17

Am nächsten Morgen erschien Sephrenia mit trübem Gesicht und dunklen Ringen um die Augen. Über ihrer weißen styrischen Robe trug sie einen tiefschwarzen Umhang. Noch nie zuvor hatte Sperber sie in dieser Art von Gewandung gesehen, und er fand die Wahl ihrer Kleidungsstücke sowie deren Farbe seltsam bedrohlich. Sephrenia gesellte sich nur widerstrebend zu den andern am Frühstückstisch, und auch nur auf Ehlanas ausdrücklichen Befehl. Doch sie hielt eine betonte Distanz zu allen übrigen und umgab sich mit ihrem gekränkten Auftreten wie mit einem Schutzwall. Vanion gönnte sie nicht einen Blick, und trotz Aleans gutem Zureden weigerte sie sich, auch nur einen Bissen zu sich zu nehmen.

Vanion wirkte nicht minder verletzt. Sein Gesicht war eingefallen und bleich – fast so bleich wie vor langer Zeit, als er die Last der magischen Schwerter getragen hatte –, und seine Augen verrieten tiefen Schmerz.

Unter diesen Umständen war das Frühstück nicht gerade erbaulich, und alle brachten es so schnell wie möglich hinter sich, um sich zum blauen Salon zu begeben, wo sie sofort mit der Besprechung begannen.

»Die anderen sind nicht wirklich so bedeutend«, versicherte Caalador. »Rebal, Säbel und Baron Parok können als zweitrangig bliebenstuft werden. Sie nutzen lediglich schlummernde Feindseligkeiten für ihre Zwecke. Bei Scarpa ist es allerdings etwas anders. Arjuna war schon immer ein Unruheherd, und das nutzt Scarpa weidlich aus. Die anderen müssen zum größten Teil heimlich vorgehen, da die elenischen Reiche von Westtamuli dicht besiedelt sind; infolgedessen müssen die Verschwörer im dunkeln bleiben. Der Südosten Arjunas dagegen ist ein riesiger Dschungel. Deshalb kann Scarpa auf viele Verstecke zurückgreifen, wo er sich vor Angriffen leicht zu schützen vermag. Auch er geht mit dem Nationalismus hausieren, genauso wie die anderen, aber das ist nur ein Teil seines Programms. Die Arjuni sind viel schlauer als die elenischen Bauern und Leibeigenen im Westen.«

»Wißt Ihr Näheres über ihn?« fragte Ulath. »Woher er kommt, was er früher getan hat und dergleichen?«

Caalador nickte. »Das war leicht herauszufinden. Scarpa war in gewissen Kreisen sehr bekannt, schon ehe er sich der Verschwörung anschloß.« Er verzog das Gesicht. »Ich wünschte, es gäbe ein anderes Wort dafür. Verschwörung klingt so melodramatisch.« Er zuckte die Schultern. »Wie auch immer, Scarpa ist ein Bastard!«

»Caalador!« wies Bevier ihn zurecht. »Es sind Damen anwesend!«

»Das Wort war nicht obszön gemeint, Ritter Bevier, sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung. Scarpa entsprang einer Liebschaft zwischen einer arjunischen Schenkendirne, die mit ihrer Gunst nicht geizte, und einem styrischen Renegaten. Es war eine sehr seltsame Beziehung, aus der ein nicht minder seltsamer Sohn hervorging.«

»Geh nicht zu weit, Caalador!« warnte Stragen.

»Werde endlich erwachsen, Stragen! Du bist nicht der einzige, dessen Eltern nicht verheiratet waren. Wenn ich recht überlege, bin nicht einmal ich völlig sicher, wer mein Vater war. Eine uneheliche Geburt ist kein großes Hindernis für jemanden mit Köpfchen und Begabung!«

»Durchlaucht Stragen ist überempfindlich, wenn es um seine Herkunft geht«, erklärte Baroneß Melidere gleichmütig. »Wie oft habe ich mit ihm darüber geredet! Aber er kann sein diesbezügliches Minderwertigkeitsgefühl einfach nicht ablegen. Na ja, vielleicht ist das so ganz gut. Denn ansonsten ist er so überwältigend, daß ein kleines bißchen Minderwertigkeitsgefühl ihn davor bewahrt, unerträglich und eingebildet zu werden.«

Stragen erhob sich und machte einen Kratzfuß.

»Oh, setzt Euch wieder, Stragen!«

»Wo war ich gleich?« murmelte Caalador. »Ach ja, jetzt fällt's mir wieder ein. Scarpa wuchs in einer verrufenen Schenke in Arjuna auf. Er tat praktisch alles, was man von einem Jungen erwarten darf, der an so einem Ort aufwächst, an dem es keine Moral gibt, kein Ehrgefühl, keinen Anstand. Aber Scarpa übertrat nie die Gesetze. Er war, was man einen begabten Amateur nennen könnte. Nie hat er eine Lehre oder eine sonstige Ausbildung hinter sich gebracht, hat sich aber in allem versucht.« Er verzog das Gesicht. »Ich verabscheue Amateure! Wie dem auch sei – Scarpa betätigte sich als Zuhälter der eigenen Mutter, wie jeder brave Junge es tun sollte, und auch für seine zahlreichen Halbschwestern, die geborene Huren waren, wenn man dem Klatsch Glauben schenken darf. Er war ein leidlicher Taschendieb und ein ziemlich erfolgreicher Betrüger. Im Unterschied zu den vielen anderen – flüchtigen – Liebhabern seiner Mutter blieb Scarpas styrischer Vater eine Zeitlang bei ihr. Selbst, nachdem er sie verlassen hatte, kümmerte er sich um seinen Sohn und besuchte ihn hin und wieder. So erhielt Scarpa zumindest ein wenig styrische Erziehung und Ausbildung. Schließlich beging er jedoch den Fehler, der bei Amateuren beinahe unvermeidlich ist. Er wollte sich aus dem Beutel eines Schenkengasts bedienen. Doch der Mann war nicht so betrunken, wie es den Anschein hatte. Er packte Scarpa, dem daraufhin sein arjunisches Erbteil durchging. Er zog ein kleines, scharfes Messer und tötete den Gast in der Schenke. Irgend so ein Wichtigtuer verständigte die Polizei, woraufhin Scarpa ziemlich abrupt sein Zuhause verließ.«

