1. KAPITEL

 

»Du bist zu spät«, begrüßte Connor sie mit einem missbilligenden Stirnrunzeln.

»Und?« Vanda Barkowski hielt dem Blick des Schotten stand, als sie das Foyer von Romatech Industries betrat. »Ich bin kein Haremsmädchen mehr. Ich muss nicht gerannt kommen, wenn der große Meister mit den Fingern schnippt.«

Connor hob eine Augenbraue. »Du hast eine offizielle Vorladung bekommen, aus der deutlich hervorgeht, dass die Versammlung des ansässigen Ostküsten-Zirkels heute Nacht um zehn Uhr beginnt.« Er schloss die Tür hinter ihr und drückte einige Knöpfe auf einem Sicherheitsdisplay.

War sie in Schwierigkeiten? Diese »offizielle« Vorladung hatte sie die ganze Woche beunruhigt, auch wenn sie das niemandem erzählt hatte. Sie wäre auch früher gekommen, aber sie durfte laut Vorladung nicht mithilfe von Teleportation innerhalb der Gebäude von Romatech erscheinen. Damit würde sie einen Alarm auslösen, die Versammlung unterbrechen und eine heftige Strafe aufgebrummt bekommen. Also war sie von ihrem Nachtclub in Hell's Kitchen aus gefahren, mit einem Umweg über Queens, um einige Kostüme abzuholen, die sie dort hatte anfertigen lassen. Der Verkehr war die ganze Fahrt nach White Plains über schrecklich gewesen, und sie war deswegen viel zu angespannt. Verdammt, sie wollte nicht hier sein.

Vanda atmete tief und fuhr sich durch die kurzen lila gefärbten Haare. »Mach nicht so einen Wind. Ich bin bloß ein paar Minuten zu spät.«

»Fünfundvierzig Minuten. Zu spät.«

»Und? Was sind für einen alten Bock wie dich schon fünfundvierzig Minuten?«

»Ich nehme an, fünfundvierzig Minuten.«

Leuchtete da etwa Belustigung in seinen Augen auf? Das konnte er sich nun wirklich sparen. Sie war stark, verdammt noch mal. Und wieso war er nicht beleidigt, weil sie ihn einen alten Bock genannt hatte? Connor Buchanan sah keinen Tag älter als dreißig aus. Wenn er sie über die Jahre nicht so oft angefahren hätte, würde sie ihn als wirklich gut aussehend bezeichnen.

Sie rückte die schwarze geflochtene Peitsche, die sie um ihre Hüfte trug, zurecht. »Hör zu. Ich bin jetzt eine Geschäftsfrau. Ich komme zu spät, weil ich den Club öffnen musste und einiges zu erledigen hatte. Und ich muss bald wieder zurück an die Arbeit.« Sie hatte um halb zwölf ein Meeting mit ihren männlichen Tänzern angesetzt, um ihnen ihre neuen Kostüme für August zu präsentieren.

Connor beeindruckte das nicht im Geringsten. »Roman ist immer noch dein Zirkelmeister, und wenn er deine Anwesenheit befiehlt, dann hast du pünktlich zu kommen.«

»Ja, ja, ich zittere in meinen kleinen Stiefelchen.«

Connor wirbelte zu einem Tisch herum, sodass sein rotgrün karierter Kilt um seine Knie schwang. »Ich muss deine Handtasche durchsuchen.«

Innerlich zuckte sie zusammen. »Haben wir dafür wirklich Zeit? Es ist doch schon so spät.«

»Ich überprüfe jede Handtasche, die durch diese Tür kommt.«

Schon immer war er ein Verfechter der Regeln gewesen. Wie oft hatte er sie dafür gerügt, wenn sie mit den Wachen in Romans Stadthaus geflirtet hatte? Na ja, nur mit einem Wachmann. Ein sterblicher Wachmann, der für MacKay Security & Investigation arbeitete. Ein schrecklich gut aussehender Tagwächter.

Connor arbeitete ebenfalls für MacKay S & I, also wusste er, dass Wächter sich nie mit ihren Schützlingen einlassen durften. Wenn es nach Vanda ginge, könnte man diese alte Regel zu den Akten legen. Ian hatte sich mit seiner sterblichen Wächterin Toni eingelassen, und ihre Liebe zu ihm hatte sie überhaupt nicht geschwächt. Im Gegenteil war sie noch stärker geworden und hatte sogar Jedrek Janow töten können, obwohl der Malcontent sie mit seiner vampirischen Gedankenkontrolle aufzuhalten versucht hatte.

Allerdings hatte Connor einen guten Grund, sich an die Regeln zu halten, wenn es um die Sicherheit bei Romatech Industries ging. Die fiesen, aufständischen Malcontents hassten die freundlichen, gesetzestreuen Vampire, die Flaschennahrung bevorzugten. Dieser Hass galt natürlich auch Romatech selbst, denn hier wurden die Blutkonserven produziert. In der Vergangenheit war es ihnen gelungen, immerhin drei Bombenanschläge auf Romatech zu verüben.

