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Kaiserin Gahenas war eine teganische Dame mittleren Alters mit strengem Gesicht und schmalen Lippen. Sie trug ein schlichtes graues Gewand, bis zum Kinn zugeknöpft, und lange Handschuhe aus kratziger Wolle. Ihr Haar war so straff zu einem Knoten zurückgekämmt, daß es ihr schier die Augen aus dem Kopf zog und ihre Ohren zu beiden Seiten wie offene Scheunentore abstanden. Kaiserin Gahenas mißbilligte alles und jedes, das war von Anfang an klar. Sie war zu Sperbers Studiergemach gekommen – aber in Begleitung –, um ihm eine Beschreibung der Insel Tega zu geben. Die Kaiserin Gahenas begab sich nirgendwohin, ohne daß ihre vier Anstandsdamen dabei waren, greise Teganerinnen, die jetzt nebeneinander auf einer Holzbank hockten und wie abstoßend häßliche Wasserspeier aussahen.

Es war ein schöner Tag im Frühherbst, doch die Sonne, die warm durch die Fenster von Sperbers Studiergemach geschienen hatte, wirkte plötzlich fahl und kraftlos, als Kaiserin Gahenas mit ihren gestrengen Tugendwächterinnen eintrat.

Sie verbrachte eine Stunde damit, Sperber über das Bruttosozialprodukt ihrer Heimat zu belehren, und dies in einem Tonfall, als wollte sie nach Beendigung der Lektion eine Prüfung abhalten. Sperber mußte sich sehr beherrschen, nicht zu gähnen. Produktionsstatistiken oder Arbeitskosten interessierten ihn herzlich wenig. Was er tatsächlich von dieser henkelohrigen Kaiserin wissen wollte, waren kleine Einzelheiten über das ganz normale Alltagsleben auf der Insel, um die Briefe aufzulockern, die er bereits jetzt schrieb und die seiner Gemahlin nach und nach zugestellt werden sollten. Er wollte ihr darin über die Suche nach den teganischen Führern der Verschwörung berichten, und wie schwierig sie sich erwies.

»Äh…«, unterbrach er Gahenas geleierten Monolog, »… das ist außerordentlich fesselnd, Hoheit, aber könnten wir vielleicht noch einmal kurz auf die Regierungsform der Insel zu sprechen kommen? Ich fürchte, das habe ich nicht so ganz verstanden.«

»Tega ist eine Republik, Prinz Sperber. Unsere Führer werden alle fünf Jahre in ihre Ämter gewählt. Das ist bereits seit fünfundzwanzig Jahrhunderten bei uns üblich.«

»Eure Führer werden nicht auf Lebenszeit gewählt?«

»Natürlich nicht! Wer möchte so eine Stellung schon auf Lebenszeit?«

»Strebt denn nie jemand nach Macht?«

»Die Regierung hat keine Macht, Prinz Sperber. Sie besteht lediglich, um die Befehle der Wählerschaft auszuführen.«

»Warum ist die Amtszeit auf fünf Jahre beschränkt?«

»Weil niemand seinen eigenen Angelegenheiten noch länger fernbleiben will.«

»Was passiert, wenn jemand wiedergewählt wird?«

»Das ist gegen das Gesetz. Niemand braucht mehr als eine Amtsperiode auf sich zu nehmen.«

»Gesetzt den Fall, jemand erweist sich in einer bestimmten Stellung als Genie. Möchtet ihr dann nicht, daß er den Posten längere Zeit behält?«

»Wir haben noch nie jemanden für so unentbehrlich befunden.«

»Mir scheint, ein solches System verlockt geradezu zur Korruption. Wenn jemand weiß, daß er nach fünf Jahren seines Amtes enthoben wird, könnte es ihn doch veranlassen, Regierungsentscheidungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Ich meine, für sein Leben danach.«

»Das ist völlig unmöglich, Prinz Sperber. Unsere gewählten Beamten haben außerhalb ihrer Regierungspflichten keine Interessen. Sobald sie gewählt sind, wird alles verkauft, was sie besitzen, und das Geld ins Staatssäckel gesteckt. Erlebt die Wirtschaft während ihrer Amtszeit einen Aufschwung, machen die Betreffenden einen Gewinn; bricht sie dagegen zusammen, verlieren sie alles.«

»Das ist absurd! Keine Regierung macht je Gewinn!«

»Unsere schon«, entgegnete sie selbstgefällig. »Und es muß ein echter Profit sein. Der Steuersatz steht fest und kann nicht geändert werden. Demzufolge können unsere Regierungsmitglieder sich auch nicht bereichern, indem sie einfach die Steuern erhöhen.«

»Wer will denn einer solchen Regierung angehören?«

»Das will niemand, Prinz Sperber. Die meisten Teganer versuchen alles mögliche, um ja nicht gewählt zu werden. Die Tatsache, daß sein gesamtes Vermögen in der Staatskasse steckt, zwingt jeden Beamten, so hart zu arbeiten, wie er nur kann, um dafür zu sorgen, daß die Wirtschaft floriert. Viele haben sich für die Interessen der Republik zu Tode gearbeitet.«

