18. KAPITEL

 

Vanda stolperte. Ihre fehlende Konzentration wirkte sich auf die Landung aus.

Phil hatte seine Balance schnell wieder und fing dann auch sie auf. »Geht es dir gut?« Er klappte das Telefon zu und steckte es in die Tasche.

»Ich...« Sie blinzelte. Eine Sekunde lang dachte sie, sie wären wieder in Howards Jagdhütte in den Adirondacks. Aber das konnte nicht stimmen. In New York war schon Tag.

»Phil!« Eine junge Frau rannte lächelnd auf ihn zu.

Er drehte sich um und strahlte. »Brynley!«

»Du blutest. Du bist verletzt.«

Phil sah an seinem zerrissenen, blutigen Polohemd hinab. »Nur ein paar Schnitte. Keine große Sache.«

»Es ist eine große Sache.« Die Frau warf Vanda einen misstrauischen Blick zu, nahm Phil dann an seinem Arm und zerrte ihn davon. »Lass mich dich verarzten. Lieber Gott, sieh dich nur an.« Sie berührte seine Wange. »Wie gut du aussiehst.«

Vandas Hand schloss sich fester um den Griff ihrer Peitsche. Wer zur Hölle war diese Frau? Wahrscheinlich eine blöde Kuh, mit ihrem langen glänzenden Haar, den hautengen Jeans und dem knappen Tanktop. Wie konnte Phil zulassen, dass sie ihn so anfasste?

Phil nahm ihre Hand und drückte sie. »Ich habe dich vermisst.«

Vanda räusperte sich.

»Brynley, das ist Vanda«, stellte Phil sie vor.

Dieses Mal stellte Phil sie nicht als seine Verlobte vor. »Freut mich.« Kuh. Sie starrte die schöne Brynley unverwandt an. Was für ein blöder Name war Brynley überhaupt?

Brynley starrte zurück. »Das ist der Vampir, von dem du gesprochen hast? Irgendwie hatte ich einen Mann erwartet.«

Vandas Wut regte sich. »Wen nennst du einen Mann?«

»Brynley«, sagte Phil ruhig, »Vanda und ihre Freunde sind sehr gute Freunde von mir.«

»Freunde?« Sie deutete auf sein blutiges Hemd. »In was haben deine ›Freunde‹ dich da hineingezogen?«

»Phil ist mehr als ein Freund.« Vanda trat auf sie zu. »Er ist mein Sponsor für das Anti-Aggressions-Training. Er kann dir erzählen, wie gefährlich ich werde, wenn man mich zu sehr anpisst!«

»Ach ja?« Brynley trat vor.

»Genug.« Phil streckte eine Hand aus, um sie aufzuhalten. »Vanda, das ist meine Schwester. Hör auf mit dem Mist.«

Vanda sperrte ihren Mund auf. Seine Schwester? Sie sah über das schöne Haar und die perfekte Haut hinweg und bemerkte die blassblauen Augen; genau wie die von Phil. »Ich wusste nicht, dass du eine Schwester hast.«

»Was?« Brynley starrte Phil an. »Du hast deinen Freunden nie von mir erzählt? Wir sind Zwillinge, verdammt noch mal!«

»Zwillinge?« Vanda sah sie an, dann Phil. »Du Heuchler! Mir rückst du immer auf die Pelle, ich soll dir von meiner Vergangenheit erzählen, und du erwähnst nicht einmal, dass du einen Zwilling hast?«

Phil trat von einem Fuß auf den anderen und sah zwischen den beiden Frauen hin und her. »Ich... ich blute, wisst ihr. Ich dachte, ihr wolltet mich verarzten?«

Brynley verschränkte die Arme. »Verarzte dich selbst.«

»Schon gut.« Phil stakste in die Küchenzeile.

Vanda unterdrückte ein Lachen. »Gut gemacht.«

Brynleys Mundwinkel zuckten. »Danke.«

Als Phil sein Hemd auszog, bekam Vanda jedoch einen Schock. Schnitte und Kratzer überzogen seinen ganzen Oberkörper. »Oh nein.« Sie rannte auf ihn zu.