Vanda seufzte. »Ich habe keine Bombe bei mir. Glaubst du, ich jage mich selbst in die Luft? Sehe ich aus, als wäre ich wahnsinnig?«

Ein Funken der Belustigung glomm in seinen Augen auf. »Ich glaube, das soll bei der Versammlung des Zirkels herausgefunden werden.«

Verdammt. Sie steckte wirklich in Schwierigkeiten. »Schon gut.« Sie warf ihre Handtasche auf den Tisch. »Tob dich aus.«

Ihr wurde ganz heiß, während Connor ihre Tasche durchwühlte. Sie hasste es einfach, wenn ihr etwas peinlich war. Dann fühlte sie sich schwach und klein, und sie hatte sich geschworen, sich nie wieder verletzlich zu fühlen. Sie hob ihr Kinn und starrte Connor an.

»Was ist das?« Er zog einen Stofffetzen heraus, der wie eine ausgestopfte gelbe Socke aussah, an deren Ende eine große Messingdüse hing.

»Das ist ein Tanzkostüm. Für Freddie, den Feuerwehrmann. Das ist sein Feuerwehrschlauch.«

Connor ließ den Tanga fallen, als stünde er in Flammen, und durchsuchte weiter ihre Handtasche. Er zog einen glitzernden fleischfarbenen Tanga heraus, um dessen Schlauch falscher Efeu geschlungen war. »Ich traue mich kaum, zu fragen...«

»Im August ist unser Thema ›heißes Dschungelfieber‹. Terrance der Harte tanzt eine Ode an Tarzan. Er schwingt sich an einer Liane über die Bühne, während er sich auszieht.«

Connor warf das Utensil auf den Tisch und fuhr mit seiner Suche fort. »Hier drinnen sieht es wirklich wie ein verdammter Dschungel aus.« Er zog ein Bündel großer Blätter heraus.

»Das heiße Dschungelfieber ist extrem ansteckend«, sagte Vanda mit rauchiger Stimme. »Ich bin mir sicher, wir finden ein Feigenblatt in der richtigen Größe für dich.«

Er warf ihr einen grollenden Blick zu.

»Schon gut, ein Bananenblatt.«

Dann fischte er ihre Autoschlüssel aus dem Gebüsch und ließ sie in seinen Sporran fallen.

»Hey«, widersprach sie, »die brauche ich, um nach Hause zu fahren.«

»Du bekommst sie nach der Versammlung zurück.« Er steckte die Kostüme zurück in die Tasche. »Es ist eine Schande, dass Vampire sich so anziehen - oder vielmehr ausziehen - und das in der Öffentlichkeit.«

»Das macht denen wirklich Spaß. Komm schon, Connor. Wolltest du dich noch nie vor ein paar hübschen Mädchen ausziehen?«

»Nay. Ich habe zu viel damit zu tun, Roman und seine Familie zu beschützen. Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, wir stehen kurz vor einem Krieg mit den Malcontents. Und falls du es noch nicht gehört haben solltest, deren Anführer, Casimir, befindet sich irgendwo in Amerika.«

Vanda unterdrückte ein Schaudern. »Ich weiß. Mein Club ist im Dezember angegriffen worden.« Einige ihrer besten Freunde waren in jener Nacht fast ermordet worden. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken. Wenn sie es tat, dann wurden aus den Gedanken nur schlimme Erinnerungen.

Und sie wollte das alles auf keinen Fall noch einmal durchleben. Das Leben im Horny Devils Nachtclub war einfach und angenehm. Schöne Männer tanzten in winzigen Kostümen, und es wurde so viel Blier ausgeschenkt, dass selbst der kälteste Vampir Hitzewallungen bekam.

Jede Nacht konnte ohne Schmerzen vergehen, solange sie sich auf ihre Arbeit konzentrierte und ihre Vergangenheit fest in einem gedanklichen Sarg verschlossen hielt. Die Tage bewältigte sie im Todesschlaf ganz problemlos und frei von Albträumen. Sie konnte so jahrhundertelang weitermachen, wenn man sie bloß verdammt noch mal in Ruhe ließ.

Connor sah sie mitfühlend an. »Ian hat mir von dem Angriff in jener Nacht erzählt. Und von deinem mutigen Kampf.«

Vanda widerstand dem Drang, mit den Zähnen zu knirschen. Es war nicht gut für die Fangzähne. Sie griff sich ihre Handtasche und warf sie sich über die Schulter. »Also, was läuft da drinnen? Wie viel Ärger bekomme ich?«

»Das wirst du gleich sehen.« Connor deutete auf die Flügeltür zu seiner Rechten. »Ich bringe dich in den Versammlungssaal.«

»Nein, danke. Ich kenne den Weg.« Vanda schritt durch die Türen und den Korridor hinab. Ihre hochhackigen Stiefel klapperten auf dem makellos glänzenden Marmorfußboden.

Der unangenehme Geruch nach Desinfektionsreiniger konnte das köstliche Aroma von Blut nicht ganz überdecken. Die sterblichen Arbeiter bei Romatech stellten den ganzen Tag über synthetisches Blut her. Dieses Blut wurde offen an Krankenhäuser und Blutbanken verschickt, und im Geheimen an Vampire.

Roman Draganesti hatte das synthetische Blut 1987 erfunden, und er hatte sich in den letzten Jahren auch die Vampire Fusion Cuisine ausgedacht. Unter der Woche arbeiteten nachts Vampire bei Romatech und stellten leckere Getränke her, wie Chocolood, Blier, Blissky oder Blood Lite für Vampire, die es mit den anderen übertrieben hatten. Der Duft all dieser Köstlichkeiten hing in der Luft. Vanda atmete tief ein, um ihre angespannten Nerven zu beruhigen.

