2. KAPITEL

 

Das war ja gut gelaufen.

 

Phil betrachtete stirnrunzelnd die Stelle, von der Vanda gerade verschwunden war. Ihr Duft erfüllte noch den Raum, etwas Süßes und Blumiges, wie Jasmin. Vielleicht kam es von dem Gel, das sie benutzte, um ihre Haare zu stylen, aber jetzt kam er vielleicht nie nah genug an sie heran, um es herauszufinden. Sie war wild wie eine Katze, fauchte und zeigte ihre Krallen, wenn man sich ihr näherte. Allein das machte sie schon verlockend. Dazu noch ihre stürmischen grauen Augen, süßen Lippen, Porzellanhaut, und die sinnlichen Kurven. Sie war eine Frau, die einen Mann zugrunde richten konnte, ohne ihn auch nur mit dem Finger oder Fangzahn zu berühren.

Anlocken, dann zurückweisen. Das hatte sie fünf lange Jahre mit ihm gemacht, als er Teil des Sicherheitsteams in Romans Stadthaus gewesen war. Einen harmlosen Flirt hatte sie es genannt, wenn sein Boss, Connor, sie dafür zurechtgewiesen hatte. Es war nie ein Flirt gewesen. Nie harmlos. Es war Folter.

Er hatte sich immer ehrenhaft zurückgehalten. Ehrenhaft, dachte er genervt. Insgeheim hatte er nach ihr gelechzt.

Als sie Romans Stadthaus vor drei Jahren verließ, hatte er versucht, sie zu vergessen und sein Leben weiterzuleben. Doch das heutige Wiedersehen hatte nur alle unterdrückten Emotionen wachgerufen. Alles fiel ihm wieder ein. Erinnerungen an ihre neckenden Blicke, ihre umgarnenden Worte und die leichten Berührungen an Arm und Schulter. Gott steh ihm bei, er wollte sie immer noch. Er wollte sie bis zur Besinnungslosigkeit.

Dieses Mal wäre es anders. Er war nicht mehr ihr Leibwächter. Sollte sie doch versuchen, wieder »harmlos« mit ihm zu flirten. Einige Kratzer ihrer scharfen Krallen konnten ihn nicht vertreiben. Er schloss die Augen und stellte sich ihren weichen, nackten Körper unter seinem vor, und ihre rohen, explosiven Gefühle, die sich zu einem Taumel der Lust entluden. Ja, das war die beste Art, ihr Wutproblem zu beheben. Er würde den wilden Tiger in ein harmloses Kätzchen verwandeln. Sie würde so wild sein und so süß...

Eine Tür schloss sich, und Phil riss die Augen auf. Mist. Er vermied es, zu der Beule in seiner Hose hinabzusehen. »Father Andrew. Schön, Sie wiederzusehen.«

»Mr Jones.« Der Priester streckte eine Hand aus.

»Nennen Sie mich Phil.«

»Dann also Phil. Danke, dass Sie einverstanden waren, Vandas Sponsor zu sein.«

»Ich helfe gern.« Wie hätte er sie ablehnen können? Ihr Blick war so wild und gleichzeitig kühl gewesen, als niemand ihr Sponsor sein wollte. War er der Einzige, der ihre Verzweiflung bemerkt hatte?

»Ich habe schon einmal versucht, ihr zu helfen«, sagte Father Andrew. »Aber offensichtlich ist es mir nicht gelungen, durch ihren Panzer zu dringen. Ich hoffe, Sie haben damit mehr Glück als ich.«

»Ich gebe mein Bestes.« Sofort sah er in Gedanken Vandas Rüstung abfallen, und darunter verbarg sich weiche, nackte Haut, aber er unterdrückte das Bild. Er konnte es sich nicht leisten, dass die Beule in seiner Hose noch größer wurde.

»Ich glaube, hinter ihrer Wut versteckt sich eine Menge emotionaler Schmerz«, fuhr der Priester fort. »Das arme Mädchen braucht dringend unsere Freundlichkeit und unser Mitgefühl.«

Jetzt fühlte er sich wie der letzte räudige Köter. Was auch der Wahrheit entsprach.