»Verdammt, Phil.« Brynley eilte an die Spüle und bediente die altmodische Pumpe. »Saubere Handtücher sind in der Schublade dort.«

Vanda legte ihre Peitsche auf die Anrichte, nahm ein Handtuch aus der Schublade und gab Brynley ein zweites. Als Wasser aus der Pumpe kam, benetzte sie ihr Handtuch.

Phil zuckte zusammen, als sie ihm das Blut von der Brust wischte.

»Wie ist das passiert?« Brynley tupfte an einer schlimmen Wunde an seiner Seite.

Er hob einen Arm, um sich die Wunde anzusehen. »Zwischen den guten Vampiren und den Malcontents ist ein Krieg ausgebrochen. Man könnte auch sagen, zwischen Gut und Böse.«

Brynley schnaubte. »Seit wann gibt es gute Vampire?« Sie sah zu Vanda. »Nicht beleidigt sein.«

Vanda ignorierte sie. Sie war zu bestürzt über Phils schreckliche Wunden. Zu bestürzt, dass vielleicht ihre eigene Schwester für eine dieser Wunden verantwortlich war. »Phil, du darfst dich nie wieder auf einen solchen Kampf einlassen. Vampire sind zu schnell und stark für Sterbliche wie dich. Es ist ein Wunder, dass sie dich nicht umgebracht haben.«

»Sterbliche?« Brynley kniff die Augen zusammen.

»Gibt es hier Verbandsmaterial?«, fragte Phil. »Ich muss wieder an die Arbeit.«

»Welche Arbeit?« Brynley öffnete einen Schrank und zog eine Schachtel voll verschieden großer Pflaster heraus. Einige reichte sie an Vanda weiter.

»Dringende Arbeit.« Phil zog das Handy aus seiner Tasche. »Wie gesagt, wir haben Krieg.«

»Die Vampire führen Krieg«, berichtigte Brynley ihn. »Das hat mit dir nichts zu tun.«

»Phil ist ein wertvolles Mitglied unserer Gemeinschaft. Wir könnten es ohne ihn nicht schaffen.« Vanda legte ein Pflaster über eine seiner Wunden.

»Genug.« Er trat zurück und wählte eine Nummer.

»Aber du hast immer noch Verletzungen«, widersprach Vanda. »Und die lange Wunde an der Seite muss eigentlich genäht werden.«

»Das ist nichts.« Seine Augen glänzten feucht. »Das ist wirklich nichts. Ich habe viel Schlimmeres gesehen.«

Vanda durchfuhr ein kalter Schauer. War einer ihrer Freunde gestorben? »Was? Bei wem?«

»Dougal.« Phil verzog das Gesicht. »Man hat ihm die Hand abgehackt.«

Vanda keuchte auf. »Aber... aber man kann sie wieder annähen, richtig? Das heilt in seinem Todesschlaf.«

Phil schüttelte seinen Kopf. »Sie war komplett abgehackt. Sie ist zu Staub zerfallen.«

Vanda krümmte sich zusammen, so schlecht wurde ihr bei dem Gedanken.

Brynley berührte ihre Schulter. »Es tut mir leid. Ist er ein guter Freund?«

Vanda atmete tief durch. »Ich kenne ihn schon sehr lange.« Er war seit über dreißig Jahren Wachposten in Romans Stadthaus, immer schüchtern und ruhig, es sei denn, er spielte Dudelsack. Jetzt würde er nie wieder spielen können.

»Howard?«, sagte Phil in sein Telefon. »Hast du gehört, was passiert ist?«

Phil begann, den Vorfall in New Orleans zu beschreiben. Seine Schwester hörte genau zu und keuchte an den passenden Stellen erschreckt auf.

Zum ersten Mal hatte Vanda Gelegenheit, sich die Hütte anzusehen. Die Wände waren aus Holzstämmen, bis auf den steinernen Kamin, wie Howards Hütte, aber sie war kleiner und primitiver.

Das Wasser in der Küchenspüle musste gepumpt werden.

Es gab keinen Kühlschrank, nur eine große Eistruhe. Soweit sie sagen konnte, gab es überhaupt keinen Strom. Ein Feuer und einige Öllampen beleuchteten den Raum. Eine Flasche Propangas war an den Herd angeschlossen. Keine Vorhänge an den Fenstern. Keine Teppiche auf dem Boden aus breiten Holzplanken. Keine Treppe. Eine hölzerne Leiter führte in ein Loft.

