3. KAPITEL

 

Phil wusste zwar von Vandas Nachtclub, aber er war noch nie dort gewesen. Der Eingang zum Horny Devils lag am Ende einer dunklen Sackgasse, ganz verborgen, damit keine arglosen Sterblichen darauf aufmerksam werden konnten.

Ein riesiger Türsteher blockierte die dunkelrote Tür. Seine Nasenlöcher bebten, als er die Luft tief einsog. Phil roch nicht wie ein normaler Sterblicher, und da die meisten Vampire von Formwandlern nichts wussten, verunsicherte sie der fremde Geruch. Die meisten stuften ihn als seltsam riechenden Sterblichen ein.

»Geschlossen«, knurrte deshalb der Türsteher. »Verschwinde.«

»Ich bin hier, um Vanda Barkowski zu sehen.«

»Du kennst Vanda?« Der Mann schnupperte noch einmal und kniff dann seine winzigen Augen zusammen. »Du bist ein seltsamer Vogel.«

»Nicht mal nah dran.« Phil zeigte seinen Ausweis von MacKay S & I. Er wusste, der Türsteher konnte ihn in der Dunkelheit sehen. »Ich bringe Vandas Wagen zurück. Sie hat ihn bei Romatech stehen lassen.«

Der Blick des Vampirs war noch immer misstrauisch. »Ich muss dich abtasten.«

»In Ordnung.« Phil hob seine Arme auf Schulterhöhe, damit der Türsteher sein dunkelblaues Polohemd und die Khakihosen abklopfen konnte - die Uniform der Wachen von MacKay, die keinen Kilt trugen.

»Was ist das?« Der Mann klopfte gegen seine Tasche.

»Eine Kette. Aus Silber.«

Sofort zuckte er zurück: »Du hast nicht vor, die an irgendwem zu benutzen?«

»Nein.« Phil lächelte. Der Türsteher war in einem echten Zwiespalt, das wusste Phil. Als Vampir konnte er die silberne Kette nicht an sich nehmen, ohne sich selbst schwerwiegende Verbrennungen zuzufügen. Zum Glück war Silber für Phil kein Problem, es sei denn, er kam in Form einer Pistolenkugel damit in Kontakt. »Du kannst Connor Buchanan bei Romatech anrufen, wenn du mich überprüfen willst.«

Der Türsteher zuckte mit den breiten Schultern. »Ich behalte dich einfach im Auge.« Er öffnete die Tür. »Geh schon rein.«

Laute, hämmernde Musik ertönte mit einem Mal, und rote und blaue Laser durchschnitten die Dunkelheit in dem großen, ausgebauten Lagerhaus. Als seine Augen sich daran gewöhnt hatten, blickte er auf eine leere Bühne. Der Tänzer musste gerade Pause machen.

Eine Gruppe Vampirfrauen bewegte sich ausgelassen auf der Tanzfläche. Einige männliche Vampire saßen an den Tischen und tranken Blier, während sie den Frauen beim Tanzen zusahen. Ihre Augen wurden schmal, als sie ihn entdeckten. Konkurrenz.

Phil sah sich in dem riesigen Raum um, konnte Vanda aber nicht entdecken. Er bemerkte den Türsteher, der ihn tatsächlich vom Eingang aus beobachtete. Hinter der Bar stand Cora Lee Primrose, ein ehemaliges Mitglied von Roman Draganestis Harem. Sie war eine Südstaatenschönheit, die ihre Reifröcke gegen moderne Kleidung ausgetauscht hatte - enge Hüfthosen und ein glitzerndes Trägertop.

Sie stutzte, als er sich auf einen der Barhocker setzte. »Phil? Bist du das?«, rief sie über die laute Musik hinweg. »Heiliger Strohsack, dich habe ich seit Jahren nicht gesehen.«

»Hi, Cora Lee. Du siehst toll aus.«

»Recht vielen Dank.« Mit einem Kichern warf sie sich die langen blonden Haare über die Schulter. »Möchtest du etwas trinken? Wir haben auch Getränke für Sterbliche, zum Beispiel Bier.«

»Ich nehme eins.« Er stand auf, damit er sich die Brieftasche aus seiner Gesäßtasche ziehen konnte.

