ELISABETH WATERS

 

Elisabeth war bereits in einigen Bänden der Magischen Geschichten vertreten — zuletzt, glaube ich, in Band V mit der schönen Story »Im Schattenreich«. Mit dieser Geschichte nun kehrt ihre Serien-Heldin Eirthe zurück, die ihr Debüt ganz woanders hatte: in Andre Nortons Magic in Ithkar (Magie in Ithkar). Lisa ist für den Roman Changing Fate (Wechselhaftes Schicksal) mit dem begehrten Gryphon Award geehrt worden. Dieser Roman entstand aus ihrer großartigen Erzählung »A Woman’s Privileges (Das Privileg einer Frau) in Band III dieser Reihe - und wird von Daiv Books verlegt. Wir freuen uns wie die Schneekönige, daß Lisa so zu einer Romanschriftstellerin avanciert.

Elisabeth Waters ist Ende Dreißig, wurde in Rhode Island geboren und hat außer einem Magistertitel des Randolph-Macon College in Ashland auch einen Magistertitel der University of New Haven — letzteren in Computerwissen-schaften. Was für mich sehr günstig ist, wenn mein PC mal wieder, und das nur zu oft aus mir völlig unerfindlichen Gründen, plötzlich streikt. Ich bezweifle jedoch, daß sich das mit Lisas Studienmotiven deckt.

Eine der größten Freuden einer Herausgeberin ist es zu sehen, daß junge Autorinnen, deren erste Geschichten sie veröffentlichte, zu bekannten, eigenständigen Schriftstellerinnen werden. Dazu fallen mir auf Anhieb zwei Beispiele ein — Diana L. Paxson und Mercedes Lackey. Schön, daß nun auch Elisabeth Waters zu dieser illustren Gemeinde gehört! — MZB

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ELISABETH WATERS

 

Feuerkur

 

Eirthe verfluchte die unsichtbare Wand, gegen die sie da geprallt war. »Wie soll ich bloß die überwinden?« grollte sie und warf den langen, schwarzen Zopf, der sich bei dem jähen Halt gelöst hatte, über ihre rechte Schulter.

Die Feuersalamanderin, die auf ihrer linken Schulter saß, beugte sich weit vor und beschnüffelte vorsichtig das Hindernis. Hmmmm, ich würde sagen, du brauchst eine Zauberin oder einen Zauberer, verkündete sie dann.

»Zauberer?« stöhnte Eirthe und sah sich ratlos um. Vor ihr ragte der Vulkankegel auf, den sie ersteigen wollte, und der Boden, auf dem sie stand, war ein grauschwarzer erkalteter Lavastrom - wobei >erkaltet< als relativ gelten muß … Denn noch strahlte diese Masse eine Hitze aus, die Eirthe selbst durch ihre dicken Stiefelsohlen spürte. Aber sie war nicht mehr heiß genug, um ihr den Saum des Rocks und Umhangs zu versengen. Alnath machte diese Hitze natürlich überhaupt nichts aus: Für Salamander ist sogar das Innere aktiver Vulkane ein angenehmes Milieu. Aber der ständig frierenden Eirthe konnte weder die Hitze unter ihren Füßen noch das orangefarbene Feuer, das Alnath dicht neben ihrem linken Ohr spie, ihr Kältegefühl nehmen. »Wirklich, Alnath, wo soll ich denn hier einen Zauberer oder eine Zauberin finden?« Das war selbst-verständlich nur eine rein rhetorische Frage. Aber Alnath nahm sie wörtlich und beantwortete sie denn auch: Versuch es doch mal in dem Dorf am Fuß des Vulkans, durch das wir vorhin gekommen sind.

Eirthe seufzte, trat aber doch den Rückweg an. Sie hielt es zwar für ziemlich ausgeschlossen, daß sich in einem so kleinen Weiler ein Zauberer - ob Mann oder Frau - finden ließe, wußte jedoch aus Erfahrung, daß Alnath oft mehr wußte als sie.

Das fand sie erneut bestätigt, als sie bald darauf - nachdem sie
Alnath, der Leute wegen, unter ihrem Umhang versteckt hatte -
die Gaststube der einzigen Schenke dieses Dörfchens betrat. Denn
dort am Kaminfeuer saß der Zauberer-Krieger Lvthande, ein guter
alter Bekannter von ihr. Er war dabei, für die versammelte Gäste-
schar - vermutlich auch für sein Abendessen - mit seiner hellen,
klaren Tenorstimme das eine oder andere Liedchen zu singen und
dazu die Laute zu schlagen.