»Ich wüsste gerne mehr von Ihnen, wenn Sie gestatten.« Father Andrew betrachtete ihn neugierig. »Wie lange arbeiten Sie jetzt für MacKay Security & Investigation?«

»Acht Jahre. Ich habe in meinem zweiten Jahr an der NYU angefangen. Damals war ich in Romans Stadthaus stationiert.«

»Was haben Sie studiert?«

»Psychologie. Tierpsychologie.«

»Ah. Sie wollten mehr über Ihre eigene Art wissen?«

Phil musterte den Priester eindringlich. »Sie wissen von mir?«

»Dass Sie ein Wolfmensch sind? Ja.«

»›Werwolf‹ ist der richtige Ausdruck. Oder ›Lykaner‹.«

»Entschuldigung. Ich finde Ihre Art natürlich faszinierend.«

»Natürlich«, sagte Phil trocken. Und genau deshalb wollte seine Art im Geheimen bleiben. Die Neugierigen, wie Father Andrew, wollten - ihn mit Fragen löchern. Die Wütenden wollten ihn umbringen. Die Wissenschaftler wollten ihn studieren und aufschneiden, und für die Regierung wäre er eine perfekte Waffe. Der Preis dafür, faszinierend zu sein, war viel zu hoch.

Father Andrew zog eine Lesebrille aus der Manteltasche und setzte sie auf. »Ich denke, Ihre gespaltene Natur macht Sie besonders geeignet, Vanda zu helfen, ihre gewalttätigen Gefühle zu kontrollieren.«

»Weil ich ein Tier bin?« Dieses Gespräch begann Phil zu nerven.

»Haargenau. Ich glaube, wir alle haben... niedere Empfindungen, mit denen wir kämpfen. Und weil Ihr Kampf unmittelbarer sein muss, haben Sie wahrscheinlich einen praktischeren Weg gefunden, die Kontrolle...«

»Sie meinen, ich habe gelernt, das Biest zu zähmen.«

Der Priester sah ihn über den Rand seiner Lesebrille hinweg an. »Haben Sie?«

Phil erwiderte den Blick des Mannes, ohne einen Muskel zu bewegen. Er hatte die Kontrolle über das Tier in ihm, aber das ging niemanden etwas an. Dann merkte er, was dieser gerissene Priester vorhatte. »Sie stellen mich auf die Probe, nicht wahr? Um sicherzugehen, dass ich meine eigene Wut unter Kontrolle habe, ehe ich mich um Vanda kümmere.«

Father Andrew hatte den Anstand, peinlich berührt auszusehen. »Vergib mir, mein Sohn. Aber ich musste sichergehen. Ich fürchte, Vanda wird Ihre Selbstkontrolle auf eine harte Probe stellen. Sie wird uns auf jedem Schritt des Weges bekämpfen.«

»Ich werde schon mit ihr fertig.« Phil wurde nun immer neugieriger, was den Priester anging. »Warum kümmern Sie sich darum, was aus ihr wird? Oder aus irgendeinem Vampir? Warum halten Sie den Gottesdienst für die Untoten ab?«

Der Priester errötete bis an den Haaransatz. »Ich schätze alle Kreaturen, die von unserem Schöpfer geschaffen worden sind.«

»Aber diese Leute haben doch sicher Dinge getan, die Sie verabscheuen.«

»Jesus hat das Brot mit Steuereintreibern und Prostituierten gebrochen. Ich habe das Glück, Seinem Beispiel folgen zu dürfen.«

Phils Mundwinkel zuckten. »Mit anderen Worten, die Vampire sind die ultimativen Sünder. Sie müssen begeistert sein.«

»Jeder muss wissen, dass er ein Kind Gottes ist. Das gilt auch für Formwandler, wenn ich das hinzufügen darf.« Er zog einen kleinen Terminkalender aus der Manteltasche. »Und jetzt sollten wir einen Termin für eine Beratungsstunde mit Ihnen und Vanda festlegen. Ich brauche vielleicht Ihre Hilfe, damit sie auch wirklich teilnimmt.«

»Kein Problem.« Es war auf jeden Fall ein Problem. Phil wusste aus seinen Psychologie-Seminaren, dass man niemandem eine Therapie aufzwingen konnte. Niemand konnte sich ändern, ohne es wirklich zu wollen, und Vanda wollte eindeutig nicht.