»Ich glaube, auf eine so zweifelhafte Ehre würde ich verzichten.«

»Das ist völlig unmöglich, Hoheit. Sobald jemand für ein öffentliches Amt nominiert wird, steht er unter strenger Bewachung. Nach der Wahl wird er noch strenger bewacht. Die Republik sorgt unerbittlich dafür, daß niemand sich seinen Pflichten entzieht.«

»Dann ist die Republik eine gestrenge Herrin.«

»Das ist sie in der Tat, Prinz Sperber, und genauso soll es auch sein!«

Obwohl seine Gefährten bereits sehr ungeduldig waren, verschob Sperber die Abreise um zwei weitere Tage, die er damit verbrachte, im Eiltempo die Briefe an Ehlana zu verfassen. Der Verlauf der angeblichen Suche mußte überzeugend und zumindest ein bißchen interessant sein. Sperber erdachte falsche Spuren und Handlungen und ungelöste Rätsel für seinen Bericht. Er vertiefte sich immer mehr in die Entwicklung seiner Geschichte, so daß er manchmal nahe daran war, selbst alles zu glauben, was er da niederschrieb. Er wurde regelrecht stolz auf seine Leistung und begann, vielfache stilistische Änderungen vorzunehmen; er fügte hier etwas hinzu, strich dort etwas fort und formulierte einen holperigen Absatz neu, bis er die Grenze zwischen sorgfältiger Kunstfertigkeit und Pedanterie überschritt, ohne es zu merken.

»Sie sind gut genug, Sperber«, versicherte ihm Vanion, nachdem er die Briefe am Abend des zweiten Tages gelesen hatte. Vanion trug mit voller Absicht den schlichten Kittel und die schweren Reitstiefel, die Pandioner für gewöhnlich anzogen, ehe sie sich auf eine längere Reise begaben.

»Ihr haltet sie nicht für zu durchschaubar?«

»Sie sind genau richtig.«

»Vielleicht sollte ich den dritten Brief ein wenig anders formulieren. Irgendwie kommt er mir schrecklich nichtssagend vor.«

»Ihr habt ihn bereits dreimal umgeschrieben. Er ist gut genug.«

»Ich bin aber gar nicht glücklich damit, Vanion.« Sperber nahm seinem Freund den unbefriedigenden Brief aus der Hand, las ihn noch einmal durch und griff während des Lesens automatisch nach seinem Schreibstift.

Vanion aber blieb unnachgiebig und nahm Sperber den Brief wieder ab.

»Laßt mich wenigstens den letzten Absatz in Ordnung bringen«, bat Sperber.

»Nein!«

»Aber…«

»Nein!« Vanion steckte den Brief an seinen Platz zurück, faltete das Päckchen und schob es unter sein Wams. »Oscagne schickt Norkan mit uns. Wir werden ihm die Briefe geben. Er kann sie Ehlana nach und nach zukommen lassen. Norkan ist schlau genug, sie so zu verteilen, daß Ehlana nicht mißtrauisch wird. Das Schiff steht jetzt schon eine ganze Woche bereit, und Emban wird ungeduldig. Wir fahren mit der Morgenebbe.«

»Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich falsch gemacht habe«, sagte Sperber. »Ich brauche bestimmt nicht mehr als eine oder zwei Stunden, diesen dritten Brief zu ändern!«

»Nein, Sperber. Kommt überhaupt nicht in Frage!«

»Bist du sicher, daß sie schläft?« flüsterte Sperber.

»Natürlich bin ich sicher, Vater«, erwiderte Prinzessin Danae.

»Das leiseste Geräusch wird sie aufwecken, das weißt du doch. Sie hört sogar, wenn eine Fliege über die Decke spaziert.«

»Nicht heute nacht. Dafür habe ich gesorgt.«

»Ich hoffe, du weißt, was du tust, Danae. Sie kennt selbst den kleinsten Kratzer an diesem Ring. Falls es auch nur den geringsten Unterschied zwischen diesem und dem neuen Ring gibt, wird sie es sofort bemerken!«

»O Vater! Du machst dir zu viele Gedanken! So etwas tue ich nicht zum erstenmal. Schließlich hat Ghwerig diese Ringe gemacht, und ich habe sogar ihn getäuscht. Ich habe sie in den Tausenden von Jahren immer wieder gestohlen. Glaub mir, Mutter wird keinen Unterschied bemerken!«

»Muß es denn wirklich sein?«

»Ja. Bhelliom würde dir gar nichts nutzen, wenn du nicht beide Ringe hast. Und du wirst ihn möglicherweise sofort benötigen, kaum daß wir ihn vom Meeresgrund geborgen haben.«

»Warum?«

Sie rollte die Augen himmelwärts und seufzte. »Weil die ganze Welt schwankt, sobald Bhelliom sich bewegt. Als du ihn nach Zemoch gebracht hast, hat die Erde die ganze Zeit wie Sülze gewackelt. Meine Familie und ich mögen es gar nicht, wenn Bhelliom sich bewegt. Es macht einige von uns regelrecht schwindelig.«

