WALTER L. KLEINE

 

Es gibt zwei Grundtypen von Geschichten. Beim einen bekommt der Gute - oder in diesen Anthologien wohl eher: die Gute —, was er (sie) will, und beim anderen erhalten die Schlechten das, was sie verdienen. Zu welchem diese Story gehört, könnte ich nicht genau sagen. Aber sie ist spaßig. Womit sie vielleicht in eine eigene Kategorie fällt. Walter Kleine kehrt mit dieser Geschichte nach einer langen Pause wieder zur Belletristik zurück. Er hat achtundzwanzig Jahre lang als Photoreporter gearbeitet, nachdem er 1969 zum letztenmal eine Story veröffentlicht hatte.

Er sagt, er habe mit sieben oder acht zu schreiben begonnen, und zwar Comic-Epen, in denen seine Plüschpandas die Welt erretteten oder den Krieg gewannen. »Richtig« zu schreiben begonnen habe er nach der Lektüre einer Poster-Geschichte aus Planet Comics, die ihn zu der unbedachten Äußerung »Das kann ich besser!« verleitet habe. Bei seinen eigenen Versuchen habe er dann aber feststellen müssen, daß das gar nicht leicht ist… Aber nach drei Jahren war die erste der fünf Storys fertig, die er in den fünfziger Jahren veröffentlichen konnte. Nach einem Studium an der Universität von Iowa wurde Walter Photojournalist (von fünf Veröffentlichungen in zehn Jahren kann man nicht leben, hatte er sich gesagt), und nach einem Job als Kritiker von Klassik-Schallplatten (Schriftsteller müssen sich - wie erwähnt - mit den seltsamsten Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt verdienen) ist er nun wieder zur Science-fiction zurückgekehrt. Willkommen daheim! Und möge diese Geschichte nur die erste von vielen sein. — MZB

 

 

 

 

 

 

 

 

WALTER L. KLEINE

 

Herzenswünsche

 

»Shaigiss«, brummelte Prinzessin Yareth, »hat Vater dir erzählt, daß er von mir verlangte, der Zauberei abzuschwören?« Das war das erstemal in diesen anderthalb Tagen, daß sie von sich aus etwas gesagt hatte - das erste Mal, seit ich sie vom Internat der Bergschwestern abgeholt hatte. Ihre Wortkargheit beunruhigte mich, war sie doch, als ich sie acht Jahre zuvor ins Heim dieser Schwestern gebracht hatte, ein überaus redseliges Kind und wahres Plappermaul gewesen.

Da brummte eine Biene unter meiner Nase vorbei, fand aber wohl die Blumen neben meiner Schulter nicht anziehend genug und schwirrte weiter. Irgend etwas stimmte da nicht. Ich spürte, daß ich vor Unbehagen eine Gänsehaut bekam.

»Nein«, sagte ich und warf meinen Wächtern einen prüfenden Blick zu, »dein Vater würde es für unser Bündnis sicher für abträglich halten, wenn um König Krangs Schloß die Teller flögen, sobald du Königin von Loth bist.«

»Das war ich nicht«, sagte sie, »und du weißt das auch!« Mir war hier gar nicht wohl in meiner Haut. »Sereff!« schrie ich. »Behalte den Wald im Auge, zum Dämon noch mal!« Sereff fuhr zusammen … aber auch die zwei anderen Wächter, die ihren Dienst bestens versahen. Die drei, die eben zu Mittag aßen, sahen mich schuldbewußt an. Sogar Yareth blinzelte, und dabei war ich ihr doch seit ihren Kindheitstagen die liebste Leibwächterin. »Entschuldige, Hoheit«, sagte ich, »aber diese zehn Jahre Frieden haben dazu geführt, daß die Jungs nicht begreifen, wie sehr unser Leben von kriegsmäßiger Wachsamkeit abhängt. Noch etwas Wein?«

Sie hielt mir schmollend ihren Becher hin. »Ich will nicht, daß man mich mit diesem alten Schwein von Krang verheiratet. «

Ach, das war es also. Die Heirat des Jahrhunderts, und sie wollte nicht . Das hätte ich mir ja denken können. Yareth war schon immer ein eigensinniges Gör gewesen. Sie hatte stets ihren eigenen Kopf gehabt - nicht eben ein erwünschter Zug an einer Prinzessin, gleichgültig, wie sehr ich sie dafür liebte. In neckendem Ton, ganz wie früher, versetzte ich: »Ich würde ihn nehmen. Er könnte sogar für mich noch Manns genug sein. Königin Shaigiss. Wie hört sich das an?«

»Aber er ist doch steinalt, Shaigiss! Noch älter als du! Er hatte ja schon graue Haare, als Vater mich zu den Schwestern schickte.«  

»Nun, ich bin alt genug, um deine Mutter zu sein…« Jetzt spürte ich, daß etwas Schlimmeres in der Luft lag, etwas Böseres als das, was eine Biene Blumen verschmähen läßt.

