DIANA L. PAXSON

 

Eine regelmäßig in diesen Anthologien vertretene Autorin -die auch in der Science-fiction und anderen Genres großen Erfolg hat — ist Diana. Sie hat nach ihrer Heirat mit meinem Bruder (der unter dem Pseudonym »Jon de Cles« publiziert) offenbar entdeckt, daß das Schreiben gar nicht so schwierig ist, und hat inzwischen einige Romane über das fiktive Land Westria und einen wunderbaren historischen Roman mit dem Titel  (The White Raven) geschrieben. Ihr neuestes und wirklich herzzerreißendes Buch (The Serpent’s Tooth) basiert auf den irischen Legenden, aus denen William Shakespeare seinen König Lear schuf. Ich bin stolz darauf, sie unter meine Schützlinge zählen zu dürfen, und freue mich, jetzt die Kriegerin Shanna, die erste Serienheldin in dieser Reihe, erneut begrüßen zu können. - MZB

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DIANA L. PAXSON

 

Ytarras Spiegel

 

Es war während der dritten Nachtwache. Der fleckige Spiegel des abnehmenden Mondes warf ein fahles Licht auf den Nebel, der die schiefen Ladenfronten des alten Kaufmannsviertels von Bindir verschwimmen ließ. Als Shanna aus der Tür trat, ließ die feuchte, rauhe Luft sie so sehr frösteln, daß sie am liebsten kehrtgemacht hätte. Früher, als sie die Handelskarawanen noch als Söldnerin begleitete, wäre sie, ohne zu erschauern, in den allerärgsten Sturm hinausgeeilt. Aber vor meiner Gefangennahme durch Sklavenhändler, dachte sie mit einem Funken wiederkehrenden Humors, wäre ich auch kaum so töricht gewesen, eine Einladung zum Essen am warmen Feuer auszuschlagen.

Sie hatte sich schon halb wieder umgedreht, als im Haus der dünne Schrei eines Neugeborenen erklang. Da krampfte sich ihr der Bauch reflexhaft zusammen … und sie ließ die Tür hinter sich zufallen und sog die feuchte Luft mit vollen Zügen ein. Aber als der Mond eine Handbreit tiefer gesunken war, kam Tara aus dem Haus. Sie strahlte vor Freude und Stolz über die geglückte Entbindung, und in dem Lederbeutelchen an ihrem Gürtel klimperte leis ihr Hebammenlohn.   

Als sie nun den Heimweg antraten und überaus erleichtert die gepflasterte Straße hinabschritten, hörte Shanna das Baby erneut schreien. Da hakte sie Tara unter und trieb sie zur Eile. »Tut mir leid, daß ich dir das zugemutet habe«, sagte Tara, schon etwas außer Atem, »aber wir brauchen das Geld, und ich mußte dem Ruf gehorchen.« Sie faßte sich an die linke Brust, wo sie, unter dem Hemd verborgen, die Halbmondtätowierung der Mondmütter trug.  

Auch als entflohene Sklavin, die sich vor den Häschern verbergen mußte, konnte sie noch einen Teil der Arbeit leisten, zu der sie geboren worden war, und ihr Heilerinneneid verbot es ihr, denen Hilfe zu verweigern, die ihrer bedurften.

Und ich? dachte Shanna. Welcher Eid bindet mich denn noch? Aber sie unterdrückte den Gedanken und faßte Tara noch fester unter. »Nein … ich muß mich entschuldigen, dafür daß du jetzt meinetwegen im Dunkeln heimgehen mußt. Dabei hatte ich gedacht, diesmal würde ich es ertragen können. Wenn ich die Schreie der Gebärenden höre, bin ich immer froh, daß die Dunkle Mutter mich unfruchtbar gemacht hat. Aber bei dem Geschrei der Neugeborenen ist das anders.«

Sie schämte sich. Tara hatte sie aufopfernd gepflegt während der Entziehung von der Droge, mit der die Adlige, an die man sie verkauft hatte, sie sich hatte gefügig machen wollen. Nein, sie hatte nicht geschrien, obwohl sie sich vor Schmerzen die Lippen blutig gebissen hatte. Aber in den vergangenen Monaten hatte sie wieder gelernt, eine Frau zu sein. Vielleicht tat es ihr deshalb so weh. »Schon gut, bald sind wir ja in unserem warmen Bett«, sagte Tara, nahm fröhlich summend ihr Kopftuch ab und schüttelte ihr blondes Haar aus.

Der Nebel wallte immer dichter durch die Gassen. Nun war es nicht mehr weit bis zu ihrer Unterkunft nahe beim Hafen, in den auf den brackigen Wassern des Weltflusses die Schiffe einliefen, die die Schätze des Reiches nach Bindir brachten… Aber da spähte Shanna mißtrauisch ins Dunkel und entspannte sich erst, als jenes Etwas, das sie huschen gesehen hatte, sich als eine harmlose Wanderratte erwies, die ihr Loch suchte, jetzt sondierte sie mit ihrem Stock eine Pfütze und setzte mit einem großen Schritt darüber, verfing sich dabei aber erneut in ihren langen Röcken und verfluchte sie laut.

Tara drückte ihr aufmunternd den Arm. »Wir sind bald da, Liebste … sieh, dort ist schon die Schenke Zum Pelikan!« »Ich bin nicht müde!« knurrte Shanna. Der Krückstock diente ihr seit geraumer Zeit nicht mehr als Stütze, sondern als Teil ihrer Verkleidung. »Das sind diese verdammten Röcke, die du mich tragen läßt.« Tara schwieg gekränkt. Da biß Shanna sich zerknirscht auf die Lippen, wußte sie doch gut, daß Tara sich mit der Entbindung fast die ganze Nacht um die Ohren geschlagen hatte - während sie selbst am Kaminfeuer gedöst hatte.

