LINDA GORDON
Den Teilnehmerinnen meiner Schreibkurse sage ich immer: »Leute, es gibt im Grunde nur zwei Plots oder Handlungsmuster … beim einen bekommen die Guten, was sie sich ‘wünschen, und beim anderen kriegen die Bösen, was sie verdienen.« Diese Geschichte hier zählt eindeutig zur zweiten Kategorie.
Linda Gordon ist in dieser Reihe keine Unbekannte mehr. Sie hat es aber leider versäumt — vielleicht, weil sie Knall auf Fall aus ihrer Wohnung ausziehen mußte —, für diesen Band ihre Biographie auf den neuesten Stand zu bringen. Also steht es Ihnen frei, sie sich als eine Professorin vorzustellen, die sich im Elfenbeinturm Storys ausdenkt, oder als überlastete Hausfrau, die zugleich fünf Kinder großzuziehen und zu schreiben versucht. (Es gibt Fälle, da hat das geklappt.) Ich stelle sie mir als Lastwagenfahrerin vor, die schreibt, wenn sie mit ihrem Mann auf all den großen Straßen unterwegs ist. Oder verwechsle ich sie vielleicht mit jemand anderem ? Ihr Lebenslauf müßte eigentlich irgendwo hier sein, weil sie in den Bänden V und VI der Magischen Geschichten vertreten war.
Wenn ich ihn doch nur fände in diesem Durcheinander … In meinem Beruf müßte man vier Hände haben! — MZB
LINDA GORDON
Das Buntglasbild
Cathon war nicht schnell genug, als sie dem Stockhieb der Königin auszuweichen suchte. Der lederbezogene Stab grub ihr knapp unter ihrem dunkelbraunen Auge einen blutigen Striemen in die Wange.
Wutentbrannt hob sie die Hand, um der Königin einen Feuerball ins Gesicht zu schleudern.
»Nicht so hastig, Hexe«, höhnte die um Jahre ältere Königin Isra und hielt drohend ein Fläschchen empor, in dem etwas lavendelblau glühte und schillerte. »Wenn mir das hier entglitte, könnte es zu Bruch gehen!«
Da erstarrte Cathon und holte, gebannt auf das Fläschchen sehend, tief Atem, um ihren Zorn zu zügeln, und ließ, wenn auch sichtlich widerwillig, die erhobene Hand sinken.
Königin Isra lächelte triumphierend. »Du bekommst es zurück, wenn du mir mein Spezialglasbild rechtzeitig zu dieser gottverdammten Geburtstagsfeier Seiner Majestät fertigstellst«, drängte sie und schwenkte dabei lockend die winzige Flasche. »Wozu brauchst du das Bild?« fragte Cathon. Ihre Augen waren auf Isras Gesicht gerichtet, ihre Gedanken aber auf das Fläschchen in ihrer Hand.
»Nun, als Geschenk für Seine Majestät natürlich«, erwiderte Isra krampfhaft lächelnd.
Da seufzte Cathon und sagte: »Isra, so ein Buntglasbild ist kein Präsent für diesen König.«
Isra verbiß sich ihr Lächeln und knirschte mit den Zähnen. »Für dich, Hexe, immer noch >Königin Isra<! Ich bin Königin!« zischte sie und rollte die Flasche in ihrer Hand gefährlich hin und her -was auf Cathon seine Wirkung nicht verfehlte. »… Königin… Isra«, verbesserte sie sich zögernd, dachte aber dabei: Für andere magst du Königin sein, aber nicht für mich, du Ausgeburt der Hölle, du!
Die Königin dankte ihr die Reverenz mit einem flüchtigen Lächeln.