Ich hatte mich kaum aufgerappelt, blank gezogen und meine Befehle gebrüllt, als Cyboths Rauhreiter aus dem Wald hervorbrachen. Sie waren in Uniform, versuchten also nicht einmal, sich als Banditen auszugeben.

Cyboth nahm offenbar Anstoß an unserem Bündnis. Oh, diese Politik! Sie bringt uns schneller um als jede Zauberei. Aber wir brauchten uns nichts vorzumachen: Bei vier oder fünf auf einen hatten wir schlechte Karten, obwohl die Wächter durch meine Schule gegangen waren, obwohl ich mitkämpfte und obwohl ich diese Ziegenbastarde zu einem überstürzten Angriff provoziert hatte.

Ich stellte mich schützend vor Yareth und hoffte bei mir, daß sie klug genug wäre, sich zu töten, bevor sie den Kerlen in die Hände fallen konnte. Mit einem Ohr hörte ich sie hinter mir murmeln … und ich nahm das für ein Gebet.

Die Angreifer fielen im Handumdrehen, einer nach dem anderen. Ich kämpfte wie der flammende Dämon, und die Leichen häuften sich vor mir.

Aber nun traf mich einer der Bastarde, den ich wohl nicht richtig kaltgemacht hatte, mit seinem Schwert knapp über der Ferse … Als es mir die Achillessehne durchhieb, fuhr mir ein Schmerz so heiß durch das Bein, als ob alle lohenden Höllenpfuhle vom Dämonenberg sich darein ergossen hätten.

Ich wankte, konnte mich nicht mehr aufrecht halten.

Da fühlte ich einen Zauber.

Alles wurde kalkweiß.

Dann war ich irgendwo anders.

Ich hörte den Schneesturm heulen, und mir war entsetzlich kalt.  

»Shaigiss! Trink … Du mußt das trinken!« Das war Yareths Stimme, aber wie war das möglich? Ich war doch tot und längst auf dem Weg zum Gipfel des Dämonenbergs, und Yareth mußte auf ihrem Weg hinab in den Schoß der Großen Muttergöttin sein. Etwas drückte gegen meine Lippen, etwas Flüssiges sickerte mir in den Mund. Mein Schlund wußte noch, was er mit Wasser zu tun habe, und so schluckte ich. Aber es war kein Wasser. Das Zeug schmeckte wie Jauche, Jauche mit Mist… und mein Kopf brannte mir wie der prächtigste Höllenpfuhl.

So allmählich wurden meine Augen klar, aber in meinem Bein tobten die Schmerzen. Als ich nun aufblickte, sah ich ein durchhängendes Schindeldach über mir, das mir vertraut war. In der aufgegebenen Scheune hatte ich schon oft auf dem Kreuz gelegen, öfter als sich zu zählen lohnt. Aber bisher war mir das immer ein Spaß gewesen.

Zumindest war ich nicht im Begriff, dem Dämon gegenüberzutreten. In der Bruchbude würde er sich nicht sehen lassen. Ich hieß meine Schmerzen zu verschwinden, und sie verschwanden, fast jedenfalls.

Wer von uns hatte das Gemetzel eigentlich überlebt? Irgend jemand mußte mich doch hierher getragen haben, und Yareth war dazu weder groß noch kräftig genug. Von dem Ort des Überfalls bis zu dieser Scheuer waren es zwei Meilen, bergauf, über drei Flüsse und durch die zweifache Dornhecke, die den Sommerpalast umgibt.

»Hoheit!« rief ich mit aller Kraft, brachte aber nur ein mir kaum vernehmliches Flüstern zuwege. »Wer ist sonst noch am Leben?  

Geht zum Sommerpalast … Drei Dutzend Cybothi haben uns überfallen, da dürften jetzt dreimal soviel die Gegend nach dir durchkämmen.«

»Shaigiss, wir sind wohlauf«, sagte sie und nahm wie eine Mutter, die ihr Kind tröstet, meinen Kopf in ihre Hände. »Ich hatte keine Angst zu sterben … Besser tot sein, als unter diesem Schwein von Krang liegen! Aber ich konnte es ja nicht zulassen, daß sie dich töteten. Du bist mir immer eine Freundin gewesen, auch wenn sonst niemand zu mir hielt … Ich sehe dich noch vor mir, wie du Vater ein Dutzend Kriegerinnnen zum Bluteid brachtest. Damals begriff ich, daß es sich lohnen kann, eine Frau zu sein! Ich rief einen Sturm herbei, als ich die Cybothi sah … Und als du fielst, sprach ich einen Leichtigkeitszauber, um dich forttragen zu können. Diese Scheune beschützte ich mit einem Abwehrbann. Trink das vollends aus, und dann werde ich dein Bein heilen.« Wieder schüttete sie mir die schleimige Brühe in den Mund. Das Bein heilen! Eine Achillessehne wächst nicht wieder zusammen. Oh, wenn ich das hier überstünde, würde ich mein Leben fortan als lahme Hure fristen müssen - und das nur wegen dieses Bastards von Cybothi!