»Entschuldige …«, fügte sie verlegen hinzu. »Aber ich werde sie mir ja schon bald ausziehen … und dir die deinen auch!« Da kicherte Tara erschrocken - nicht über diese Idee erschrocken, sondern darüber, daß Shanna sie jetzt in Worte zu fassen vermocht hatte. Die Liebe zwischen ihnen war noch so ganz neu … Manchmal dachte Shanna, Taras körperliches Verlangen nach ihr sei einfach aus der Intimität der Pflege damals erwachsen. Aber ihre eigene Empfänglichkeit dafür war ihr immer noch ein Schrecknis … und ein Wunder, das sie selbst nicht verstand. Da flog die Tür der Kneipe auf, und aus der Schankstube fiel ein rötlicher Lichtschein auf die Gasse, drang das Grölen betrunkener Männer, die ein Lied auf Belisama anstimmten, jene Kriegsgöttin, die stets für Bindirs Kurzweil sorgte, indem sie für die Kämpfe in der Arena immer neue Streiter lieferte.

»Ich trinke auf die Rote Hand!« schrie einer dort drinnen. »Und wette meine Kröten darauf, daß er bei seinem nächsten Kampf die Freiheit erringt…«

»Niemals«, rief ein anderer. »Er war ein Rebell. Hätte mit seiner Armee beinahe Teyn eingenommen. Warum sollte man ihn freilassen ?«

»Das müssen sie«, schnauzte ein dritter. »Ob er Sklave, Verrräter oder sonst etwas war … wenn ein Gladiator den Sieg erringt, ist er frei und ledig.«

Nun kamen die drei, noch immer streitend, aus der Tür geschwankt. Sie faßten aber Tritt, als ihnen die kalte Luft ins Gesicht fuhr. Shanna blieb abrupt stehen; aber Tara ging ruhig weiter, und ihr Haar glänzte auf im Licht.

»Heda, meine Schöne … Suchst du ein Bett? Wie wär’s mit meinem?«

Tara schoß das Blut ins Gesicht. Sie zog sich jäh den Schal über den Kopf, aber da torkelten die drei schon auf sie zu - Seeleute, der Kleidung nach, Kerle also, die es vermutlich gewöhnt waren, hart zuzuschlagen, und dabei auch vor Frauen nicht haltmachten. »Tut mir leid, ich bin keine …«, begann Tara entschlossen, ohne aber ein Zittern in ihrer Stimme unterdrücken zu können. Und die Männer hörten es heraus und lachten.

»Du denkst wohl, wir könnten nicht bezahlen? Aber wir haben trotz der Preise im Pelikan noch Geld genug für eine oder zwei Nummern!«

»Ihr irrt euch«, mischte Shanna sich ruhig ein. »Wir sind ehrbare Frauen. Laßt uns vorbei!«

»Welche ehrbare Frau wäre um die Zeit noch auf der Straße?« sagte einer der drei und grinste skeptisch. »Ist auch egal, ob ihr müde seid oder nicht … ihr braucht euch doch nur hinzulegen, und die Arbeit, die machen wir dann schon, he?« Er stieß seinem Nebenmann in die Rippen, und da brachen alle drei in lautes Gelächter aus. »Ich habe die letzte Runde bezahlt, Jungs, also kriege ich diese Blonde da. Ihr beide könnt um die Lange losen, und wer verliert, macht die nasse Schicht … wenn wir beide fertig sind.«

Tara keuchte entsetzt auf und klammerte sich an Shanna. Da nahm das Gelächter der Männer einen neuen Ton an. »Ihr dient wohl der Ytarra vom Spiegel, was?« knurrte der dritte. »Hab schon von Huren gehört, die dahin ausschlagen … Aber macht nichts … wenn ich euch meinen Mast in den Kiel stelle, werdet ihr das Segeln schnell lernen!«

Als der erste von ihnen nach Tara langte, stellte Shanna sich mit behendem Seitschritt schützend vor sie. Aber der Kerl zuckte nur die Achseln und breitete die Arme, um dann eben sie zu nehmen. 

Da hob sie blitzschnell den Stock und bohrte ihn ihm knapp unter dem Brustbein so derb in den Bauch, daß ihm der Atem pfeifend entwich und er wie ein Sack umfiel. »Tara … lauf!«

Shanna merkte wohl, daß Tara nur bis in den Hausschatten lief und dann stehenblieb, aber daran konnte sie jetzt auch nichts ändern. Der eine Mann lag zwar noch um Luft ringend auf dem Rücken, aber die beiden anderen kamen nun in einer Formation, die sie wohl in unzähligen Kneipenschlägereien vervollkommnet hatten, langsam auf sie zu. So betrunken, wie sie waren, würden sie vielleicht sogar noch besser kämpfen als in nüchternem Zustand - wenn sie so helle gewesen wären, sich über Shannas erstaunliche Fertigkeiten irgend Gedanken zu machen. Aber die Energie, die Shanna bei der Einnahme ihrer Kampfhaltung durchpulste, belebte sie wie feuriger Wein.

Einer der zwei stürzte plump auf sie los. Aber sie trat mit einem Schritt zur Seite, der elegant und effizient hätte werden können, wenn sie nicht wieder über ihre langen Röcke gestolpert wäre. Sie rettete die Lage und sich, indem sie dem Kerl den Arm nach hinten riß und ihm den Ellbogen in den Leib stieß. Aber dabei fühlte sie schon, daß der andere auf sie losschoß, und empfing ihn mit einem Fußtritt und einem Stockhieb zugleich.

