PAULA HELM MURRAY

 

Paula Helm Murray kann ich wohl zu »meinen« Autorinnen zählen, da sie ja schon in meinen Anthologien Magische Geschichten (Band IV) und Spells of Wonder und auch in Marion Zimmer Bradley’s Fantasy Magazine präsent war. Sie hält sich drei »Miezen« (Katzen, nehme ich an) und ein paar Vögel -eine Konstellation, die ich für die Katzen oder die Vögel für grausam oder zumindest für frustrierend halte. Sie hat auch mehr als ein Dutzend Ideen für neue Geschichten, alles auf Diskette gespeichert - wohl ein nützlicheres Medium als meine Notizbücher ~, hat aber auch einen Ausdruck davon, so daß nichts passieren kann. Zu ihren größten Leistungen zählt sie, daß sie die ständigen schlechten Wortspiele ihres Mannes überstanden habe (hoffentlich lernt ihr Papagei sie nicht -sonst bekommt sie sie noch in Stereo zu hören …). Sie arbeitet zudem — aber wer nicht? — an einem Roman. Bei ihrem Tempo könnte sie ihn auch durchaus zu Ende bringen. Natürlich hat niemand Zeit zum Schreiben; man muß sie sich eben nehmen. – MZB.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

PAULA HELM MURRAY

 

Kayli wird entführt

 

Fyl, der rundliche Zwergdrache, huschte frohgemut zur Küche, um an seinem Lieblingsplatz vor Kaylis Herd diese gegrillten Mäuse, die er eben verzehrt hatte, in Ruhe und Frieden zu verdauen. Aber gerade als er sein Schnäuzchen durch die Tür steckte, erbebte die Küche von einem gotteslästerlichen Fluch und zerschellte über ihm ein Teller an der Wand. Göttin! Wo bin ich da nur hineingeraten?! dachte er, duckte sich und nahm die Beine in die Hand.

»Hugh, was, zum Teufel, hast du gemacht?« zeterte Kayli und ging, die Arme über dem schon dicken Bauch verschränkt, langsam auf und ab und starrte dabei ihren Mann fassungslos an. »Kayli, er befahl…«, stammelte der rothaarige Hüne und blickte schamroten Gesichts zu Boden. Nun hob er protestierend die Linke, ließ sie aber, noch tiefer errötend, wieder fallen, so als ob es zu solcher Geste beider Hände bedürfe - und den rechten Arm trug er ja, seit seiner schweren Verwundung im vorigen Frühjahr, lahm und zu nichts mehr nütze, in einer Lederschlinge. »Er befahl dir, ihm zu geben, was dir nicht gehört«, schloß sie an seiner Statt. »Schicke seinen Boten zurück. Troy muß mit mir reden. Ich will wissen, was vor unserer Verlobung hinter meinem Rücken vereinbart wurde.« Sie warf noch einen Teller nach ihm, daß es nur so klirrte.

Dann machte sie kehrt und stieg so rasch, wie es in ihrem Zustand ging, in ihr eheliches Schlafgemach hinauf und verriegelte sofort die Tür hinter sich. Oh, Göttin, gib mir Kraft! betete sie stumm. Ich brauche Ruhe, oh, ich bin seit kurzem immer so müde. Aber die jähen Stöße des Kindes in ihrem Bauch rissen sie aus ihren trüben Gedanken. Sie ließ sich behutsam auf die Bettkante nieder.

Warum muß das nun passieren und nicht in einem Monat oder in ein, zwei Wochen … wenn du erst einmal auf der Welt bist? Wie konnte Hugh ihm Leute für seine Armee versprechen, hat er denn nur Stroh im Kopf?  

Die trüben Gedanken hatten sich nicht lange verscheuchen lassen. Und ich, so hilflos … und das Wetter in diesem Frühling genauso schlecht wie im vorigen … aber wenigstens ist das Dach jetzt dicht… O Göttin!

»Kay?« fragte Hugh durch die Tür. »Kay, bitte, laß mich rein! Ich habe getan, was du mir gesagt hast.«

»Ehrenwort?« fragte sie. »Oder lügst du mich mal wieder an?«  

»Kay, laß mich bitte rein. Ich habe den Boten mit deinem Auftrag auf den Weg geschickt. Aber ich weiß natürlich nicht, wie Troy reagiert.«

Sie seufzte. Er klang ganz zerknirscht. Daß ich auch nie lang mit ihm böse sein kann! Sie erhob sich, entriegelte die Tür und legte sich dann der Länge lang aufs Bett.

Rasch trat er zu ihr und setzte sich neben sie. »Kay, er ist mein älterer Bruder. Ich konnte ihm ja noch nie « Er streichelte ihr mit der Linken die Wangen und strich ihr ihr langes, weißes Haar glatt.

»… noch nie die Stirn bieten. Das hattest du schon mal gesagt.« Sie seufzte resigniert und schloß die Augen. »Hugh, diese Männer bekäme ich wahrscheinlich nicht einmal dazu, sich selbst und ihre Frauen und Kinder mit dem Schwert in der Hand zu verteidigen. Irgend so eine Wanderpriesterin hat sie eine seltsame Religion gelehrt. Und jetzt halten sie es für eine Sünde, absichtlich eines anderen Menschen Blut zu vergießen.«

»Aber bei dem Fremden, letztes Jahr, als Sylva entführt wurde, der …«

»Er hat sich offensichtlich auf sie gestürzt, wie rasend vor Wut, und sie haben sich verteidigt. Sein Tod dürfte ein Unfall gewesen sein. Aber sie fühlen sich trotzdem schuldig.« »Und was ist mit deinem Zauber?«

»Denk an Großmutters Warnung!« sagte Kayli. »Ich will, daß unser Kind groß und gesund und schön wird, wie sein Vater. Und wenn ich nun zaubere, riskiere ich, daß es nicht einmal lebendig zur Welt kommt!«

»Kay, was hieltest du von einem Magier gleich dir?« fragte Hugh zärtlich. »Die Chancen stehen doch nicht schlecht, bei dem Talent meiner Mutter und überhaupt.«

»O ja, ich denke schon«, erwiderte sie und zuckte zusammen, weil das Kind sie wieder trat. »Es scheint ja recht gesund!« Sie nahm seine Linke und legte sie auf ihren Bauch. »Es tritt mich schon den ganzen Tag.« Das Kleine bekräftigte ihre Worte, sehr zu ihrem Leidwesen.

»Ein äußerst lebhaftes Kind«, sagte er grinsend. »Und was, wenn es ein Mädchen ist?«

»Ich nehme, was kommt. Aber ich will ihm nicht etwa mit meinem Zauberfeuer schaden.« Sie ließ sich zurückfallen und spürte nun erst so richtig, wie erschöpft sie doch war.

