auf uns hetzt und die Sonne den Planeten malträtiert, sind wir nicht gewillt aufzugeben. Die Division ist nicht so weit gekommen, um jetzt den Kopf einzuziehen.

 

An Tag 6 nach Veröffentlichung der Botschaft haben wir Sawyer, Jo und die anderen aus den Fängen der Blauen gerettet. Wir haben uns gegen die Soldaten im HUB behauptet und konnten in die alte Stadt fliehen. Von dort aus war es Sawyer möglich, sich einen Überblick zu verschaffen.

Wir konnten die verschlüsselten Daten, welche wir aus dem HUB mitgenommen haben, sichten und wissen nun, dass die interstellaren Raumschiffe fertiggestellt wurden. Dass die Regierung plant, alle Bewohner der gelben HUBs auch auf unserem neuen Planeten Salgaia in riesigen Bienenstöcken unterzubringen. Sie weiterhin zu belügen und auszubeuten. Und wir mussten herausfinden, dass wir es nicht nur mit den Blauen zu tun haben, sondern auch mit dieser ominösen grauen Gruppe von Menschen. Von denen wir kaum etwas wissen, außer der Tatsache, dass sie keinen Drift haben.

 

Ich folge Jo und Mailo in eines der Treppenhäuser. Wir arbeiten uns weiter vor, tief in das Innere unseres besetzten Hauptquartiers. Es ist jetzt nicht mehr weit. Trotzdem bin ich wachsam und erwarte hinter jeder Kurve, jeder Tür eine Horde Soldaten.

 

An Tag 23 nach Veröffentlichung der Botschaft wurde ein Prätor hingerichtet. Es geschah aus heiterem Himmel. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Sawyer war so bestürzt, dass er sich stundenlang in seiner improvisierten Kommunikationszentrale, in dem Wolkenkratzer mitten in der Stadt, eingeschlossen hat und mit niemandem reden wollte.

Die Hinrichtung wurde von Commons vollzogen. Es geschah in einem gelben HUB. Der Prätor hatte nichts Besonderes getan, um diese harte Strafe zu verdienen. Er war einfach, was er eben war. Jemand, der andere Menschen Zeit seines Lebens belogen hat und nun plötzlich auf sich allein gestellt war.

Die Bewohner des HUBs gehörten weder direkt der Division an, noch hatten sie sonderlich engen Kontakt zu anderen, besetzten HUBs. Sie waren aufgebracht. Das Wissen, welches sie in so kurzer Zeit übermannt hatte, war zu viel für sie gewesen. Diese Menschen schlugen einen Weg ein, den die Division niemals tolerieren oder gar unterstützen würde. Sie haben sich wie Blaue verhalten, wenn nicht noch etwas grausamer.

Bevor wir die Botschaft in die Welt hinausschickten, hat Arros mir etwas prophezeit. Er wusste, was geschehen würde, und dass nicht alle Menschen die erforderlichen Entscheidungen mit Bedacht treffen würden. Er sagte, es würden viele sterben und er hat recht behalten.

 

Wir passieren eine weitere, kleine Schleuse. Sie ist nicht bewacht. Überhaupt wurden kaum Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Die Besetzer erwarten wohl nicht, dass wir so dumm sind, in den CutOut zurückzukehren. Aber wir sind so dumm.

Ich setze meinen Drift ein und öffne die Schleuse. Dahinter erstreckt sich die Galerie. Mailo unterbricht seine Illusion, um Kräfte zu sparen, und wir halten uns dicht an der Wand, um nicht von den Soldaten auf den unteren Ebenen gesehen zu werden.

Als wir an einer Stelle näher an das Geländer herantreten müssen, um einen schmalen Durchgang zu erreichen, kann ich einen Blick nach unten werfen. Ich schnappe nach Luft, als ich Numes Gesicht für den Bruchteil einer Sekunde in der Menge unter uns aufblitzen sehe. Mailo hat sie auch entdeckt. Seine Hände ballen sich zu Fäusten und hätte er die Illusion nicht ohnehin platzen lassen, wären wir spätestens jetzt für alle sichtbar, so sehr wühlt ihn der Anblick seiner Freundin auf.