»Das ist kein leichter Zauber«, erklärte Yareth, dicht über mich gebeugt und seltsam lächelnd. »Aber erst einmal geht es um reine Chirurgie. Der Zauber soll die Sehne dann wieder zusammenwachsen lassen. Ich hab das bisher nur unter der Aufsicht einer Schwester praktiziert und bin von den anderen Zaubern sehr erschöpft, aber wenn ich es nicht jetzt mache, dürftest du nie mehr richtig gehen können. Du mußt es selbst wollen, sonst glückt es nicht… Bitte sag, daß ich es tun, daß ich es versuchen soll.« Ich verabscheue die Zauberei. Sie fordert immer einen Preis, den man lieber nicht zahlen würde und den man auch erst erfährt, wenn einem die Rechnung präsentiert wird. Aber wenn ich zwischen einem Zauber und dem Leben als halblahme Hure wählen muß … wähle ich natürlich den Zaubereingriff, zum Dämon noch mal!

»Tu es, Hoheit«, sagte ich, und diesmal war mein Flüstern etwas besser vernehmlich.

»Danke, Shaigiss! Es freut mich, daß du meine Hilfe annimmst«, sagte sie so vornehm, als ob sie eine Teegesellschaft in der Burg begrüße. »Der Zauber beginnt mit einem Tanz. Sieh mir dabei genau zu. Es ist ein Eingangszauber, der mich in deinen Körper versetzt … damit ich deine Sehne heilen kann. Du dürftest dann allerlei durch meine Augen sehen. Danach müssen wir beide schlafen, um uns auszuruhen. Aber wenn wir wieder aufwachen, werden unsere Pferde da sein, so daß wir zu essen haben.« Irgend etwas stimmte da nicht; aber ich war von dieser wer weiß was enthaltenden Schleimbrühe so benebelt, daß ich unfähig war herauszufinden, was das sein könnte.

Yareth legte im Handumdrehen ihr Reitkleid und Unterhemd und ihre Unterröcke ab und stand nun in Korsett und Strumpfhosen vor mir. Vielleicht war es das, was nicht stimmte … Aber mit einem dieser idiotischen Tänze, die eine Hofdame in langen Röcken absolviert, kann man wohl auch keinen Zauber vollführen, oder?

Ich sah ihr zu, als sie anmutig wie eine Wolke, ein Wasserstrahl oder ein Rauch über den Boden dieser alten Scheune dahinschwebte.

Dann half sie mir, mich auf den Bauch zu drehen, vergrößerte die Wunde etwas, suchte und fand den zusammengeschnurrten Muskel und streckte ihn. Ich sah den Schnitt und fühlte ihre Finger, als ob sie die meinen wären. »Gut so«, kommentierte ich. »Du hast ihn.  

Nein, etwas mehr nach links. Da. So ist es gut.« Das alles erschien mir völlig normal - ein Routineeingriff. Nur, daß ich so schrecklich müde war … Ihr Zauberblizzard heulte wie sieben irrwitzige Dämonen, und durchs schadhafte Dach fegten die Schneeböen herein.

Ich sah mich durch Yareths Augen, als sie die Sehne zusammennähte und mit Kräutern, Salben und Ölen versorgte. Jedes dieser Mittel war mir nach Name und Wirkung vertraut; auch an ihnen war nichts Seltsames. Jetzt vernähte sie die Wunde, verband mir das Bein mit Stoffstreifen, die sie von ihren Unterröcken abriß, und schiente es mit zwei alten Faßdauben.

Ich hatte noch nie in meinem Leben einen Rock getragen, und nun hatte ich so einen, wenn auch in Streifen, um mein Bein. Das war eigentlich komisch, aber mir war nicht nach Lachen zumute.

»Nun tanze ich den Zauber zu Ende«, sagte Yareth und erhob sich.  