»Können unsere Feinde uns dadurch orten?«

Danae schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt. Aber jede Gottheit auf dieser Welt wird sofort merken, wenn Bhelliom sich in Bewegung setzt, und wir können fest damit rechnen, daß wenigstens einige von ihnen nach ihm suchen werden. Könnten wir ein andermal darüber reden?«

»Was soll ich tun?«

»An der Tür zum Schlafgemach Wache stehen. Ich habe nicht gern Zuschauer, wenn ich etwas stehle.«

»Du hörst dich genau wie Talen an.«

»Verständlich. Schließlich wurden er und ich füreinander geschaffen. Bedenke, daß die Götter das Stehlen erfunden haben.«

»Das ist doch nicht dein Ernst!«

»Aber natürlich! Wir stehlen laufend voneinander. Es ist ein Spiel. Hast du gedacht, wir säßen bloß auf Wolken herum und würden uns in Anbetung sonnen. Wir müssen irgendwas zu unserem Zeitvertreib tun! Du solltest es auch mal versuchen, Vater. Es macht viel Spaß.« Sie schaute sich verstohlen um, duckte sich und griff nach der Klinke der Tür zum Schlafgemach. »Halte Ausschau, Sperber. Pfeif, wenn du jemand kommen hörst.«

Am folgenden Morgen versammelten sie sich im Salon der Königssuite, um die letzten Anweisungen von Kaiser Sarabian und Königin Ehlana entgegenzunehmen. Es war natürlich nur eine reine Formsache. Alle wußten längst, was sie tun sollten. So saßen sie müßig in dem sonnigen Gemach, plauderten und ermahnten einander, vorsichtig zu sein, wie es auf der ganzen Welt üblich ist, wenn man Abschied nimmt.

Alean, Königin Ehlanas rehäugige Kammermaid, sang im Gemach nebenan. Sie hatte eine klare, liebliche Stimme, und alle im Salon verstummten, um ihr zuzuhören. »Es ist, als würde man einem Engel lauschen«, murmelte Patriarch Emban.

Kaiser Sarabian nickte. »Das Mädchen hat eine wirklich bemerkenswerte Stimme. Die Hofmusiker beneiden sie darum.«

»Sie hört sich heute morgen ein bißchen traurig an«, stellte Kalten fest, dem Tränen in den Augen schimmerten.

Sperber lächelte kaum merklich. Seit seiner frühen Jugend hatte Kalten den Maiden nachgestellt, und nur wenige hatten seinen Schmeicheleien widerstehen können. Bei Alean jedoch hatte er nichts erreicht. Sie sang jetzt nicht zu ihrem eigenen Vergnügen, sondern für einen ganz bestimmten Zuhörer, und das Lied, das über das Leid des Abschieds klagte, rührte Kalten zu Tränen. Alean sang die uralte elenische Ballade, Mein süßer blauäugiger Liebster, die von gebrochenen Herzen und Liebeskummer handelte. Da bemerkte Sperber, daß auch Baroneß Melidere, Ehlanas Hofdame, Kalten unauffällig beobachtete. Als ihre Augen sich trafen, zwinkerte sie ihm fast unmerklich zu. Sperber hätte am liebsten laut gelacht. Er war also nicht der einzige, der Aleans subtile List durchschaut hatte.

»Du wirst mir doch schreiben, Sperber, nicht wahr?« sagte Ehlana.

»Selbstverständlich«, versprach er ihr.

»Ich kann praktisch dafür garantieren, Majestät«, warf Vanion ein. »Wenn man ihm genügend Zeit gibt, kann er großartige Briefe schreiben. Jedenfalls widmet er seiner Korrespondenz viel Mühe und viele Stunden.«

»Erzähl mir alles, Sperber!« bat die Königin.

»Das wird er ganz bestimmt, Majestät«, versicherte ihr Vanion. »Er wird Euch wahrscheinlich mehr über die Insel Tega berichten, als Ihr wirklich wissen möchtet.«

»Das ist nicht nett von Euch!« murmelte Sperber.

»Bitte seid nicht zu deutlich, wenn Ihr unsere Lage beschreibt, Eminenz«, wandte Sarabian sich nun an Emban. »Dolmant soll nicht den Eindruck gewinnen, daß mein Imperium rings um mich in die Brüche geht.«

»Aber ist es denn nicht so, Majestät?« entgegnete Emban ein wenig erstaunt. »Ich dachte, deshalb soll ich nach Chyrellos zurückeilen und die Ordensritter holen.«

»Nun ja, schon, aber laßt mir bitte wenigstens einen Rest meiner kaiserlichen Würde.«

»Dolmant ist sehr weise, Majestät«, beruhigte ihn Emban. »Er versteht die Sprache der Diplomatie.«

»Oh, wirklich?« Ehlanas Stimme troff von Sarkasmus.

»Darf ich auch dem Erzprälaten Eure Grüße übermitteln, Majestät?« fragte Emban die Königin.

