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Er saß im Bett, hatte gerade sein Frühstück beendet und griff nach einer Zigarette, als es an der Tür klopfte. Eines der Mädchen ging nachsehen, und Dover kam herein, lächelnd und sauber und munter, in gelbe Seide gehüllt. »Wie geht’s, Bruder?«, fragte er.

»Ganz gut«, sagte Chip, »ganz gut.« Das andere Mädchen gab ihm Feuer, nahm das Frühstückstablett und fragte ihn, ob er noch Kaffee wolle. »Nein, danke«, sagte er. »Möchtest du Kaffee?« »Nein, danke«, sagte Dover. Er saß zurückgelehnt in einem der dunkelgrünen Sessel, die Ellbogen auf die Armlehnen gestützt, die Hände im Schoß gefaltet, die Beine ausgestreckt. Er lächelte Chip zu und sagte: »Schock überwunden?«

»Zum Hass, nein«, sagte Chip.

»Es ist ein alter Brauch«, sagte Dover. »Wenn die nächste Gruppe kommt, wirst du deinen Spaß daran haben.«

»Es ist grausam, wirklich grausam«, sagte Chip.

»Warte ab, bis du mit allen anderen lachst und applaudierst.«

»Wie oft treffen Gruppen ein?«

»Manchmal jahrelang keine«, sagte Dover, »manchmal zwei in einem Monat Abstand. Im Durchschnitt Eins Komma soundsoviel Menschen im Jahr.«

»Und du hast die ganze Zeit Verbindung zu Uni gehabt, du Bruderfeind?«

Dover nickte und lächelte. »Über ein Telecomp, das in einer Streichholzschachtel Platz hat«, sagte er.

»Bastard«, sagte Chip.

Das Mädchen hatte das Tablett hinausgetragen, und das andere Mädchen wechselte den Aschenbecher auf dem Nachttisch, nahm ihren Overall von einer Stuhllehne und ging ins Badezimmer. Sie schloss die Tür.

Dover schaute ihr nach und sah Chip fragend an. »Nette Nacht?«, fragte er.

»Mm-hm«, sagte Chip. »Ich nehme an, sie sind nicht behandelt.« »Nicht auf allen Gebieten, das ist sicher«, sagte Dover. »Ich hoffe, du bist mir nicht böse, weil ich unterwegs keine Andeutung fallen ließ. Aber die Vorschriften sind ungeheuer streng: keine Hilfe außer der erbetenen, keine Vorschläge, nichts. Du musst dich nach Möglichkeit im Hintergrund halten und versuchen, Blutvergießen zu verhindern. Ich hätte sogar damals auf dem Boot nicht damit herausrücken sollen, dass die Insel ein Gefängnis ist, aber ich war seit zwei Jahren dort, und niemand hat auch nur daran gedacht, etwas zu unternehmen. Du kannst dir vorstellen, warum ich ein wenig nachhelfen wollte.«

»Ja, das kann ich wahrhaftig«, sagte Chip. Er schnippte Asche von seiner Zigarette in den sauberen, weißen Aschenbecher.

»Es wäre mir sehr angenehm, wenn du Wei nichts davon sagst. Du isst heute um eins mit ihm zu Mittag.«

»Karl auch?«

»Nein, nur du. Ich glaube, du bist als Kandidat für den Hohen Rat vorgesehen. Ich komme zehn Minuten vorher und bringe dich zu ihm. Hier drin findest du einen Rasierapparat – ein Ding, das aussieht wie eine Taschenlampe. Heute Nachmittag gehen wir ins Medizentrum und fangen mit der Enthaarung an.«

»Hier gibt es ein Medizentrum?«

»Hier gibt es alles«, sagte Dover. »Ein Medizentrum, eine Bücherei, eine Sporthalle, ein Schwimmbad, ein Theater – sogar einen Garten, von dem du schwören würdest, dass er oben auf der Erde ist. Ich werde dich später herumführen.«

Chip sagte: »Und hier – bleiben wir?«

»Alle außer uns armen Schäfern«, sagte Dover. »Ich werde auf eine andere Insel gehen, aber – Uni sei’s gedankt – nicht in den nächsten sechs Monaten.«

Chip löschte seine Zigarette. Er drückte sie sorgfältig aus. »Was ist, wenn ich keine Lust habe, zu bleiben?«

»Keine Lust?«, sagte Dover.

»Ich habe eine Frau und ein kleines Kind, erinnerst du dich?«

»So geht es vielen anderen auch«, sagte Dover. »Hier hast du eine größere Verpflichtung, Chip, eine Verpflichtung gegenüber der ganzen Familie, einschließlich der Mitglieder auf den Inseln.«

»Schöne Verpflichtung«, sagte Chip. »Seidene Overalls und zwei Mädchen auf einmal.«

»Das war nur letzte Nacht«, sagte Dover. »Heute Nacht musst du Glück haben, um eine zu erwischen.« Er richtete sich gerade auf. »Schau«, sagte er, »ich weiß, es gibt hier – oberflächliche Reize, die alles fragwürdig aussehen lassen. Aber die Familie braucht Uni. Denk doch daran, wie es auf der Freiheits-Insel zuging! Und die Familie braucht unbehandelte Programmierer, die Uni steuern und – nun, Wei wird es dir besser erklären, als ich es kann. Und einen Tag in der Woche tragen wir immerhin Paplon und essen Kuchen.« »Einen ganzen Tag?«, sagte Chip. »Wirklich?«

»Schon gut, schon gut«, sagte Dover und stand auf. Er ging zu einem Stuhl, auf dem Chips grüner Overall lag, und tastete die Taschen ab. »Hast du alles?«, fragte er.