»Sieh mir wieder genau zu. Danach werden wir schlafen.« Ich sah ihr zu, bis mein Blick verschwamm. Da deckte Yareth mich mit etwas Warmem zu und kroch auch darunter, nahm mich sanft in die Arme und küßte mir das Ohr, daß meine schweren Ohrringe leise klirrten. »Oh, Shaigiss«, flüsterte sie erschöpft, »ich bin ja so froh, daß du wieder genesen wirst…« Ich schlief ein … Und träumte …

… träumte, daß ich ein Dutzend blutbespritzter Kriegerinnen zum Bluteid vor König Lerrig führte … und daß ich mich hinter einem Vorhang vor dem dicken Kindermädchen versteckte, das mich überall suchte und halb flüsterte, halb schrie: »Yareth! Yareth! Wo bist du? Komm auf der Stelle heraus!« Und unter meinem Fenster legten die blutbefleckten Kriegerinnen von Shaigiss vor meinem Vater den ältesten Eid unseres Königreichs ab: »My-lord, ich habe das Blut deiner Feinde geschmeckt und es köstlich gefunden.«

Ich träumte von meinem und … von Yareths Leben … sie waren so ineinander verschlungen, daß ich sie nicht mehr auseinanderhalten konnte, und es schien mir bis zu meinem Aufwachen auch gar nicht merkwürdig, daß ich da Yareths Erinnerungen träumte.

Zum Begreifen brauchte ich wohl nur eine Sekunde oder weniger.

Es schien einfach so weiterzugehen, weil ich genau wußte, was da geschehen war, und ich der Wirklichkeit nicht ins Gesicht sehen wollte.

Ich lag in Korsett und Strumpfhosen unter einer Decke, und Yareth schlief, in blutverkrustetem Lederpanzer und Kettenhemd, dicht an mich geschmiegt neben mir. Ich sah mich nicht nur mit ihren Augen. Nein, ich war auch in ihrem Körper. Und er paßte mir nicht!

Ich neige ja nicht zur Panik. Wenn ich das täte, wäre ich längst nicht mehr am Leben. Aber jetzt war ich zum erstenmal kurz davor durchzudrehen.

Ich lag einfach da, spürte sie neben mir, versuchte zu atmen und sagte mir, daß sie ja bald aufwachen und mich dann in meinen Leib zaubern würde. Ja, sie hatte gesagt, daß sie schlafen würde, bis sie sich von den Strapazen ihrer Zaubereien erholt hätte - solche Taten haben eben ihren Preis. Ich mußte also nur warten, bis sie aufwachte …

Aber daran glaubte ich selbst nicht.

Wie gesagt, ich verabscheue die Zauberei.

Und dann fiel mir etwas ein, was Yareth auch gesagt hatte … daß unsere Pferde nach dem Abflauen des Sturms kämen, so daß wir dann zu essen hätten. Durch Zauber herbeschworen, natürlich. Wie denn sonst? Götter und Dämonen!

Glaubte sie etwa, daß die Cybothi so feines Pferdefleisch einfach abziehen ließen? Daß also unsere prächtigen Kertigans ohne diese Banditen als Reiter hier einträfen?

Nun ja, wahrscheinlich glaubte sie das tatsächlich.

Ich stieß die Decke weg und sah an mir hinunter. An mir, an ihr?

Beim Höllenpfuhl und Dämonenfeuer! Wessen ist mein Leib, wenn ich nicht in ihm stecke?

Sie schlief tief und ruhig. Meine gepanzerte Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Beim syphilitischen Dämonenschwanz, was bin ich doch häßlich… Ich hatte ja nicht gewußt, daß mir die Spiegel so schmeicheln! Ein Gesicht so eckig wie ein Pflasterstein, mit zwei Augen ganz unterschiedlicher Farbe und Größe, mit einer Nase, die mir die Vanesti eingeschlagen haben, und dem langen weißen Schmiß auf der linken Wange, den ich einem Cybothi verdanke.  

Mein großer Mund ist das einzige einigermaßen Weibliche daran.

Für eine Kriegerin ist es ein gutes Gesicht. Es jagt den Feinden eine Höllenangst ein.

Nun gut, laß sie schlafen. Mein Körper muß ausheilen, und sie muß sich von der Zauberei ausruhen. Ich bewegte behutsam ein Bein und dann das andere. Seltsam, so klein und leicht zu sein; als ob ich wieder acht Jahre alt wäre. Aber warum fiel mir denn das Atmen so schwer?

Das Korsett. Beim Dämon, dieses zweimal verfluchte Korsett! Wozu braucht ein so zarter Körper wie dieser ein Korsett? Kein Wunder, daß ich mir so eingeengt vorkam! Kein Wunder, daß ich nicht mehr anständig atmen konnte! Ich faßte nach hinten, um die Schnürung zu öffnen - aber natürlich saß der Knoten nicht unten, wo er doch hingehört, sondern ganz oben! Und als ich ihn zu lösen versuchte, zog ich ihn wohl nur noch fester zu. Ich war nicht nur in ihrem Körper, sondern auch in ihrem Korsett gefangen! Und mir war kalt.

