5

Darcy lehnte zwischen den Aufzugstüren mit dem Hintern an der Steinwand und fragte: »Irgendwelche Probleme?«

Es gab Gemurmel, doch niemand meldete sich.

»Ich möchte, dass Sie alle einen Augenblick ruhig stehen bleiben. Greg kommt nach vorn und zählt Sie durch, damit wir sicher sein können, dass wir niemanden verloren haben.«

Sie schaltete ihre Taschenlampe aus, um den restlichen Saft, der noch in den Batterien war, zu sparen, und beobachtete, wie Greg durch die Leute ging.

Was, wenn wir wirklich jemanden verloren haben?

Unwahrscheinlich. Aber möglich.

Dann würde ich zurückgehen und nach ihm oder ihr suchen müssen.

Greg kam zu ihr. »Alle da«, sagte er. »Achtunddreißig, mit uns beiden.«

»Ich würde sagen, das haben wir ziemlich gut hingekriegt. Danke für die Hilfe.«

»Bin ich entlassen?«, fragte er.

»Hast du jemanden, zu dem du gehen möchtest?«

»Ich bin ganz allein.«

»Dann bleib doch in der Nähe und hilf mir, die Wand zu stützen.«

»Die brauche ich nicht mehr.« Er reichte Darcy die Taschenlampe, dann lehnte er sich dicht neben ihr an die Wand.

Darcy hob die Lampe. »Okay, Leute«, sagte sie, »der schwierige Teil ist geschafft. Jetzt müssen wir nur noch ruhig hier sitzen bleiben und warten. Keiner von uns kennt den Grund für den Stromausfall. Ich glaube nicht, dass es uns weiterhilft, darüber zu spekulieren. Betrachten wir es einfach als nervige Tatsache – wie einen Stau.

Ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken. Es könnte eine Weile dauern. Bei Gott, ich hätte nicht gedacht, dass es überhaupt so lange anhält. Aber es ist wichtig, uns daran zu erinnern, dass wir nicht in Gefahr sind. Kein bisschen.

Wenn Ihnen kalt wird, kuscheln Sie sich mit jemandem zusammen. Wir haben genügend Wasser. Ich kann nicht versprechen, dass wir keinen Hunger bekommen werden. Aber niemand wird verhungern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir noch länger als ein paar Stunden hier unten sein werden. Die Stromversorgung könnte jeden Moment wieder hergestellt werden. Die Leute oben wissen, dass wir hier unten sind, und ich bin sicher, dass es gerade ihr wichtigstes Anliegen ist, uns sicher wieder raufzuholen.

Warum setzen Sie sich nicht alle und machen es sich so bequem wie möglich? Wenn Sie rauchen möchten, tun Sie es ruhig. Ich schalte gleich die Taschenlampe aus, um Batterien zu sparen, deshalb wir es völlig dunkel sein, und ein paar glühende Zigaretten werden bestimmt von allen begrüßt.

Falls jemand von Ihnen zur Toilette muss, melden Sie sich einfach, dann kommt Greg oder ich mit einer Taschenlampe zu Ihnen. Es ist wichtig, dass niemand im Dunkeln herumspaziert.«

Darcy ließ den Strahl ihrer Taschenlampe über die Leute gleiten, bis sich alle gesetzt hatten. Dann schaltete sie sie aus. Einige Augenblicke herrschte Stille. Darcy hörte ihren eigenen Herzschlag und das leise Plätschern des Flusses Styx. Schließlich erklangen ein paar leise Stimmen.

»Stockdunkel.«

»Wahnsinn.«

»Man kann die Hand vor Augen nicht sehen.«

»Bist du hier?«

»Bist du das?«

Darcy erhob die Stimme. »Falls Sie nicht schon zuvor in einer Höhle waren, haben Sie so eine Dunkelheit wahrscheinlich noch nie erlebt. Es ist die völlige Abwesenheit von Licht, dunkler als jede Nacht. Als Experiment hat einmal ein Mann eine geöffnete Filmrolle zwei Wochen in einer Höhle liegen lassen. Nachdem der Film entwickelt wurde, war er völlig leer.

Tiere, die sich an das Höhlenleben angepasst haben, sind normalerweise blind und ohne jegliche Pigmentierung.