»Hm, hm!« piepste jemand an der Tür. »Habt ihr ausgestritten, Mütterchen?« Als Fyl durch den Türspalt äugte, wurde es Kay froh ums Herz. Dieser kleine Geselle hatte ihr in diesem kalten Winter Trost und Wärme gegeben und war fast ihr einziger Lichtblick in dieser dunklen Zeit gewesen. »Oja«, erwiderte sie, »komm rein, mein Kleiner!« Schon kam er ins Schlafzimmer getrottet, kletterte geschickt zu ihr aufs Bett und rollte sich, sich an sie kuschelnd, zusammen. Und die beiden streichelten ihn liebevoll. »Was liegt an?« fragte Hugh schließlich.

»Der Bote ist fort«, piepste er und verdrehte seinen langen Hals, damit er sie beide ansehen konnte mit seinen großen Augen, die so bernsteingelb waren wie die von Kay. »Hugh hat ihn weggeschickt.  

Mit deiner Botschaft, Mütterchen.« Kayli schlug die Augen auf und blickte zu ihrem Mann hoch. »Dann wird uns der König wohl bald einen Besuch abstatten. Das gefällt mir gar nicht, aber wenigstens kann ich dann mit ihm reden. Und was hast du ihm damals versprochen?« »Ich habe, als ich mit ihm über unsere Heirat redete, gar nichts versprochen«, antwortete Hugh. »Er sagte nur immer, daß ich hier der Herr sei, und ich, daß du die Lehensherrin seist. Wirklich, Kay, du mußt mir das glauben. Er dachte wohl, daß ich mir mein Recht schon nähme.«

Kayli wußte, daß Hugh die Wahrheit sprach; denn wenn er log, war ihm das stets im Gesicht anzusehen. »Und jetzt nimmt Troy an, daß du ihm Verstärkung schickst.« Sie regte sich immer auf, wenn sie von ihrem jähzornigen Schwager sprach. Dieser arrogante, grausame Mann glaubt, alle müßten nach seiner Pfeife tanzen. Und weil ich letztes Jahr meine alte Brücken-echse Ylgs verloren habe, will ich nicht riskieren, daß seine Bogenschützen jetzt ihre Nachfolgerin Thyr töten.

Das Wetter wurde wieder schön, wie so oft im Frühling. Es war nun eine Woche her, daß sie Troys Boten zurückgeschickt hatten. 

Kayli ruhte in der Wiese oberhalb der Burg, sah den Schafen beim Grasen zu und ließ sich die Sonne auf die Haut brennen. Sie konnte Hugh, der in den Stallungen arbeitete, fröhlich singen hören und döste, die Wärme genießend, so vor sich hin. Auf einem Felsen unweit von ihr aalte sich Fyl ebenso ungeniert wie sie in der Sonne.

Das Stampfen eines Pferdes und Quietschen von Zaumzeug und Klirren einer Gebißstange rissen sie aus ihrem Behagen. Als sie hochfuhr und aufblickte, sah sie Troy, hoch zu Roß, vor sich. Er ritt ein Jagdpferd, trug ein ganz und gar unkönigliches Gewand - und sah darin so gewöhnlich aus, daß sie sich fragte, ob er es wirklich sei. Als er nun abstieg und vor sie hintrat, schrak Fyl hoch und richtete sich piepsend auf.

»Mylady«, begann Troy mit einer höflichen Verbeugung und streckte galant die Hand aus, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein.

Kayli fuhr zurück und starrte ihn an, als ob sie einen Geist vor sich hätte. War das ein Doppelgänger - eine jener Hexerkreaturen, von denen die alten Bücher berichteten? Denn der schwarzhaarige, stämmige Halbbruder Hughs, den sie kannte, hatte noch nie gute Manieren an den Tag gelegt…

»Ja, ich bin es, hohe Frau«, versicherte er mit dem Anflug eines Lächelns und fuhr mit ernster Miene fort: »Ich tu dir nichts.« Da reichte sie ihm ihre Hand, und er half ihr auf. »Oh, ich wußte nicht …«, begann er dann, mit einem vielsagen den Blick auf ihren Bauch.  

»Ich wette, du hast meinen Brief an Hugh, in dem ich ihn um Verstärkung bat, nicht einmal gelesen.«

»Nein, Vetter«, erwiderte Kayli. »Hugh hat mir erzählt, was drin stand … und ich habe ihm gesagt, er solle dir antworten. Warum redest du denn nicht mit ihm, mein König?« sagte sie und musterte ihn scharf.

»Er meinte es offenbar ernst, als er mir sagte, du seist hier die Herrin«, versetzte er und nahm den Hut vor ihr ab. »Ich kam, dich um einen Gefallen zu bitten, hohe Frau.«

»Ich fürchte, ich kenne deinen Wunsch bereits. Aber ich kann ihn dir nicht erfüllen«, sagte sie und spürte dabei, wie sich ihr die kurz Geschorenen Nackenhaare sträubten. Was geht hier vor?

Er nahm wieder ihre Hand, wie um sie ihr zu küssen. »Dann, meine Schöne, muß ich dich dazu zwingen!«

Dann drehte er ihr, ehe sie sich’s versah, den Arm auf den Rücken und schrie: »Männer, ich hab sie! Sie ist schwanger und kann sich nicht wehren. Einer kümmert sich um den Drachen! Fangt ihn, tötet ihn!« Dann fesselte er ihr die Hände.

Kayli kam gar nicht auf den Gedanken, um Hilfe zu rufen, und also war der Knebel, den er ihr in den Mund schob, völlig überflüssig, nur lästig. Sie begann hastig einen Zauber, einen, der Donner und Blitz erzeugt, aber keiner Geste bedarf. Aber sie fühlte, wie das Kind in ihr sich dabei wand und sie heftig trat. Da erstarrte sie und brach den Zauber ab.

Sie hörte Fyl vor Angst piepsen und einen hohen, schrillen Schrei ausstoßen, der dann gleich darauf jäh erstarb. Aber in dem Gewühl ringsum konnte sie nichts erkennen - ihr wurde schlecht bei dem Gedanken …

»Ich bin sicher, das wird Hugh den Ruck geben, den er anscheinend braucht«, spottete Troy und führte sie zu einer bereitstehenden Pferdesänfte. »Du hast deinem Mann ein Rückgrat gegeben, Mädchen, aber warten wir ab, wie er sich jetzt verhält.« Er half ihr in die Sänfte.

»Versuche nicht, zu fliehen«, warnte er. »Meine Männer haben Befehl, dich in diesem Fall zu töten«, fuhr er mit häßlichem Lächeln fort. »Du bist jetzt nicht mehr so schnell, und Hugh hätte mir längst das Verlangte gegeben, ehe er von deinem Schicksal erführe.« Nun löste er ihr die Handfesseln. Kayli starrte ihn an. Sie war ganz krank vor Kummer. Soviel also zu dem Versuch, den Krieg aus dem Westen fernzuhalten, dachte sie.

Trotz des Gerüttels und Geschwankes ihrer Sänfte fiel sie bald in tiefen Schlaf, was vor allem eine Reaktion auf den Schock und die Anspannung war.

»Hilfe!« schrie Fyl so panisch, als er nun in die Scheune gerannt kam, daß Hugh einen großen Nagel, den Wilse vorgesetzt hatte, vor Schreck ganz krumm schlug.

