7
Der Mann hinter dem Rezeptionspult gab Hank die Kreditkarte zurück und reichte ihm einen Zimmerschlüssel mit großem Plastikanhänger. »Abreisezeit ist elf Uhr«, sagte er.
»Danke.« Hank drehte sich um und blieb abrupt stehen, als er den Mann sah, der durch die Lobbytür schritt.
Er war ungefähr zwanzig Jahre alt, dick und trug eine Brille. Sein puterrotes Gesicht tropfte vor Schweiß, und die Wangen schwabbelten beim Gehen. Eine brennende Zigarre klemmte zwischen seinen Zähnen.
In jeder Hand trug er einen Eimer.
Die Eimer waren voll. Flüssigkeit schwappte über den Rand.
Hank roch den beißenden Gestank von Benzin.
»Heilige Scheiße«, murmelte er.
»Aus dem Weg«, sagte der Mann mit hoher, mädchenhafter Stimme.
Hank wich vom Pult zurück.
Der Fremde ging darauf zu.
Der Mann vom Hotel wirkte verblüfft. »Ich hab Ihnen doch gesagt …«
»Ich scheiß drauf, was du gesagt hast, Mordock.«
Hank wich weiter zurück.
Der Mann mit der Zigarre stellte einen der Eimer auf den Boden. Er hob den anderen und schwang ihn mit beiden Händen.
Die bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte hinaus und spritzte Mordock, der Augen und Mund fest zukniff, über das Gesicht und die Brust.
»Was hast du mit ihr gemacht?«, fragte der dicke Mann. Er nahm die Zigarre aus dem Mund und schnippte Asche auf das Pult.
Mordock, an dem das Benzin heruntertropfte, starrte ihn blinzelnd an und schüttelte hektisch den Kopf »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass niemand namens Amy Lawson jemals hier eingecheckt hat. Ich habe Ihnen die Kartei gezeigt. Ich habe nie von ihr gehört. Tun Sie die Zigarre weg! Kommen Sie, Mister!«
»Sie war hier.«
»Wenn ihr etwas zugestoßen ist, dann war es nicht meine Schuld. Ich habe nichts damit zu tun.«
»Warum hast du dann ihre Meldekarte weggeworfen?«
»Das stimmt nicht. Ich habe Ihnen gesagt …« Plötzlich hielt Mordock einen Revolver in der Hand.
Hank warf sich zu Boden. Der erste Schuss dröhnte in seinen Ohren, kurz nachdem er landete. Er sah, wie der dicke Mann zuckte und die Zigarre wie einen Dartpfeil warf. Mordock schoss weiter, während die Zigarre auf ihn zuflog. Die Kugeln trafen den dicken Mann. Einige traten am Rücken wieder aus, bauschten sein weißes Hemd auf und ließen Blut herausspritzen. Eine andere erwischte ihn im Gesicht. Sein Hinterkopf platzte auf.
Mordock gab seinen letzten Schuss, der das Ziel zu verfehlen schien, in dem Moment ab, als die Zigarre ihn entzündete.
Er war eine Fackel. Der dicke Mann war von Kugeln zerrissen.
Sie sahen sich einen Augenblick lang an – zwei tote Männer.
Der Dicke fiel nach vorn. Seine Brust stieß gegen die Kante des Pults. Die Knie gaben nach. Als er zusammensackte, knallte sein Kinn auf die Kante, und der Kopf wurde nach hinten geworfen. Er taumelte zur Seite. Seine Schulter traf den Benzineimer auf dem Boden und warf ihn um.
Mordock begann zu schreien.
Hank stemmte sich auf Händen und Knien hoch. Ein Arm legte sich um seinen Rücken.
»Hank! Hank!«
Chris hockte neben ihm.
Er starrte Mordock an und stand auf.
Der Mann brüllte und zappelte mit den Armen. Er stand von Kopf bis Fuß in Flammen, sein Gesicht warf Blasen.
Er sprang über das Rezeptionspult.
»Nein!«, schrie Hank.
Mordock landete mit den Füßen auf dem Bauch des dicken Mannes. Er schwankte, fiel auf die Knie und entzündete dabei die Benzinlache aus dem zweiten Eimer. Brüllend sprang er auf und rannte zur Tür.
Mordock hinterließ brennende Fußabdrücke auf dem Teppich.