»Natürlich. Sagt ihm, wie unendlich traurig ich bin, nicht in seiner Nähe sein zu können – vor allem deshalb, weil ich kein Auge auf ihn werfen kann. Macht ihn auch darauf aufmerksam, daß ein wenig bekanntes elenisches Gesetz unmißverständlich besagt, daß ich jede Abmachung besiegeln muß, die er während meiner Abwesenheit mit dem Grafen von Lenda trifft. Und er soll sich in jenen Teilen meines Reiches, die er sich seit meiner Abreise abgezwackt hat, nicht zu häuslich einrichten. Sobald ich nach Hause komme, hole ich sie mir wieder zurück!«

»Macht sie so was immer, Sperber?« fragte Sarabian.

»O ja, ständig, Majestät. Der Erzprälat kaut jedesmal an den Fingernägeln, wenn eines ihrer Schreiben in der Basilika eintrifft.«

»Es hält ihn jung.« Ehlana erhob sich. »Und jetzt meine Freunde, werdet ihr meinen Gemahl und mich kurz entschuldigen müssen, denn wir möchten uns noch unter vier Augen voneinander verabschieden. Komm, Sperber!« befahl sie. »Jawohl, meine Königin.«

Der Morgennebel hatte sich aufgelöst und die Sonne schien hell, als ihr Schiff aus dem Hafen fuhr und einen Südostkurs einschlug, der es um die Südspitze der micaeischen Halbinsel und zur Insel Tega bringen würde. Das Schiff war sehr aufwendig ausgestattet, allerdings von leicht fremdartiger Bauweise. Khalad war nicht ganz damit zufrieden, er hatte einiges an der Takelung und der Neigung der Masten auszusetzen.

Gegen Mittag kam Vanion an Deck, um mit Sperber zu reden, der an der Reling lehnte und zur vorübergleitenden Küste blickte. Beide hatten ihre Rüstung abgelegt und trugen an Bord nun bequeme Reisekleidung.

»Sephrenia möchte, daß wir alle in die Hauptkajüte kommen«, erklärte der Hochmeister seinem Freund. »Es ist wieder einmal Zeit für eine dieser ebenso erstaunlichen wie überraschenden Offenbarungen, die wir alle lieben und schätzen gelernt haben. Wie wär's, wenn Ihr die anderen zusammentreibt und mit ihnen hinunterkommt?«

»Ihr seid sehr merkwürdiger Stimmung«, bemerkte Sperber. »Was ist los?«

»Sephrenia ist heute übertrieben styrisch.« Vanion zuckte die Schultern.

»Ist mir gar nicht aufgefallen.«

»Ihr wißt schon, was ich meine, Sperber – ihre geheimnisvolle Miene, ihre rätselhaften Bemerkungen und melodramatischen Pausen, ihre distanzierte Überlegenheit.«

»Habt ihr zwei euch gestritten?«

Vanion lachte. »So weit lassen wir es nie kommen, mein Freund. Es ist nur, daß wir alle unsere kleinen Schrullen und Eigenheiten haben, die den anderen manchmal ärgern. Und Sephrenia hat heute nun mal einen ihrer schrulligen Tage.«

»Ich werde ihr natürlich nicht verraten, daß Ihr das gesagt habt.«

Wieder zuckte Vanion die Schultern. »Sie weiß bereits, was ich davon halte. Wir haben es schon öfter diskutiert – ausführlich. Hin und wieder tut sie es nur, um mich zu necken. Holt die anderen, Sperber. Wir wollen ihr schließlich nicht zu viel Zeit geben, es noch besser einzustudieren.«

Sie versammelten sich alle in der Hauptkajüte unter Deck, einer großen Kabine, die halb Speise – halb Aufenthaltsraum war. Sephrenia war noch nicht erschienen, und nach einigen Augenblicken verstand Sperber, was Vanion gemeint hatte. Ein vertrauter Klang ertönte aus Sephrenias Kabine.

»Flöte?« rief Talen erstaunt, und seine Stimme überschlug sich wie bei allen Jungen, die im Stimmbruch sind.

Sperber hatte sich schon gefragt, wie Aphrael das heikle Problem umgehen würde, ihre Identität zu offenbaren. Sich den anderen als Prinzessin Danae zu zeigen, wäre natürlich nicht in Frage gekommen. Bei Flöte war es etwas ganz anderes. Alle Freunde Sperbers wußten, daß Flöte Aphrael war, und dies würde zeitraubende Erklärungen ersparen.

Sperber seufzte, als ihn ein melancholischer Gedanke beschlich. Betrüblich wurde ihm bewußt, daß er keine Ahnung hatte, wie seine Tochter wirklich aussah. Das liebe Gesichtchen, das sich ihm fast so tief wie Ehlanas Antlitz eingeprägt hatte, war nur eines aus einer langen Reihe von Inkarnationen – wahrscheinlich eines von mehr als tausend.