Ihre Unterröcke nahmen dem Fußtritt etwas von seiner Kraft, aber dafür traf ihn ihr Stockschlag so wuchtig mitten ins Gesicht, daß er heulend zur Schenke zurückwich. Shanna wirbelte herum und zog seinem Kumpan so hart eins über, daß er wieder in den Straßenkot sank. Ein Steinwurf aus dem Dunkeln, der Tara zu verdanken war, entmutigte die drei endgültig. Aber da in der Schenke die Stimmen lauter wurden und ein Mann in die Tür trat, widerstand Shanna dem Drang, ihre Feinde vollends fertigzumachen … und befolgte ihren eigenen Rat und rannte los.

»O Göttin … Shanna … entschuldige bitte!« stieß Tara atemlos hervor, als sie auf dem rechten Bogen der Doppeltreppe zu ihrem Zimmer hochstiegen. »Diese Entbindungen sind das Beste an meiner Arbeit, aber sie sind es nicht wert, daß wir uns auf dem Heimweg vergewaltigen lassen.«

»Wir waren unvorsichtig«, sagte Shanna und stieß die Tür zu ihrem Zimmer weit auf, um sich mit noch vom Kampf geschärften Sinnen zu vergewissern, daß ihnen da drin niemand auflauerte.  

»Das nächste Mal passen wir besser auf.«

»Ich habe dich damit noch in eine andere Gefahr gebracht«, fuhr Tara fort. »Was, wenn sie sich zu fragen beginnen, wo denn eine Zwei-Penny-Hure gelernt haben könnte, ihren Stock wie ein Schwert zu führen? Die Aberaisi haben ihre Spione überall. Was, wenn Lady Amniset etwas von einem blonden Mädchen und einer Kriegerin zu Ohren kommt? Wenn wir ihr wieder in die Hände fallen, wird sie uns nicht bloß auspeitschen wie entlaufene Sklavinnen sonst!«

Tara blieb zitternd mitten im Zimmer stehen. Shanna lehnte ihren Krückstock an die Wand, nahm ihr den Korb ab, faßte sie dann an beiden Schultern und hielt sie fest, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

»Die Kerle waren betrunken. Denen verbietet doch schon der Stolz, die Wahrheit zu erzählen. O nein … sie werden sagen, wir seien Lockvögel von Straßenräubern gewesen. Wir sind hier sicher! Die Aberaisi glauben bestimmt, wir hätten die Stadt verlassen. «

Da legte Tara den Kopf an ihre Schulter, und Shanna massierte ihr Nacken und Rücken und spürte auch bald, wie sich all ihre Knoten und Verspannungen zu lösen begannen. Aber bei dem Gedanken an die Flüche Lady Amnisets, damals, als sie Tara vom Altar der Dunklen Mutter befreit hatte, und bei dem Gedanken an das böse Aufglühen des Rubinrings, den sie der Lady samt Finger abgeschlagen hatte, mußte sie sich eingestehen, daß sie nicht die Wahrheit gesprochen hatte.

Tara hatte eine Haut so zart wie eine Hofdame, und ihr Haar roch fein nach Kräutern. Shanna liebkoste sie mit einem Genuß, den sie früher nur beim Streicheln ihrer so weich gefiederten Falkin oder ihrer seidenfelligen Stute verspürt hatte … aber auch mit einem wilden und ihr ganz neuen Schutzinstinkt, so als ob nur ihre Arme sie vor dem Rest der Welt beschirmen könnten, und Tara klammerte sich an sie, ganz als ob das wirklich wahr sei. »Tara, du solltest aus Bindir weggehen …«, sagte Shanna endlich. »Du brauchst deine Arbeit nicht so im verborgenen zu tun … wie eine Ratte in ihrem Loch. Die Mondmütter können dir doch in ihrem Tempel Schutz bieten.«

»Und ich soll dich Hungers sterben lassen? Glaubst du, ich könnte dich vergessen? Wo du auch deinen Bruder, den du doch eigentlich suchen solltest, nicht vergessen kannst, obwohl du ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hast …«

Tara lachte unsicher und löste sich von ihr. Dann zündete sie die kleine Lampe an, sortierte den Inhalt ihres Korbes und legte dies und jenes beiseite. Shanna sah ihr stirnrunzelnd zu, schleuderte dann ihre Schuhe von sich und zerrte wütend an ihren Rockbän dern, die wieder mal nicht aufgehen wollten. Früher, als Prinzessin von Sharteyn, hatte sie Kleider und Schleier getragen. Und dann, als ihr Bruder nicht von seiner Antrittsreise an den Hof des Kaisers zurückgekehrt war, hatte sie das Gewand einer Kriegerin angelegt und geschworen, ihn nach Hause zurückzubringen. Im fleckigen Wandspiegel sah sie Tara im Zimmer hin und her gehen - eine schimmernde Gestalt im Lampenschein. Das Haus war Teil des Palasts gewesen, den ein Reeder bewohnt hatte … damals, ehe der Kaiser all den Adelsfamilien die zweifelhafte Ehre gewährt hatte, unter seinen Augen droben in der Zitadelle zu leben. Es war noch im alten Stil erbaut, mit Balkonen und Treppen, die sich wie Efeu an die Mauern schmiegten, und von seiner einstigen Pracht zeugten noch einige Deckenfriese, Spiegel und andere Dinge, die dem Zahn der Zeit widerstanden hatten. »Wenn du die Rockbänder abreißt, muß ich sie nur wieder annähen. Laß mich mal versuchen …sagte Tara und trat, wieder gefaßten Gesichts, auf sie zu.

Shanna stand ganz still, als Tara sich mit gebeugtem Kopf an den Bändern zu schaffen machte. Aber plötzlich pochte ihr das Herz in der Brust. Sie spürte die Wärme des nahen Körpers, sah den zarten Nacken, der ihr blondes Haar teilte. Dann gab der widerspenstige Stoff nach, und in diesem Moment der Erleichterung küßte Shanna den zarten Nacken und legte Tara ihr die Arme sacht um die Hüften und hielt sie fest umschlossen.