»Verdammt! Fyl, was hast du?« fluchte Hugh und holte erst einmal tief Luft, legte dann seinen Hammer beiseite und half dem Drachen auf eine Boxenwand. Und als der Kleine jetzt auf Kopfhöhe vor ihm saß, sah er auch gleich die frische Schwellung an seiner Flanke.

»Es ist … es …«, stammelte Fyl, fuhr seinen langen, schlanken Hals ein, um den Kopf hinter den Vorderpfoten zu verbergen, und begann, jämmerlich zu wimmern.

»Was hat der denn?« fragte Wilse, Hughs jüngerer Halbbruder, und kam kopfschüttelnd herbeigelaufen. »Der ist ja ganz außer sich!«

Wilse war bei Hughs Rückkehr auch nach Riverwer gekommen, um beim Wiederaufbau der Burg zu helfen. Er war dann geblieben und hatte Sylva, die Tochter des Dorfvorstehers, geheiratet. »Also, Kleiner, was ist passiert?« fragte Hugh, der Fyl noch nie so verängstigt gesehen hatte. Der vorwitzige Wicht gab sich sonst selbst bei Lebensgefahr immer unerschrocken, ja, wie ein rechter Draufgänger. Die Sache mußte also wirklich ernst sein! Er setzte den Winzling sacht in seine Armschlinge und streichelte ihn sanft, um ihn zu beruhigen. »Fyl, kleiner Kerl, was ist nur los mit dir? Komm, erzähle, du bist doch hier unter Freunden.« Endlich, endlich hob Fyl den Kopf und sah mit aufgerissenen Augen und am ganzen Leibe schlotternd zu ihm auf. »Kay … Mütterchen. Sie ist verschwunden, Hugh, verschleppt!« piepste er.

Da ließ Wilse vor Schreck seinen Hammer fallen. »Verschleppt… Du meinst, entführt?«

»Das Wort kenne ich nicht«, erwiderte Fyl, nachdem er einmal tief Luft geholt hatte. »Einige Männer kamen, aber ich glaube, der sie packte, war dein Bruder, der König … glaube ich. Schwarzhaarig, stämmig und mit einem Akzent wie du. Hugh!« klagte er und verbarg erneut sein Gesicht.

»Verflucht, verflucht, verflucht noch mal!« stöhnte Hugh und trat wütend gegen die Box, streichelte aber Fyl weiter. »Ich hatte ja befürchtet, daß er irgendeine Gemeinheit begehen würde. O Göttin! Wilse, was soll ich nur tun? Ich will nichts Unbesonnenes tun … was Troy gemacht hat, war unbesonnen …« Damit drehte er sich um, ging zur Burg hinüber und stieg hinauf ins eheliche Schlafgemach.

Dort hob er Fyl behutsam aus seiner Armschlinge, bettete ihn auf einen Haufen Wolldecken und sah sich flüchtig um. Dann setzte er sich rücklings auf einen Stuhl, legte seine Linke auf die Lehne, stützte das Kinn darauf und starrte, ganz in Gedanken verloren, vor sich hin.

Das ist alles so unwirklich, dachte er, mir ist, als ob sie noch hier, noch ganz nah wäre. »O Kay, was soll ich nur tun?« stöhnte er auf. »Ich werde ihm die Männer aus dem Dorf nicht schicken … Das habe ich dir und ihnen versprochen. Und Thyr wäre in größter Gefahr, wenn sie sich aufmachte … denn Troys Bogenschützen sind fürchterlich!«

Er fuhr hoch, von dem endlich sich wieder regenden Fyl aus seinen Gedanken gerissen - und hätte nicht zu sagen gewußt, wie lange er schon grübelnd dagesessen hatte. Der Zwergdrache huschte vom Bett herab und kletterte ihm geschwind auf die rechte Schulter.  

»Was überlegst du denn, Hugh?« fragte der Kleine sanft. »Wie ich unsere Kay zurückholen kann«, versetzte Hugh und lachte mit einemmal.

»Was ist? Was findest du so lustig?« fragte Fyl und schmollte.   

»Wenn mir vor einem Jahr einer gesagt hätte, daß ich mich eines Tages mit einer kleinen Eidechse wie dir unterhalten würde …« »Ich bin aber keine Eidechse«, erwiderte Fyl keck. »Ich bin ein Zwergdrache. Ein himmel-weiter Unterschied!«

»Entschuldige, tut mir leid! Also, daß ich eines Tages einem so prächtigen Zwergdrachen Gesellschaft leisten würde!«  sagte Hugh, klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken und kraulte ihn dann am Kopf, dort, wo Fyl anscheinend so gefühlig war. »Dem hätte ich gesagt, er sei wohl völlig verrückt … Aber die Dinge ändern sich mit der Zeit, nicht wahr?« »Ja, sicher. Wie wollen wir also unsere Kay befreien?« »Ich habe mir da etwas überlegt, muß es aber erst noch mit Wilse besprechen.« Hugh erhob sich. Plötzlich stieg ihm ein wunderbarer Essensduft aus der Küche unter ihnen in die Nase. Oh, es ist wohl später, als ich dachte. Von hier aus ist die Sonne nicht zu sehen … aber ich wette, es ist schon spät am Nachmittag. Mit Fyl auf der Schulter stieg er eilig die Treppe hinab. Als er in die blitzblanke Küche trat, sah er Sylva emsig dabei, das Abendessen - Brathähnchen mit Karotten und Kartoffeln - zu richten. Sie blickte kurz zu ihm auf und starrte dann wieder in ihren Gemüsetopf. Ihr hübsches Gesicht war tränenverschmiert.

Wilse saß stumm am Tisch und starrte düster in seinen Bierkrug. Als Hugh ihm gegenüber Platz nahm, blickte er auf. »Was hast du beschlossen, Bruder?« fragte er ruhig. Er sah recht erschöpft aus, so als ob er unterdessen schwer geschuftet hätte … um seine Wut auszulassen.

»Troy hat sein Wort gebrochen, das er mir gab. Ich werde ihn zum Zweikampf fordern«, erwiderte Hugh. Daß er es jetzt ausgesprochen hatte, erleichterte ihn, so als ob damit schon alles erledigt und vorbei gewesen wäre.

Sylva keuchte erschrocken, fuhr aber in ihrer Arbeit fort. »Du bist verrückt«, schimpfte Wilse, schon halb auf den Beinen.

