16. KAPITEL

 

Es war schon kurz vor Sonnenaufgang, als Phil endlich in die Blockhütte zurückkehrte. Phineas teleportierte sich zurück zu Romatech und ließ ihn mit Vanda allein. Sie faltete gerade Wäsche auf dem Küchentisch. Er bemerkte einen Stapel sauberer Handtücher und Kleidung, unter anderem ihren lila Overall.

Sobald Phineas verschwunden war, schlang sie ihre Arme um Phil und zog ihn fest an sich. »Ich habe dich vermisst.«

Er hielt sie fest und vergrub sein Kinn in ihrem Haar. Connor hatte vorgeschlagen, sie einfach zu einem Urlaub in New Orleans einzuladen. Sie musste nicht wissen, wie der Plan wirklich aussah. Sie könnte sich weigern, ihr Köder zu sein, und sie waren zu verzweifelt, um dieses Risiko einzugehen. Es war Krieg und eine Zeit für verzweifelte Maßnahmen.

Phil hatte keine Einwände erhoben, auch wenn er bezweifelte, dass er Vanda absichtlich täuschen konnte. Jetzt, da sie in seinen Armen war, wusste er, dass er es nicht konnte.

»Wie schlimm ist es?«, fragte Vanda.

»Schlimm genug.« Er nahm sie an der Hand und führte sie zur Couch. »Die Malcontents haben Gedankenkontrolle benutzt, um sich Armee-Helikopter zu beschaffen. Sie haben die zwei Romatechs aus der Luft bombardiert.«

»Oh nein.« Sie setzte sich neben ihn auf die Couch. »Was hat Angus jetzt vor?«

Phil beschrieb ihr, was Sean Whelan vorhatte, erklärte Romans Plan, Nachtschatten herzustellen, und Laszlos Idee mit den Peilsendern. Vanda nickte und hörte genau zu, obwohl sie mehrmals gähnte.

Ihr Blick war schon schläfrig. »Ich bin wirklich froh, mich an einem sicheren Ort verstecken zu können, aber ich fühle mich etwas schuldig, weil ich nichts tue, um zu helfen.« Sie seufzte. »Was sage ich da? Ich habe im letzten Krieg im Widerstand gekämpft, und es war schrecklich.«

Phil zögerte. Wie sollte er es ihr erklären? »Der Zirkelmeister von New Orleans hat uns eingeladen, einige Nächte bei ihm zu verbringen.«

Vanda gähnte. »New Orleans?«

»Du bist gleich weggetreten. Gehen wir schon zum Wandschrank.« Er zog sie auf die Füße.

Sie lehnte sich im Gehen gegen ihn. »Ich wollte schon immer New Orleans sehen.«

»Gregori hat mir von diesem Club namens Vampire Blues erzählt. Ich glaube, der würde dir gefallen.«

Verwirrt blickte Vanda zu ihm hoch. »Ist das ein Vampirclub? Ich dachte, ich soll mich verstecken.«

Im Wandschrank setzte er sich auf eine Decke und zog sie neben sich. »Vanda, ich muss ehrlich mit dir sein. Angus will Casimir unbedingt aus seinem Versteck locken. Wenn wir ihn jetzt umbringen können, lässt sich ein totaler Krieg vielleicht noch vermeiden. Denk an all die Leben, die gerettet werden können.«

»Was ist hier los?«

»Sie wollen, dass du in diesen Club gehst und dich zeigst. Du stehst auf Casimirs Abschussliste. Sobald er weiß, dass du dort bist, wird er also auftauchen, um dich zu erledigen. Es werden jede Menge Leute zu deinem Schutz da sein. Phineas, Zoltan, Dougal, Robby und ich.«

»Oh Gott.« Vanda presste eine Hand gegen ihre Brust. »Ihr benutzt mich als Köder.«

»Wir wollten nicht. Die Jungs wollten es erst ohne dich machen. Einige von ihnen stehen ebenfalls auf der Liste, aber dann wurde uns klar, dass wir dich wirklich brauchen.«

»Warum? Was kann ich tun?«

»Wenn du dort bist, können wir Corky dazu kriegen, dass sie es in ihrer Sendung bringt.«

»Weil sie mich hasst.« Mit einem Stöhnen fiel Vanda auf die Decke zurück. »Hab ich ein Glück.«

»Ich mache dir keine Vorwürfe, wenn du wütend wirst.«

»Ich bin zu müde, um wütend zu sein.«

Er strich ihr das Haar aus der Stirn. »Es tut mir wirklich leid. Ich wollte nicht, dass es dazu kommt. Aber wenn es Casimir davon abhalten kann, noch mehr Vampire umzubringen, wäre es das wert. Ich schwöre, ich werde dich beschützen. Ich werde nicht zulassen, dass man dir wehtut.«

»Klar.« Ihre Augen schlossen sich. »Morgen Nacht trete ich dir als Erstes in den Hintern.«

Lächelnd betrachtete er Vanda. »Abgemacht.« Seine schöne Vanda, so klug und so mutig.