»Sehr vernünftig!« murmelte Talen. »Ist er anschließend bei einem berufsmäßigen Dieb und Betrüger in die Lehre gegangen?«

»Nein. Er hat sich offenbar alles selbst beigebracht.«

»Kluger Junge.«

Caalador nickte beipflichtend. »Hätte er die richtigen Lehrer gehabt, wäre vielleicht ein Meisterdieb aus ihm geworden. Nachdem er von zu Hause weggelaufen war, trieb er sich zwei Jahre lang rastlos herum. Als er den Gast in der Schänke ermordet hatte, war er etwa zwölf gewesen; mit vierzehn schloß er sich einem Wanderzirkus an. Er gab sich als Magier aus und machte die übliche Art von Bühnenzauber. Allerdings bediente er sich hin und wieder einiger styrischer Zauber und wirkte echte Magie. Er ließ sich einen Bart wachsen – was unter den tamulischen Rassen äußerst ungewöhnlich ist, da Tamuler kaum Gesichtshaar haben. Wenn ich's recht bedenke, Styriker eigentlich auch nicht. Scarpa ist ein Halbblut, und die Mischung aus Südtamuler und Styriker erwies sich als ziemlich merkwürdig. Weder sein Aussehen noch seine Wesenszüge sind für eine dieser Rassen typisch.« Caalador langte in sein Wams und brachte ein gefaltetes Papier zum Vorschein. »Bildet euch selbst eine Meinung.«

Die Zeichnung war ziemlich unbeholfen, eher eine Karikatur als ein Porträt. Es war die Abbildung eines Mannes mit nicht gerade einnehmendem, jedoch ausdrucksstarkem Gesicht. Die Augen unter den buschigen Brauen lagen tief in den Höhlen. Die hohen Wangenknochen hoben sich wie Felsvorsprünge ab, und die Nase erinnerte an einen Geierschnabel. Der Mund wirkte weich und sinnlich. Der Bart schien sehr dicht und schwarz zu sein, untadelig gestutzt und gepflegt.

»Er widmet diesem Bart offenbar viel Zeit«, bemerkte Kalten. »Es sieht aus, als würde er jedes widerspenstige Haar einzeln abschneiden.« Kalten runzelte nachdenklich die Stirn. »Irgendwie kommt er mir bekannt vor – vielleicht ist es der Zug um die Augen.«

»Es wundert mich, daß ihr überhaupt erkennen könnt, daß es das Bild eines Menschen sein soll«, brummte Talen abfällig. »Die Technik ist grauenhaft!«

»Das Mädchen, das dieses Bild gemalt hat, hatte keinerlei Ausbildung«, verteidigte Caalador die Zeichnerin. »Aber in ihrem eigentlichen Gewerbe ist sie sehr begabt!«

»Und was für ein Gewerbe ist das, Meister Caalador?« fragte Ehlana.

»Sie ist eine Hure, Majestät.« Er zuckte die Schultern. »Sie zeichnet nur nebenbei. Sie hebt gern Bilder ihrer Kunden auf, die sie während ihrer – Geschäftsbeziehung betrachtet. Auf einigen Porträts sind sehr eigenartige Gesichter zu erkennen.«

»Dürfte ich das Bild sehen?« bat Sephrenia plötzlich.

»Selbstverständlich, erhabene Sephrenia.« Ein wenig überrascht, reichte Caalador ihr die Zeichnung. Dann setzte er sich wieder. »Seid Ihr Djukta schon mal begegnet, Sperber?« fragte er.

»Ein einziges Mal.«

»Nun, der hat einen Bart! Djukta sieht aus wie ein wandelnder Strauch! Sogar aus seinen Lidern wachsen Haare. – Wie dem auch sei, Scarpa reiste einige Zeit mit dem Wanderzirkus. Dann, vor ungefähr fünf Jahren, verschwand er für zwölf Monate. Als er wieder auftauchte, ging er in die Politik – falls ihr es so nennen wollt. Er täuscht Nationalismus vor, auf etwa dieselbe Weise wie Rebal, Parok und Säbel, jedoch nur für die Dummköpfe drunten in Arjuna. Der dortige Nationalheld war nämlich der erste Sklavenhändler überhaupt, ein Kerl namens Sheguan. Der Sklavenhandel ist etwas ziemlich Verachtenswertes, deshalb ist auch kaum jemand in Arjuna sonderlich stolz darauf.«

»Trotzdem wurde der Sklavenhandel nicht abgeschafft!« warf Mirtai düster ein.

»Das stimmt leider, kleiner Liebling«, bestätigte Caalador.

»Freund Caalador«, sagte Kring rasch, »haben wir uns nicht darauf geeinigt, daß Ihr Mirtai nicht mehr so nennt?«

»Aber es bedeutet doch nichts, Kring. Es ist nur meine Art, die Leute zu beruhigen.« Er machte eine Pause. »Wo war ich gleich?«

»Du warst dabei, endlich zur Sache zu kommen«, erinnerte Stragen ihn.