Er krachte mit dem Kopf voran durch die linke Glastür, fiel flach auf den Betonboden direkt vor dem Hotel und blieb dort liegen.
Chris rannte bereits zu ihm. Hank folgte ihr, erwischte sie an der Schulter und hielt sie auf.
»Wir müssen ihm helfen!«
»Vergiss es. Er ist erledigt.«
»Was sollen wir tun?«
Ein Wassertropfen fiel auf Chris’ Nase und lief daran hinab.
Hank blickte nach oben. Die Sprinkleranlage war ausgelöst worden, doch es spritzte kein Wasser heraus – es tropfte nur. Er konnte es nicht fassen. »Dieser Dreckskerl muss das Wasser abgestellt haben.«
Hank wirbelte herum. Der Bereich um das Rezeptionspult war ein einziges Inferno, Flammen erklommen die Wand dahinter, umhüllten die Theke, leckten nach der Decke, breiteten sich auf dem Teppich aus.
Er entdeckte zwei Münztelefone neben den Toilettentüren. Dort brannte es noch nicht, bis jetzt. Er packte Chris bei der Hand und zog sie darauf zu. »Hast du Kleingeld?«
»Ich glaub schon.«
Sie erreichten die Telefone. Chris wühlte in ihrer Tasche, fand ihre Geldbörse und nahm einen Vierteldollar heraus. »Ruf du an«, sagte Hank. »Ich bin gleich wieder da.«
Als sie den Hörer abhob, stürmte Hank zum Touristenzentrum. Er zog die Glastür auf. Es waren ungefähr hundert Leute in der Halle: Sie schlenderten durch den Andenkenladen, standen an der Snackbar oder warteten in der Schlange auf die nächste Führung.
»Alle mal herhören!«, rief er. Ein paar Leute sahen zu ihm. Andere fuhren mit ihren Beschäftigungen fort. »In der Lobby brennt es! Verlassen Sie alle das Gebäude! Bleiben Sie ruhig, es ist genug Zeit.«
Die Leute begannen zu rufen: »FEUER!«
Paare fassten sich an den Händen. Eltern packten ihre Kinder, nahmen die Kleinen auf den Arm. Alle liefen zu den Ausgängen an der Seite und hinten im Raum.
Es gab eine Menge Ausgänge.
Ihnen wird nichts geschehen, dachte Hank.
An der hinteren Wand glitten zwei Aufzugstüren auf.
Eine Besichtigungsgruppe kam aus der Höhle zurück.
»Gott sei Dank«, murmelte Hank. Er rannte auf die Aufzüge zu, während die Leute herausströmten.
Für Paulas Gruppe ist es noch zu früh, dachte er. Nein, das stimmt nicht. Sie ist hier. Bitte, lass sie hier sein!
Er ließ den Blick über die aussteigenden Leute schweifen. Es mussten ungefähr dreißig sein. Er konnte Paula nicht entdecken.
Er war fast bei den Aufzügen angelangt, als die ohrenbetäubende Sirene des Feueralarms einsetzte.
Die Führerin, eine attraktive junge Frau, drehte sich zu ihrer Gruppe und hob die Arme. »Alle ruhig bleiben!«, rief sie. »Folgen Sie mir. Wir sind gleich draußen.«
Hank erreichte die Gruppe. »Paula!«, schrie er. »Paula!«
Sie war nicht dabei.
Vor Angst verkrampft, lief er zu der Führerin. »Sind Sie Darcy?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich heiße Lynn. Darcy ist unten. Was ist hier los?«
»Es brennt in der Lobby.«
»O Mann.«
»Bringen Sie sie raus«, sagte Hank.
Lynn begann, ihre Gruppe hinauszuführen.
Hank stürmte an den Leuten vorbei.
Der Alarm verstummte. Das Licht ging aus. Er sprang in einen der Aufzüge und drückte den »Abwärts«-Knopf. Nichts geschah. Er drückte wieder und wieder auf den Knopf.
Der Aufzug fährt nirgendwo hin, wurde ihm klar. Der Strom ist ausgefallen.
In ihm schien etwas zu zerbrechen. Paula.
Mein Gott.
Er sagte sich, dass sie dort unten in den Höhlen sicher war.
Sicher vielleicht, aber eingeschlossen.