Unsere Sicht ist jetzt wieder eingeschränkt, aber es sieht ganz so aus, als würden sie die ehemaligen Bewohner des CutOuts auf der großen Ebene festhalten. Vielleicht ist gerade auch einfach Essenszeit. Schwer zu sagen, nach nur einem Blick. Ich kann es kaum noch erwarten, den CutOut endlich wieder unter Kontrolle zu haben. Am liebsten würde ich Nume zurufen, dass wir kommen. Dass sie keine Angst mehr haben muss.

 

An Tag 27 nach Veröffentlichung der Botschaft schafften es unsere Leute endlich, zwei HUBs ausfindig zu machen, die SOLAR SUITS herstellen. Einer von ihnen war bereits befreit, wie wir es nennen, wenn die Bewohner die HUB-Leitung aus eigener Kraft oder mithilfe der Division überwältigen konnten.

Arros nahm Kontakt zu einem blauen HUB in der Nähe des zweiten auf und vereinbarte die Aussendung einer Gruppe von Division-Anhängern, die sich dort aufhielten. Sawyer wollte so schnell es geht ausreichend SOLAR SUITS bereitstellen, damit alle Menschen ohne Drift sich endlich auch für längere Zeit im Freien aufhalten könnten.

Damit sich die Gelben besser organisieren und den Anhängern der Regierung im Feuerland entgegentreten können, brauchen sie die entsprechende Ausrüstung. Ohne sie haben sie keine Chance, sich effektiv zur Wehr zu setzen.

 

An Tag 34 flog unser neues Versteck im Hochhaus auf.

Eine hitzige Diskussion entbrannte zwischen Sawyer, T.J. und Arros. Sollten wir die Stellung halten oder fliehen? Und wenn ja, wohin?

Sawyer und T.J. setzten sich gegen Arros durch und wir bereiteten den Abzug vor. Dank des inzwischen relativ gut ausgebauten Überwachungsnetzwerks konnten wir die vier herannahenden Einheiten blauer Soldaten rechtzeitig bemerken und so blieb uns genügend Zeit, um das Wichtigste zusammenzupacken und klammheimlich zu verschwinden.

Dass sie vier Einheiten geschickt haben, zeigt uns, dass es ihnen zwar wichtig ist, die Anführer des Aufstands zu eliminieren, sie aber in genügend Gefechte verwickelt sind, um nicht mehr Männer entbehren zu können.

 

Wir erreichen den Eingang der Kommunikationszentrale. Davor befinden sich drei Soldaten und ein Techniker. Sie scheinen ein lockeres Gespräch zu führen und bemerken uns nicht. Natürlich ist diese Tatsache Mailo geschuldet, aber ich glaube, sie würden uns auch nicht beachten, wenn wir nicht durch seinen Drift geschützt wären. Der ganze CutOut ist voller Leute.

Ich hatte mir die Situation bedrohlicher vorgestellt. Bis an die Zähne bewaffnete Soldaten, ein dämonischer Souverän mit einem besonderen Drift. Aber nichts davon trifft zu. Der Souverän hält sich Hunderte Kilometer weit weg auf. Das wissen wir dank des Netzwerkes der Division. Und die Soldaten hier im CutOut benehmen sich eher, als hätten sie dienstfrei. Wahrscheinlich glaubt wirklich keiner, dass wir ernsthaft erwägen, uns unser Heim zurückzuholen.

»Bereit?«, flüstert Mailo Jo, Sawyer und mir leise zu und wir nicken entschlossen.

Hinter uns gehen Zoe, Gibbs und Arros in Stellung. Nicht weit entfernt vom CutOut warten 70 Mitglieder der Division auf unser Zeichen. Doch noch ist es nicht so weit. Zuerst müssen wir in die Kommunikationszentrale und dafür sorgen, dass die Soldaten außer Gefecht sind.

Mailo schnellt vor und überwältigt einen der Soldaten. Zoe belegt die anderen mit einer Halluzination und Jo schlägt den Techniker k. o. Wie immer geht alles sehr schnell.