»Nein, nicht doch. Das geht aufs Haus.« Sie warf ihm einen koketten Blick zu, während sie das Glas füllte. »Heiliger Strohsack, du hast dich über die Jahre gut entwickelt.«

»Danke.« Er lehnte sich auf seinem Hocker zurück. »Sag, ist Vanda hier?«

Mit einem Seufzen stellte Cora Lee das Bier vor ihm ab. »Ich hätte wissen müssen, dass du wegen ihr hier bist. So wie sie immer über dich geredet hat - du liebe Güte, wir waren absolut schockiert.«

Phil verschluckte sich fast an seinem Bier. »Warum? Was hat sie gesagt?«

»Was hat sie nicht gesagt? Ich muss schon sagen, sie hat jeden Teil deiner männlichen Gestalt beschrieben, vom Scheitel bis zur Sohle.« Cora Lee lächelte ein wenig anzüglich. »Über deinen Hintern hat sie sich besonders poetisch ausgelassen.«

Ein kräftiger Schluck Bier half Phil über den Schock hinweg.

Immer noch lächelnd wischte Cora Lee den Tresen ab. »Sie hat immer behauptet, du wärst in sie verknallt.«

Seine Hand schloss sich fester um das Glas. »Hat sie das?«

»Vanda hat gesagt, du machst für sie alles, was sie will, wie ein dressiertes Hündchen.«

In einem Zug leerte Phil sein Glas und stellte es mit einem Knall zurück auf den Tresen. »Wo ist sie?«

Cora Lee zeigte auf eine Reihe Türen an der Wand hinter ihr. »Die erste ist ihr Büro.«

»Danke.«

»Vergiss nicht zu klopfen«, warnte Cora Lee ihn noch. »Vanda hat die Tänzer bei sich drinnen. Es könnte etwas peinlich werden, wenn du einfach reinplatzt.«

Phil erstarrte. »Warum? Was macht sie mit ihnen?«

Bedeutungsvoll zuckte Cora Lee mit den Schultern. »Das Übliche. Sie muss persönlich alle Kostüme und Tänze überprüfen, ehe die Jungs auf die Bühne gehen. Qualitätskontrolle, du verstehst.«

»Was du nicht sagst.«

»Ja, wirklich. Einmal bin ich reingegangen, und Terrance ist ganz nackt herumstolziert.« Cora Lee kicherte. »Vanda hat ihm gesagt, er soll sich eine Socke überziehen.«

»Verstehe«, knurrte Phil. Als er sich auf den Weg zum Büro machte, verstummte die Musik. Mit seinem übermenschlichen Gehör nahm er Vandas Stimme durch die Tür wahr.

»Oh mein Gott, Peter, der ist riesig!«

»Man nennt misch nischt umschonscht den Pimmelprinsch«, prahlte ein Mann.

»Du kannst ihn so nicht auf die Bühne lassen«, protestierte ein anderer Mann. »Daneben sehen wir winzig aus.«

»Ihr scheid nun einmal kleiner alsch isch«, erwiderte Peter.

»Sind wir nicht!«, rief ein dritter Mann.

»Beruhigt euch!« Vandas Stimme klang angespannt. »Peter, ich bin froh, dass du wieder bei uns tanzt, aber das - das ist zu viel. Du musst ein paar Zentimeter kleiner werden.«

»Nein!«, schrie Peter. »Du darfscht ihn nischt anfassen!«

»Sag mir nicht, was ich tun und lassen soll!«, schrie Vanda zurück. »Wo ist meine Schere?«

Peter quietschte. Wie ein Mädchen. Das er bald sein würde.

Ohne anzuklopfen riss Phil die Tür auf und stürmte hinein. »Vanda, stopp! Du kannst einem Mann nicht den...« Er hielt inne, erstaunt, Vanda hinter ihrem Schreibtisch zu sehen, ihre Schere auf einem glitzernd roten Schlauch abgesetzt.

Das alles war ein Irrtum. Es war nur ein Tanga. Mit einem langen Schlauch, der wie eine Wurst gestopft war.