Ich nahm mir ihr Hemd, ließ es aber wieder fallen. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Frauenkleidung getragen. Aber Yareth war doch warm gewesen in diesen Sachen. Plötzlich war mir warm. Wie hatte ich das nur fertiggebracht? Ja, ich hatte die Hände bewegt. Aber kein Wort gesagt. Mir bloß gewünscht, daß mir warm würde, und dabei etwas mit meinen Händen gemacht.

Ob Yareths Muskeln sich oft geübter Zaubergesten erinnerten … wie die meinen der Schwertführung und ihrer Bewegungen? So etwas mußte es wohl sein.

Ich dachte keine Sekunde daran, daß ein Teil von mir das Zaubern dem Tragen von Frauenkleidern vorzog - aber so war es. Noch nie hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, was mir verhaßter sei.

Nun, da mir warm war, wandte ich mich der kalten Wirklichkeit zu. Sobald der Sturm sich gelegt hätte - und er hatte sich so gut wie gelegt -, kämen unsere Pferde, und auf ihnen die Cybothi. In meinem Leib könnte ich nicht kämpfen, und in ihrem könnte ich nicht lange standhalten.

Aber ich hatte den Tod noch nie gefürchtet. Kriegerinnen kämpfen, Kriegerinnen sterben. So würde ich also in Yareths Leib gezwängt sterben. Na und? Tod ist Tod.

Mit Yareths Tafelmesser, das ich in ihrem Reisesack fand, schnitt ich die Schnüre an meinem Korsett durch. In diese Scheußlichkeit gepreßt, wollte ich nicht sterben! Ich warf das Ding auf Yareths Kleiderhaufen. Mir war weiterhin so, als ob ich aus ihrem Körper quelle.

Dann ging ich mein Schwert holen. Es lag noch genau da, wo es mir entglitten war, als Yareth mich hingelegt hatte. Ich hob es auf.

Besser gesagt: Ich versuchte es. Yareths Leib war stark für seine Größe, vom Tanzen durchtrainiert - aber doch nicht kräftig genug, meine Klinge zu führen.

Behendigkeit und das Überraschungsmoment würden es mir vielleicht erlauben, wenigstens einen jener Ziegenbastarde mit in den Tod zu nehmen. Ich zog mein Kampfmesser aus der Scheide. Wie gut es doch in ihrer Hand lag!

»Shaigiss?« fragte Yareth da mit zittriger Stimme. Sie hatte die Augen ganz weit offen und sah so aus, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde. Nun biß sie sich auf meine Lippe, und mein Kinn bebte, und meine Wimpern flatterten. »Sh … Shaigiss, ach bitte, entschuldige!«

»Entschuldige? O Gottes Schrumpfhoden! Hoheit, entschuldige dich nicht, sondern tu etwas!«

»Shaigiss, das kann ich nicht. Nicht, solange ich in deinem Leib bin! Ich kann nicht mehr tanzen«, keuchte sie und versuchte, sich aufzurichten, stöhnte aber gleich auf und sank schmerzverzerrten Gesichts zurück. »Ich muß den Eingangszauber verpatzt haben. 

Aber das allein erklärt es nicht. Wir haben wohl beide die andere sein wollen. Oh, wie oft habe ich mir gewünscht, wie du zur Kriegerin geboren zu sein, frei zu gehen, wohin ich will, zu tun, was ich will, und zu lieben, wen ich will … aber ich mag dich doch so! Ich würde dir nie wünschen, dieses Schwein von Krang auf dir zu spüren! Und du würdest doch nie so wie ich sein wollen! Ich weiß nicht, was ich denn falsch gemacht habe! Oh, ich wollte ja nicht wirklich eine Kriegerin sein, nein, ich wünschte mir nur deine Freiheit …«

Sie begann zu weinen. Mein großes, häßliches und durch eine Narbe verunstaltetes Gesicht begann zu weinen! Aber weder Hysterie noch Furcht verzerrte es — kleine, halb erstickte Klagelaute entrangen sich meinem Mund, und dicke Tränen kullerten meine Wangen hinab.