»Ja«, sagte Chip. »Einschließlich einiger Fotos, die ich gern behalten würde.«

»Tut mir leid – nichts, was du mitgebracht hast«, sagte Dover. »Auch eine Vorschrift.« Er hob Chips Schuhe vom Boden auf und sah ihn an. »Zuerst ist jeder ein wenig unsicher. Du wirst stolz sein, dass du bleiben kannst, wenn du die Dinge erst einmal richtig siehst. Es ist eine Verpflichtung.«

»Ich werde daran denken«, sagte Chip.

Es klopfte an der Tür, und das Mädchen, das das Frühstückstablett mitgenommen hatte, kam mit einem blauseidenen Overall und weißen Sandalen herein. Sie legte die Kleidungsstücke auf das Fußende des Bettes. Lächelnd sagte Dover: »Wenn du Paplon möchtest, lässt es sich einrichten.«

Das Mädchen sah ihn an.

»Zum Hass, nein«, sagte Chip. »Ich glaube, ich habe so gut wie jeder andere hier Seide verdient.«

»Hast du«, sagte Dover. »Hast du, Chip. Wir sehen uns zehn vor eins – ja?« Den grünen Overall über dem Arm und die Schuhe in der Hand, ging er auf die Tür zu. Das Mädchen eilte voraus, um ihm die Tür aufzuhalten.

Chip sagte: »Was ist mit Buzz geschehen?«

Dover blieb stehen, drehte sich um und sah ihn bedauernd an. »Er wurde in ’015 gefasst«, sagte er.

»Und behandelt?«

Dover nickte.

»Auch eine Vorschrift«, sagte Chip.

Dover nickte noch einmal und drehte sich um und ging.

Es gab dünne, in einer leicht gewürzten braunen Soße gebratene Steaks, kleine gebräunte Zwiebeln, ein in Scheiben geschnittenes, gelbes Gemüse, das Chip auf der Freiheits-Insel nicht gesehen hatte – »Kürbis«, sagte Wei –, und einen klaren Rotwein, der weniger gut schmeckte als der gelbe am Abend zuvor. Sie aßen mit goldenen Messern und Gabeln, von Tellern mit breitem Goldrand.

Wei, in grauer Seide, aß schnell, schnitt sein Steak in Stücke, steckte sie in seinen runzligen Mund, kaute nur kurz, bevor er schluckte, und hob die Gabel wieder. Ab und zu machte er eine Pause, nippte Wein und drückte seine gelbe Serviette an die Lippen.

»Diese Dinge waren vorhanden«, sagte er. »Hätte es irgendeinen Sinn gehabt, sie zu vernichten?«

Der Raum war groß und hübsch in vV-Stil möbliert: weiß, golden, orange, gelb. In einer Ecke warteten zwei Mitglieder in weißen Overalls neben einem Serviertisch auf Rädern.

»Natürlich erscheint es auf den ersten Blick unrecht«, sagte Wei, »aber die letzten Entscheidungen müssen von unbehandelten Mitgliedern gefällt werden, und unbehandelte Mitglieder können und sollen mehr vom Leben haben als Kuchen und Fernsehen und Marx beim Schreiben.« Er lächelte. »Sogar mehr als Wei spricht zu den Chemotherapeuten«, sagte er und schob Steak in den Mund.

»Warum kann die Familie ihre Entscheidungen nicht selbst treffen?«, fragte Chip.

Wei kaute und schluckte. »Weil sie dazu unfähig ist«, sagte er. »Das heißt, unfähig zu vernünftigen Entscheidungen. Unbehandelt ist sie – nun, du hast ein Beispiel auf deiner Insel erlebt. Sie ist gemein und töricht und aggressiv. Sie wird von Egoismus mehr als von irgendeinem anderen Motiv gelenkt. Von Egoismus und Angst.« Er schob Zwiebeln in den Mund.

»Sie hat die Vereinigung zuwege gebracht«, sagte Chip.

»Mm, ja«, sagte Wei, »aber nach was für einem Kampf! Und auf welch wackligen Beinen stand doch die Vereinigung, bis wir sie durch Behandlungen untermauert haben. Nein, zur Entfaltung ihrer Menschlichkeit braucht die Familie Hilfe – heute durch Behandlungen, morgen durch genetische Steuerung. Und es ist notwendig, dass Entscheidungen für sie getroffen werden. Wer die Fähigkeiten und die Intelligenz dazu besitzt, muss auch die Pflicht auf sich nehmen. Sich ihr zu entziehen, wäre Verrat an der Menschheit.« Er schob Steak in den Mund und hob die andere Hand und winkte.