»Ein bißchen gereizt heute morgen, was alter Freund?« erwiderte Caalador. »Nach allem, was unsere Leute herausfinden konnten, ist Scarpa weit gefährlicher als diese drei Aufwiegler in Westtamuli. Arjunische Diebe sind viel gerissener als Schurken anderswo. Und so einige von ihnen schlichen sich – manche nur zum Spaß, manche aus Gewinnsucht – in Scarpas Gruppe ein. Arjuni sind im Grunde nicht gerade vertrauenswürdig. Das Imperium sah sich gezwungen, ziemlich hart bei ihnen durchzugreifen. Der Haß der Arjuni auf die Tamuler ist eine unbestreitbare Tatsache. Scarpa brauchte sie deshalb gar nicht erst aufzuhetzen.« Caalador zupfte zweifelnd an seiner Nase. »Ich weiß nicht so recht, wieviel wir davon glauben dürfen, nach allem, was wir über die Arjuni wissen. Jedenfalls behauptet einer der Wegelagerer dort unten, daß er eine Zeitlang zu Scarpas innerem Kreis gehört hat. Seinen Worten nach ist der Mann nicht ganz richtig im Kopf. Scarpa hat sein Hauptquartier in den Ruinen von Natay im südlichen Dschungel. Die Stadt wurde im siebzehnten Jahrhundert bei der atanischen Invasion zerstört. Aber Scarpa versteckt sich dort nicht, er hat die Ruinen besetzt, im militärischen Sinne, und neue Befestigungsanlagen errichtet, damit die Stadt verteidigt werden kann. Unser Wegelagerer sagt, daß Scarpa sich oft in wirren Phantastereien ergeht. Wenn wir ihm glauben können, hat Scarpa sich einmal über die Cyrgai ausgelassen – und über Cyrgon. Er hat seinen Freunden erzählt, daß Cyrgon sein Volk zu den Herren der Welt machen möchte, daß aber die einfältigen Cyrgai nicht intelligent genug seien, ein Weltreich zu regieren. Scarpa hat keine Probleme, sich in seinen Vorstellungen ein solches Imperium auszumalen, zudem das derzeitige Imperium ihm ganz und gar nicht gefällt. Er wäre überglücklich, wenn ein paar Änderungen vorgenommen würden – oben an der Spitze. Er ist der Meinung, daß die Cyrgai zwar die Welt erobern, dann aber wieder vornehme Zurückhaltung üben. Doch jemand muß ja das Imperium regieren, und Scarpa hat dabei einen bestimmten Kandidaten im Sinn.«

»Er ist verrückt!« entfuhr es Bevier.

»Ich glaube, diese Andeutung habe ich bereits gemacht, Herr Ritter. Scarpa scheint überzeugt zu sein, einen großartigen Kaiser abzugeben.«

»Der Posten ist bereits besetzt«, sagte Sarabian trocken.

»Scarpa hofft, daß Cyrgon ihn frei machen wird, Majestät. Er erklärt seinen Leuten, daß die Cyrgai keinerlei Fähigkeiten haben, was Regierungsgeschäfte angeht, und deshalb jemanden brauchen, der die eroberten Gebiete für sie verwaltet. Er wird sich dazu bereit erklären, wenn es soweit ist, und hin und wieder Cyrgon pflichtschuldig seine Ehrerbietung erweisen. Ansonsten wird er tun, was er für richtig hält. Scarpa hat große Träume, daran besteht kein Zweifel.«

»Klingt das nicht ziemlich vertraut, Sperber?« fragte Kalten mit einem dünnen Lächeln. »Hatten nicht Martel und Annias in etwa die gleiche Absicht?«

»Du meine Güte, ja!« stimmte Ehlana bei. »Ich habe das Gefühl, wir haben das alles schon einmal erlebt!«

»Wie paßt Krager ins Bild?« fragte Sperber.

»Er scheint eine Art Mittelsmann zu sein«, antwortete Caalador. »Er reist viel und übermittelt Botschaften und Anweisungen. Wir wissen es zwar nicht genau, aber wir nehmen an, daß es so etwas wie eine Befehlsinstanz zwischen Cyrgon und Leuten wie Scarpa, Parok, Rebal und Säbel gibt. Sie alle kennen Krager, deshalb brauchen wir am Wahrheitsgehalt der Nachrichten über ihn nicht zweifeln. Offenbar hat er jetzt den Platz im Leben gefunden, für den er wie geschaffen ist. Königin Ehlana hat erzählt, daß er Martel und Annias auf genau die gleiche Weise diente. Dasselbe hat er in Eosien getan, als er Graf Gerrichs Anweisungen an die Banditen in den Bergen östlich von Cardos weitergab.«

»Wir sollten uns die Mühe machen, Krager noch einmal zu schnappen!« brummte Ulath. »Er fängt sofort zu reden an, wenn jemand ihn nur schief ansieht. Außerdem weiß er eine Menge über Dinge, die mich ziemlich neugierig machen.«

»Krager sorgt dafür, daß er immer über soviel wertvolle Information verfügt, daß wir es nicht wagen, ihn zu töten«, sagte Kalten. »Auf diese Weise ist es ihm gelungen, so lange am Leben zu bleiben.«

»Tötet ihn, nachdem er geredet hat, Ritter Kalten«, riet Khalad.

»So einfach ist das nicht. Wir müssen ihm versprechen, ihn laufen zu lassen.«

»Na und?«

»Wir sind Ritter, Khalad«, erklärte Kalten. »Wenn wir jemandem unser Wort gegeben haben, müssen wir es halten!«

»Ihr habt doch nicht daran gedacht, mich in nächster Zeit zum Ritter zu schlagen, Hochmeister Vanion?« erkundigte sich Khalad.

»Das wäre vielleicht noch ein kleines bißchen verfrüht, Khalad.«

»Also bin ich nach wie vor ein Bauer, nicht wahr?«

»Nun, genaugenommen ja.«

»Damit wäre das Problem gelöst!« erklärte Khalad mit frostigem Lächeln. »Schnappt Euch diesen Kerl, Ritter Kalten. Versprecht ihm, was er verlangt, um ihn zum Reden zu bringen, und dann übergebt ihn mir. Ein Bauer ist nicht an das Wort eines Ritters gebunden.«

Kalten grinste. »Ich mag diesen jungen Mann, Sperber!«

»Zalasta wird mich abholen, Sperber«, teilte Sephrenia dem großen Pandioner mit. »Er wird mich sicher nach Sarsos zurückgeleiten.« Sie schüttelte den Kopf und weigerte sich, den Salon zu betreten, in dem die Gefährten sich nach dem Mittagessen wieder versammelten. »Ihr seid kindisch. Das wißt Ihr selbst, nicht wahr, Sephrenia?«