Ich kniete mich neben Yareth hin und sagte so sanft wie möglich:  

»Hoheit … hast du je daran gedacht …« Aber dann wußte ich nicht mehr, wie ich es ausdrücken sollte, und nahm einen neuen Anlauf:  

»Hoheit, du mußt ja bloß deinen Brüdern, deiner Mutter und deinem Vater gehorchen. Und wenn du einmal Krangs Frau bist, hast du nur noch ihm Gehorsam zu erweisen. Ich hingegen muß Hanthor, Odoc und jedem von adligem Blute gehorchen, dir und deinen Brüdern, deiner Mutter und deinem Vater, und muß alles tun, was sie mir befehlen. Denkst du, ich hätte nie davon geträumt, so eine verdammte kleine Königin zu sein?« Als ich meine geheimsten Wünsche ausgesprochen hatte, ging mir auf, wie unbedacht und ungeheuerlich sie waren. »Oh …«, erwiderte Yareth, ganz als ob sie sich das auch in ihren wildesten Träumen nie vorgestellt hätte - was sicher auch zutraf. »Die Schwestern werden uns wieder zurückverwandeln«, fuhr sie fort, klang dabei aber nicht sehr überzeugt.

Da warf ich mich aufs Gesicht, küßte die Erde und wühlte mit den Händen im Staub. »Oh, Große Muttergöttin«, betete ich. »Das habe ich nicht gewollt! Ich wußte es nicht besser … Ja, ich habe mich nicht genügend nach dir gerichtet, aber ich habe nie deinen Namen mißbraucht. Jedenfalls nicht häufig. Ich habe dich nie um etwas anderes gebeten, als Kriegerin sein zu dürfen und viele Liebhaber zu bekommen, und diese Gebete sind erhört worden. Ich wollte nie wirklich Königin in irgendeinem Land werden. Wirklich! Alles das war doch nur so dahingesagt, war das Gewäsch einer Kriegerin!  

Bitte, Große Muttergöttin, hörst du mich ?«

Yareth an meiner Seite betete so inbrünstig wie ich zur Großen Göttin.

Aber ich blieb in ihren engen kleinen Körper gezwängt. Jetzt ertönten draußen schon die Rufe der Cybothi. Ich legte Yareth so kameradschaftlich wie einer Waffengefährtin die Hand auf die Schulter und flüsterte: »Hoheit, das ist jetzt unwichtig. Die Cybothi sind da. Ich nehme so viele mit in den Tod wie möglich.« Ich zog mein Schwert näher zu ihrer Hand. »Sorge du dafür, daß sie dich töten.«

Wie ich die Scheune durchquerte, weiß ich nicht mehr … Ich weiß nur noch, daß ich zur Stelle war, als ihrer vier durch das große Scheunentor hereinstürzten.

Ich ging den Anführer frontal an und zog ihm den Dolch durch die Kehle. Sein Nebenmann schwang drohend sein Schwert. Ich hörte es über meinem Kopf zischen. Aber ich stieß ihm mein Messer in die Lende, als ich mich in einer von Yareths Tanzbewegungen zu Boden fallen ließ, um mich zur Seite wegzurollen. Der Kerl schrie laut auf, und da warfen sich die zwei anderen mit gezückten Schwertern auf mich.

Oh, wie wünschte ich mir, in meinem eigenen Leib zu sein und mein Schwert in der Hand zu haben!

Da durchbohrte mein Schwert einen der beiden aus eigener und mit solcher Kraft, daß es ihn hochhob und an den Türrahmen nagelte, wo er nun, zwei Fuß über der Erde, hilflos zappelte … Das war ja nicht schlecht, daß mir einer der zwei Wünsche erfüllt worden war - aber die Erfüllung meines anderen Wunsches wäre mir noch lieber gewesen.

Nun fiel ein Ballen alten Heus vom Heuboden herunter und streckte den anderen Ziegenbastard der Länge lang zu Boden. Ich erwischte den Kerl mit einem Hechtsprung und rammte ihm mein Messer unterm Kinn in den Kopf.

Der an der Leiste Verletzte hielt sich, obschon schwankend, noch auf den Beinen und streckte mir sein Schwert entgegen. Da krachte ihm ein altes Faß, dem schon die Hälfte seiner Dauben fehlte, auf den Kopf, daß er vor mir zu Boden ging. Ich schnitt ihm die Kehle durch und sprang wieder auf die Beine - gerade zur rechten Zeit, um die nächsten vier in Empfang zu nehmen, die nun durch die Tür gestürmt kamen.

Mein Schwert schlug den vorderen beiden die Köpfe ab und schwebte dann - leuchtend, bebend und über und über von Blut triefend - in der Luft.

Die anderen zwei rissen Mund und Augen auf, schrien entsetzt und stürzten wieder zum Tor hinaus.

Und schon ertönten draußen Schwertergeklirr und die so vertrauten Kampfrufe von Lerrig, Odoc, Hanthor und wohl der halben Garde.