»Und zu dieser Pflicht gehört, dass man Mitglieder mit zweiundsechzig umbringt?«

»Ach«, sagte Wei und lächelte, »das ist immer eine Kardinalfrage, die mit großem Ernst vorgebracht wird.«

Die zwei Mitglieder kamen zu ihnen herüber, einer mit einer Karaffe voll Wein, der andere mit einer goldenen Platte, die er Wei vorhielt. »Du siehst nur einen Teil des Gesamtbilds«, sagte Wei, während er ein großes Vorlegebesteck ergriff und ein Steak, aus dem Soße tropfte, von der Platte hob. »Was du außer Betracht lässt«, sagte er, »ist die unermesslich große Zahl der Mitglieder, die ohne den Frieden und die Ausgeglichenheit und Gesundheit, die wir ihnen schenken, lange vor dem zweiundsechzigsten Lebensjahr stürben. Denke einmal an die Masse, nicht an Einzelwesen in der Masse.« Er legte das Steak auf seinen Teller. »Insgesamt fügen wir dem Leben der Familie viel mehr Jahre hinzu, als wir ihm entziehen«, sagte er. »Viel, viel mehr Jahre.« Er löffelte Soße auf das Steak und nahm sich Zwiebeln und Kürbisgemüse. »Chip?«, sagte er.

»Nein, danke«, sagte Chip. Er schnitt ein Stück von dem halben Steak vor ihm. Das Mitglied mit der Karaffe füllte sein Glas wieder auf.

»Übrigens«, sagte Wei, Steak schneidend, »liegt das tatsächliche Sterbealter jetzt näher bei dreiundsechzig als bei zweiundsechzig; und da die Bevölkerung der Erde allmählich reduziert wird, steigt es noch höher.« Er schob Steak in den Mund.

Die Mitglieder zogen sich zurück.

Chip sagte: »Beziehst du in deine Gegenüberstellung von hinzugefügten und entzogenen Jahren auch die Mitglieder ein, die gar nicht geboren werden?«

»Nein«, sagte Wei lächelnd. »So unrealistisch sind wir nicht. Würden diese Mitglieder geboren, dann gäbe es keine Stabilität und keinen Wohlstand und letztlich keine Freiheit.« Er schob Kürbisgemüse in den Mund und kaute und schluckte. »Ich erwarte nicht, dass du während eines einzigen Mittagessens deine Ansichten änderst«, sagte er. »Sieh dich um, sprich mit allen, schmökere in der Bibliothek – vor allem in den Geschichts- und Soziologiespeichern. Ein paarmal in der Woche veranstalte ich zwanglose Diskussionsabende – einmal ein Lehrer, immer ein Lehrer; nimm daran teil, debattiere, diskutiere.«

»Ich habe eine Frau und ein kleines Kind auf der Freiheits-Insel zurückgelassen«, sagte Chip.

»Woraus ich schließe«, sagte Wei lächelnd, »dass sie dir nicht sonderlich viel bedeutet haben.«

Chip sagte: »Ich habe erwartet, dass ich zurückkomme.«

»Für ihren Unterhalt kann gesorgt werden, falls es nötig ist«, sagte Wei. »Dover sagte mir, du hättest dich schon darum gekümmert.«

»Werde ich zurückgehen dürfen?«, fragte Chip.

»Du wirst nicht wollen«, sagte Wei. »Du wirst zu der Erkenntnis gelangen, dass wir recht haben und deine Verantwortung hier liegt.« Er nippte Wein und presste seine Serviette an die Lippen. »Wenn wir in ein paar nebensächlichen Punkten unrecht haben, kannst du uns eines Tages, wenn du im Hohen Rat sitzt, korrigieren«, sagte er. »Interessierst du dich zufällig für Architektur oder Städteplanung?«

Chip sah ihn an und sagte nach kurzer Pause: »Ich habe ein- oder zweimal daran gedacht, Gebäude zu entwerfen.«

»Uni findet, du solltest jetzt im Architekturausschuss sitzen«, sagte Wei. »Schau einmal hinein. Sprich mit Madhir, dem Vorsitzenden.« Er schob Zwiebeln in den Mund.

Chip sagte: »Ich weiß eigentlich gar nichts ...«

»Du kannst lernen, wenn du Interesse hast«, sagte Wei, Steak schneidend. »Zeit hast du genug.«

Chip sah ihn an. »Ja«, sagte er. »Programmierer scheinen älter als zweiundsechzig oder sogar dreiundsechzig zu werden.«

»Außergewöhnliche Mitglieder müssen so lange wie möglich erhalten bleiben«, sagte Wei. »Zum Wohl der Familie.« Er schob Steak in den Mund und kaute und blickte Chip mit seinen Schlitzaugen an. »Möchtest du etwas Unglaubliches hören?«, sagte er. »Deine Programmierer-Generation wird beinahe mit Sicherheit ewig leben. Ist das nicht fantastisch? Wir Alten werden früher oder später sterben – Uni hat es uns bestätigt, wenn uns die Ärzte auch Hoffnung machen. Ihr Jüngeren aber werdet höchstwahrscheinlich nicht sterben. Niemals.«

Chip schob ein Stück Steak in den Mund und kaute langsam. Wei sagte: »Ich nehme an, der Gedanke ist verwirrend. Er wird dir reizvoller erscheinen, wenn du älter wirst.«