Wobei mir einfällt – obwohl Ihre Augen sich an die Dunkelheit anpassen, werden Sie nichts sehen können. Dafür muss ein klein wenig Licht vorhanden sein, und das ist nicht der Fall.«

Darcy hörte auf zu reden. Es war still. Dann ertönten wieder Stimmen. Es klang für ihre Ohren wie in einem Klassenzimmer, wenn der Lehrer draußen war; ein Dutzend oder mehr leise Unterhaltungen erschufen ein gleichförmiges Gemurmel.

Hier und dort leuchteten Streichhölzer oder Feuerzeuge auf. Sie flackerten vor Gesichtern mit zwischen die Lippen geklemmten Zigaretten oder Zigarren und bildeten kleine Lichtinseln in der Gruppe. Darcy sah, dass alle saßen. Die meisten in Ansammlungen von zwei oder drei Leuten. Die Helligkeit hielt nicht lange an. Dann war es in der Kammer dunkel, bis auf ein halbes Dutzend glühend roter Punkte.

»Ich glaube, ich setze mich und mache es mir bequem«, flüsterte Darcy.

Sie ließ sich mit übergeschlagenen Beinen auf dem Steinboden nieder. Etwas stieß gegen ihr Knie.

»Entschuldigung«, sagte Greg.

»Kein Problem.« Sie streckte die Hand aus und berührte sein Bein. Er war dicht neben ihr. Ehe sie die Hand zurückziehen konnte, hielt er sie fest.

»Ist das okay?«, fragte er.

Darcy antwortete, indem sie seine Hand drückte. »Es ist schön, im Dunkeln einen Freund zu haben.«

»Nicht nur im Dunkeln.«

»Wie bist du hier gelandet?«, fragte sie.

»Eine meiner Sekretärinnen hat mir davon erzählt. Sie hat in der Brautkammer geheiratet.«

»Vor Kurzem?«

»Vor sechs Jahren.«

»Da war ich noch nicht hier«, sagte Darcy.

»Mach keine Witze, da hast du noch in den Windeln gelegen.«

Sie lachte leise. »Vielen Dank. So jung bin ich nun auch wieder nicht.«

»Lass mich raten. Du siehst aus wie achtzehn, aber so wie du dich verhalten hast, müsstest du schon dreißig sein. Wenn man die beiden Zahlen addiert und durch zwei teilt, hat man das richtige Alter von vierundzwanzig.«

»Raffinierter Trick, aber du liegst drei Jahre zu hoch. Auf welchem juristischen Fachgebiet praktizierst du?«

»Manchmal Strafrecht, vor allem Verteidigung bei Notwehrfällen. Und der übliche Kleinkram – Testamentseröffnungen, Scheidungen …«

»Gefällt es dir?«

»Es ist aufregend. Aber nicht so aufregend, wie in einer Höhle eingeschlossen zu sein.«

»Das ist ein Nervenkitzel, auf den ich verzichten könnte.«

»Es wäre halb so schlimm«, flüsterte Kyle, »wenn es hier unten nicht so kalt wäre.«

»Ich finde es nicht so kalt«, sagte Paula.

Ich auch nicht, dachte Kyle. Doch er ließ seine Stimme zittern, als er sagte: »Weil du eine Strickjacke anhast. Als ich meine Jacke noch hatte, war mir auch nicht kalt. Ich habe sie Darcy gegeben.«

»Der Führerin?«

»Ja. Ich dachte, sie bräuchte sie dringender als ich – nachdem sie im Wasser war.«

»Das war süß von dir.«

»Süß, aber dumm.«

»Willst du meine Strickjacke haben?«

»Vielleicht kann ich nur einen Arm reinstecken. Das würde schon helfen.«

»Klar, okay.«

Er zitterte, als er seine Hand unter ihre Strickjacke schob, doch das hatte wenig mit der kühlen Luft zu tun. Paulas Rücken fühlte sich durch den dünnen Stoff der Bluse warm an. Sie trug einen BH mit breitem Träger.

Kyle strich über ihren Rücken und vergrub seine Finger in der Wärme ihrer Achselhöhle.

»Aber nicht kitzeln«, warnte sie ihn.

»Nein.« Er schlug die Beine auseinander und rutschte näher, bis er ihre Hüfte an seiner spürte.

Paula legte den Arm um seinen Rücken. »Ist es so ein bisschen besser?«, fragte sie.

»Viel besser.« Er fühlte die weiche Wärme ihrer Brust, die gegen seine Seite drückte.

»Für mich auch.«

Das ist nicht schlecht, dachte Kyle. Sie ist zwar nicht Darcy, aber sie ist in Ordnung.