Ihr weiches Bett stand unweit hinter ihnen, aber es dauerte eine Ewigkeit, bis sie es erreicht hatten, entledigten sie sich doch bei jedem Schritt eines Kleidungsstücks, bis es für sie nur noch die süße Empfindung von nackter Haut auf nackter Haut gab. »Laß mich nicht gehen«, flüsterte Tara, als sie endlich unter der Decke lagen. 

Da umschlang Shanna ihre kleine Geliebte. Als deren Lieb-kosungen aber sicherer wurden, war sie es, deren Geist frei auf der steigenden Flut schwamm.

Als Shanna wieder zu sich kam, verlieh das Frühlicht ihrem Zimmer trügerische Schönheit. Sie lagen nackt und bloß auf dem Bett, die Decke zurückgestreift, und im alten Spiegel sah sie ihre einander umschlingenden Körper: ein von Taras Locken vergoldetes und durch ihre schwarzen Strähnen schattiertes Wogen milchweißer Rundungen.

»Ytarra vom Spiegel …«, sagte sie sanft. »Mein Leib spiegelt den deinen und dieser Spiegel alle beide. Birgt irgendein Tempel denn ein schöneres Bild der Göttin als dieses?«

Tara lächelte und streckte sich, um die Geliebte anzublicken, und so lagen sie dann Brust gegen Brust und Schenkel an Schenkel. »Ich glaube nicht, daß der Matrose das so gemeint hat. Kennst du jene alte Geschichte nicht? Man sagt, daß es weit im Westmeer eine Insel gibt, wo die Frauen einander ansehen, wie Ytarra sich in ihrem Spiegel ansieht … voll Entzücken und Verlangen.« Nun lachte Shanna. »Ob uns wohl eines der Schiffe, die im Hafen liegen, dorthin brächte? Lady Amniset liebt nichts und niemanden. Sie würde uns nie folgen.«

Tara schüttelte den Kopf. »Der Weg dorthin ist in Vergessenheit geraten«, seufzte sie und schmiegte sich an Shannas Schulter. Shanna blickte wieder in den Spiegel und verdrängte alle anderen Bilder, die in ihrem Inneren aufschienen - das einer Falkin und eines Pferdes, das einer Frau mit verwittertem Gesicht und eines rothaarigen Mannes … und das hinter allen anderen stehende Bild eines Jungen mit einem Gesicht wie dem ihren. Ja, sie verdrängte sogar den Gedanken daran, warum sie und Tara noch immer in Bindir weilten.

»Meinst du?« fragte sie und fuhr der Geliebten durch ihr seidiges Haar. »Ich glaube, wir haben genau diesen Weg entdeckt…«

Shanna schob sich mit einem Geschick, das sie sich in den letzten Monaten notgedrungen erworben hatte, zwischen zwei Händlern durch und an einigen um Fisch feilschenden Frauen vorbei und eilte dann weiter - zum Kräuterstand am anderen Marktende. Früher, als sie noch ihr nietenbesetztes Panzerhemd aus scharlachrotem Leder und ihr Schwert am Gurt getragen hatte, da hatten die Leute ihr Platz gemacht … Aber jetzt lagen ihre Klinge und ihr Panzer, in Rupfen gewickelt, unter ihrem Bett versteckt. Denn sie jetzt zu tragen, würde sie in tödliche Gefahr bringen, anstatt ihr Sicherheit zu geben.

An einem grellbunten Stand, dicht bei dem der Waffenhändler, nahm man Wetten auf die anstehenden Spiele an. Es wurde hoch gewettet für diesen letzten Kampf der Roten Hand, der am nächsten Feiertag in der Arena hinter dem Marktplatz, die jetzt noch leer und öd in der glühenden Sonne lag, stattfinden sollte. Schon manche hatten dort die Freiheit errungen, viele aber auch bei dem letzten Kampf den Tod gefunden: vielleicht, weil die Aussicht auf ein Leben, in dem ihnen statt der klaren Risiken des Rings eine Unzahl diffuser Gefahren drohte, ihren Siegeswillen geschwächt hatte.

Als nun in der Menge vor ihr Unruhe entstand, richtete Shanna sich in ihrer ganzen Länge auf, um zu sehen, was dort vorging. Da stachen ihr ein paar violette Uniformen ins Auge, und sie duckte sich und zog sich blitzschnell den Schal ins Gesicht. Lord Irenos Aberasis Garde! Die Soldaten würden sie nicht erkennen, weil sie ja damals als Sklavin ständig im Frauenflügel gewesen war, zu dem sie keinen Zugang hatten - aber der fette Eunuch, der da in ihrer Mitte in der Sänfte daherkam, hatte sie gut gekannt. Sie musterte den vorbeiziehenden Trupp hinter ihrem Schal hervor: die Wächter, die ihre Blicke so professionell wachsam über die Menge schweifen ließen, und den Eunuchen, der verächtlich, wie abwesend über das Meer der Köpfe hinwegstarrte. Aber dann wurde sie gewahr, daß sie den Griff ihres Krückstocks wie ein Schwertheft gefaßt hatte.

Nur eine Trau … Shanna bemühte sich, nur diese Worte zu denken. Ich bin nur eine Frau, die die Mühsal eines Frauenlebens vor der Zeit altern ließ … Hier in Bindir hatte sie Frauen ihres Alters gesehen, die so alt wirkten, wie sie zu wirken suchte. Nach ihrem Entzug war sie so schwach und hinfällig gewesen wie jene Ärmsten, aber nun war sie erneut stark; denn sie hatte nach diesem Vorfall mit den Matrosen ihr Kampftraining wieder aufgenommen und seither jeden Tag geübt, sobald Tara aus dem Haus gegangen war. Aber nun zitterte sie vor Anstrengung, den Kopf gebeugt zu halten: auf daß niemand die in ihren Augen lohende Wut gewahre.