Ihr hervorragendes Vampirgehör nahm das Geräusch von statischem Rauschen auf. Sie blickte zurück und sah Connor, der sich an den Flügeltüren postiert hatte. Er beobachtete sie mit einem Walkie-Talkie in der Hand. Glaubte er, sie würde sich davonmachen? Die Verlockung war tatsächlich groß, sich auf den Parkplatz zu teleportieren und in ihrer schwarzen Corvette davonzurasen. Kein Wunder, dass er ihre Schlüssel konfisziert hatte. Sie konnte sich immer noch direkt nach Hause teleportieren. Aber die wussten, wo sie wohnte und wo sie arbeitete. Vor dem Zirkelgesetz gab es kein Entkommen.

Natürlich wurde Roman Draganesti nur von den guten Vampiren, die synthetisches Blut tranken, als Zirkelmeister der Ostküste anerkannt. Je näher Vanda dem Versammlungssaal kam, desto langsamer wurden ihre Schritte. Wenn eine Beschwerde gegen sie vorlag, warum hatte Roman sie nicht privat darauf angesprochen? Warum musste er sie vor den anderen hohen Tieren des Zirkels demütigen?

Connors Stimme mit dem weichen Akzent drang über den langen Korridor zu ihr. »Phil ist da? Gut. Lass mich mit ihm reden.«

Phil? Vanda geriet ins Stolpern. Phil Jones war wieder in New York? Als sie das letzte Mal von ihm gehört hatte, war er in Texas. Nicht, dass sie das interessierte. Er war bloß ein Sterblicher. Aber ein unglaublich gut aussehender und interessanter Sterblicher.

Fünf Jahre verbrachte Phil als eine der Tagwachen in Romans Stadthaus, wo sie mit dem Harem gelebt hatte. Die meisten sterblichen Wachen hielten den Harem, im Vergleich zu ihrem wirklichen Schützling Roman Draganesti, für einen albernen Haufen namenloser untoter Frauen. Sie hatten den Wert des Harems irgendwo unter Romans Kunstschätzen und seinen wertvollen Antiquitäten angesetzt.

Phil Jones war anders. Er lernte ihre Namen und behandelte sie wie richtige Menschen. Vanda hatte ein paar Mal versucht, mit ihm zu flirten, aber Connor, der alte Stinkstiefel, hatte dem immer sofort ein Ende gemacht. Phil hielt sich an die Regeln und ging auf Abstand - was ihm leicht fiel, denn er war normalerweise bei der Abendschule oder schlief, wenn sie wach war, und sie war tagsüber tot, wenn er wach war.

Trotzdem fand er sie irgendwie anziehend. Oder vielleicht hatte Vanda sich das nur gewünscht. Das Haremsleben war so verdammt langweilig, und Phil war irgendwie spannend gewesen.

Aber wahrscheinlich hatte sie sich das alles nur eingebildet. Sie war jetzt drei Jahre frei von Romans Harem, und in dieser Zeit hatte Phil sich nicht ein einziges Mal die Mühe gemacht, sie zu besuchen.

Sie blieb stehen, um Phils Stimme auszumachen. Die Worte konnte sie nicht verstehen, aber der Klang durchfuhr sie mit einem überraschenden Kribbeln. Sie hatte vergessen, wie sexy seine Stimme war. Verdammter Kerl, sie hatte ihn als Freund angesehen. Aber sie war nur Teil seines Jobs gewesen, einfach vergessen, als man ihm die nächste Aufgabe übertragen hatte.

Gerade streckte sie die Hand nach der Tür zum Versammlungssaal aus, als diese plötzlich aufsprang. Vanda machte einen Satz zurück, um sich nicht von einer vollbusigen Frau und einem Kameramann über den Haufen trampeln zu lassen. Vanda erkannte die Frau sofort. Corky Courrant war die Moderatorin einer Talkshow auf dem Digital Vampire Network, »Live with the Undead«.

»Ich nehme dieses Urteil nicht an!«, kreischte Corky und wirbelte herum, um die Tür aufzufangen, ehe sie zuschlug. »Ich bringe die Sache vor das höchste Zirkelgericht!«

»Meine Entscheidung ist endgültig«, erklang Romans Stimme fest, aber gelangweilt.

»Davon hört ihr in meiner Sendung!« Corky bemerkte Vanda zum ersten Mal. »Du! Was willst du hier?«

Vanda zuckte zusammen, als der Kameramann seine Kamera auf sie richtete. Verdammt. Jetzt war ihr ein Beitrag in Corkys Sendung sicher.

Zögernd lächelte sie in die Kamera. »Hallo da draußen, Mit-Vampire. Ich gehe gerade zur Zirkelversammlung. Ich gehe zu allen Zirkelversammlungen. Es ist unsere Bürgerpflicht, wisst ihr.«

»Hör auf mit dem Mist«, fuhr Corky sie an. »Du bist hergekommen, um zu spotten. Aber ich lasse meine Anklage gegen dich nicht fallen, egal, was der Zirkelmeister sagt.«

Vanda lächelte noch immer in die Kamera. »Können wir uns nicht einfach alle vertragen?«

»Daran hättest du denken sollen, ehe du mich angegriffen hast!«, kreischte Corky.

Oh, richtig. Dieser Vorfall letzten Dezember in ihrem Club. Vanda war über einen Tisch gesprungen und hatte Corky Courrant gewürgt. Dieser kleine Vorfall war ihr im Vergleich zu allen anderen unwichtig vorgekommen. Es war nicht mehr als eine kleine Streiterei gewesen. Vanda hatte über die Jahre viele kleine Streitereien gehabt.