Chip schluckte, was er im Mund hatte. Er sah Wei an, warf einen Blick auf seine grauseidene Brust und schaute ihm wieder ins Gesicht. »Dieses Mitglied«, sagte er, »der Zehnkampf-Sieger, starb er auf natürliche Weise, oder wurde er getötet?«

»Er wurde getötet«, sagte Wei. »Mit seiner Zustimmung, die er aus freien Stücken, ja sogar höchst bereitwillig gegeben hat.«

»Natürlich«, sagte Chip. »Er war behandelt.«

»Ein Sportler?«, sagte Wei. »Sie nehmen sehr wenig. Nein, er war stolz, in mich – eingegliedert zu werden. Er hatte nur eine Sorge: ob ich ihn ›in Form‹ halten würde – eine Sorge, die berechtigt war, wie ich fürchte. Du wirst feststellen, dass die Kinder, die gewöhnlichen Mitglieder hier, miteinander wetteifern, Teile ihres Körpers für Verpflanzungen anzubieten. Wenn du zum Beispiel dieses Auge austauschen wolltest, würden sie sich in dein Zimmer schleichen und dich um die Ehre bitten.« Er schob Kürbisgemüse in den Mund.

Chip rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Mein Auge stört mich nicht«, sagte er. »Es gefällt mir.«

»Das sollte es nicht«, sagte Wei. »Wenn sich nichts daran ändern ließe, wäre es gerechtfertigt, dass du dich damit abfindest. Aber eine Unvollkommenheit, die sich beheben lässt? Die dürfen wir niemals hinnehmen.« Er schnitt Steak. »Ein Ziel, nur ein Ziel für uns alle – Vollkommenheit«, sagte er. »Noch sind wir nicht so weit, aber eines Tages erreichen wir sie. Dann sind wir eine Familie, die genetisch derart verbessert ist, dass Behandlungen nicht mehr nötig sind; ein Korps ewig lebender Programmierer. Auch die Inseln können vereinigt werden, und Vollkommenheit wird auf Erden herrschen und ›empor, empor, empor zu den Sternen‹ ziehen.« Wei blickte geradeaus und sagte: »Davon habe ich geträumt, als ich jung war: von einer Welt der Freundlichen, der Hilfsbereiten, Liebevollen, Selbstlosen. Ich werde sie noch erleben. Ich werde sie noch erleben.«

Nachmittags führte Dover Chip und Karl durch den ganzen Komplex und zeigte ihnen die Bibliothek, die Sporthalle, das Schwimmbad und den Garten (»Christus und Wei!« »Wartet, bis ihr die Sonnenuntergänge und die Sterne seht.«), den Musiksaal, das Theater, die Foyers, den Speisesaal und die Küche (»Ich weiß nicht, von irgendwo«, sagte ein Mitglied, das andere Mitglieder beaufsichtigte, die Kopfsalat und Zitronen aus einem Stahlkorb nahmen. »Was wir brauchen, das wird geliefert«, sagte sie lächelnd. »Fragt Uni.«). Es gab vier Stockwerke, die durch kleine Aufzüge und schmale Rolltreppen miteinander verbunden waren. Das Medizentrum befand sich in der untersten Etage. Zwei Ärzte namens Boroviev und Rosen, Männer mit jugendlichen Bewegungen und verschrumpelten Gesichtern, die so alt wie das von Wei aussahen, begrüßten sie und untersuchten sie und gaben ihnen Infusionen. »Das Auge können wir im Handumdrehen auswechseln, weißt du«, sagte Rosen zu Chip, und Chip sagte: »Ich weiß, danke. Aber es stört mich nicht«

Sie besuchten das Schwimmbad. Dover ging mit einer großen, schönen Frau, die Chip in der Nacht zuvor aufgefallen war, ins Wasser, und Karl saß am Rande des Beckens und sah ihnen zu. »Wie fühlst du dich?«, fragte Chip.

»Ich weiß nicht«, sagte Karl. »Natürlich gefällt es mir, und Dover sagt, es sei alles notwendig, und wir seien verpflichtet, zu helfen, aber – ich weiß nicht. Selbst wenn sie Uni lenken, ist es doch immer noch Uni, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Chip. »So sehe ich es auch.«

»Wenn wir unseren Plan durchgeführt hätten, wäre da oben ein Chaos entstanden«, sagte Karl, »aber schließlich wäre es mehr oder weniger wieder in Ordnung gebracht worden.« Er schüttelte den Kopf. »Ehrlich, ich weiß nicht, Chip«, sagte er. »Jedes System, das die Familie auf eigene Faust errichten würde, wäre sicherlich viel weniger leistungsfähig als Uni oder diese Leute, das kann man nicht bestreiten.«

»Nein, das kann man nicht«, sagte Chip.

»Ist es nicht fantastisch, wie lange sie leben?«, sagte Karl. »Ich komme immer noch nicht darüber hinweg, dass – Mann, schau dir den Busen an! Christus und Wei!«

Eine hellhäutige Frau mit runden Brüsten sprang auf der anderen Seite in das Schwimmbecken. Karl sagte: »Reden wir später weiter, ja?« Er glitt ins Wasser.

