4. KAPITEL

 

Vanda stürmte in den Club, die Peitsche in der Hand, und wartete, bis ihre Augen sich an das spärliche Licht gewöhnt hatten. Nur eine Handvoll Kunden war geblieben. Alle anderen hatten sich anscheinend beim ersten Anzeichen von Gefahr teleportiert. Die verbleibenden Gäste steckten ihre Köpfe zusammen und tratschten mit gesenkten Stimmen.

»Er ist so unglaublich stark«, flüsterte ein weiblicher Vampir einer Freundin zu.

»Und so gut aussehend«, antwortete die Freundin.

Vanda schnaufte. Über Geschmack ließ sich nicht streiten. Ihr Türsteher Hugo war ungefähr so breit, wie er groß war. Sein massiger Kopf saß direkt auf seinen breiten Schultern. Sie fragte sich oft, wie man es geschafft hatte, ihn zu verwandeln, wo er doch keinen sichtbaren Hals besaß, den man beißen konnte.

»Entschuldigt mal.« Sie schubste die zwei tratschenden Mädchen zur Seite.

»Vanda«, ertönte eine tiefe, heisere Stimme hinter ihr.

Erschrocken drehte sie sich um und sah Hugo. »Was? Über wen...«

Er legte ihr eine fleischige Hand auf die Schulter. »Ich muss mit dir sprechen.«

»Nicht jetzt!« Sie löste sich von ihm und schob sich durch die Menge. Dann blieb sie mit einem Keuchen stehen.

Max lag rücklings auf dem Boden, und Phil saß auf ihm. In seinen Fäusten hielt er eine silberne Kette, die er über Max' Brust gespannt hatte. Die Kette hielt Max nicht nur am Boden fest, sie verhinderte auch, dass der Vampir sich teleportieren konnte.

Vanda starrte die beiden einige Sekunden lang an. Jetzt war ihr klar, warum die Menge so erstaunt flüsterte. Es kam so gut wie nie vor, dass ein Sterblicher schnell genug war, einen Vampir zu fangen, und stark genug, ihn auch festzuhalten.

Auf dem Boden zu ihren Füßen glänzte ein langer Dolch im spärlichen Licht. Guter Gott. Ihr lief ein Schauer den Rücken hinab. Wenn Max sie ins Herz gestochen hätte, wäre sie jetzt nur noch ein Haufen Staub. Irgendwie war es Phil gelungen, ihn zu entwaffnen. Phil hatte ihr das Leben gerettet. Und er schien nicht einmal außer Atem zu sein.

Als er sie anblickte und lächelte, gaben fast ihre Knie nach.

Die Mädchen hinter ihr seufzten.

»Was für schöne Augen«, flüsterte eine von ihnen.

Vandas Griff schloss sich fester um die Peitsche, und sie unterdrückte den Drang, die Mädchen anzufauchen. Aber was konnte sie schon sagen? Hände weg, der gehört mir? Sie hatte kein Anrecht auf ihn.

Sie wendete sich ab, sauer auf sich selbst, weil sie sich zu Eifersucht hatte hinreißen lassen, und weil sie sich so leicht vom Lächeln und den schönen blauen Augen eines Mannes aus der Fassung bringen ließ. Beim Anblick ihrer drei Tänzer, die hinter der Bar das Geschehen beobachteten, stieg Wut in ihr auf. Diese rückgratlosen Feiglinge.

Hugo packte sie am Arm und zog sie aus der Menge. »Vanda, ich muss mit dir reden. Es geht um diesen Sterblichen.«

»Ich weiß«, murmelte sie genervt. »Er ist unglaublich stark und gut aussehend. Willst du dich dem Fanclub anschließen?«

Hugo sah sie verwirrt an. »Nein. Etwas stimmt nicht mit ihm. Er bewegt sich zu schnell.«

»Das kannst du laut sagen. Er hat einen Wahnsinnigen gefasst und mich vor dem sicheren Tod bewahrt. Eigentlich wäre das deine Aufgabe gewesen, glaube ich.« Sie starrte ihren Türsteher wütend an. »Wenn du langsamer als ein Sterblicher bist, habe ich vielleicht den Falschen eingestellt.«

»Nein, nein! Ich kümmere mich um Max. Ich dachte nur, ich sollte dich lieber warnen vor...«

»Was hast du vor?« Vanda zuckte plötzlich vor Schreck zusammen. Sie wollte nicht noch mehr Tote auf dem Gewissen haben.