Eirthe war froh, daß jetzt alles nur Augen und Ohren für Lythande
hatte, setzte sich an einen Tisch in einer ruhigeren Ecke und bat
den Wirt, der ihre Bestellung aufnahm, dem Barden eine Einla-
dung zu einem Humpen Bier zu überbringen. Oh, sie wußte gut,
daß der Zauberer in der Öffentlichkeit weder speiste noch trank,
aber sie wußte auch, daß er gern und mit allen Anzeichen stillen
Genießens stundenlang vor einem vollen Becher saß.
  Und tatsächlich, Lythande nahm ihre Einladung an und kam nach
der nächsten Nummer zu ihr in ihre stille Ecke. »Ach, Eirthe«,
sagte er zur Begrüßung, so als ob sie sich tags zuvor - und nicht
fast sechs Jahre zuvor - zum letztenmal gesehen hätten. »Und
Alnath«, ergänzte er, da die Salamanderin auf die Bank sprang und
zu ihm huschte; dieser Magier war einer der wenigen Menschen,
von denen sie sich anfassen ließ. »Sei gegrüßt, Feuergeist«, sagte
er und liebkoste Alnath mit vom Lautenspiel schwieligen Fingern,
was Alnath vor lauter Behagen kobaltblaue Flammen speien ließ.
  »Und wie geht es eigentlich Cadmon?«
  »Er ist tot«, erwiderte Eirthe.

»Oh«, sagte Lythande ruhig. »Wirklich ein sehr schlimmer Schlag
für dich.«

Eirthe nickte und blinzelte, um nicht in Tränen auszubrechen. Es
war so eine Erleichterung für sie, mit jemandem zu reden, der ihr
Problem auf Anhieb, ohne lange, schwierige Erklärungen, ver-
stand! Erzähle den Leuten, dein Geschäftspartner sei gestorben -
und wie reagieren sie? Sie murmeln: »Oh, das tut mir leid« und
weisen dann darauf hm, daß es ja noch mehr Glasbläser auf der
Welt gebe, mit denen sich eine Kerzenmacherin zusammentun
könne, so sie das denn unbedingt wolle.

Aber die wenigsten wußten, daß sie und Cadmon sich zusammen-
getan hatten, weil sie beide unter einem Fluch standen, genauer
gesagt: unter unterschiedlichen Flüchen, die sich gegenseitig auf-
hoben … Cadmon blies wunderbare Glaswaren, in denen aber je-
der Gegenstand fast augenblicklich verbrannte, zu Rauch wurde.
  Und sie fertigte feinste, elegante Leuchterkerzen und auch figür-
liche Kerzen, die so lebensecht aussahen, daß sie einem fast zu
schade zum Anzünden erschienen. Aber sie war mit einem Kälte-
fluch geschlagen. Sie konnte kein Feuer mehr anzünden, und kei-
nes ihrer Lichter brannte - es sei denn, man stellte es in eins von
Cadmons Gläsern. Beides zusammen, ihre Kerzen und seine Gläser, ergab nun die allerbesten Sicherheitslampen - wenn sie umfielen, gingen sie aus. Sie hatten einander vor acht Jahren auf dem großen Markt kennengelernt, nur Stunden nachdem jeder von ihnen mit einem Fluch belegt worden war - und waren seitdem gute Freunde und Partner gewesen.

Nun, nach dem Tod Cadmons, hatte sie eigentlich erst so richtig
gemerkt, wie schlimm der auf ihr liegende Fluch war.
  »Das Problem ist nicht, daß ich kurz vor dem Verhungern
stünde«, sagte sie zu Lythande. »Cadmon und ich waren uns im-
mer bewußt, daß einer von uns eines Tages allein dastehen könnte,
und wir haben deshalb einiges auf die hohe Kante gelegt. Was also
meine Finanzen angeht … da brauchte ich für den Rest meines
Lebens nicht mehr zu arbeiten. Aber was sollte ich sonst tun? Mir
liegt es einfach nicht, bloß herumzusitzen und die Hände in den
Schoß zu legen! Aber ohne Cadmons Gläser ist es für mich sinn-
los, noch weiter Kerzen zu fabrizieren. Ich hätte sogar Schwierig-
keiten mit dem Wachsschmelzen. Ich kann zwar noch ein Feuer
anzünden und am Leben erhalten«, erklärte sie, »aber nur in dem
Ofen, den Cadmon mir gemauert hat… und der nützt mir natür-
lich nichts, wenn ich in kalten Nächten unterwegs bin. Ich trau
mich nicht einmal, mich hier ans Kaminfeuer zu setzen, aus
Angst, es damit zum Erlöschen zu bringen. Mir ist jetzt ständig
kalt, und ich fühle mich ganz schrecklich dabei.«
  »Das kann ich mir gut vorstellen …«, sagte Lythande mitfühlend.
  »Aber was führte dich hierher?«

