DEBORAH BURROS

 

Ich werde der Briefe wohl nie überdrüssig werden, die in etwa
so beginnen: »Als ich Ihre Zusage bekam, habe ich vor Freude
einen Luftsprung gemacht!« Das liegt daran, daß ich selbst,
vor schon unangenehm langer Zeit, so ein Grünschnabel von
Möchtegern-Autorin war, die sich über die Annahme ihrer er-
sten Story freute - und mich noch genau erinnern kann, wie
glücklich ich damals war.

Aber etwas anderes macht mir noch Kopfzerbrechen. Daß man
mich, -wenn ich »Schriftstellerin« als Beruf angebe, unweiger-
lich fragt: »Oh, haben Sie denn schon
etwas veröffentlicht:«
Ich - wüßte gern, ob diese Leute etwa einen Klempner fragen
würden: »Oh, haben Sie schon einmal einen Wasserhahn re-
pariert?« Oder einen Arzt, ob er schon einen Blinddarm ent-
fernt habe. Wohl nicht. Aber von einem Autor wollen sie im-
mer wissen, ob er schon etwas publiziert habe!
Vielleicht liege ich da falsch - aber für mich ist ein Autor ohne
Veröffentlichungen kein Autor, sondern ein Autor in spe …
Und die beiden trennt eben das: Publikation (eines) ihrer
Werke - ja oder nein. Deborah Burros jedenfalls gehört ab jetzt
zu den wirklichen Autorinnen (im Gegensatz zu den poten-
tiellen); und ich hoffe, daß dies nur ihre erste von vielen, vielen
Veröffentlichungen ist.

Ihre Story ist von recht anderer Art als die, die ich ansonsten
herausgebe; aber ich habe sie ausgewählt, weil sie mich, aus
mir unerfindlichem Grund, an den Fantasy-Klassiker
The King
in Yellow von Robert W. Chambers erinnerte. Fragen Sie mich
nicht, warum — sicher dank irgendeiner zufälligen Gedanken-
assoziation.

Fabeln kann ich normalerweise nicht ausstehen. »Masken«
scheint mir aber auch eine Fabel zu sein — und zwar eine sehr
subtile.

Deborah macht gerade ihren Magister in Bibliothekswissen-
schaften und war früher Redakteurin einer Physikzeitschrift
und Texterin in einem medizinischen Verlag, was ihr als
Schriftstellerin sehr zugute kommen dürfte. Und sie kann ih-
ren Lebenslauf jetzt um die Berufsbezeichnung »Autorin« er-
gänzen, zu Recht und überhaupt … denn inzwischen können
die Leute das ernst nehmen. Früher war das anders. Als ich
einmal, während ich in Texas lebte, einem städtischen Beam-
ten »Schriftstellerin« als meine Profession angab, erwiderte
der: »Oh, das zählt bei uns nicht« und trug mich kurzerhand
als »Hausfrau« ein.

»Ach, prima«, gab ich ihm zurück. »Muß ich dafür dann auch
keine Einkommenssteuer zahlen?«

»Oh, Sie haben schon etwas veröffentlicht?« fragte er gleich.
Nun, wir haben das dann geklärt; aber von da an nannte ich
mich »Romancier«, weil diese Berufsbezeichnung ernster ge-
nommen wurde. – MZB.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DEBORAH BURROS

 

Masken

 

 

»Alles ausverkauft«, beschied die Maskenmacherin die Dame, die da eben in ihren Laden hereinstolziert war.

Die Lady schüttelte ihre parfümierten Locken zurück und würdigte die leeren Haken an der Wand fast so wenig eines Blickes wie die Masknerin, an die sie nun das Wort zu richten geruhte: »Ich suche etwas ganz Besonderes! Ich sah da nämlich einen etwas verfrühten Festgast mit einer Maske, wie ich sie heute nacht tragen sollte, womit sie für mich natürlich erledigt war. Aber dann fiel mir Ihr kleiner Laden ins Auge…«

»Ich muß mich leider wiederholen: »Alles ausverkauft«, sagte die Larvenmacherin mit einer Stimme so höflich, aber ausdruckslos wie ihr Gesicht. Mit ihrem aschfarbenen Haar, ihrem grauen Kittel und ihren grauen Handschuhen war sie fürwahr eine triste Erscheinung!

Die Dame strich den Spitzenbesatz ihres Überkleides glatt, wobei sie sorgsam darauf achtete, daß sich ihre Fingerringe nicht darin verhakten, und fuhr dann unbeirrt fort: »Nichts Banales … kein Einhorn mit Regenbogenmähne, keine pastellene Taube …« Diesmal antwortete ihr die Masknerin mit Schweigen. Und diese Stille wurde nur unterbrochen, wenn die Dame mit ihrem rechten Samtschuh ungeduldig aufklopfte. »Gut denn«, versetzte sie schließlich. »Sie haben also all Ihre Masken für das Mittsommerfest verkauft. Aber Sie haben doch wohl noch Ihre eigene für heute Nacht? Fürwahr, so eine Larve aus der Privatkollektion der Masknerin müßte etwas wirklich Dramatisches und Einzigartiges sein!«

Die Maskenmacherin verzog flüchtig den Mund. Aber ansonsten blieb ihre Miene so ausdruckslos wie ihre Stimme, da sie nun erwiderte: »Ich habe nicht vor, dem Fest beizuwohnen … besitze aller-
dings eine nur für meinen Gebrauch und keineswegs zum Verkauf bestimmte Maske …«

»… aber Sie werden sie mir lassen. Ich bestehe darauf!« Die Masknerin seufzte, um nicht aufzufauchen, glitt dann hinter einen Vorhang in eine Nische, hielt dort inne, ließ Metall gegen Metall klicken, öffnete und schloß eine Art Schublade, verharrte erneut - und kehrte mit einer Porzellanmaske in der Hand zurück.