»Klar, wir haben jede Menge Zeit«, sagte Chip.

Karl lächelte ihm zu, stieß sich ab und kraulte hastig davon.

Am nächsten Morgen verließ Chip sein Zimmer und ging durch einen Korridor mit grünen Teppichen und Gemälden an der Wand auf eine Stahltür zu. Er war noch nicht weit gekommen, als Dover »Grüß dich, Bruder« sagte und ihn einholte und neben ihm herging. »Grüß dich«, sagte Chip. Er sah wieder geradeaus und fragte im Gehen: »Werde ich überwacht?«

»Nur wenn du in diese Richtung gehst«, sagte Dover.

Chip sagte: »Mit bloßen Händen könnte ich nichts ausrichten, selbst wenn ich wollte.«

»Ich weiß«, sagte Dover. »Der Alte ist vorsichtig, vV-Mentalität.« Er tippte sich an die Schläfe und lächelte. »Nur für ein paar Tage«, sagte er.

Sie gingen zum Ende des Korridors, und die Stahltür glitt auf. Ein weiß gekachelter Flur erstreckte sich hinter ihr; ein Mitglied in Blau berührte einen Raster und ging durch eine Tür.

Sie machten sich auf den Rückweg. Die Tür summte hinter ihnen. »Du wirst ihn zu sehen bekommen«, sagte Dover. »Wei selbst wird dich wahrscheinlich herumführen. Möchtest du in die Sporthalle gehen?«

Am Nachmittag machte Chip einen Besuch in den Büros des Architekturausschusses. Ein kleiner, fröhlicher alter Mann erkannte und begrüßte ihn – Madhir, der Leiter des Ausschusses. Sein Gesicht sah aus, als wäre er über hundert; seine Hände auch – sein ganzer Körper anscheinend.

Er machte Chip mit anderen Mitgliedern des Architekturausschusses bekannt: einer alten Frau namens Sylvie, einem rothaarigen Mann von etwa fünfzig, dessen Namen Chip nicht verstand, und einer kleinen, aber hübschen Frau, die Gri-gri hieß. Chip trank Kaffee mit ihnen und aß ein Stück Gebäck mit Cremefüllung. Sie zeigten ihm eine Reihe von Plänen, die sie diskutierten, Entwürfe, die Uni für den Neubau der »G-3-Städte« angefertigt hatte. Sie sprachen darüber, ob die Entwürfe nach verschiedenen Gesichtspunkten überarbeitet werden sollten, richteten Fragen an ein Telecomp und konnten sich über die Bedeutung seiner Antworten nicht einigen. Sylvie, die alte Frau, erklärte Punkt für Punkt, warum sie die Entwürfe für unnötig monoton hielt. Madhir fragte Chip, ob er sich schon eine Meinung gebildet habe; er sagte nein. Die jüngere Frau, Gri-gri, lächelte ihn einladend an.

In der Haupthalle fand in dieser Nacht ein Fest statt – »Glückliches neues Jahr!« »Glückliches V-Jahr!« – und Karl schrie Chip ins Ohr: »Ich will dir mal sagen, was mir hier nicht gefällt: dass es keinen Schnaps gibt! Ist das nicht die Höhe? Wenn Wein okay ist, warum dann nicht auch Schnaps?« Dover tanzte mit der Frau, die aussah wie Lilac (eigentlich doch nicht, sie war nicht halb so hübsch), und es waren Leute da, die Chip beim Essen und in der Sporthalle und im Musiksaal getroffen hatte, Leute, die er irgendwo in dem Komplex gesehen hatte, und andere, die ihm völlig unbekannt waren. Heute waren es mehr als in der Nacht zuvor, als Karl und er angekommen waren – fast hundert. Mitglieder in weißem Paplon schlängelten sich mit Tabletten zwischen ihnen hindurch. »Glückliches V-Jahr!«, sagte jemand neben ihm, eine ältere Frau, die beim Mittagessen an seinem Tisch gesessen hatte; Hera oder Hela hieß sie. »Es ist schon beinahe 172!«, sagte sie. »Ja«, sagte er. »In einer halben Stunde.« »Oh, da ist er!«, sagte sie und eilte nach vorne. Wei stand in der Tür, ganz in Weiß, von Menschen umringt. Er schüttelte ihnen die Hand und küsste sie auf die Wange. Sein runzliges Gesicht verzog sich zu einem Grinsen und strahlte, seine Augen verschwanden zwischen Falten. Chip zog sich weiter in die Menschenmenge zurück. Gri-gri hüpfte hoch, um ihn über andere Leute hinweg sehen zu können, und winkte ihm zu. Er winkte zurück und ging weiter.

Den nächsten Tag, den Tag der Vereinigung, verbrachte er in der Sporthalle und in der Bibliothek.