»Ich hatte vor, ihn weit weg zu teleportieren und ihm zu sagen, er soll dich in Ruhe lassen«, knurrte Hugo. »Und ich dachte, ich schlage ihm noch in den Magen, wenn es dir nichts ausmacht.«

»Oh. Ich denke, damit kann ich leben.« Langsam wandte sie sich wieder der kleinen Gruppe von Vampiren zu. Alle wichen zur Seite, als Hugo hinter ihr hermarschierte.

Phil hielt den zappelnden Vampir immer noch fest, als wäre er nur ein wütendes kleines Kind, das eine Auszeit brauchte. Max schien keine Schmerzen zu spüren; die silberne Kette berührte nur seine Kleidung und nicht die Haut. Ansonsten gäbe es ekliges, stinkendes, brutzelndes Fleisch.

Phil sah zu ihr hoch. »Was willst du mit ihm machen?«

»Hugo kümmert sich um ihn.«

Wie aufs Stichwort knurrte Hugo tief in seiner Kehle. Die Menge sprang zurück.

Max wurde blass, als Hugo sich ihm wie ein riesiger Bär näherte. »Nein! Lass mich los. Ich lasse Vanda in Ruhe, versprochen.«

»Man hat dir schon bei der Zirkelversammlung nahegelegt, Vanda in Ruhe zu lassen.« Phil starrte ihn eindringlich an. »Offensichtlich kann man dir nicht vertrauen.«

»Du verstößt gegen die einstweilige Verfügung.« Vanda schlang ihre Peitsche um die Hüfte und knotete sie fest. »Ich glaube, du schuldest dem Gericht fünftausend Dollar.«

»Schlampe! Du bist es, die mir Geld schuldet.«

»Genug.« Hugo packte Max um den Hals. »Ich habe ihn. Du kannst loslassen.«

Sobald Phil auf die Füße gesprungen war und die silberne Kette abgenommen hatte, teleportierte Hugo sich mit Max davon. Phil stopfte die Silberkette zurück in seine Hosentasche, und dann stürmten die weiblichen Vampire herbei.

»Du warst unglaublich.« Eines der Mädchen schmiegte sich an ihn.

»Ich muss schon sagen.« Cora Lee legte eine Hand um seinen Arm. »Ich habe noch nie eine so lebhafte männliche Darbietung gesehen.«

»Die Show ist vorbei«, knurrte Vanda.

Phils Augen blitzten amüsiert, als er sich hinabbeugte, um Max' Dolch aufzuheben. »Tretet lieber zurück, Ladies. Das ist eine gefährliche Waffe.«

Mit einem Seufzen zogen die Frauen sich zurück.

Phil konzentrierte sich ganz auf Vanda. »Kann ich unter vier Augen mit dir sprechen?«

»Ich... denke schon.« Etwas ungelenk drehte sie sich um und führte ihn in ihr Büro. Ihre Nerven spannten sich schon bei dem Gedanken, wieder allein mit ihm zu sein, an. Aber sie musste es tun. Sie musste sich entschuldigen, weil sie ihm in der Vergangenheit so viel Leid zugefügt hatte.

Sie ließ ihn eintreten und schloss dann die Tür. »Danke, dass du uns beschützt hast.«

»Gern geschehen.« Er legte den Dolch auf ihren Schreibtisch. »Den brauchst du vielleicht noch.«

Ein Schaudern überkam sie. Die Sache hätte wirklich schlimm ausgehen können. »Wenigstens hat Max die blöde Schlange nicht mitgebracht.«

Phil stutzte. »Schlange?«

»Einen fünfzehn Fuß langen Python. Max tanzt mit ihm. Jedenfalls hat er es versucht. Die Schlange hatte andere Pläne.« Sie atmete tief ein. Gott sei Dank war Phil kein Vampir, der ihr Herz schlagen hören konnte. Er hatte so etwas an sich, und anscheinend war sie nicht die Einzige, die das bemerkte. Alle Frauen reagierten auf ihn. Und das machte sie seltsam besitzergreifend.