»In Ordnung.« Father Andrew zog einen kleinen Stift aus dem Buchrücken seines Kalenders. »Mal sehen. Morgen Abend halte ich ein Gebet ab. Donnerstags habe ich Beratungsstunden. Freitagnacht ist die Verlobungsfeier von Jack und Lara, hier im Haus.«

»Machen wir es dann.«

Der Priester blickte auf. »Während der Feier?«

»Warum nicht? Wir können uns für eine Viertelstunde aus dem Konferenzsaal stehlen. Auf diese Weise stellen wir sicher, dass Vanda mitmacht. Sie kennt fast jeden, der teilnimmt, und sie wird es sicher vermeiden, vor allen eine große Szene zu machen. Ihr Stolz ist stärker als ihre Wut.«

»Sie könnte sich einfach weigern, an der Feier teilzunehmen.«

Phil zuckte mit den Schultern. »Dann sagen wir ihr nicht, was wir vorhaben.«

»Junger Mann, so mache ich normalerweise keine Geschäfte.«

»Vanda ist auch nicht Ihre übliche Kundin.«

Father Andrew zuckte zusammen. »Das stimmt. Aber eine Beratung sollte auf Vertrauen basieren. Wie soll sie uns je vertrauen, wenn wir uns zu Tricksereien herablassen?«

»Wenn wir nett fragen, weigert sie sich. Stellen Sie sich einfach vor, es wäre eine Intervention.«

Eine Weile dachte Father Andrew über Phils Argumente nach, dann trug er mit einem Seufzen den Termin ein. »In Ordnung, wir versuchen es auf Ihre Art. Aber ich fühle mich nicht wohl bei diesem Manöver. Was, wenn es einen extremen Wutanfall auslöst?«

»Dann helfen wir ihr dabei, zu lernen, wie sie damit umgehen kann. Deswegen machen wir das Ganze doch, oder nicht?«

»Sie scheinen sich nicht vor ihrer Wut zu fürchten. Das könnte gut sein.« Er steckte den Terminkalender zurück in die Tasche. »Deswegen haben Gregori und ich vielleicht beim ersten Mal versagt. Ich habe ihr Entspannungsübungen beigebracht. Und Gregori hat versucht, alles sehr ruhig zu halten.«

Phil schüttelte den Kopf. »Man muss sich dem Biest stellen, um es zu zähmen. Glauben Sie mir, ich weiß es.«

»Ich verstehe, was Sie meinen.« Father Andrew streckte eine Hand aus. »Danke, Phil.«

Er schüttelte die Hand des Priesters. »Gern geschehen.«

Er war bereits auf dem Weg zurück in den Versammlungssaal, blieb dann aber noch einmal in der Tür stehen. »Eine Sache wäre da noch. Ich... zögere, sie überhaupt anzusprechen. Wahrscheinlich kennen Sie die Regeln einer Sponsorschaft bereits, und da Sie beide vollkommen verschiedene Spezies sind...«

»Was wollen Sie damit sagen, Father?«

Der Priester nahm seine Brille ab und steckte sie ein. »Ich bin mir sicher, Sie müssen es nicht extra hören, aber ein Sponsor sollte sich nie zu sehr auf seinen Klienten... einlassen.«

Mist. Phil war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, auch wenn er innerlich aufheulte. Plan A ging gerade den Bach runter. So viel dazu, Vandas Wut in ein herrliches Beben der Lust zu wandeln. Er musste sich mit Plan B zufriedengeben.

Aber es gab keinen Plan B. Seine Gedanken kreisten immer nur um das eine. Der Priester hatte recht. Er war ein Tier.

Lächelnd entschuldigte sich der Priester. »Ich bin mir sicher, das ist kein Problem für Sie. Sie haben bereits gezeigt, dass Sie sich an diese Regel halten können, als Sie Vandas Wächter waren. Bis Freitag also.« Er schlüpfte zurück in den Versammlungssaal.

