13. KAPITEL

 

»Uff.« Vanda landete auf dem Boden ihres Apartments, Phil ausgestreckt neben ihr.

Schnell erhob er sich auf die Knie. »Alles in Ordnung?«

»Ja.« Vielleicht nicht. Ihr Gesicht fühlte sich schrecklich heiß an. Aber wenigstens war sie nicht knusprig gebraten worden.

»Da seid ihr ja! Gott sei Dank!« Pamela eilte zu ihnen und half Vanda dabei, aufzustehen.

»Wir hatten Angst, dass ihr es nicht geschafft habt.« Cora Lee riss die Augen auf. »Heiliger Strohsack.«

Vanda berührte ihre brennend heiße Wange. »Ist es so schlimm?«

»Nein, nein«, sagten Pamela und Cora Lee schnell und tauschten dann einen Blick.

Toll. Vanda fuhr mit einer Hand durch ihre Haare und spürte die verkohlten Spitzen. Dieses eine Mal war sie froh, dass sie sich selbst nicht im Spiegel sehen konnte. Aber Phil sollte sie so nicht sehen. Zum Glück war er direkt an das große Fenster gerannt und öffnete jetzt die Aluminiumläden.

Auch Vanda lief zum Fenster und sah den Rauch, der zwei Blocks entfernt von ihrem Club aufstieg. Ihr Club. In der Ferne heulten Sirenen. Ein Feuerwehrwagen raste die Straße unter ihnen entlang, mit Blaulicht und Sirene.

Der Club war Vergangenheit. All ihre Träume von einem unabhängigen Leben waren in Rauch aufgegangen.

»Hast du große Schmerzen?«, fragte Phil leise.

Ihre Kehle fühlte sich eng und gespannt an. »Ja.«

»Deine Haut wird in deinem Todesschlaf heilen.«

Die Welt um sie herum verschwamm durch einen Tränenschleier. »Aber nicht mein Herz.«

Sanft berührte er ihre Schulter. »Du solltest nicht hier am Fenster stehen.«

»Ich muss es sehen.« Wenigstens war sie nahe genug bei ihrem Club, während er zu Asche verglühte. Zusammen mit ihren Träumen.

»Vanda, du kannst es dir nicht erlauben, gesehen zu werden.« Er zog sie vom Fenster fort. »Und wir sollten nicht zu lange hierbleiben. Wenn sie merken, dass du die Explosion überlebt hast, werden sie hier nach dir suchen. Aber fürs Erste nehmen sie wahrscheinlich an, du bist tot.«

»Von wem redest du?« Sie erhaschte einen letzten Blick auf eine Rauchsäule, ehe Phil die Läden schloss.

»Ich wette auf Corky.« Cora Lee holte eine große Flasche warmes Chocolood aus der Mikrowelle.

»Ich denke, es war Max, der Megamacker.« Pamela stellte drei Tassen und Untertassen auf die Küchenanrichte. »Aber es könnte auch jeder andere der hundert Leute sein, die du über die Jahre gegen dich aufgebracht hast.«

»Ich habe nicht Hunderte gegen mich aufgebracht.« Vanda dachte nach, um sicherzugehen, dass das stimmte.

»Ich erkläre es euch«, setzte Phil an. »Wir haben einige Informationen von dem Gefangenen bekommen, den Angus letzte Nacht gefasst hat.«

»Oh, richtig.« Cora Lee schenkte Chocolood in die drei Tassen ein und reichte eine Vanda. »Darcy hat uns davon erzählt. Sie und Austin haben ihn zu Romatech gebracht.«

Vanda setzte sich auf die Couch und nippte an der heißen Mixtur aus Blut und Schokolade. Ihre Freundinnen setzten sich ihr gegenüber in die zwei Sessel.