Von Anfang an hatte sie seinen Einfluss gespürt. Mit neunzehn war er dürr und schlaksig gewesen, aber trotzdem strahlte er eine Erotik aus, die sie anzog. Jetzt, mit siebenundzwanzig, hatte er Muskeln bekommen, und eine Aura männlicher Kraft umgab ihn. Jedes Nervenende in ihrem Körper schien sich seiner bewusst zu sein, war von ihm angezogen, für ihn entbrannt.

Hatte sie jetzt auch noch den Verstand verloren? Hatte sie im Leben nicht genug Schmerz ertragen? Sie würde sich entschuldigen und ihn dann gehen lassen. Sie atmete tief ein und begegnete seinem ruhigen Blick.

Phil trat auf sie zu. »Ich muss mich entschuldigen.«

Verwirrt sah sie ihn an. Er hatte ihr die Worte aus dem Mund genommen. »Aber...«

Er hob eine Hand, um sie aufzuhalten. »Ich muss das loswerden. Ich stand auf dem Gehweg und habe auf ein Taxi gewartet, als mir klar wurde, was für ein Heuchler ich bin. Ich habe mich freiwillig gemeldet, um dir mit deiner Wut zu helfen, aber meine eigene hatte ich nicht im Griff. Ich war unhöflich...«

»Aber du hattest jedes Recht, wütend auf mich zu sein. Ich habe dich gequält. Wegen mir ging es dir elend. Ich hätte dich so nicht behandeln dürfen.«

Seine Augen wurden weich. »Es gibt viel schlimmere Qualen als eine schöne Frau, die einen Mann um den Verstand bringt.«

Das Blau seiner Augen schien ihre Brust enger zu machen, als wäre es schwer, zu atmen. »Du bist nur nett, aber das habe ich nicht verdient. Du hattest recht. Ich habe mich gelangweilt, und du warst eine gute Ablenkung. Es tut mir wirklich leid.«

»Mir tut es auch leid. Ich bin in den Club zurückgekommen, um mich zu entschuldigen, als Max aufgetaucht ist.«

Sie erinnerte sich an die seltsame Warnung ihres Türstehers. »Ich habe gehört, du hast sehr schnell reagiert.«

»Ich arbeite schon sehr lange für MacKay S & I, dabei habe ich einige Tricks gelernt.« Er berührte seine Tasche. »Zum Beispiel, eine Silberkette bei mir zu tragen. Es ist der einzige Weg, einen Vampir vom Teleportieren abzuhalten.« Er legte seinen Kopf schräg. »Hast du irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen?«

»Natürlich. Ich habe Hugo.«

»Ich meinte, außerhalb des Clubs. Wer beschützt dich, wenn du im Todesschlaf liegst?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Pamela, Cora Lee und ich teilen uns eine Eigentumswohnung, und das Gebäude ist gut gesichert. Die würden nie jemanden tagsüber in die Nähe unserer Wohnung lassen. Wir sind offiziell als Tagschläfer eingetragen.«

Er schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht. Vielleicht solltest du zurück in Romans Stadthaus ziehen, nur für eine Weile...«

»Nein.« Vanda hob beide Hände, als wolle sie das Böse abwehren. »Ich gebe meine Unabhängigkeit nicht wieder auf. Das habe ich einmal gemacht, und es hat fünfzig Jahre gedauert, bis ich sie wiederhatte.«

»Warum hast du dich dem Harem überhaupt angeschlossen?

