22. KAPITEL

 

Früh an jenem Abend war Phil gerade damit fertig, einen der zwei Dutzend Hamburger zu essen, die Brynley zum Abendessen gebraten hatte, als das Telefon klingelte.

»Bist du bereit für den Kampf, Lad?«, fragte Connor.

»Ich bin bereit.« Er sah aus dem Fenster. Es war seltsam, Connors Stimme zu hören, während die Sonne noch schien.

»Gut. Wir brauchen jeden Mann, den wir bekommen können. Wir wollen nicht wieder in der Unterzahl sein, wie bei dem Fiasko in New Orleans.«

»Habt ihr Sigismund den Peilsender eingesetzt?«

»Aye. Und wir haben den Bastard entkommen lassen. Bisher hat er sich beim russischen Zirkel in Brooklyn verkrochen.«

»Glaubst du, Robby könnte dort sein?«, fragte Phil.

»Nay. Sean Whelan hat das gesamte Haus verwanzt, und sein Team beobachtet es. Von Robbys Aufenthaltsort war nichts zu hören. Auch nicht von Casimirs. Wir glauben, dass Sigismund abwartet, bis im Westen die Nacht hereinbricht, ehe er sich bewegt. Ach, warte noch einen Augenblick...«

Phil konnte hören, wie Connor etwas mit Howard besprach.

»Er hat gerade einen großen Sprung auf dem Radar gemacht. Er muss sich teleportiert haben. Weißt du, wo er ist, Howard?«

»Chicago«, antwortete Howard mit seiner dröhnenden Stimme.

»Gut«, sagte Connor. »Phil, sobald die Sonne bei dir untergeht, rufst du Phineas an. Er holt dich ab. Bis dahin dürften wir wissen, wo Sigismund sich aufhält. Wir sammeln uns dann dort zum Angriff.«

»Wird gemacht.« Phil legte auf. Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Es würde noch ein bis zwei Stunden dauern, ehe die Sonne auch im Westen von Wyoming unterging-

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Sobald die Nacht hereinbrach, sprang Phil in den Keller, um Vanda zu sehen. Er hörte ihren ersten, keuchenden Atemzug, als sie zum Leben erwachte. »Hey, Kleines.«

Sie setzte sich auf. »Was ist los?«

»Ich muss bald weg. Phineas kommt her, um mich abzuholen.«

Sie stand auf. »Dann ist die Schlacht heute Nacht?«

»Ja. Ich habe dir heute ein paar Waffen besorgt, nur für den Fall, und ein Telefon, damit du dich teleportieren kannst. Du sollst wissen, dass du so lange hierbleiben kannst, wie du möchtest. Wenn mir irgendetwas zustößt...«

»Nein!« Sie rannte in Vampirgeschwindigkeit auf ihn zu und warf ihm die Arme um den Hals. »Dir wird nichts zustoßen.«

Er hielt sie fest. »Ich liebe dich, Vanda.«

»Ich empfinde das Gleiche für dich«, flüsterte sie. »Ich weiß, dass du eine großartige Zukunft vor dir hast.«

Als er sie küssen wollte, entzog Vanda sich ihm. »Ich muss essen.« Sie schwebte ins Erdgeschoss.

Phil folgte ihr und schloss die Falltür. Vanda nahm sich eine Flasche synthetisches Blut aus der Eistruhe, während sie Brynley beobachtete, die am Küchentisch stand, wo seine Waffen lagen. Phil umarmte sie, ehe er sich ein Schulterhalfter anlegte und seine Pistole hineinsteckte.

Dann nahm er sein Handy heraus und rief Phineas an.

Innerhalb von Sekunden war der junge Vampir bei ihm. »Yo, Wolf-Bro.« Er schlug mit der geschlossenen Faust gegen die von Phil. Dann bemerkte er Vanda und zuckte zusammen. »Ups, hoffentlich habe ich das große Geheimnis nicht verraten.«

»Sie weiß es.« Phil sah Vanda an und lächelte. »Sie liebt mich so, wie ich bin.«

»Ja, das tue ich.«

»Das ist meine Schwester, Brynley,« stellte Phil sie vor.

»Whoa, ein Lady-Wolf. Dr. Phang, zu Ihren Diensten.« Phineas schüttelte ihr die Hand.