Da drehte ich mich zu Yareth um. »Beim schwanzlosen Gott! Hoheit, warst du das oder war ich das?« »Ich … ich weiß es nicht. Vermutlich wir beide!« Nun, das war jetzt auch gleichgültig. Denn Odoc hatte mir, sowie sein Vater vor ihm, ja immer eingehämmert: »Setze jede Waffe ein, die du hast!« Wenn ich ein Zaubertalent besaß, dann mußte ich es, zum Dämon noch mal, auch nutzen! Also ergriff ich mein immer noch leuchtendes Schwert und stürzte zum Scheunentor hinaus.

Aber ich kam zu spät! Odoc hatte wie immer ganze Arbeit geleistet - und mir nicht einen Cybothi übriggelassen! Dann mußte ich daran denken, wessen Körper ich trug … Schon fielen ihre Blicke auf mich.

Ich glaube nicht, daß sie mich erkannten, in diesem Moment, meine ich. Aber ich wich in die Scheune zurück und lief zu Yareth hin. »Bei den gefrorenen Dämonen! Was soll ich jetzt tun?« »Fluche nicht!« flüsterte sie. »Eine Prinzessin darf solche Worte nicht in den Mund nehmen.«

Da stürmte König Lerrig, mit Odoc zu seiner Linken und Hanthor zu seiner Rechten, in die Scheune herein. Aber plötzlich blieben die drei wie vom Blitz getroffen stehen und starrten mich an, denn ich trug außer Yareths zerfetzter Strumpfhose nur Blut am Leib.

Da dankte ich meiner Muttergöttin, daß keiner von ihnen Yareth in den letzten acht Jahren gesehen hatte. Ich konnte also - beinahe - alles sagen, was ich wollte. Jetzt hob ich mein Messer und mein noch immer leuchtendes, ganz schwereloses Schwert und reckte mich zu Yareths voller Länge, hielt mich aufrecht wie eine Tänzerin.

Dann sagte ich ganz gelassen - hoffend, daß meine Stimme wie die ihre klänge: »Mein Herr und Vater, ich habe das Blut eurer Feinde geschmeckt und es köstlich gefunden.« Da war es heraus.

Sollte Lerrig sich doch selbst einen Reim darauf machen!  

»Shaigiss!« brüllte er. »Wo ist meine Tochter?« Zum Höllenpfuhl!  

Yareth mußte nun ich sein, aber mich kannten sie ja alle bestens.

»Deine Tochter steht vor dir, Herr«, erwiderte sie. »Sie hat sich als deine Dienerin ehrenhaft mit Blut bedeckt. Nun bringe ich sie dir wohlauf und jungfräulich, wie du es mir befohlen hast …« Sie hatte meine Stimme und sprach in meinem Tonfall und Rhythmus, nur etwas schwächlich und müde.

»Durch Zauberei mit Blut bedeckt?« fragte Lerrig und musterte das Schwert, kam aber keinen Schritt näher. »Sie hat den ersten getötet, eh die Berggeister, die sie behüten, ihr zu Hilfe kamen«, versetzte Yareth eine Spur zu wohlerzogen. Da wurde es ganz still in der alten Scheune. Nur das Rauschen des Winds in den Bäumen und das Glucksen des vom Dach rinnenden Schmelzwassers waren noch zu hören.

Schließlich räusperte Lerrig sich und sagte: »Tochter, ich hatte dir doch befohlen, der Zauberei abzuschwören!« »Wäre es dir lieber, wenn wir beide nun tot wären?« Aber es klang so sehr nach mir, daß ich es rasch anders versuchte: »Vater, ich kann aufs Zaubern so wenig verzichten wie aufs Atmen. Hat dir die Schwester Oberin das denn nicht gesagt?« Ich wußte nicht, ob die Oberin das getan hatte - aber es schien mir die richtige Linie zu sein.

Er blickte zur Seite, legte die Stirn in Falten und sah mich dann wieder an. »Du wirst deine Pflicht tun, ob als gehorsamsschuldige Tochter oder als eidgebundene Kriegerin.«

»Als die eine wie als die andere …«, sagte ich mit einem Knicks, wie ich ihn Yareth vor ihm machen gesehen hatte - und ihr Körper wußte ihn noch genau auszuführen. »Bewegt Shaigiss nicht von der Stelle, bis ich die Heilzeremonie vollzogen habe. Und bittet die Schwestern, einen Heiler zu senden. Er soll sich vergewissern, ob ich auch alles richtig gemacht habe.«

Der König nickte leicht, legte seine Stirn aber in noch tiefere Falten.