Phil ging im Zimmer auf und ab. »Wir haben herausbekommen, dass Casimir eine Abschussliste hat - Vampire, die an dem Massaker bei DVN teilgenommen haben. Er will den Tod seines Freundes Jedrek Janow rächen.«

Vanda zuckte zusammen. Ihre Freunde Ian und Toni hatten Jedrek Janow umgebracht. Sie stellte die Tasse zurück auf den Couchtisch. »Stehen Ian und Toni auf der Liste?«

»Ganz oben«, gab Phil zu. »Aber solange sie versteckt in den Flitterwochen bleiben, dürften sie außer Gefahr sein.«

Cora Lee nippte an ihrem Chocolood. »Wer steht noch auf der Liste?«

»Jack, Zoltan, Dougal, Phineas.« Phil blickte zu Vanda. »Du.«

Sie schluckte. »Casimir will mich umbringen? Warum? Ich habe bei DVN niemandem geschadet. Ich war nicht einmal drinnen.«

»Das stimmt«, sagte Pamela nachdrücklich. »Vanda war nur zur moralischen Unterstützung dort.«

»Anscheinend weiß Casimir von Jedreks Versuchen, Vanda umzubringen«, sagte Phil. »Er will den Job beenden, vielleicht, um seinem Freund eine letzte Ehre zu erweisen.«

Vanda verkrampfte ihre Hände ineinander. Casimir hatte Tausende von Anhängern. Tausende Vampire, die danach lechzten, ihm zu Willen zu sein. Panik stieg in ihr hoch, die immer weiter wuchs und drohte, sie vollkommen zu überwältigen. Sie war schon früher gejagt worden. Jedrek und seine Wölfe hatten über ein Jahr lang Jagd auf sie gemacht. Es war schrecklich gewesen, aber wenigstens waren sie nur ein halbes Dutzend. Jetzt könnten es Tausende sein... und sie konnte sich nirgends verstecken. Konnte nicht weglaufen.

Phil berührte ihre Schulter, und sie zuckte zusammen.

»Es ist schon gut. Sie werden glauben, du bist bei der Explosion ums Leben gekommen. Solange wir dich verstecken...«

»Ich kann mich nicht jahrhundertelang verstecken!« Vanda sprang auf und ging im Zimmer auf und ab.

»Oh ja.« Pamela stand auf und holte ein Handy aus ihrer Hosentasche. »Das ist schrecklich, einfach schrecklich.«

»Rufst du um Hilfe?«, fragte Cora Lee.

»Ich probier's mal bei Prinzessin Joanna aus London, vielleicht ist sie noch wach.« Pamela wählte eine Nummer. »Ich habe etwas Heimweh nach dem guten alten England.«

Vanda ging zu ihr. »Rennst du vor mir weg?«

»Sei nicht beleidigt, Liebes, aber im Moment bist du nicht gerade die ungefährlichste Person, mit der man sich abgeben könnte - Oh, Joanna! Wie geht es dir? Würde es dir sehr viel ausmachen, wenn ich dich besuchen käme?«

»Ich will mitkommen.« Cora Lee stand auf. »Ich hatte schon immer Lust, mir England anzusehen.«

»Hast du das gehört, Joanna?«, fragte Pamela. »Ja, wir kommen zu zweit... Oh, da stimme ich dir vollkommen zu. Es wird ein herrlicher Urlaub.«

»Ich kann nicht fassen, dass ihr mich im Stich lasst!«, brüllte Vanda.

»Einen Augenblick bitte.« Pamela legte das Telefon an ihre Brust. »Vanda, du weißt, wir lieben dich, aber es hat einfach keinen Sinn für uns hierzubleiben. Wir stehen nur im Weg.«

»Das stimmt ehrlich gesagt«, pflichtete Phil ihr bei. »Es wird leichter für mich, eine Person zu beschützen, statt drei. Und du würdest nicht wollen, dass deine Freunde sich in Gefahr begeben.«

Vanda starrte ihn wütend an. Verdammt, er hatte recht. Sie wollte Cora Lee und Pamela nicht in Gefahr bringen. Aber es tat weh. Sie hatte etwas mehr Loyalität von den beiden erwartet.

»Außerdem gibt es ja auch im Club nichts mehr zu tun«, fügte Cora Lee hinzu. »Du brauchst uns jetzt nicht mehr.«

Ja, ihren Club gab es nicht mehr, aber Cora Lee sagte es so dahin, als wäre er nicht wichtiger als ein kaputter Teller. Wussten sie nicht, dass der Club ihr Leben war? Es war ihre große Leistung. Ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit, ihr Selbstwert, ihre Sicherheit. Und sie hatte ihn verloren. »Dann macht schon und geht! Wer braucht euch schon?«

»Ich fürchte, wir sind nicht so mutig wie du«, gestand Pamela resigniert.