Chris. Ihre Tochter ist auch da unten.
Chris hielt die Glastür auf und spähte in das Touristenzentrum. Bis auf ein paar Leute, die sich vor einem der Ausgänge drängelten, war der riesige Raum verlassen. Nur Hank war noch da.
Er rannte auf sie zu.
Chris trat durch die Tür. Hank blieb vor ihr stehen. Er zog ein grimmiges Gesicht. Chris nahm seinen Arm. »Was ist los?«
»Paula und Darcy sind noch in der Höhle. Die andere Gruppe ist rechtzeitig rausgekommen, aber sie … Die Aufzüge …« Er schüttelte den Kopf.
Chris spürte, wie sie von einer Benommenheit erfasst wurde.
»Sie sind in Sicherheit«, erklärte Hank. »Das Feuer kann sich nicht dorthin ausbreiten. Es ist nur … Ich weiß nicht, wie sie rauskommen sollen. Hast du die Feuerwehr erreicht?«
Seine Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.
»Chris? Die Feuerwehr?«
Darcy kann nicht raus.
»Chris!« Er packte ihre Schulter, schüttelte sie. Der Nebel in ihrem Kopf schien sich zu lichten. »Hast du die Feuerwehr erreicht?«
»Die Telefone waren tot.«
»Wie …? Der verrückte Dreckskerl muss die Leitung durchgeschnitten haben.«
»Aber ich habe einen Feuermelder gefunden. Ich habe die Scheibe eingeschlagen und … dann kommt doch die Feuerwehr, oder?«
»Ich weiß nicht. Ich bezweifle es.«
Chris spürte Wärme in ihrem Rücken und sah über die Schulter. Flammen tanzten hinter der Glastür. Sie hatten die Tür noch nicht erreicht, doch sie waren nicht mehr weit entfernt.
»Los«, sagte Hank. »Raus hier.«
»Sollten wir nicht … Es könnten noch Leute in den Zimmern sein.«
»Die hätten den Alarm gehört.«
Chris nickte. Der Alarm hatte nicht lange angehalten, doch er war schrecklich laut gewesen. Niemand konnte ihn verschlafen haben.
»Und wenn jemand taub ist?«, fragte sie.
»Weißt du, dass ein Tauber hier ist?«
»Nein, aber …«
»Wenn wir rumrennen und an die Türen klopfen, würde er das auch nicht hören.«
»Nein. Ja. Du hast recht.«
Hank legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie diagonal durch den Raum zu einem der Seitenausgänge. Draußen blinzelte Chris in der Helligkeit. Sie begann, in ihrer Handtasche zu kramen, doch dann fiel ihr ein, dass sie ihre Sonnenbrille am Pool gelassen hatte.
Hank zog sie mit sich, weiter vom Hotel weg. Leute liefen herum. Es gab eine Menge Autos. Sie begriff, dass sie auf dem Hauptparkplatz hinter der Anlage war.
Ich bin so desorientiert, dachte sie. Ich muss mich zusammenreißen.
Sie blieben stehen.
»Mein Auto«, sagte Hank. »Willst du einsteigen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann warte hier, Chris. Ich sehe mich um. Vielleicht hat jemand ein Autotelefon oder CB-Funk.«
Er eilte davon. Chris lehnte sich gegen die Seite seines Wagens und sah ihm nach. Und machte einen Satz nach vorn, als das von der Sonne aufgeheizte Metall ihr durch den dünnen Badeanzug den Hintern versengte.
Sie rieb sich über das Gesäß.
Sie bemerkte, was sie anhatte.
Na prima, dachte sie. Meine Kleider sind im Zimmer.
Sie sah zum Hotel. Von außen wäre niemand auf die Idee gekommen, dass darin ein Feuer wütete. Das einzige Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte, war ein dünner Schleier grauen Rauchs, der auf der anderen Seite in den Himmel stieg – wahrscheinlich drang er aus der Lobbytür, die Mordock zerbrochen hatte.
Chris überlegte, ob sie in ihr Zimmer gelangen könnte.
Ich gehe nicht wieder da rein.
Außerdem könnten die Korridore voller Rauch sein.
Kein großer Verlust, sagte sie sich. Meine Kleider, aber … oh, Darcy. Darcy hatte einen ganzen Überseekoffer voller Sachen.