Er ging zu einigen von Weis Diskussionsabenden. Sie fanden in dem Garten, einem angenehmen Aufenthaltsort, statt. Das Gras und die Bäume waren echt und die Sterne und der Mond beinahe. Die Phase des Mondes änderte sich, aber seine Position nie. Ab und zu ertönte Vogelgezwitscher, und eine sanfte Brise wehte. Im Allgemeinen kamen fünfzehn oder zwanzig Programmierer zu den Diskussionen und saßen auf Stühlen oder im Gras. Meist führte Wei das Wort. Er verbreitete sich über Zitate aus der Lebendigen Weisheit und leitete geschickt von einzelnen Fragen auf die größeren Zusammenhänge über, in denen sie standen. Gelegentlich überließ er den Vorsitz dem Leiter des Bildungsausschusses, Gustafsen, oder Boroviev, dem Leiter des Medizinischen Ausschusses, oder einem anderen Mitglied des Hohen Rats.

Zuerst saß Chip am Rande der Gruppe und hörte nur zu, aber dann begann er Fragen zu stellen – warum die Behandlungen nicht wenigstens teilweise wieder auf freiwilliger Basis durchgeführt werden konnten, ob menschliche Vollkommenheit nicht ein gewisses Maß an Egoismus und Aggressivität einschloss, und ob nicht sogar der Egoismus zu einem guten Teil dafür verantwortlich war, dass sie selbst ihre angebliche »Pflicht« und »Verantwortung« akzeptierten. Einige der Programmierer in seiner Nähe schienen über seine Fragen empört, aber Wei beantwortete sie geduldig und vollständig. Er schien diese Fragen sogar zu begrüßen und hörte sein »Wei?« über die Zurufe der anderen hinweg. Chip rückte vom Rand der Gruppe ein wenig zur Mitte vor.

Eines Nachts saß er im Bett und zündete eine Zigarette an und rauchte im Dunkeln.

Die Frau neben ihm streichelte seinen Rücken. »Es ist richtig, Chip«, sagte sie. »Es ist für alle am besten so.«

»Kannst du Gedanken lesen?«, sagte er.

»Manchmal«, sagte sie. Sie hieß Deirdre und gehörte dem Kolonialausschuss an. Sie war achtunddreißig, hellhäutig und nicht besonders hübsch, aber vernünftig, gut gebaut und von angenehmer Wesensart. »Ich glaube allmählich, dass es am besten ist«, sagte Chip, »und ich weiß nicht, ob ich von Weis Logik überzeugt werde oder von Hummer und Mozart und dir. Von der Aussicht auf ewiges Leben ganz zu schweigen.«

»Davor fürchte ich mich«, sagte Deirdre.

»Ich auch«, sagte Chip.

Sie streichelte immer noch seinen Rücken. »Ich habe zwei Monate gebraucht, um zur Ruhe zu kommen«, sagte sie.

»Hast du es so betrachtet?«, fragte er. »Dass man zur Ruhe kommt?«

»Ja«, sagte sie. »Und erwachsen wird und sich der Wirklichkeit stellt.«

»Warum hat man dann das Gefühl einer Niederlage?«, fragte Chip.

»Leg dich hin«, sagte Deirdre.

Er drückte seine Zigarette aus, stellte den Aschenbecher auf den Nachttisch und legte sich zu ihr. Sie umarmten und küssten einander. »Wirklich«, sagte sie, »auf die Dauer ist es für alle das Beste. Durch die Arbeit in unseren Ausschüssen werden wir die Verhältnisse allmählich verbessern.«

Sie küssten und streichelten einander, und dann schob Deirdre die Decke weg und warf ihr Bein über Chips Hüfte, und sein hartes Geschlecht glitt in sie.

Eines Morgens, als er in der Bibliothek saß, legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich verblüfft um, und Wei stand hinter ihm. Er bückte sich, schob Chip zur Seite und hielt sein Gesicht vor das Guckloch, durch das man die auf Mikrofilme übertragenen Bücher lesen konnte.

Nach einem Augenblick sagte er: »Du hast dir den richtigen Mann ausgesucht.« Er schaute noch eine kleine Weile durch das Guckloch, dann erhob er sich und ließ Chips Schulter los und lächelte ihm zu. »Lies auch Liebman«, sagte er, »und Okida und Marcuse. Ich werde eine Liste von Titeln aufstellen und sie dir heute Abend im Garten geben. Wirst du da sein?«

Chip nickte.

Allmählich verbrachte er seine Tage ganz gleichförmig: morgens in der Bibliothek, nachmittags im Ausschuss. Er studierte Konstruktionsverfahren und Umweltplanung, untersuchte Tabellen über den Zuwachs an Fabriken und Entwürfe für Wohnbauten. Madhir und Sylvie zeigten ihm Zeichnungen von Gebäuden, die sich im Bau befanden oder für die Zukunft geplant waren, und von Städten, die existierten, und Pläne (unter Plastikhüllen) für Städte, wie sie vielleicht eines Tages aussehen würden. Er war das achte Mitglied des Ausschusses. Von den anderen sieben neigten drei dazu, Unis Entwürfe infrage zu stellen und zu ändern, und vier, darunter Madhir, waren bereit, sie vorbehaltlos zu akzeptieren. Offizielle Sitzungen fanden freitagnachmittags statt, sonst waren selten mehr als vier oder fünf Mitglieder in den Büros. Einmal waren Chip und Gri-gri allein, und zum Schluss lagen sie eng umschlungen auf Madhirs Sofa.