Sie atmete lange und bebend ein und war ausgeschaltet.

Einen Moment lang wurde Phil panisch. Er hatte Vanda gerade sterben sehen. Wenn er versagte, könnte sie auch sterben... und dann für immer.

****

Ab Mittag marschierte Phil in der Blockhütte auf und ab wie ein eingesperrtes, wildes Tier. Er ging nach draußen, aber er fand auch im Wald keine Ruhe, wie es normalerweise der Fall war. Sein innerer Wolf heulte. Er hatte endlich Vandas Liebe für sich gewonnen und könnte sie vielleicht für immer verlieren.

Der Plan hatte keine Lücken, das hatte Connor ihm versichert. Im Club in New Orleans wäre mindestens ein Dutzend männlicher Vampire dabei. Wenn Casimir auftauchte, griffen die Vampire an, und Vanda war in Sicherheit.

Aber Pläne funktionierten nicht immer. Er konnte Vanda dieser Gefahr nicht aussetzen, ohne einen Notfallplan zu haben. Er brauchte einen sicheren Ort, an den er sie bringen konnte. Sie könnten hierher zurückkommen, aber was, wenn in New Orleans schon fast die Sonne aufging? Dann war hier bereits heller Tag. Nach Westen hin war es sicherer.

Es gab eine Jagdhütte in Wyoming. Oder wenigstens glaubte er das. Er war über vier Jahre lang nicht dort gewesen. Vielleicht war sie abgebrannt. Es gab dort kein Telefon, also konnte auch kein Anrufbeantworter Vanda als Leuchtfeuer dienen, um sich an den richtigen Ort zu teleportieren.

Die Hütte war ein Geschenk zu seinem achtzehnten Geburtstag gewesen, eine Bestechung, damit er sich der Kontrolle seines Vaters unterwarf. Das war etwa drei Monate lang gut gegangen. Phil hatte versucht, sich zu lösen, und sein Vater hatte ihn in einem Anfall von Wut auf Lebenszeit verbannt.

Er war in seine Hütte gezogen, aber nach einigen Monaten war ihm klar geworden, dass sich vor dem Leben zu verstecken kein Leben war. Er hatte eine Umgebung gesucht, die vollkommen anders war. Gefunden hatte er sie in New York City.

Die ersten paar Jahre verbrachte er seinen Urlaub in der Blockhütte. Zu dieser Zeit fand er auch die Briefe, die seine Schwester Brynley ihm dort hinterließ. Sie hatte ihn angefleht zurückzukommen. Seine Antwort lautete: Nein, ich kann nie zurückkommen. Dann hatte sie ihn gebeten, wenigstens in Verbindung zu bleiben. Ihre Telefonnummer war noch immer in seinem Handy gespeichert, aber er hatte nie angerufen. Seit etwa vier Jahren war er nicht mehr in der Hütte gewesen.

Jetzt drückte er auf ihre Nummer im Display. Kein Signal. Er versuchte es über das Telefon in der Küche. Sein Herz raste. Seit neun Jahren hatte er die Stimme seiner Schwester nicht gehört. Würde sie ihm diesen Gefallen tun? Würde sie überhaupt mit ihm reden wollen?

»Hallo?«

Sein Herz geriet ins Stottern. Brynleys Stimme hatte den tiefen, rauchigen Klang des reifen, weiblichen Wolfes angenommen. Erinnerungen stürmten auf ihn ein. Sie war in seiner Kindheit immer an seiner Seite gewesen. Werwölfe bekamen ihren Nachwuchs meistens paarweise, sie war also sein Zwilling. Sie hatten ihre erste Verwandlung gemeinsam durchgemacht, ihre erste Jagd. Er hatte seine erste Beute mit ihr geteilt. Sie hatte das Blut von seiner Schnauze geleckt, und sie hatten gemeinsam ihre Freude dem Mond entgegengejault.