Aber dann war der Trupp vorüber, und sie konnte tief Luft holen, staubige, stinkende Luft, und sich einzureden versuchen, daß sich nichts geändert habe. Aber sie wußte, daß sie und Tara Sklavinnen blieben, solange sie Flüchtlinge wären.

Nun eilte sie zum Kräuterhändler, zählte ihm die Pennies für das von Tara gewünschte Fünffingerkraut und Aloepulver vor, steckte ihre Besorgung ein und machte sich dann auf den Weg zurück über den Marktplatz.

»Für diese Klinge würde selbst die Rote Hand töten, und er war ja oft genug hier, um bei uns einzukaufen … Nur das Allerbeste für die Herren der Arena von Bindir!«

Der Waffenhändler hob das Schwert ins gleißende Sonnenlicht, und da funkelte und blitzte es, daß Shanna blinzeln mußte. Aber dann sah sie, daß es nur aufpoliert war … Das Heft war neu vergoldet, aber die Schneide hatte eine Unebenheit - der Rest einer schlecht ausgewetzten Scharte, die ein Hieb auf einen Helmbusch oder einen Schildrand verursacht haben mochte. Als nun ein junger Soldat die Klinge ergriff, lächelte Shanna grimmig und wünschte ihm, daß er damit mehr Glück hätte als der frühere Besitzer.

Da sah sie an einem Stand hinter dem Soldaten Dolche in der Sonne glitzern und ging wie gebannt darauf zu. Der Händler musterte sie abschätzig - denn was sollte sich eine Frau schon für edle Waffen interessieren?! Die meisten der kleineren Klingen waren gebraucht - Beutegut aus Schlachten in allen Teilen dieses Reichs. Da lagen lange Dirks aus dem Hohen Norden neben abscheulichen Krummdolchen aus Menibbe, robuste Seemannsmesser neben den bösartigen kleinen Stechern, die die Dorianer in ihren faltigen Gewändern verborgen tragen, und es waren sogar einige beschwerte Wurfmesser zu sehen.

Als Shanna ihren Blick über eine Handvoll edlerer Klingen wandern ließ, die abseits davon lagen, stach ihr das weinrote Feuer eines Granats ins Auge, der am Knauf eines feinen Gürteldolchs prangte. Die Fassung aus Silberfiligran stammte aus ihrem Hause! Sie hatte als Prinzessin von Sharteyn nur jene kleinen Dolche getragen, die als damengemäß galten, aber dieser nun war ihr seltsam vertraut. Als sie ihn mit zitterndem Finger umdrehte, sah sie, daß in den Heftbuckel das königliche Wappen von Sharteyn eingraviert war.

»He, he … was machst du denn da ?!« rief einer der Gehilfen und zog ihr das Messertablett weg.

Shanna richtete sich kerzengerade auf. »Dieser Dolch da!« sagte sie mit rauher Stimme. »Woher habt ihr den?« »Was geht das dich an …«, versetzte der Junge und sah sie von oben herab an. »Diese Waffe ist nichts für deinesgleichen!« »Mein Herr hat eine ganz ähnliche verloren«, sagte Shanna rasch. »Laß mich sie mal halten! Laß mich sie mal ansehen!« Der Bursche zögerte, zuckte dann aber gnädig mit den Achseln, und da schloß Shanna schon ihre Hand um das gerippte Heft. Nicht ihr Herr, nein, ihr Bruder hatte einen Dolch wie diesen getragen, und er hatte ihr, aus der Nachgiebigkeit eines Bruders heraus, ab und an erlaubt, sich im Gebrauch seiner Waffe zu üben. Sie schloß die Augen und schrieb mit geschmeidigem Handgelenk die Paradefiguren in die Luft. Mit den Jahren verblaßte Erinnerungen wurden wieder frisch und klar - das neckende Lächeln ihres Bruders, sein Stolz, das todtraurige Gesicht des vergeblich auf die Heimkehr des Sohns wartenden Vaters. Dieser Dolch bestätigte, was ein geschwätziger Soldat ihr einst erzählt hatte - Janos war in Bindir gewesen …

Als sie die Augen wieder öffnete, gewahrte sie, daß der Gehilfe sie mit sehr merkwürdigem Blick betrachtete. Ihr erster Impuls war, zu lachen, ihr zweiter jedoch … sich vorzusehen. »Wieviel?« krächzte sie und spürte sogleich, daß ihr Ton genauso unangemessen war wie ihre Klingenübung. »Er wäre glücklich über einen Ersatz dafür … Was kostet der Dolch?« »Sag deinem Herrn, er möge einen Mann danach schicken, mit einem Beutel Gold«, erwiderte der Junge mißtrauisch. »Wir legen ihn für ihn zurück«, fügte er hinzu und streckte die Hand nach dem Messer aus. Shanna suchte sich zu erinnern, was sie hinter dem Kaminsims noch an Geld gehortet hatten. Die Leute, denen Tara half, konnten ihr nur Silber- und Kupfermünzen geben, wenn überhaupt. Aber der im Sonnenlicht aufglühende Granat erinnerte sie an einen anderen roten Stein.

»Mein Herr belohnt mich reich, wenn ich ihm diesen Dolch bringe«, keuchte sie, suchte mit der freien Hand in ihrem Gürtelbeutel und holte daraus Lady Amnisets Ring hervor. Als der Bursche den Rubin und das Gold leuchten sah, hellten sich seine Augen jäh auf. »Reicht das?«

Und als er sich nun rasch umblickte, um sich zu vergewissern, daß niemand sie beobachte, wußte Shanna, daß sie gewonnen hatte.