»Das war Alnaths Idee«, gestand Eirthe. Bei Lythande brauchte sie
wenigstens nicht zu befürchten, für verrückt gehalten zu werden,
weil sie dem Rat einer Salamanderin folgte. »Sie hat gemeint, ich
könnte beim Herzen des Feuers, dem Vulkan hier, vielleicht Hilfe
finden.«

»Hat sie auch gesagt, wie?« fragte der Zauberer.
  »Nein, das nicht …«, sagte Eirthe achselzuckend. »Aber wer kennt das Feuer denn besser als ein Feuergeist?«
  »Da ist sicher etwas dran«, murmelte Lythande. »Du hast natür-
lich mein ganzes Mitgefühl, aber du brauchst sicher auch handfesteren Beistand. Was willst du also von mir?«
  »Du sollst mitkommen und mir den Weg zum Vulkan bahnen. Da ist so auf halber Höhe eine für mich unüberwindliche Barriere …
Ich bin heute nachmittag darauf gestoßen.«
  Lythande runzelte die Augenbrauen, daß der blaue Stern auf sei-
ner Nasenwurzel Falten schlug. Er überlegte kurz und traf dann seine Entscheidung: »Es sind noch viele Dinge vor der letzten
Schlacht zwischen Recht und Chaos zu erledigen, und das hier gehört sicher dazu … Wir werden dieses Hindernis gleich morgen früh einmal in Augenschein nehmen.«

So stand Eirthe also im Frühlicht wieder, und wieder mit Alnath
auf der Schulter, vor dieser unsichtbaren Barriere und verfolgte
gespannt, wie Lythande das Zauberwerk behutsam abtastete. Und
mit einemmal lachte der Magier auf und steckte einen Finger hin-
durch. »Ich kann nicht sagen, daß ich von diesem Ding hier viel
hielte«, spottete er. »So etwas würde ich als Weidezaun aufstellen,
damit die Schafe nicht die Klippen hinabfallen.«
  »Besten Dank für die Blumen«, knurrte Eirthe.
  Lythande kicherte. »Ich habe dich doch nicht zum Schaf erklärt…
  Ich wollte bloß sagen, daß, wer immer auch dieses Hindernis er-
richtet hat, kein großer Magier war oder sich dabei nicht viel Mühe
gab …« Und richtig, wo der Finger durchging, paßte auch der Arm
durch, der Kopf und der Rumpf, und da war Lythande schon halb
hindurchgeschlüpft … Er packte Eirthe am Handgelenk, rief:
  »Komm mit!« und zog sie hinter sich her auf die andere Seite.

Eirthe hatte dabei ein Gefühl wie einstens beim Eintauchen in den
Teich vor ihrem Elternhaus - nein, eher wie beim Wiederauftau-
chen … war es doch drüben sehr viel heißer und trockener als
hüben. Und je höher sie stiegen, je mehr sie sich also dem Vul-
kankrater näherten, desto heißer wurde es auch, und desto schwe-
felhaltiger und beklemmender wurde die Luft. Als sie noch etwa
vier Schritte vom Kraterrand trennten, stieß der Vulkan erneut
blubbernde Lava aus.

Lythande sprang von der Rinne zurück, in die sich die rotglühende
Masse ergoß, und riß auch Eirthe mit, die in all den Jahren wohl
verlernt hatte, schnell auf Hitze zu reagieren. Und aus der Tiefe
des Vulkans erhob sich nun die reinste Sopranstimme, die man
sich vorstellen kann, und sprach: »Gut, daß ihr kommt. Es ist
schon so lange her, daß mir jemand eine Jungfrau als Opfer ge-
bracht hat.«