Solange es ihr gut geht …
Chris erinnerte sich, am Morgen Snow, das Stoffkätzchen, auf Darcys Bett gesehen zu haben. Snow. Der Weihnachtsmann hatte es ihr gebracht, als sie vier war.
Chris’ Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte.
Ein Familienausflug. Wie bei einer gottverdammten Parade. Daddy hatte den kleinen Jungen auf die Schultern genommen, damit er besser sehen konnte.
»Haben Sie ein Autotelefon?«, fragte Hank den Mann.
Der Mann warf ihm einen Blick zu. »Tut mir leid«, sagte er und zeigte zum Hotel. »Siehst du, Andy? Siehst du das Feuer im Fenster?«
Hank eilte weiter. Ein paar Touristen kurvten in ihren Autos langsam über den Parkplatz und versuchten wegzufahren. Doch die meisten standen herum und beobachteten das Feuer.
Hank zuckte zusammen, als etwas zerbarst. Er sah zum Hotel. Schwarzer Rauch quoll aus einem Fenster im ersten Stock, vermutlich genau über der Lobby. Das Geräusch musste das Zerspringen der Scheibe gewesen sein.
Er sah die Klauen der Flammen im Rauch. Sie kletterten an der Außenwand hinauf.
Jemand drückte Hanks Handgelenk. Eine alte Frau mit runder Brille lächelte zu ihm auf. Die dicken Gläser waren wie Lupen; sie vergrößerten ihre Augen enorm. Das Weiße war gelblich und von roten Äderchen durchzogen. »Wie ist das passiert, Mann? Haben Sie gesehen, wie es angefangen hat?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wahnsinn, ist das nicht fantastisch?« Sie schüttelte sein Handgelenk, als verlangte sie eine Antwort.
»Ja«, sagte Hank. »Fantastisch.«
»Alles löst sich in Rauch auf. Sagt man das nicht so, Mann? Alles löst sich in Rauch auf.«
»Klar. Entschuldigen Sie mich.« Er befreite sich aus dem knöchernen Griff der Frau und lief davon.
Nicht weit entfernt saßen ein junger Mann und eine junge Frau auf der Motorhaube eines Jeep Wagoneer. Sie trugen beide Cowboyhüte. Sie hielten beide eine Bierflasche in der Hand. Zwischen den Knien der Frau klemmte eine offene Tüte Chips.
»Haben Sie ein Autotelefon?«, fragte Hank. »Oder irgendein Funkge…«
»Nein«, sagte der Mann. »Was gibt’s für ein Problem?«
»Wir müssen das Feuer melden.«
»Es wurde noch nicht gemeldet?«
»Ich glaube nicht. Wir haben versucht zu telefonieren, nachdem es ausgebrochen ist, aber die Leitungen waren tot.«
»Scheiße, das Mistding wird komplett abbrennen.«
Bei diesen Worten weiteten sich seine Augen. Hank wirbelte gerade rechtzeitig herum, um zu sehen, wie ein Teil des Dachs nachgab. Sekunden nach dem Einsturz schwebten unzählige Funken mit dem Rauch nach oben. Flammen begannen, an den zackigen Kraterrändern zu nagen.
»Hier, Kumpel.« Der Mann gab Hank sein Bier. »Komm, Luce«, sagte er und sprang von der Motorhaube.
»Was ist?«
»Wir geben Gummi und melden diese Scheiße, bevor das ganze Drecksding in die Luft fliegt.«
Hank klopfte ihm auf die Schulter, dann winkte er ein paar Schaulustige aus dem Weg, damit der Jeep aus der Parklücke zurücksetzen konnte.
Kaum war der Wagen draußen, beschleunigte er.
Egal, wie schnell er fährt, dachte Hank, er braucht fast zwanzig Minuten bis in die Stadt. Dann würde es noch einmal zwanzig Minuten dauern, bis der erste Löschwagen ankam. Mindestens.
Vielleicht wurde das Feuer irgendwie schon gemeldet.
Aber Hank bezweifelte es.
Er suchte weiter nach jemandem mit einem Autotelefon oder Funkgerät.
Chris stand auf der Stoßstange von Hanks Auto und entdeckte ihn am anderen Ende des Parkplatzes. Er lief zwischen den Schaulustigen herum, blieb kurz stehen und ging weiter.