Phil bemerkte die Jungen auf der Veranda, die zu den Fenstern hinein spähten. »Und das ist das junge Wolfrudel. Zukünftige Angestellte von MacKay S and I.«

»Ausgezeichnet.« Phineas winkte den Jungen zu. »Seht gut aus, Jungs.«

Vanda ging auf den Küchentisch zu und nippte dabei an ihrem Getränk. »Phineas, wie geht es Dougal?«

»Er ist okay. Er übt, mit seiner linken Hand zu fechten.« Phineas legte die Stirn in Falten. »Er hat darauf bestanden, heute Nacht bei der Schlacht dabei zu sein, und Angus hat ihn gelassen. Er macht sich Sorgen, dass wir in der Unterzahl sind, aber dort sind schon mehr als siebzig Vampire.«

»Wo genau?«, fragte Phil.

»Ein Campingplatz südlich von Mount Rushmore«, sagte Phineas. »Bist du so weit?«

»Ja.« Phil umarmte seine Schwester und gab Vanda einen schnellen Kuss. »Denk dran, ich liebe dich.«

In ihren Augen standen Tränen, als sie ihm zunickte.

»Gehen wir.« Phil hielt sich an Phineas fest, und alles wurde schwarz.

Sie landeten auf einer kleinen Lichtung neben einem Bach. Der Mond, immer noch voll, schien über ihnen. Er glitzerte auf dem gurgelnden Wasser und warf sein Abbild auf große graue Findlinge. In der Luft lag der frische Geruch von Pinien.

»Der Campingplatz ist ein Stück den Bach hinab«, flüsterte Phineas. »Komm, wir besorgen dir ein Schwert.« Er führte Phil an einen Haufen Findlinge. Dougal stand neben dem Waffenlager Wache.

Phil begrüßte ihn leise und schlug ihm auf den Rücken.

Dougal bedachte ihn mit einem zynischen Lächeln. »Sie trauen mir noch nicht zu, zu kämpfen, also ist das hier meine Aufgabe.«

»Es ist eine verdammt wichtige Aufgabe«, murmelte Phineas. Er wählte sich ein Schwert aus.

Phil nahm eines, das ihm gut in der Hand lag.

»Angus hat Ian ausgeschickt, um den Campingplatz auszukundschaften«, flüsterte Dougal.

»Ian ist aus den Flitterwochen zurück?«

Dougal nickte. »Er und Toni sind zurückgekommen, als sie von Robby gehört haben. Im Grunde ist jeder Angestellte von MacKay, den ich je kennengelernt habe, hier.«

»Kommt schon.« Phineas führte Phil zu einer nahen Lichtung, wo die Vampire sich versammelt hatten.

Es stimmte. Jeder männliche Vampir, den Phil je kennengelernt hatte, war dort, und noch dazu welche, die er noch nie gesehen hatte. Selbst Laszlo war anwesend und fummelte nervös mit einem Schwert herum. Emma blieb dicht bei ihm, wie eine beschützende Glucke. Colbert GrandPied war mit vier Männern gekommen. Phil erinnerte sich, in New Orleans sechs Männer getroffen zu haben. Zwei mussten im Kampf dort gestorben sein.

Phil blieb bei den anderen Formwandlern stehen.

»Wenn es wirklich schlimm wird, verwandle ich mich«, sagte Carlos. »Ich bin viel effektiver als Panther.«

Phil nickte. Er selbst würde so lange wie möglich menschliche Gestalt behalten, aber an der Macht des Wolfes zehren, um seine Kraft und Geschwindigkeit zu verstärken.

»Ian ist zurück«, flüsterte Howard.

Ian, ganz in Schwarz gekleidet, näherte sich geräuschlos der Lichtung. Er zeichnete mit seinem Schwert in den Sand. »Der Campingplatz hat einen zentralen, offenen Bereich, in dessen Mitte ein Feuer brennt. Die Gebäude sind drum herum im Quadrat angeordnet. Das Haupthaus befindet sich auf einer Seite, und es gibt neun Hütten auf jeder der anderen drei Seiten.«

»Wie viele Malcontents hast du gesehen?«, fragte Angus.