»Wo sind wir?«, fragte sie leise.

»Wyoming«, antwortete Brynley. »Das hier ist Phils Hütte.«

»Ich wusste nicht, dass er eine Hütte hat.«

»Ja. Na ja, du weißt einiges nicht über ihn.« Sie sah Phil verärgert an. »Aber das gilt wohl auch für mich. Ich hatte keine Ahnung, dass er mit Vampiren zu tun hat.«

»Er ist ein Tagwächter«, erklärte Vanda ihr. »Wir sind während des Tages, in unserem Todesschlaf, sehr verletzlich.«

Brynley betrachtete sie neugierig. »Und wer genau bist du eigentlich?«

Vanda zuckte mit den Schultern. »Ich bin niemand Besonderes.«

»Und doch scheint Phil sein Leben zu riskieren, um dich zu beschützen. Bist du so eine Art Vampir...prinzessin?«

Vanda schnaubte. »Eher das Gegenteil.«

Brynley nahm die Peitsche, die Vanda auf die Anrichte gelegt hatte. »Du kämpfst in diesem Krieg.«

»Nur, weil ich muss. Die Malcontents wollen uns auslöschen.«

Brynley reichte ihr die Peitsche. »Warum? Was habt ihr getan?«

»Wir haben synthetisches Blut erfunden, damit wir keine Sterblichen mehr beißen müssen. Wir haben Arbeit angenommen, um nicht mehr von den Sterblichen zu stehlen.« Vanda schlang sich die Peitsche um die Hüfte und band sie fest. »Wir wollen einfach nur dazugehören und so tun, als wären wir normal. Wahrscheinlich klingt das seltsam.«

Brynley legte die Stirn in Falten. »Nein, eigentlich nicht.« Sie ging zur Eistruhe. »Ich habe Blut in Flaschen mitgebracht. Möchtest du eine?«

»Ja.« Phil hatte wirklich an alles gedacht, bemerkte Vanda erleichtert. »Danke.« Sie nahm die Flasche an und öffnete sie. Es war kalt, aber immer noch viel besser, als ihre Gastgeber zu beißen.

»In Ordnung, Howard.« Phil hatte alle Neuigkeiten weitergegeben. »Ruf mich an, wenn du noch etwas hörst.« Er legte auf und sah sich in der Hütte um. »Es sieht hier gut aus. Hast du dich darum gekümmert, Bryn?«

»Ja.« Seine Schwester machte es sich in einem alten, abgegriffenen Sessel bequem und legte ihre Füße auf den Couchtisch. »Ich bin immer mal wieder hier gewesen.«

»Danke. Dafür schulde ich dir etwas.« Er begann, im Raum auf und ab zu gehen.

Vanda setzte sich auf die alte Couch und nippte an ihrer Flasche. Phils Schwester war gar nicht so schlimm. Sie mochte offensichtlich keine Vampire, aber sie war ihrem Bruder treu ergeben. Vanda konnte das von Marta nicht behaupten.

Verdammt. Sie rieb sich die Stirn. Wie konnte ihre Schwester so etwas tun?

»Ich frage mich, wohin sie geflohen sind«, murmelte Phil. »Ich frage mich, wie es Dougal geht.«

»Er muss einen Schock haben. Und sehr starke Schmerzen. Du weißt nicht, wohin sie sich teleportiert haben?«

Phil schüttelte seinen Kopf. »Sie konnten es mir nicht sagen, solange wir vom Feind umzingelt waren.«

»Oh, richtig.« Vanda trank einige Schlucke. In New Orleans war es kurz vor Sonnenaufgang gewesen, aber hier in Wyoming blieb ihnen noch einige Zeit in der Dunkelheit. »Ich habe gehört, wie Colbert seinen Zirkelmitgliedern befohlen hat, in ihr Landhaus zu fliehen.«

»Ist das der Typ in New Orleans?«, fragte Brynley. Offensichtlich hatte sie aus Phils Gespräch mit Howard einiges erfahren.

»Er ist der Zirkelmeister von New Orleans«, erklärte Vanda ihr.