Wenn er vom Ausschuss kam, benutzte Chip die Sporthalle und das Schwimmbecken. Er aß mit Deirdre und Dover und Dovers augenblicklicher Freundin und anderen, die sich dazusetzten – manchmal war auch Karl dabei, der dem Verkehrsausschuss angehörte und sich dem Wein ergeben hatte.

Eines Tages im Februar fragte Chip Dover, ob es ihm möglich wäre, mit seinem Nachfolger auf der Freiheits-Insel Verbindung aufzunehmen und sich zu erkundigen, ob es Lilac und Jan gut ging und Julia, wie versprochen, für sie sorgte.

»Klar«, sagte Dover. »Gar kein Problem.«

»Würdest du es dann tun?«, fragte Chip. »Ich wäre dir sehr dankbar.«

Ein paar Tage später suchte Dover Chip in der Bibliothek auf. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Lilac ist zu Hause und kauft Lebensmittel und bezahlt die Miete. Also muss Julia eingesprungen sein.«

»Danke, Dover«, sagte Chip. »Ich hatte mir Sorgen gemacht«

»Der Mann drüben wird sie im Auge behalten«, sagte Dover. »Wenn sie etwas braucht, können wir Geld mit der Post schicken.«

»Das ist gut«, sagte Chip. »Wei hat es mir schon gesagt.« Er lächelte. »Die arme Julia«, sagte er, »unterstützt die ganzen Familien, obwohl es eigentlich gar nicht nötig wäre. Wenn sie das wüsste, würde sie der Schlag treffen.«

Dover lächelte. »Mit Sicherheit«, sagte er. »Natürlich sind nicht alle, die aufgebrochen sind, hier angekommen. In manchen Fällen ist die Unterstützung also notwendig ...«

»Das stimmt«, sagte Chip. »Daran habe ich nicht gedacht.«

»Wir sehen uns beim Mittagessen«, sagte Dover.

»Gut«, sagte Chip. »Danke.«

Dover ging, und Chip beugte sich zu dem Guckkasten nieder. Er legte den Finger auf die Taste, mit dem die nächste Seite einzustellen war, und drückte sie einen Augenblick später.

Er begann bei Ausschusssitzungen zu sprechen und stellte bei Weis Diskussionen weniger Fragen. Eine Bittschrift, dass die Kuchentage auf einen im Monat reduziert werden sollten, wurde in Umlauf gesetzt; Chip zögerte, unterschrieb dann aber doch. Er wechselte von Deirdre zu Blackie, zu Nina und wieder zu Deirdre zurück, hörte in den kleineren Aufenthaltsräumen dem Geschwätz über Sex und den Witzen über Mitglieder des Hohen Rats zu und ging zwei verrückten Hobbys nach: Er machte Papierflugzeuge und lernte vV-Sprachen (»Français« wurde »Frahsä« ausgesprochen, wie er erfuhr).

Eines Morgens wachte er früh auf und ging in die Sporthalle. Wei war dort. Sein schmalhüftiger, muskelbepackter Körper glänzte vor Schweiß, als er in die Grätsche sprang und Hanteln stemmte. Er trug ein schwarzes Suppositorium und etwas Weißes um den Hals geknotet. »Noch ein Frühaufsteher, guten Morgen«, sagte er, sprang immer hin und her – Beine breit, Beine geschlossen – und stemmte im gleichen Rhythmus die Hanteln, dass sie fast über seinem Kopf zusammenstießen.

»Guten Morgen«, sagte Chip. Er ging zur Wand und zog seinen Bademantel aus und hängte ihn an einen Haken. Ein paar Haken weiter hing ein anderer Bademantel, ein blauer.

»Du warst nicht bei der Diskussion gestern Abend«, sagte Wei.

Chip drehte sich um. »Wir haben gefeiert«, sagte er und schlüpfte aus den Sandalen. »Patyas Geburtstag.«

»Ist schon gut«, sagte Wei, springend, Hanteln stemmend. »Ich habe es nur erwähnt.«

Chip stieg auf eine Matte und begann auf der Stelle zu treten. Das weiße Ding um Weis Hals war ein fest verknotetes Seidenband.

Wei hörte auf zu springen und ließ die Hanteln fallen und nahm ein Handtuch von einem der Barren. »Madhir befürchtet, du würdest ein Radikaler«, sagte er lächelnd.

»Dabei weiß er nicht einmal die Hälfte«, sagte Chip.

Wei beobachtete ihn, immer noch lächelnd, während er sich mit dem Handtuch die muskulösen Schultern und die Achselhöhlen abfrottierte.

»Trainierst du jeden Morgen?«, fragte Chip.

»Nein, nur ein- oder zweimal in der Woche«, sagte Wei. »Ich bin von Natur aus nicht sportlich.« Er rubbelte sich den Rücken mit dem Handtuch.

Chip brach seine Laufübung ab. »Wei, ich möchte etwas mit dir besprechen«, sagte er.

Er ging einen Schritt auf ihn zu. »Als ich hierher kam«, sagte er, »und wir gemeinsam zu Mittag gegessen haben –«

»Ja?«, sagte Wei.