»Ich habe fünfzehn von ihnen im Haupthaus gezählt«, fuhr Ian fort. »Sie halten eine Gruppe Sterblicher gefangen - wahrscheinlich die ursprünglichen Camper. In jeder der Hütten befanden sich drei bis vier weitere Malcontents.«

»Dann sind es etwa fünfzig von ihnen«, schlussfolgerte Jean-Luc.

»Und wir haben vierundsiebzig«, sagte Angus. »Irgendein Hinweis auf Robby?«

»Nay, aber ich habe gesehen, wie drei Malcontents den Campingplatz nach Osten verlassen haben, also bin ich ihnen gefolgt.« Ian zeichnete einen Strich in den Sand. »Sie sind in eine Höhle gegangen. Ich denke, da könnte Robby sein.«

»Wahrscheinlich benutzen sie die Höhle für ihren Todesschlaf«, sagte Jean-Luc.

Angus legte die Stirn in Falten. »Vielleicht sind noch mehr Malcontents dort.« Er sah jedem auf der Lichtung ins Gesicht. »Ich weiß nicht, wie gefährlich die Sache wird.«

Jack winkte ab. »In der Schlacht ist man niemals sicher. Ich bin hier, um Robby zu retten. Ohne ihn gehe ich nicht.«

Die anderen nickten zustimmend.

»Dann also gut«, sagte Angus. »Wir teilen uns in fünf Gruppen auf, angeführt von Jean-Luc, Connor, Jack, Colbert und mir selbst. Meine Gruppe greift das Haupthaus an. Jean-Luc, Connor, Jack - eure Gruppen übernehmen die anderen drei Seiten des Quadrats. Colbert, du nimmst die fünfte Gruppe und stationierst sie hier.« Angus zeichnete ein Kreuz in den Sand. »Auf halbem Weg zwischen dem Camp und der Höhle, damit ihr jeden umbringen könnt, der kommt oder geht. Auf geht's.«

Es folgte eine kurze Unruhe, in der die fünf Anführer ihre Gruppen auswählten. Jean-Luc bat Roman, Phil, Ian und zwei der Vampire aus Texas zu sich.

Alle fünf Gruppen bewegten sich leise durch die Wälder und gingen in Position. Phil hockte sich hinter ein Gebüsch zwischen Roman und Ian. Er hörte, wie Roman ein Gebet murmelte, und fügte selbst ein stummes Amen hinzu.

Als Angus seinen Kampfschrei ausstieß, preschten sie los.

Phil raste durch die Hintertür einer Hütte. Vier Malcontents waren von einem Kartentisch aufgesprungen. Er spießte einen von ihnen auf. Die anderen drei waren schnell an ihren Schwertern. Phil und Roman verwickelten jeweils einen Malcontent in einen Zweikampf. Der dritte rannte durch die Vordertür hinaus auf den offenen Bereich in der Mitte.

Phil brachte seinen zweiten Gegner um. Romans Gegner bekam es mit der Angst zu tun und teleportierte sich.

»Gottes Blut«, murmelte Roman.

Phil rannte aus der Vordertür. Mehrere Malcontents aus den neun Hütten waren durch die Vordertür entkommen, als die Vampire von hinten einfielen. Die Malcontents bildeten dicht am Lagerfeuer eine Gruppe. Aus dem Haupthaus kamen weitere von ihnen, die nur knapp der Hinrichtung durch Angus und seine Gruppe entkommen waren.

Phil schätzte die Gruppe auf etwa fünfundzwanzig. Sie hatten etwa die Hälfte ihrer Männer verloren. Soweit er sehen konnte, hatten alle Vampire den ersten Angriff überlebt. Vierundsiebzig gegen fünfundzwanzig. Der Sieg war nah.

Die Vampire umzingelten die Malcontents und rückten näher.

»En Garde!« Colbert rannte mit seinen drei Männern auf den offenen Platz. Er blutete aus einer Wunde in seiner Brust. »Sie kommen aus der Höhle. Es müssen Hunderte sein!«

Phil musste schlucken. Sie steckten gewaltig in der Tinte.

Vanda ging unruhig in der Jagdhütte auf und ab. Sie hatte ein schlechtes Gefühl bei der Schlacht. Wenn die guten Vampire fielen, war der Krieg vorüber. Die Malcontents hätten gewonnen.

Und wie konnte sie warten und nichts tun, während Phil um sein Leben kämpfte? Wie konnte sie weiterleben, wenn er starb?