Endlich schwang die Tür von Sephrenias Kabine auf, und die zierliche Styrikerin trat hindurch, mit einem Lächeln, das an einen Sonnenaufgang erinnerte. Sie trug ihre kleine Schwester auf den Armen.

Flöte war natürlich unverändert – unveränderlich. Sie schien keinen Tag älter als sechs zu sein – genau das gleiche Alter wie Danae. Sperber wies sogleich die Möglichkeit eines Zufalls von sich. Wenn es um Aphrael ging, gab es keine Zufälle. Sie trug denselben kurzen Leinenkittel mit Gürtel und das aus Gras geflochtene Stirnband wie an dem Tag, als sie einander zum erstenmal begegnet waren. Auf ihren nackten Füßchen waren grüne Flecken. Sie hielt eine primitive Syrinx an die bogenförmigen Lippen und blies eine schwermütige styrische Weise.

»Was für ein hübsches Kind«, bemerkte Botschafter Norkan. »Haltet Ihr es wirklich für richtig, das Mädchen auf Eure mysteriöse Mission mitzunehmen, Prinz Sperber? Die Reise könnte sich doch als gefährlich erweisen!«

»Jetzt nicht mehr, Exzellenz.« Ulath grinste.

Ernst setzte Sephrenia die Kindgöttin auf dem Kabinenboden ab, und Flöte fing zum süßen Spiel ihrer Syrinx zu tanzen an.

Sephrenia blickte Emban und Norkan an. »Beobachtet das Kind aufmerksam, Emban. Ihr ebenfalls, Exzellenz. Das dürfte uns stundenlange Fragen und Erklärungen ersparen.«

Flöte drehte Pirouetten durch die Kajüte. Ihre Füßchen mit den Grasflecken huschten über den Boden, ihr schwarzes Haar flog durch die Luft, und ihre Syrinx erschallte fröhlich. Diesmal sah Sperber bewußt, daß sie den Fuß auf Luft setzte. Und dann tanzte die Kindgöttin empor, als würde sie eine unsichtbare Treppe hinaufsteigen. Dabei wirbelte sie rhythmisch herum, neigte und wiegte sich. Ihre Füßchen flatterten wie Vogelschwingen, während sie in leerer Luft tanzte. Dann endeten ihre Weise und ihr Tanz, und mit einem schelmischen Lächeln machte sie mitten in der Luft einen Knicks.

Emban quollen die Augen schier aus den Höhlen, und er war halb aus seinem Stuhl gefallen. Botschafter Norkan mühte sich, seine gelassene Miene beizubehalten, doch es gelang ihm nicht ganz, und seine Hände zitterten.

Talen grinste und fing zu klatschen an. Die anderen lachten und applaudierten ebenfalls.

»O danke, ihr Lieben«, sagte Flöte süß und machte einen weiteren Knicks.

»Um Gottes willen, Sperber!« stieß Emban hervor. »Holt sie da herunter! Sie treibt mich noch in den Wahnsinn!«

Flöte lachte, warf sich dem fetten kleinen Kirchenmann im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme und überschüttete sein bleiches, vor ihr zurückweichendes Gesicht mit Küssen. »Es macht mir so viel Spaß!« Sie kicherte vergnügt.

Emban wich noch weiter zurück.

»Seid nicht so!« rügte sie ihn. »Ich tu' Euch doch nichts. Ehrlich gesagt, liebe ich Euch sogar auf gewisse Weise.« Schalk sprach aus ihren Augen. »Hättet Ihr nicht Lust, für mich zu arbeiten, Eminenz? Ich bin bei weitem nicht so prüde wie Euer elenischer Gott. Wir könnten eine Menge Spaß miteinander haben.«

»Aphrael!« wies Sephrenia sie scharf zurecht. »Hör auf! Du weißt genau, du sollst das nicht tun!«

»Ich hab' ihn doch bloß ein bißchen gehänselt, Sephrenia. Ich würde Emban doch nicht wirklich in Versuchung führen. Der elenische Gott braucht ihn viel zu sehr!«

»Das wird Eure Theologie doch nicht allzusehr ins Wanken gebracht haben, Eminenz?« fragte Vanion. »Das kleine Mädchen auf Eurem Schoß, das glückselig versucht, Euch den blumenbestreuten Weg zur Häresie zu führen, ist die Kindgöttin Aphrael, eine der tausend jüngeren Gottheiten von Styrikum.«

»Wie soll ich mich ihr gegenüber verhalten?« fragte Emban verstört.

»Ich hätte nichts gegen ein paar Küßchen einzuwenden«, meinte Flöte.

»Das reicht!« tadelte Sephrenia sie erneut.

Das kleine Mädchen wandte sich an Norkan. »Und wie steht Ihr dieser Tatsache gegenüber, Exzellenz?«

»Skeptisch, Eure – äh…«

»Nur Aphrael, Norkan«, bat sie.

»Das ist ungebührlich«, entgegnete er. »Ich bin Diplomat und die Seele der diplomatischen Sprache ist die förmliche Anrede. Ich glaube, seit ich zehn war, habe ich niemanden mehr beim Vornamen genannt, von Kollegen abgesehen.«

»Ihr Vorname ist die förmliche Anrede, Exzellenz!« erklärte Sephrenia ihm sanft.

