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In trübem Licht, noch vor der Dämmerung, glitten sie von dem Lastkahn und stießen das Floß mit den Tornistern ab. Drei von ihnen schoben es, und drei schwammen neben ihm her und behielten die dunklen, hohen Klippen der Küste im Auge. Sie bewegten sich langsam vorwärts, in etwa fünfzig Meter Abstand vom Ufer. Alle zehn Minuten ungefähr tauschten sie die Plätze: Wer geschoben hatte, schwamm, und wer geschwommen war, schob.

Als sie weit hinter ’91 772 angelangt waren, schoben sie das Floß an Land. Sie versteckten es in einer kleinen, sandigen Bucht zwischen hohen Felswällen, luden die Tornister ab, zogen Overalls an und steckten Pistolen, Uhren, Kompasse und Landkarten in die Tasche. Dann gruben sie ein Loch und legten die zwei leeren Tornister und die Plastikhüllen hinein, das Floß, aus dem sie die Luft abgelassen hatten, ihre Kleider von der Freiheits-Insel und die Schaufel, mit der sie gegraben hatten. Sie füllten das Loch wieder auf und stampften es eben, und gingen einzeln, hintereinander, die Tornister über der Schulter und die Sandalen in der Hand, den schmalen Uferstreifen entlang. Der Himmel wurde hell, ihre Schatten tauchten vor ihnen auf, verschwanden zwischen den Klippen und erschienen wieder. Am Ende der Reihe begann Karl, »Eine mächtige Familie« zu pfeifen. Die anderen lächelten, und Chip, an der Spitze, stimmte mit ein. Ein paar von den anderen fingen ebenfalls an zu pfeifen.

Bald kamen sie zu einem Boot, einem alten, blauen Boot, das umgekippt auf der Seite lag, auf Unheilbare wartend, die sich glücklich schätzen würden. Chip drehte sich um und ging zurück. »Hier ist es, wenn wir es brauchen«, sagte er, und Dover sagte: »Wir brauchen es nicht.« Als Chip sich wieder umgewandt hatte und das Boot hinter ihnen lag, hob Jack einen Stein auf, versuchte es zu treffen und warf daneben.

Im Gehen hängten sie die Tornister von einer Schulter auf die andere. Nach knapp einer Stunde stießen sie auf den ersten Raster. Zunächst sahen sie ihn nur von hinten. »Wieder zu Hause!«, sagte Dover. Ria schnaubte, und Buzz sagte: »Servus, Uni, wie geht’s?« – und klopfte dem Raster im Vorübergehen »auf den Kopf«. Buzz hinkte nicht; Chip hatte sich ein paarmal umgedreht, um sich zu vergewissern.

Der Uferstreifen wurde breiter, und sie kamen zu einem Abfallkorb und ein paar weiteren, und dann zu Sprungbrettern für die Rettungsschwimmer; sie sahen Lautsprecher und eine Uhr – 6.54 Do 25.Dez. 171 J. V. Dann standen sie vor einer Treppe, die im Zickzack den Abhang hinaufführte. Einige der Geländeverstrebungen waren mit roten und grünen Girlanden umwunden.

Sie stellten ihre Tornister und ihre Sandalen auf den Boden, schlüpften aus ihren Overalls und breiteten sie aus. Sie legten sich darauf und ruhten sich in der zunehmenden Wärme der Sonne aus. Chip schärfte ihnen ein, was sie sagen sollten, wenn sie – nachher – mit der Familie sprachen, und sie unterhielten sich darüber und rätselten, wie stark das Fernsehen durch Unis Ausfall in Mitleidenschaft gezogen würde und wie lange es wohl dauerte, bis der Schaden behoben war.

Karl und Dover schliefen ein.

Chip lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und dachte über einige der Probleme nach, die die Familie bei ihrem Erwachen erwartete, und überlegte sich, wie sie zu lösen wären.

»Christus, der du uns gelehrt« ertönte es um acht Uhr aus den Lautsprechern, und zwei Rettungsschwimmer mit roten Badekappen und Sonnenbrillen kamen die Zick-Zack-Stufen herunter. Einer von ihnen ging zu einem Sprungbrett in der Nähe der Gruppe. »Fröhliche Weihnachten«, sagte er.

»Fröhliche Weihnachten«, sagten sie zu ihm.

»Ihr könnt jetzt hineingehen, wenn ihr wollt«, sagte er und stieg auf das Sprungbrett.

Chip und Jack und Dover standen auf und gingen ins Wasser. Sie schwammen eine Weile, sahen Mitglieder die Treppe herunterkommen und legten sich dann wieder hin.

Als fünfunddreißig oder vierzig Mitglieder am Strand waren, um 8.22 Uhr, standen die sechs auf, zogen ihre Overalls an und schulterten ihre Tornister.

Chip und Dover stiegen als Erste die Stufen empor. Sie lächelten und sagten »Fröhliche Weihnachten«, wenn ihnen Mitglieder entgegenkamen. Es war ganz einfach, den Raster am oberen Ende der Treppe nur zum Schein zu berühren, denn die einzigen Mitglieder in der Nähe saßen in der Kantine und kehrten ihnen den Rücken.

Sie warteten bei einem Springbrunnen, bis Jack und Ria und dann auch noch Buzz und Karl die Treppe heraufkamen.

Sie gingen zu den Fahrradständern, wo zwanzig oder fünfundzwanzig Räder aufgereiht waren. Sie nahmen die sechs letzten, steckten ihre Tornister in die Satteltaschen, stiegen auf und fuhren bis zum Anfang des Radfahrerwegs. Dort warteten sie lächelnd und schwatzend, bis kein Radfahrer und keine Wagen vorbeikamen, und passierten den Raster in einer Gruppe. Für den Fall, dass jemand sie aus der Ferne sah, hielten sie ihre Armbänder an die Seite des Rasters.

Sie fuhren, einzeln oder zu zweit und in großen Abständen, auf EUR 91 770 zu. Chip war an der Spitze, hinter ihm kam Dover. Er achtete auf die Radfahrer, die näher kamen, und auf die gelegentlich vorüberrasenden Wagen. Wir werden es tun, dachte er. Wir sind schon dabei.