»Ich habe meine Schuldigkeit getan – und ich war lange genug unter Eleniern, um zu wissen, was eine besonnene Styrikerin in einem solchen Fall tut. Solange eine Styrikerin von Nutzen ist, ist sie unter Eleniern verhältnismäßig sicher. Hat sie jedoch ihren Zweck erfüllt, wird ihre Anwesenheit als peinlich empfunden. Und ihr Elenier geht ziemlich resolut gegen unbequeme Personen vor. Ich möchte lieber nicht, daß mir einer von euch ein Messer in die Rippen stößt.«

»Seid Ihr jetzt fertig? Gespräche wie diese langweilen mich. Wir lieben Euch, Sephrenia, und das hat nichts mit Eurer Nützlichkeit für uns zu tun! Ihr brecht Vanion das Herz, das ist Euch doch wohl klar?«

»Na und? Er hat meines auch gebrochen. Geht mit euren Problemen zu Xanetia, da ihr doch alle so verliebt in sie seid!«

»Das ist Euer nicht würdig, kleine Mutter!«

Sie schob das Kinn vor. »Ich glaube, es ist mir lieber, wenn Ihr mich nicht mehr so nennt, Sperber. Unter den gegebenen Umständen hört es sich reichlich seltsam an. Ich bin in meinem Gemach – falls es noch meines ist. Wenn nicht, ziehe ich mich einstweilen in die styrische Gemeinde hier in Matherion zurück. Würdet Ihr mir bitte Bescheid geben, sobald Zalasta eingetroffen ist? Natürlich nur, sofern es Euch nicht zuviel Mühe macht.« Sie drehte sich um und schritt den Gang zurück. Und wieder hatte Sperber das Gefühl, daß sie sich mit allem Nachdruck in ihre Gekränktheit hüllte.

Sperber wandte sich fluchend um und sah Kalten und Alean den mit Perlmutt gefliesten Korridor entlangkommen. Zumindest dieses Problem hatte sich gelöst. Die Kammermaid der Königin hatte Kalten ins Gesicht gelacht, als er sich tolpatschig erboten hatte, Ritter Berit zu weichen, damit Alean diesem ihre volle Aufmerksamkeit widmen könne. Offenbar hatte sie Kalten daraufhin überzeugt, daß sich an ihrer Zuneigung für ihn nie etwas geändert und daß sie sich überhaupt nicht für Berit interessiert hatte.

»Aber Ihr weicht nie von ihrer Seite, Ritter Kalten!« beschuldigte die rehäugige Maid ihn. »Ständig seid Ihr um sie besorgt und achtet darauf, daß sie alles hat, was sie braucht oder möchte.«

»Das ist meine Pflicht, Alean«, versuchte Kalten ihr zu erklären. »Ich tue es wirklich nicht aus Zuneigung für sie.«

»Für meinen Geschmack erfüllt Ihr Eure Pflicht ein bißchen zu gründlich, Herr Ritter.« Aleans Stimme, dieses wundervolle Instrument, vermittelte eine wahre Skala von Gefühlen. Mit der kleinsten Veränderung der Stimmlage vermochte sie ganze Bände zu sprechen.

»O Gott!« stöhnte Sperber. Warum mußte er immer in solche privaten Angelegenheiten hineingezogen werden? Diesmal jedoch schritt er schnell ein, bevor die Dinge sich wieder unnötig komplizierten. Er trat rasch auf den Korridor und rief die beiden zu sich. »Wie wär's, wenn wir die Sache gleich jetzt und hier klarstellen?« schlug er kurz und bündig vor.

»Was klarstellen?« fragte Kalten ungehalten. »Das geht dich überhaupt nichts an, Sperber.«

»Da irrst du dich. Du weißt jetzt, daß Alean nicht an Berit interessiert ist, stimmt's?«

Kalten und das Mädchen wechselten einen beinahe schuldbewußten Blick.

»Gut. Meinen herzlichen Glückwunsch euch beiden. Aber jetzt müssen wir die Angelegenheit mit Xanetia klarstellen! Kalten hat Euch die Wahrheit gesagt, Alean. Seine Pflichten erfordern, daß er sich in Xanetias Nähe aufhält, um für ihre Sicherheit zu sorgen. Wir haben eine Vereinbarung mit Xanetias Volk. Sie ist als unsere Geisel hier, um sicherzustellen, daß die Delphae ihr Wort halten. Sollten sie uns auf irgendeine Weise betrügen, wird Kalten Xanetia töten. Deshalb muß er in ihrer Nähe bleiben.«

»Sie töten?« Die Augen des Mädchens weiteten sich.

»So lautet die Abmachung, Alean.« Kalten zuckte die Schultern. »Es gefällt mir auch nicht, aber ich muß mich daran halten.«

»Du würdest sie doch nicht wirklich …!«

»Nur, wenn ich müßte. Und ich würde es weiß Gott nicht gern tun. Aber das alles hängt mit dem Wort Geisel zusammen. Offenbar wird immer mir die schmutzige Arbeit zugeschoben!«

»Wie konntet Ihr nur?« fuhr Alean zu Sperber herum. »Wie konntet Ihr Eurem ältesten Freund so etwas antun?«

»Militärische Entscheidungen sind manchmal hart«, erklärte Sperber. »Glaubt Ihr nun, daß Kalten nur seine Pflicht tut? Ihr wißt doch auch, daß er mit aller Gewalt versucht hat, im Kampf zu fallen, als er dachte, daß Ihr Berit liebt?«

»Du Idiot!« Aleans Stimme kletterte mühelos die Tonleiter auf und nieder, als sie Kalten eine Predigt hielt. Sperbers Freund wußte nichts darauf zu erwidern. Er stand da wie ein begossener Pudel.

»Äh…«, murmelte Sperber. »Wie wär's, wenn ihr beide irgendwo hingeht, wo ihr euch ungestört aussprechen könnt?«

»Mit Eurer Erlaubnis, Prinz Sperber«, erklärte Alean sich einverstanden und machte einen flüchtigen Knicks. »Komm mit!« wandte sie sich scharf an Kalten.

»Ja, Liebes«, sagte Kalten ergeben. Die beiden gingen den Korridor zurück.

Baroneß Melidere steckte den Kopf durch die Tür. »War das eben Alean?«

»Ja«, erwiderte Sperber.