»Setz dich wieder!« sagte Hugh bestimmt. »Niemand wird mich von diesem Entschluß abbringen.«

»Aber du bist doch ein Krüppel!« schrie Wilse und stand vollends auf. »Das ist nun mal so. Ehre oder nicht, er wird dich in Stücke hauen.«

»Wilse, ich habe ständig geübt und weiß mein Schwert zu füh ren. Nur mit dem Schild muß ich mir etwas einfallen lassen. Ich war Troy früher mehr als ebenbürtig … und fühle mich jetzt wieder genauso kampfstark wie damals.«

Wilse starrte ihn weit offenen Mundes an. »Du bist verrückt!« »Das hast du bereits gesagt. Ich sehe nur diese Möglichkeit… ihm in aller Öffentlichkeit gegenüberzutreten, wo alle um seine Treulosigkeit wissen. Er hat mir, vor vielen Zeugen, versprochen, die Dörfler Kaylis nicht zum Kriegsdienst anzufordern. Und er hat mich meines Armes wegen meiner Dienstpflicht enthoben. Ich werde mir mein Recht verschaffen.« »Wenn er dir dazu überhaupt Gelegenheit gibt…« »Er hat keine andere Wahl«, versetzte Hugh kühl. »Wir sind seine einzigen Verwandten. Er hat keinen Erben, und er hat öffentlich gelobt, unsere Rechte zu respektieren.« »Er hält doch kein Gelübde …«

»Dann muß er sich an mein Schwert halten«, sagte Hugh. Sein Grimm bedrückte ihn sehr. Er hatte seit seiner Heirat wieder einiges an Willensstärke erlangt. Und doch fehlte seine Frau ihm jetzt sehr.  

»Ich bin stärker als er.«

»Das gefällt mir nicht…«, sagte Wilse mit einem ganz bestimmten Gesichtsausdruck.

»Das muß es auch nicht. Denn du bleibst hier.« »Hugh …«

»Verdammt, Mann, auch Sylva ist schwanger … Kayli ist in seiner Gewalt. Du und Sylva, ihr seid es nicht. Ihr seid hier sicher.«

Wilse starrte ihn an und blickte dann zur Seite. »Ich kann dir da nicht widersprechen, Hugh. Du hast auf deine Weise wohl recht.«

»Sylva? Was sagst du dazu?« fragte Hugh.

»Da ich ein Kind erwarte, will ich, daß Wilse hierbleibt«, sagte sie nach kurzem, verlegenem Zögern.

»Dann ist es also beschlossen«, sagte Hugh. »Wilse, komm ja nicht nach, wenn ich nicht wiederkehre … Versuche in diesem Fall, die Männer dazu zu bringen, daß sie sich bewaffnen. Sage ihnen: Wenn es mir nicht gelinge, ihre Herrin zurückzuholen, werde Troy ganz bestimmt hier erscheinen, um sie in seinen Dienst zu zwingen.«

»Ich werde es versuchen, Bruder.«

»Und ich gehe mit dir, Hugh«, meldete sich Fyl, als alle anderen schwiegen.

»Nein, Kleiner …«, erwiderte Hugh. Ich hatte ihn ganz vergessen, dachte er bei sich. Sylva hatte dem Drachen, wie immer, allerlei Leckereien hingestellt. Aber er hatte diesmal nur so auf seinem Teller herumgestochert und keinen Bissen gegessen … »Ich würde mir nur dauernd Sorgen um dich machen«, schloß Hugh. »Aber ich könnte nach Kay suchen, solange du gegen Troy kämpfst«, sagte Fyl, »und ich wette, daß ich sie leichter finde als du.«

»Du hast hier im Dorf ja schon Angst, von den Leuten zertrampelt zu werden«, sagte Wilse, »in einer so großen Stadt kämst du doch nie zurecht.«

»Dann ist es höchste Zeit, daß ich es lerne«, antwortete Fyl und starrte Hugh feierlich an. »Du kannst mich hier nicht anbinden, weißt du.«

»Also nehme ich dich wohl besser mit …«, sagte Hugh schließlich.  

»Dann weiß ich wenigstens, daß du in Sicherheit bist und nicht irgendwo hinter mir her ziehst und dich vielleicht verirrst oder verwundet wirst.« Er seufzte. »Du kannst mitkommen.« »Danke, Hugh!«

Und nun machten sich alle schweigend über ihr Abendessen her.

Beim Morgengrauen brach Hugh auf. Er hatte mit Wilse in der Nacht noch ausprobiert, wie er sich den Schild für den Kampf mit einem Lederriemen sicher vor die Brust schnallen konnte. Jetzt hatte er Helm und Schild, Schwert und Kettenhemd, eine Bettrolle und einen Knappsack mit der Wegzehrung für sich und Fyl hinter sich an den Kriegssattel gegurtet. Er ritt den rotbraunen Schlachthengst, und der Zwergdrache saß vorn auf dem Sattelknopf. Es war klar und sonnig, aber nicht zu warm. Kein schlechter Tag für einen Ritt, dachte er. Aber daß Kay verwundet oder sogar tot sein könnte … Oh, dieser Gedanke stimmte ihn trübe! Fyl war in ähnlicher Gemütsverfassung: Er hockte wie versteinert da und tat, ganz gegen seine Gewohnheit, den Mund nicht auf. Die Dörfler kamen herbei und sahen stumm zu, als sie losritten. Hugh sagte ihnen kein Wort. 

Ich wüßte nicht, wie ich ihnen all das erklären sollte, dachte er, so, daß sie es auch verstehen würden.

»Kayli, Mylady«, grüßte Troy mit einer Verbeugung und küßte ihre Hand. Die Zofe hatte ihn gemeldet und hereingeführt, da die Lady, trotz ihres Unmutes, geruht hatte, ihn zu empfangen. »Ich möchte dir erklären …«

»Du hast mir einiges zu erklären, Vetter«, sagte sie, erhob sich, verschränkte die Arme über ihrem Bauch, um ihr Kind zu schützen, und starrte ihn vorwurfsvoll an. »Warum sind wir eigentlich hier, Vetter? Warum nicht in der Hauptstadt?« »Ein Hexer namens Grimull hat uns mit seiner Armee aus der Stadt geworfen«, sagte Troy und setzte sich auf einen Feldstuhl, den er sich eben herangezogen hatte. »Ich will nicht in die Einzelheiten gehen und nur sagen, daß wir jeden Mann brauchen, den wir kriegen können.«

»Troy, meine Dörfler würden dir mehr schaden als nützen«, fauchte Kayli und begann auf und ab zu gehen. »Sie sind nicht ausgebildet und verhalten sich wie ein Haufen Schafe.« »Natürlich, mit einer Frau als Anführerin«, erwiderte Troy, »aber mit einem Mann an der Spitze, sei es Hugh oder ich … werden sie ihrer Aufgabe gewachsen sein.«

»Troy, du hörst mir nicht zu«, fuhr sie auf, holte dann aber tief Luft, um ihren Zorn zu zügeln. »Sie sind und bleiben Schafe. Und sie haben nicht zu kämpfen gelernt!«

»Wie auch immer«, versetzte Troy achselzuckend. »Aber ich wollte dir doch sagen, daß ich weder dir noch deinem Kind schaden will.«

»Daß ich fern von zu Hause bin, schadet mir, Troy«, sagte sie und setzte sich schwerfällig auf ihr Feldbett. »Ich werde von Tag zu Tag schwächer. Bitte …«, seufzte sie und verschränkte erneut die Arme.  

Ein Blick in sein Gesicht, das so offen war wie das seines Bruders, sagte ihr, daß er die Wahrheit gesprochen hatte.