Mit einem schwermütigen Blick wandte sie sich erneut der Kamera zu. »Es war ein unglücklicher Zwischenfall, aber wir können alle auf ewig dankbar sein, dass unsere liebe Corky nicht darunter gelitten hat. Ihre Stimme ist genauso laut und schrill wie immer.«

Corky explodierte fast und machte eine abschneidende Geste, damit der Kameramann die Aufnahme beendete. Sie beugte sich dicht zu Vanda und senkte ihre Stimme. »Zwischen uns ist es noch nicht vorbei, Schlampe. Ich habe eine Menge Macht in der Welt der Vampire, und ich sorge dafür, dass du zugrunde gehst.« Sie stürmte den Korridor hinab, ihr Kameramann immer dicht hinter ihr her.

»Einen schönen Tag!«, rief Vanda ihr nach. Sie wendete sich dem Versammlungssaal zu und bemerkte erst jetzt, wie still es darin war. Alle starrten sie an. Toll. Sie hatten bei der kleinen Szene mit Corky zugesehen.

Das Flüstern begann. Vanda hob ihr Kinn. Etwa dreißig Vampire nahmen an der Versammlung teil, die meisten davon Männer. Die archaische Vampirwelt wurde immer noch fast ausschließlich von Männern dominiert. Arroganten, schwerfälligen Männern, die ihren Nachtclub, wo Vampirmänner sich für Vampirfrauen auszogen, nicht guthießen.

Sie musterte die sauren Mienen. Offensichtlich nahmen sie auch Anstoß an ihrem lila Overall oder dem kurzen lila gefärbten Haar. In der ganzen Menge entdeckte sie nur ein freundlich lächelndes Gesicht. Gregori. Leider saß er in der ersten Reihe. Sie zog die Peitsche fester um ihre Hüfte und schritt den Mittelgang hinab.

Roman Draganesti saß im großen Sessel des Meisters auf dem Podium. In vergangenen Tagen saß der Meister allein, aber die Zeiten hatten sich geändert. An Romans Seite standen zwei kleinere Stühle. Seine Frau Shanna saß zu seiner Linken, und der Priester, Father Andrew, zu seiner Rechten. Sie waren offensichtlich seine obersten Ratgeber. Und beide waren sterblich.

Was wurde bloß aus der Welt der Vampire? Warum hatte Roman diesen beiden Sterblichen so viel Macht in einer Welt gegeben, in die sie nicht gehörten? Mit einem Kopfschütteln setzte sie sich neben Gregori.

Roman nahm ihre Anwesenheit mit einem steifen Nicken wahr. Vanda warf ihm nur einen wütenden Blick zu.

An einem Tisch nahe am Podium saß Laszlo Veszto und kritzelte mit einem Füller auf altertümlich anmutendem Pergament Notizen. Er war ein Chemiker bei Romatech und hatte gleichzeitig den angesehenen Posten des Zirkelschreibers inne. Vanda verdrehte die Augen. Er könnte genauso gut Tintenfass und Feder benutzen. Oder vielleicht eine Rolle Papyrus und ein Stück angebranntes Schilfrohr.

»Besorgt dem armen Kerl doch einen Laptop«, murmelte sie Gregori zu.

»Er hat einen«, flüsterte Gregori, »aber bei diesen Versammlungen haben sie es gern traditionell.«

»Diese Versammlungen sind doch ein Witz«, knurrte sie. Wahrscheinlich protokollierte Laszlo gerade das soeben gesprochene Urteil, das Corky so aufgebracht hatte. »Was ist mit Corky?«

»Gute Nachrichten für dich«, flüsterte Gregori, »Roman hat ihre Klage gegen dich abgewiesen.«

»Wurde auch Zeit. Ich habe ihrem Hals offensichtlich keinen Schaden zugefügt.«

»Dann hat Corky darauf bestanden, dass es nur fair wäre, auch die Anklage, die gegen sie besteht, fallen zu lassen, aber da hat er sich geweigert.«

»Welche Anklage?«, fragte Vanda.

»Hast du nicht davon gehört? Das berühmte Model Simone verklagt Corky. Erinnerst du dich daran, wie ich Simone angeheuert habe, um Fangercise zu drehen, die Fitness-DVD? Corky hat in ihrer Show behauptet, dass Simone dabei falsche Zähne benutzt hat.«

Vanda brach in Gelächter aus, das durch den stillen Raum hallte. Ein Dutzend männlicher Vampire bedeuteten ihr, zu schweigen. Laszlo ließ seinen Füller fallen und sah sie erschrocken an. Dann warf er einen Blick zu Roman.

Vanda hielt mitten im Lachen inne und räusperte sich. Verdammt. Diese alten Vampire sollten sich die Pflöcke aus dem Hintern ziehen. Sie öffnete den Mund, um es ihnen zu sagen, aber Gregori berührte ihren Arm.

»Nicht«, flüsterte er. »Sprich nicht mit ihm, bis er dich zuerst angesprochen hat.«

»Laszlo«, begann Roman leise.

»Ja, Sir?« Der Schreiber des Zirkels drehte an einem Knopf seines Laborkittels.

»Da Vanda Barkowski sich uns endlich angeschlossen hat, machen wir mit den anderen Anklagen gegen sie weiter.«

Andere Anklagen? Mehrere? Vanda sah sich nervös um. Romans Frau schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln.