Verdammt. Jetzt hatte sie zu viel gesagt. »Das sind uralte Geschichten. Vergiss es einfach.«

Seine Miene verriet, dass er nichts vergessen würde. »Ich glaube nicht, dass du Max zum letzten Mal gesehen hast.«

»Er kann mir nichts anhaben, während ich schlafe, am Tag ist er genauso tot wie ich.«

Mit gerunzelter Stirn betrachtete er Vanda. »Der Gedanke, dass du allein bist, gefällt mir nicht.«

»Ich bin nicht allein!«, sagte sie, lauter als nötig, und zuckte dann zusammen. »Ich habe Freunde. Ich habe diesen Club. Mein Leben ist eine einzige große Party.«

Phil trat näher auf sie zu, und seine Augen schienen sie zu durchleuchten. »Du hast geweint.«

»Es geht mir gut. Und jetzt, wenn es dir nichts ausmacht...« Sie zuckte zusammen, als er ihre Wange berührte.

»Vampirtränen.« Mit seinem Finger fuhr er eine Spur an ihrer Wange hinab. »Sie hinterlassen blassrosa Spuren.«

Sie wich zurück. »Gute Nacht, Phil. Danke noch einmal, dass du uns beschützt hast.«

Vanda musste sich abwenden, und ihr Herz flatterte unter dem suchenden Blick dieser blassblauen Augen.

»Wie wäre es, wenn du mich nach Hause bringst?«

Hatte sie heute Nacht nicht schon genug durchgemacht? Aber wie konnte sie es ihm abschlagen? Phil hatte ihr ihren Wagen zurückgebracht. Er hatte sie vor Max gerettet. Doch der Gedanke daran, noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen, war zu beunruhigend. Ihre Nerven waren vollkommen am Ende. Ihre Gefühle waren ein vollkommenes Durcheinander. Sie wollte ihn berühren. Sie wollte seine starken Arme um sich spüren. Und gleichzeitig wollte sie, dass er weit wegging und nie mehr zurückkam.

Seufzend legte sie eine Hand an ihre Stirn. »Ich... ich habe viel zu tun.«

»Du brauchst nur ein paar Sekunden, um mich zu teleportieren. Aber dazu musst du zulassen, dass ich meine Arme um dich schlinge und dich fest an mich drücke. Wenn dir das zu viel Angst macht...«

»Ich habe keine Angst!« Bei seinem Lächeln, das jetzt über sein perfektes Gesicht huschte, biss sie die Zähne zusammen. Blöder Kerl. Was machte er nur mit ihr? »Du rächst dich immer noch an mir, oder?«

»Im Grunde bin ich gerade dabei, an diesen negativen Gefühlen zu arbeiten. Ich habe nicht länger Bilder davon vor Augen, wie ich dich leiden lasse.«

»Oh, wie großzügig du bist.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Wie schön, dass dir das aufgefallen ist.«

Vanda musterte ihn von oben bis unten und blickte dann rasch zur Seite. Guter Gott, er war wirklich groß. Wie konnte es sein, dass er so erregt war? Er hatte bloß ihre Wange berührt. Ihre Haut kribbelte, und plötzlich wollte sie überall von ihm berührt werden.

Phil ergriff ihre Schultern. »Statt dich leiden zu lassen, denke ich an die vielen Arten, auf denen ich dir gefallen könnte.«

Oh Gott, jetzt nicht schwach werden. Sie presste ihre zitternden Knie zusammen und legte ihre Hände gegen seine Brust, mehr, um sich zu halten, als ihn wegzustoßen. Und schon schlang er seine Arme um sie und zog sie eng an sich.

Sie keuchte leise auf, als sie seinen harten Schaft spürte. »Nicht so nah. Ich muss mich konzentrieren können, um zu teleportieren. Du willst doch auf dem Weg nach Hause kein Anhängsel verlieren, und damit meine ich nicht deinen Fuß.«

Mit einem frechen Grinsen ging er ein Stück zurück. »Er ist im Augenblick gut einen Fuß lang.«

»Höhlenmensch.« Sie schloss die Augen, um sich auf Romans Stadthaus zu konzentrieren. Ihr Körper begann zu verschwimmen, aber als Phils Körper ganz blieb, hörte sie auf. »Irgendetwas stimmt nicht. Du kommst nicht mit mir.«