»Also gut.« Aphrael rutschte von Embans Schoß. »Tynian und Emban reisen nach Chyrellos, um die Ordensritter zu holen. Norkan begibt sich auf die Insel Tega, um Sperber zu helfen, meine – äh – seine Gemahlin zu beschwindeln. Wir anderen machen uns auf den Weg, den Bhelliom zurückzuholen. Sperber ist offenbar der Meinung, daß er ihn brauchen wird. Ich glaube, er unterschätzt seine Fähigkeiten, aber ich mache mit – und wenn es auch nur helfen sollte, daß er aufhört zu nörgeln.«

»Sie hat mir wirklich gefehlt!« Kalten lachte. »Was hast du vor, Flöte? Willst du eine Gruppe Wale für uns satteln, damit wir zu der Küste reiten, wo wir den Bhelliom ins Meer geworfen haben?«

Flötes Augen leuchteten auf.

»Schlag dir das aus dem Kopf!« warnte Sperber.

»Spielverderber!« Sie verzog schmollend den Mund.

»Du enttäuschst mich wirklich, Sperber!« brummte Kalten. »Ich bin noch nie auf einem Wal geritten.«

»Hör mit deinem Gerede von Walen auf!« wies Sperber seinen Freund verärgert zurecht.

»Deshalb brauchst du doch nicht gleich so wütend zu werden. Was hast du gegen Wale?«

»Das ist eine rein private Angelegenheit zwischen Aphrael und mir«, knirschte Sperber. »Ich kann mich nicht oft bei ihr durchsetzen, aber wenn es um Wale geht, bin ich unerbittlich!«

Die Unterbrechung der Fahrt war schon notgedrungenermaßen kurz, denn die Ebbe setzte bereits ein, und der Kapitän machte sich wegen des unaufhaltsam sinkenden Wasserstands im Hafen Sorgen.

Sperber und seine Freunde besprachen sich kurz in der Hauptkajüte, während Khalad die Männer an Deck beaufsichtigte, die die Pferde von Bord brachten und das Gepäck ausluden. »Tut Euer Bestes, Emban, Sarathi klarzumachen, wie ernst die Lage hier wirklich ist«, beschwor ihn Vanion. »Manchmal kann er ganz schön dickköpfig sein.«

»Bestimmt freut er sich zu erfahren, was Ihr tatsächlich von ihm haltet, Vanion.« Der fette Kirchenmann grinste.

»Sagt, was Ihr wollt, Eminenz. Ich werde nie wieder nach Chyrellos kommen, also spielt es keine große Rolle. Betont, daß der Name Cyrgon immer wieder auftaucht. Vielleicht könnt Ihr ihm weismachen, daß wir nur durch Krager wissen, daß Cyrgon etwas mit der Sache zu tun hat. Und sagt ihm, wir sind andererseits absolut sicher, was die Trollgötter betrifft. Der Gedanke, daß wir es wieder mit heidnischen Göttern zu tun haben, könnte Sarathi vielleicht dazu bringen, sich von seiner Versessenheit zu befreien, was Rendor betrifft.«

»Gibt es vielleicht etwas, das Ihr mir sagen möchtet, Vanion, das ich noch nicht weiß?«

Vanion lachte. »Der Punkt geht an Euch. Ich mische mich da wohl wirklich in Eure Angelegenheiten, nicht wahr?«

»Na ja, ich habe irgendwo ein hübsches Wort für jemanden wie Euch gehört, Vanion. Gschaftlhuber. Ich versichere Euch, ich werde tun, was ich kann. Aber Ihr kennt Dolmant. Er wird sich auf seine eigenen Einschätzungen verlassen und seine eigenen Verfügungen treffen. Er wird Daresien gegen Rendor abwägen und nach eingehenden Überlegungen entscheiden, ob er ersteres oder letzteres retten will.«

»Sagt ihm, daß ich hier bei Sperber bin, Emban«, wies Flöte ihn an. »Er weiß, wer ich bin.«

»Wa-as?«

»Ihr braucht Dolmant wirklich nicht mit Glacehandschuhen anzufassen. Er ist kein Fanatiker wie Ortzel, und er kann sich durchaus mit der Tatsache abfinden, daß seine Theologie nicht alle Fragen des Universums beantwortet. Daß ich dabei bin, hilft ihm möglicherweise, die richtige Entscheidung zu treffen. Grüßt ihn herzlich von mir. Er ist zwar manchmal ein komischer alter Kauz, aber ich habe ihn wirklich ins Herz geschlossen.«

Emban starrte sie nur sprachlos an. »Ich glaube, wenn das alles vorüber ist, werde ich in den Ruhestand gehen!«

Aphrael lächelte ihn an. »Das glaubt Ihr doch selbst nicht. Ihr könntet genausowenig in den Ruhestand gehen wie ich. Dazu macht Euch das alles viel zuviel Spaß. Außerdem brauchen wir Euch.« Sie wandte sich Tynian zu. »Überanstrengt Eure schlimme Schulter nicht! Gebt ihr Zeit, ganz auszuheilen, ehe Ihr wieder zu stürmische Bewegungen macht.«

»Jawohl, Erhabene«, antwortete Tynian, belustigt über die Art, wie sie ihm Befehle erteilte.