»Hey, ich kann dich atmen hören, du Perverser.« Sie legte auf.

Er starrte den Hörer an. Das war ja gut gelaufen. Er begann, die Nummer erneut zu wählen, als das Telefon klingelte. »Hallo?«

»Ich habe die Rückruffunktion betätigt, du Perverser. Jetzt habe ich deine Nummer, und ich zeige dich...«

»Brynley, ich bin es... Phil.«

Schweigen. Würde sie wieder auflegen? »Philip?«

Jetzt prüfte sie ihn. Fast jeder glaubte, dass sein richtiger Name Philip war. »Nein. Philupus.«

Sie keuchte. »Oh mein Gott, du bist es wirklich!« Sie kreischte und brach dann in Gelächter aus. »Phil! Gott sei Dank! Ich hoffe seit Ewigkeiten auf deinen Anruf. Wie geht es dir?«

»Es geht mir... gut. Und dir?«

»Fantastisch! Jetzt, wo du wieder da bist. Du bist doch wieder da, oder?«

Er zuckte zusammen. »Nein, bin ich nicht.«

»Phil, du musst zurückkommen. Es ist Schicksal, dass du gerade jetzt angerufen hast. Ich wollte schon einen Detektiv engagieren, um dich zu finden.«

Er bekam eine Gänsehaut. »Warum? Was ist los?« Seinem alten Herren ging es doch sicherlich gut. Ein gesunder Werwolf konnte bis zu fünfhundert Jahre alt werden, und sein Vater war nicht einmal zweihundert.

»Alles geht den Bach runter«, knurrte Brynley. »Howell wird nächsten Monat zwanzig. Er setzt Dad unter Druck, ihn als Nachfolger einzusetzen.«

Howell war fast zwanzig? Phil erinnerte sich an den letzten Augenblick mit seinem jüngeren Bruder und seiner Schwester. Howell und Glynis waren erst elf gewesen, als er gegangen war. »Mir war nicht klar, dass Howell erwachsen geworden ist.«

»Na ja, Überraschung. Wir haben hier nicht aufgehört zu leben, als du gegangen bist, weißt du. Howell hat den Rat um Erlaubnis ersucht, Alpha zu werden.«

»Das ist schrecklich jung, um Alpha zu sein«, murmelte Phil.

»Erzähl mir was Neues. Er ist sehr ehrgeizig, Phil. Und wenn es ihm gelingt, die Sache durchzuziehen, werden die ihn dir vorziehen. Also schaff deinen haarigen Hintern zurück nach Montana und erlange deinen Alpha-Status. Beweis ihnen, dass du der rechtmäßige Erbe bist.«

Wenn das Rudel wüsste, dass es ihm gelungen war, allein den Alpha-Status zu erlangen, würden sie ihn nie mehr in Ruhe lassen. »Ich habe ein Leben, Bryn, und es gefällt mir.«

»Bist du wahnsinnig? Phil, du bist hier ein verdammter Prinz. Du kannst alles haben, was du willst.«

Bis auf Freiheit. Oder Vanda. Das Rudel würde niemals eine Vampirfrau als seine Königin akzeptieren. »Brynley, gibt es meine Blockhütte in Wyoming noch?«

Es gab eine kurze Pause. »Ja.«

»Ich muss vielleicht einige Tage dort hin. Würde es dir etwas ausmachen, mich dort zu treffen?«

»Ich würde dich nur zu gern sehen, Phil. Ich habe dich vermisst.«

»Ich habe dich auch vermisst. Kannst du heute Nacht da sein und dafür sorgen, dass es genug Vorräte gibt?«

»Okay. Hast du Urlaub? Ich weiß nicht einmal, wo du arbeitest.«

»Ich erkläre dir alles, wenn ich komme.« Er schwieg einen Augenblick. Das würde jetzt seltsam klingen, aber es gab keine andere Möglichkeit. »Ich brauche in der Hütte ein paar Flaschen synthetisches Blut.«

»Du machst Witze. Warum?«

»Ich komme mit einem Vampir.«

»Einem Vampir? Ist das dein Ernst? Dad bekommt vor Schreck Kätzchen.«

»Sag ihm nicht, dass ich dort sein werde.« Phil knirschte mit den Zähnen. »Ich meine es ernst, Brynley. Sag es ihm nicht.«

»Ich meine es auch ernst. Dad wird dich sehen wollen. Er ist nicht mehr wütend auf dich.«