Melidere blickte dem Paar nach. »Wohin geht sie mit Kalten?«

»Die beiden haben etwas Wichtiges zu klären.«

»Etwas Wichtigeres als unsere Diskussion hier?«

»Sie glauben es jedenfalls, Baroneß. Wir kommen heute nachmittag auch ohne sie zurecht, nehme ich an. Und für die beiden handelt es sich um eine Sache, die geklärt werden muß

»Oh«, murmelte sie. »So eine.«

»Ich fürchte, ja.«

»Alean wird es schon in Ordnung bringen«, meinte Melidere überzeugt.

»Da bin ich mir sicher. Und wie kommt Ihr mit Euren persönlichen Unternehmungen voran, Baroneß? Es ist keine Neugier, das dürft Ihr mir glauben. Aber diese Dinge stören meine Konzentration. Ich hätte sie gern aus der Welt geschafft, damit sie mich nicht ausgerechnet dann belasten, wenn ich es am wenigsten brauchen kann.«

»Alles verläuft nach Plan, Prinz Sperber.«

»Gut. Habt Ihr es ihm inzwischen gesagt?«

»Natürlich nicht! Er braucht es noch nicht zu wissen. Ich werde es ihm behutsam beibringen, wenn es soweit ist. So ist es besser für ihn. Denn würde er es zu rasch erfahren, würde er sich nur Sorgen machen. Glaubt mir, Hoheit, ich weiß genau, was ich tue!«

»Da wäre eine Sache, die ich gern geklärt haben möchte, ehe wir fortfahren, Anarae«, sagte Stragen zu Xanetia. »Die Tamuler sind überzeugt, daß die Cyrgai ausgestorben sind. Doch Krager und Scarpa sind da anderer Meinung.«

»Die Cyrgai möchten die Welt glauben machen, daß es sie nicht mehr gibt«, erwiderte Xanetia. »Nach ihrem verhängnisvollen Marsch auf Sarsos sind sie heimgekehrt und haben sich längere Zeit darauf konzentriert, ihre untergebenen Streitkräfte, die Cynesganer – die von den Styrikern vollkommen ausgerottet worden waren –, auf natürliche Weise zu vermehren.«

»Davon haben wir gehört«, erklärte Caalador. »Wir erfuhren auch, daß die Cyrgai stur an der Meinung festhielten, ihre eigenen Frauen seien zu alt, um Kinder zu bekommen. Ehe ihnen ihr Fehler bewußt wurde, war es schon zu spät.«

»Da habt Ihr richtig gehört, Meister Caalador. Und in Tamuli geht man tatsächlich allgemein davon aus, daß die Rasse der Cyrgai aus diesem Grunde vor etwa zehn Äonen ausstarb. Doch diese Annahme ist falsch, denn Cyrgon ist ein Gott. Allerdings hatte er nicht mit dem blinden Gehorsam seines Volkes gerechnet, als er den Männern befahl, die Nachwuchsprobleme der Cynesganer zu lösen. Als er erkannte, daß seine eigene Rasse ihrer Dummheit wegen auszusterben drohte, änderte er den natürlichen Lauf der Dinge, und auch die älteren Cyrgaierinnen wurden wieder fruchtbar. Allerdings starben die meisten im Kindbett. Doch immerhin wurde auf diese Weise das vollständige Aussterben der Cyrgai verhindert.«

»Wie bedauerlich«, murmelte Oscagne.

»Da Cyrgons ohnehin schon wenigen Anhänger auch noch unter dem styrischen Bannspruch litten, der sie in ihrer unfruchtbaren, ausgedörrten Heimat gefangenhielt, beschloß Cyrgon, sie vor ihren Feinden zu schützen. Er befahl den Cynesganern, die Meinung der andern tamulischen Rassen zu bestätigen, daß es keine Cyrgai mehr gab, und diese Behauptung immer und überall glaubhaft zu verbreiten. Und zugleich wurde die Stadt Cyrga vor aller Augen verborgen.«

»Auf dieselbe Weise wie Delphae?« fragte Vanion.

»Nein, Eminenz. Wir gehen ein wenig geschickter vor als Cyrgon. Wir verbergen Delphaeus durch Irreführung, während Cyrgon sein Cyrga im zentralen Hochland von Cynesga durch einen Zauber versteckt hält. Ihr könntet dicht neben Cyrga durch dieses Hochland reiten, ohne die Stadt zu sehen.«

»Eine unsichtbare Stadt?« rief Talen ungläubig.

»Die Cyrgai können sie sehen. Und wenn es ihnen gefällt, vermögen auch ihre cynesganischen Knechte sie zu sehen. Für alle anderen aber ist Cyrga nicht da.«

»Der taktische Vorteil muß gewaltig sein«, stellte Bevier nüchtern fest. »Die Cyrgai haben eine vollkommen sichere Festung, in die sie sich zurückziehen können, falls etwas schiefgeht.«

»Ihr Vorteil ist nicht so groß«, gab Xanetia zu bedenken. »Sie können zwar Cynesga ungehindert plündern und verwüsten; aber es gehört ihnen ohnedies und ist nicht viel mehr als eine unfruchtbare Wüste. Doch die Grenzen ihres Heimatlands können sie nicht überschreiten. Der Fluch der Styriker wirkt noch immer, das kann ich euch versichern. Die Könige der Cyrgai versuchen es in gewissen Zeitabständen immer wieder und befehlen altgedienten Kriegern, die Grenze zu überschreiten. Aber schon während des ersten Schrittes sinken die bedauernswerten Männer tot zu Boden.«

Sarabian blickte sie nachdenklich an. »Ihr habt gesagt, daß die Cynesganer die Knechte der Cyrgai sind.«

»Das stimmt, Majestät.«

»Alle Cynesganer?«

»Alle in verantwortungsvollen Posten, Kaiser Sarabian.«

»Der König? Die Regierung? Die Offiziere?«

Xanetia nickte.

»Und ihre Botschafter?« fügte Oscagne hinzu.

»Sehr gut, Oscagne«, lobte Itagne seinen Bruder. »Sehr, sehr gut.«

»Da bin ich jetzt nicht ganz mitgekommen«, gestand Ulath.