»Nicht genug Vorspiel, Kleines.«

Sie schlug ihm auf den Arm. »Ich meinte, dein Körper weigert sich, zu teleportieren.«

»Ah.« Er ließ sie los und holte die Silberkette aus seiner Hosentasche. »Da hätten wir das Problem.« Er legte die Kette auf ihren Schreibtisch. »Also, wo waren wir?«

Ihr Herz machte einen Salto, als er sie zurück in seine Arme zog. Sie legte ihre Hände gegen seine Brust und spürte die kräftigen Schläge seines Herzens. Sie drückte die Augen fest zu, versuchte, sich zu konzentrieren, versuchte, all die kribbelnden Gefühle auszusperren, die durch ihren Körper zuckten.

Seine Arme waren so stark. Sein Atem bewegte die Haare auf ihrem Scheitel. Und sein Duft - sauber, aber erdig und angefüllt mit männlicher Kraft - durchströmte all ihre Sinne und ließ sie sich nach dem Unmöglichen sehnen.

Aber es war nun einmal unmöglich. Egal, wie verlockend er war, sie konnte nicht zulassen, dass sie echte Gefühle für ihn entwickelte. Sie hatte schon all den Schmerz ertragen, den ein Mensch in einer Lebensspanne aushalten konnte. Sie würde ihn einfach nach Hause teleportieren und dann gleich zurückkommen. Allein.

Sie spürte, wie ihr Bewusstsein in ein schwarzes Loch stürzte. Sie schwankte, nahm Phil mit sich, und alles wurde schwarz.

****

Phil hatte es noch nie sehr gemocht, bei einem Vampir mitzureisen. Er geriet dabei in die minderwertige Rolle, Hilfe anzunehmen, und das entsprach nicht seinem instinktiven Bedürfnis, den dominanteren Part zu spielen. Er nahm die Situation in Kauf, weil der Krieg gegen die Malcontents wichtiger war als jedes Ego. Aber wenn es um das Teleportieren mit Vanda ging, so war es nur ein Vorwand, sie festzuhalten.

Als sie im Foyer von Romans Stadthaus landeten, löste Vanda sich sofort aus seinen Armen.

Sie verzog das Gesicht und hielt sich die Ohren zu. »Was ist das für ein schreckliches Geräusch?«

»Wir müssen den Alarm ausgelöst haben.« Phil ging zu einem Kontrollfeld an der Vordertür und gab den Code ein, um das hohe Jaulen auszustellen. Nur Vampire und Hunde sollten ihn hören können, also war er anscheinend doch mehr Hund, als er zugeben wollte. »Die Jungs teleportieren sich normalerweise auf die hintere Veranda, damit sie den Alarm ausstellen können, ehe sie reingehen.«

»Oh, das wusste ich nicht.« Vanda sah sich um. »Hier sieht alles noch aus wie früher.«

»Ist es auch, nur ziemlich leer.« Phil drückte noch ein paar Knöpfe, um den Alarm wieder zu aktivieren. »Wir mussten die Sicherheitsmaßnahmen verschärfen. Es kann nicht sein, dass sich Malcontents hier hineinteleportieren und uns angreifen.«

Vanda nickte. »Kann ich mich wieder rausteleportieren?«

»Nur eine Sekunde.« Er zog ein Handy aus der Tasche und rief bei Romatech an. Sie mussten ein Signal bekommen haben, als der Alarm im Stadthaus losgegangen war. »Hey, Connor. Falscher Alarm. Alles in Ordnung.« Er legte auf.

Vanda trat von einem Fuß auf den anderen und sah ungeduldig aus. »Kann ich jetzt gehen?«

Er ließ das Telefon wieder in seine Tasche gleiten und ging auf sie zu. »Es gibt keinen Grund, sich so zu beeilen.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Vergiss es, Phil.«

»Was soll ich vergessen?«

»Was auch immer du gerade im Kopf hast.«

»Ich habe eine Menge im Kopf. Könntest du etwas deutlicher werden?«

Mit wütendem Blick starrte sie ihn an. »Wenn ich deine Gesamthaltung bedenke, nehme ich an, alle deine Gedanken führen zum gleichen Ergebnis.«

»Gut, mal sehen. Ich habe daran gedacht, deinen sinnlichen Mund zu küssen. Und ich habe sehr scharf darüber nachgedacht, dir deinen Overall vom Leib zu reißen. Und dann, natürlich, würde ich jeden Zentimeter deines Körpers küssen.« Er grinste. »Ich glaube, du hast recht, Vanda.«

Es war nicht zu übersehen, wie ihr Röte in die Wangen stieg.