Mir ging auf, daß ich mein leuchtendes Schwert noch auf Armlänge vor mich hinhielt. »Und ich fordere das Recht einer blutbedeckten Kämpin ein, mich als Kriegerin zu kleiden und zu wappnen. «  

Damit erhob ich die Faust samt Schwert zum Kriegerinnengruß.

Ich sah in seinen Augen jene dämonische Wut aufblitzen, die ich immer gefürchtet hatte, und konnte nur hoffen, daß ich nicht zu weit gegangen war. Langsam senkte ich das Schwert, und da schwand das Leuchten.

Eine Ewigkeit lang starrte er mich schmallippig an. Dann zog er seine Mundwinkel nach oben, so als ob er einen prachtvollen Witz gehört hätte. Er steckte sein Schwert in die Scheide, kam zu mir und klopfte mir auf die Schultern, wie er es oft getan hatte, um mich für meine Tapferkeit in der Schlacht zu loben. »Tochter, ich muß sagen, mir gefällt, was die Schwestern zurückgeschickt haben. Ich hätte mir nie träumen lassen, daß du einmal so stark würdest. Ist da auch dein Blut dabei?« »Nein, Vater.«

Da drehte er sich zu seinen Leuten um. »Odoc! Schafft Wasser her, damit die Prinzessin ein Bad nehmen kann. Und ein Gewand für sie und Handtücher! Und sendet einen Boten zu den Schwestern!«  

Dann schickte er sie mit einem Wink hinaus und überließ es ihnen, eine Badewanne und warmes Wasser aufzutreiben. »Shaigiss!« rief er darauf, ging zu meiner wahren Erscheinung und klopfte ihr, also Yareth, auf die Schultern. »Wieder einmal hast du mir gut gedient!  

Geleite Prinzessin Yareth, sobald du genesen bist, mit einer Ehrengarde nach Loth. Da sie nun eine vereidigte Kriegerin ist, sollst du ihre Ausbildung übernehmen. Und schone sie dabei nicht!«

Da hob Yareth die Faust, soweit das eben geht, wenn man flach auf dem Rücken liegt, und erwiderte: »Zu Befehl, Mylord!« Nun faßte Lerrig mich väterlich unters Kinn. »Könntest du mir … vielleicht sagen, weshalb du so gut wie nackt bist? Oder ist das ein Zauberinnen-geheimnis?« Muttergöttin, was sollte ich ihm antworten? Aber Yareth rettete mich. »Weil sie in diesem verdammten Korsett einfach nicht schlafen konnte.«

Lerrig ging lauthals lachend hinaus. Und ich starrte hinter ihm her und fragte mich, was ihn so belustigen mochte … Ja, er amüsierte sich wohl über die Idee, eine Zauberin nach Loth zu schicken.

Da sagte Yareth in meinem Kasernenflüsterton: »Beim schwanzlosen Gott, Shaigiss, wir haben es geschafft! Die Oberin wird uns jetzt jemanden schicken, der uns zurückverwandeln kann. Das hoffe ich.«

»Hoheit, für dich, meine Shaigiss«, erwiderte ich. »Oder Yareth, im vertraulichen Umgang. Und daß sich keine von uns beiden jemals verspricht!«

Wieder jeder in seinen wahren Leib - hoffte sie?! Bei den sieben flammenden Höllenpfuhlen! War das mein Lohn für all die Male, da ich das Ding des Dämons vergeblich in mir aufgenommen hatte?  

Der Gedanke, zwischen Yareths schmalen Hüften ein Kind zu tragen … Wie benimmt man sich überhaupt als Königin? Große Muttergöttin, hoffentlich weißt du auch, was du da tust! Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Lerrig, mein Herr und König, hätte doch nicht vierzig Jahre lang König bleiben und zehn davon mit den Nachbarn Frieden haben können, wenn er ein Dummkopf gewesen wäre. Er hatte genau begriffen, was da geschehen war, und war darüber hoch erfreut. Politik, wie ich schon sagte …

Nun gut, Mylord, ich habe geschworen, dir treu zu dienen, zu tun, was immer du befiehlst … Das hier ist zuviel verlangt, aber ich werde mein Bestes geben.

Dann mußte ich tief im Innern schmunzeln. Ich bin jetzt zweiunddreißig Jahre alt, in meinem richtigen Leib, und habe mir noch kein Balg eingefangen. Ich kann Dinge, die Krang noch nie in seinem Bett erlebt hat. Und auch er hat Yareth ja in den letzten acht Jahren nicht zu Gesicht bekommen.

Nun wünschte ich, daß der herabgefallene Heuballen wieder auf den Heuboden zurückkehre. Und es geschah. Königin von Loth, heh?

König Krang, ich habe eine Überraschung für dich parat!