Phil starrte die geschlossenen Flügeltüren an. Doppelmist. Schon wieder überwältigte ihn die Lust auf eine wunderschöne Vampirfrau. Und schon wieder war sie für ihn verboten.

Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er war jetzt ein Alphawolf, eine der mächtigsten übernatürlichen Kreaturen, die es auf Erden gab. Wenn er eine Frau wollte, würde ihn kein Priester davon abhalten. Keine unsinnige Regel würde sich ihm in den Weg stellen.

Immer hatte er sich mit Vanda verbunden gefühlt. In Romans Harem hatte sie nie richtig gepasst, genau wie er im Rudel seines Vaters fehl am Platz gewesen war. Während die anderen Haremsmädchen herumgestolpert waren und vergeblich versucht hatten, Romans Aufmerksamkeit und sein Wohlwollen zu erlangen, hatte Vanda von Anfang an klargemacht, dass sie niemandem gehorchte. Sie war ein Einzelgänger wie er.

Mit einem Seufzen schleppte er sich den Korridor hinab. Father Andrew hatte recht. Sie brauchte sein Verständnis und sein Mitgefühl. Leider waren seine stärksten Gefühle für sie aber Lust und Wut.

Als neunzehn Jahre alter Student hatte er am Hungertuch genagt und verzweifelt versucht, sich sein Studium zu finanzieren, als Connor ihn anstellte. Er hätte alles auf sich genommen, um einen Job zu behalten, der gut bezahlt wurde, ihm freie Kost und Logis verschaffte, und ihm erlaubte, sein Studium abzuschließen. Und er hatte eine Menge auf sich genommen. Folter von Vanda. Fünf lange Jahre hatte sie ihn mit ihrem »harmlosen Flirten« fast um den Verstand gebracht.

Er hatte sein Bestes getan, sie zu ignorieren. Die Vampire waren seine Freunde - im Grunde sogar seine Familie, denn sein eigener Vater hatte ihn mit achtzehn Jahren verstoßen. Es gab keinen Weg zurück. Und mit der Zeit war Phil klar geworden, wie wertvoll er für die Vampire und ihren Kampf gegen die Malcontents geworden war. Er beschützte nicht nur seine Vampirfreunde, sondern die ganze Welt.

Nachdem er seinen Ausweis durch einen Schlitz an der Tür zum Sicherheitsbüro gezogen hatte, legte er seine Handfläche auf einen Scanner. Die neuen Sicherheitsmaßnahmen erinnerten ihn daran, wie viel schlimmer das Problem mit den Malcontents in den letzten Jahren geworden war. Das Kontrolllämpchen wurde grün, als die Tür sich entriegelte, und er betrat das Büro.

Howard Barr, Leiter der Tagwache, saß hinter dem Schreibtisch und betrachtete die Wand aus Bildschirmen, die mit den Überwachungskameras verbunden waren. Wegen der Zirkelversammlung machte Howard Überstunden. Vor dem Schreibtisch saß Phineas McKinney, ein junger schwarzer Vampir aus der Bronx. Er war auf seiner Kontrollrunde, als Phil angekommen war, und Phil hatte ihn noch nicht gesehen.

»Was ist los, Wolf-Bro?« Phineas stand auf und hob eine Hand zum Einschlagen. »Gib mir die pelzige Pfote.«

Phil klatschte gegen seine Hand. »Was geht, Dr. Phang?«

»Kann mich nicht beschweren«, erwiderte Phineas.

»Willst du einen Donut?« Howard schob die Schachtel über den Tisch.

»Nein, danke.« Phil schüttelte lächelnd den Kopf. Howard Barr hatte immer eine Schachtel Donuts in der Hand, und dennoch schien er nie an Gewicht zuzulegen. Es lag wohl an seinem Bären-Stoffwechsel.

Phineas lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Also, bist du jetzt hier stationiert?«

»Jepp.« Phil war froh, wieder in New York zu sein, wo er sich im Krieg gegen die Malcontents nützlich machen konnte. Er war zum Sommeranfang zurückgekommen, um Jack, einem weiteren Angestellten von MacKay S & I, bei der Rettung seiner Verlobten zu helfen, die von den Malcontents entführt worden war.