Cora Lees Unterlippe zitterte. »Ich wollte immer mutig sein, aber ich habe zu viel Angst.«

Damit die anderen die Tränen in ihren Augen nicht sehen konnten, wendete sie sich ab. Sie hatte den Club verloren. Jetzt verlor sie auch ihre Freunde.

»Phil«, flüsterte Pamela. »Versprich uns, dass du dich um sie kümmerst.«

»Das werde ich. Ihr habt mein Wort.«

»Gott steh dir bei, Vanda«, sagte Pamela.

Sie drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie Cora Lee und Pamela sich beide über das Telefon beugten, um sich auf Joannas Stimme zu konzentrieren. Dann verschwanden sie.

Vanda ließ sich auf das Sofa fallen. Ihren Club gab es nicht mehr. Ihre Freunde waren verschwunden. Der Albtraum hatte wieder angefangen. Der Albtraum, in dem sie alle verlor, die sie liebte, und die Bösen auf sie Jagd machten, um sie zu töten.

Ein Scheppern löste sie aus ihrer Starre. Phil hatte die Tassen und Untertassen in die Küche gebracht. Plötzlich wurde ihr etwas klar. Sie war nicht allein. Phil war bei ihr. Er hatte geschworen, sie zu beschützen. Ihr Herz weitete sich vor Zärtlichkeit und Wärme.

Aber noch etwas fiel ihr ein, und ihre Brust zog sich eng zusammen. Karl hatte sie auch beschützt, und es hatte ihn sein Leben gekostet.

Das konnte sie Phil nicht antun. Wie ein Stich, den sie im ganzen Körper spürte, machte sich die Erkenntnis breit, dass sie ihn liebte. Und sie konnte nicht zulassen, dass ihm etwas zustieß.

»Du...« Sie räusperte sich. »Du musst nicht hinter uns herräumen.«

»Doch, das muss ich.« Er stellte das Geschirr in die Spülmaschine. »Wir dürfen keine Hinweise darauf hinterlassen, dass du hier warst. Und wir müssen bald hier verschwinden. Wenn sie dich endgültig töten wollen, kommen sie zuerst hierher.«

Sie brauchte ein Versteck. Aber wo? Sie hatte ihre meiste Zeit in Amerika sicher verschlossen in einem Harem in New York City verbracht. Es war nicht möglich, sich in London bei ihren Freundinnen aus dem ehemaligen Harem zu verstecken, ohne sie einem Risiko auszusetzen. Sie konnte sich nicht in Texas bei Maggie verstecken, ohne sie und ihre Familie in Gefahr zu bringen. »Du glaubst nicht, dass das Stadthaus sicher ist?«

»Nein.« Phil ging auf sie zu. »Die Malcontents wissen davon. Es hat ein gutes Alarmsystem, aber das hält die nicht davon ab anzugreifen.«

»Romatech?«

»Alle Niederlassungen von Romatech sind in Gefahr.« Phil nahm ein Handy aus seiner Tasche. »Howard hat eine Blockhütte in den Adirondacks. Dort war ich schon ein paar Mal, um zu... jagen. Ich rufe dort an, der Anrufbeantworter wird rangehen. Dann konzentrierst du dich auf Howards Nachricht und teleportierst uns dorthin. Okay?«

»Nein.«

Mitten im Wählen der Nummer hielt Phil inne. »Was?«

Vanda stand auf. »Ich gehe nicht mit dir.«

Irritiert starrte er sie an. »Ich lasse dir keine Wahl.«

»Ich bin es, die teleportiert. Ich kann gehen, wohin ich will. Allein.«

»Und wo willst du hin?«

»Ich... ich kenne die Berge in den Karpaten wirklich gut.«

»Du willst dich in Höhlen verstecken? Klingt ja richtig bequem.«

»Wenn ich erst einmal in meinem Todesschlaf liege, fühlt sich ein Sandboden genauso an wie eine weiche Matratze.«