»Ich schon«, sagte Stragen. »Wir sollten uns darum kümmern, Caalador.«

»Das übernehme ich.«

»Wißt Ihr, wovon sie reden, Freund Engessa?« fragte Kring.

»So unverständlich ist das gar nicht, Kring«, erklärte Ehlana. »Viele Mitglieder der cynesganischen Botschaft hier in Matherion erhalten ihre Befehle von den Cyrgai. Wenn wir der Sache nachgingen, würden wir vermutlich feststellen, daß das Hauptquartier des Umsturzversuchs in dieser Botschaft zu finden ist.«

»Und wenn Krager nicht gerade auf Reisen ist«, warf Khalad nachdenklich ein, »würden wir dort auch ihn finden. Talen, wie lange brauchst du, mir das Einbrechen beizubringen?«

»Was hast du vor?« fragte Sperber seinen Knappen.

»Mich in diese Botschaft zu schleichen und Krager zu stehlen, Ritter Sperber. Da Anarae Xanetia uns gesagt kann, was er denkt, brauchten wir ihm nicht einmal die Finger zu brechen, um ihn zum Reden zu bringen – und ihm keine Versprechen zu machen, die wir nur sehr ungern halten.«

»Ich spüre Eure Unzufriedenheit, Anakha«, sagte Xanetia später, als sie mit Sperber und Danae auf das zinnenbewehrte Dach des mittleren Turms der Burg Ehlanas gestiegen war.

»Man hat mich drangekriegt, Anarae«, erklärte er mürrisch.

»Diesen Ausdruck kenne ich nicht.«

»Er will damit sagen, daß er hereingelegt wurde«, übersetzte Danae. »Und er ist so unhöflich anzudeuten, daß gleiches auch für mich gilt.« Sie bedachte ihren Vater mit einem selbstgefälligen kleinen Lächeln. »Ich habe es dir gleich gesagt, Sperber!«

»Reite nicht darauf herum!«

»Warum nicht, Vater? Jetzt, wo ich diesen wundervollen Grund zu ein wenig Schadenfreude habe – nein, den lasse ich mir nicht nehmen! Wenn ich mich recht entsinne – und das tue ich! – war ich von Anfang an dagegen, Bhelliom zurückzuholen. Ich wußte, daß es ein Fehler ist. Aber du hast mich so lange unter Druck gesetzt, bis ich schließlich eingewilligt habe.«

Sperber beachtete die Bemerkung nicht. »War irgend etwas davon Wirklichkeit? Die Trollgötter? Fyrchtnfles? Die Ungeheuer? Oder war alles nur ein raffiniert ausgedachtes Spiel, das mich veranlassen sollte, Bhelliom nach Tamuli zu bringen?«

»Einiges davon könnte real gewesen sein, Sperber«, erwiderte sie, »aber du bist zufällig auf die Ursache der unerklärlichen Geschehnisse gestoßen und hast dadurch etwas ausgelöst, das sich nicht mehr rückgängig machen läßt.«

»Ihr glaubt also, daß Cyrgon ein Täuschungsmanöver inszeniert hat, damit Ihr Bhelliom in seine Reichweite bringt, Anakha?« fragte Xanetia.

»Warum macht Ihr Euch die Mühe zu fragen, Anarae? Ihr wißt doch bereits, was ich denke. Cyrgon glaubt, er könne Bhelliom benutzen, den Bannfluch zu brechen, damit sein Volk wie einst die Nachbarn überfallen kann.«

»Das hab' ich dir doch gesagt!« rieb Danae ihm erneut unter die Nase.

»Bitte!« Sperber blickte über die schimmernde Stadt. »Ich glaube, ich brauche in diesem Fall eine göttliche Meinung. Bis vor kurzem hatten wir alle angenommen, Bhelliom wäre lediglich ein unbeseelter Gegenstand – ein mächtiger zwar, aber doch nur ein Gegenstand. Jetzt wissen wir, daß dem nicht so ist! Bhelliom hat eine eigene Persönlichkeit und einen eigenen Willen. Er ist mehr ein Verbündeter als eine Waffe. Und nicht nur das – und bitte, sei nicht gleich gekränkt, Aphrael! –, in gewisser Hinsicht ist er sogar mächtiger als die Götter dieser Welt.«

»Ich bin gekränkt, Sperber!« entgegnete sie scharf. »Außerdem bin ich noch nicht fertig.«

»Womit?« fragte er.

»Dich daran zu erinnern, daß ich es dir gesagt habe.«

Er lachte, schwang sie in die Höhe und küßte sie. »Ich liebe dich«, beteuerte er ihr immer noch lachend.

»Ist er nicht ein netter Junge?« wandte Danae sich an Xanetia.

Die Delphae lächelte.

»Wenn wir nichts von Bhellioms Bewußtheit geahnt haben – und seinem Willen –, könnte Cyrgon dann davon gewußt haben? Daß Azash es wußte, glaube ich nicht. Überleg, ob du als Göttin etwas an dich bringen möchtest, das eigene Entscheidungen zu treffen vermag – und vielleicht zu dem Schluß gelangt, daß es dich nicht besonders leiden kann?«

»Ich bestimmt nicht«, antwortete Aphrael. »Cyrgon denkt möglicherweise anders darüber. Er ist so eingebildet, daß er vielleicht glaubt, er könnte Bhelliom gegen dessen Willen benutzen.«

»Aber das könnte er nicht, oder? Azash glaubte, er könne Bhelliom mit Gewalt dazu bringen, ihm zu Willen zu sein. An den Ringen war er nicht einmal interessiert. Die Ringe vermögen Bhelliom zu zwingen, weil sie ein Teil von ihm sind. Wäre es möglich, daß Cyrgon so dumm ist, wie Azash es war?«

»Sperber, du sprichst von einem meiner entfernten Verwandten! Ich bitte mir etwas mehr Respekt aus.« Danae runzelte nachdenklich die Stirn und küßte ihren Vater.