»Und wer ist dein Zirkelmeister?«, fragte Brynley.

»Roman Draganesti. Er ist der Anführer der gesamten Ostküstenregion. Und er ist der brillante Wissenschaftler, der das synthetische Blut erfunden hat.« Vanda hob ihre Flasche.

Brynley sah beeindruckt aus. »Das synthetische Zeug rettet jedes Jahr Tausende von Leben.«

»Sie müssen bei Jean-Luc sein.« Phil drückte einen Knopf auf seinem Telefon.

»Wer ist Jean-Luc?«, fragte Brynley Vanda.

»Jean-Luc Echarpe. Berühmter Modedesigner.«

»Oh, ich habe schon Sachen von ihm gesehen«, nickte Brynley. »Wirklich nett, aber auch wirklich teuer. Ist er nicht in Paris?«

»Texas.« Vanda nippte an ihrem Blut. »Er versteckt sich dort, damit die Medien nicht merken, dass er ein Vampir ist.«

Brynley machte große Augen. »Du liebe Zeit.«

»Billy?«, sagte Phil ins Telefon. »Sind die Jungs bei euch?« Er hörte zu und ging dabei weiter auf und ab. »Gut. Und Dougal, ist er okay?« Er sah zu Vanda hinüber. »Es geht ihnen gut. Die Sonne ist gerade aufgegangen.«

Vanda nickte. Wenn Dougal in seinem Todesschlaf lag, dann hatte er keine Schmerzen mehr. Und seine Wunde konnte heilen.

Plötzlich erstarrte Phil und wurde leichenblass.

Vanda richtete sich auf. Sie hatte ihn noch nie so sprachlos erlebt. Ein Schauer der Angst lief ihr über den Rücken.

»Bist du sicher?«, flüsterte Phil.

Vandas Hand zitterte, als sie die Flasche auf dem Couchtisch abstellte. Auch Brynley setzte sich gerade hin.

»Vielleicht ist er irgendwo anders«, sagte Phil. »Hast du das schon überprüft?«

Vanda stand auf. »Was ist los?«

Phil schluckte hörbar. »Ich verstehe. Ich... ich rufe dich wieder an.« Er schloss langsam das Telefon. Dann sah er Vanda an, und in seinen Augen schimmerte der Schmerz.

»Was ist los?« Sie eilte auf ihn zu.

»Robby... er wird vermisst.«

Als hätte sie einen Schlag vor die Brust bekommen, blieb Vanda erstarrt stehen. »Er... er hat sich woanders hinteleportiert.«

»Nein, das haben sie überprüft. Zoltan und Phineas haben alle wichtigen Zirkel im Westen angerufen. Niemand hat ihn gesehen. Und außerdem ist er Jean-Lucs Leibwächter. Er wäre dorthin gegangen.«

Galle stieg Vanda in die Kehle. »Glaubst du, er ist tot?«

Phil schüttelte den Kopf. »Alle erinnern sich noch daran, ihn lebendig gesehen zu haben. Wir... wir denken, dass er gefangen genommen wurde.«

Vanda presste eine Hand auf ihren Mund. Ihr wurde schlecht. Oh, Gott, nein. Die Malcontents würden ihn foltern.

»Ich bin mir sicher, Casimir hält ihn für einen guten Fang«, fuhr Phil fort. »Er ist der einzige noch lebende Verwandte von Angus MacKay, dem General der Vampirarmee.«

Vandas Augen füllten sich mit Tränen. Wut breitete sich in ihrem Inneren aus wie ein Lauffeuer. »Ich hasse den Krieg! Ich hasse das! Ich wollte das nie wieder durchmachen.«

Phil zog sie in seine Arme und hielt sie fest. »Es wird alles gut.«

»Nein, wird es nicht.« Sie schlang ihre Arme um seinen Hals.

»Es ist dort schon fast Tag. Sie können Robby nichts... antun, solange sie im Todesschlaf liegen.« Er küsste Vanda auf die Stirn. »Wir müssen an das Beste glauben.«

Sie nickte. »Was können wir tun?«

Phil trat zurück und wählte noch eine Nummer auf seinem Handy. »Wir denken uns schon etwas aus.«

Das nächste Telefonat begann. »Howard, es sieht so aus, als sei Robby MacKay gefangen genommen worden.«

Sie konnte hören, wie Howards dröhnende Stimme sich wütend erhob.