Phil ging auf Vanda zu. »Und wer bewacht dich tagsüber?«

»Niemand.« Sie zog die Peitsche enger um ihre Hüfte. »Ich habe schon früher so überlebt. Ich kann es wieder tun.«

Sein Kiefer mahlte, als er die Zähne zusammenbiss. »Damals bist du allein gewesen. Jetzt bist du nicht mehr allein.«

»Ich war allein, weil Karl gestorben ist, um mich zu beschützen. Ich werde nicht zulassen, dass dir das Gleiche passiert.«

»Dazu wird es nicht kommen. Ich bin viel stärker, als Karl es gewesen ist.«

»Du hast ihn nie gekannt...«

»Ich weiß genug! Und ich werde dir nicht erlauben, das allein durchzumachen.«

»Du hast keine Wahl.« In Gedanken suchte sie nach einer Höhle in den Karpaten.

»Tu es nicht. Dort ist vielleicht Tag.«

Verdammt. Er könnte recht haben. Sich nach Osten zu teleportieren, war sehr riskant. »In einer Höhle ist nie Tag.«

»Wie lange ist es her, seit du dort gewesen bist? Über fünfzig Jahre? Die Höhle könnte sich verändert haben. Du könntest dich in soliden Felsen teleportieren.«

Sie schluckte.

»Du teleportierst dich in die Blockhütte und nimmst mich mit.« Er gab die Nummer ein. »Ende der Diskussion.«

Wut funkelte in ihren Augen. »Bist du immer so herrisch?«

»Wenn es um deine Sicherheit geht, ja.« Er hielt sie fest und legte das Telefon an ihr Ohr. »Tu es.«

Sie konzentrierte sich auf die aufgezeichnete Nachricht, und innerhalb von Sekunden hatten sie sich in einem dunklen Raum materialisiert. Phil ließ sie los und steckte sein Handy ein. Sie konnte braune Holzwände erkennen und die grauen Steine eines großen Kamins. Mondlicht drang durch die Fenster, und spiegelte sich in... Augen.

Erschrocken keuchte sie auf und wirbelte herum, um nach Phil zu sehen. Er ging gerade durch die Küche zur Hintertür. »Phil?«

»Ich bin hier.« Er machte das Licht an.

Sie drehte sich wieder um und blickte in die Augen eines Hirschkopfes, der an der Wand hing. Ein riesiger Elchkopf über dem Kamin. Und eine Art wildes Schwein mit Hauern hing über dem Buchregal. »Da sind tote Tiere an der Wand.«

»Es ist eine Jagdhütte.«

Sie schüttelte sich. »Sie sehen mich an.« Und sie sagen, du bist die Nächste. »Komisch, dass auf dem Boden kein Bärenfell liegt.«

Phil zuckte zusammen. »Das würde Howard nicht gefallen. Und sie sehen dich nicht an. Die Augen sind aus Glas.« Er öffnete den Kühlschrank und spähte hinein.

»Ich nehme an, du und Howard haben sie umgebracht?«

»Ja.« Er stellte eine Flasche Bier auf den Tresen und öffnete sie. »Wir sind... Jäger.«

Ihre Gedanken glitten in die Vergangenheit. Sie war selbst ein Jäger gewesen. Sie hatte damit angefangen, ihre Teleportation zu benutzen, um für ihren Vater und ihre Brüder im Konzentrationslager zu jagen. Als sie aber die schreckliche Grausamkeit im Lager gesehen hatte, war etwas in ihr durchgebrannt. Statt für die zu jagen, die sie liebte, hatte sie die gejagt, die sie hasste. Gefängniswächter, Nazis. Ein Vampir musste jede Nacht trinken, warum das also nicht damit verbinden, die Welt von Monstern zu befreien?

Aber Jedrek Janow hatte ihren Plan durchschaut, und sie war zur Gejagten geworden.

Sie hockte sich auf die Lehne einer braunen Ledercouch. »Ich bin etwas empfindlich, was das Gejagtwerden angeht.«

»Hier bist du sicher.« Phil nahm einen Schluck. »Nur Howard, Connor und ich wissen von diesem Ort.«

»Das ist gut.« Sie sah sich um.