Und entgegenkommend. Bis jetzt.

Mit der Hand, die unter ihrem Arm steckte, hätte er ihre Brust erreichen können.

Versuch es nicht, ermahnte er sich.

Wenn du sie erschreckst, verdirbst du alles.

Es ist so dunkel hier drin, dass ich alles machen könnte. Absolut alles, solange Paula ruhig bleibt.

Er müsste dafür sorgen, dass sie ruhig blieb.

Kyle klopfte auf seine Hosentasche und ertastete das Messer darin. Er bewegte seine Hand ein wenig zur Seite, und als er durch den dicken Jeansstoff sanft seine Erektion drückte, spürte er eine Welle der Lust und stellte sich vor, in sie einzudringen.

Dann stellte er sich vor, das Licht ginge plötzlich wieder an.

Vergiss es, sagte er sich.

Selbst wenn er alle Zeit der Welt hätte und irgendwie den Weg durch die ganze Höhle fände, gäbe es keine Stelle, an der er die Leiche loswerden könnte. Sobald sie hier herauskämen, gäbe es eine Suchaktion, und sie würde gefunden werden.

Es gab nur eine Möglichkeit, Paula zu bekommen – sie musste einverstanden sein.

»Nur, weil es Spaß macht«, sagte Darcy. »Die Bezahlung ist nicht gut, aber es ist ein ziemlich interessanter Ferienjob.«

»Was studierst du?«, fragte Greg.

»Sag du’s mir. Du hast doch bestimmt eine Theorie.«

Greg lachte leise. »Hauptfach Touristen führen.«

»Ja, klar.«

»Das Naheliegende ist natürlich Geologie.«

»Wieder falsch.«

»Das war eine Feststellung, kein Raten.«

»Also, was glaubst du?«

»Psychologie.«

»Ach, hör auf. Nur Verrückte studieren Psychologie. Glaubst du, ich bin verrückt?«

»Nein, du scheinst noch alle Tassen im Schrank zu haben. Vielleicht Sport?«

»Jetzt hältst du mich für eine Sportfanatikerin. Danke.«

»Sportfanatiker sind Hohlköpfe, stimmt’s?«

»Du hast es erfasst.«

»Aber sie sind auch körperlich fit und anmutig, deshalb solltest du meine Vermutung nicht als echte Beleidigung betrachten.«

»Okay, mache ich nicht.«

»Wie wär’s mit einem Tipp?«

»›Einen alten Seemann gibt’s, der hält von dreien einen an.‹«

»Seefahrt?«

Darcy stieß ihn mit dem Ellbogen an.

»Armbrustschießen?«

Sie sah ihn überrascht an. Doch es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. »Du kennst das Gedicht?«

»Ich frage mich, ob einer der Leute hier unten kürzlich einen Albatros getötet hat, wie in dem Gedicht.«

»Ich war’s jedenfalls nicht«, sagte Darcy.

»Wir könnten herumfragen. Das Ganze könnte eine Strafe für irgendeine Sünde sein.«

»Ja, klar.«

»Ich meine es wirklich ernst.«

»Du klingst aber nicht ernst.«

»Ich finde es faszinierend. Man löscht ein Leben aus, und dann geschieht eine Menge schrecklicher Dinge.«

»So weit kann ich folgen.«

»Letztlich gibt es drei Möglichkeiten«, sagte Greg. »Ungefähr fünfzig Prozent sind Scheiße, die einfach so passiert, niemand ist schuld daran, bloß Gott oder Mutter Natur oder ein Zufall, der auf einen niederprasselt wie eine Tonne Ziegelsteine. Die andere Hälfte der schlechten Dinge wird entweder durch menschliche Bösartigkeit oder Dummheit ausgelöst. Bösartigkeit und Dummheit kommen ungefähr gleich häufig vor.«

»Raffinierte Theorie.«

»Finde ich auch. Wenn wir unsere gegenwärtige Situation betrachten, stehen die Chancen vermutlich fifty-fifty, dass wir die Opfer von jemandem sind, der etwas getan hat, das er nicht tun sollte.«

»Fünfundzwanzig Prozent, dass jemand einen Albatros abgeschossen hat.«

»Genau.«

»Und inwiefern bringt uns das weiter?«, fragte sie.

»Ich würde sagen, wir sind genauso weit wie vor meinem Vortrag.«

»Außer, dass ich jetzt klüger bin.«

Greg lachte leise.