Sie betraten den Flughafen getrennt und trafen sich in der Nähe der Anzeigetafel mit dem Flugplan. Sie wurden von Mitgliedern dicht aufeinandergedrängt. In dem rot und grün beflaggten Wartesaal ging es so lebhaft und laut zu, dass die Weihnachtsmusik nur bruchstückweise zu hören war. Hinter der Glasscheibe wendeten große Flugzeuge schwerfällig und nahmen Mitglieder von drei Rolltreppen gleichzeitig auf, ließen Schlangen von Mitgliedern aussteigen, rollten auf die Landebahnen oder von ihnen herunter.

Es war 9.35 Uhr. Der nächste Flug nach EUR 00 001 ging 11.48 Uhr. Chip sagte: »Es gefällt mir nicht, dass wir so lange hier bleiben. Der Lastkahn hat entweder zusätzliche Energie verbraucht oder Verspätung gehabt, und wenn der Unterschied auffällig war, könnte Uni den Grund herausbekommen haben.«

»Gehen wir jetzt«, sagte Ria. »Fliegen wir so weit wie möglich in Richtung ’001. Dann können wir mit dem Rad weiterfahren.«

»Wir kommen viel früher an, wenn wir warten«, sagte Karl. »Das ist gar kein so schlechtes Versteck hier.«

Chip sah auf den Flugplan und sagte: »Nein, wir brechen auf – 10.06 nach ’00 020. Das ist der nächste Flug, den wir erreichen können, und ’00 020 ist nur etwa fünfzig Kilometer von ’001 entfernt. Los, kommt, die Tür ist dort drüben.«

Mitten durch die Menge bahnten sie sich ihren Weg zu der Flügeltür an der Seite des Raums und scharten sich um den Raster. Die Tür ging auf, und ein Mitglied in Orange kam herein. Unter Entschuldigungen streckte er die Hand zwischen Chip und Dover hindurch, um den Raster zu berühren – ja, blinkte er – und ging weiter.

Chip zog seine Armbanduhr aus der, Tasche und verglich sie mit der Flughafenuhr. »Startbahn 6«, sagte er. »Wenn es mehr als eine Rolltreppe gibt, stellt euch vor der hinteren auf und achtet darauf, dass ihr ziemlich am Ende der Schlange steht. Es müssen aber noch mindestens sechs Mitglieder hinter euch warten. Dover?« Er ergriff Dovers Ellbogen, und sie gingen zusammen durch die Tür auf das Lagergelände. Ein Mitglied in Orange, das dort stand, sagte: »Ihr dürft nicht hier drin sein.«

»Uni hat es erlaubt«, sagte Chip. »Wir sind von der Flughafenplanung.«

»Dreiunddreißig-sieben A«, sagte Dover.

Chip sagte: »Dieser Flügel wird nächstes Jahr vergrößert.«

»Ich verstehe, was du wegen der Decke gemeint hast«, sagte Dover, den Blick nach oben gerichtet.

»Ja«, sagte Chip. »Man könnte sie leicht einen Meter höher legen.«

»Eineinhalb Meter«, sagte Dover.

»Wenn wir keine Schwierigkeiten mit den Leitungen kriegen«, sagte Chip.

Das Mitglied ließ sie allein und ging durch die Tür hinaus.

»Ja, die ganzen Leitungen«, sagte Dover. »Großes Problem!«

»Ich will dir mal zeigen, wo sie hinführen«, sagte Chip.

»Ist ganz interessant.«

»Bestimmt«, sagte Dover.

Sie gingen dorthin, wo Mitglieder in Orange Kuchen- und Getränkebehälter fertig machten. Sie arbeiteten schneller, als es bei Mitgliedern üblich war.

»Dreiunddreißig-sieben A?«, sagte Chip.

»Warum nicht?«, sagte Dover und zeigte zur Decke, als sie einem Mitglied, das einen Karren schob, auswichen. »Siehst du, wie die Leitungen verlaufen?«, sagte er.

»Wir werden die ganze Anlage ändern müssen«, sagte Chip. »Hier drin auch.«

Sie berührten zum Schein den Raster und betraten einen Raum, in dem Overalls an Haken hingen. Niemand war zu sehen. Chip schloss die Tür und deutete auf den Schrank, in dem die orangeroten Overalls aufbewahrt wurden.

Sie streiften orangefarbene Overalls über ihre eigenen gelben und Zehenschützer über die Sandalen. Sie rissen Löcher in das Taschenfutter der orangefarbenen Overalls, sodass sie in die Taschen ihrer eigenen Overalls greifen konnten.

Ein Mitglied in Weiß kam herein. »Grüß euch«, sagte er. »Fröhliche Weihnachten!«

»Fröhliche Weihnachten«, sagten sie.

»Ich bin zur Aushilfe von ’765 geschickt worden«, sagte er. Er war ungefähr dreißig.

»Gut, wir können’s gebrauchen«, sagte Chip.

Das Mitglied, das seinen Overall öffnete, schaute auf Dover, der seinen gerade zumachte. »Wozu tragt ihr denn die anderen darunter?«, fragte er.

»Es ist wärmer so«, sagte Chip und ging auf ihn zu.

Er drehte sich verwundert zu Chip um. »Wärmer?«, sagte er. »Wozu wollt ihr’s denn wärmer haben?«

»Entschuldige, Bruder«, sagte Chip und versetzte ihm einen Schlag in den Magen. Das Mitglied beugte sich ächzend nach vorn, und Chip knallte ihm die Faust unter das Kinn. Das Mitglied kam wieder hoch und fiel nach hinten. Dover fing ihn unter den Armen auf und ließ ihn auf den Fußboden gleiten. Er lag mit geschlossenen Augen da, wie im Schlaf.

Chip sah auf ihn hinab und sagte: »Christus und Wei, es funktioniert.« Sie zerrissen ein paar Overalls, fesselten das Mitglied an Händen und Füßen und steckten ihm einen zusammengeknoteten Ärmel zwischen die Zähne. Dann hoben sie ihn auf und steckten ihn in den Schrank mit der Kehrmaschine.

Der Zeiger der Uhr rutschte von 9.51 auf 9.52.

Sie wickelten ihre Tornister in orangefarbene Overalls, verließen den Raum und gingen an den Mitgliedern vorbei, die mit den Kuchen- und Getränkebehältern beschäftigt waren. Auf dem Lagergelände fanden sie einen halb leeren Karton mit Handtüchern und legten die eingewickelten Tornister hinein. Den Karton zwischen sich tragend, schritten sie durch das Tor auf das Flugfeld hinaus.