Auf dem Rücken der Couch lag eine handgewebte Decke mit einem Muster der amerikanischen Ureinwohner. Die Couch war dem Kamin zugewendet, davor stand ein Tisch mit vielen Kerben und Wasserringen. Ein alter Lehnstuhl und eine Stehlampe befanden sich nahe am Bücherregal.

Eine Treppe führte hinauf in ein Loft. Sie konnte dort mehrere Betten sehen, die alle mit bunten Quilts bedeckt waren.

Phil war immer noch in der Küche und nippte an seinem Bier. Die Hitze der Explosion musste ihn durstig gemacht haben. In der Nähe standen ein hölzerner Küchentisch und passende Stühle auf einem geflochtenen Teppich.

Sie atmete tief durch und versuchte, sich selbst zu überzeugen, dass sie wirklich in Sicherheit war. »Ist auch synthetisches Blut im Kühlschrank?«

»Nein. Hast du Hunger?«

»Jetzt noch nicht, aber ich trinke gerne noch etwas vor Sonnenaufgang, und ich werde sehr hungrig sein, wenn ich wieder aufwache.«

»Ich sorge dafür, dass dir etwas geliefert wird, wenn ich bei Connor Bericht erstatte. Ich muss sichergehen, dass Phineas heil zu Romatech zurückgekommen ist.«

Ob Phil Ärger bekommen würde, weil er sich mit ihr davongemacht hatte, statt bei Romatech zu bleiben? »Wo soll ich schlafen? Gibt es einen Keller?«

»Gibt es, aber dort sind Fenster.« Er öffnete eine Tür unter der Treppe. »Wenn Connor hierherkommt, schläft er im Wandschrank.«

»Oh. Okay.«

Phil lächelte und kehrte in die Küche zurück. Er nahm eine Taschenlampe aus einem der Schränke. »Ich suche die Umgebung ab. Mach es dir gemütlich.« Er ging zur Hintertür hinaus.

Mit einem Stöhnen sah sie zu dem toten Hirsch hinauf. »Das Leben ist schrecklich, was?«

Sie überprüfte den Riegel an der Vordertür. Ein Malcontent konnte sich einfach hineinteleportieren, um sie zu töten, aber wenigstens würde eine verriegelte Tür die Verwandten von Hirsch und Elch abhalten, sollten sie auf Rache aus sein.

Der Schrank unter der Treppe war erstaunlich geräumig. Bis auf eine Reihe Regale an einem Ende war er vollkommen leer. Sie nahm sich eine Decke und einen Quilt von einem der Regale und breitete sie auf dem Holzboden aus. Dann wanderte sie durch die kleine Küche. Auf dem Trockner lagen einige saubere Kleidungsstücke, Pyjamahosen aus Flanell, T-Shirts, ein Bademantel aus dunkelblauem Frottee.

Eine Tür führte in ein kleines Badezimmer. Sie legte sich den Bademantel über und warf dann einen Blick in den Spiegel über dem Waschtisch. Nichts. Das Einzige, was sie sehen konnte, war die alte Badewanne mit Löwenfüßen an der Wand hinter ihr. Sie zog ihre Stiefel aus. Lieber Gott, sie hasste Spiegel. Vor ihnen fühlte sie sich wie... nichts. Klein und wertlos.

Ich denke, also bin ich, rief sie sich in Erinnerung. Sie hatte Gefühle, Hoffnungen und Träume, genau wie eine lebende Person.

Doch ihre Träume waren gerade zerstört worden. Schon wieder war sie den Tränen nahe.

Sie band ihre Peitsche los und schlüpfte aus ihrem Overall. Während die Wanne sich mit heißem Wasser füllte, wusch sie ihre Unterwäsche im Waschbecken und hängte sie zum Trocknen auf den Handtuchhalter.

Endlich konnte Vanda es sich in der tiefen Wanne bequem machen. Das heiße Wasser wärmte ihre kalten Knochen. Sie schloss die Augen, wollte entspannen, aber ihre Gedanken füllten sich mit Visionen von Rauch und Feuer.