»Und wir sind ein paar Minuten näher dran, hier rauszukommen.«

»Das hoffe ich zumindest.«

In Darcys Ohren klang das nicht gerade beruhigend.

»Hast du darüber nachgedacht, was …?« Er unterbrach sich.

»Was?«

»Du hast gesagt, wir wissen nicht, was dort oben passiert ist. Wir haben vermutet, dass das Problem – worin auch immer es bestehen mag – schnell behoben wird. Aber was, wenn nicht? Ich glaube, wir sollten … diese Möglichkeit bedenken.«

»Toll. Danke. Ich habe mir verdammte Mühe gegeben, nicht darüber nachzudenken.«

Sie spürte, wie Greg ihre Hand losließ. Er bewegte sich neben ihr. Dann legte sich sein Arm um ihre Schultern, und sie lehnte sich an ihn.

»Ich finde, wir sollten ein paar Stunden abwarten«, flüsterte sie.

»Und dann?«

»Dann sehen wir zu, dass wir unsere Ärsche hier rauskriegen.«

»Das gefällt mir, eine Frau der Tat.« Sie glaubte, ein Lächeln in seiner Stimme zu hören. »Aber wie willst du dieses Kunststück vollbringen?«

»Mit großer Mühe.«

Als Paula zu schniefen begann, dachte Kyle, ihre Nase liefe. Dann fragte er sich, ob sie weinte.

»Geht’s dir gut?«, fragte er.

»Nicht besonders«, antwortete sie mit zitternder Stimme.

Sie weinte wirklich.

»Was ist los?«

»Ich habe einfach … solche Angst.«

»Hey, es gibt nichts, wovor du Angst haben musst.«

»Es ist so dunkel. Warum ist das Licht noch nicht wieder an? Warum dauert das so lange?«

»Es wird bald angehen«, sagte Kyle. Doch er hoffte, dass es nicht geschah. Es wäre gut, dachte er, wenn das Licht noch ein paar Stunden ausbleibt. Vielleicht könnten wir sogar die ganze Nacht hier unten verbringen.

Er mochte die Finsternis. Es gefiel ihm, Paula zu spüren, und er wollte mehr. Sobald das Licht anging, wäre die Sache mit ihr vorbei.

»Vielleicht solltest du versuchen, ein bisschen zu schlafen«, flüsterte er. »Dann vergeht die Zeit schneller.«

»Ich glaub nicht, dass ich schlafen kann.«

»Aber mein Hintern ist schon eingeschlafen.«

Paula gab ein lautes, feuchtes Schniefen von sich. »Meiner auch.«

»Probieren wir mal, uns hinzulegen. Selbst wenn wir nicht schlafen können, ist es viel bequemer.«

»Okay.«

Kyle zog seine Hand unter ihrer Strickjacke hervor. Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter, als er sich hinlegte. Die Kälte des Höhlenbodens drang durch sein Hemd. Er drehte sich auf die Seite.

»Das ist nicht besonders bequem«, flüsterte Paula.

»Hier.« Er berührte ihr Haar, dann schob er einen Arm unter ihren Kopf. Den anderen Arm schlang er um ihren Rücken.

Paulas Hand legte sich auf seine Taille. Doch sie kam nicht näher zu ihm. Zwischen ihren Körpern befand sich eine Lücke.

Ein paar Zentimeter, dachte Kyle, dann würden wir uns berühren.

Wahrscheinlich macht sie sich deswegen Sorgen.

Er spürte, wie sie zitterte.

»Kalt?«, fragte er.

»Ein bisschen.«

Er rutschte näher. Ihre Brüste drückten sich gegen ihn. Er spürte ihre Wärme und die Wärme des Bauchs und der Oberschenkel. Statt zurückzuweichen, zog Paula ihn fester an sich. Sie seufzte. »Das ist schön«, sagte sie.

»Ja.«

»Du bist so warm.«

»Du auch.«

Er fragte sich, ob sie seinen Ständer fühlen konnte. Musste sie eigentlich. Er drückte direkt gegen sie. Doch sie versuchte nicht wegzurutschen.

Vielleicht gefällt es ihr, dachte er.

Er hatte noch nie mit einem gleichaltrigen Mädchen rumgemacht, war nicht einmal mit einem ausgegangen, aber er kannte Jungs, die das getan hatten, und manchmal prahlten sie damit, zum Zug gekommen zu sein. Wenn diese Jungs nicht logen, dann gab es tatsächlich Mädchen, die einen ranließen.