Vor Startbahn 6 stand ein Flugzeug, ein großes, aus dem Mitglieder über zwei Rolltreppen ausstiegen. Vor jeder Rolltreppe warteten Mitglieder in Orange mit einer Karre für die Behälter.

Sie gingen nicht auf das Flugzeug zu, sondern schräg nach links über das Flugfeld. Den Karton trugen sie immer noch zwischen sich. Sie wichen einem Wagen der Flugplatz-Inspektion aus und kamen zu den Hangars, die in einem Trakt mit Flachdach untergebracht waren, der sich in Richtung Startbahn erstreckte.

Sie betraten einen Hangar. Ein kleines Flugzeug stand darin. An seiner Unterseite zogen Mitglieder in Orange ein rechteckiges Gestell heraus. Chip und Dover trugen den Karton nach hinten, wo sich eine Tür in der seitlichen Wand des Hangars befand. Dover machte die Tür auf, blickte hinein und nickte Chip zu. Sie traten ein und schlossen die Tür. Sie standen in einem Materiallager: ringsum Regale voll Werkzeug, Reihen von Holzkisten und schwarze Fässer mit der Aufschrift Schmieröl SG. »Könnte gar nicht besser sein«, sagte Chip, als sie den Karton auf den Boden stellten.

Dover ging zur Tür und stellte sich so, dass er hinter ihr stand, wenn sie aufging. Er zog seine Pistole und hielt sie am Lauf.

Chip kniete nieder, wickelte einen Tornister aus, öffnete ihn und entnahm ihm eine Bombe mit einem gelben Vier-Minuten-Zünder.

Er rückte zwei der Olfässer auseinander und legte dazwischen die Bombe, mit dem festgeklebten Zünder nach oben, auf den Fußboden. Er zog seine Armbanduhr und blickte darauf. Dover sagte: »Wie lange?«, und Chip sagte: »Drei Minuten.«

Er ging zu dem Karton zurück und schloss den Tornister und wickelte ihn wieder ein und klappte den Deckel des Kartons zu, ohne die Uhr aus der Hand zu legen.

»Ist hier etwas, das wir gebrauchen können?«, fragte Dover und zeigte auf die Regale mit den Werkzeugen.

Als Chip zu den Regalen ging, öffnete sich die Tür, und ein Mitglied in Orange kam herein. »Grüß dich«, sagte Chip, nahm ein Werkzeug aus dem Regal und steckte die Uhr in die Tasche. »Grüß dich«, sagte das Mitglied. Sie kam auf die andere Seite des Regals und warf einen Blick auf Chip. »Wer bist du?«, fragte sie.

»Li RP«, sagte er. »Ich wurde zur Aushilfe aus ’765 geschickt.« Er nahm ein weiteres Werkzeug aus dem Regal, einen Rechenschieber.

»Es ist nicht so schlimm wie an Weis Geburtstag«, sagte das Mitglied. Ein anderes Mitglied kam zur Tür. »Wir haben es gefunden, Peace«, sagte er. »Li hat es gehabt.«

»Ich habe ihn gefragt, und er hat nein gesagt«, sagte das erste Mitglied.

»Er hat es aber gehabt«, sagte das zweite Mitglied und verschwand.

Das erste Mitglied folgte ihm. »Er war der Erste, den ich gefragt habe«, sagte sie.

Chip blieb stehen und sah zu, wie sich die Tür langsam schloss. Dover, der dahinter stand, machte die Tür behutsam zu. Chip schaute auf seine Hand, in der er die Werkzeuge hielt. Sie zitterte. Er legte die Werkzeuge nieder, atmete tief aus und zeigte Dover seine Hand. Dieser lächelte und sagte: »Gar nicht mitgliedhaft.«

Chip holte Luft und zog die Uhr aus der Tasche. »Weniger als eine Minute«, sagte er, ging zu den Fässern und kauerte sich nieder. Er zog den Klebestreifen vom Griff der Bombe.

Dover steckte seine Pistole umständlich in die Tasche seines unteren Overalls und blieb an der Tür stehen, die Klinke in der Hand.

Chip, der auf die Uhr schaute und den Zündergriff hielt, sagte: »Zehn Sekunden.« Er wartete, wartete, wartete – dann zog er den Griff hoch und stand auf, als Dover die Tür öffnete. Er nahm den Karton, trug ihn aus dem Raum und zog die Tür zu.

Sie gingen mit dem Karton durch den Hangar – »Immer mit der Ruhe«, sagte Chip – und über das Rollfeld auf das Flugzeug vor Startbahn sechs zu. Mitglieder reihten sich vor den Rolltreppen ein und fuhren nach oben.

»Was ist das?«, fragte ein neben ihnen gehendes Mitglied in Orange mit einem Aktendeckel.

»Man hat uns gesagt, wir sollten es nach hier bringen«, sagte Chip.

»Karl?«, sagte ein anderes Mitglied neben dem mit dem Aktendeckel. Er blieb stehen, drehte sich um, sagte »Ja?«, und Chip und Dover gingen weiter.

Sie trugen den Karton zur hinteren Rolltreppe des Flugzeugs und stellten ihn ab. Chip blieb vor dem Raster stehen und schaute auf den Kontrollmechanismus der Rolltreppe, Dover schlüpfte durch die Schlange der Wartenden und stellte sich hinter den Raster. Mitglieder gingen zwischen ihnen hindurch, hielten ihre Armbänder an die grünblinkenden Raster und traten auf die Rolltreppe.

Ein Mitglied in Orange kam zu Chip und sagte: »An dieser Rolltreppe bin ich!«

»Karl hat mir gerade gesagt, ich soll sie übernehmen«, sagte Chip. »Ich bin zur Aushilfe von ’765 geschickt worden.«

»Was ist denn los?«, fragte das Mitglied mit dem Aktendeckel und kam herüber. »Warum seid ihr hier zu dritt?«

»Ich dachte, ich sei an dieser Rolltreppe«, sagte das andere Mitglied. Die Luft erzitterte, lautes Dröhnen drang aus den Hangars.