»Howard, hör mir zu«, verlangte Phil. »Wie weit ist Laszlo mit dem Peilsender?... Das ist nicht gut genug. Ruf Sean Whelan an. Holt Militärexperten dazu, die seine Arbeit zu Ende bringen. Dann können wir dem Gefangenen das Ding implantieren, während er noch in seinem Todesschlaf liegt.«

Es gab eine Pause, in der Phil zuhörte. »Okay, mir ist klar, dass die Armee nicht wissen kann, ob das Gerät von Vampiren auffindbar ist. Hör selber hin. Wenn du dir nicht sicher bist, gib einem der Vampire die verdammte Wachdroge und teste es an ihm. Wir müssen die Sache heute fertigstellen. Und dann, sobald die Sonne untergeht, lasst ihr den Gefangenen entkommen. Hoffentlich teleportiert er sich direkt zu Casimir, und wir finden so Robby. Halt mich auf dem Laufenden.«

Er klappte sein Telefon zu und sah Vanda an. »Es ist reine Spekulation, aber ich glaube, so haben wir am ehesten eine Chance, ihn zu finden.«

Sie nickte. Ihr war bisher nie klar gewesen, was für ein geborener Anführer Phil war. Er war stark und entschlossen, treu und mutig. Und so schön, selbst jetzt, zerschunden und verletzt. »Ich liebe dich so sehr.«

Seine blauen Augen wurden weich. »Ich liebe dich auch.«

»Oh mein Gott«, flüsterte Brynley.

****

Eine Stunde später starrte Vanda die alte Pferdehaardecke auf dem Kellerboden wütend an. Als lägen die Dinge nicht damit schlimm genug, dass Robby gefangen und Dougal verwundet war und ihre Schwester Marta auf der Seite des Feindes kämpfte. Jetzt behandelte Phils Schwester sie auch noch, als wären ihr plötzlich zwei Köpfe gewachsen.

Brynley war Phil angegangen, aber er hatte sie gebeten, still zu sein. Er würde es später mit ihr besprechen.

Brynley hatte das ignoriert und war mit »Wie kannst du sie bloß lieben?« herausgeplatzt.

»Ich tue es eben«, hatte Phil mit ernster Miene geantwortet. »Und wir werden das jetzt nicht diskutieren.«

Brynley hatte sich in den Sessel gesetzt und geschmollt, während Phil Vanda in den Keller brachte und einen geeigneten Platz für sie suchte. Er vernagelte das einzige kleine Fenster. Dann hatte er ihr noch die Rosshaardecke auf den Boden gelegt.

»Sie mag mich nicht«, flüsterte Vanda.

»Nicht sie wird dich heiraten, sondern ich.«

Vanda starrte ihn sprachlos an.

»Oh, tut mir leid.« Seine Mundwinkel zuckten. »Ich habe wohl vergessen zu fragen. Ist das in Ordnung?« Er deutete auf die Decke.

Wortlos nickte Vanda. Phil wollte sie wirklich heiraten? Warum sollte ein Sterblicher einen Vampir heiraten wollen? Sicher, manche der männlichen Vampire hatten sterbliche Frauen geheiratet, aber die Frauen würden sich über kurz oder lang verwandeln lassen, und solange konnten sie den Männern Kinder schenken. Sie konnte Phil nichts geben. Sie war nicht reich und charmant wie die Vampirmänner. Sie war eine neurotische, unfruchtbare Vampirfrau mit lila Haaren und furchtbaren Launen.

Sie spürte die ersten Wellen der Schläfrigkeit, als die Sonne sich dem Horizont näherte. »Ich bin müde.«

»Dann gute Nacht.« Er küsste sie auf die Wange. »Ich werde öfter nach dir sehen.«

Sie umarmte ihn fest. »Ich laufe nicht weg.«

»Ich liebe dich, Vanda.«

Wie kannst du sie bloß lieben? Die Worte seiner Schwester hallten in Vandas Gedanken wider. »Gute Nacht.«

Sie sah zu, wie er die Leiter erklomm und durch die Falltür ins Erdgeschoss der Hütte trat. Er zog die Leiter hoch und verschloss die Falltür dann. Im Keller wurde es stockfinster.