Sie blieb am Tisch stehen und sah sich die Waffen an, die er ihr gebracht hatte. Sofort wusste sie, was sie zu tun hatte. Sie rollte ein Bein ihrer Jeans hoch, schnallte sich die Hülle um und steckte das Messer hinein.

»Gehst du?«, fragte Brynley.

Vanda nickte. »Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.«

»Dann gehe ich auch. Du kannst mich doch teleportieren?«

Die Tür schwang auf, und alle Jungen kamen hereingestürmt.

»Wir wollen kämpfen«, verkündete Davy.

»Nein«, sagte Brynley. »Ihr seid zu jung.«

»Aber wir können uns verwandeln«, sagte Griffin mit Nachdruck. »Als Wölfe machen wir die klein.«

»Ihr könnt euch verwandeln?«, fragte Vanda. »Ich dachte, das wäre letzte Nacht gewesen.«

»Der Zyklus des vollen Mondes beeinflusst uns drei Nächte lang«, erklärte Brynley ihr. »In der ersten Nacht verwandeln wir uns, ohne es beeinflussen zu können, die ganze Nacht. In den nächsten zwei Nächten können wir selbst eine Verwandlung herbeiführen.«

»Und wir wollen!« Davy sah Vanda an. »Wenn Sie uns hinbringen können, dann kämpfen wir.«

»Bitte«, flehte Gavin. »Mr Jones glaubt an uns. Wir wollen ihm zeigen, dass wir es wert sind.«

Brynley seufzte. »Okay. Aber wenn einer von euch verwundet wird, zieht ihr euch zurück. Ihr passt auf euch auf.«

Sie drehte sich zu Vanda um. »Wie viele kannst du auf einmal teleportieren?«

»Nur einen«, erklärte Vanda.

Die Jungen stöhnten.

»Einen Augenblick.« Vanda griff nach ihrem neuen Handy. Wie gut, dass Phil eine lange Liste von Kontakten eingegeben hatte. Gott sei Dank hatte er vorausgeplant. Sie rief Maggie an. »Maggie, hier ist Vanda. Ich brauche dich und Pierce sofort hier. Bewaffnet euch.«

»Bist du in Gefahr?«, fragte Maggie. »Wir sind sofort da.«

Innerhalb von Sekunden erschienen Maggie und ihr Mann in der Hütte. Maggie hielt ein Handy und einen Revolver in der Hand, Pierce kam mit einer Flinte. Beide hatten sich Messer in den Gürtel gesteckt.

Vanda erklärte ihnen schnell die Sachlage. »Ihr müsst nicht kämpfen, wenn ihr nicht wollt, aber wir brauchen eure Hilfe beim Transport.«

»Kein Problem.« Pierce sah sich die Jungen an. »Seid ihr sicher, dass ihr mitkommen wollt?«

»Ja, gehen wir endlich«, sagte Davy ungeduldig.

»Wohin genau gehen wir eigentlich?«, fragte Maggie.

»Phineas hat gesagt, ein Campingplatz südlich von Mount Rushmore. Ich dachte, wir rufen einen von ihnen an und teleportieren uns direkt dorthin.«

Pierce legte die Stirn in Falten. »Wenn sie gerade kämpfen, werden sie nicht ans Telefon gehen.«

»Wir müssen es versuchen.« Vanda betrachtete die Liste der Nummern in ihrem Handy.

Brynley nahm ihr eigenes Handy heraus. »Irgendwo in der Nähe muss es ein Wolfsrudel geben. Ich versuche, sie zu finden.«

Vanda blieb am Namen Kyo hängen. Der japanische Tourist und seine Freunde hatten schon einmal angeboten, mit ihnen zu kämpfen. Sie wählte die Nummer.

»Kyo, hier ist Vanda. Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst...«

»Ah, Vanda, der berühmte Star. Es ist mir eine Ehre.«

»Kyo, könnten du und deine Freunde sich zu mir teleportieren? Und wenn ihr Waffen habt, bringt sie mit.«

»Bist du in Schwierigkeiten? Wir sind gleich da.« Kyo, Yuki und Yoshi trafen, mit Samurai-Schwertern bewaffnet, ein.

Vanda erklärte noch einmal die Sachlage und stellte alle einander vor.

Die Japaner starrten Pierce an.