Eine schwarze Säule, riesig groß und immer höher ansteigend, stand über den Hangars, und grellrote Flammen loderten in der Schwärze. Schwarzroter Regen fiel auf das Dach und das Rollfeld, Mitglieder in Orange stürzten aus den Hangars, liefen weiter, erst schnell, dann langsamer, und blickten auf die Feuersäule auf dem Dach zurück.

Das Mitglied mit dem Aktendeckel riss die Augen auf und stürzte davon. Das andere Mitglied rannte ihm nach.

Die Mitglieder in der Schlange sahen zu den Hangars hoch, ohne sich zu rühren. Chip und Dover ergriffen sie am Arm und schoben sie vorwärts. »Nicht stehen bleiben«, sagten sie. »Bitte weitergehen! Es besteht keine Gefahr. Das Flugzeug wartet. Bitte Raster berühren und weitergehen!« Sie trieben die Mitglieder an dem Raster vorüber auf die Rolltreppe. Jack war dabei – »Herrlich«, sagte er, als er, über Chip hinwegblickend, den Raster berührte; und Ria, die so aufgeregt wirkte wie damals, als Chip sie zum ersten Male gesehen hatte; und Karl, mit verängstigter und finsterer Miene; und Buzz – er lächelte. Dover trat hinter Buzz auf die Rolltreppe. Chip warf ihm einen eingewickelten Tornister zu und wandte sich wieder an die letzten sieben oder acht Mitglieder in der Schlange, die unverwandt auf die Hangars blickten. »Bitte geht weiter«, sagte er. »Das Flugzeug wartet auf euch, Schwester!«

»Es besteht kein Grund zur Aufregung«, sagte eine Frauenstimme über die Lautsprecher. »In den Hangars hat sich ein Unfall ereignet, aber es steht alles unter Kontrolle.«

Chip drängte die Mitglieder zur Rolltreppe. »Berührt den Raster und geht weiter«, sagte er. »Das Flugzeug wartet.«

»Mitglieder, die auf den Abflug warten, wollen bitte ihre Plätze in der Schlange wieder einnehmen«, sagte die Stimme. »An Bord gehende Mitglieder können die Maschine besteigen. Der Flugdienst wird nicht unterbrochen.«

Chip tat, als berührte er den Raster, und trat hinter dem letzten Mitglied auf die Rolltreppe. Während er mit dem umwickelten Tornister unter dem Arm nach oben glitt, blickte er auf die Hangars zurück. Die Säule war schwarz und rußig, aber das Feuer brannte nicht mehr. Er sah wieder nach vorne, auf hellblaue Overalls. »An alle Beschäftigten, ausgenommen Siebenundvierziger und Neunundvierziger: Nehmt eure Arbeit wieder auf«, sagte die Frauenstimme. »An alle Beschäftigten, ausgenommen Siebenundvierziger und Neunundvierziger: Nehmt eure Arbeit wieder auf. Alles ist unter Kontrolle.« Chip betrat das Flugzeug, und die Tür glitt hinter ihm zu. »Es gibt keine Unterbrechung im –« Verdutzt standen Mitglieder vor belegten Plätzen.

»Wegen des Feiertags sind zusätzliche Passagiere an Bord«, sagte Chip. »Geht nach vorne und bittet andere Mitglieder, ihre Kinder auf den Schoß zu nehmen. Es geht nicht anders.«

Die Mitglieder schlenderten durch den Mittelgang und schauten von einer Seite zur anderen.

Die fünf saßen in der letzten Reihe, in der Nähe der Getränke- und Kuchenausgabe. Dover nahm seinen umwickelten Tornister von dem Sitz im Mittelgang, und Chip setzte sich. Dover sagte: »Nicht schlecht.«

»Wir sind noch nicht oben«, sagte Chip.

Stimmen erfüllten das Flugzeug: Mitglieder berichteten anderen von der Explosion; die Neuigkeit pflanzte sich von Reihe zu Reihe fort. Die Uhr stand auf 10.06, aber das Flugzeug rührte sich nicht.

Aus 10.06 wurde 10.07.

Die sechs schauten einander an und sahen wieder geradeaus, ganz normal.

Das Flugzeug bewegte sich. Es neigte sich sanft zur Seite und machte einen Ruck nach vorne. Es bewegte sich schneller. Das Licht erlosch, und die Fernsehschirme flackerten auf.

Sie sahen Das Leben Christi und einen alten Film, Die Familie bei der Arbeit. Sie tranken Tee und Cola, aber essen konnten sie nichts. Zu dieser Tageszeit gab es keine Kuchen im Flugzeug, und die in Folie gewickelten Käselaibe in ihren Tornistern konnten sie nicht verzehren, weil die Mitglieder, die zur Getränkeausgabe gingen, sie dabei ertappt hätten. Chip und Dover schwitzten in ihren doppelten Overalls. Karl döste vor sich hin, und Ria und Buzz knufften ihn von beiden Seiten, damit er wach blieb und aufpasste.

Der Flug dauerte vierzig Minuten.

Als EUR 00 020 auf dem Standort-Anzeiger erschien, standen Chip und Dover auf, stellten sich vor die Getränkeausgabe, drückten die Knöpfe und ließen Tee und Cola in den Ausguss rinnen. Das Flugzeug landete, rollte aus und kam zum Stehen. Die Mitglieder begannen in geordneten Reihen auszusteigen. Nachdem ein paar Dutzend durch den Ausstieg verschwunden waren, hoben Chip und Dover die leeren Behälter aus der Getränkeausgabe, stellten sie auf den Boden, klappten die Deckel hoch, und Buzz steckte in jeden einen umwickelten Tornister. Dann standen Buzz, Karl, Ria und Jack auf, und die sechs schritten zum Ausstieg. Chip, der in Brusthöhe einen Behälter vor sich her trug, sagte zu einem älteren Mitglied: »Entschuldige, würdest du uns bitte durchlassen?«, und ging hinaus. Die anderen folgten dicht hinter ihm. Dover, der den anderen Behälter trug, sagte zu dem Mitglied: »Am besten wartest du, bis ich die Rolltreppe verlassen habe«, und das Mitglied nickte verdutzt.