»Suchst du jemanden, Süße?«
Sie nickte und sah zu dem Mann hinunter. Er trug ein blaues T-Shirt und Jeans. Auf dem T-Shirt stand: »Schützt die Bäume, esst mehr Biber.« Seine Augen taxierten, was sie zu bieten hatte.
Chris bemerkte, dass ihre Bluse offen stand. Sie begann, sie zuzuknöpfen.
»Ach, komm.«
»Geh mir nicht auf die Nerven, ja?«
»Ich hab zufällig eine gut ausgestattete Bar drüben in meinem Wohnwagen. Du siehst aus, als könntest du dringend einen Martini gebrauchen.«
»Nein, danke.«
»Das ist mal ein Feuer, was? Ich hab gehört, dass ein paar Leute gegrillt wurden. Und über hundert sollen in der Höhle gefangen sein.«
»Unter anderem meine Tochter. Hau ab.«
»Tja, Entschuuuuuldigung.« Er wandte sich ab. Während er davonging, hörte Chris ihn etwas murmeln, das klang wie: »Verklemmte Fotze.«
Sie zuckte zusammen, als ein weiterer Teil des Dachs tosend einstürzte. Das Feuer breitete sich schneller nach rechts aus – nach Osten … in Richtung der Aufzüge zu den Höhlen.
Ein Mann mit einer Videokamera überquerte die Straße vor dem Parkplatz. Er ging über den Bürgersteig und näher an die brennende Anlage heran.
Eine junge Frau in der Uniform einer Führerin eilte ihm hinterher.
Dickes rotbraunes Haar. Das musste Lynn sein, Darcys Mitbewohnerin.
Sie packte den Mann am Arm, sprach mit ihm, drehte ihn um und brachte ihn zurück zum Parkplatz.
Chris sprang von der Stoßstange. Sie fädelte sich schnell zwischen parkenden Autos und Schaulustigen hindurch und suchte die Umgebung nach Lynn ab.
Und entdeckte sie am vorderen Ende des Parkplatzes.
»Lynn!«
Das Mädchen drehte sich zu ihr. Einen Augenblick lang wirkte sie verwirrt. Dann zog sie ihre dichten Augenbrauen hoch. »Ah, Darcys Mutter, stimmt’s? Hey, ich bin sicher, dass es Darcy gut geht. Ich meine, es ist völlig unmöglich, dass das Feuer auf die Höhle übergreift. Sie ist absolut sicher da unten.«
»Ich muss mit Ihnen reden.«
»Klar. Verdammt. Haben Sie eine Ahnung, wo Mordock ist? Er sollte sich mit um die Leute kümmern.«
»Er ist tot.«
Lynns Augen weiteten sich. Die Nachricht schien sie nicht zu verstören, nur zu überraschen. »Im Ernst? Tot? Der Eigentümer?«
»Genau. Er ist gleich am Anfang umgekommen. Sie müssen mir helfen, Lynn.«
»Klar. Wie denn?«
»Darcy ist eingeschlossen.«
»Ja, ich weiß. Echt krass, aber wie gesagt … Ich meine, ich würde auch nicht gern da unten feststecken, aber es kann nichts passieren, verstehen Sie?«
»Wie soll sie da rauskommen?«
Lynn zuckte die Achseln. »Mit dem Aufzug, schätze ich.«
»Das Gebäude brennt völlig ab«, erklärte Chris und versuchte, ruhig zu bleiben. Dieses Mädchen schien unglaublich begriffsstutzig zu sein. Wie konnte sie wie Darcy als Führerin arbeiten? »Bald gibt es keine Aufzüge mehr.«
»Hm, ja, das stimmt wohl. Aber die Schächte, die bleiben. Die gehen nirgendwo hin. Deshalb kann die Feuerwehr vielleicht Seile oder Körbe oder so runterlassen.« Wie auswendig gelernt, fügte Lynn hinzu: »Die Schächte sind fünfundvierzig Meter tief.«
»Das ist verdammt tief.«
»Ich bin sicher, dass die Feuerwehr die Mittel hat, den Grund zu erreichen. Glauben Sie nicht?«
»Vermutlich schon.«
Nachdem das Feuer erloschen ist, dachte Chris. Nachdem die Schächte von dem Schutt befreit worden sind. »Gibt es da unten Vorräte?«, fragte Chris.