»Shanna, hörst du mir denn überhaupt zu?!« schrie Tara mit sich überschlagender Stimme, und Shanna dachte, daß sie ihre Kleine -außer bei ihren Zornausbrüchen über ihren angeblichen Mangel an Genesungswillen damals während des Entzugs - noch nie wirklich wütend gesehen hatte.

»Was, glaubst du wohl, passiert, wenn dieser Junge den Rubinring zu verkaufen versucht? Selbst wenn er diese eingravierten Symbole nicht erkennt… der erstbeste Juwelier, dem er ihn zeigt, wird das bestimmt. Mutter des Lebens! In die Innenseite des Reifs ist Lady Amnisets Siegel geprägt… Wie lange, meinst du wohl, werden die Aberaisi brauchen, um uns aufzuspüren?« »Es gibt hier in Bindir sicher aberhundert Frauen, die aussehen wie ich«, verteidigte sich Shanna lahm. Dabei drehte und wendete sie den Dolch in ihren Händen.

»Wie du?« fragte Tara und lachte - aber nicht die Spur belustigt.  

»Der Bursche wird dich so wahrgenommen haben, wie ich dich jetzt wahrnehme, als eine Frau, die einen Dolch zu führen weiß … und wie viele gibt es davon wohl in Bindir … sieht man von der Arena und der Walkürengarde des Kaisers ab? Für deine Verkleidung würde ich im Augenblick keinen roten Penny geben!« Da stieß Shanna den Dolch in den zerkerbten Tisch, daß er stak. »Tara, ich bin, was ich bin«, rief sie und wies auf die bebende, im letzten Licht der Abendsonne rotglühende Klinge, »eine Waffe, durch einen Eid verpflichtet, den Mann, dem diese Klinge gehörte, lebend zu finden oder aber seinen Tod zu rächen. Du hast recht … ich kann, mich wohl nicht ändern, selbst wenn ich es ernsthaft versuche!«

»Shanna, vergiß es!« bat Tara und streckte die Arme aus; aber die Klinge stand zwischen ihnen. »Behalte diesen Dolch zur Erinnerung an deinen Bruder … aber höre auf, ihn zu suchen! Siehst du denn nicht, daß das jetzt hoffnungslos ist?! Diese Klinge dürfte durch ein Dutzend Hände gegangen sein, ehe die Händler sie bekamen, und selbst wenn sie um ihre Herkunft wüßten … du kannst doch nicht wieder hin, um sie danach zu fragen.« »Ich weiß«, sagte Shanna. »Aber Janos hat die Klinge getragen, wo er ging und stand. Deshalb könnte ein Seher uns vielleicht sagen, wo er war, als er sie verlor … und mir sagen, ob er da noch am Leben war.«

»Du hörst mir wirklich nicht zu! Wenn du es weiterverfolgst, bist du bald nicht mehr am Leben… Bindir war schon bisher gefährlich für uns, aber jetzt ist es mehr als das!« versetzte Tara und ging so zornig auf und ab, daß selbst ihre Röcke ärgerlich zu rauschen schienen. »Wir müssen fort von hier, Shanna. Irgendwo werden wir einen Ort finden, wo wir frei leben können.« Shanna starrte sie an und mußte daran denken, daß sie doch einst, lange ehe sie beide begonnen hatten, Ytarras Feuer zu entfachen, am Altarfeuer der Göttin Yraine einen Eid geschworen hatte. »Du mußt gehen«, erwiderte sie sanft, »und ich muß bleiben. Sogar auf Ytarras Insel würde die Sichel der Mondmütter noch auf deiner Brust brennen und würde mich mein Bruder aus dem Spiegel dieser Klinge vorwurfsvoll ansehen. Was wäre unsere Freiheit wert, wenn wir das verleugneten, Tara? Wer würden wir sein?« »Zwei Frauen, die einander lieben …«

Taras Stimme war brüchig, und Shanna schwamm die Welt vor Augen. Als sie sich die Tränen weggeblinzelt hatte, war die Sonne schon untergegangen, sah sie nur noch Taras Gesicht, das im Dunkeln wie ein nebelverhangener Mond schimmerte.

Vier Tage nachdem Shanna Lady Amnisets Ring gegen den Dolch ihres Bruders eingetauscht hatte, fuhr sie aus Träumen voller Blut und Feuer auf und griff nach ihrem Schwert.

Tara war bereits ausgegangen. Das war inzwischen Brauch geworden. ja, ihre Liebste würde wohl den ganzen Tag wegbleiben - jemanden pflegen, der ihrer Pflege bedürfte, oder auf dem Marktplatz nach den Aberaisi Ausschau halten oder die Möwen drunten am Strand mit Brotkrumen füttern. Und sie selbst würde wieder den ganzen Tag zu Hause verbringen, um von keinem gesehen zu werden, und sich alle Mühe geben, ihr Geschick in der Schwertführung wiederzuerlangen. Sie hatten sich darüber bis zur Erschöpfung gestritten und ihren Zwist schließlich unter allerlei Ausreden begraben … unter den Teppich gekehrt - wie eine schlampige Hausfrau den Schmutz ihrer Wohnung. Nach einer Weile wälzte sie sich seufzend aus dem Bett, streifte ihr Nachthemd ab und musterte sich im Spiegel. Im vollen Tageslicht ähnelte ihr Körper nicht mehr dem Taras. Im Frühlicht waren die weißen Wülste der typischen Narben berittener Kämpferinnen -Narben an Armen und Schenkeln - und die runzligen Vertiefungen der Pfeilwunden unübersehbar. Aber als sie sich nun kerzengerade aufrichtete, veränderte sich das Bild, ihr Körper war in all seiner Schlankheit wie eine schimmernde Schwertklinge. Hemd, Röcke, Weste lagen griffbereit auf dem Sessel. Aber statt danach zu greifen, zog sie aus dem Dunkel unterm Bett ein Bündel mit ihrer Ausrüstung hervor. Tara hatte alles vom Blut gereinigt, ehe sie es versteckt hatte. Die schwarze Bluse und die schwarzen Reithosen, die Shanna jetzt auspackte, rochen zwar etwas modrig, sahen aber wie neu aus: Die Stiefel glänzten wie gerade poliert, das vergoldete Kettenhemd glitzerte wie am ersten Tag … und die Nieten in dem Panzerhemd aus scharlachrotem Leder schimmerten wie frisch aus der Schmiede. Im Nu war Shanna gerüstet. Aber sie kam sich verwundbar vor, so ohne die Röcke und Schals, die ihren Leib monatelang verhüllt hatten, und das Panzerhemd war steif und gab nicht nach - was aber ja daran liegen mochte, daß sie schon lange nicht mehr so aufrecht dagestanden hatte … Sie holte tief Luft, sammelte sich, steckte den Dolch ihres Bruders in den Gürtel und zog ihr Schwert.