Am Fuß der Rolltreppe lehnte Chip das Handgelenk gegen den Raster und stellte sich dann davor, sodass der Raster den Blicken der Mitglieder im Wartesaal entzogen war. Buzz, Karl, Ria und Jack gingen an Chip vorbei, berührten den Raster zum Schein, und Dover lehnte sich dagegen und nickte dem oben wartenden Mitglied zu.

Die vier gingen auf den Wartesaal zu, und Chip und Dover überquerten das Rollfeld und betraten das Lagergelände durch das Tor. Dort stellten sie die Behälter ab, nahmen die Tornister heraus und schlüpften zwischen zwei Reihen von Holzverschlägen. Sie fanden eine freie Stelle an der Wand, zogen ihre orangeroten Overalls aus und streiften die Zehenschützer von den Sandalen.

Die Tornister über die Schulter gehängt, verließen sie das Lagergelände durch die Flügeltür. Die anderen warteten bei dem Raster. Sie gingen paarweise zum Flughafen hinaus – er war beinahe so überfüllt wie der in ’91 770 – und trafen sich wieder bei den Fahrradständern.

Mittags waren sie nördlich von ’00 018. Sie verzehrten ihre Käselaibe zwischen dem Radfahrerweg und dem Fluss der Freiheit, in einem Tal zwischen erschreckend hohen Bergen mit schneebedeckten Gipfeln. Während des Essens schauten sie auf ihre Landkarten. Sie schätzten, dass sie bei Einbruch der Dunkelheit in dem Parkgelände wenige Kilometer vor dem Tunneleingang sein könnten.

Kurz nach drei Uhr, als sie sich ’00 013 näherten, fiel Chip eine Radfahrerin auf, ein ganz junges Mädchen. Sie blickte allen nach Norden Fahrenden – auch ihm – besorgt und mit typisch mitgliedhaftem Ich-will-dir-helfen-Ausdruck ins Gesicht. Einen Augenblick später kam ihm eine andere Radfahrerin entgegen, eine ältere Frau mit Blumen in der Satteltasche, und sie sah sich die Gesichter auf dieselbe, leicht bekümmerte Weise an. Chip lächelte ihr zu, als sie auf gleicher Höhe waren, dann sah er geradeaus. Auf dem Weg und der Straße daneben war nichts Ungewöhnliches zu sehen; ein paar Hundert Meter weiter vorne bogen Weg und Straße nach rechts ab und verschwanden hinter einem Kraftwerk.

Er fuhr aufs Gras, hielt an und gab den anderen hinter ihm ein Zeichen, als sie auftauchten.

Sie schoben ihre Räder vom Weg aufs Gras. Sie befanden sich im letzten Ausläufer des Parkgebiets vor der Stadt; hinter einem Grasstreifen kamen die Picknicktische und ein steiler, von Bäumen bestandener Hang.

»Wenn wir jede halbe Stunde eine Pause machen, schaffen wir es nie«, sagte Ria.

Sie setzten sich ins Gras.

»Ich glaube, da vorne werden Armbänder kontrolliert«, sagte Chip. »Telecomps und Rot-Kreuz-Overalls. Mir sind auf diesem Weg zwei Mitglieder aufgefallen, die aussahen, als ob sie den Kranken suchten. Sie machten diese Wie-kann-ich-helfen-Miene.«

»Hass«, sagte Buzz.

Jack sagte: »Christus und Wei, Chip, wenn wir anfangen wollen, uns über anderer Leute Gesichtsausdruck den Kopf zu zerbrechen, dann können wir gleich wieder umkehren und nach Hause gehen.«

Chip sah ihn an und sagte: »Eine Armband-Kontrolle ist gar nicht so unwahrscheinlich, oder? Jetzt muss Uni schon wissen, dass die Explosion in ’91 770 kein Unfall war, und vielleicht hat er schon genau kombiniert, warum sie stattgefunden hat. Das ist der kürzeste Weg von ’020 zu Uni – und nach ungefähr zwölf Kilometern kommen wir zur ersten scharfen Kurve.« »Also gut, dann kontrollieren sie eben die Armbänder«, sagte Jack. »Warum, zum Hass, schleppen wir Pistolen mit uns herum?« »Ja!«, sagte Ria.

Dover sagte: »Wenn wir uns den Weg freischießen, haben wir sämtliche Radfahrer der Umgebung auf den Fersen.«

»Dann werfen wir eine Bombe hinter uns«, sagte Jack. »Wir müssen uns beeilen und dürfen nicht auf dem Arsch hocken, als ob das hier ein Schachspiel wäre. Diese Blödiane sind ohnehin halb tot, was macht es da für einen Unterschied, wenn wir ein paar von ihnen umbringen? Wir helfen dadurch allen anderen, stimmt’s?«

»Die Pistolen und Bomben werden nur benutzt, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt«, sagte Chip.

Er wandte sich an Dover. »Mach einen Spaziergang durch den Wald«, sagte er, »und sieh zu, dass du herausfindest, was hinter der Kurve los ist.«

»Richtig«, sagte Dover. Er stand auf und schritt durch das Gras, hob etwas auf und trug es zu einem Abfallkorb und machte sich auf den Weg durch die Bäume. Sein gelber Overall war nur noch als immer kleinerer Farbfleck zu erkennen, bis er auf dem Hang verschwand.

Als Dover nicht mehr zu sehen war, wandten sie sich ab. Chip zog seine Landkarte hervor.

»Scheiße«, sagte Jack.

Chip schwieg. Er sah auf die Karte.

Buzz rieb sein Bein und zog abrupt die Hand weg.

Jack riss Gras aus der Erde. Ria saß neben ihm und sah zu.

»Was willst du tun, wenn sie die Armbänder tatsächlich kontrollieren?«, fragte Jack.

Chip sah von der Landkarte auf und sagte nach kurzer Pause: »Wir gehen ein kleines Stück zurück, halten nach Osten und schneiden ihnen den Weg ab.«

Jack riss noch mehr Gras aus und warf es dann weg. »Komm«, sagte er zu Ria und stand auf. Sie sprang mit blitzenden Augen neben ihm auf.

»Wohin geht ihr?«, fragte Chip.

»Wohin wir vorhatten zu gehen«, sagte Jack, auf ihn herabsehend. »In das Parkgelände bei dem Tunnel. Wir warten auf euch, bis es hell wird.«

»Setzt euch hin, ihr zwei«, sagte Karl.