Ich bin bereits an der Konsole neben dem Zugang und öffne die Tür. Mit einem leisen Zischen gleitet sie auf und dahinter kann ich auf den ersten Blick etwa ein Dutzend Männer ausmachen. Da Mailo mich und die anderen weiterhin unsichtbar bleiben lässt, können wir ungehindert eintreten. Allerdings blicken nun bereits einige der Männer irritiert zu der offenen Tür, die aus ihrer Sicht wie von Geisterhand aufgegangen sein muss und durch die niemand eintritt.

Wir sind nun alle in Position. Jeder ist bereit, jeweils zwei der Anwesenden zu überwältigen. Ich schaue zu Sawyer und erwarte sein Zeichen. Er scheint noch einen Moment zu brauchen, um sich sicher zu sein, doch dann hebt er die rechte Hand und wir stürzen uns auf unsere Opfer.

 

Zehn Minuten später sind alle Personen bewusstlos und in einen der Serverräume verbannt. Gibbs hat sich die Hand verletzt, aber sonst ist keinem von uns etwas geschehen.

»Arros, gib den anderen Bescheid. Es kann losgehen«, sagt Sawyer mit einem beinahe kindlich aufgeregten Unterton in seiner Stimme.

Arros nickt und gibt etwas in seinen Kommunikator ein. Draußen, im Feuerland, beginnen unsere Leute also in diesem Moment sich auf den Weg in den CutOut zu machen.

Ich stelle mich neben Jo und drücke meine Nase gegen seinen Oberarm, bis sie ganz platt ist. Seine Haut ist weich und warm. Durch den Kampf sind seine Arme angespannt und seine Hände sind nicht, wie sonst, lässig in seinen Taschen vergraben. Er tippt mit seinem Zeigefinger gegen mein Schlüsselbein und zieht dann eine Linie zu meiner Schulter und meinen Arm hinab.

»Ihr sagt Bescheid, wenn ihr mal kurz nach nebenan gehen wollt?«, fragt Arros gehässig.

Ich laufe rot an, zumindest fühlt es sich so an und entferne mich ein Stück von Jo. Dieser grinst nur selbstzufrieden. Es scheint ihm nicht peinlich zu sein. Mir dafür schon.

Seitdem das Kampfgeschehen um uns herum immer unkontrollierter und blutrünstiger zu werden scheint, sind Jo und ich uns noch viel näher gekommen.

Ich genieße es.

Die gemeinsamen Minuten, die wir uns ergaunern, uns von den anderen absetzen und Zeit miteinander verbringen. Die Berührungen, manchmal ganz unschuldig, erkundend, dann wieder so intensiv und fordernd. Ich weiß natürlich, dass dieses Verhalten nichts Gutes bedeuten kann. Wir steuern geradewegs auf einen Punkt in unserer Beziehung zu, der unser Glück perfekt machen würde. Aber wir tun dies nicht, weil die Zeiten gerade so furchtbar romantisch sind. Im Gegenteil. Dreckig und müde, wie wir in den letzten Wochen waren, wäre keiner von uns auf den Gedanken an verliebte Stunden gekommen. Es ist etwas anderes, das uns dazu treibt, einen Schritt weiterzugehen. Es ist die Ungewissheit.

Weder Jo noch ich wissen, wie unsere unmittelbare Zukunft aussieht. Einer von uns oder wir beide hätten heute beim Einmarsch in den CutOut umkommen können. Oder morgen. Oder am Tag danach. Die ganze Welt ist aus den Fugen geraten und wir sind mittendrin. Es ist, als würden wir noch mal alles auf eine Karte setzen wollen und jede Erfahrung mitnehmen, die wir können.

Während Sawyer sich an einer Tastatur hinter dem wuchtigen Steuerpult der Zentrale zu schaffen macht, beobachte ich Jo heimlich von der Seite.