Vanda sperrte den Mund auf. »Phil, was machst du hier?«

Er sah sich im Büro um. Drei schlanke junge Männer waren anwesend und sahen ihn neugierig an; sie waren vollkommen bekleidet. »Was machst du hier, Vanda?«

Ihre Wangen röteten sich, als sie den Tanga auf ihrem Schreibtisch ablegte. »Ich hatte eine Geschäftsbesprechung.«

»Vanda«, flüsterte einer der Tänzer, »willst du uns deinen attraktiven jungen Freund nicht vorstellen?«

»Sicher, Terrance.« Vanda sprach durch zusammengebissene Zähne. »Das ist Phil Jones.« Sie deutete auf die anderen Tänzer. »Terrance der Harte, Freddie der Feuerwehrmann und Peter der Große.«

»Isch erinnere misch an disch, von der Zirkelverschammlung«, sagte Peter. »Du hascht geschagt, du hilfscht Vanda mit ihrem Wutproblem.«

»Ich habe kein Wutproblem!« Vanda richtete ihre Schere erst auf Peter, dann auf Phil. »Und ich brauche deine Hilfe nicht.«

Phil sah sie mit gehobener Augenbraue an. »Als dein Sponsor schlage ich vor, dass du die Schere hinlegst.«

Sie knallte das Mordinstrument auf den Tisch. »Du bist nicht mein Sponsor.«

Der Mann, den man Terrance den Harten nannte, lächelte ihn an. »Du kannst mein Sponsor sein.«

»Phil, wir versuchen hier, die Kostüme zu besprechen.« Vanda reichte Freddie einen Tanga, der wie ein Feuerwehrschlauch aussah, und Terrance einen Tanga, der mit Efeu beklebt war.

Terrance ließ sein Kostüm vor Phils Gesicht baumeln. »Ist das nicht fabelhaft? Ich tanze eine Ode an Tarzan.«

»Wie nett«, murmelte Phil.

Plötzlich griff Peter nach dem rot glitzernden Tanga.

»Nein!« Vanda riss ihn ihm aus der Hand. »Du tanzt nicht in diesem Monster. Ich entwerfe die Kostüme, und ich sage dir, was du anziehen kannst.«

»Dasch ischt nischt fair«, wimmerte Peter. »Isch hatte mir dasch Koschtüm auf den Leib schneidern lassen.«

»Auf keinen Fall«, knurrte Freddie. »Du hättest dich ausstopfen müssen.«

Peter schnaufte. »Isch benutze niemalsch Polschter.«

»Hättest du gemusst.« Vanda legte das Kostüm auf den Tisch. »Kein Mann auf der Welt hätte das Ding da ausgefüllt.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher.« Terrance zwinkerte Phil zu.

Jetzt war es wirklich genug. »Diese Besprechung ist vorbei.« Phil warf den Männern einen warnenden Blick zu und zeigte auf die Tür. »Ihr alle verschwindet.«

»Was?« Vandas Augen blitzten vor Wut. »Das kannst du nicht machen. Das hier ist mein«, sie hielt inne, als Peter und Freddie aus dem Raum stolperten, »Büro.«

Auf halbem Weg zur Tür blieb Terrance noch einmal stehen und grinste sie an. »Sei nett zu ihm, Kleines. Der sieht aus, als sollte man ihn behalten.«

»Raus«, knurrte Phil.

»Oooh.« Terrance schauderte. »Ich Tarzan, du Phil.« Er rannte hinaus.

Phil schloss die Tür. »Jetzt können wir uns unterhalten.«

Wut glitzerte in Vandas Augen. »Ich rede nicht mit dir. Du verhältst dich wie ein Höhlenmensch.«

»Ich nehme an, du bevorzugst diese hübschen kleinen Jungs, die man leicht kontrollieren kann. Leichter kontrollieren als deine eigene Wut...«

»Mit meiner Wut ist alles in Ordnung!« Sie griff sich Peters Kostüm vom Tisch und warf es nach ihm. »Raus jetzt!«

Er fing den Tanga mit einer Hand und drehte ihn um, als wolle er ihn genau untersuchen. »Danke, Vanda. Der ist genau meine Größe.«

»Ein Mann müsste wenigstens hart sein, um das Ding auszufüllen.«

Ihre Blicke begegneten sich. »Kein Problem«, erwiderte Phil gelassen.