Natürlich wäre sein Vater froh, ihn zu sehen. Er würde ihn willkommen heißen wie den berüchtigten verlorenen Sohn. Er würde seine Klauen in ihn schlagen und Phil nie mehr gehen lassen. »Brynley, darüber können wir später noch reden. Erst einmal musst du für mich in die Hütte fahren, Blut mitbringen und auf meinen Anruf warten. Wenn ich anrufe, dann nachts.«

»Wenn du anrufst?«

»Ja, und wenn ich anrufe, dann, weil wir in echter Gefahr sind und einen Ort brauchen, an dem wir uns verstecken können. Der Vampir benutzt deine Stimme, um uns zu teleportieren.«

»Oh natürlich. Wir haben schon das Gerücht gehört, dass du mit Vampiren arbeitest. Ich wollte es nicht glauben.«

»Kannst du das für mich tun, Bryn?«

Sie seufzte. »Sicher. Aber morgen Nacht beginnt der Vollmond. Dad wird sich fragen, wieso ich die Jagd verpasse.«

Ah ja, die Jagd. Der Höhepunkt in der Existenz des Wolfrudels. Jeden Monat sammelte sich das Rudel in der ersten Nacht des Vollmonds zur Jagd. Das Rudel seines Vaters war jetzt so groß - es umfasste ganz Montana, Idaho und Wyoming -, dass jeden Monat nur eine Handvoll Wölfe ausgewählt wurden, an der Jagd mit dem Obersten Rudelführer teilzunehmen. Andere Mitglieder und weniger angesehene Führer sammelten sich an verschiedenen Orten zu ihrer eigenen monatlichen Jagd. Zur Jagd seines Vaters eingeladen zu sein war eine große Ehre, gleichbedeutend mit einer Einladung an den Königshof für einen Sterblichen.

Phil war damit aufgewachsen zu sehen, wie andere Werwölfe sich vor seinem Vater verbeugten und ihn Obersten Rudelführer nannten. Sein Vater war der mächtigste Leitwolf in Amerika. Mit zwölf Jahren erkannte Phil, dass sein Vater mehr als alles andere nach Macht verlangte. Er würde immer noch mehr Macht und noch mehr Kontrolle über seine Untergebenen wollen, auch über seine eigenen Söhne. Und Phil, dessen Fluch die gleichen Gene wie die seines Vaters waren, war nicht die Art von Wolf, die sich kontrollieren ließ.

»Das ist wirklich wichtig.«

»Ja, das dachte ich mir. Sonst hättest du dir nie die Mühe gemacht anzurufen.«

Die Abneigung in ihrer Stimme war unüberhörbar. »Danke, dass du hilfst. Ich freue mich darauf, dich zu sehen.«

»Oh Phil.« Ihre Stimme zitterte. »Ich würde alles für dich tun, das weißt du. Ich warte auf deinen Anruf. Sei vorsichtig.«

»Danke.« Er legte auf.

In seinem Bauch begann ein unangenehmes Gefühl der Vorahnung zu nagen. Die Hütte in Wyoming war das perfekte Versteck für Vanda. Niemand in der Welt der Vampire wusste davon. Aber der Preis, sie zu benutzen, war vielleicht viel zu hoch.

****

Vanda rümpfte ihre Nase. »Hier riecht es nach Kaffee.«

»Es war hundert Jahre lang ein Lagerhaus für Kaffee«, erklärte Robby. »Der Zirkel hat früher in einem alten Weinkeller gelebt, aber der wurde durch Hurrikan Katrina zerstört.«

Vanda betrachtete den riesigen, rechteckigen Raum. An den Wänden waren Wasserflecken, die zeigten, wie hoch das Wasser in diesem Lagerhaus gestanden hatte. Jetzt war es bis auf eine kleine Sitzecke aus einem Sofa und mehreren Sesseln trocken und leer.

Robby, Zoltan und Dougal hatten den Zirkel in New Orleans schon früher besucht, also war das Lagerhaus in ihr übersinnliches Gedächtnis gespeichert. Sie hatten sich einfach Vanda, Phineas und Phil geschnappt und hatten sie mitgenommen.