Im letzten Jahr war er in Texas stationiert, um gemeinsam mit einem Sicherheitsdienst den Zirkelmeister und berühmten Modedesigner Jean-Luc Echarpe zu beschützen. »Ich musste für ein paar Tage zurück zu Jean-Luc. Es gab da ein Problem.«

»Was für ein Problem?«, fragte Phineas. »Hattest du Flöhe, Alter? Dafür machen sie Halsbänder, weißt du.«

Howard lachte.

Phil sah sie beide ausdruckslos an. »Es waren keine Flöhe. Es war Billy.«

»Billy?« Howard wählte sich eine Bärenklaue aus der Donut-Schachtel aus. »Ist das nicht Jean-Lucs neue Tagwache?«

»Ja. Er war der Sheriff des Ortes«, erklärte Phil. »Aber er ist in den Vorruhestand gegangen, damit er für MacKay S & I arbeiten kann. Ich hatte ein kleines Problem, ihn einzuweisen. Er war irgendwie sauer auf mich.«

Phineas schnaufte. »Na ja, schließlich hast du ihn auch gebissen.«

»Er hat zuerst auf mich geschossen«, murmelte Phil.

»Du hast ihn komisch angesehen.«

»Also, was ist das Problem mit Billy?« Howard kaute auf seiner Bärenklaue. »Mag er es nicht, Werwolf zu sein?«

»Zuerst war er schockiert«, begann Phil.

»Ich bin mir sicher, das war er.« Howard stopfte sich den letzten Bissen Bärenklaue in den Mund. »Wer als Erwachsener zum Wandler wird, findet es oft schwer, sich daran zu gewöhnen. Es ist viel einfacher für uns, die wir in Werwolffamilien geboren wurden.«

Phineas kicherte. »Dann hattest du einen Mamabären und einen Papabären? War dein Haferbrei zu heiß oder zu kalt?«

»Er war genau richtig.« Howard lächelte, als er sich den Zucker von den Fingerspitzen schleckte. »Also, was war mit Billy?«

»Nach seiner ersten Jagd schien alles in Ordnung zu sein. Er war zuerst aufgeregt wegen der besonderen Kraft, den übermenschlichen Sinnen und der viel längeren Lebensspanne. Alles war gut, bis Billys Freundin ihn vor zwei Wochen verlassen hat, da hat er beschlossen, dass sein Leben zerstört ist.«

»Hey, ich erinnere mich an seine Freundin. Die war heiß!« Phineas setzte sich auf. »Hast du ihre Nummer? Vielleicht braucht sie etwas Trost vom Love Doctor, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Wenn sie keinen Werwolf wollte, dann wahrscheinlich auch keinen Vampir. Ich persönlich glaube, dass sie sowieso nicht bei Billy geblieben wäre, und dass er bei jedem Vollmond pelzig wird, hat sie vielleicht nur als Vorwand benutzt. Sie war daran gewöhnt, ein berühmtes Model in New York und Paris zu sein. Das Leben in einer kleinen Stadt in Texas hätte nie zu ihr gepasst. Das habe ich Billy auch gesagt, aber er war einfach nicht davon abzubringen.«

»Was hast du gemacht?«, fragte Howard.

Phil hatte versucht, vernünftig mit Billy zu reden, aber der Werwolf war in eine Depression versunken, die nicht von Logik zu durchdringen war. »Ich habe ihn nach New Mexico gebracht. Dort habe ich einen alten Freund in einem Navajo-Reservat. Sehr alt. Und weise. Er hat mir früher geholfen, also dachte ich mir, er kann auch Billy helfen. Und das hat er.«

»Womit hat er dir geholfen?«, fragte Phineas.