»Mach dich nicht über mich lustig, Tynian«, drohte sie. »Sonst könnte es durchaus sein, daß du eines Morgens mit den Füßen nach hinten aufwachst. Und jetzt gib mir einen Kuß.«

»Jawohl, Flöte.«

Sie lachte und warf sich in seine Arme, um sich ihre Küsse zu holen.

Die Gefährten gingen von Bord und blickten dem tamulischen Schiff nach, als es langsam aus dem Hafen fuhr.

»Jedenfalls haben sie sich die richtige Jahreszeit ausgesucht«, stellte Ulath fest. »Für Orkane ist es noch etwas zu früh.«

»Sehr beruhigend.« Kalten nickte und drehte sich um. »Wohin jetzt, Flöte?«

»Auf der rückwärtigen Seite der Insel wartet ein Schiff auf uns. Sobald wir die Stadt hinter uns gelassen haben, erfahrt ihr Näheres.«

Vanion übergab Norkan das Bündel Briefe, mit denen Sperber sich so viel Mühe gemacht hatte. »Wir wissen nicht, wie lange wir fort sein werden, Exzellenz. Schickt jede Woche nur einen Brief ab, sonst schöpft Ehlana Verdacht.«

Norkan nickte. »Ich kann zwischendurch auch eigene Berichte senden. Und wenn es sich als nötig erweisen sollte, werde ich mich an den Fälscher wenden, der in unserer Botschaft tätig ist. Nach einem oder zwei Tagen Übung dürfte er imstande sein, Prinz Sperbers Handschrift so gut nachzuahmen, daß er meinen Berichten zumindest ein paar Zeilen hinzufügen kann.«

Sperber blickte schockiert drein.

»Darf ich eine Frage stellen?« wandte Norkan sich an Flöte.

»Natürlich. Ich kann Euch nicht versprechen, daß ich sie beantworten werde, aber fragen dürft Ihr.«

»Gibt es die tamulischen Götter wirklich?«

»Ja.«

Norkan seufzte. »Das habe ich befürchtet. Wißt Ihr, ich habe nicht gerade ein – wie soll ich es nennen? – beispielhaftes Leben geführt.«

»Macht Euch deshalb keine Sorgen, Norkan. Eure Gottheiten nehmen sich nicht so ernst. Wir anderen Götter halten sie sogar für ein wenig frivol.« Sie hielt kurz inne. »Aber sie sind der Mittelpunkt jeder Feier.« Plötzlich kicherte sie. »Der elenische Gott kann sich so richtig über sie ärgern. Wißt Ihr, er hat kein Fünkchen Humor, und eure tamulischen Götter sind allzeit bereit, anderen Streiche zu spielen.«

Norkan schüttelte sich. »Ich glaube nicht, daß ich noch mehr davon hören möchte.« Er schaute sich um. »Darf ich euch raten, meine Freunde, die Stadt möglichst rasch zu verlassen. Eine Republik mit all ihren Beamten zu regieren bringt massenhaft Papierkram mit sich. Es gibt Fragebögen und Formulare und Genehmigungen und Lizenzen für fast alles, und das normalerweise in zehnfacher Ausführung. Niemand in der Regierung möchte wirklich eine Entscheidung über irgend etwas treffen, deshalb wandern Dokumente für gewöhnlich von Hand zu Hand und von einer Behörde zur anderen, bis sie entweder unleserlich sind oder irgendwo unauffindbar verlegt werden.«

»Wer trifft dann die endgültigen Entscheidungen?« erkundigte sich Vanion.

»Niemand.« Norkan zuckte die Schultern. »Die Teganer haben gelernt, ohne Regierung auszukommen. Jeder weiß auch so, was getan werden muß. Also füllen die Leute genügend Formulare aus, um die Bürokraten beschäftigt zu halten, und ignorieren sie dann einfach. Ich gebe es nicht gern zu, aber dieses System funktioniert offenbar recht gut.« Er lachte. »Im letzten Jahrhundert gab es mal einen berüchtigten Mörder. Er wurde schließlich festgenommen und vor Gericht gestellt. Aber er starb an Altersschwäche, ehe das Gericht sich einig wurde, ob er überhaupt als schuldig anzusehen sei.«

»Wie alt war er denn bei seiner Festnahme?« wollte Talen wissen.