Es war das Gesicht einer Kaiserin mit füchsischen Wangenknochen, geschwungenen Brauen und hoffärtigem Mund, und seine porzellanene Schönheit wurde von Rubinen und Perlen erhöht, mit denen es reich geschmückt war.

»Ich gebe Ihnen, was Sie brauchen«, sprach die Maskenmacherin,            »aber dann gehen Sie.«

Die Lady riß ihr die Maske aus den Händen und probierte sie an.   

»Sie paßt«, befand sie sogleich und warf ihr eine Geldbörse vor die Füße.

Als sie die Larve nun wieder abnehmen wollte, trat die Masknerin rasch auf sie zu, ergriff sie am Arm und schob sie zur Ladentür hinaus. Hinaus in die Stadt.

Aber der Himmel über der Stadt war so schwefelgelb wie nie zuvor, und auf den Dächern qualmten so viele Kamine wie noch nie. Und im trüben Wasser des Rinnsteins, der doch zum Fest hätte sauber sein sollen, sickerte phosphoreszierender Schleim daher und faßte nach ihren Samtschuhen.    

Das riß sie aus ihrer Erstarrung, ließ sie das Weite suchen und beinahe in eine Trauergemeinde hasten, die unter der Last nie gesehener Särge einher-keuchte: Särge transparent wie Glas, so durchsichtig, daß die verkrümmten Leichname darin ihrem Blick leider nicht verborgen blieben.

Da machte sie kehrt, um sich in den Laden der Maskenmacherin zu flüchten. Aber da war kein Maskenladen mehr - sondern nur eine Sackgasse, in der ein alter Mann Ampullen mit Milzbranderregern und Mutterkorn feilbot.

»Alles ausverkauft«, beschied die Maskenmacherin die junge Frau, die sich da eben in ihren Laden hereingestohlen hatte. »Oh, natürlich … Entschuldigen Sie, ich wußte ja … daß ich zu spät käme«, versetzte die. Aber aus ihrer Stimme, die durch den schimmernden Gesichtsschal gedämpft wurde, klang Erleichterung, nicht Enttäuschung.

Die Masknerin musterte sie starr. »Warte! Warum möchtest du keine Maske? Willst du denn nicht an dem Fest heute nacht teilnehmen?« »O doch.«

Die Maskenmacherin sah sie nur fragend an. Da errötete die junge Frau und fuhr fort: »Doch, ich will schon. Aber was mich abhält, ist … daß ich danach diese Maske abnehmen müßte …« Sie zögerte einen Augenblick, schob dann ihren Schal jäh zurück und wies der Masknerin ihr mit Muttermalen übersätes Antlitz. »Wenn nur mein Gesicht nicht so abstoßend wäre!« Da verschwand die Maskenmacherin erneut hinter dem Vorhang und kehrte gleich darauf mit einer anderen Maske zurück. Das war ein Leopardengesicht aus schwarz geflecktem, gelbbraunem Samt, mit von Smaragden gesäumten Augen und goldenen Quasten, die mit allerlei Perlen verziert waren. »Ich gebe dir, was du brauchst«, sprach die Maskenmacherin, »aber dann gehst du.«

Die junge Frau ergriff die Maske und strich mit den Fingerspitzen sacht darüber hin. Auf das aufmunternde Nicken der Maskenmacherin probierte sie sie auch gleich an und kramte träumerisch ein paar Münzen aus ihrer Tasche hervor.

Als sie die Larve nun wieder abnehmen wollte, trat die Masknerin rasch zu ihr hin, ergriff sie am Arm und schob sie zur Ladentür hinaus. Hinaus in die Stadt.

Aber wo waren mit einmal all die Leoparden hergekommen, die sich hier und dort auf Mosaiktreppen sonnten, und woher die Orchideen, die auf der großen Straße wuchsen, und die Pfauen, die dazwischen einherstolzierten?  

Und als die junge Frau an einen Orchideenzweig stieß, scheuchte sie einen ganzen Schwarm von Perlmutterfaltern auf …

Da sah sie sich erschrocken nach dem Laden um. Aber der war nicht mehr da; und an seiner Stelle erblickte sie einen Werkhof, in dem Bildhauer an Malachitskulpturen arbeiteten. Und sie lächelten ihr entzückt zu. Als sie darauf ihre Maske abnahm, lächelten sie noch hingerissener und begannen, aus dem gefleckten Stein ihr Bildnis herauszumeißeln.

Drinnen im Laden huschte die Maskenmacherin ein letztes Mal durch den Vorhang und kehrte bald darauf mit einem Koffer voller Masken zurück und stellte ihn auf den Verkaufstisch.

Dann umfaßte sie mit beiden Händen ihr Gesicht und zerrte daran, bis es sich ablöste und eine stählerne Schale mit kristallinen Augen darunter zum Vorschein kam.  Sie verstaute die gummiartige Maske in ihrem erstaunlich geräumigen Koffer und wählte sich aus ihrer reichhaltigen Kollektion eine andere Larve.

Es war eine Drachenmaske mit dicken Bernsteinschuppen und spitzen Dornen, die aus den dünnen goldenen Zeigern alter Uhren gefertigt waren.  Die setzte die Maskenmacherin nun auf und trat dann in die Nacht  hinaus.