Schon als wir ihn damals in der verlassenen Stadt kennengelernt haben, kam er mir sehr erwachsen vor. Nicht immer, natürlich. Er hatte von Anfang an auch eine jungenhafte, verspielte Seite. Doch spätestens nachdem er und ich uns nähergekommen waren, wusste ich, dass er ein sehr ernsthafter Mensch ist. Hier und heute, nach allem, was geschehen ist. Nach den Kämpfen, dem Vorfall in der Sendestation und der Zeit außerhalb des CutOuts - erscheint er mir hart, beinahe kühl. Das angeberische Lächeln von eben ist verschwunden und sein markantes Profil wirkt männlich und gefasst. Ich komme mir mit einem Mal total jung vor. Mädchenhaft und albern.

Plötzlich erinnere ich mich daran, wie meine Mutter mir einmal von der Liebe erzählt hat. Damals war ich vielleicht elf Jahre alt gewesen und neugierig. Ich wollte erfahren, woher sie wusste, dass mein Vater der Richtige für sie gewesen ist. Ich erinnere mich an den Ausdruck auf ihrem Gesicht. Diese Ruhe, eine Gewissheit, die sich darauf abzeichnete. Sie sagte mir, es wäre nicht immer einfach für eine Frau herauszufinden, wie sie empfinde. Wir wären kompliziert. Sie sei sich selber anfangs nicht sicher gewesen, zumal es noch andere Verehrer gab. Sie hätte oft in sich hineingehorcht und sogar Pro- und Contra-Listen erstellt. Allerdings ohne messbaren Erfolg.

Ich fragte sie, wieso sie sich am Ende für meinen Vater entschieden hat, und sie antwortete: »Weil ich in seiner Gegenwart immer ein schrecklicher Tollpatsch war.«

Dabei verzogen sich ihre vollen Lippen zu einem breiten Grinsen und ihr Blick wurde trüb. Als würde sie sich selbst in der Zeit zurückschicken und meinen Vater erneut kennenlernen.

Ich verstand nicht, was die Tatsache, dass sie ungeschickt wirkte, mit der Liebe zu meinem Vater zu tun haben sollte. Aber meine Mutter streichelte mir nur sanft über den Kopf und meinte: »Du kannst dich vor allen Menschen im HUB verstellen, Nova. Vor deinen Lehrern, vor mir und vor Nume. Aber wenn du diesen einen Menschen findest, den Richtigen, dann bist du echt. Du könntest dich auf den Kopf stellen und wie verrückt versuchen, besonders elegant oder besonders beherrscht zu sein. Es wird nicht funktionieren. Vor ihm wirst du dein wahres Ich entblößen und das bedeutet leider auch, dass du das eine oder andere Mal etwas Falsches sagst oder ein Glas Milch auf seine Hose verschüttest und dich dafür schämst. Wo du andere Jungs um den Finger wickeln kannst, wirst du dich bei ihm fragen, was er gerade denkt, ob er dich mag oder ob er dich hübsch findet. Du wirst unsicher und ungeduldig sein. Und wenn es so weit ist, weißt du, dass du verliebt bist.«

In mir schmerzt die Erinnerung an meine Mutter, während ich gleichzeitig sehr froh darüber bin, Jo neben mir zu haben. Sie hatte recht. In seiner Gegenwart bin ich oft unsicher, ungeschickt und nervös. Ich will ständig wissen, was in seinem Kopf vorgeht und wenn er mir etwas nicht sagen will, macht es mich wahnsinnig. Er ist mein Rätsel auf zwei Beinen, das Wichtigste in meinem Leben und der Mensch, für den ich alles riskieren würde. Wirklich alles!

»In Ordnung. Kann losgehen«, informiert uns Sawyer.

Er gibt ein paar Befehle ein und vor die Tür, die ohnehin schon geschlossen war, schiebt sich eine weitere, deutlich massivere Luke.

Ein seltsames Geräusch erklingt, als die Verriegelung greift. Wie, als wäre ein Vakuum entstanden. Über unseren Köpfen klickt es leise. Die Sauerstoffzufuhr schaltet sich um. Die Kommunikationszentrale wird nun durch ein externes System gespeist, welches nicht mit dem Lüftungssystem des CutOuts verbunden ist. Wir sind isoliert.

»Ziehen wir es durch …«, sagt unser Anführer. Und dann gibt er einen weiteren Befehl ein, drückt eine Taste zur Bestätigung und holt sich seinen CutOut zurück!