»Er hat mir vor sechs Monaten bei einer... spirituellen Reise geholfen. Schwer zu erklären.«

Mit aufgerissenen Augen starrte Phineas ihn an. »Du bist high gewesen, was? Was hast du geraucht, Alter?«

Phil verschränkte die Arme. »Ich würde lieber nicht darüber sprechen.«

»Hast welche von diesen Pilzen gegessen, was? Hast du geträumt, du wärst eine riesige Echse?«

Howard grinste und warf Phil dann einen neugierigen Blick zu. »Ich glaube, das war, als er zum Alpha geworden ist.«

»Cool«, flüsterte Phineas. »Hältst du das Alphazeug immer noch geheim?«

»Ja.« Phil atmete tief ein. »Also, wo ist Connor?«

»Oh, sehr geschmeidig, Alter. Wir hätten nie gemerkt, wie du das Thema wechselst.« Phineas deutete auf die Bildschirme. »Connor ist auf Rundgang.«

Phil überflog die Monitore und bemerkte eine verschwommene Bewegung zwischen den Bäumen am Westende des Parkplatzes. Connor bewegte sich in Vampirgeschwindigkeit. »Er ist schnell.«

»Wie der Blitz, Alter.« Phineas legte den Kopf zur Seite. »Ich glaube, er wird langsamer. Er muss etwas gesehen haben.«

»Da.« Howard deutete auf einen anderen Bildschirm. »Jemand hat sich gerade auf das Gelände teleportiert.«

Die drei Männer konzentrierten sich, bereit, sofort in Aktion zu treten.

»Es ist Jack.« Phil entspannte sich.

Phineas lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Wahrscheinlich kommt er gerade zurück aus Venedig.«

Zufrieden ergriff Howard einen weiteren Donut. »Geht ihr zwei zu seiner Verlobungsfeier am Freitag?«

»Ich schon.« Phil betrachtete die Bildschirme. Connor hatte sich mit Jack im Wald getroffen.

»Ich auch«, erklärte Phineas. »Alter, hast du gemerkt, wie viele von den anderen eine abkriegen? Roman, Angus, Jean-Luc, Ian und jetzt Jack - sie tun sich alle mit echt heißen Babes zusammen.«

Auf einer Anrichte hinter dem Schreibtisch stand eine Kanne Kaffee, aus der Phil sich jetzt bediente. »Ich freue mich für sie.«

»Ich mich auch, aber wo bleibt mein heißes Babe?« Phineas stand auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich bin der Love Doctor. Die Schnitten sollten sich an mir festkrallen.«

Howard schob Phil einen kleinen Behälter zu. »Zucker?«

Dankend lehnte Phil ab.

»Schon lange nicht mehr, Alter.« Phineas begann, im Raum auf und ab zu gehen. »Es ist Monate her, seit ich das letzte Mal Zucker bekommen habe.« Howard bot Phil eine Dose Kaffeeweißer an.

»Ich mag ihn schwarz.«

»Ich mag sie auch schwarz.« Phineas blieb auf einmal stehen. »Aber ich habe keine Vorurteile, okay. Ich habe es noch nie abgelehnt, eine Frau zu bespringen, nur wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion. Der Love Doctor weist keine Frau jemals zurück.«

»Das ist wahrer Sportsgeist von dir, Phineas.« Phil nahm einen Schluck Kaffee. Er bemerkte auf einem der Bildschirme, dass Jack und Connor den Seiteneingang erreicht hatten. Connor benutzte seinen Ausweis und aktivierte dann den Handscanner.

Phineas ließ die Schultern hängen. »Ich verstehe das einfach nicht.«

»Was verstehst du nicht?« Howard schenkte sich auch einen Becher Kaffee ein und schüttete dann eine riesige Menge Zucker dazu.

»Alle verheirateten Vampire scheinen wirklich glücklich zu sein.« Phineas ging wieder auf und ab. »Mit nur einer einzigen Frau, und das, wo es doch so viele heiße Babes auf der Welt gibt. Wie kann man sich da mit nur einer zufriedengeben?«

»Sie muss etwas ganz Besonderes sein.« Und von allen Frauen, denen Phil in seinen siebenundzwanzig Jahren begegnet war, fiel ihm Vanda als Erste ein. Sie hatte keine Fassade aufgesetzt, die Gleichgültigkeit und Überlegenheit demonstrieren sollte, wie die meisten Vampirfrauen. Sie war offen, leidenschaftlich und schmerzhaft ehrlich. Sie hatte ihn von Anfang an in ihren Bann gezogen.