Vielleicht ist Paula eine von ihnen.

Selbst, wenn sie nicht dazugehörte, war Kyle sich ziemlich sicher, dass es eine Menge Mädchen in ihrem Alter gab, die einen Sachen machen ließen – alles außer dem einen.

Er fuhr mit der Hand über ihren Rücken und ließ sie auf der Hüfte liegen. Ihr Kleid war aus weichem Stoff. Er strich darüber und fühlte die Kurve ihres Hinterns.

Ihr Kopf bewegte sich. Kyle spürte ihr Gesicht an seinem. Ihre Lippen streiften seine Wange, dann fanden sie den Mund. Sie küsste ihn. Es war kein lauter Kuss, wie er ihn von seiner Tante und seiner Großmutter auf die Wange bekam. Es war ein weiches, stilles Saugen an seinen Lippen, und danach wich der Mund nicht zurück.

Noch nie hatte jemand Kyle so geküsst.

Sie war ein Mädchen in seinem Alter, das ihn küsste, weil es das wollte.

Sie muss mich mögen, dachte er.

Er drückte seine Lippen auf ihre. Seine Erektion war schmerzlich hart, und er wollte Paula mehr denn je. Doch dazu gesellten sich neue Gefühle: Aufregung, Dankbarkeit und Zärtlichkeit.

So muss es sein, dachte er, wenn man eine Freundin hat.

Aber sie wird weggehen, wenn die Aufzüge wieder funktionieren.

Das ist ungerecht.

Es gibt immer noch Zimmer 115, sagte er sich. Und ich werde immer noch Darcy haben.

Aber Paula werde ich nicht mehr haben.

Er spürte, wie seine Kehle sich zusammenschnürte.

Selbst wenn sie mich mag, wird sie weggehen.

Zur Hölle mit ihr.

Ohne seine Lippen von Paulas zu lösen, drehte er sich so weit zur Seite, dass zwischen ihren Körpern eine Lücke entstand, und legte sanft eine Hand auf ihre Brust. Sie schnappte leise nach Luft und versteifte sich.

»Kyle, nicht«, flüsterte sie.

»Das ist schon okay.« Er schob die Strickjacke zur Seite und drückte ihre Brust durch die Bluse und den BH. »Niemand kann etwas sehen.«

»Was, wenn das Licht angeht?«

Sie hatte also nichts dagegen; sie wollte nur nicht ertappt werden. »Dann höre ich auf.«

»Ich weiß nicht.«

Er verschloss ihren Mund mit seinen Lippen. Sie atmete schwer und zitterte. Er fummelte an den Knöpfen herum, bahnte sich einen Weg in die Bluse und schob die Hand hinein. Ein Teil ihrer Brust war nicht vom BH bedeckt. Er streichelte die weiche Wärme. Sie stöhnte in seinem Mund, ein Stöhnen, das halb Lust, halb Protest auszudrücken schien. Dann drang Kyle mit den Fingern unter ihren BH. Sie zuckte und wand sich.

»Nein, nicht.«

»Es schadet doch nicht«, sagte er und grub sich tiefer in das nachgiebige Fleisch, bis seine Fingerspitzen die aufragenden Nippel fanden.

Sie riss seine Hand weg und hielt sie am Gelenk fest. »Ich habe nein gesagt, Kyle.«

»Ich dachte, du magst mich«, sagte er.

»Ich mag dich auch. Aber … das geht zu schnell. Ich habe noch nie jemanden … Es sind Leute um uns herum.«

»Ich sehe keine.«

»Dummkopf.« Sie drückte sein Handgelenk. Dann führte sie seine Hand durch die Dunkelheit und legte sie auf ihre Brust. Er spürte die Bluse. »Über der Kleidung, okay?«

»Aber deine Haut ist so weich und schön.«

»Kyle.«

»Bitte.«

»Versprichst du, dass du meinen BH in Ruhe lässt? Und dass die Hand über der Hüfte bleibt?«

»Ich versprech’s.«

»Okay.«

Sie ließ sein Handgelenk los.

Kyle öffnete die restlichen Knöpfe und schob seine Hand unter die Bluse.

Bald lässt sie mich ihren BH aufmachen, dachte er. Bald lässt sie mich alles tun.

»Sie hat dein Auto mitgenommen?«, fragte Darcy.