Troy stand auf. »Ich werde mein Möglichstes tun«, sagte er. »Du bist stärker, als ich dachte, hohe Frau. Vielleicht kann ich mir ja den Luxus leisten, dich ziehen zu lassen …« Damit machte er kehrt und verließ ihr Zelt.

Als Hugh auf der Landstraße drei Tage lang nach Westen geritten war, stieg ihm plötzlieh der Rauch von Lagerfeuern in die Nase. Was, zum Teufel, bedeutet das? fragte er sich. Er hatte nämlich seit seinem Aufbruch von Riverwer keine Menschenseele gesehen - nicht einmal einen Hausierer oder Landstreicher. Das Wetter war inzwischen wieder kalt und regnerisch geworden, so ein richtiges Hundewetter. Nun brachte er seinen Hengst zum Stehen, stieg aus dem Sattel und legte sein wattiertes Wams und sein Kettenhemd an.  

Am besten, man ist für alles gewappnet, sagte er sich. Dann stieg er wieder auf und gab seinem Streitroß die Sporen.

Aber auf dem Hügelkamm hielt er verdutzt an. Denn zu seinen Füßen sah er ein großes Kriegslager, das den ganzen Talboden bedeckte. Über dem Zelt des Königs flatterten Banner mit Troys und seinem eigenen Wappen in der leichten Brise. »Zeit für mich zu gehen«, sagte Fyl nach einem Rundumblick. »Ist sie hier? Woher weißt du das?«

»Ich weiß nicht … aber sie ist hier«, versetzte Fyl, ließ sich vom Sattelknopf gleiten und verschwand ohne ein weiteres Wort im hohen Gras am Straßenrand.

Da holte Hugh tief Atem, gab seinem Pferd wieder die Sporen und ritt schnurstracks zum Lager hinab.

»Das ist Hugh«, hörte er beim Vorbeireiten die Wächter flüstern.  

»Er sucht seine Herrin …«, raunte einer, und ein junger Bursche rannte spornstreichs zum königlichen Zelt, um den Ankömmling zu melden.

»Eure Exzellenz, Eure Exzellenz«, rief der Junge atemlos, als er an der Wache vorbei ins prächtige Königszelt stürzte. »Euer Herr Bruder ist ins Lager eingeritten. Er schäumt vor Wut.« »Ich weiß«, erwiderte Troy. Na großartig, dachte er bei sich, wir haben wieder ein Sauwetter, ich friere wie ein Schneider, es ist feucht und klamm, und dieses Biest von Kayli macht mir noch immer Schwierigkeiten, hm.

Hugh ist vermutlich so wütend … wenn er zu toben anfängt, kann ich ihn töten, ohne daß mir jemand deswegen einen Vorwurf machen könnte, sann er weiter und grinste tückisch. Dann habe ich immer noch die Lady … wenn Hugh tot ist, kann ich sie mir nehmen. Er erhob sich, und der Junge, der ob seiner grimmigen Miene entsetzt zurückgefahren war, floh aus dem Zelt.

Als Hugh auf das Gezelt des Königs zuritt, folgte ihm schon das halbe Lager. Und als er seinen Hengst vor dem Zelt anhielt, trat der König höchstpersönlich heraus.

»Dann bist du also gekommen, mir Kriegsdienst zu leisten«, rief Troy lauthals und mit spöttischem Grinsen. »Ich wußte doch, daß ich am Ende meinen Willen bekäme!« Aber sein Grinsen wurde zum Stirnrunzeln, als er seines Bruders Miene gewahrte. »Nein«, sprach Hugh für alle vernehmlich. »Ich komme, um meine Herrin zu holen.  

Du hast dein Wort gebrochen, Bruder. Gib sie heraus!«

»Du kennst meine Forderung, Hugh. Du mußt…«

»Du hast deinen Eid gebrochen, Troy. Ich will meine Frau wieder.

Wenn du sie mir verweigerst, töte ich dich.« Da ging ein Keuchen durch die Menge, und Troy starrte den Bruder ungläubig an. »Ich kann doch nicht gegen einen Krüppel kämpfen!«

»Dann wirst du dich mit mir also schlagen? Ich fordere dich zum Zweikampf. Als dein Bruder habe ich das Recht dazu.«

»Aber, Hugh …«

»Ich bin dir noch immer überlegen, Bruder«, schnitt Hugh ihm die Tirade ab, zu der er angesetzt hatte. »Und wenn du nicht gegen mich antreten willst oder kannst, werde ich wohl besser an deiner Statt König.« Er sah Troy zusammengekniffenen Auges an und fragte sich, wie es nur mit ihnen beiden so weit hatte kommen können. Da brauche ich mich gar nicht zu fragen, dachte er dann, ich weiß es ja nur zu gut. Troy ist ein sturer Mistkerl, und ein hartherziger dazu. Aber ich frage mich, was hier vorgeht …

Warum sie nicht in der Stadt sind, sondern drei Tagesritte davon entfernt ihr Lager aufgeschlagen haben … aber das soll mich jetzt nicht kümmern.

Er vermeinte, die Gedanken der hinter ihm versammelten Soldaten lesen zu können. Sie sind nicht gekommen, um der Niederlage eines Krüppels beizuwohnen, sondern um zu sehen, ob sie doch vielleicht einen besseren König bekommen könnten … Aber das will ich nicht, dachte er, ich will nur meine Frau wiederhaben. Troy stand wie vom Donner gerührt und sah ihn an - eine Ewigkeit, wie es Hugh schien. Aber dann holte der König tief Atem. »Führe ihn einer zum Exerzierplatz Ich muß jetzt Rüstung und Waffen anlegen«, sagte er, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in seinem Zelt. Und sein Knappe folgte ihm auf den Fersen.

Die Menge begleitete Hugh zu einem Sandplatz nördlich des Lagers.

Als er dort abstieg, stürzte ein Bursche herbei und führte seinen Hengst beiseite. Dann trat ein schlanker, blonder Jüngling zu ihm und verbeugte sich tief.

»Ich werde dein Sekundant sein …«, sagte er mit scheuem Lächeln.  