Da holte Eirthe Luft, um lautstark zu protestieren - bekam dabei
aber so viel Schwefel in die Lungen, daß sie keuchte und hustete
und eine Weile lang kein Wort mehr hervorbrachte. Doch sie
nutzte ihren Hustenanfall, um nachzudenken: Sie war keine Jung-
frau mehr, Alnath ebensowenig (was aber nur von Bedeutung war,
wenn sich der Berg bei Salamanderinnen darum scherte, ob sie
jungfräulich seien oder nicht). Was ja sein konnte. Wer hätte denn
sagen können, was so ein Vulkan für wichtig hält? Aber hieß das
etwa, daß Lythande nach einem Leben, das schon wer weiß wie
viele Menschenalter maß, noch immer unberührt war?
  »Wie kommst du darauf, daß wir eine Jungfrau unter uns hätten?«
fragte Eirthe, als sie ihre Stimme wiederhatte. »Oder hier sind, um
dir eine darzubringen ?«

»Nur ein Opferzug mit einer Jungfrau kann durch meine Schranke
schlüpfen«, erklärte der Vulkan geduldig. »Ich nahm an, das sei
euch bekannt. Alier es ist ja schon viel Zeit vergangen, seither.«
  Eirthe hörte den Magier murmeln — es klang ganz nach einem
Fluch. Aber sie kümmerte sich nicht darum und fragte den
Feuerspeier:

»Du hast diese Barriere errichtet? Und warum?«

»Weil ich es satt hatte, für den ganzen Bezirk den Müllschlucker zu spielen!« erwiderte der Vulkan. »O ja, diese Leute schleppten,
was … oder wen sie bei sich nicht brauchen konnten, hier herauf
und kippten mir das in den Schlund: kranke Tiere und uner-
wünschte Neugeborene, Ermordete und ähnliches … und da kam
dann noch die Pest … Diesen Narren war wohl nicht klar, daß
Seuchenopfer einem Vulkan schreckliches Sodbrennen bereiten
können.«

»Oh, das kann ich mir schon vorstellen«, warf Lythande ein, der
sich hinter Eirthe gestellt hatte. »Daher also diese Schranke …«
  »… die nur eine Jungfrau in Begleitung irgendeines Bittstellers
überwinden kann«, schloß der Berg an seiner Statt und fragte, an
Eirthe gewandt: »Nun, junge Frau, was ist dein Begehr?«
  »Muß ich es… gleich sagen?« fragte Eirthe. »Oder habe ich noch
Zeit, darüber nachzudenken und, äh, meine Bitte in die richtigen
Worte zu kleiden?«

»Ich dachte, das hättest du schon vor dem Aufstieg getan«, meinte
der Vulkan. »Aber sei’s drum, laß dir alle Zeit, die du brauchst.
  Aber nur bis Sonnenuntergang!«
  »Wieso?« knurrte Lythande.

»Wenn mir bis dahin keine Jungfrau geopfert wird«, versetzte der
Vulkan, »breche ich aus, speie ich wieder Lava und Asche.«
  »Oh!« seufzte Eirthe. Sie war sich bewußt, daß das kein besonders
schlauer Kommentar zu ihrer Lage war, hatte aber nichts Besseres
zu bieten. So stiegen die beiden wieder etwas bergab und setzten
sich auf einen Felsblock, um ungestört darüber nachzudenken, wie
sie jetzt vorgehen sollten.

»Tut mir leid, daß ich dich da hineingezogen habe, Lythan-
de…«

»Das ist doch nicht deine Schuld«, erwiderte der Magier, fair wie
immer. »Ich hätte mir diesen Sperrzauber schon ein wenig ge-
nauer ansehen sollen.«

»Dann … bist du also Jungfrau ?!« staunte Eirthe. Anstandshalber
kämpfte sie gegen ihre Neugier an - gab das aber schnell auf und
fragte: »Mußt du jungfräulich sein, damit dein Zauber wirkt, oder
hattest du als angeblicher Mann einfach keine Gelegenheit, deine
Virginität loszuwerden?«

Lythande warf ihr einen bösen Blick zu. »Woher willst du wissen,
daß ich kein Mann bin?«

»Ich weiß nicht so recht«, versetzte Eirthe achselzuckend. »Aber
ich wußte es von Anfang an, bei unserer ersten Begegnung, habe
es aber für mich behalten, weil du das wohl geheimhalten woll-
test. «

»Tu mir den Gefallen«, sagte Lythande finster, »es auch weiter so
zu halten! Und was deine Frage angeht … ich muß für meine Magie zwar nicht unbedingt jungfräulich sein, verlöre aber meine ganze Macht, wenn ein Mann herausfände, daß ich eine Frau bin … 
  Daher habe ich mir die Männer immer vom Leib gehalten und
bin Jungfrau geblieben.«