Chip sagte: »Ihr werdet mit uns allen gehen, wenn ich es sage. Damit wart ihr von Anfang an einverstanden.«

»Ich habe es mir anders überlegt«, sagte Jack. »Ich lasse mir nun einmal nicht gern befehlen, von dir so wenig wie von Uni.«

»Ihr werdet alles verderben«, sagte Buzz.

Ria sagte: »Nein, ihr! Anhalten, zurückgehen, Weg abschneiden – wenn ihr etwas tun wollt, dann tut es!«

»Setzt euch und wartet, bis Dover zurückkommt«, sagte Chip.

Jack lächelte. »Willst du mich fertigmachen?«, sagte er. »Hier, direkt vor der Familie?« Er nickte Ria zu, und sie hoben ihre Fahrräder auf und rückten die Tornister in den Satteltaschen zurecht.

Chip stand auf und steckte die Landkarte in die Tasche. »Wir können die Gruppe nicht so entzweireißen«, sagte er. »Wartet und überlegt eine Minute, ja, Jack? Wie wollt ihr wissen, ob –«

»Warten und überlegen ist deine Stärke«, sagte Jack. »Ich für mein Teil werde durch diesen Tunnel gehen.« Er drehte sich um und schob sein Fahrrad weg. Ria folgte ihm. Sie gingen auf den Weg zu.

Chip machte einen Schritt in ihre Richtung und blieb mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten stehen. Er hätte sie gern angeschrien, seine Pistole gezogen und sie zum Umkehren gezwungen – aber auf dem Weg kamen Radfahrer vorbei, und in der Nähe saßen Mitglieder im Gras.

»Da kannst du gar nichts machen, Chip«, sagte Karl, und Buzz sagte: »Die Bruderfeinde.«

Am Rand des Weges stiegen Jack und Ria auf ihre Räder. Jack winkte. »Bis nachher!«, rief er. »Wir treffen uns in der Halle beim Fernsehen!« Ria winkte ebenfalls, und sie strampelten davon.

Buzz und Karl winkten ihnen nach.

Chip riss seinen Tornister vom Fahrrad und hängte ihn über die Schulter. Er nahm einen anderen Tornister und warf ihn Buzz in den Schoß. »Karl, du bleibst hier«, sagte er. »Buzz, komm mit!«

Er ging in den Wald hinein. Es fiel ihm ein, dass er sich hastig, wütend und unnormal bewegt hatte, aber er dachte: Zum Teufel damit! Er erklomm die Böschung in der Richtung, die Dover eingeschlagen hatte. Gott STRAFE sie!

Buzz holte ihn ein. »Christus und Wei«, sagte er, »du darfst die Tornister nicht werfen

»Gott strafe sie!«, sagte Chip. »Als ich sie zum ersten Male sah, wusste ich, dass sie nichts taugen! Aber ich habe die Augen zugemacht, denn ich war so verflucht – Gott strafe mich!«, sagte er. »Es ist meine Schuld, nur meine.«

»Vielleicht gibt es keine Armband-Kontrolle, und sie warten in dem Parkgelände«, sagte Buzz.

Zwischen den Bäumen vor ihnen leuchtete etwas Gelbes auf: Dover kam ihnen entgegen. Er blieb stehen, dann sah er sie und kam näher. »Du hast recht«, sagte er. »Ärzte auf der Erde, Ärzte in der Luft –«

»Jack und Ria sind weitergefahren«, sagte Chip.

Dover sah ihn mit großen Augen an und sagte: »Hast du sie nicht aufgehalten?«

»Wie denn?«, fragte Chip. Er packte Dover am Arm und drehte ihn herum. »Zeig uns den Weg«, sagte er.

Dover führte sie rasch durch die Bäume den Hang hinauf.

»Sie kommen niemals durch«, sagte er. »Da ist ein ganzes Medizentrum aufgebaut, und Straßensperren, damit die Fahrräder nicht umkehren können.«

Sie kamen – Buzz als Letzter, obwohl er sich beeilte – aus dem Wald heraus und zu einer steilen, felsigen Anhöhe. »Legt euch hin, oder wir werden gesehen.«

Sie warfen sich auf den Bauch und krochen die Anhöhe bis zum Rand empor. Dahinter lag die Stadt, ’0013. Die weißen Quader ihrer Gebäude standen strahlend sauber in der Sonne, das Schienennetz, das sie durchzog, blitzte, und Wagen brausten über die Straßen, die sie umsäumten. Der Fluss machte vor der Stadt eine Biegung nach Norden; Aussichtsschiffe glitten langsam über den schmalen blauen Wasserlauf, und eine lange Reihe von Lastkähnen zog unter Brücken hindurch.

Unter sich sahen sie steile Felswände, die im Halbrund über einen Platz ragten, auf dem sich der Radfahrerweg gabelte. Dieser führte von Norden um das Kraftwerk herum auf den halbkreisförmigen Grund der Schlucht; dort bog eine Hälfte des Weges nach rechts, über die Wagenschnellstraße und eine Brücke, in Richtung Stadt ab, während die andere sich, hinter dem Platz, dem Flussufer entlang schlängelte, bis sie in die Straße mündete. Vor der Gabelung wurden die eintreffenden Radfahrer durch Schlagbäume aufgehalten und in drei Reihen geordnet, die alle an einer Gruppe von Mitgliedern in Rot-Kreuz-Overalls vorbeiziehen mussten. Neben dieser Gruppe stand ein niedriger, ungewöhnlich aussehender Raster. Drei Mitglieder, über jeder Gruppe eines, kreisten in Antischwerkraft-Anzügen, mit dem Gesicht nach unten, durch die Luft. Zwei Wagen und ein Hubschrauber warteten im Hintergrund des Platzes, und weitere Mitglieder in Rot-Kreuz-Overalls standen bei der Schlange der Radfahrer, die die Stadt verließen, und trieben sie weiter, wenn sie langsamer fuhren, um einen Blick auf die anderen vor den Rastern zu werfen.

»Christus, Marx, Wood und Wei«, sagte Buzz.

Während er hinunterschaute, öffnete Chip den Tornister an seiner Seite. »Sie müssen irgendwo in der Schlange sein«, sagte er. Er fand seinen Feldstecher, hielt ihn an die Augen und stellte ihn scharf ein.