Langsam wurde Vanda wütend, und sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie brauchte kein Mitleid von irgendwem. Sie war stark, verdammt.

Laszlo blätterte in einem Stapel Papiere. Er zog eine Seite heraus. Dann noch eine. Und noch eine. Drei Seiten? Ihre Wut entbrannte zu einer heißen Flamme.

Laszlo warf ihr einen nervösen Blick zu, ehe er fortfuhr. »Vanda Barkowski wird in drei Fällen angeklagt. Erstens - unberechtigtes Beenden eines Arbeitsverhältnisses, daraus folgender Gehaltsverlust und mentales Trauma. Zweitens - leichtsinnige Gefährdung am Arbeitsplatz, daraus folgende leichte Verletzungen und mentales Trauma. Drittens - Angriff mit einer tödlichen Waffe, daraus folgende körperliche Verletzungen und mentales Trauma.«

Vanda sprang auf. »Das ist doch alles Blödsinn! Wer verklagt mich?« Ihr Gesicht brannte vor Hitze, als sie sich im Raum umsah. »Wo seid ihr, ihr Bastarde? Ich zeig euch, was mentales Trauma bedeutet!«

»Setzen, bitte«, sagte Roman ruhig.

»Ich habe ein Recht, meinen Anklägern gegenüberzustehen.« Sie entdeckte drei ehemalige Angestellte, die sich in die hintere Reihe duckten. »Da seid ihr, ihr Schweine!«

»Vanda, setzen!«, befahl Roman.

Sie fuhr herum. Verdammt noch mal, er kannte sie seit 1950, und er glaubte den Mist, den diese weinerlichen Störenfriede verzapften? Sie deutete mit dem Finger auf ihn. »Du...«

Als Gregori ihren Arm packte und sie mit einem kräftigen Ruck zurück auf ihren Sitz zog, keuchte sie auf. Warnend blickte er sie an.

Sie atmete bebend ein. Okay. Sie musste sich rasch beruhigen.

»Auf was plädieren Sie, Ms Barkowski?«, fragte Roman.

Sie verschränkte ihre Hände ineinander, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. »Nicht schuldig.«

»Sie haben das Angestelltenverhältnis des ersten Anklägers also nicht beendet?« Roman blickte zu Laszlo. »Sein Name?«

Laszlo überflog die erste Seite und zupfte dann nervös an einem seiner Knöpfe. »Er möchte bei seinem Künstlernamen genannt werden - Jem Stones.«

Ein Kichern erhob sich im Saal, das sofort abflaute, als Roman sich räusperte. »Ms Barkowski, haben Sie Mr... Stones gefeuert?«

»Ja, habe ich, aber ich hatte einen guten Grund.«

»Hattest du nicht!«, kam eine rechthaberische Stimme aus dem hinteren Teil des Saales. »Ich war der beste Tänzer, den du je gehabt hast. Du hattest keinen Grund, mich zu feuern!«

Vanda sah sich zu Jem um. »Du hast versucht, deine Dienste zu verkaufen. Ich führe einen Tanzclub, kein Bordell.«

»Die Ladies haben mich darum angefleht«, wendete Jem ein.

»Und Sie haben von ihnen Geld genommen?«, fragte Roman.

»Natürlich habe ich das. Und ich bin es wert! Ich bin der Beste, den es gibt.«

Das beeindruckte Roman nicht im Geringsten. »Die erste Klage wird abgewiesen.«

»Was?«, kreischte Jem. »Aber ich brauche meinen Job wieder. Wie soll ich sonst meinen Lebensunterhalt verdienen?«

Roman zuckte mit den Schultern. »Es scheint, als hätten Sie schon eine neue Karriere in Aussicht. Sie können gehen.«

Jem murmelte einige Schimpfworte, bevor er zur Tür hinausstolzierte.

Ein Hauch von Erleichterung erfasste Vanda. Ein Ankläger geschafft, blieben noch zwei.

»Die zweite Klage?«, fragte Roman Laszlo.

»Ja, Sir.« Der Schreiber suchte in seinen Papieren. »Leichtsinnige Gefährdung am Arbeitsplatz. Dieser Ankläger möchte ebenfalls bei seinem Künstlernamen genannt werden.« Laszlo drehte an einem Knopf seines Laborkittels. »Peter der Große, der P-P-Pimmelprinz.« Der Knopf sprang ab und rollte über den Tisch.

Romans Frau legte eine Hand auf den Mund. Unterdrücktes Lachen erfüllte den Saal. Selbst der Priester lächelte.

Gregori beugte sich nahe an Vanda und flüsterte laut: »Ob Peters Pimmel prima pinkelt?«

Belustigt stieß Vanda ihm einen Ellbogen in die Rippen.

Roman hob seinen Blick mit einem Ausdruck gen Himmel, der Gott zu fragen schien: »Warum gerade ich?« Er brachte seine Miene unter Kontrolle und betrachtete die Menge ernst. »Ist der... Prinz hier?«

»Schischer!« Ein schlanker Mann in der letzten Reihe stand auf. Er warf sich das lange blonde Haar über die Schultern. »Ich bin der Pimmelprinsch.«

»Sie wurden während der Arbeit verletzt?«, fragte Roman.