»Ich glaube, das nennt man Liebe«, sagte Howard.

Phil zuckte zusammen. »So würde ich es nicht nennen. Verschossen vielleicht.«

Völlig fassungslos blickte Howard ihn an. »Du glaubst nicht, dass Jack Lara liebt? Oder Roman Shanna? Oder...«

»Oh, natürlich.« Phil hatte offensichtlich den Gesprächsfaden verloren. »Das ist wirklich Liebe. Ich... ich habe an... jemand anderen gedacht.«

»An wen denn?«

Das Türklingeln war Phils Rettung. Connor hatte draußen die Sicherheitsmaßnahmen aktiviert und damit die Tür aufgeschlossen. Connor und Jack betraten das Büro.

Jack lächelte und schüttelte Hände, als er alle begrüßte. »Ihr kommt alle zu meiner Verlobungsfeier, ja? Ich möchte, dass Lara sich in der Welt der Vampire willkommen fühlt.«

»Wir kommen«, sagte Howard.

»Wo ist Lara?«, fragte Phil.

»In ihrer Wohnung. Ich habe sie zuerst dorthin teleportiert, damit sie etwas Schlaf nachholen kann. Sie ist erschöpft, weil wir uns den ganzen Tag Venedig angesehen haben.«

»Ich bin froh, dass du zurück bist.« Connor verschränkte die Arme vor der Brust. »Phil ist auch gerade erst angekommen, also würde ich jetzt gern alle auf den neuesten Stand bringen.«

»Gut.« Jack lehnte sich an die Ecke des Schreibtischs.

Howard setzte sich hinter den Schreibtisch, und Phineas und Phil nahmen die Stühle davor. Als Connor sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher war, begann er mit dem Bericht.

»Unsere letzten Informationen besagen, dass Casimir sich in Nordamerika aufhält. Wir haben keine Ahnung, von wo aus er operiert, aber wir wissen, dass er gerne seinen Freund Apollo in Maine besucht. Wir nehmen an, dass er noch nichts vom Tod der beiden weiß.«

Phil nahm einen Schluck Kaffee. Im Juli hatte er Jack dabei geholfen, Lara zu retten, die in Apollos Ferienanlage für Malcontents in Maine gefangen gehalten wurde. Jack hatte Apollo getötet, während Phil und Lara erfolgreich gegen Athena vorgegangen waren. »Wir haben die Anlage leer hinterlassen. Den meisten Sterblichen wurde das Gedächtnis gelöscht, und wir haben sie nach Hause geschickt.«

»Was ist mit dem Mädchen passiert, das seine Erinnerung behalten wollte?«, fragte Jack.

»Sie ist in Shannas Schule«, antwortete Connor. »Dort wird sie als Lehrerin anfangen. Carlos sorgt für die Sicherheit. Worauf ich aber hinauswill, es gibt niemanden mehr in der Anlage, der Casimir über die Geschehnisse informieren könnte. Also hat Angus sich gedacht, die Chancen stehen gut, dass Casimir dorthin zurückkommt.«

»Wir stellen ihm eine Falle?«, fragte Jack.

»Aye.« Connor lächelte. »Angus ist vor zwei Wochen dort angekommen, um genau das zu tun. Er hat ein siebenköpfiges Team bei sich. Das sollte ausreichen, um Casimir gefangen zu nehmen.«

Da konnte man glatt neidisch werden, dachte Phil. Er wäre gern dabei. »Was sind unsere Befehle?«

»Wir sollen hierbleiben«, erklärte Connor. »Romatech ist immer noch eines der Hauptangriffsziele. Wenn Casimir beschließt, sich für das Massaker bei DVN zu rächen, weiß er, dass er hier immer an der richtigen Stelle ist.«

»Während der Verlobungsfeier müssen wir besonders aufmerksam sein«, überlegte Jack.