»Laß das!« murmelte er. »Es ist eine ernste Angelegenheit.«

»Ich weiß, aber es hilft mir beim Nachdenken. Bhellioms Innenleben – wenn man es so nennen kann – ist ja nicht leicht zu begreifen. Wahrscheinlich hast du recht, Sperber. Eine Leuchte war Azash nicht gerade. Cyrgons Persönlichkeit ist nicht viel anders, und er hat früher mehrere Fehler gemacht. Götter müssen nicht intelligent sein. Wir alle wissen von Bhellioms Macht, aber ich glaube nicht, daß irgendeiner von uns je auf den Gedanken gekommen ist, der Stein könnte einen eigenen Willen haben. Hat er wirklich mit Sperber geredet, Xanetia? Als Gleichgestellter, meine ich?«

»Zumindest als Gleichgestellter, Göttin«, antwortete Xanetia. »Bhelliom und Anakha sind Verbündete, nicht Freunde – und keiner ist des anderen Herr.«

»Was bringt uns das, Sperber?« fragte Danae.

»Ich bin mir nicht sicher. Es könnte allerdings sein, daß Cyrgon wieder einen Fehler begangen hat. Er hat mich durch ein paar Tricks veranlaßt, ausgerechnet das eine hierherzubringen, das ihn besiegen kann. Ich glaube, wir sind hier im Vorteil. Aber wir müssen uns sehr gut überlegen, wie wir diesen Vorteil nutzen.«

»Du bist gemein, Sperber!« klagte Danae.

»Wieso?«

»Du hast mir gerade den ganzen Spaß an all dem Ich-hab's-dirdoch-gesagt geraubt, den ich mir noch für dich aufgehoben hatte!«

Zalasta traf zwei Tage später in Matherion ein. Nachdem er die anderen nur flüchtig begrüßt hatte, begab er sich sofort zu Sephrenias Gemach.

»Er wird alles in Ordnung bringen, Vanion«, versicherte Sperber dem Hochmeister. »Er ist ihr ältester Freund, und er ist viel zu weise für unvernünftige Vorurteile.«

»Da bin ich mir gar nicht so sicher, Sperber«, entgegnete Vanion düster. »Ich hatte das gleiche von Sephrenia gedacht, und sieh dir an, was passiert ist. Dieser blinde Haß kann die gesamte styrische Rasse anstecken. Wenn Zalasta das gleiche wie Sephrenia empfindet, dann bestärkt er sie nur noch in ihren Vorurteilen.«

Sperber schüttelte den Kopf. »Nein, mein Freund. Zalasta ist darüber erhaben. Er hat doch auch keinen Grund, Eleniern zu trauen. Trotzdem war er bereit, uns zu helfen. Er ist Realist, und selbst wenn er tatsächlich Sephrenias Gefühle teilt, wird er sie aus politischen Erwägungen unterdrücken. Falls ich recht habe, wird er Sephrenia überreden, das gleiche zu tun. Sie muß Xanetia ja nicht mögen. Sie muß uns nur glauben, daß wir die Delphae brauchen. Sobald Zalasta sie davon überzeugt hat, werdet ihr euch wieder versöhnen, Ihr und Sephrenia.«

»Ich weiß nicht.«

Einige Stunden später kam Zalasta aus Sephrenias Gemach, allein und mit ernstem Gesicht. »Es wird nicht leicht sein, Prinz Sperber«, sagte er, als die beiden sich auf dem Korridor trafen. »Sie ist zutiefst verwundet. Ich verstehe nicht, was Aphrael sich dabei gedacht hat.«

»Wer kann je verstehen, weshalb Aphrael irgend etwas tut, Weiser?« Sperber lächelte flüchtig. »Sie kann einen manchmal zur Verzweiflung bringen, sogar mich, und das will schon etwas heißen. Wie ich die Sache sehe, gefällt ihr Sephrenias Voreingenommenheit nicht, deshalb ergreift sie ihre Maßnahmen. Der Ausdruck, ›jemanden zu seinem eigenen Besten zu zwingen‹, deutet immer auf ein gewisses Maß an Rücksichtslosigkeit hin, fürchte ich. Habt Ihr Sephrenia denn gar nicht zur Vernunft bringen können?«

»Ich möchte möglichst behutsam vorgehen, Hoheit«, erwiderte Zalasta. »Wie ich schon sagte, Sephrenia ist bereits zutiefst verwundet. Jetzt ist kein guter Zeitpunkt für eine direkte Auseinandersetzung. Aber wenigstens konnte ich sie überreden, mit ihrer Rückkehr nach Sarsos noch zu warten.«

»Das ist doch schon etwas! Kommt, unterhalten wir uns mit den anderen. Seit Eurer Abreise hat sich sehr viel getan!«

»Die Meldungen stammen aus absolut zuverlässigen Quellen, Anarae«, sagte Zalasta kühl.

»Ich versichere Euch, Zalasta von Styrikum«, sagte Xanetia, »daß sie trotzdem falsch sind. Kein einziger Delphae hat seit über hundert Jahren unser Tal verlassen – außer, um Anakha unsere Einladung zu übermitteln.«

»Es war nicht das erste Mal, Zalasta«, versicherte Kalten dem weißgewandeten Styriker. »Wir haben gesehen, wie Rebal sich einiger sehr augenfälliger Tricks bediente, als er einer Schar edomischer Bauern eine Rede hielt.«

»Ach?«

»Es war jene Art von Bühnenzauber, die man in Schmierentheatern sieht, Weiser«, warf Talen ein. »Einer von Rebals Helfern warf etwas ins Feuer, woraufhin blendendes Licht aufblitzte und dichter Rauch aufstieg. Dann tauchte plötzlich jemand in altertümlicher Kleidung auf und rief ein paar Worte in einer ebenso altertümlichen Sprache. Die Bauern glaubten allesamt, Incetes zu sehen, der sich aus dem Grab erhoben hatte.«

»Aber diejenigen, die das Volk der Leuchtenden gesehen haben, waren keine leichtgläubigen Menschen, Talen«, wandte Zalasta ein.