»Rischtig«, fuhr Peter mit seiner nuschelnden Stimme fort. »Isch habe getanscht und bin plötzlisch in einer Wascherlache auschgerutscht.«

»Er hatte das Wasser angefordert«, unterbrach Vanda. »Peter wollte an einer Kette ziehen, damit sich über ihm ein Kanister Wasser leert.«

»Sie haben um das Wasser gebeten?«, fragte Roman.

»Schischer. All die kleinen Waschertropfen haben auf meiner nackten Haut geglitschert. Isch schah unglaublisch schön ausch.«

»Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, murmelte Roman. »Und dann sind Sie ausgerutscht?«

»Ja! Esch war schrecklisch. Isch bin auf die Nasche gefallen. Schie war gebrochen.«

»Was genau... war gebrochen?«, fragte Roman.

»Seine Nase«, erklärte Vanda. »Aber Peter wurde verarztet, und jetzt ist alles wieder in Ordnung.«

»Ischt esch nischt!« Peter stemmte seine Hände in die Hüften. »Meine Stimme klingt jetscht schrecklisch naschal, und alle lachen misch ausch.«

Der Saal füllte sich mit Gelächter.

»Schehen Schie?« Peter wischte sich die Tränen aus den Augen. »Schie lachen misch ausch. Isch leide an einem emotionalen Trauma.«

Roman seufzte. »Mr Prinz, Ihr Unfall ist zwar bedauerlich, aber Ms Barkowski ist für Ihren Unfall nicht verantwortlich.«

Beleidigt verschränkte Peter die Arme und verzog das Gesicht. »Schie hätte mich schützen müschen.«

»Ich habe deine Nase eingerenkt und dir den Rest der Nacht freigegeben«, sagte Vanda. »Du bist derjenige, der einfach fristlos gekündigt hat.«

Peter schmollte. »Isch will meinen Job zurück.«

»Wäre das in Ordnung?«, fragte Roman Vanda.

»Ja. Ich war mit Peters Arbeit immer zufrieden.«

»Gut.« Roman nickte. »Sie stellt ihn wieder ein, und wir weisen die zweite Anklage ab. Laszlo, der dritte Fall, bitte?«

»Ja, Sir.« Laszlo blätterte in seinen Papieren. »Angriff mit einer tödlichen Waffe. Der Ankläger führt den Künstlernamen Max, der Megamacker.« Laszlo zupfte an einem weiteren Knopf seines Laborkittels.

Roman sah sich im Saal um. »Mr... Megamacker? Würden Sie uns den angeblichen Vorfall beschreiben?«

»Angeblich, von wegen.« Max sprang auf. »Sie hat mir ein Loch in die Brust gerammt. Hätte sie mein Herz getroffen, wäre ich auf der Stelle hinüber gewesen!«

»Mein Fehler«, murmelte Vanda, »ich habe danebengezielt.«

»Dann geben Sie zu, diesen Mann verletzt zu haben?«, fragte Roman.

»Er hat mir vor meinen Angestellten Schimpfworte an den Kopf geworfen«, erklärte Vanda. »Das konnte ich ihm nicht durchgehen lassen.«

»Ich glaube, ihn zu entlassen, wäre vernünftiger gewesen, als ihn zu erstechen.«

»Sie hat mich ja gefeuert! Die Schlampe hat gesagt, ich bin ein schlechter Tänzer, und das ist vollkommener Mist.«

»Du bist ein schlechter Tänzer.« Vanda wendete sich an Roman. »Er hatte diese Tanzroutine mit einem fünfzehn Fuß langen Python, und der ist entkommen und hat sich um einen meiner Gäste geschlungen. Die Frau musste sich teleportieren, ehe die Schlange sie zerquetschen konnte. Ich habe Max gesagt, er soll seine Schlange nehmen und sich verziehen.«

Roman nickte. »Eine logische Entscheidung.«

»Aber die Schlampe hat mich angegriffen!«, bellte Max.

»Erst, nachdem er mich beschimpft hat«, rief Vanda.

»Womit haben Sie ihn angegriffen?«, fragte Roman.

»Ich wollte nicht in seine Nähe kommen, solange diese verdammte Schlange da war, also habe ich einen meiner Schuhe genommen und nach ihm geworfen.« Vanda zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich habe ich etwas zu fest geworfen, denn der Absatz ist irgendwie in seiner Brust stecken geblieben.«

»Sie hat mich fast umgebracht!«, brüllte Max.

»Und Sie haben mit Ihrer Schlange fast eine Besucherin umgebracht«, erinnerte Roman ihn. »Ist die Verletzung während Ihres Todesschlafes geheilt?«

»Ja, schon, aber das heißt noch lange nicht, dass sie mich angreifen darf.«

Roman trommelte mit den Fingern auf der Lehne seines Sitzes. »Ich kann einer Frau keinen Vorwurf machen, die sich gegen einen Mann wehrt, der sie verbal misshandelt.«

»Ja!« Vanda stieß ihre Faust in die Luft.

»Ich bin noch nicht fertig.« Romans Blick war keineswegs freundlich. »Es war nicht nötig, sich auf diese Weise zu verteidigen. Ich bin mir sicher, es gibt in dem Club ein Sicherheitsteam, das Mr Megamacker vom Gelände geführt hätte.«

Tatsächlich arbeitete ein riesiger Türsteher für Vanda.