»Nun, damit ist dieser Punkt ja geklärt«, erwiderte Eirthe. »Aber
zum nächsten: Ist dir schon ein Ausweg aus unserer … mißlichen
Lage eingefallen?«

»Ich darf doch wohl davon ausgehen«, versetzte er leicht gereizt,
  »daß du nicht erwägst, mich diesem Vulkan zu opfern?«
  »Natürlich nicht!« entrüstete sie sich. »Ich … könnte niemanden
umbringen. Den Kältefluch verdanke ich ja meiner Weigerung,
einem Hexer Kerzen zu fertigen, mit denen er Menschen töten
wollte. Da werde ich doch nicht dich opfern, um ihn wieder los-
zuwerden! Oh, lieber verflucht bleiben, als zur Mörderin zu wer-
den …«

Lythande hob die Brauen und sah sie respektvoll an. »Es tut gut,
zur Abwechslung jemanden vor sich zu haben, der bereit ist, für
seine Grundsätze zu leiden. Ich sähe dich nur zu gern von deinem
Bann befreit, habe aber nicht die geringste Lust, dafür in diesem
Vulkan zu landen«, sagte er und runzelte nachdenklich die Stirn.
  »Aber könnte es sein, daß dein Fluch in seiner Nähe irgendwie an
Kraft verloren hat?«

Eirthe trat zu der Lavarinne, schöpfte eine Handvoll Glut und be-
gann, aus der in ihren Händen schnell erkaltenden Masse eine
kleine Figur zu formen. »Es sieht mir nicht so aus!«
  Lythande starrte das schon recht lebensähnliche Figürchen an und
bat dann plötzlich: »Erzähle mir mal genau, was dieser verdammte
Hexer von dir verlangte!«

Eirthe hielt inne, um ihre Erinnerungen zu ordnen. »Er hieß Ga-
rak und wollte von mir Figurkerzen, Abbilder der reichen Händler,
die zu jenem Frühjahrsmarkt kamen. Ich hatte den Stand meines
Vaters übernommen, der im Winter gestorben war. Und als Garak
mit diesem Auftrag kam, fiel mir ein, daß mein Vater im Jahr
zuvor so eine Kerze nach einem Goldschmied gemacht hatte … die
war nach einem seiner Zechgelage mit Garak weggewesen … bald
danach ist dieser Goldschmied in seinem eigenen Bett verbrannt,
angeblich, ohne daß auch nur die Laken verkohlt wären. Ja, und
danach hatte Garak mit einemmal sehr viel mehr Geld …«
  »Das Gesetz der Ähnlichkeit«, murmelte Lythande. »Ob der wohl
in Schutzgelderpressung machte?«

»Das war auch mein Verdacht«, sagte Eirthe. »Aber ich konnte
ihm nichts beweisen. Ich habe mich jedoch geweigert, ihm den
Gefallen zu tun … und da er ja nicht gerade ein guter Hexer war,
war ich mir ziemlich sicher, daß er es ohne meine Hilfe nicht
durchziehen könnte. Unglücklicherweise lernte er dann eine Sekte
kennen, die verbotene Götter verehrte, und von der bekam er die
Macht für den Fluch.«

Lythande starrte in Gedanken versunken vor sich hin, als er nun
die kleine Figur einer jungen Frau vervollkommnete, bis sie ganz
lebensecht aussah.

»Du meinst also«, hob er wieder an, »daß deine Figurkerzen genug
Magie enthalten, um als Smili dieser Menschen dienen zu können?«

»Ja, wahrscheinlich … ich habe mir noch nie so Gedanken darüber
gemacht«, erwiderte Eirthe unsicher und musterte das Figürchen
in ihren Händen. »Lythande? Meinst du, der Vulkan würde das
hier als Jungfrau annehmen?«

»Das Material ist jedenfalls jungfräulich. Etwas Jungfräulicheres
als frische Lava wirst du nie finden!« versetzte der Magier, nahm
Eirthe das Standbild behutsam ab und musterte es sinnend. »Und
es steckt so einiges an Leben darin, von der Essenz des Vulkans wie
von deiner formenden Hand.« Damit gab er ihr die Figur wieder
und meinte achselzuckend: »Es ist einen Versuch wert, denke ich.
  Faß deinen Wunsch in Worte, aber wähle sie gut… Unser Vulkan dürfte zwar kaum so schwierig und boshaft sein wie das Gros der
Dämonen, aber in der Wortwahl sollte man immer sehr präzise
sein.«

»Überleg dir genau, worum du bittest, denn dein Wunsch könnte
in Erfüllung gehen«, sagte Eirthe leichthin.