Im Handumdrehen hatte Vanda sich an die Dunkelheit gewöhnt und ärgerte sich über die kratzige Decke. Wenn Phil sie heiratete, konnten sie sich nie ein Bett teilen wie ein echtes Paar. Es sei denn, es machte ihm nichts aus, neben einer Leiche zu schlafen.

Wie kannst du sie bloß lieben?

Vanda ging im kleinen Keller auf und ab. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass Phil sie liebte. Noch. Aber was, wenn er ihre dunkelsten Geheimnisse erfuhr? Was, wenn er ihren schrecklichen Sünden auf die Spur kam? Er hasste die Malcontents, die sich von Sterblichen nährten und sie dabei umbrachten. Er hasste die Malcontents genug, um sein Leben im Kampf gegen sie zu riskieren.

Aber sie hatte die gleichen Dinge getan wie die Malcontents. Lieber Gott, er würde auch sie hassen.

Schläfrigkeit übermannte sie fast, und sie schleppte sich zur Decke.

Dann hörte sie Brynleys Stimme über sich. Sie war laut und wütend. Phil antwortete viel leiser. Es war ein privates Gespräch, das sie nichts anging.

Aber die beiden redeten über sie. Verdammt. Sie trat unter die Falltür und schwebte dann nahe an die Decke.

»Du kannst sie nicht heiraten«, sagte Brynley eindringlich. »Dad wird das niemals zulassen.«

»Es ist mir verdammt egal, was er meint«, antwortete Phil. »Er ist engstirnig, und seine Sicht auf die Welt ist ebenso eng.«

»Er hat große Macht.«

»Und wofür verwendet er sie?«, verlangte Phil zu wissen. »Um Rinder und Schafe zu züchten. Mehr Land zu kaufen. Mehr Rinder zu züchten. Mehr Schafe. Und der Höhepunkt seines Daseins ist es, einmal im Monat ein Tier umzubringen, das sich nicht verteidigen kann.«

»So sind wir eben. Dir macht es auch Spaß zu jagen.«

»Es ist aber nicht genug!«, brüllte Phil. »Da draußen ist noch eine ganz andere Welt.«

»Eine Welt voller Vampire?«, spottete Brynley. »Nein, danke.«

Schläfrig sank Vanda ein Stück hinab. Doch sie wollte unbedingt mehr wissen und schwebte noch einmal an die Falltür.

Phil erklärte gerade, wie wichtig es war, dass die Vampire die Malcontents schlugen. »Das ist eine riesige Sache, Bryn. Wenn die Malcontents gewinnen, übernehmen sie vielleicht die ganze Welt.«

»Schon gut«, schnappte Brynley. »Hilf deinen guten Vampiren zu gewinnen. Aber heirate nicht gleich einen von ihnen! Das ist Wahnsinn, Phil. Du bist ein verdammter Prinz, vergiss das nicht.«

Prinz? Vanda schüttelte den Kopf. Sie musste sich verhört haben.

»Und was ist mit Diana?«, fuhr Brynley fort. »Ihr seid einander schon vor Jahren versprochen worden.«

Vor Schreck fiel Vanda auf den Boden. »Autsch.« Sie zuckte zusammen, als sie aufstand. Ihr Knöchel hatte sich verdreht.

Vanda humpelte zu ihrer Decke. Wenigstens würde der blöde Knöchel in ihrem Todesschlaf heilen. Sie streckte sich aus. Prinz? Prinz Philip? Verlobt mit Diana? Sie waren hier in Wyoming, nicht in England. Das konnte alles nicht stimmen.

Der Todesschlaf legte gnadenlos seinen Mantel um sie. Sie gähnte und schloss ihre Augen. In ihren Gedanken tanzten Bilder umher. Phil, der Max den Megamacker zu Boden drückte. Phil, der vom Balkon sprang und sauber landete. Phil, der gegen die Malcontents kämpfte und überlebte. Der sich unglaublich schnell bewegte.

Zu schnell. Sie gab den Kampf auf und erlag ihrem Todesschlaf.