»Das ist das dritte Mal seit der Eröffnung des Clubs, dass man Sie wegen unangebrachten Verhaltens und Gewalttätigkeit hierher zitieren musste«, fuhr Roman fort. »Kurz gesagt, Ms Barkowski, Sie haben ein Problem, Ihre Wut in den Griff zu bekommen.«

»Ja!«, rief Max. »Sie ist eine durchgeknallte Schlampe.«

»Genug«, warnte Roman den ehemaligen Tänzer. »Ich lasse die Anklagen unter der Bedingung fallen, dass Ms Barkowski ein Anti-Aggressions-Training absolviert.«

Das durfte doch nicht wahr sein. Nicht schon wieder.

»Das ist doch Mist«, verkündete Max. »Diese Schlampe schuldet mir etwas! Ich verlange Schmerzensgeld für das Trauma, das sie mir zugefügt hat.«

»Ich geb' dir gleich Schmerzensgeld.« Vanda schüttelte ihre Faust in seine Richtung. »Gehen wir raus auf den Parkplatz und...«

»Vanda, das reicht!« Roman starrte sie wütend an.

»Sie demonstrieren einen ernsten Mangel an Selbstkontrolle«, sagte er ruhig. »Offensichtlich hat ein Seminar zur Wutbewältigung nicht ausgereicht.«

»Ja, sie ist in Wutbewältigung durchgefallen«, kicherte Max gehässig. »Warte nur, du Schlampe. Ich gebe dir was, worüber du wütend sein kannst.«

»Ich erlasse hiermit eine einstweilige Verfügung gegen Sie«, sagte Roman an den Extänzer gewendet. »Sie haben sich von Ms Barkowski fernzuhalten, ansonsten wird eine Geldstrafe von fünftausend Dollar fällig.«

»Was?« Max sah fassungslos aus. »Was habe ich gemacht?«

»Laszlo, ruf den Sicherheitsdienst, der Mr Megamacker nach draußen begleitet«, befahl Roman.

»Ja, Sir.« Laszlo drückte einen Knopf auf seinem Tisch.

»Schon gut, schon gut, ich gehe ja.« Max stolzierte aus dem Raum.

»Die dritte Anklage ist abgewiesen«, verkündete Roman, »und Ms Barkowski hat eingewilligt, an einem zweiten Anti-Aggressions-Training teilzunehmen.«

Vanda biss die Zähne zusammen, als ein amüsiertes Flüstern sich im Saal erhob. »Ich kann mich nicht erinnern, hier irgendetwas zugestimmt zu haben.«

»Sie werden teilnehmen.« Roman sah sie streng an. »Father Andrew hat sich großzügig bereit erklärt, auch das zweite Training zu übernehmen.«

Es war zum Verzweifeln. Der sterbliche Priester war ein netter alter Mann, aber er hatte keine Ahnung von dem, was sie in ihrem langen Leben schon durchgemacht hatte. Und sie wollte es weder ihm noch irgendwem sonst erzählen.

Father Andrew lächelte sie an. »Ich freue mich schon darauf, dich besser kennenzulernen, meine Tochter.«

Vanda verschränkte die Arme. »Was auch immer.«

»Ich brauche noch einen Freiwilligen, der sich als ihr Sponsor betätigt«, erklärte Father Andrew jetzt.

Das Murmeln im Raum verstummte augenblicklich. Absolute Stille.

Toll. Mit ihren scharfen Sinnen konnte Vanda die Grillen draußen zirpen hören. Sie spürte, wie Hitze in ihrem Nacken emporstieg. Niemand wollte irgendetwas mit ihr zu tun haben. »Ich brauche keinen Sponsor.«

»Ich bin überzeugt, du brauchst einen«, sagte Father Andrew nachdrücklich.

Mehr Schweigen.

Vanda drehte sich zu Gregori. »Mach schon«, zischte sie ihn an.

»Ich war letztes Mal dran«, flüsterte Gregori zurück. »Offensichtlich habe ich es nicht sehr gut gemacht.«

»Laszlo?«, fragte Vanda.

Der kleine Schreiber sprang von seinem Platz auf, und noch ein Knopf sprang von seinem Kittel ab.

Wut kochte in ihr hoch, als Vanda sich an Roman wendete. »Hier findest du niemanden, der mich sponsern will. Die sind alle ein Haufen Feiglinge.« Sie rückte die Peitsche um ihre Hüfte zurecht. »Und sie haben recht! Sie sollten lieber Angst vor mir haben. Wenn einer von ihnen es wagt, mich zurechtzuweisen, reiße ich ihm den Kopf ab.«

Ein allgemeines Keuchen ging durch den Saal.

Traurigkeit lag in Romans Blick. »Ich glaube nicht, dass du mit der richtigen Einstellung an die Sache herangehst.«

Sie hob ihr Kinn. »Meine Einstellung ist genau richtig.«

»Gibt es hier denn niemanden...«

»Ich mache es«, bot Shanna an.

Vanda zuckte zusammen. Romans Frau? Sie konnte ihre schrecklichen Sünden kaum der niedlichen Wohltäterin Shanna Draganesti gestehen.

Roman drehte sich zur Seite und redete mit seiner Frau. Das meiste von dem Gespräch konnte Vanda dank ihres übermenschlichen Gehörs verstehen. Shanna hatte einen zwei Jahre alten Sohn und eine neun Wochen alte Tochter, um die sie sich kümmern musste. Vanda noch zusätzlich zu betreuen, wäre eine zu große Belastung.