Sein Griff war ganz sanft, als er sie an den Schultern nahm. »Komm, setz dich einen Augenblick zu mir.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich... ich will, dass du mich vergisst.«

Sofort ließ er sie los, als hätte sie ihn geohrfeigt. »Dich vergessen? Vanda, ich will dich seit acht Jahren. Ich könnte dich niemals vergessen. Und ich will verdammt noch mal keine weitere Nacht mehr warten!«

In ihren Augen schimmerten Tränen. »Es tut mir leid, Phil. Ich kann nicht.« Ihr Körper verschwamm und verschwand.

»Wovor hast du Angst?«, brüllte er ihren verschwindenden Körper an.

Warum rannte sie davon?

Weil sie wusste, dass er Sex mit ihr wollte. Zu viel Lust hatte sich in ihm aufgestaut; mit einigen kleinen Küssen würde er sich nicht befriedigen lassen. Und das wusste Vanda zweifellos auch.

Er war sich relativ sicher, dass sie ihn attraktiv fand. Er war es gewesen, mit dem sie vor Jahren flirten wollte. Und wenn man Cora Lee glauben konnte, hatte Vanda eine Menge Zeit damit verbracht, über ihn zu reden. Seine Ohren waren nicht ganz so gut wie die eines Vampirs, aber er konnte trotzdem hören, wie heftig ihr Herz schlug, wenn er in der Nähe war.

Warum hatte sie also Angst, sich mit ihm einzulassen?

Er schlenderte in die Küche, um noch etwas zu Abend zu essen, und ging dann weiter die Treppe hinunter in die Wachräume im Keller. Der Schlafsaal sah merkwürdig aus ohne Särge. Die älteren, schottischen Vampire hatten es bevorzugt, in Särgen zu schlafen, die mit dem karierten Muster ihres Clans ausgeschlagen waren, aber sie waren alle versetzt worden oder hatten, in Ians Fall, geheiratet.

Phineas McKinney, der junge schwarze Vampir aus der Bronx, schlief in einem Doppelbett mit roten Satinbezügen. Fotos seiner Familie standen auf dem Nachttisch.

Ein zweites Doppelbett war für Phil aufgestellt worden. Seinen Koffer hatte er bereits am Morgen abgelegt. Er packte schnell aus und hängte seine zusätzlichen Uniformen in den begehbaren Kleiderschrank, der ohne Kilts seltsam leer wirkte.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der das Stadthaus ein betriebsamer Ort gewesen war, bewohnt von Roman, Vampiren auf Besuch, einem Harem aus zehn Frauen und einer vollen Staffel Wachposten, sowohl Vampire als auch Sterbliche. Jetzt war Roman verheiratet und lebte mit seiner Familie in White Plains. Connor und Howard Barr waren dort als Leibwachen tätig.

Phil duschte und stellte den Wecker neben sein Bett. Er musste wenigstens dreißig Minuten früher aufstehen, als Phineas und Jack in ihren Todesschlaf fielen. Es war sein Job, sie bei Tag zu bewachen und ihnen bei allem, was sie brauchten, um Romatech zu beschützen, zur Seite zu stehen.

Wie jeder Soldat hatte Phil gelernt, schnell einzuschlafen. Trotzdem warf er sich im Bett umher. Es war wohl die Lust, die in ihm brannte. Doch je weiter die Nacht voranschritt, desto klarer wurde ihm, dass ihn eher Sorge als Lust quälte. Er machte sich Sorgen, weil Vanda allein und schutzlos war.

Er schlug in sein Kissen und legte sich wieder hin. Sie war nicht allein. Hugo würde sie beschützen.