Die erste Figur fiel steif aus, die zweite schon weniger. Aber im Lauf der ersten Übungsfolge fand ihr Körper seine Ausgewogenheit wieder. Und am Ende der Trainingsstunde war er schon wieder eine Verlängerung ihrer Klinge.

Vor und zurück blitzte ihr Schwert … vorbei an einer hohen oder tiefen Deckung und herum in einem singenden Hieb, der den Gegner enthauptet. Sie fühlte die süße Harmonie der Muskeln und auch das Nachgeben des Holzbodens, hörte die Klinge die Luft zerschneiden und den Wind durchs offene Fenster säuseln, spürte ihr Sein und den dumpfen Herzschlag der Stadt dort draußen. Der Klang rasch näherkommender Schritte überraschte sie nicht … Sie führte gelassen die letzte Figur zu Ende und stand wie eine Statue der Belisama in der Arena, als die Tür aufflog und Tara auf die Schwelle trat.

»Shanna! Shanna, oh, nein…«, rief sie, hielt sich am Türrahmen fest und starrte die Kriegerin an.

»Tara«, erwiderte Shanna ruhig, »du siehst die, die ich bin …« »Oh, ja«, schluchzte Tara, »die Aberaisi werden sich freuen… dich so zweifelsfrei erkennen zu können!«

»Nun kommen sie also?« fragte Shanna. Aber das hatte sie bereits gewußt. Schon beim Aufwachen hatte sie gewußt, was dieser Tag ihr bringen würde.

Tara nickte. »Die Straße vom Marktplatz her! Lauf, Shanna … Ich halte sie mit irgendeiner Geschichte hin, um dir einen Vorsprung zu verschaffen …«

»Was dir nur gelingen wird … bis dir einer von ihnen die Bluse aufschlitzt«, fiel Shanna ihr ins Wort. »Oder hast du vergessen, daß Lady Amniset auch die Mondmütter haßt? Wir müssen jetzt beide fliehen, aber ich gehe als erste, und du nimmst einen anderen Weg als ich.«

»Wir treffen uns beim Brunnen am Tor der Weisheit«, keuchte Tara, die schon unter dem Kaminsims nach dem Beutel mit ihrer Barschaft tastete. »Wir teilen uns das Geld … für den Fall, daß eine von uns aufgehalten wird!«

»Nein, nimm du alles«, erwiderte Shanna und horchte zur Tür.  

»Und warte nicht auf mich!« Da hörte sie drunten Stein unter Stiefeln knirschen und Metall klirren. Mit einem Satz war sie neben Tara, legte ihr die Hand über den Mund und flüsterte ihr zu:

»Geh zu den Mondmüttern zurück, und sei eine Heilerin … Du wirst erneut lieben, denn dazu bist du geschaffen. Ich werde zu leben versuchen, aber mir ist wohl das Alleinsein bestimmt.« Tara weinte stumm. Shanna nahm sich noch die Zeit, ihr die Tränen fortzuküssen. Aber da drang von der Straße dumpfes Stimmengewirr zu ihnen. Tara fuhr erschrocken zurück, und Shanna stieß, als sie der Balance wegen den Arm schwang, mit dem Schwertknauf gegen den Spiegel. Da lief ein Zickzackriß durchs Glas, und die zwei Frauen starrten für einen Moment ihre plötzlich getrennten Spiegelbilder an, bis dann das ganze Haus unter den schweren Schlägen gegen die Eingangstür erbebte und die beiden Spiegelhälften zu Boden fielen und in tausend Stücke zersprangen.

Drunten flog die Tür krachend auf. Shanna schob Tara schnell zum Bett und hoffte dabei, daß sie klug genug wäre, sich darunter zu verstecken. Schon hörte sie ihre Feinde den rechten Treppenbogen heraufpoltern. Einen Atemzug lang zwang sie sich noch abzuwarten, aber dann sprang sie auf den Absatz hinaus. Ein Dutzend Männer in violetten Livreen drängte die Treppe herauf. Gesichter konnte sie im trüben Licht nicht ausmachen, nur das Schimmern von gebleckten Zähnen und gezückten Schwertern. Sie verharrte kurz, um sich den Häschern zu zeigen, querte den Treppenabsatz mit einem Sprung und stürmte dann den linken Bogen hinab.