Sie hatte diesen Club geliebt. Sie hatte ihn entworfen, ihn ausgestattet, ihn eingerichtet. Sie hatte die Tänzer vorsprechen lassen und die Kellner eingestellt. Er war ihre Rückzugsmöglichkeit vor der grausamen Welt gewesen. Ein Ort, an dem sie alles kontrollierte und jeder ihr gehorchte. Er war eine Zufluchtsstätte, an der sie sich nie klein fühlen und niemals wieder den Schmerz ihrer Vergangenheit ertragen musste.

Tränen liefen ihre Wangen hinab. Was sollte sie jetzt tun? Sich den Rest der Ewigkeit verstecken, zitternd vor Angst und unfähig, etwas zu tun, außer die Schrecken ihrer Vergangenheit wieder und wieder zu durchleben?

Sie shampoonierte ihr Haar und tauchte dann unter Wasser, um es auszuspülen. Ihr Gesicht brannte. Das war ihre eigene Schuld. Sie hätte nicht so lange warten dürfen, um Phil und sich außer Gefahr zu bringen. Aber sie hatte einfach nicht an seine Geschichte von der Bombe glauben können. Es war schon unheimlich, dass er solche fast hellseherischen Fähigkeiten besaß.

Sie kletterte aus der Badewanne, trocknete sich ab und zog den Bademantel an. Er war offensichtlich für einen Mann gemacht. Die Schulternähte hingen fast bis zu den Ellbogen hinab, und die Ärmel gingen tiefer als ihre Fingerspitzen. Sie krempelte die Ärmel hoch und zog den Gürtel eng um ihre Taille. Der Mantel war für die breite Brust eines Mannes gedacht, also legte sie den Kragen nach innen, um mehr von ihrem Ausschnitt zu bedecken.

Sie griff sich ihre Peitsche und tapste ins Wohnzimmer, wo sie sie auf den Couchtisch legte. Die Lichter waren aus, und im Herd loderte ein großes Feuer. Versuchte Phil, die Hütte romantischer wirken zu lassen? Über dem Kamin flackerten Kerzen. Und der Elch, der darübergehangen hatte, war verschwunden. Sie wirbelte herum. Auch der Hirsch und das Wildschwein waren nicht mehr da.

Eine Tür öffnete sich, und sie entdeckte Phil am Absatz einer Treppe, die hinab in den Keller führte. Er schaltete das Licht aus und betrat dann das Hauptzimmer.

Ein Blitzen huschte über seine blauen Augen, als er sie betrachtete.

Dieser Mann schaffte es immer wieder, sie völlig aus der Fassung zu bringen. Sie musste sich hinsetzen, denn ihre Knie wurden weich. Sie fuhr mit der Hand durch ihr kurzes, nasses Haar. »Was ist mit den Tierköpfen passiert?«

»Ich habe sie in den Keller gestellt. Ich dachte, das macht dir nichts aus.«

»Nein.« Sie zog ihre Füße unter sich und rückte den Bademantel zurecht.

Phil kam näher, sah sie dabei immer noch an und lächelte. »Ich habe mich in der Umgebung umgesehen. Gefahr besteht nur durch zwei boshaft aussehende Waschbären, die unter einer Schubkarre wohnen.« Sein Blick fiel auf den Couchtisch. »Gott sei Dank hast du deine Peitsche.«

Es war freundlich von ihm, die Stimmung lockern zu wollen, aber die wenigen Tränen, die sie in der Badewanne vergossen hatte, waren nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs in ihrer Brust. Sie drehte ihren Kopf weg, damit er die Tränen in ihren Augen nicht sehen konnte.

»Ich habe Connor angerufen, um ihn wissen zu lassen, dass wir hier sind. Er war erleichtert zu erfahren, dass du in Sicherheit bist.«

Normalerweise hätte sie jetzt eine schnippische Bemerkung über Connor losgelassen, aber ihr fiel einfach nichts ein.