Fast unmerkbar schaute sie an ihm hinab und dann zur Seite. »Was... warum bist du hergekommen?«

»Du hast Romatech überstürzt verlassen. Wir waren mitten in einem Gespräch.«

Die Farbe ihrer Augen verdunkelte sich zu einem stürmischen Grau. »Das Gespräch war beendet.«

»Du hast deinen Wagen vergessen.«

»Als hätte ich eine Wahl gehabt! Dieser verdammte Connor hat mir die Schlüssel weggenommen.« Sie blinzelte, als Phil mit den Schlüsseln in der Luft schepperte. »Du... du hast meinen Wagen hergebracht?«

»Ja. Er parkt auf der anderen Straßenseite.«

»Oh. Danke.« Sie ging um den Tisch herum und auf ihn zu. »Das war sehr nett von dir.«

»Gern geschehen.« Er ließ die Schlüssel in ihre ausgestreckte Hand fallen. »Und was meine Sponsorschaft angeht...«

Ihre Hand ballte sich um die Schlüssel zur Faust. »Es gibt keinen Sponsor. Ihr könnt mich nicht zwingen, dieses dumme Training zu absolvieren.«

»Ich glaube, das können wir doch. Es war die Entscheidung des hohen Gerichts. Wenn du willst, dass die Anklagen gegen dich fallen gelassen werden, dann musst du dich daran halten.«

Sie warf die Schlüssel auf den Schreibtisch. »Sehe ich wie die Art von Wesen aus, die sich an etwas hält? Nur Feiglinge und dressierte Affen gehorchen. Ich bin ein freier Geist. Niemand sagt mir, was ich zu tun habe.«

Phil konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Vor neun Jahren hatte Phil seinem Vater fast genau dieselben Worte an den Kopf geknallt, ehe er Montana für immer verlassen hatte. »Was hast du dann vor, gegen dein Wutproblem zu unternehmen?«

»Ich habe kein Wutproblem!«, brüllte sie. Mit einem Stöhnen legte sie sich die Hand an die Stirn. »Warum hören die Leute nicht endlich auf, mich zu zwingen, Dinge gegen meinen Willen zu tun?«

»Glaub mir, ich verstehe dich.« Phils Vater hatte auch versucht, ihn zu einem vorausgeplanten Leben zu zwingen. Im Alter von achtzehn Jahren hatte er noch nicht die Reife oder Kraft besessen, sich gegen seinen Vater aufzulehnen. Er war einfach verschwunden. Deshalb hatte sein Vater ihn aus dem Rudel verbannt. »Die Dinge laufen nicht immer so, wie wir wollen. Und es ist sehr frustrierend, wenn man nichts tun kann, um das zu ändern.«

Vanda sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Heuchelst du Verständnis, nur damit ich mich einverstanden erkläre, mich dem Programm zu unterziehen?«

»Ich will damit nur sagen, wenn du reden willst, höre ich zu.«

Sie wurde blass und zog die Peitsche um ihre Hüfte mit einem Ruck enger. »Warum sollte ich dir glauben? Du hast mich in drei Jahren nicht ein einziges Mal besucht.«

Hatte sie wirklich die Jahre gezählt? Phil musste schlucken. Was, wenn seine Interpretation ihrer Beziehung falsch gewesen war? Für Vanda war er doch nicht mehr als ein Spielzeug gegen die Langeweile gewesen, oder? Guter Gott, was, wenn sie sich wirklich etwas aus ihm machte? Nein, auch das hier musste zu ihren kleinen Spielchen gehören. »Mir war nicht klar, dass du mich sehen wolltest.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Brauchst du erst eine in Stein gemeißelte Einladung?«

»Du hast einen Stripclub für Männer eröffnet, Vanda. Du bist jede Nacht von willigen Männern umgeben. Von fast nackten Vampirmännern.« Er warf das Kostüm auf ihren Schreibtisch. »Ich habe wirklich nicht gedacht, dass es dir an Gesellschaft fehlt.«

Voller Stolz reckte sie ihr Kinn in die Höhe. »Ich bekomme alle Gesellschaft, die ich brauche.«

Er knirschte mit den Zähnen. »Gut.«

»Entschuldige, dass ich geglaubt habe, du würdest in Verbindung bleiben wollen. Ich dachte, wir wären Freunde gewesen.«