»Du Don Orlando de Corazon!«, rief Yuki. »Du sehr berühmt!«

»Es ist uns eine Ehre, mit dir zu kämpfen.« Kyo verbeugte sich.

Brynley bedeckte ihr Telefon mit einer Hand. »Ich habe meine Schwester Glynis angerufen. Sie sucht nach der Telefonnummer des Wolfsrudels, das Mount Rushmore am nächsten ist.«

»Mount Rushmore?«, fragte Yuki. »Großer Berg, große Köpfe?«

»Wir waren dort«, sagte Kyo. »Wir haben sehr schöne Fotos. Wollt ihr sehen?«

»Wir wollen dort hin.« Vanda schlang sich ihre Peitsche um die Hüfte und stopfte sich die Pistole in den Bund ihrer Jeans. »Kennt ihr den Weg?«

»Hai.« Kyo nickte. »Wir bringen euch.«

»Schon gut«, sagte Brynley zu ihrer Schwester und legte auf. »Gehen wir.«

Beim ersten Mal nahmen die drei Japaner Vanda, Maggie und Pierce mit. Dann teleportierten sie sich alle zurück. Sie brauchten zwei weitere Wege, um Brynley und alle Jungen zu transportieren.

Sie hörten das Scheppern von Schwertern im Süden und rannten zwischen dichten Bäumen entlang auf das Geräusch zu. Der Lärm nahm zu und war immer wieder von einem Siegesruf oder einem Schmerzensschrei unterbrochen.

Vanda entdeckte vor sich das Licht eines Lagerfeuers. Sie blieb hinter einer Hütte stehen und spähte um die Ecke. Brynley sah ihr über die Schulter.

Phil und die Vampire waren vollkommen eingekesselt und kämpften um ihr Leben. Ein Panther umkreiste sie, riss einen Malcontent nach dem anderen und schleifte sie fort, um sie zu zerfleischen.

»Ist der Panther auf unserer Seite?«, fragte Brynley.

»Ja.« Vanda kniff die Augen zusammen. »Wo kommt der Bär her?«

»Das ist Howard«, flüsterte Maggie.

»Der liebe Howard ist ein Bär?« Als der riesige Bär seine Pranke nach einem Malcontent ausstreckte und dem Vampir den Kopf abriss, zuckte Vanda zusammen.

»Cool«, flüsterte Davy. »Kommt, Jungs, verwandeln wir uns.«

»Denkt daran, nur die anderen anzugreifen«, warnte Vanda sie. »Unsere Leute sind in der Mitte.«

»Ja, sie sind umzingelt.« Davy zog sein Hemd aus. »Aber nicht mehr lange.«

Die Werwölfe entkleideten sich und begannen mit der Verwandlung.

Vanda schnappte sich Maggie und rannte hinter eine der anderen Hütten. »Vielleicht können wir Robby finden.«

Mit seiner Flinte in der Hand folgte ihnen Pierce. »Ich lasse Maggie nicht aus den Augen.«

Ein lautes Heulen und Schreien erhob sich im Camp. Vanda spähte um die Hütte herum. Die Werwölfe und die Japaner hatten angegriffen.

Die Malcontents waren vollkommen überrascht, plötzlich an zwei Fronten kämpfen zu müssen. Ihre Reihen wurden immer lichter und gerieten ins Schwanken. Schmerzensschreie erfüllten die Luft. Im Gras lagen überall kleine Staubhaufen, die schnell verweht wurden, als die Krieger hindurchtrampelten.

Vier Malcontents rannten plötzlich einen Pfad hinab. Vanda kniff die Augen zusammen. Sie hatte Casimir und Sigismund erkannt. Vielleicht flohen sie, weil sie fürchteten, dass das Blatt sich gewendet hatte, oder sie gingen direkt zu Robby.

»Folgen wir ihnen«, flüsterte sie Maggie und Pierce zu.

Sie blieben im Schutz der Bäume und folgten dem Pfad, den Casimir eingeschlagen hatte. Er führte zu einer Höhle, die von zwei Malcontents bewacht wurde. Sigismund und Casimir mussten hineingegangen sein.

»Wie gut könnt ihr beiden mit Messern umgehen?«, fragte Vanda leise.