»Und der Kerl, der ihnen was vorgaukelte, war vermutlich nicht so unbeholfen.« Der Junge zuckte die Schultern. »Ein geschickter Bühnenzauberer kann uns fast alles glauben machen – solange wir nicht nahe genug sind, die verborgenen Drähte zu sehen. Sephrenia meinte, das sei ein Anzeichen dafür, daß die andere Seite nicht über genügend echte Magier verfügt und deshalb so faulen Zauber inszenieren muß.«

Zalasta runzelte die Stirn. »Es wäre möglich«, gab er zu. »Die Erscheinungen waren nur kurz und aus einiger Entfernung zu sehen.« Er blickte Xanetia an. »Seid Ihr ganz sicher, Anarae? Könnte es nicht vielleicht eine kleine Gruppe Eures Volkes geben, die getrennt von euch anderswo lebt? Die vielleicht von Delphaeus abgeschnitten war und sich mit unseren Feinden zusammengetan hat?«

»Dann wären sie keine Delphae mehr, Zalasta von Styrikum. Wir sind an den See gebunden. Er macht uns zu dem, was wir sind. Und glaubt mir – das Licht, das uns erstrahlen läßt, ist noch der geringste Unterschied zwischen den Delphae und den anderen Menschen.« Sie blickte ihn ernst an. »Ihr seid Styriker, Zalasta von Ylara, und Ihr wißt nur zu gut, wohin es führen kann, wenn man so auffallend anders ist als die anderen.«

»Ja«, bestätigte er. »Zu unserem Leidwesen.«

»Ihr habt Euch entschieden und den Versuch gewagt, neben den anderen Menschenrassen zu leben«, fuhr Xanetia fort. »Für meine Rasse war dies leider nicht möglich. Ihr Styriker werdet zwar oft mit Hohn und Verachtung bedacht, doch eure Unterscheidungsmerkmale werden von den Eleniern oder Tamulern nicht als bedrohlich erachtet. Wir von Delphaeus dagegen erregen panische Angst in den Herzen aller anderen. Die Zeit wird kommen, in der es in eurer Welt keine Trennung der Rassen mehr geben wird. Diese Entwicklung hat bereits begonnen, angeregt vor allem durch das zufällige Bündnis zwischen euch und der Kirche von Chyrellos. Die Ordensritter sind Styrikum wohlgesinnt, und ihr Einfluß wird mit den elenischen Vorurteilen Schluß machen. Ein solches Übereinkommen ist für die Delphae leider unmöglich. Allein unser Aussehen trennt uns für alle Zeit von sämtlichen anderen, und eben das hat uns veranlaßt, den Pakt mit Anakha zu schließen. Wir haben uns an ihn gewandt und ihm unsere Hilfe in seinem Kampf gegen Cyrgon angeboten. Wir haben ihn ersucht, als Gegenleistung Bhelliom einzusetzen, auf daß unser Land für alle Zeit eine Enklave in dieser Welt sein wird. Dann kann sich niemand mehr gegen uns wenden, und wir uns nicht gegen andere. Dadurch sind wir vor anderen sicher und sie vor uns.«

»Das mag eine kluge Entscheidung sein, Anarae«, gestand Zalasta ihr zu. »Es war eine Wahl, wie auch wir sie vor langer Zeit in Erwägung zogen. Die Zahl der Delphae ist beschränkt, und Euer verborgenes Tal bietet euch allen problemlos Platz. Wir Styriker dagegen sind zahlreicher und leben weit verstreut. Unsere Nachbarn wären keineswegs erfreut über ein eigenes styrisches Reich, das an ihre Grenzen stößt. Wir können eurem Beispiel leider nicht folgen, sondern müssen in dieser Welt leben.«

Xanetia erhob sich und legte Kalten die Hand auf die Schulter. »Bleibt hier, edler Ritter«, bat sie. »Ich muß kurz mit Anakha über die Weiterführung unseres Paktes reden. Sollte er Falschheit in mir erkennen, so mag er mich töten.«

Sperber stand auf, ging zur Tür und öffnete sie für die Anarae. Danae, die Rollo hinter sich her zog, folgte ihnen aus dem Gemach.

»Was gibt es, Anarae?« fragte Sperber.

»Begeben wir uns zu jenem Turm, wo wir uns für gewöhnlich unterhalten«, bat sie. »Was ich Euch zu sagen habe, ist nur für Eure Ohren bestimmt.«

Danae blickte sie finster an.

»Auch Ihr dürft meine Worte hören, Hoheit«, beruhigte Xanetia das kleine Mädchen.

»Du bist zu gütig!«

»Wir könnten es ohnehin nicht vor ihr geheimhalten, Xanetia.« Sperber seufzte. »Selbst wenn wir uns auf den höchsten Turm von Matherion begäben, würde sie uns heimlich nachfliegen, um zu lauschen.«

»Könnt Ihr wahrhaftig fliegen, Hoheit?« fragte Xanetia erstaunt.

»Kann das nicht jeder?«

»Benimm dich!« ermahnte Sperber seine Tochter.

Sie stiegen die Treppe hinauf und traten auf das Dach des Turmes. »Anakha, ich muß Euch eine Wahrheit anvertrauen, die Ihr vielleicht nicht glauben wollt«, sagte Xanetia ernst. »Trotzdem ist es die Wahrheit!«

»Das scheint nicht sehr erfreulich zu werden«, bemerkte Danae.

»Anakha, ich habe keine andere Wahl, als Euch eine sehr unerfreuliche Tatsache zu Gehör zu bringen«, fuhr Xanetia bedauernd fort, »denn dies entspricht nicht nur unserem Pakt, sondern ist von grundlegender Bedeutung für das Erreichen unseres gemeinsamen Zieles.«

»Ich habe das Gefühl, ich sollte mich lieber setzen«, sagte Sperber besorgt.

»Wie Ihr es für richtig haltet, Anakha. Mit tiefem Bedauern muß ich Euch darauf aufmerksam machen, daß Euer Vertrauen in Zalasta von Styrikum nicht nur fehl am Platz, sondern für uns alle äußerst gefährlich ist.«

»Was?«

»Er treibt ein falsches Spiel mit Euch, Anakha. Sein Herz und sein Verstand gehören Cyrgon.«