Vandas Wut kochte wieder hoch. Sie brauchte keinen verdammten Babysitter. Und sie wollte auch bestimmt kein Mitleid von Shanna. »Vergesst es! Ihr findet niemanden, der für mich Sponsor sein will. Keiner der Männer hier hat genug Arsch in der Hose, um es mit mir aufzunehmen.«

»Ich mache es.« Eine tiefe Stimme ertönte aus dem hinteren Teil des Saales.

Sofort erkannte Vanda die Stimme, musste sich aber dennoch umdrehen, um sich genau zu vergewissern. Oh, verdammt, er sah besser aus als je zuvor. Er war schon immer recht groß gewesen, aber seine Schultern sahen breiter aus, als sie es in Erinnerung hatte. In seinem vollen grauen Haar glänzten rote und goldene Strähnen. Und seine Augen... seine Augen hatten ihr schon immer den Atem geraubt. Ein blasses Eisblau, das es irgendwie immer wieder schaffte, vor Hitze zu glitzern.

»Ich werde ihr Sponsor.« Phil marschierte den Mittelgang hinab.

Guter Gott, nein. Sie konnte nicht Phil ihre Seele offenbaren. Sie hatte Gregori viel anvertraut, als er sie gesponsert hatte, aber er war wie ein kleiner Bruder. Phil konnte ihr nie wie ein Bruder sein. »Nein! Fragt Ian. Der wird es machen.«

Roman runzelte die Stirn. »Ian und seine Frau sind immer noch in den Flitterwochen.«

Ach ja, richtig. Ian hatte ihr gesagt, dass sie für drei Monate fort sein würden. Also kamen er und Toni erst Mitte August zurück. »Dann fragt Pamela oder Cora Lee.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine von den beiden es schafft, mit dir fertig zu werden«, bemerkte Roman zweifelnd.

Verdammt noch mal, sie hatte genug von dieser Demütigung. »Keiner kann es mit mir aufnehmen! Ich brauche keinen verdammten Sponsor.«

Roman ignorierte sie und wendete sich an Phil. »Danke, dass du dich freiwillig meldest.«

»Ich nehme ihn nicht an!«, brüllte Vanda.

Phil sah sie herausfordernd an. »Bevorzugst du einen der anderen Freiwilligen?«

»Ich mache dir das Leben zur Hölle.«

Er hob eine Augenbraue. »Und was gibt es sonst Neues?«

Hatte sie ihm das Leben zur Hölle gemacht? Wie? Sie war immer nett zu ihm gewesen. Sie bemerkte die amüsierten Blicke in der Menge. Verdammt. Denen machte das auch noch Spaß.

Roman räusperte sich. »Phil, verstehst du, welche Verantwortung du mit dem Sponsern auf dich nimmst?«

»Ja«, antwortete er, »das schaffe ich schon.«

»Na gut.« Roman lächelte ihn dankbar an. »Der Job gehört dir. Danke. Laszlo, schreib das auf.«

»Ja, Sir.« Laszlo kratzte auf seinem Pergament herum.

»Einen Augenblick!« Vanda marschierte auf Phil zu. »Das könnt ihr nicht machen. Ich habe nicht zugestimmt.«

»Komm schon.« Er deutete auf die Tür und schritt dann den Mittelgang hinab und aus dem Saal.

Wie konnte er es wagen, ihr Befehle zu erteilen? Vanda blieb der Mund offen stehen. Auch wenn sie zugeben musste, dass seine Rückseite sich wirklich gut machte. Sie sah sich um und bemerkte die neugierigen Blicke der anderen Vampire. Na gut, vielleicht hatte Phil recht und sie sollten dieses Fiasko nicht vor Publikum besprechen.

Sie ging nach draußen und entdeckte ihn am anderen Ende des Flurs, an die Wand gelehnt, die Arme verschränkt. Er hatte für einen Sterblichen schon immer einen recht großen Bizeps gehabt. »Pass auf. Das ist ein Fehler. Du bist ein Sterblicher. Du kannst es mit einem Vampir nicht aufnehmen.«

»Ich habe dich aus dem Saal geholt, oder nicht?«

»Nur, weil ich nicht wollte, dass es dir hinterher peinlich sein muss, wenn ich dir vor versammelter Mannschaft in den Hintern trete!«

Seine Mundwinkel hoben sich. »Du kannst es ja versuchen.«

Sie trat näher auf ihn zu. »Ich habe Sterbliche wie dich schon zum Frühstück gegessen.«

Sein Lächeln wurde breiter. »Die Glücklichen.«

»Phil, das ist doch verrückt! Du kannst dich nicht einfach... mir aufzwingen.«

Etwas in seinen Augen loderte auf. Sein Blick wanderte hinab zu ihren Füßen und dann wieder zurück in ihr Gesicht. »Kleines, ich werde dich nicht zwingen müssen.«

Sie musste schlucken. Glaubte Phil, er konnte sie verführen? Sicher, sie hatte früher mit ihm geflirtet, aber das war nicht mehr als ein harmloser Spaß gewesen. Sie konnte Phil nicht wirklich näherkommen. Sie konnte ihren Sarg der Schrecken nicht für ihn öffnen. Verdammt noch mal, sie wollte diese Tür nicht einmal für sich selbst aufmachen.

Sie trat noch einen Schritt zurück. »Nein.«

In seinen Augen leuchtete ein mitleidiger Funken auf, ehe sie wieder zu hartem Eisblau wurden. »Wir haben alle ein Monster in uns, Vanda. Es ist Zeit, dass du dich deinem stellst.«

»Niemals«, flüsterte sie und teleportierte sich davon.