»Ich weiß, daß du deiner Kunst gern im verschwiegenen nachgehst«, sagte sie und beugte sich zu Cathon vor. »Um dein Geheimnis hüten zu können … damit niemand erfahre, daß du dort mehr als nur deine schönen Glasbilder machst«, knurrte sie. »Aber ich weiß nun um dein Geheimnis, Hexe, und werde das zu nutzen wissen.« »Wer hat es dir verraten?«
»Hab keine Angst«, versetzte Isra schmalen Blicks, »und denk auch nicht an Rache!« »Was soll das heißen?«
»Manche Leute glauben«, erwiderte die Königin achselzuckend, »sie könnten mir ihre Gedanken und Kenntnisse verheimlichen. Aber ein weißglühender Schürhaken und ein scharfes Messer in meiner Hand können da Wunder wirken und sie schnell eines Besseren belehren.« Jetzt lächelte sie wieder und genoß sichtlich Cathons Bestürzung. »Aber sei ohne Angst. Dein Geheimnis ist sicher, jetzt wissen ja nur noch du und ich darum.« Cathon kannte in diesem Lande niemanden, der von ihrem besonderen Talent wußte. Und all die, denen sie früher damit geholfen hatte, hatten Verschwiegenheit schwören müssen. Aber vielleicht war die Person, der Isra ihr Geheimnis entrissen hatte, jemand aus ihrer Vergangenheit. Oder jemand, der es zufällig erfahren hatte. Aber mochte dieser Jemand auch Dinge ausgeplaudert haben, die besser für immer unausgesprochen geblieben wären - sie hatte Mitleid mit ihm, denn er mußte furchtbar gelitten haben …
»Hör, Hexe«, fuhr Isra fort. »Vielleicht sollte ich dir erklären, was es mit jener leider Tradition gewordenen Geburtstagsfeier auf sich hat. Mein Gemahl lädt zu diesem gottverdammten Fest nämlich immer auch all seine Untertanen ein. Also nicht nur«, betonte sie mit angewiderter Miene, »die Leute von Stand und Wohlstand, auch die gemeinen Bürger und Bauern, die Habenichtse.« Dabei schnaubte sie voller Abscheu durch ihre zierliche Nase. »Ich könnte so viel reicher werden, wenn er als Eintritt eine Gabe in Gold oder auch Juwelen verlangte, aber nein!« Sie verstummte zornig und schritt heftig auf und ab. »Mein Mann ist ein richtiger Schafskopf … Er löst Streitigkeiten mit Nachbarreichen lieber durch Verhandlungen als mit Waffengewalt und erläßt allen Unter-tanen, die er für arm hält, doch glatt die Steuern, zu deren Einführung ich ihn ja mit großer Mühe überredete.« Wieder schnaubte sie verächt-lich durch die Nase. »Seine ewige Güte und Milde bringt mich noch um!«
Aber Cathon knurrte bei sich: Mögen die Schicksalsschwestern uns gnädig sein!
Isra barg das Fläschchen in einem Samttäschchen an ihrem Gürtel und neigte sich zu Cathon vor. »Man hat mir berichtet, es genüge, daß er dein Spezialglas berühre, es in die Hand nehme … schon raube es ihm sein inneres Wesen. Dann sei er nur noch eine leere Hülse, äußerlich zwar der Mann, der er einmal war, aber nun ein Mann, den ich mit dem kleinen Finger lenken könne«, sagte sie und kicherte böse. »Dann wird das ganze Königreich mein, wie es sich gehört, und doch wird niemand etwas davon ahnen.« Nun schwieg sie nachdenklich und sagte dann lächelnd: »Er wird für immer gefangen sein.«
Cathon musterte sie und sah flüchtig auf das Gürteltäschchen. Ob die Königin wußte, wie dringend sie ihr inneres Feuer benötigte, um nicht zu vergehen?
Sie spürte schon, wie ihre Kräfte schwanden und eine eisige Kälte in ihr wuchs. »Du willst dieses Bild also wirklich?« Wieder sah Isra sie finster an. »Ja! Ich, eine starke Frau, muß hier die Zügel übernehmen. So ein Schwächling wie mein Mann taugt nicht zum Regieren«, sagte sie, und ihre dunklen Augen funkelten höhnisch.
»Und sollte mir als heimlicher Herrscherin ein kleiner Fehler unterlaufen, muß Seine Majestät dafür bezahlen, aber nicht ich!«
Nun holte sie das schimmernde Fläschchen hervor und hielt es gut sichtbar empor - und Cathon knirschte in ohnmächtigem Zorn mit den Zähnen.
»Du wirst mir«, flüsterte die Königin, »dieses spezielle Glasbild machen, Hexe … Mit schönen Blumen oder dergleichen, damit es mir bis ans Ende meiner Tage ein schöner Anblick sei. Ich will es ihm unter vier Augen überreichen, kurz vor Beginn des Festes. Und das findet, wie ich hinzufügen möchte, in diesem Jahr zum letzten Mal statt«, schloß sie, zog die Braue hoch und sah Cathon fragend an.
»So ein Buntglasbild braucht aber seine Zeit, Königin Isra.« »Oh, nimm dir alle Zeit, die du benötigst«, erwiderte die Königin flammenden Blicks. »Aber sieh bloß zu, daß es vor dem Fest fertig ist.«
Cathon zog sich ihren fadenscheinigen schwarzen Umhang fester um die Schultern und beugte sich über ihre Arbeit. Eine innere Kälte quälte sie, sie wurde zusehends blasser und fühlte sich von einer lähmenden Schwäche überkommen.
