MARGARET HOWES
Ich schließe diese Anthologien liebend gern mit etwas Kurzem und Lustigem. Und das bekomme ich eigentlich immer von Anfängerinnen. (Die Autoren, die schon länger in diesem Metier sind, haben ihre besten Ideen wohl erst ab »zehn Seiten und mehr«. Aber ich suche verzweifelt nach kürzeren Texten - und das so sehr, daß ich den jungen Autorinnen sage: Schreibt etwas Kurzes und Lustiges, damit habt ihr bei mir die größten Chancen!) Einer Geschichte, die kurz und lustig ist, kann ich nicht widerstehen; denn daran mangelt es in dieser Reihe immer.
Margaret Howes schrieb mir: »Das ist meine erste professionelle Publikation — wenn Sie meine drei Storys in The Tolkien Scrapbook nicht mitzählen.« (Nein, das tue ich nicht.) »Und was mein Leben angeht: Ich bin nun pensioniert, erzähle in der Gesellschaft für kreativen Anachronismus meine Geschichten, führe meine Enkelin in Veranstaltungen aus und versuche zu schreiben, zumeist Science-fiction.
Aber ich habe oft darüber nachgedacht, wie die starken, muskelbepackten Helden -Frauen wie Männer — wohl leben, wenn sie in die Jahre kommen und ihre berufsbedingten Zipperlein haben.« Das frage ich mich auch. Die Schwertkämpferinnen und Zauberinnen sind in die Jahre gekommen. Wir ziehen mit den (bilderstürmenden) männlichen Helden gleich; sogar John Wayne hat ja einen Film über einen alternden Revolverhelden gemacht (Der ShootistJ. Und jetzt fangen die Frauen an. Nun, wir werden alle alt.
Was nur durch die unerfreuliche Alternative dazu erträglich wird.– MZB
MARGARET HOWES
Pensionsplan
Yngilda erwachte. Widerwillig, lustlos. Man hatte ihr, nach dem sehr guten Abendessen, das beste Bett im ganzen Gasthof gegeben, und es war viel zu behaglich … Ihr war gar nicht nach Aufstehen. Warum habe ich mir bloß diesen Beruf da ausgesucht? grübelte sie.
Meine Eltern wollten mir eine standesgemäße Hochzeit arrangie-ren, und ich hätte einen Haufen Kinder großziehen können, die mich im Alter versorgen und verwöhnen würden. Sie seufzte tief, kuschelte sich in die Kissen und zog die Decken bis zum Kinn. Aber es hatte keinen Sinn, es aufzuschieben! Es war zwar noch längst nicht Tag, aber diese Dörfler versammelten sich bestimmt schon und warteten drauf, die Heldin noch einmal zu sehen, die gekommen war, um den Drachen zu töten. Also stieß sie die Decken beiseite, setzte sich auf und streckte vorsichtig ihr linkes Bein, um ihr Knie gelenkig zu machen. Dann beugte sie den Kopf - gegen die Kreuzschmerzen -, stand ächzend auf und reckte und streckte sich, erst behutsam und etwas steif, aber dann, als ihre Gelenke und Muskeln geschmeidiger wurden, um einiges behender. Darauf banda-gierte sie mit Tuchstreifen sorgsam ihr linkes Knie und ihren rechten Ellbogen, beugte sich über die Waschschüssel, spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht und wusch sich den Schlaf aus den Augen. Nun das Anlegen der Rüstung - auch das ging jetzt langsamer als früher … Stiefel, Knieschoner und Beinschienen, dann das dicke Steppwams und darüber das Panzerhemd. Kettenhaube und Helm würde sie erst aufsetzen und die Handschuhe erst anziehen, wenn sie das Gebiet des Drachen erreichte - aber die wattierte Unterhaube zog sie sich, weil sie ihre grauen Haare so gut verbarg, gleich über.
Natürlich stand schon
fast das gesamte Dorf vor dem Gasthaus, als sie von Kopf bis Fuß
gewappnet aus der Tür trat, und man empfing sie mit chaotischem
Hurrageschrei. Da reckte sie sich und hob den Kopf, erwiderte die
Hochrufe mit betont kämpferischer Haltung - die Leute brauchten ja
nicht zu wissen, wie schwer ihr das schon fiel oder welche
Anstalten sie treffen mußte, um sich auf Briand, ihren schwarzen
Hengst, zu schwingen. Für diese Menschen war sie immer noch
Yngilda, die berühmte Drachentöterin.