»Aye. Wir haben in der Nacht alle Dienst. Noch Fragen?« Als niemand sich meldete, fuhr Connor fort. »Gut. Mit etwas Glück haben wir Casimir bald vernichtet und damit einen weiteren Krieg der Vampire abgewendet.«

Ein Blick auf den Monitor zeigte Jack, dass die Versammlung des Zirkels gerade zu Ende ging. »Ich muss mit Shanna über die Party sprechen. Bis bald.« Er eilte aus der Tür.

»Phineas, sorgst du dafür, dass alle, die an der Versammlung teilgenommen haben, auch wirklich gehen?«, bat Connor ihn. »Wir wollen nicht, dass jemand auf dem Gelände herumirrt.«

»Verstanden.« Phineas verschwand durch die Tür.

»Howard, sieh nach, ob Shanna und die Kinder jemanden brauchen, der sie nach Hause fährt«, sagte Connor.

»Ja, Sir.«

»Phil, du hast den Rest der Nacht frei.« Connor setzte sich an den Schreibtisch und blätterte in einigen Papieren. »Ich bin froh, dass du wieder da bist, Lad.«

»Ich auch.« Phil trank seinen Kaffee aus und stellte den leeren Becher zurück auf die Anrichte. Er war eine Tagwache, hatte also nachts normalerweise frei, damit er schlafen konnte, um tagsüber seinen Dienst verrichten zu können. Normalerweise schlief er in Romans Stadthaus auf der Upper East Side. Phineas und Jack würden dort kurz vor Sonnenaufgang erscheinen, um in ihren Todesschlaf zu fallen.

»Gute Nacht, Sir.« Phil drehte sich zur Tür.

»Gute Nacht. Oh, ich habe mich gefragt...« Connor sah ihn neugierig an. »Ich habe vorhin auf einem der Bildschirme gesehen, wie du dich mit Vanda unterhalten hast, und dann hat sie sich teleportiert.«

Phil hatte die Türklinke schon ergriffen, blieb jetzt aber noch einmal stehen. »Sie hat sich ein wenig aufgeregt.«

»Natürlich hat sie das. Drei ehemalige Tänzer verklagen sie auf Schadenersatz. Weißt du, was Roman entschieden hat?«

»Er hat darauf bestanden, dass sie noch ein Anti-Aggressions-Training besucht.«

»Als würde das etwas bringen. Vanda ist schon wütend, seit ich sie kenne.«

»Wie lange ist das?«, fragte Phil.

»Seit Roman Zirkelmeister geworden ist und den Harem geerbt hat, 1950.«

»Dann war sie bereits Mitglied des Harems? Sie muss sich angeschlossen haben, als der vorherige Zirkelmeister noch an der Macht war.«

»Aye.« Connor nickte. »Warum interessiert dich das so?«

»Ich habe mich bereit erklärt, ihr Sponsor zu sein.«

Connor hob seine Augenbrauen. »Wie kommst du dazu?«

»Jemand musste es tun.«

Einen Augenblick lang betrachtete Connor seinen Freund, ehe er sich wieder den Monitoren zuwendete. »Sie hat ihren Wagen hier vergessen.«

Phil blickte auf den Bildschirm, der den vorderen Parkplatz zeigte. »Welcher gehört ihr?«

»Die schwarze Corvette. Ich habe die Schlüssel.«

Phils Herz machte einen Sprung in seiner Brust. Er konnte sie heute Nacht noch einmal sehen. »Ich würde ihn ihr gern zurückbringen.«

»Wenn sie will, kann sie sich teleportieren und ihn holen. Du bist nicht mehr im Dienst.«

»Aber ich kann ihn auf dem Weg zu Romans Stadthaus vorbeibringen«, sagte Phil mit Nachdruck. »Es macht mir wirklich nichts aus.«

Connor zog die Schlüssel aus seinem Sporran. »Sie ist wahrscheinlich in ihrem Club.«

»Ich weiß, wo das ist.«

Nachdenklich gab Connor ihm die Schlüssel. »Sei vorsichtig, Lad.«

»Ich kann fahren«, fuhr Phil ihn an. »Ich habe nicht den Wagen gemeint.«

»Ich weiß, was ich tue.«

»Das sagen sie alle«, meinte Connor zweifelnd.