****

Vanda erwachte mit einem Ruck. Sie starrte in die Dunkelheit und war sich einige Sekunden lang nicht sicher, wo sie war. Oh, richtig. Phils Hütte in Wyoming. Sie tastete neben sich und fand ihre Peitsche.

Eine Vorahnung drückte auf ihr Gemüt, so schwer, dass sie Mühe hatte, sich aufzusetzen. Der Krieg hatte begonnen. Robby war gefangen. Marta hatte sie wieder einmal betrogen. Dougal war für den Rest seines Lebens behindert. Und Phils Schwester hasste sie.

Ihr Knöchel war geheilt. Sie stand auf, band sich die Peitsche um die Hüfte. Oben schien alles ruhig zu sein. Draußen ebenfalls. Sie schwebte an die Falltür und drückte dagegen. Sie ging ein Stück weit auf.

»Oh, du bist wach.« Phil zog die Tür ganz auf und lächelte sie an. »Ich nehme an, du brauchst keine Leiter?«

»Nein.«

Er nahm ihre Hand und zog sie an sich. Ihre Füße landeten auf dem Boden, und ihre Arme schlangen sich um seine Brust.

»Du siehst wie ein Cowboy aus.« Sie strich mit der Hand über sein kariertes Westernhemd.

»Brynley ist heute in die Stadt gefahren und hat uns etwas zum Anziehen gekauft.« Er küsste sie. »Willst du auch wie ein Cowgirl aussehen?«

Sie schnaubte. »Wie geht es dir? Tun die Verletzungen noch weh?«

»Es geht mir gut. Ich habe tagsüber etwas geschlafen, während Brynley hier war.«

Vanda sah sich um, aber die Hütte war leer. »Wo ist sie jetzt?«

»Sie... ist spazieren gegangen.«

»Im Dunkeln?«

»Es ist Vollmond. Brauchst du Frühstück?« Er führte sie an die Eistruhe. »Brynley hat uns noch mehr Eis gebracht.«

»Das ist gut.« Vanda griff nach einer Flasche kalten Blutes aus der Eistruhe. Sollte sie Phil fragen, ob er wirklich mit irgendeiner Lady namens Diana verlobt war? Aber dann müsste sie zugeben, dass sie gelauscht hatte. Sie nahm einen langen Zug. »Was gibt es für Neuigkeiten?«

Er lehnte sich an die Küchenanrichte und legte die Stirn in Falten. »Sie können den Peilsender nicht vor Sonnenuntergang fertigstellen. Also haben wir noch keine Ahnung, wo Robby gefangen gehalten wird.«

»Oh, Gott. Armer Robby.« Sie stellte die Flasche auf die Anrichte. Sie wollte nicht trinken, während Robby wahrscheinlich zur gleichen Zeit gefoltert wurde. »Was werden die ihm antun?«

»Ihn hungern lassen, zuerst einmal. Ich habe gehört, das ist sehr schmerzhaft.«

»Ist es.«

Phil legte den Kopf zur Seite und betrachtete sie. »Maggie hat mir gesagt, dass du lange Zeit nicht trinken wolltest. Du hast dich selbst damit gequält. Warum?«

»Ich... ich will nicht darüber reden.« Vanda ging durch den Raum. »Gibt es hier ein Badezimmer?«

»Hinter dem Stall ist ein Austritt.«

»Du hast einen Stall, aber kein Badezimmer?«

Gleichgültig zuckte Phil mit den Schultern. »Der Stall ist leer. Und ich habe kein Badezimmer gebraucht. Ich bin über vier Jahre lang nicht hier gewesen.«

»Warum nicht?«

In seinen Augen blitzte der Schalk. »Darüber will ich nicht reden.«

»Sind wir zwei nicht ein paar Geheimniskrämer?«

»Ja, sind wir. Ich glaube, es ist Zeit, dass wir uns ausgiebig unterhalten.« Er deutete gerade auf die Couch, als sein Handy klingelte. »Hallo?... Ja, Howard. Ich bin mir sicher, Angus ist außer sich. Irgendwelche Fortschritte mit dem Peilsender?«

Während Phil redete, ging Vanda unruhig umher. Sterbliche verstanden es normalerweise nicht, aber Vampire brauchten nur die roten Blutkörperchen, um zu überleben. Der Plasma-Teil des Blutes wurde, zusammen mit den zusätzlichen Zutaten, wie dem Whiskey in Blissky, ausgeschieden.