Aber als sie auf ihrer Vorzeichnung, die einen fliegenden Falken zeigte, nun die roh zugeschnittenen Glasstückchen anordnete, trat ein spöttisches Lächeln auf ihr Gesicht … und sie flüsterte bei sich: »Ein Geschenk für den König muß ihm auch gefallen können !«
Es waren alles farblose Gläser, die sie da zurechtlegte - manche durchsichtig wie Bergkristall, manche opak und manche geriffelt, als ob man Wasser darüber geschüttet hätte … Aber das Glas, das den Falken umgeben sollte, war milchig mattiert. Nun schliff sie mit dem surrenden Schleifstein jedes Teil sorgsam zurecht, bis es sich mühelos an seinem Platz einfügen ließ. Als der Falke ganz zu ihrer Zufriedenheit gelegt war, sprach sie ihr Zauberwort darüber und versah Glasstückchen um Glasstückchen mit einer Fassung aus einem besonderen, pergament-dünn gewalzten Metall.
Doch schon wurde sie wieder von Kälteschauern geschüttelt. Bald hätte sie nicht mehr die benötigte innere Hitze, um die Fassungen aneinander löten zu können, und dann würde das Falkenbild ja nicht fertig werden.
Sie durfte also keine Zeit mehr verlieren! Daher riß sie sich zusammen und prüfte noch einmal ihr Werk, und als sie nun sah, daß es gut war, machte sie sich daran, mit einem Glühstab, den sie mit der ihr gebliebenen Körperwärme heizte, die Bildteile punktweise aneinanderzulöten. Darüber wurde der Abend zur Nacht und die Nacht zur Hexenstunde, und als die Hexenstunde vorüber war und der Tag anbrach und mit seinem Licht neues Leben in ihre Welt brachte, war das Glasbild vollendet.
Erleichtert hielt sie ihr Werk gegen das goldene Frühlicht, das nun in ihre stille Werkstatt fiel. Wunderschön war er anzusehen, der Falke, und prächtig, wie er da mit gebreiteten Schwingen über den Wolken aus Milchglas schwebte. Cathon lächelte matt. Er würde ja noch viel schöner, wenn erst die Farben herauskämen !
Nun könnte sie sich Ruhe gönnen, denn bis zum Fest hatte sie noch einen ganzen Tag Zeit. Und ihr ging es ja wirklich nicht gut: Die Knochen schmerzten, die Augen brannten ihr, und aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. Sie zog ihr Cape fester um sich.
Aber es half nichts. Diese Kälte kam von innen. Ja, sie brauchte dringend die feuergleiche Substanz, die ihr die Königin mit List entwendet hatte. Sie brauchte ihre Essenz. Cathon wankte zu der schmalen Pritsche, ließ sich auf den harten Strohsack fallen und zog sich ihre alte Wolldecke bis übers Kinn. Ihr war ja so kalt, und ihr wurde immer kälter. Aber heiß brannte der von der rauhen Decke gestreifte Striemen auf ihrer Wange, und sie befühlte behutsam das schändliche Mal. Sie kämpfte gegen die fürchterliche Müdigkeit an, die sie erneut überkam und ihr immer wieder die Augen zufallen ließ. Würde sie durchhalten können, um Isra das Falkenbild zu überreichen? Aber mit dem Schmerz in ihrer Wange flammten auch ihr Zorn und ihre Entschlossenheit von neuem auf, womit auch die Frage beantwortet war …
Allerlei Gedanken und Erinnerungsfetzen gingen ihr durch den Sinn — bruchstückhafte Erinnerungen an längst vergessene Länder und an Menschen, die sie nie mehr wieder gesehen hatte, an angenehme und weniger angenehme Geschehnisse und Dinge … Die Augen fielen ihr zu, und ein Gefühl der Wärme überflutete sie.
Da pochte es an die Werkstattür.
Cathon wälzte sich zur Seite und versuchte, das störende Geräusch zu überhören. Aber es riß sie unbarmherzig aus den warmen Tiefen ihres Schlafs.
Das Klopfen wurde lauter und ungeduldig.