Vanda zog die Peitsche um ihre Hüfte enger. »Wo sind alle? Ich dachte, sie erwarten uns.«

Phil deutete auf eine Überwachungskamera über dem Haupteingang. »Sie wissen wahrscheinlich schon, dass wir hier sind.«

»Bonsoir, mes amis«, hallte eine tiefe männliche Stimme durch das Lagerhaus. »Willkommen in unserem Zuhause.«

Vanda sah sich um und dann nach oben und entdeckte einen langen Balkon. Aus der mittleren Tür trat ein Paar. Der Mann sah gut aus, war vollkommen in Schwarz gekleidet, und die Frau an seiner Seite trug ein glänzendes goldenes Abendkleid in der gleichen Farbe wie ihr Haar.

»Keine Treppen oder Leitern«, murmelte Phil. »Eine gute Sicherheitsmaßnahme.«

Noch mehr Vampire traten auf den Balkon hinaus. Elegant gekleidet posierten sie an der Brüstung entlang. Der Zirkel wohnte also tatsächlich im oberen Stockwerk. Nur wer schweben konnte, hatte Zugang, sodass die Vampire vor sterblichen Eindringlingen geschützt waren.

Der Mann in Schwarz schwebte hinab. Sein schwarzer Mantel flatterte um ihn, bis er elegant auf dem Boden landete. Er verbeugte sich. »Ich bin Colbert GrandPied, zu Ihren Diensten.«

»Vanda Barkowski.« Sie streckte ihre Hand aus.

Er beugte sich darüber, um sie zu küssen. »Enchanté.«

Während Colbert die restlichen Vampire und Phil begrüßte, schwebten weitere gut angezogene Vampire vom Balkon hinab.

»Ich bin Giselle.« Die in Gold gekleidete Blondine küsste Vanda auf die Wangen. »Es ist uns eine Ehre, dich bei uns zu haben.«

Ehre? Vanda fand es nicht sehr ehrenhaft, als Köder zu fungieren. Und diese eleganten Vampire waren eher für die Oper gekleidet, als für eine Schlacht mit Casimir. »Ah, ist euch klar, dass es einen Kampf geben könnte?«

Giselle legte den Kopf zur Seite. »Ich habe es so verstanden, dass der Kampf im Vampire Blues stattfinden wird. Das ist der Plan, non?«

Vanda seufzte. »Ja schon, aber...«

»Keine Sorge, chérie.« Giselle klopfte ihr auf die Schulter. »Unsere besten Schwertkämpfer werden euch in den Club begleiten. Viele von ihnen haben im großen Vampirkrieg von 1710 geliebte Angehörige verloren. Sie brennen darauf, sich zu rächen.«

»Toll.« Vanda lächelte ironisch. »Dann sind ja alle zufrieden.« Sie sah zu Phil. Seine Miene war ernst, und sein Blick wanderte überall hin, als erwartete er hinter jeder Ecke Gefahr.

Colbert schlang einen Arm um Giselles schlanke Taille. »Und wo sind Scarlett und Tootsie? Ich dachte, sie wären die Ersten, die herunterkommen.«

»Sie waren immer noch im Badezimmer mit ihrem Make-up beschäftigt, als ich sie das letzte Mal gesehen habe.« Giselle lächelte Vanda an. »Sie sind deine größten Fans.«

»Fans?« Vanda blinzelte, als eine Gestalt aus den oberen Räumlichkeiten auf den Balkon gerannt kam. »Wow.« Das silberne Kleid war über und über mit Pailletten bestickt und glitzerte wie eine Diskokugel. Ihre Augen brauchten einen Augenblick, um sich daran zu gewöhnen.

»Das ist Scarlett«, flüsterte Colbert.

Fasziniert starrte Vanda nach oben. Scarletts Figur füllte das Kleid recht gut aus... für einen Mann.

»Verdammt«, murmelte Phineas.

Scarlett erblickte Vanda und keuchte auf. »Oh mein Gott. Sie ist hier! Tootsie, beeil dich! Sie ist hier!« Sie - oder er - wedelte sich mit einer Hand vor dem Gesicht Luft zu. »Oh mein Gott, ich kann kaum atmen.«

»Wo ist sie?« Noch eine Gestalt rannte auf den Balkon. Kreischend pinkfarbene Schlaghosen und ein Trägertop, das vollkommen mit Pailletten bedeckt war, eine ebenso pinkfarbene Perücke, die genau dazu passte, und dazu ein glitzernd pinkfarbener Pillbox-Hut schmückten den Mann.