»Ja, dort«, sagte Dover. »Siehst du die Tornister in den Satteltaschen?« Chip überflog die Reihe und entdeckte Jack und Ria. Sie radelten langsam, Seite an Seite, durch hölzerne Absperrungen voneinander getrennt. Jack sah nach vorn; seine Lippen bewegten sich. Ria nickte. Sie hielten die Lenkstange nur mit der linken Hand, die rechte hatten sie in der Tasche.

Chip reichte Dover das Fernglas und machte sich an seinem Tornister zu schaffen. »Wir müssen ihnen helfen, durchzukommen«, sagte er. »Wenn sie es über die Brücke schaffen, können sie in der Stadt vielleicht untertauchen.«

»Sie werden schießen, wenn sie zu den Rastern kommen«, sagte Dover. Chip reichte Buzz eine Bombe mit blauem Zünder und sagte: »Mach den Klebestreifen ab und zieh den Zünder, wenn ich es sage. Versuche, in die Nähe des Hubschraubers zu werfen, dann schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.«

»Wirf, bevor sie anfangen zu schießen«, sagte Dover.

Chip nahm ihm das Fernglas wieder ab und sah hindurch und entdeckte Jack und Ria wieder. Ungefähr fünfzehn Fahrräder trennten die beiden von der Gruppe an den Rastern.

»Haben sie Kugeln oder L-Strahlen?«, fragte Dover.

»Kugeln«, sagte Chip. »Keine Sorge, ich werde den richtigen Zeitpunkt erwischen.« Er beobachtete die Reihen langsam fahrender Räder und schätzte ihr Tempo ab.

»Sie werden wahrscheinlich ohnehin schießen«, sagte Buzz. »Einfach zum Vergnügen. Hast du den Blick in Rias Augen gesehen?«

»Mach dich bereit«, sagte Chip.

Er passte auf, bis nur noch fünf Fahrräder zwischen den Rastern und Jack und Ria waren. »Zieh ab«, sagte er.

Buzz zog den Zündergriff und warf die Bombe aus dem Handgelenk zur Seite. Sie fiel auf Stein, kullerte nach unten, prallte von einem Vorsprung ab und landete seitlich neben dem Hubschrauber. »Zurück«, sagte Chip.

Er warf noch einmal einen Blick durch das Fernglas auf Jack und Ria. Sie waren noch durch zwei Fahrräder von den Rastern getrennt und machten einen angespannten, aber zuversichtlichen Eindruck. Chip kroch zwischen Buzz und Dover zurück und sagte: »Sie sehen aus, als gingen sie zu einer Party.«

Die Wangen auf Stein gepresst, warteten sie, und die Explosion donnerte und ließ den Hang erbeben. In der Tiefe knirschte und krachte Metall. Dann herrschte Stille, und der bittere Geruch der Bombe erfüllte die Luft. Stimmen waren zu hören, erst nur leises Gemurmel, dann immer lauter. »Die zwei da!«, schrie jemand.

Sie robbten zum Rand der Schlucht vor.

Zwei Fahrräder rasten auf die Brücke zu. Alle anderen Mitglieder hatten angehalten und einen Fuß vom Pedal auf die Erde gesetzt. Sie blickten auf den umgekippten, rauchenden Hubschrauber und drehten sich um nach den zwei davonjagenden Fahrrädern und den Mitgliedern im Rot-Kreuz-Overall, die sie verfolgten. Die drei Mitglieder in der Luft wendeten und flogen auf die Brücke zu.

Chip richtete das Fernglas höher – auf Ria und Jack, die mit gebeugtem Rücken hintereinander fuhren. Sie traten seltsam energielos in die Pedale und schienen nicht mehr von der Stelle zu kommen. Eine gleißende Nebelwolke tauchte auf und hüllte die beiden teilweise ein.

Ein in der Luft schwebendes Mitglied zielte mit einem walzenförmigen Gerät, dem trübes, weißes Gas entströmte, nach unten.

»Er hat sie erwischt!«, sagte Dover.

Ria saß noch auf ihrem Fahrrad, hatte aber beide Füße auf der Erde. Jack sah sich über die Schulter nach ihr um.

»Nur Ria, Jack nicht«, sagte Chip.

Jack hielt an, wendete und zielte mit der Pistole nach oben.

Sie krachte einmal, dann noch einmal.

Das Mitglied in der Luft sackte zusammen (krach, krach, ertönten die Schüsse), und die Trommel, die das Weiß versprühte, fiel ihm aus der Hand.

Nach beiden Richtungen flohen Mitglieder von der Brücke, rasten auf Fahrrädern davon und stürzten auf die benachbarten Gehwege.

Ria saß neben ihrem Fahrrad. Sie drehte den Kopf; ihr Gesicht war nass und glänzte, und sie wirkte verstört. Mitglieder in Rot-Kreuz-Overalls scharten sich um sie.

Jack hielt mit starrem Blick seine Pistole, sein Mund öffnete sich weit und klappte wieder zu und öffnete sich wieder in gleißendem Nebel. (»Ria!«, hörte Chip, schwach und in weiter Ferne.) Jack hob die Pistole (»Ria!«) und schoss, schoss, schoss.

Ein weiteres Mitglied in der Luft (krach, krach, krach) sackte zusammen und ließ seine Trommel fallen. Rotes spritzte auf den Gehweg unter ihm und noch mehr Rotes.

Chip ließ sein Fernglas sinken.

»Deine Gasmaske!«, sagte Buzz. Er hatte ebenfalls ein Fernglas.

Dover hielt sein Gesicht zwischen den Armen verborgen.

Chip setzte sich auf und sah mit bloßem Auge auf die schmale, leer gefegte Brücke, über die ein einsamer Radfahrer in Hellblau zockelte, während ihm in einiger Entfernung ein Mitglied in der Luft folgte; auf die zwei toten oder sterbenden Mitglieder, die sich langsam in der Luft drehten und nach unten sanken; und auf die Mitglieder in Rot-Kreuz-Overalls, die nun in einer Reihe so breit wie die Brücke marschierten. Einer von ihnen half einem Mitglied in Gelb neben einem umgestürzten Fahrrad, umfasste ihre Schultern und führte sie zu dem Platz zurück.