Nun schlug Cathon seufzend die Augen auf und erhob sich unwillig von ihrem Lager. Schlaftrunken warf sie sich ihre Decke über und stolperte zur Tür und öffnete. Dabei war ihr, als ob diese Tür um vieles schwerer sei als noch am Abend zuvor. »Hast du das Bild?« fragte die Königin ohne ein Wort des Grußes und drängte sich an ihr vorbei in die Werkstatt. »Ja, es ist fertig«, murmelte Cathon, zog sich die Wolldecke fest um die Schultern und stieß ihre Tür zu. »Hast du mein Fläschchen mit?«
»Zuerst das Bild, Hexe«, sagte Isra und sah ungeduldig von Cathon zu der mit vielen Glasbildern übersäten Werkbank und dann wieder zu Cathon. »Ich sehe da aber kein Blumenbild.« »Wie soll ich denn wissen, ob du Wort hältst und mir mein Elixier wiedergibst?«
Die Königin nahm lächelnd das Fläschchen aus der Gürteltasche und hielt es ihr vor die Nase. »Ich dachte mir schon, daß du das gute Stück erst hervorholst, wenn du das Feuer hast. Aber vergiß nicht … ich kann es mir wieder holen, wenn es sein muß.« Nun reichte sie ihr, wenn auch widerwillig, das blaue Fläschchen. »Und jetzt, wo ist mein Glasbild?«
Cathon hob das Fläschchen an ihre Brust und prüfte mit magischen Sinnen, ob die Königin es mit einem Zauber belegt hätte. »Da auf dem Tisch, das Falkenbild da«, sagte sie rasch und entkorkte die offenbar unverhexte Flasche. Und die Substanz darin quoll sofort heraus, stieg empor und verschwand in ihrer Brust. Eine wohlige Wärme breitete sich jetzt über ihren Körper aus, und ihre Kraft kehrte im Nu wieder.
»Was soll denn das, Hexe?! Ich hatte mir doch ein Bild gewünscht, das ich in meinen Gott weiß wie vielen restlichen Jahren mit Lust und Freude betrachten kann. Und Falken kann ich nicht ausstehen«, schimpfte Isra und sah sie böse an.
»Aber der König vermutlich, und das soll ja ein Geschenk für ihn sein. Oder sollte es ihm etwa nicht gefallen?« versetzte Cathon, ging zur Werkbank, nahm ihr Bild und hielt es der Königin hin.
»Gib schon her«, rief die und riß es ihr aus den Händen - aber da spürte sie schon, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Sie hörte Cathon noch murmeln: »Wie gesagt, Isra… das ist kein Geschenk für diesen König …« Aber ihre Gedanken waren woanders. Denn sie fühlte, daß aus ihrem ganzen Leib, von den entlegensten, tiefsten Stellen, dünne Fäden eines Etwas gezogen wurden und daß ihr mit diesem zarten Etwas alle Kraft schwand und eine Leere an deren Stelle trat. Ihre Gedanken verwirrten, verflüchtigten sich, ihre Augen brannten, und in ihrem Schädel hallten Cathons Worte wider. Sie versuchte, von der Hexe zu weichen und das Falkenbild loszulassen, und wäre am liebsten fortgerannt - irgendwohin, nur möglichst weit weg. Aber plötzlich war sie nicht einmal mehr des Wünschens fähig, und ihre Willenskraft schwand und schwand. Sie hörte zwar die vor ihr stehende Frau sprechen. Aber was sie sagte, kam von so ferne her und klang so fremd, daß sie es nicht recht verstand und fragend die Stirn runzelte.
»Teufelsglas, Isra, mein Spezialbuntglas, es verhext nur Menschen wie dich, die, die ein böses Herz haben. Aber guten Menschen, wie meinem König, kann es nichts anhaben«, sagte Cathon, nahm ihr das Falkenbild aus den bebenden Händen und hielt es gegen das Licht.
Da färbten sich all die Glasstückchen in den prächtigsten Farben, in vielerlei Abstufungen von Dunkel- und Gelbbraun, von Gold und Lavendel, und sie gaben dem Falken Glanz und Leben. »Nun hast du dein Buntglasbild, dein Geburtstagsgeschenk für den König«, sagte Cathon und drehte sich zu Isra um und hielt ihr das schöne Stück hin.
Aber die Königin riß nur die Augen auf und wich jäh einen Schritt zurück. »Bunt … Buntglas …«, murmelte sie stirnrunzelnd. Da war von Glas die Rede gewesen, Glas, mit dem sie etwas tun solle …
»Wie gesagt, Isra, es schadet nur den Bösen. Und nun verstehst du vielleicht auch, warum es Teufelsglas heißt.«
Die Kunde von der plötzlichen Erkrankung der Königin verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Reiche. Man sagte, ein hitziges Fieber habe ihren Geist verwirrt und verzehrt und man könne rein gar nichts für sie tun. Aus ihrer Umgebung war zu vernehmen, daß sie wie halb anwesend und halb abwesend sei, und viele wunderten sich über das merkwürdige Verhalten, das sie an den Tag legte.