Den Austritt konnte sie auch selber finden. Sie trat auf eine breite Veranda vor der Hütte. Eine kühle Brise schlug ihr entgegen und brachte einen alten Schaukelstuhl dazu, sich quietschend zu wiegen.

Vor der Hütte breitete sich eine kleine Wiese aus. Der Vollmond schien hinab und überzog das Gras mit einem Hauch Silber. In der Ferne ragte ein hoher Wald in den sternenklaren Himmel. Die Luft war frisch und kühl.

Sie ging um die Hütte und entdeckte den Stall. Er war fast so groß wie die Hütte selbst. Dahinter befand sich der Austritt. Genau wie früher in Polen. Sie atmete tief ein und verrichtete ihr Geschäft so schnell wie möglich. Eine Rolle Toilettenpapier befand sich auf etwas, das aussah wie das Ende eines alten Besenstiels.

Schnell ging Vanda am Stall vorbei und rückte ihre Peitsche um ihre Hüfte zurecht. Plötzlich erklang ein gruseliges Heulen. Sie schluckte. Okay. Wahrscheinlich war es ein Koyote oder ein Wolf. Das war in Wyoming normal, richtig? Sie eilte um die Hütte herum zum Eingang.

Bewegte sich da etwas in den Wäldern? Sie schlich auf die Stufen der Veranda zu.

Noch eine Bewegung lenkte sie ab. Und noch eine. Tiere. Vielleicht ein Dutzend. Sie kamen aus den dunklen Schatten der Bäume auf die mondbeschienene Wiese. Sie erstarrte.

Wölfe.

Das Mondlicht glänzte auf ihren silbrig grauen Lefzen. Die Tiere pirschten mit blitzenden Augen langsam auf sie zu. Ihre Zähne waren gefletscht. Ein leises Knurren grollte über die Wiese und ließ Vanda vor Angst erstarren.

Plötzlich erstrahlte Licht auf die Wiese. Phil hatte die Tür geöffnet.

»Vanda, komm rein«, sagte er leise.

Obwohl sie sich bewegen wollte, blieben ihre Füße wie festgefroren am Boden stehen. Der Albtraum war zurückgekehrt. Sie wurde wieder gejagt. Und die Wölfe hatte man geschickt, um sie zu töten.

Sie kamen näher. Ihr Herz stockte. Das war es. Die Monster würden sie umbringen.

»Mist.« Phil kam die Verandastufen hinab auf die Wiese. »Geh wieder rein, Vanda.«

Mit einem Ruck erwachte sie aus der lähmenden Angst, die sie umgab. Oh Gott, nein! Phil würde versuchen, sie zu beschützen, genau wie Karl es getan hatte. Die Wölfe würden ihn umbringen.

Sie rannte auf ihn zu und packte seinen Arm. »Komm mit mir. Schnell.«

»Ich schaffe das schon. Vertrau mir. Jetzt geh wieder rein.« Er schob sie sanft auf die Stufen zu.

Die Wölfe heulten. Mit einem Schaudern drehte Vanda sich um.

Phil hatte sein Hemd ausgezogen. Alle Schnittwunden auf seinem Oberkörper waren geheilt. Wie war das möglich? Sein Körper begann zu schimmern.

Sie keuchte auf. Was machte er da?

Die Wölfe griffen an.

Phil breitete seine Arme weit aus, warf seinen Kopf in den Nacken und heulte.

Vanda stolperte rückwärts, bis sie gegen die Wand der Hütte prallte. Das Licht aus der offenen Tür beleuchtete Phil. Fell wuchs ihm aus dem Rücken und den Schultern und breitete sich dann auch über seine Arme aus. Seine Hände verwandelten sich in Pranken mit langen, scharfen Krallen. Sein Kopf platzte auf, und der Kiefer verlängerte sich zu einer langen Schnauze.

Die Wölfe machten halt und duckten sich zu Boden. Sie hatten Angst, das war offensichtlich. Aber nicht so viel Angst wie sie selber.

Phil war ein Werwolf.