»Wird in Erfüllung gehen, da bin ich fast sicher«, verbesserte Ly-
thande.

Eirthe nickte. »Ich werde mich bemühen!« versprach sie. »Aber
das ist wenigstens eine Jungfrau, die dem Vulkan wohl kein Sod-
brennen bereitet!«

So stiegen sie denn zum Kraterrand empor und starrten alle drei,
auch Alnath auf Eirthes Schulter, in die brodelnde Tiefe hinab.
  »Hast du dir deinen Wunsch überlegt?« fragte der Vulkan.
  »O ja«, sagte Eirthe und wählte ihre Worte mit Bedacht: »Ich bin
Kerzenmacherin und stehe unter einem Fluch, der bewirkt, daß
mir das Feuer unter den Händen ausgeht und meine Kerzen nicht
brennen wollen. Ich möchte davon befreit werden, aber nicht so,
als ob es diesen Fluch nie gegeben hätte. Er soll nur von nun an
aufgehoben sein, aber für alle Kerzen weitergelten, die ich früher
gefertigt habe.«

»Sehr gut«, antwortete der Feuerberg. »Gib mir die Jungfrau, und
ich erfülle dir deinen Wunsch!«

Da warf Eirthe die kleine Figur, die sie aus Lava geformt, in die
Tiefe, schloß die Augen, hielt den Atem an und begann, auf Teufel
komm raus zu allen Gottheiten zu beten, die ihr zuhören mochten.
  Trotzdem war ihr, als ob man sie plötzlich in die Hölle gestoßen
hätte. Zuerst dachte sie, der Vulkan sei doch noch ausgebrochen.
  Roten Schein sah sie durch ihre geschlossenen Lider, ein Donnern
und Röhren, von Alnaths Schreien durchsetzt, drang in ihre Oh-
ren, und jeder Quadratzentimeter ihrer Haut schien in hellen
Flammen zu stehen… Erst Minuten später ging ihr auf, daß je-
mand sie auf der Schulter eilends bergab trug. Dann spürte sie, wie
sie wieder durch die Schranke gezogen wurde, und dann war
schlagartig Schluß mit Lärm und Licht, der Hitze auf ihrer Haut
und der beklemmenden Luft.

Lythande ließ sie sanft auf den Boden gleiten, kniete sich rasch neben sie und fragte besorgt: »Was ist denn geschehen ?«

»Ich weiß nicht recht«, sagte Eirthe zögernd, zitternd, und sah nervös zum Krater empor. »Der Vulkan ist doch nicht explodiert, oder?«

»Nein, bestimmt nicht«, beruhigte Lythande sie. »Er hat das
Opfer angenommen, und der Lavastrom versiegte. Aber dann be-
gann Alnath zu schreien, und du bist zusammengeklappt und um-
gefallen. Da habe ich dich gepackt und rausgebracht.«
  Eirthe erschauerte. »Ich glaubte schon, ich wäre statt der Figur
hineingeworfen worden«, sagte sie und wandte den Kopf zur Seite,
um Alnath anzusehen - und da spürte sie zum erstenmal die Hitze,
die von der Feuersalamanderin ausging. »Alnath, ist bei dir alles in
Ordnung?«

»Ja, sicher«, erwiderte die, »aber ich fühlte mich wirklich wie im
feurigen Schlund des Vulkans!«

Nun nickte Eirthe. »Vielleicht, weil in der Figur zu viel von mir
war oder … hoffentlich … weil das zur Reinigung von dem Fluch
gehörte!« sagte sie und richtete sich etwas wackelig auf. »Wo ist
nur mein Gürtelbeutel geblieben? Ah, da ist er ja!« Sie holte den
Feuerstein und den Stahl heraus und schlug sie gegeneinander. Da flogen die Funken nur so, und einige landeten auf dem Saum ihres Umhangs … Eirthe schlug sie hastig aus, fuhr dann aber mit einem Schrei zurück. »Autsch! rief sie und besah die kleine Brandwunde an ihrer Hand. «Nun, der Fluch ist offenbar aufgehoben, und ich muß mich wohl wieder an den Umgang mit Feuer gewöhnen.«

Lythande lächelte und mahnte: »Überleg dir immer genau, worum du betest…«

»… denn dein Wunsch wird in Erfüllung gehen«, schloß Eirthe an ihrer Statt.