Später, als sie zum Dorf hinausritt, machte sie sich
wegen ihrer
Unlust beim Aufstehen Vorwürfe. Die Dörfler hatten
bestimmt
alle, obwohl sie offenbar bitterarm waren, ihr Scherflein
beige-
steuert, damit sie das beste Essen und das beste Bett am Ort
be-
käme … Der Drache hatte zwar seit Menschengedenken keinen
einzigen von ihnen mehr geholt, raubte ihnen aber
regelmäßig
Vieh, auch ihr Zugvieh. Ja, auf einem Feld am Wegrand hatte
sie
gesehen, wie ein Mann den Pflug selbst zog, während ein
anderer
führte. Der Drache hungerte die Leute so langsam aus.
Aber, fragte sie sich, habe ich hier nicht nur falsche
Hoffnungen
geweckt? Habe ich noch das Zeug dazu, dieses Untier zu töten?
Ich
bin nicht mehr, was ich einmal war. Immer noch recht schlank
und
muskulös, Sankt Michael sei Dank! Aber die Reflexe sind
langsa-
mer geworden, und dann das böse Knie und der schlimme
Ellbo-
gen, diese Narben, die bei kaltem Wetter schmerzen, ja, und
eben
nicht mehr die Ausdauer wie früher. Ich muß ihn auf Anhieb
erle-
digen. Falls mir das nicht gelingt, müssen sie sich eine andere
Dra-
chentöterin holen.
Beim letzten Kampf, gut
ein Jahr zuvor, wäre sie um ein Haar auf
der Strecke geblieben - gegen einen jungen, unerfahrenen
Dra-
chen. Und von dem hier hieß es, er sei alt und schlau.
Aber der Ritt nun hatte ihr schon gut getan. Ihre
Morgensteifheit
und die Schmerzen waren wie weggeblasen. Sie setzte sich
auf-
recht und überließ sich dem Rhythmus der kraftvollen
Schritte
Briands. Nein, das Leben in einer Burg oder Residenz, den
Fami-
lienalltag mit all seinem Ärger, hätte sie nicht ertragen. Dies
hier
war es, was sie liebte; für sie kam nichts anderes in Frage. So
an
einem schönen, klaren Morgen hinausreiten, die Sonne
aufgehen
sehen und die Vögel singen hören, diese reine Landluft riechen
…
Rein? Sie krauste die
Nase und schnupperte. Verdammt, es stank
schon leicht nach Schwefel! Da zügelte sie ihr Pferd und
blickte
sich um. Nach dem, was man ihr im Dorf gesagt hatte, müßte
sie
nun in der Nähe seiner Höhle sein: Zur Rechten und Linken
ge-
nau die angekündigten hohen Felsen. Die Vegetation war
jedoch
üppiger, als sie erwartet hatte. Vielleicht war es ja noch
ein
Stück! Aber in meinem Alter sollte man wohl kein Risiko
einge-
hen, dachte sie. So zog sie ihre Kettenhaube an, setzte sich
den
Helm auf und zog ihre Handschuhe an, lockerte ihr
Schwert,
nahm den Schild hoch, rückte ihre Lanze zurecht und ritt
dann
wachsam weiter.
Da kam der Drache, wie
aus dem Hang geschossen! Er flog eine
enge Schleife, stieß mordlüstern auf sie herab. Sie duckte
sich
unter den Schild, griff nach der Lanze. Aber ihr Ellbogen streikte.
Die Lanze fiel zu Boden. Ein Glutstrahl traf sie. Ich bin tot,
dachte sie, und dann dämmerte ihr, daß sie ja noch am Leben war.
Aber wo ist der Drache? Ratlos suchte sie den Himmel ab.
Nichts. Aber da, zwei Drachenlängen vor ihr, da kauerte
er; und einen Flügel hielt er merkwürdig schief. Siegesgefühl
erfüllte sie.
Ein Drache mehr! Nun eine scharfe Attacke auf ihrem Hengst, mit
eingelegter Lanze … aber das würde sie nicht mehr
schaffen.
Und der Drache würde gleich seinen zweiten Angriff fliegen
…
Aber er machte keinerlei Anstalten dazu. Sehr seltsam.