Der Radfahrer hielt an und blickte auf die Mitglieder in Rot-Kreuz-Overalls zurück, dann drehte er sich wieder um und beugte sich tief über die Lenkstange. Das Mitglied in der Luft kam rasch geflogen und streckte den Arm. Eine dicke weiße Feder wuchs daraus hervor und streifte den Radfahrer. Chip hob das Fernglas an die Augen.

Mit dem grauen Gasmasken-Rüssel im Gesicht beugte sich Jack in der glitzernden Nebelwolke nach links und legte eine Bombe auf die Brücke. Dann trat er in die Pedale, kam ins Schleudern, rutschte zur Seite und fiel zu Boden, sodass das Fahrrad zwischen seinen Beinen lag. Auf einem Arm stützte er sich hoch. Sein Tornister, der aus der Satteltasche gefallen war, lag bei der Bombe.

»O Christus und Wei«, sagte Buzz.

Chip ließ das Fernglas sinken, sah auf die Brücke und schlang dann den Umhängeriemen fest um das Fernglas.

»Wie viele?«, fragte Dover. Chip sagte: »Drei.«

Die Explosion war grell und laut und hielt lange an. Chip beobachtete, wie Ria von den Mitgliedern in Rot-Kreuz-Overalls von der Brücke geführt wurde. Sie drehte sich nicht um.

Dover, der kniend nach unten blickte, wandte sich zu Chip um.

»Sein ganzer Tornister«, sagte Chip. »Er hat daneben gesessen.« Er steckte das Fernglas in seinen Tornister und schloss ihn. »Wir müssen hier raus«, sagte er. »Leg das Ding weg, Buzz. Kommt.«

Er wollte nicht zurückblicken, aber bevor sie das Plateau verließen, tat er es doch.

Die Brücke war in der Mitte schwarz und von Schutt bedeckt und am Rande schwer beschädigt. Die Hälfte eines Fahrrads lag außerhalb der schwarzen Fläche, und die Mitglieder in Rot-Kreuz-Overalls gingen langsam auf andere kleine Gegenstände zu, die auf dem Boden verstreut lagen. Hellblaue Fetzen flatterten von der Brücke und trieben auf dem Fluss.

Sie gingen zu Karl zurück und erzählten ihm, was geschehen war, und stiegen alle vier auf die Räder, fuhren ein paar Kilometer nach Süden und gingen in einen Park. Sie kamen zu einem Bach und tranken daraus und wuschen sich.

»Und jetzt kehren wir um?«, fragte Dover.

»Nein«, sagte Chip, »nicht alle.«

Sie sahen ihn an.

»Dass wir alle umkehren, habe ich nur gesagt, damit einer, der gefasst wird, im Verhör eine entsprechende Aussage macht – so wie jetzt wahrscheinlich Ria.« Er griff nach der Zigarette, die sie – trotz der Gefahr, dass der Rauchgeruch sich ausbreitete – kreisen ließen, machte einen Zug und reichte sie an Buzz weiter.

»Einer von uns – ich hoffe zumindest, dass nur einer geht – kehrt um«, sagte er, »lässt auf dem Weg zur Küste eine oder zwei Bomben fallen und nimmt ein Boot, damit es aussieht, als hielten wir uns an unseren Plan. Wir anderen verstecken uns zuerst im Parkgelände, arbeiten uns dann näher an ’001 heran und nehmen in etwa zwei Wochen den Tunnel in Angriff.«

»Gut«, sagte Dover, und Buzz sagte: »Ich habe es immer sinnlos gefunden, so leicht aufzugeben.«

»Werden drei genug sein?«, fragte Karl.

»Das wissen wir erst, wenn wir es versucht haben«, sagte Chip. »Wären sechs genug gewesen? Vielleicht kann einer es schaffen, vielleicht sind zwölf zu wenig. Aber nachdem wir so weit gekommen sind, will ich es um jeden Preis wagen.«

»Ich halte zu dir, ich habe ja nur gefragt«, sagte Karl. Buzz sagte: »Ich halte auch zu dir«, und Dover sagte: »Ich auch.«

»Gut«, sagte Chip. »Drei haben größere Chancen als einer, das weiß ich. Karl, du wirst zurückgehen.«

Karl sah ihn an. »Warum ich?«, fragte er.

»Weil du dreiundvierzig bist«, sagte Chip. »Tut mir leid, Bruder, aber ich wüsste nicht, nach welchem anderen Gesichtspunkt ich entscheiden könnte.«

»Chip«, sagte Buzz, »ich glaube, es ist besser, ich sage es dir: Mein Bein tut seit ein paar Stunden weh. Ich kann umkehren oder weitergehen, aber – nun, ich dachte, du solltest es wissen.«

Karl reichte Chip die Zigarette. Der Stummel war nur noch ein paar Zentimeter lang, und Chip zerdrückte ihn am Boden. »Gut, Buzz, dann gehst lieber du«, sagte er. »Rasier dich zuerst. Am besten rasieren wir uns alle, für den Fall, dass uns jemand begegnet.«

Sie rasierten sich, und dann suchten Chip und Buzz auf der Landkarte einen Weg zum nächstgelegenen Teil der Küste, der etwa dreihundert Kilometer entfernt war. Buzz würde eine Bombe auf dem Flughafen in ’00015 werfen und eine weitere in der Nähe der Küste. Zwei behielt er für den Notfall, und seine anderen gab er Chip zurück. »Wenn du Glück hast, sitzt du morgen Nacht in einem Boot«, sagte Chip. »Pass auf, dass keiner herumschnüffelt, wenn du es nimmst. Sag Julia, und Lilac auch, dass wir uns mindestens zwei Wochen verstecken, vielleicht auch länger.«

Buzz schüttelte ihnen allen die Hand, wünschte ihnen Glück und nahm sein Fahrrad und verschwand.

»Wir bleiben eine Weile hier und schlafen abwechselnd ein wenig«, sagte Chip. »Heute Nacht gehen wir in die Stadt, um Kuchen und Ovis zu holen.«

»Kuchen!«, sagte Karl, und Dover sagte: »Das werden zwei lange Wochen werden.«

»Nein, sagte Chip. »Das soll er glauben, falls er gefasst wird. Wir machen uns in vier oder fünf Tagen an die Arbeit.«

»Christus und Wei«, sagte Karl lächelnd, »du bist wahrhaftig mit allen Wassern gewaschen.«