»Und meine Stereoanlage und den Videorekorder und das ganze Bargeld im Haus.«

»Das ist furchtbar. Nach allem, was du für sie getan hast.«

»Tja, sie war ein ganz schönes Wrack«, sagte Greg. »Ich habe mich eine Weile ziemlich geärgert, aber ich war auch erleichtert. Das war keine Beziehung. Sobald der erste Schock vorbei war, habe ich begriffen, was es für ein Glück war, sie los zu sein.«

»Hast du sie geliebt?«

»Ich weiß nicht. Ich dachte es. Am Anfang jedenfalls. Sie war sehr attraktiv und verletzlich, und sie brauchte mich. Die sexuelle Anziehung hat sicher auch eine große Rolle gespielt. Aber es mit ihr auszuhalten …«

»Es muss schrecklich gewesen sein.«

»Zu allem anderen – ihren Anfällen von Wut und Eifersucht und dem ganzen Rest – kam auch noch, dass sie zweimal versucht hat, Selbstmord zu begehen, und ich eines Nachts aufgewacht bin, weil sie mir ein Fleischermesser an die Kehle gehalten hat.«

»Großer Gott.«

»Sie hat behauptet, ich hätte eine Radiumglühbirne in die Nachttischlampe geschraubt, um ihre Chromosomen zu verstrahlen.«

»Ich verstehe nicht, wie du das ausgehalten hast.«

»Es war nicht einfach. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es ihr irgendwann bessergehen würde. Jedes Mal, wenn sie aus der Klinik kam, war eine Weile alles in Ordnung, aber dann ging es wieder von vorne los. Ich hatte das Gefühl, in einer Falle zu sitzen. Ich wollte unbedingt, dass sie aus meinem Leben verschwand, aber sie war so abhängig von mir – ich wusste, dass sie völlig durchdrehen würde, wenn ich sie hinauswarf.«

»Warum ist sie dann schließlich auf diese Weise abgehauen?«

»Ich habe keine Ahnung. So verrückt, wie sie war, hat sie vielleicht geglaubt, ich würde ein Komplott gegen sie schmieden. Vielleicht hat sie jemanden in einer der Bars kennengelernt. Ich weiß es einfach nicht. Ich bin nur froh, dass sie weggegangen ist.«

»Glaubst du, sie kommt zurück?«

»Sie ist jetzt seit über einem Jahr weg, deshalb bezweifle ich das.«

»Und seitdem warst du nicht mehr … mit einer Frau zusammen?«

»Nein. Und es ist herrlich friedlich.«

»Also hat deine Erfahrung mit Martha es dir so verleidet, dass du …«

»Nicht verleidet, es hat mich nur vorsichtig gemacht. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, noch einmal an so ein emotionales Wrack zu geraten – was ist das …?« Seine Stimme brach ab.

Darcy spannte sich an.

Gregs Hand schloss sich fester um ihre Schulter.

Sie lauschte. Das Geräusch kam von hinten – aus den Aufzugsschächten? Ein entferntes Rumpeln und Schleifen, das sie an eine U-Bahn erinnerte, die in den Bahnhof einfuhr. Es wurde lauter und lauter.

Gregs Hand schoss unter ihre Achselhöhle. Ihr anderer Arm wurde gepackt, und sie wurde hochgezogen und mit Greg an ihrer Seite nach vorn durch die Dunkelheit gerissen, bis sie über Leute fielen, die vor Schreck aufschrien.

Greg, der auf Darcys Rücken gelandet war, drückte sie auf einen zappelnden Körper.

Sie hörte ein Dröhnen, Rufe und Schreie, einen fürchterlichen Knall.

Greg rollte sich von ihr herunter. Als Darcy den Kopf hob, sah sie, dass sie auf Beth Donner lag. Das Gesicht der Frau leuchtete im flackernden orangeroten Licht. In ihren Augen spiegelte sich Entsetzen.

»Entschuldigung«, murmelte Darcy. »Alles in Ordnung?«

Beth nickte.

Darcy richtete sich auf. Sie sah über die Schulter.

In die Flammen.

Der Aufzug auf der linken Seite, dessen Holztüren aufgesprengt waren, war eine feurige Kammer.

Darcy spähte in das brennende verbogene Wrack der Kabine. Sie sah keine Leichen.

Das ist doch schon mal was, dachte sie. Immerhin …

Dann ertönte ein weiteres Dröhnen.

Ein zweiter Knall.

Die Türen des anderen Aufzugs explodierten in einem Hagel aus Holzstücken und Splittern.