»Et voilà.« Colbert deutete auf den Balkon. »Tootsie.«

Tootsie presste eine Hand auf seine Brust, während er Vanda weiter anstarrte. »Sie ist es wirklich! Oh mein Gott, sie trägt den lila Overall. Und das lila Haar.« Er griff nach Scarletts Hand. »Das ist so aufregend!«

Gemeinsam sprangen die beiden Männer vom Balkon und landeten auf dem Boden.

Scarlett schwankte leicht in seinen fünfzehn Zentimeter hohen roten Stilettos, ehe er auf Vanda zuging. »Ich freue mich so sehr, dich kennenzulernen. Ich bin dein größter Fan!«

»Nein, ich bin dein größter Fan!« Tootsie quetschte sich vor ihn. »Ich bin eine ganze Größe größer als Scarlett.« Er kicherte.

»Das wärst du nicht, wenn du die Finger vom Chocolood ließest«, spottete Scarlett. »Oh, Vanda... ich darf doch bitte Vanda sagen?«

»Ich denke schon. Das ist mein Name.«

Scarlett kicherte. »Du bist so klug. Und mutig! Wir fanden es toll, wie du diesen Aufruhr vor DVN angeführt hast, als Ian in Schwierigkeiten war.«

»Das habt ihr gesehen?« Vanda erinnerte sich an den Vorfall letzten Dezember. Gregori hatte die Kamera hinaus auf den Parkplatz gebracht, wo sie eine Gruppe Frauen zu Ians Unterstützung zusammengetrommelt hatte. Aber damals stand Ians Sicherheit an vorderster Stelle. Dass sie vielleicht im Fernsehen erscheinen könnte, war völlig unwichtig gewesen.

»Wir lieben Ian einfach«, erklärte Tootsie. »So ein guter Junge.«

»Und so ein niedlicher Kilt«, fügte Scarlett hinzu, aber Tootsie gab ihr einen Klaps auf das Handgelenk.

»Benimm dich. Wir finden es einfach toll, wie du Ian geholfen hast, seine wahre Liebe zu finden.« Tootsie legte eine Hand auf seinen Mund. »Das war so romantisch. Ich glaube, ich muss weinen.«

»Tu es nicht«, ereiferte Scarlett sich. »Davon verläuft deine Mascara. Und Vanda...« Er griff sich ihre Hand. »Wir waren einfach begeistert davon, wie du Corky Courrant angegriffen hast. Waren wir das nicht?«

Überall aus der Menge kam zustimmendes Gemurmel.

»Wir haben alles aufgezeichnet«, erklärte Tootsie ihr. »Diese schreckliche Party, auf der Corky Ian beleidigt hat, und dann der schöne Teil, wo du über den Tisch springst und diese Schlampe würgst.«

»Wir haben es uns hundert Mal angesehen!«, rief Scarlett aus.

»Toll«, murmelte Vanda. »Das war einer meiner stolzesten Momente.«

»Wir verehren dich einfach«, sagte Tootsie mit Nachdruck. »Und wir lieben deine schrecklichen Launen.«

»Oh ja.« Scarlett schauderte. »Sie sind so roh und wild.«

»Könntest du...« Tootsie legte eine Hand auf seine kreischend pinkfarbenen Lippen. »Oh, ich hasse es, dir Umstände zu machen, aber denkst du, du könntest uns einen deiner prächtigen Wutanfälle zeigen?«

»Oh ja, bitte.« Scarlett rang ihre Hände. »Es wäre eine solche Ehre, dich wirklich angepisst zu erleben!«

»Ich arbeite gerade daran«, eröffnete Vanda den beiden zähneknirschend.

»In Ordnung«, unterbrach Robby sie. »Genug geplaudert. Wir müssen mit dem Plan weitermachen.«

»Du liebe Zeit.« Tootsie sah Robby von oben bis unten an. »Noch so ein niedlicher Kilt.«

Robby hob eine Augenbraue. »Wenn ihr mit uns zum Vampire Blues kommt, müsst ihr bereit sein, um euer Leben zu kämpfen.«

Scarlett und Tootsie keuchten beide auf.

»Habt eine wunderbare Zeit.« Scarlett trat einen Schritt zurück und winkte zum Abschied.

»Und lasst nicht zu, dass Vanda etwas geschieht«, fügte Tootsie hinzu.

»Wir passen schon auf«, knurrte Phil.

»Hier entlang.« Colbert und sechs seiner Männer schritten auf den Eingang des Lagerhauses zu.

Draußen verteilten sie sich auf zwei schwarze Limousinen. Zeit, die Falle zu stellen und abzuwarten, ob Casimir den Köder schluckte.