»Sie meinen Essen? Nein. Aber es gibt jede Menge Wasser. Sie sollten sich deshalb wirklich keine Sorgen machen. Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie in ein paar Stunden nicht draußen sind. Spätestens morgen.«
»Ich habe gestern die Führung mitgemacht«, sagte Chris. »Darcy hat etwas von einem natürlichen Zugang zur Höhle erzählt.«
»Ja, aber der wurde verschlossen.«
»Mit einer Steinmauer wie in der Höhle?«
»Ich glaub schon. Ich habe es noch nie aus der Nähe gesehen.«
»Wissen Sie, wo der Eingang ist?«
»Ungefähr.« Sie zeigte nach Osten.
»Kommen Sie mit.«
»Sind Sie schon da gewesen?«, fragte Hank.
Das Mädchen zuckte die Achseln. Ein attraktives Dummchen, dachte Hank. »Ich meine, ich habe den Eingang von der anderen Seite des Tals aus gesehen. Tom – das ist der Mann, der uns unten in der Höhle mit den Booten hilft –, er ist auch da unten, wissen Sie?«
»Was ist mit ihm?«, fragte Hank.
»Also, Tom ist derjenige, der es mir gezeigt hat. Wir waren auf der unbefestigten Straße auf der anderen Seite. Deshalb konnte ich es gut sehen.«
»Aber Sie würden es finden?«
»Ich glaube schon.«
Hank öffnete die Beifahrertür seines Leihwagens. »Steigen Sie ein. Ich fahre uns hin.«
»Gott, ich weiß nicht. Ich bin sozusagen hier verantwortlich, wissen Sie, und ich weiß wirklich nicht …«
»Gibt es etwas Wichtigeres«, fragte Chris, »als die Leute aus der Höhle zu holen?«
»Hm, ich glaub nicht. Aber Sie können nicht rein. Wie gesagt, der Eingang ist zugemauert.«
»Wir sollten Werkzeug mitnehmen«, sagte Chris. »Eine Spitzhacke oder so.«
»Sie würden auch Lampen brauchen«, erklärte Lynn. »Wirklich, Sie sollten lieber auf die Feuerwehr warten. Die werden alle rausholen.«
»Irgendwann«, sagte Chris. Sie sah Hank an. »Was meinst du?«
Hank blickte an ihr vorbei zum brennenden Hotel. Der gesamte Ostflügel war nun in Flammen gehüllt, also war der Bereich, in dem sich die Aufzüge befanden, schon zerstört.
»Die Feuerwehr ist noch nicht mal hier«, sagte er. »Bis sie das gelöscht haben, könnte eine Tonne Geröll die Aufzugsschächte bedecken. Sie werden schweres Gerät heranschaffen müssen, um es wegzuräumen.« Er drehte sich zu Lynn. »Wie weit ist es durch den geschlossenen Teil der Höhle zu der anderen Mauer?«
»Knapp ein Kilometer. Aber es ist dunkel, und es gibt dort keinen Weg oder so. Ich meine, es ist echt krass, wissen Sie? Und da ist diese Spalte, in die man fallen kann, wie Elizabeth Mordock. Ich glaube nicht …«
»Wir würden sie wahrscheinlich in ein paar Stunden erreichen«, sagte Chris.
»Das hängt von den Mauern ab«, meinte Hank.
»Ich weiß wirklich nicht, warum Sie beide es so eilig haben. Die Feuerwehr kann sich darum kümmern. Die werden sie rausholen.«
»Es sind unsere Töchter da unten«, sagte Hank.
»Aber sie sind sicherer, wenn sie bleiben, wo sie sind, bis die Feuerwehr …«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Chris sie.
»Tja …«
»Was, wenn da unten irgendwas schiefgeht?«
Hank verspürte einen plötzlichen Stich der Angst. »Was meinst du?«
Stirnrunzelnd schüttelte Chris den Kopf. »Vielleicht wurde jemand verletzt. Wenn sie noch nicht wissen, dass sie eingeschlossen sind, werden sie es bald herausfinden. Leute könnten in Panik geraten. Es könnte Streit geben, vielleicht sogar Kämpfe. Man kann nie wissen. Ich glaube nur, je schneller sie da rauskommen, desto besser.«
»Finde ich auch«, sagte Hank. »Packen wir es an.«