Weshalb war er überhaupt am Boden? Sie musterte ihn scharf. Seine
Schuppen wirkten matt und stumpf, einige sogar brüchig. Dieser
riesige Flügel war ganz ausgefranst. Und an einer Tatze fehlten
etliche Krallen. Nun riskierte Yngilda etwas, wovor alle jungen
Drachentöterinnen in spe streng gewarnt werden: Sie blickte ihm in
die Augen - und da sah sie, daß seine Pupillen trüb waren, trübe
Fenster vor halb erloschenen Feuern.
Da riß er sein
fürchterliches Maul auf, spie eine Hitzewoge, eine schwarze
Rauchwolke und flackernde Flämmchen. Yngilda hätte fast laut
aufgelacht. Nicht Mitleid war es, was sie empfand, nein, ein Gefühl
von gleich zu gleich.
»Drache!« schrie sie.
Keine Antwort.
Also wurde sie ganz förmlich: »Bei Sankt Georg und Sankt Michael befehle ich dir, mir Antwort zu geben!« »Ich höre«, brummte er mit tiefer, müder Stimme. »Drache, deine Schuppen sind matt, deine Flammen schwach. Du bist alt geworden.«
»Du auch!« knurrte er. Es klang belustigt. »Mach dich lieber aus dem Staub, Menschlein. Bald kann ich wieder fliegen … Dann töte ich dich!«
»Ich denke ja nicht daran zu fliehen!« versetzte Yngilda scharf.
»Soll ich etwa ohne die kleinste Brandwunde ins Dorf und sagen, ich hätte aufgegeben ? Um den Rest meiner Tage als Witzfigur und verachtete Bettlerin zu verbringen? Mit der Linken kann ich mein Schwert noch führen und harte Hiebe austeilen! Aber warum sollten wir versuchen, einander umzubringen? Kannst du diese Dörfler denn nicht in Ruhe lassen? Warum machst du das überhaupt? Wenn du mich tötest und selbst überlebst, schickt man dir eben eine junge und starke Kämpferin auf den Hals!« Der Drache grollte.
»Meine Schwingen sind nicht mehr, was sie einmal waren, tragen mich aber bei gutem Wind wohl einen ganzen Tag. Ich will leben, durch die Lüfte schweifen. Die Dörfler habe ich nie angerührt. Ihre Rinder und Schafe schmecken eh besser.« Yngilda hatte begriffen.
Sie überlegte noch eine Weile und lachte dann schallend.
»Drache, höre mir zu! Westlich von hier ist ein Gebirgstal voller fetter Hirsche. An seinen Hängen liegen blühende Dörfer … viele mit schönen Beständen an Rindern und Schafen. Wie wär’s, wenn ich dich dorthin führte? Du könntest da so viele Hirsche fressen, wie du willst, und ab und an ein paar Schafe und Rinder, mal aus dem Dorf und mal aus jenem. Dort gibt es auch warme, trockene Höhlen. Du fändest leicht eine für dich, und ich nähme mir auch eine und ließe mich häuslich nieder … mir liegt nichts mehr am Leben in den Städten oder Dörfern. Bring du mir einen Hirsch oder anderes Wild, wenn ich nichts mehr zu essen habe … ich beruhige dafür die Dörfler, sage ihnen, du würdest dir nie mehr holen, als sie entbehren können. Dann könntest du spazieren-fliegen, solange du noch lebst und rüstig bist, und ich könnte auch leben und immer mal ausreiten.«
»Weißt du denn, wieviel diese Leute entbehren könnten?« »Du mußt dich eben etwas zügeln, und ich werde ihnen sagen, du seist ein furchtbarer, unbesiegbarer Drache. Mir werden sie das abneh-men.«
Schweigen. Langes Schweigen. Der Drache lüftete seine Schwingen.
Und Yngilda beugte vorsichtig ihren Ellbogen - das ging ja schon wieder ganz gut…
»Abgemacht, Menschlein!« brummte der Drache endlich. »Ich heiße Raskharr!«
»Angenehm, Raskharr, und ich bin Yngilda.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte der Drache, wiederum eine Spur belustigt.
Sie stieg vom Pferd, hob die Lanze auf, schwang sich damit in den Sattel und stellte sie in die Halterung. Nun breitete der Drache die Schwingen und erhob sich schwerfällig in die Lüfte. Und er folgte ihr, als sie fröhlich summend gen Westen ritt.