»Ich habe dich früher schon kämpfen gesehen.« Hugh legte ihm die Hand auf den Kopf und ließ sich von ihm dann helfen, die Rüstung vollends anzulegen. »Ich danke dir. Ja, ich brauche jemanden, der mir zur Seite steht.«

»Aber hier stehen ja alle auf deiner Seite, Herr«, erwiderte der Bursche. »Troy ist grausam und launisch. Neuerdings soll er sogar feige geworden sein. Und die Entführung deiner Gemahlin kann nur das Werk eines Feiglings sein. Als du ihm noch dientest, hast du mäßigend auf ihn eingewirkt.«

Hugh musterte den Jungen interessiert und ließ sich dann von ihm den großen Helm mit dem Bärenfellbusch aufsetzen. Der Junge war doch älter, als er zuerst gedacht hatte. »Und wer bist du denn?«

»Man nennt mich Roger.« »Und wie heißt dein Vater?«

»Das weiß ich nicht, Lord Fitzhugh. Manche sagen, du seist mein Vater. Meine Mutter starb, als ich noch ein kleines Kind war …

Eine alte Frau hat mich großgezogen. Aber sie wußte nichts über meine Herkunft.«

Hugh starrte ihn eine Zeit forschend an, schüttelte dann den Kopf und sagte lächelnd: »Nein, Junge, ich habe vor meiner Kayli keine … Frau gehabt. Aber du bist so rank und schlank und blond, wie sie sich ihr Kind erträumt … Mein Vater ist meiner Mutter nicht treu gewesen, und das war für niemanden ein Geheimnis. Vielleicht bist du ja ein Halbbruder von mir. Wie alt bist du?« »Fünfzehn.«

»Alt genug«, sagte Hugh und reichte ihm seine Linke. »Ich wette, du bist mein Bruder, auch wenn ich das nicht beweisen kann.« »Ja«, erwiderte der Bursche grinsend und schüttelte ihm verlegen und ungeschickt die Hand.

»Nun sage mir, Roger, wie Troy … der König in diese Lage kam«, fragte Hugh, als der Junge ihm den Helmriemen fester zog.  

»Irgendein Hexer mit einem barbarischen Namen«, antwortete Roger, »hat ein Heer auf die Beine gestellt und uns damit aus der Stadt vertrieben. Ich habe mit Troys Männern gekämpft, obwohl ich doch noch so jung und im Kriegshandwerk ungeübt bin. Der König scheint neuerdings nicht mehr so beherzt… und ist wohl in der Schlacht zu keiner rechten Entscheidung mehr fähig. Das war sogar so, als das Los unserer Stadt auf dem Spiel stand.« Er blickte sich um und wies in die Runde. »Daß diese Männer hier sind und nicht in der Armee des Hexers … ist mehr Loyalität zu deiner Familie als Treue zum König.«

»Weißt du, wo meine Frau ist?« Ich hatte vergessen, daß der Helm so schwer ist, dachte Hugh, aber ich hatte ja auch nicht vor, ihn noch einmal zu tragen.

»Leider nein, Mylord. Aber das Lager ist riesig.« »Hm, hm«, räusperte sich da jemand hinter ihnen. Als Hugh sich umdrehte, sah er Troy gewappnet vor sich stehen. Sein schwarzhaariger, stämmiger Bruder trug nun einen Helm mit Rabenschwingen als Zier und hatte sein großes Schwert gegürtet. Hinter ihm stand nur sein Knappe.

Hugh warf einen Blick in die Runde und sah, daß das ganze Heer um den Exerzierplatz geschart war. »Nun, Bruder, du trittst also zum Zweikampf gegen mich an«, sagte er, zog dann sein Schwert und hob es zum Gruß.

»Ja, Hugh, dabei wollte ich, daß deine Männer für mich kämpfen Ich hätte nie geglaubt, daß wir uns einmal so gegenübertreten würden!«

»Du bist eidbrüchig geworden, Troy«, erwiderte Hugh. »Du hattest gelobt, uns in Ruhe zu lassen. Nun weiß ich allerdings, warum du die Männer angefordert hast. Warum hast du nicht gesagt, daß du die Stadt verloren hast?« Er fühlte helle Wut auf seinen Bruder in sich aufsteigen.

Jetzt zog auch Troy seine Klinge und salutierte. »Das verbot mir meine Ehre, die Angst vor der Schmach … Mit eingezogenem Schwanz zu meinem kleinen Bruder zu laufen … da hätte ich mich zu Tode geschämt. So kämpfen wir also.« Das machte Hugh nur noch ärgerlicher.

Troy führte den ersten Schlag - aber der Hieb ging fehl und riß ihn mit seinem Schwung an Hugh vorbei.

Der drehte sich schnell um und trat, durch seinen Schild gedeckt, auf ihn zu und schlug auf ihn ein. Troy warf seinen Schild noch rechtzeitig herum, um den Hieb abzufangen, taumelte unter dessen Wucht aber einen Schritt zurück - sehr zu Hughs Freude. Troy schöpfte Atem, wich noch einen Schritt zurück und führte den zweiten Schlag, der aber an Hughs Schild abprallte. Da griff Hugh erneut an und führte den Hieb von hoch oben herab. Troy taumelte rückwärts und wäre beinahe über einen Sandhaufen gestolpert. Hugh setzte gleich nach, aber sein Schlag verfehlte das. Ziel, und sein Schwung trug ihn gar einige Schritte an Troy vorbei.

Zur gleichen Zeit schlüpfte Fyl so vorsichtig wie möglich aus dem hohen Gras ins Lager. Aber ein paar Kinder entdeckten ihn. »Eine Schlange!« riefen etliche und und nahmen schreiend Reißaus. Nur ein flachsblonder Junge faßte sich ein Herz, hielt inne und lief hinter Fyl her. Der Zwergdrache huschte aber so schnell zwischen den Zelten hindurch, daß der Junge die Verfolgung bald aufgab. Jetzt trippelte Fyl spähend und witternd kreuz und quer durch das große Lager. Er spürte Kayli regelrecht. Das könnte ich Hugh nie erklären, dachte er, als er sich umsah, sie und ich sind von sehr ähnlicher Natur … Es wird schon wärmer, aber es sind ja so viele Zelte und so viele Menschen hier! Und mehr als eine Frau lief bei Fyls Anblick einen Stock holen, um »die Schlange« zu erschlagen.

Aber Fyl huschte weiter und immer weiter. Nach einer Weile dachte er: Hier sollte es besser sein, ich bin nämlich schon ganz schön fertig, und kroch unter einer Zeltbahn durch: gerade rechtzeitig, um noch zu sehen, wie eine Frau seiner Kayli ein kleines Bündel reichte - ein in Decken gehülltes, jämmerlich schreiendes Etwas.

»Mütterchen!« piepste er und lief schnurstracks zu Kayli hin. Da schrie die Frau entsetzt auf. »Eine Schlange!« rief sie und rannte aus dem Zelt.

»Ich bin keine Schlange!« schrie Fyl ihr gekränkt hinterher und stieß aus seinen Nüstern Rauchwölkchen aus. »Fyl!« strahlte Kayli.  

Sie drückte das Bündel fest an sich und warf dem Drachen einen freudigen Blick zu. »Gleich, mein Kleiner. Erst muß ich die da noch beruhigen.« Sie girrte ihrem Baby zu und wiegte es sanft, so daß es bald zu schreien aufhörte. »Siehst du, nun wird sie ein Weilchen schlafen. Aber was machst du denn hier, Kleiner? Ich dachte schon, sie hätten dich getötet… Komm her!« Er huschte zu ihr, setzte sich ihr auf die Schulter und schmiegte sich an ihr Gesicht. »Hugh ist da, um gegen diesen Mann … Troy zu kämpfen. Ich wußte ja, daß ich dich finde, und ließ ihn darum allein.«

»Du … was? Er kommt zum Kampf, und du läßt ihn allein?« entfuhr es ihr so laut, daß ihr Kindchen aufwachte und wieder zu greinen begann. »Was ist nur in dich gefahren?!« Nun hörte sie mit einemmal den fernen Kampflärm.