Chip räusperte sich und sagte: »Du meintest, ich könnte mein Auge auswechseln lassen, wenn ich wollte. Rosen sagt es auch.«

»Ja, natürlich«, sagte Wei. »Willst du es machen lassen?«

Chip sah ihn unsicher an. »Ich weiß nicht, es sieht so nach – Eitelkeit aus«, sagte er. »Aber ich konnte nie vergessen, dass ich zwei verschiedene Augen habe.«

»Einen Makel zu beseitigen, hat nichts mit Eitelkeit zu tun«, sagte Wei. »Es nicht zu tun, wäre Nachlässigkeit.«

»Kann ich nicht eine Linse eingepasst bekommen?«, sagte Chip. »Eine braune Linse?«

»Ja, das kannst du«, sagte Wei, »wenn du es verstecken und nicht korrigieren willst.«

Chip sah zur Seite und dann wieder auf Wei. »Also gut«, sagte er, »ich würde es gerne machen, das heißt machen lassen.«

»Fein«, sagte Wei und lächelte. »Ich habe schon zwei Augenverpflanzungen hinter mir«, sagte er. »Man sieht ein paar Tage lang undeutlich und verschwommen, das ist alles. Geh heute Morgen ins Medizentrum hinunter. Ich werde mit Rosen sprechen, dass er es selbst macht, so bald wie möglich.«

»Danke«, sagte Chip.

Wei legte das Handtuch um seinen Hals mit dem weißen Band, trat zu dem Barren und schwang sich mit ausgestreckten Armen hinauf. »Behalte es aber für dich«, sagte er, während er im Handstand über den Barren marschierte. »Sonst fangen die Kinder an, dich zu belästigen.«

Er hatte es hinter sich und sah in den Spiegel, und seine Augen waren beide braun. Er lächelte und trat zurück und stellte sich wieder dicht vor den Spiegel. Er betrachtete sich lächelnd von einer Seite und dann von der anderen.

Als er sich angezogen hatte, sah er sich noch einmal an.

Deirdre sagte im Aufenthaltsraum: »So ist es viel, viel besser! Du siehst fantastisch aus! Karl, Gri-gri, schaut euch Chips Auge an!«

Mitglieder halfen ihnen in schwere, grüne Mäntel mit dickem Futter und Kapuzen. Sie machten die Mäntel zu und zogen dicke, graue Handschuhe an, und ein Mitglied öffnete die Tür. Die beiden, Wei und Chip, gingen hinein.

Sie schritten gemeinsam zwischen den Stahlmauern der Gedächtnisspeicher durch einen Gang. Ihr Atem bildete weiße Wölkchen vor Mund und Nase. Wei sprach über die Innentemperatur der Speicher und ihr Gewicht und ihre Zahl. Sie bogen in einen schmaleren Gang ein, der immer enger wurde, bis die Stahlmauern in weiter Ferne auf eine Querwand trafen.

»Hier war ich als Kind«, sagte Chip.

»Dover hat es mir erzählt«, sagte Wei.

»Damals habe ich mich vor diesem Raum gefürchtet«, sagte Chip. »Aber er besitzt eine Art von – Majestät. Die Ordnung und Präzision ...«

Wei nickte mit funkelnden Augen. »Ja«, sagte er. »Ich suche nach Ausreden, um hierher kommen zu können.«

Sie bogen in einen anderen Quergang ein, kamen an einem Pfeiler vorbei und bogen in einen weiteren Gang aus stählernen Gedächtnisspeichern, die Rücken an Rücken aufgereiht waren.

Wieder im Overall, blickten sie in einen riesig großen, runden und tiefen, von einem Geländer umgebenen Schacht, in dem Stahl- und Betongehäuse lagen. Diese waren durch blaue Masten verbunden, und dickere blaue Masten ragten aus ihnen zu der niedrigen, strahlend hellen Decke empor. (»Ich glaube, du hattest ein besonderes Interesse an den Gefrieranlagen«, sagte Wei lächelnd, und Chip blickte verlegen drein.) Neben dem Schacht stand ein Stahlpfeiler, und dahinter lag ein zweiter Schacht mit einem Geländer und blauen Masten, und noch ein Pfeiler und noch ein Schacht. Der Raum war ungeheuer groß, hell und ruhig. Sende- und Empfangsgeräte säumten seine beiden langen Wände; rote Lichter, so groß wie Stecknadelköpfe, blinkten; Mitglieder in Blau wechselten Schalttafeln in fleckigem Schwarz und Gold mit zwei Griffen aus. An einem Ende des Raums standen vier Reaktoren mit roten Kuppeln, und dahinter saß ein halbes Dutzend Programmierer hinter einer Glasscheibe um ein rundes Mischpult und sprach in Mikrofone und blätterte Seiten um.

»Nun stehst du davor«, sagte Wei.

Chip blickte sich um und sah alles genau an. Er schüttelte den Kopf und atmete tief aus. »Christus und Wei«, sagte er.

Wei lachte glücklich.

Sie blieben eine Weile, gingen umher, sahen sich um und sprachen mit einigen Mitgliedern. Dann verließen sie den Raum und schritten durch weiß gekachelte Flure. Eine Stahltür glitt auf, und sie gingen den dahinter liegenden, teppichbelegten Korridor entlang.