Aber der König ließ erklären, das Fest finde wie üblich statt. Er glaube, daß dies ganz im Sinne der Königin sei und wünsche allen Frohsinn und Freude.
Der große Tag brach an. Bürger und Bauern, hohe Herren und Damen, aber auch Musikanten, Gaukler und Zauberer und viele andere kamen von nah und fern herbei. Bald erklangen die Fiedeln und Flöten, die Pfeifen, Trommeln und Lauten, und ihre Weisen mischten sich mit Gesang und fröhlichem Geplauder. Ein warmes Lüftchen ging und trug den herrlichen Duft von Braten, Gemüse und frisch gebackenem Kuchen bis in die hintersten Winkel der Stadt, und allerorten lud man zu Spielen für Ritter, Bürger oder Bauern, Frauen und Kinder. Die Festgäste schlenderten Arm in Arm umher und hielten hier, um ein wenig zu schwatzen, und dort, um ihre Gläser oder ihre Teller nachzufüllen.
Viele hatten auch diesmal wieder ungefragt ein Geschenk für den König mitgebracht, und sie alle stellten sich jetzt, stolz ihre mit viel Liebe ausgewählten Gaben haltend, längs des mit dicken Seilen abgegrenzten Bereichs in einer langen Reihe auf, um ihrem Herrscher ihr Präsent zu überreichen.
Auch Cathon reihte sich ein. Mit ihrem Buntglasbild im Arm, das mangels eines Geschenkpapiers in fadenscheiniges Tuch geschlagen war, rückte sie nun langsam zum König vor. Sie sah, wie die hohen Herren der Nachbarreiche ihm Kostbarkeiten aus feinstem Gold und Silber schenkten und die weniger Begüterten und die Habenichtse ihm Daunen- und Wolldecken, Töpferwaren und Lederarbeiten, Kräuter und Gewürze, Backwaren und ähnliches mehr verehrten.
Und ihr entging auch nicht, daß der König jede dieser Gaben mit aufrichtiger Dankbarkeit entgegennahm.
Und ihr Bild fest an sich drückend, rückte sie Schritt um Schritt nach, bis auch sie endlich an die Reihe kam.
Sie sah zum König auf, der in einem riesigen, aus dem großen Saal herbeigeschafften Sessel thronte und mit Wohlgefallen auf all die Geschenke blickte, die seine Diener auf einem Tisch ausgebreitet hatten. Und sie sah zur Königin hin, die an seiner Seite saß und das Geschehen ruhig, aber leicht abwesend verfolgte. Als der König jetzt den warmen Blick seiner grauen Augen auf sie richtete und sie freundlich anlächelte, machte sie einen tiefen Knicks und sprach:
»Eure Majestät, nehmt dieses Geschenk von mir an. Ich habe es mit großer Sorgfalt für Euch gefertigt.« Und sie erhob sich und reichte ihm ihre Gabe.
»Ich danke dir«, erwiderte der König, enthüllte behutsam ihr Bild und hob es vor die Sonne. So betrachtete er es lange … und sein Lächeln vertiefte sich dabei. »Ein Falke … Er ist wunderschön!« sagte er endlich, drehte sich zu Isra um und hielt ihr das Bild hin. »Schau, Liebes, ist das nicht prachtvoll?«
Seine Stimme ließ die Königin den Kopf wenden, und als ihr Blick auf das Bild fiel, weiteten sich ihre Augen. Aber dann zuckte sie vor dem Falkenbild zurück, ohne ein Wort zu sagen. Da drehte der König sich zu Cathon um. »Meine Frau ist nicht mehr dieselbe, bitte verzeihe ihr Verhalten«, sprach er und hielt das Buntglasbild erneut gegen das Sonnenlicht. »Das lasse ich in ein Fenster unseres Schlafgemachs hängen«, sagte er und nickte. »Hab Dank für dieses schöne Geschenk!«
»Oh, bitte sehr, Hoheit«, versetzte Cathon lächelnd und verbeugte sich, trat sodann einen Schritt zurück und mischte sich unter die festliche Menge.
Da ihr Geschenk so gut aufgenommen worden war, ließ sie sich nun gern von den köstlichen Essensdüften locken … fragte sich aber noch, obwohl ihr Magen begehrlich knurrte, wer die Königin zu dem Irrglauben verleitet haben könnte, daß sie mit einem Buntglasbild von ihrer Hand diesem gutherzigen König etwas anhaben könnte.
Wohl jemand, der nicht wußte, was er tat, dachte sie und lächelte dabei.
Oder doch?