»Ich verließ ihn, ehe er zum Lager hinunterritt«, antwortete Fyl aufrichtig. »Ich wußte, wo ich dich finden könnte.« Kayli erhob sich so ungestüm, daß sie ihn fast abgeworfen hätte. »Dann muß ich sofort zu ihm. Ich kann ihm vielleicht helfen. Oh, Fyl, Troy wird ihn noch töten!«

»Aber Mütterchen, hast du nicht eben … das da geboren?« fragte Fyl und spähte in das Bündel in Kays Arm. Die Kleine hörte auf zu weinen und starrte den Drachen wie gebannt an. Sie hatte Augen so strahlend, so strahlendblau wie Hugh und einen feuerroten, dicken Schopf.

»Nein, gestern schon«, erwiderte Kay, »die Hebamme war nur hier, um sich zu vergewissern, daß wir wohlauf seien.« Sie kraulte Fyl am Kopf und wiegte dann die Kleine, um sie zu besänftigen. »Komm, wir müssen gehen.«

Als Kayli aus ihrem Zelt trat, wollten die Wächter sie aufhalten -ergriffen aber schleunigst die Flucht, als sie mit rascher Hand einen kleinen, gleißenden Feuerball zauberte, der gleich krachend explodierte. Nicht gut, dachte Kayli wütend, das hat mich zuviel Kraft gekostet.

Als Troy wieder festen Stand hatte, drang er mit erhobener Klinge auf Hugh ein. »Ich habe sie getötet, weißt du«, schrie er dabei. »Das Miststück wurde mir zu lästig.«

Hugh parierte den Schlag. Und siedendheiße Wut über Troys Bosheit überkam ihn. »Das hättest du nicht sagen sollen, Bruder«, fauchte er, »das war schlimmer als dein Wortbruch.« Nun wirbelte er herum und ließ sein Schwert niedersausen. Troy tauchte darunter hinweg und schlug nach Hugh. Er traf dessen Schild mit solcher Kraft, daß der kühne Kämpfer gut einen Schritt weichen mußte. 

»Und wenn ich dich erst erledigt habe«, höhnte er, »nehme ich mir deine Memmen von Dörflern vor … um sie kämpfen zu lehren.»

Der Zorn, der in ihm kochte, ließ Hugh zum Berserker werden … Er schlug wütend auf ihn ein - ohne Finesse, mit schierer Kraft. Und er überschüttete Troy mit einem solchen Hagel von Hieben, daß der mit Schwert und Schild zugleich parieren mußte und keinen Streich mehr zu führen vermochte.

Kayli eilte zum Kampfplatz, so rasch ihr Zustand es ihr erlaubte, und fragte sich bang, was sie dort wohl vorfinden würde. Und als sie das Geviert erreichte, drängte sie sich durch die schweigend gaffende Menge, blieb aber dann am Rand der Walstatt, vom Anblick ihres erbarmungslos auf seinen Bruder einschlagenden Mannes wie versteinert, abrupt stehen.

»Was ist geschehen?« fragte sie atemlos eine Alte, die neben ihr stand.

»Er ist wie ein Berserker«, erwiderte das Weib. »Aber das liegt in der Familie. Er wird erst wieder einhalten, wenn er den König und vielleicht noch ein paar mehr getötet hat. Das ist nicht das erste Mal, daß Hugh so durchdreht.«

Kayli starrte die alte Frau an. Ich habe ihn noch nie über irgend etwas so wütend werden gesehen, dachte sie, aber vielleicht eben deswegen. »Er kann doch nicht … nein! Hier, halte sie mal.« Sie reichte der Alten ihr Kind. »Fyl, habe ein Auge darauf.« »Ja, Mütterchen«, antwortete der Drache ruhig. Kayli betrat die Arena. »Halt, Herrin, er wird dich nur töten, du bist unbewaffnet«, rief Roger und war mit einem Satz bei ihr. »Mir passiert schon nichts … du bist mir viel eher in Gefahr«, sagte sie und dachte still bei sich: Wenn der wüßte, welche Angst ich ausstehe!

»Ganz, wie du willst«, erwiderte er und trat beiseite. Nun schritt Kayli auf die erbittert kämpfenden Männer zu. »Hugh, nein, hör auf … halt ein!« befahl sie. »Du mußt aufhören. «

»Verschwinde, Kayli, er ist nicht mehr zu bändigen«, schrie Troy, und dabei stolperte er über die unebene Stelle im Sand und schlug der Länge lang hin.

Sogleich malte sie mit den Händen einen großen Kreis in die Luft.  

Da explodierte gut einen Klafter über Hugh ein Feuerball, und das lenkte ihn so ab, daß sein Schwert Troys behelmten Kopf verfehlte und knapp daneben in den Boden fuhr. Jetzt wurde es Kayli schwarz vor den Augen, und sie fiel in Ohnmacht.

Aber die Hitze und Helle des Feuerballs hatten den roten Schleier des Zorns, der Hugh umfangen hatte, durchbrochen. Und als er sich umblickte, sah er zu seinen Füßen Kayli liegen - ganz schrecklich blaß und schlaff im Sand der Walstatt. Er schüttelte langsam den Kopf, sah auf das Schwert in seiner Hand und dann auf Troy hinab. Und wieder auf Kayli.

»Mag sein, daß du Kayli getötet hast, Troy … aber indem sie ihr Letztes gab, hat sie mich gerettet«, sagte er, drehte sich um und stach mit einer Jähe, die Troy aufkeuchen ließ, sein Schwert noch näher an dessen Kopf tief in den Sand. Und die Menge stöhnte auf, denn alle glaubten, er habe seinen Bruder getötet. Hugh aber ging es durch den Sinn, daß Troy genau gewußt habe, was er tat, als er ihm zurief, er habe Kayli umgebracht … Er hat den Schrecken darüber, daß ich ihn fast geköpft hätte, verdient, sann er, ich hätte es tun sollen ,.. nur daß, mich dieser Hieb zum König gemacht hätte, was Kayli gar nicht gefallen hätte. »Roger, komm her!« rief Hugh mit lauter Stimme, »ohne deine Hilfe bekomme ich den Helm nicht ab!« Roger kam herbeigelaufen und half ihm, Schwert und Schild, Kettenhemd und Steppwams abzulegen. »Ich kann mich meiner Frau nicht nähern, solang ich noch Stahl am Leib trage«, sagte Hugh sanft und starrte auf Kayli hinab. Als er der Rüstung ledig war, kniete er sich neben Kay und strich ihr übers Gesicht. Da schlug sie langsam, wie zögernd, die Augen auf.

»Ich bin unversehrt… glaube ich. Hilf mir auf, Lieber«, sprach sie mit zitternder’ Stimme.