»Wir waren nie Freunde.«

»Wie kannst du das sagen? Wir... wir haben geredet.«

»Du hast mich geärgert.«

Vanda erstarrte. »Ich war nett zu dir.«

Er trat auf sie zu. »Dir war langweilig, und du hast mich gequält, weil es dir Spaß gemacht hat.«

»Sei nicht albern. Es war bloß ein bisschen harmloses Flirten.«

»Es war die reine Folter.« Er kam noch einen Schritt näher. »Ich habe es gehasst. Jedes Mal, wenn du mich angefasst hast, wollte ich dir deinen kleinen Overall vom Leib reißen und dich zum Schnurren bringen.«

Schockiert riss sie ihren Mund auf und schloss ihn dann schnappend. Ihre Wangen erröteten. »Warum hast du es dann nicht getan? Warum hast du dich von einer dämlichen Regel aufhalten lassen? Ian hat sich von nichts davon abhalten lassen, Toni nachzustellen.«

Mit hartem Griff packte er Vanda an den Schultern. Erschrocken keuchte sie auf. »Ich hätte dich in derselben Sekunde genommen, wenn ich gewusst hätte, du willst es wirklich.«

Die Röte auf ihren Wangen wurde intensiver. »Woher willst du wissen, was ich wirklich will?«

Er beugte sich nahe zu ihr. »Ich habe dich von Anfang an durchschaut. Du liebst es, einen Mann erst hart zu machen und ihn dann an der langen Leine verhungern zu lassen. Dir hat es Spaß gemacht, mich leiden zu sehen.«

»Das ist nicht wahr. Ich... ich habe dich wirklich gemocht.« Sie zuckte zusammen, als hätte sie mehr zugegeben, als sie wollte. Er rieb seine Nase an ihrer Wange und flüsterte ihr ins Ohr: »Beweis es mir.«

Ihr Körper bebte. An seiner Wange spürte Phil, wie ihr Atem in schnellen Stößen ging.

Er kam mit seinem Mund näher an ihren. »Zeig es mir.«

Mit einem kleinen Aufschrei drehte sie ihren Kopf von ihm weg.

Mist. Er hatte die ganze Zeit über recht gehabt. Alles war nur ein Spiel. »Gib es zu. Du hast mit mir geflirtet, weil dir langweilig war und ich ungefährlich. Ich brauchte den Job dringend, also würde ich mich an die Regeln halten, egal, wie sehr du mich folterst.«

»Ich... ich wollte nicht...«

»Dass ich mich nach dir verzehre? Sag mir, Vanda, hast du dabei je etwas gespürt? Hast du dir wirklich etwas aus mir gemacht, oder warst du bloß eine kaltblütige Schlampe?«

Keuchend zuckte sie zurück und gab ihm dann eine Ohrfeige. »Raus hier!«

Lächelnd rieb er sich die Wange. »So kaltblütig bist du wohl doch nicht.«

Sie zeigte zur Tür. »Raus!«

Sollte er sie noch ein wenig ärgern, schoss es Phil durch den Kopf. Gott allein wusste, wie sehr sie es verdient hatte, nach fünf langen Jahren der Folter. Aber er bemerkte ihre zitternde Hand, und ihre Augen waren unendlich traurig.

Jetzt fühlte er sich wie ein räudiger Hund. Er hatte nur den Spieß umdrehen und ihr eine Kostprobe ihres eigenen »harmlosen Flirtens« geben wollen. Er hatte ihr nicht wehtun wollen.

Also folgte er ihrer Aufforderung, blieb aber an der Tür noch einmal stehen. »Du hast mich immer fasziniert, Vanda. Vom ersten Augenblick an. Ich war mir nie klar darüber, warum eine unabhängige Frau wie du sich selbst in einem Harem einsperrte. Wovor hast du dich versteckt? Und warum flirtet eine rebellische, wunderschöne Frau ausgerechnet mit dem Mann, der ihr nicht gefährlich werden kann?«

Mit verschränkten Armen sah sie ihn misstrauisch an. »Jetzt willst du mich analysieren, Doktor Phil?«

Sein Lächeln kam zaghaft. »Ich will eine Menge mit dir machen, Vanda. Du musst wissen, du hast einen großen Fehler gemacht. Ich war nie harmlos.«

****

Vanda stand allein in ihrem Büro und zwinkerte, um ihre Tränen zu vertreiben. Verdammt, sie würde nicht weinen. Sie war stark. Aber sie hatte Phil gequält. Das hatte sie nie gewollt. Wie konnte ein harmloser Spaß so danebengehen?