»Sehr gut.« Maggie zog ihr Messer aus dem Gürtel. »Ich nehme den Linken.«

Ihr Mann hatte ein Jagdmesser in der Hand. »Auf drei.« Er zählte leise, und die Messer sausten durch die Luft. Sie landeten dumpf in der Brust der zwei Malcontents.

Pierce hatte das Herz getroffen, und der Malcontent zerfiel zu Staub. Maggies Opfer brach zusammen. Ihr Mann sauste in Vampirgeschwindigkeit vor, riss das Messer heraus und rammte es dem Malcontent ins Herz. Auch er verwandelte sich zu Staub.

Maggie nahm das Messer wieder an sich, ehe sie die Höhle betraten. An der Höhlenwand war etwa alle zehn Fuß eine brennende Fackel befestigt. Sie schritten leise voran und blieben stehen, als der Tunnel sich gabelte.

»Ihr zwei geht nach rechts«, flüsterte Vanda, »ich nach links.«

»Bist du sicher?«, fragte Pierce.

»Ja.« Vanda zog das Messer aus der Scheide an ihrer Wade und eilte den schmalen Tunnel hinab. Als es immer dunkler wurde, nahm sie sich eine Fackel von der Wand, um ihren Weg zu beleuchten. Der Tunnel mündete in einer Höhle, in der Tropfsteine von der Decke hingen. Sie schlüpfte zwischen den aufragenden Steinen hindurch. Keine Malcontents. Kein Robby.

Plötzlich hörte Vanda ein Stöhnen und wirbelte herum.

»Robby?« Sie hauchte den Namen kaum, in der Hoffnung, nicht auf sich aufmerksam zu machen.

Wieder erklang das Stöhnen. Sie hielt die Fackel hoch und sah sich langsam um. Dort war ein schmaler Spalt in einer Wand, durch den sie sich hindurchquetschte.

Dahinter befand sich eine weitere Höhle. Und dort, in der Mitte, war Robby an einen Stuhl gefesselt.

»Robby«, flüsterte sie und eilte zu ihm.

Der Mann hob seinen Kopf, und sie blieb mit einem Ruck stehen. Lieber Gott, sie hatten ihm das Gesicht schwarz und blau geprügelt. Ein Auge war geschwollen, die Braue über dem anderen gespalten. Blut tropfte hinab.

»Oh, Robby.« Sie steckte die Fackel zwischen zwei Felsen. Als sie die Striemen auf seiner Brust sah, wurde ihr übel.

»Hunger«, flüsterte er.

Oh nein, sie hätte ihm eine Flasche Blut mitbringen sollen. »Keine Sorge. Ich teleportiere dich hier raus, und dann bekommst du etwas zu trinken.« In der Hütte gab es jede Menge. Dorthin konnte sie ihn bringen.

Sie legte ihr Messer ab, griff nach der Kette um seine Brust und schrie auf, als sie sich daran die Finger verbrannte. Natürlich, Silber, damit er sich nicht teleportieren konnte. Auf Robbys Brust entdeckte sie jetzt auch noch zahlreiche Verbrennungen.

Gab es hier denn gar nichts, um ihre Hände zu schützen. Socken? Sie blickte zu Robbys Füßen. Sie waren barfuß und blutig. Verdammt. Sie hatten jeden Körperteil des Mannes gefoltert.

»Hunger«, flüsterte Robby wieder.

»Ich bringe dich hier raus.« Sie zog ihr Hemd aus und wickelte es sich um die Hände. Dann löste sie die Kette von seiner Brust und seinem Hals. Auch seine Hände waren mit Silber hinter den Stuhl gekettet. Sie waren verbrannt, und aus ihnen tropfte Blut.

Robby zitterte. Vanda sah, wie sehr er gegen den Drang ankämpfte, sie zu beißen.

»Nur noch ein wenig länger. Halt durch.« Sie löste die Kette, die seine Schenkel an den Stuhl gebunden hatte.

»Nein!«, schrie Robby plötzlich.

»Es wird alles gut«, versicherte sie ihm.

Mit einem Mal stach etwas Scharfes ihr in den Rücken, und sie richtete sich mit einem Ruck auf und blickte nach hinten.

Sigismund stand hinter ihr, sein Schwert drückte gegen ihren Rücken. »So treffen wir uns wieder, Vanda. Zum letzten Mal.«