Die beiden Schlußmänner waren schlau genug, sofort kehrtzumachen, um Shanna den Weg abzuschneiden. Aber den einen schickte sie mit einer klaffenden Halswunde jäh zu Boden, und der andere stolperte über seinen Kameraden und schlug der Länge lang hin, während sie durch die offene Tür hechtete. Als Shanna nun die Straße entlanglief, hörte sie hinter sich ihre Verfolger aufheulen. Sie hoffte, daß ihr alle folgten - sie waren von Rachedurst und Pflichtgefühl beseelt und sahen sie genau vor sich; aber wahrscheinlich würden sie nicht säumen, das Zimmer zu durchsuchen. Shanna riskierte noch einen kurzen Blick zurück und beschleunigte ihren Schritt. Sie hatte zwar ihre Kampffertigkeit wiedererlangt, aber schon lange kein Lauftraining mehr absolviert und mußte ihre Kräfte daher genau einteilen.

Schneller, Shanna … du kannst sie in einem dieser Seitengäßchen abhängen und dann das Weite suchen! War das, was in ihrem Schädel hämmerte, ihre oder Taras Angst? Sie schüttelte den Kopf, um sich davon zu befreien, und nahm die erstbeste Abzweigung in Richtung Tempelplatz. Die Aberaisi folgten ihr noch immer, und nun sah sie auch schon die Stadtwächter im gelbbraunen Wams auftauchen.  

Gut, die gäben gar noch bessere Zeugen ab! Sie wich rasch einem Wagen aus und lief zügig weiter. Die Prachtstraße zum Tempel war sehr belebt, aber so breit, daß ihr genügend Raum blieb. Die Menschen stoben auseinander, als sie so stürmisch daherkam, und rissen die Augen auf vor Schreck, als sie die Häscher sahen, die ihr folgten. Auf dem Felsen hinter der Menge sah Shanna die hoch aufragenden Mauern der Zitadelle. Aber die Mauern, denen sie zustrebte, waren niedriger und hoffentlich näher.

Nun ragten die Tempelsäulen düster vor ihr auf. Als sie an ihnen vorbeistürzte, sah sie einen Trupp Bewaffneter aus dem Tempel des Toyur kommen. Da fluchte sie bei sich, hielt mitten im Lauf inne und ging gesetzten Schritts weiter, ganz als ob sie keine Ahnung hätte, wen die dicht hinter ihr anrückenden Aberaisi und Wächter suchten. Und sie war auch schon fast an der Abteilung vorbei, als einem dieser Priester aufging, was das Geschrei der Verfolger zu bedeuten hatte. Er trat ihr jäh in den Weg. Shanna schlug seinen Speer mit der flachen Klinge zur Seite, rief »Tempelasyl!« und rannte los, so schnell sie konnte. Der Priester stand für einen Moment noch verdutzt da, unschlüssig, in welchem der vielen Tempel sie Zuflucht suchen würde. Aber da stießen die Aberaisi einen Warnruf aus, der ihr sagte, daß sie das Ziel ihrer Flucht erraten hatten. Na ja, wenigstens lief sie nun nicht mehr Gefahr, sie ganz abzuschütteln. Sie mußte nur schneller sein als sie, und hinterm Marktplatz sah sie ja bereits das Rund der Arena sich abzeichnen.

Die Lungen brannten ihr wie Feuer. Aber sie hatte keine Zeit zu verlieren, denn hinter sich hörte sie bereits das Keuchen ihrer Verfolger. Ein schlecht gezieltes Messer zischte an ihrer Schulter vorbei, und die Leute stoben schreiend auseinander. Vor dem Tempel dunkel hing etwas wie ein niedergegangener Mond. Da tauchten Stufen vor Shanna auf. Sie stolperte, fing sich jedoch wieder und hastete treppauf, verhielt oben und wirbelte herum. Die Verfolger duckten sich, als sie ihr Schwert schwang. Aber es zielte nicht auf sie, sondern fuhr hoch im Bogen empor und schlug gegen Metall. Schmerz schoß durch ihren Arm - nein, ein Ton, der ihr durch Blut und Knochen zitterte.

»Tötet sie!« riefen Lady Amnisets Leute. »Sie ist eine entlaufene Sklavin!«

Shanna rang um Atem. Sie fühlte, daß hinter ihr immer mehr Männer die Treppe empor drängten. Vor ihr gleißte noch der angeschlagene Mond, aber der schreckliche Ton erstarb langsam. »Nein …«, schrie sie feierlich, »ich gehöre jetzt Belisama.« Ein Hüne in roter Robe, kahl und mit rasierten Augenbrauen, beugte sich zu ihr herab.  

»Die Arena verläßt man durchs Siegestor oder durch das Tor des Todes«, polterte er. »Willst du kämpfen?«

Shanna hatte beim Herumlungern am Marktstand, wo die Männer ihre Wetten abschlossen, ja oft gehört, wie es zu schaffen sei. Lady Amnisets Leute wichen zurück. Sie wußten, daß sie ihnen entwischt war, ob sie in der Arena die Freiheit erränge oder den Tod fände, und Shanna wußte, daß jeder Krieger, der vor ihr dort gestanden, sich wie sie aus ganzem Herzen geschworen hatte, die Arena durch das Siegestor zu verlassen.

Ein Blick bestätigte ihr, was sie gehört hatte. Der Mond, den ihr Schwert angeschlagen, war ein schildartig geformter, spiegelblank polierter Gong. In diesem noch bebenden Spiegel sah sie ihr Bild sich wandeln. Sie sah eine schwarze Kriegerin mit Rabenschwingen als Helmzier, sah einen weißen Pferdekopf mit samtenen Augen, und für einen Moment glaubte sie gar, darin Tara in all ihrer blonden Schönheit zu erblicken.

»Ich werde für die Göttin kämpfen«, erwiderte sie mit lauter Stimme. »Möge sie mir den Sieg schenken.« Jetzt begriff Shanna auch, daß sie immer die Wahrheit gesprochen hatte und daß sie, indem sie sich Belisama unterstellte, all die anderen Eide, die sie geschworen, nicht brach, sondern erfüllte.