Sie ging um ihren Schreibtisch herum und ließ sich in den Stuhl fallen. Anscheinend hatte er sie wirklich durchschaut. Er hatte ihre Langeweile registriert. Als sie sich dem Harem 1948 angeschlossen hatte, war ihr der Frieden und die Gelassenheit gerade recht gewesen. Aber mit der Zeit war die Langeweile gekommen, und sie hatte sich verzweifelt nach Ablenkung gesehnt.

Der arme Phil kam ihr da gerade recht. Er durfte sich nicht mit ihr einlassen, das war gegen die Regeln. Von Anfang an war klar gewesen, dass er diese Regeln unter keinen Umständen brechen würde.

Und sie hatte ihn gequält.

Vanda legte ihre Hände vor das Gesicht. Der Sarg, den sie in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins geschoben hatte, öffnete sich langsam. Gedankenbilder flossen heraus.

Mama, die 1935 starb, als Vanda achtzehn war.

Frieda, ihre jüngste Schwester, die vier Jahre später auf der Flucht vor den Nazis ums Leben gekommen war. Frieda, mit ihren kastanienbraunen Locken und den großen braunen Augen.

Jozef, ihr kleiner Bruder, der im Alter von zwölf Jahren darauf bestand, sich seinem Vater und drei älteren Brüdern in der Schlacht gegen die kommende Invasion anzuschließen. In Vandas Augen brannten Tränen. Jozef mit seinen schwarzen Locken und den lachenden blauen Augen. Er war stolz in den Krieg marschiert. Und sie hatte ihn nie wiedergesehen. Eine Träne rollte ihre Wange hinab.

Ian hatte sie immer an Jozef erinnert. Sie hatte sich nicht an Ian binden wollen, aber mit der Zeit hatte er angefangen, für all die Brüder zu stehen, die sie verloren hatte. Und sie war im Dezember so kurz davor gewesen, auch Ian zu verlieren. Seit der Schlacht bei DVN waren ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt.

Noch mehr Bilder stiegen aus der Versenkung heraus. Papa und ihre drei anderen Brüder - Bazyli, Krystian und Stefan. Verschwommen und undeutlich.

Ein Schluchzen entkam ihrer Kehle. Oh Gott, sie konnte sich nicht mehr an ihre Gesichter erinnern. Ihre Schultern bebten. Wie konnte sie vergessen? Nachdem Mama gestorben war, hatte sie sich um all ihre Brüder und Schwestern gekümmert. Sie waren ihr ganzes Leben gewesen. Wie konnte sie vergessen?

Sie kniff die Augen fest zusammen. Nein! Das würde sie sich nicht antun. Sie musste sich nicht bestrafen, nur weil sie sich wegen Phil schuldig fühlte. Die Bilder schob sie zurück in ihren imaginären Sarg und knallte den Deckel zu.

Gedanken an die Vergangenheit waren tabu. Gedanken daran, wie sie ihre Familie verloren hatte, die sie liebte. Ihre Eltern, ihre Brüder, ihre Schwester. Selbst Karl, ihre erste Liebe und Anführer des Widerstands.

Alle waren gegangen.

Tief und innerlich zitternd holte Vanda Luft und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie hätte nie mit Phil flirten sollen. Er war ein Sterblicher mit einer kurzen Lebensspanne. Sich in ihn zu verlieben bedeutete nur, ihn auch zu verlieren.

Es war egal, wie anziehend er war und wie sehr er sie erregte. Es war egal, dass sie seine Umarmung herbeisehnte, in der sie Trost finden würde. Es war egal, dass sie seine Kraft und Intelligenz bewunderte. Oder dass sie es so satthatte, allein zu sein.

Aus dem Club drangen Schreie zu ihr und brachten sie mit einem Ruck zurück in die Wirklichkeit. Was war nun schon wieder?

»Vanda!« Terrance riss ihre Tür auf. »Max der Megamacker hat sich gerade teleportiert. Er sagt, du wirst sterben!«