»Phineas kommt vor Sonnenaufgang, um dir einen Vorrat an synthetischem Blut zu bringen«, fuhr Phil fort, »also wirst du doch nicht gezwungen sein, mich zu beißen.«

Sie nickte. Erleichterung durchflutete sie und drohte, die Tränen zum Überlaufen zu bringen. Wenn Phil doch bloß etwas Schreckliches tun würde, dann könnte sie schreien und einen Anfall bekommen. Sie zuckte innerlich zusammen. Hatte sie das die ganzen Jahre lang getan? Sich auf ihre Wut verlassen, um sich ihren echten Gefühlen nicht stellen zu müssen?

»Vanda.« Er wartete, bis sie vorsichtig in seine Richtung sah. »Kleines, es wird alles gut.«

Tränen brannten in ihren Augen, und sie wendete sich schnell ab.

»Ich mache mich eben frisch.«

Sie hörte, wie die Badezimmertür sich knarrend schloss. Verdammt. Sie würde nicht weinen. Was sollte das bringen? Sie stand auf und ging zum Küchentisch und zurück. Nichts, was ihre Gedanken von ihren Sorgen ablenken konnte. Kein Fernseher. Kein Computer.

Sie blieb vor dem Bücherregal stehen. »Wie man einen Fisch ausnimmt: Anleitung in fünf Schritten«, »Tierpräparation für Dummies«. Ein Liebesroman? Sie zog das Taschenbuch heraus und betrachtete das halb nackte Paar, das sich auf dem Cover in den Armen lag. Wer mochte dieses Buch wohl in die Blockhütte gebracht haben? Howard, Phil oder Connor? Vielleicht gab das Buch ein paar Tipps her. Nicht, dass Phil in dem Bereich Hilfe nötig hatte.

Er war unglaublich gewesen. So intensiv. So sexy. Er hatte sie zum Schmelzen gebracht.

»Ist dir zu warm?«

Er riss sie aus ihren Träumen, und Vanda drehte sich um. Er war gerade aus dem Badezimmer gekommen. Mit nacktem Oberkörper. Das Buch fiel ihr aus den Händen.

»Ich wollte es gemütlicher machen, aber das Feuer ist vielleicht zu heiß für Juli.«

»Es... es ist genau richtig.« Sie griff sich das Taschenbuch vom Boden und verstaute es mit einem letzten heimlichen Blick auf die Brust des Coverhelden auf einem der unteren Regale. Kein Vergleich. Das Model sah falsch aus. Gestellt. Gewachst.

Ihr Blick wanderte zurück zu Phil. Das war wirklich eine Brust. Breit in den Schultern. Braunes Haar, das von seinem Bad noch feucht glänzte und sich beim Trocknen zu locken begann. Eine schmale Spur aus Haaren verlief wie eine Trennlinie zwischen seinen Bauchmuskeln und verschwand unter den karierten Flanellpyjamahosen, die er tief auf seiner Hüfte trug.

Er ging auf sie zu und hielt dabei etwas in einer Hand. »Ich habe im Badezimmer etwas gefunden, das dir guttun wird.«

Brauchte man dafür Batterien? »Was ist es?«

Er zeigte ihr die durchsichtige Flasche, in der sich eine grünliche Flüssigkeit befand. »Aloe Vera. Gut bei Verbrennungen.«

»Oh.« Sie berührte ihr Gesicht. »Das heilt in meinem Todesschlaf.«

»Bis dahin sind es noch etwa sieben Stunden.« Er setzte sich auf die Couch und klopfte auf die Polster neben sich.

Vanda setzte sich auf den Rand und streckte eine Hand nach der Flasche aus. Aber Phil reichte ihr die Lotion nicht. Er drückte sich stattdessen ein wenig davon auf die Hand und stellte die Flasche dann auf den Couchtisch neben ihre Peitsche.

»Halt still.« Dann beugte er sich zu ihr und tupfte mit dem Finger etwas Lotion auf ihr Kinn.

»Das kann ich selber.«

»Du kannst nicht sehen, wo es besonders schlimm ist.« Er schmierte ihr etwas auf die Stirn.