Als sein Wecker klingelte, wachte er mit einem Ruck auf und sah auf die Uhr. Noch war es dunkel draußen, aber in dreißig Minuten ging die Sonne auf. Die ganze Ostküste entlang machten sich Vampire auf die Suche nach Schutz. Phineas und Jack würden bald ankommen. Vanda war auf dem Weg in ihr Apartment, das sie sich mit zwei ehemaligen Mitgliedern des Harems teilte. Das Apartment mit ungenügenden Sicherheitsvorkehrungen.

Und Max hatte genügend Zeit, um sie umzubringen.

Phil schlüpfte in rasender Geschwindigkeit in seine Uniform und rannte in die Waffenkammer, während er bei Romatech anrief. Jack nahm ab.

Er erklärte schnell die Situation, während er sich mit einigen Messern und einer automatischen Pistole mit Silberkugeln bewaffnete.

»Ich denke, du hast recht«, sagte Jack. »Sieh ruhig nach ihr. Ich schicke Lara an deiner Stelle ins Stadthaus.«

Zwanzig Minuten später bog Phil auf einen Parkplatz in der Nähe von Vandas Wohnung ein. Er sprintete auf das Gebäude zu. Die Sonne berührte bereits den Horizont. Mist. Er kam zu spät.

Er rannte in die Lobby und blieb am Empfang stehen. Der uniformierte Wachmann hing in seinem Stuhl, der Körper schlaff, die Augen geschlossen.

Phil überprüfte den Puls des Wächters. Noch am Leben, keine Anzeichen von Verletzung. Er schien einen tiefen Schlaf zu schlafen. Konnte das Resultat vampirischer Gedankenkontrolle sein. Max war vor ihm hier gewesen.

Phil ging im Aufzug auf und ab, der sich langsam dem zehnten Stockwerk näherte. Wie hatte er so unvorsichtig sein können? Er hätte nicht im Stadthaus schlafen dürfen. Er hätte vor Vandas Tür sein Lager aufschlagen müssen. Er hätte nie von ihrer Seite weichen sollen.

Durch seine Begierde hatte er sie abgeschreckt. Was für ein Idiot er doch war. Wenn Lust alles war, was er für sie empfand, wäre er jetzt nicht so panisch. Seine Hände ballten sich zu festen Fäusten. Wenn Max ihr Schaden zugefügt hatte...

Die Aufzugtür öffnete sich, und er rannte den Korridor hinab zu Vandas Apartment. Die Tür war verschlossen, aber das konnte einen Vampir nicht davon abhalten, sich hineinzuteleportieren.

Kurz entschlossen trat Phil die Tür ein. Es war komplett dunkel, alle Fenster waren mit schweren Aluminiumblenden verschlossen. Er schaltete das Licht an und erwartete fast, Blutflecken und Staubhaufen aus toten Vampiren zu erblicken.

Das Zimmer war makellos. Unberührt. Aber es war zu früh, um erleichtert zu sein.

Er öffnete eine Tür und schaltete das Licht an. Cora Lee und Pamela Smythe-Worthing lagen regungslos im Todesschlaf auf ihren Doppelbetten. Es gab kein Anzeichen von Handgreiflichkeiten. Die Frauen waren zugedeckt, hatten die Hände gefaltet und friedliche Gesichter. Sie mussten in den Todesschlaf gefallen sein, ohne zu merken, dass Max sich eingeschlichen hatte.

Phil ging zurück ins Wohnzimmer. Auf dem Teppich befand sich ein merkwürdiges Muster, als hätte jemand dort in Schlangenlinien Staub gesaugt. Der Pfad führte direkt zu einer anderen Tür, die ein Stück offen stand.

Max war nicht allein gekommen.

Phil zog ein Messer aus der Scheide, die er sich um die Wade gebunden hatte, und drückte die Tür dann langsam weiter auf. Das Licht im Wohnzimmer beleuchtete auch das Schlafzimmer und Vandas Bett. Seine Haut überzog sich mit einem kalten Schauer.

Max' fünfzehn Fuß langer Python schlang sich langsam um Vandas reglosen Körper.