Hugh half ihr auf die Beine. Er kam sich töricht vor und fühlte sich leicht versengt, aber noch erstaunlich gut bei Kräften. »Geht es?« fragte er. »Ich muß mich um Troy kümmern, da es sonst wohl keiner tun will.«

Troy lag ruhig da. Hugh half ihm, sich aufzusetzen und den Helm abzunehmen. Aber Troy starrte ihn nur stumm an. »Alles heil, Bruder?« fragte Hugh.

»Ja«, sagte Troy nach einer Weile, »ich fühle mich nur ein wenig versengt und völlig ausgepumpt.« Da half Hugh ihm aufzustehen.

»Und laßt mich meine Rüstung im Rüstzelt ablegen«, fuhr Troy so leise fort, daß nur Roger, Hugh und Kayli es verstehen konnten.  

»Ich habe mich wohl gründlich blamiert. Komm, Junge!« Mit Roger an seiner Seite verließ er die Arena.

Nun wandte Hugh sich zu Kayli um. »Frau …«, begann er und holte tief Luft, »Liebe … als er sagte, er habe dich getötet, geriet ich außer mir vor Wut!« Er ging zu ihr und herzte sie und hob sie dabei etwas empor. Dann ließ er sie wieder ab und starrte sie an. »Das Kind?«

»Oh, komm schon!« sagte Kayli, nahm ihn am Arm und führte ihn zu der Alten, die ihr die Kleine sogleich reichte. Fyl schoß an Hugh hoch und setzte sich auf seine rechte Schulter. »Sie ist wunderschön, Hugh«, strahlte er.

»Ein Mädchen?« fragte Hugh und schlug die Babydecke auseinander, um sich das niedliche Gesichtchen genau ansehen zu können.  

»Darf ich? Ich bin zwar ein bißchen ungeschickt, so mit nur einem Arm, aber wenn du mir hilfst…«

Er ließ sich von Kayli helfen, die Kleine in seine Armschlinge zu betten. Dann strahlte er seine Tochter voller Stolz an. »Hast du schon einen Namen für sie, Frau?«

»Nun, wir dachten an >Eislinn<«, erwiderte Kayli. »Falls es ein Mädchen wäre … obwohl ich ja felsenfest überzeugt war, daß ich einen Jungen bekäme.« »Dann soll sie Eislinn heißen«, versetzte er.

»Und deinen Namen tragen«, sagte Kayli. »Bei euch sind Nachnamen doch Brauch … und ich habe ja nur den Namen meines Dorfes als eine Art Zuname.«

»Verzeiht die Störung«, sagte Roger, der eben zurückkehrte, »aber der König wünscht, euch beide zu sprechen.« Dann verbeugte er sich. Die Menge zerstreute sich bereits zusehends. »Hugh, laß uns später noch darüber reden«, sagte Kayli. »Troy ist in einer weit schlimmeren Lage, als ich gedacht hatte … Aber ich muß auch umgehend nach Hause.«

Roger führte die zwei zum Zelt des Königs, um das sich schon eine riesige Menschenmenge drängte. Troy erwartete sie im Zeltinneren - in prächtigem Gewand und mit der Krone auf dem Haupt. Und sein Gezelt barst fast vor Neugierigen.

»Mein Bruder«, sagte Troy, stand dabei auf und verbeugte sich vor ihnen, »und liebe Base«, fuhr er fort, nickte Kayli zu und setzte sich wieder. »Verzeiht mir diese Unannehmlichkeiten …«

»Unannehmlichkeiten!« fauchte Kayli und hob wie zu einem kleinen Zauber die Hand, erbleichte dann jäh und lehnte sich schwer gegen Hugh.

So habe ich sie noch nie gesehen! dachte Hugh, verlor jedoch kein Wort darüber und stützte sie nur, bis sie wieder allein zu stehen vermochte.

Aber Eislinn war erschrocken und begann zu weinen, so daß Kayli all ihre Aufmerksamkeit darauf wandte, sie wieder zu beruhigen.  

»Verdammt, Troy, ich hätte dich beinahe getötet«, versetzte Hugh.  

»Was, zum Teufel, geht hier nun eigentlich vor? Roger sprach von einem Krieg.«

»Ja, ein Hexer, der sich Grimull nennt«, erwiderte Troy, »etwa ein Freund von dir, Zauberin ?«

»Troy, hör auf damit!« sagte Kayli schneidend. »Ich bin nur eine Feuerzauberin, keine Hexe. Er hat sich mit mir zerstritten, vor gut einem Jahr … etwa vier Monate, bevor du mir Hugh brachtest. Ich dachte, er würde unsere Länder in Ruhe lassen, aber dich hat er ja in drei Tagen aus meinem Land geworfen.« »Ich brauche eure Hilfe«, sagte Troy, »ich brauche mehr Männer. «

»Meine Leute werden nicht kämpfen, können nicht kämpfen«, sprach Kayli. »Sie wären dir mehr Last als Hilfe. Und ich muß jetzt nach Hause, unbedingt, ich kann nicht mehr hier verweilen. Die Geburt hat mich geschwächt … und mein Zauber bei eurem Kampf hat mich zuviel Kraft gekostet.«

Troy setzte zu einer Erwiderung an, besann sich aber und starrte Kayli lange an. »So etwas habe ich doch schon mal gehört … als Hugh wollte, daß du mit uns heimkehrst.« Kayli nickte. »Hughs Mutter ist mir sehr ähnlich.« »Deshalb ist sie auch nicht mitgekommen, obwohl wir um ihr Leben bangten«, sagte Troy ruhig.

»Grimull wird sie bestimmt unbehelligt lassen«, fuhr Kayli fort. 

»Sie kann ihm ja nichts anhaben. Und ich hätte zu Hause meinen Herrn und Gebieter an meiner Seite. Du hast es ihm versprochen, Troy, er hat dir in deinen Diensten genug gegeben.« »Ja, doch«, erwiderte Troy und seufzte. »Ich weiß nicht, wie das noch enden wird. Wenn er uns schlägt, wird sein Gebiet vielleicht bis an euren Fluß reichen. Und daß er euch dann ungeschoren läßt, würde ich nicht beschwören.«

»Grimull hat aber gelobt, Riverwer in Frieden zu lassen«, sagte Kayli.

»Dann muß ich euch wohl die Heimkehr gestatten«, versetzte Troy schließlich, »wenn ihr euch dazu in der Lage fühlt.« »Am besten jetzt gleich«, sagte Kayli. »Mit geht es schon wieder recht gut.«

»Bringt Hughs Pferd und auch eines für Kayli!« Roger flog nur so, Troys Befehl auszuführen. Die Menge zerstreute sich schon wieder.

»Nun nehme ich also erneut Abschied von dir, Bruder«, sagte Hugh, »und habe Dank dafür, daß du mir meine Frau wiedergabst.«

Kayli traute ihren Ohren nicht - so sarkastisch hatte sie ihren Mann noch nie reden gehört.

»Komm nun, Kay«, drängte Hugh, »wir sind zu Hause, ehe du dich’s versiehst.«

Da machten sie kehrt und gingen.