Es fühlte sich wunderbar kühl an. »Ich muss schrecklich aussehen.«

»Für mich bist du immer wunderschön.« Er strich ihr etwas Lotion auf die Wangen. »Du hast geweint.«

Nur die Erwähnung von Tränen trieb ihr das Wasser zurück in ihre Augen. »Ich habe alles verloren. Meinen Club. Meine Freunde.«

»Deinen Freunden bist du immer noch wichtig. Du hast sie nicht verloren.« Er tupfte ihr etwas von der Lotion auf die Nase.

Sie schniefte. »Ich habe den Club verloren. Er hat mir alles bedeutet.«

Professionell rieb er die Hände aneinander, um sie mit Aloe Vera zu bedecken, und legte sie dann an ihren Hals. »Er war nicht alles.«

»Doch, war er. Ich habe ihn selbst entworfen. Ich habe alle Entscheidungen getroffen. Er war meine Kreation. Er war... perfekt.« Seine Hände fühlten sich ebenfalls perfekt an.

»Du hast dich gefühlt, als hättest du wirklich etwas erreicht.«

»Ja, genau.« Sie war so froh, dass er sie verstand. »Ich war glücklich dort. Ich fühlte mich... sicher aufgehoben und außer Gefahr.«

»Er war aus Stein und Mörtel. Holz und Zement. Mehr nicht.«

Es stimmte nicht. Er hatte sie nicht verstanden. »Hast du mir gerade überhaupt zugehört?«

»Ja, habe ich. Du hattest das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Du warst glücklich und hast dich sicher gefühlt. Und diese Gefühle hingen alle mit deinem Club zusammen.«

»Ja.« Eine Träne lief ihre Wange hinab.

»Vanda, deine Gefühle sind nicht in deinem Club verankert. Du hast sie in deinem Herzen.« Er wischte ihr die Träne fort. »Nichts - kein Malcontent, keine Explosion, kein Feuer - kann dir diese Gefühle wegnehmen.«

Der Eisberg, der sich in ihrer Brust so hart und kalt anfühlte, schmolz, und noch mehr Tränen liefen ihr über das Gesicht.

»Weißt du, was ich sehe, wenn ich dich ansehe?«

»Eine verrückte Untote mit lila Haaren und schlechter Laune?«

Er lächelte und fuhr mit den Fingern durch ihr feuchtes Haar. »Ich sehe eine schöne Frau, die klug ist und mutig, und die alles schaffen kann, was sie sich in den Kopf setzt.«

»Du glaubst, ich kann glücklich sein?«

»Ich weiß, dass du es kannst.«

Tränen kullerten ihre Wangen hinunter. »Du sagst so schöne Dinge, Phil.«

Er küsste ihr die Tränen weg. »Ehrlich gesagt, bin ich eher ein Mann der Tat.«

Was er damit meinte, konnte sie sich lebhaft vorstellen.

»Phil, es würde mich umbringen, wenn dir irgendetwas passiert.«

»Ich komme zurecht.« Er küsste sie auf die Stirn. »Vertrau mir.«

»Deshalb wollte ich deine Hilfe nicht, weißt du. Es ist nicht, weil ich undankbar wäre oder stur. Es ist, weil ich... ich...«

Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Du magst mich ein wenig?«

»Ja.« Ihr Gesicht fühlte sich wieder heiß an. »Nur ein wenig.«

»Gut.« Er griff sich die Decke von der Rückenlehne der Couch und breitete sie auf dem Boden vor dem Feuer aus. »Ich mag dich auch ein wenig.«

Ihr Blick wanderte zu der Beule in seinen Flanellhosen. »Und doch zeigst du es mit einer so großen Geste.«

»Komm her. Ich will einen Teil von dir küssen, der nicht nach Aloe Vera schmeckt.« Seine blauen Augen flackerten vor Hitze. »Ich bin mir sicher, ich finde die richtige Stelle.«

Das würde er ganz sicher.

Er berührte ihre Wange. »Vanda, ich liebe dich.«

»Phil.« Sie warf ihm die Arme um den Hals. »Was sollte ich nur ohne dich machen?«

Es war nicht beabsichtigt, aber sie war dabei, sich zu verlieben. Aber er war so unwiderstehlich. Und so lieb. Und sexy. »Würdest du mich lieben? Jetzt?«

»Ich dachte schon, du fragst nie.« Er beugte seinen Kopf vor.