»Um die dreißig, soviel ich weiß – Aber macht euch jetzt schnell auf den Weg, meine Freunde. Ich habe den Eindruck, dieser Bursche am Hafeneingang hat jetzt eine sehr amtliche Miene aufgesetzt. Doch wenn ihr sofort aufbrecht, dürftet ihr bereits außer Sicht sein, bis er in seiner Aktentasche gekramt und die richtigen Formulare für euch gefunden hat.«

Tega war eine ordentliche, aufgeräumte Insel, die allerdings nicht gerade mit landschaftlicher Schönheit gesegnet war und auch nichts von der malerischen Einsamkeit besaß, die das Herz von Romantikern rührt.

Es gab keine nennenswerte Landwirtschaft, und die kleinen, bestellten Felder waren vermutlich nichts weiter als größere Gemüse- und Kräutergärten. Die Steinmauern, die sie einsäumten, verliefen gerade und waren allesamt gleich hoch. Die Straßen waren ebenso schnurgerade, ohne jegliche Kurven, und die Hügel waren von ein- und derselben Form und Höhe. Da ein Großteil der Inselbevölkerung vom Muschelsammeln lebte und ihrer Arbeit daher notgedrungen unter Wasser nachging, fehlte das geschäftige Treiben der sonst üblichen vielen kleinen Handwerks- und Gewerbebetriebe.

Der Eindruck von beinahe pedantischer Sauberkeit wurde jedoch durch einen offenbar allgegenwärtigen abscheulichen Geruch ziemlich beeinträchtigt.

»Was ist das für ein grauenvoller Gestank?« fragte Talen und versuchte, sich die Nase zuzuhalten.

»Verrottende Schalentiere.« Khalad zuckte die Schultern. »Offenbar verwendet man sie als Dünger.«

»Wie halten die Leute nur diesen Gestank aus?«

»Wahrscheinlich sind sie so daran gewöhnt, daß er ihnen gar nicht mehr auffällt. Sie sammeln die Muscheln, weil die Tamuler von Matherion ihnen einen guten Preis dafür bezahlen. Aber niemand kann sich ständig von Austern und sonstigen Muscheln ernähren, also müssen die Leute den Überschuß irgendwie loswerden. Anscheinend geben die Muscheln einen sehr guten Dünger ab. Ich habe noch nie so riesige Kohlköpfe gesehen.«

Talen blickte seinen Bruder nachdenklich an. »Perlen findet man doch in Austern, nicht wahr?«

»Soviel ich weiß, ja.«

»Ich frage mich, ob die Teganer irgendwas mit ihnen machen, wenn sie welche finden.«

»Diese Perlen hier sind nicht besonders wertvoll, Talen«, erklärte Flöte. »In den Gewässern um die Insel ist irgend etwas, das die Perlen schwarz werden läßt. Und wer würde schon etwas für schwarze Perlen bezahlen?« Sie ließ den Blick über die Gefährten schweifen. »Also«, sagte sie, »wir müssen ungefähr viertausendfünfhundert Meilen bis zu der Stelle segeln, wo der Bhelliom liegt.«

»So weit?« rief Vanion bestürzt. »Dann werden wir nicht vor dem tiefsten Winter zurück sein. Bei etwa neunzig Meilen am Tag brauchen wir allein fünfzig Tage für den Hinweg.«

»Nein«, widersprach Flöte. »In Wirklichkeit werden wir sowohl für den Hin- wie den Rückweg nur jeweils fünf Tage brauchen.«

»Unmöglich!« Ulath schüttelte den Kopf. »So schnell kann kein Schiff sein.«

»Wieviel bist du zu wetten bereit, Ritter Ulath?«

Er überlegte nur kurz. »Nicht viel. Ich möchte dich ja nicht beleidigen, indem ich meine Meinung äußere, daß du schummeln willst, aber…« Er machte eine vielsagende Geste.

»Ich nehme an, du willst wieder die Zeit beeinflussen?« fragte Sperber.

Flöte schüttelte den Kopf. »Nein, Sperber. Auch mir sind Grenzen gesetzt. Außerdem brauchen wir etwas Verläßlicheres. Das Schiff, das auf uns wartet, ist ziemlich ungewöhnlich. Es wäre keine gute Idee, wenn einer von euch unbedingt herausfinden möchte, woraus es gefertigt ist und wodurch es angetrieben wird. Ihr werdet euch auch nicht mit der Besatzung unterhalten können, weil sie eure Sprache nicht beherrscht. Wahrscheinlich würdet ihr ohnehin nicht mit den Leuten reden wollen, weil sie gar nicht menschlich sind.«

»Hexerei?« fragte Bevier mißtrauisch.

Flöte tätschelte ihm die Wange. »Ich beantworte diese Frage, sobald du eine Umschreibung für Hexerei gefunden hast, die keine persönliche Beleidigung ist, mein lieber Bevier.«

Sephrenia blickte sie argwöhnisch an. »Was hast du vor, Aphrael?

Du weißt doch, daß es Regeln gibt!«

»Die andere Seite bricht die Regeln ständig, liebe Schwester«, erwiderte Aphrael von oben herab. »In die Vergangenheit zu greifen, war von Anfang an verboten.«

»Du wirst doch nicht etwa in die Zukunft greifen?« fragte Khalad. »Die Menschen erfinden ständig neue Möglichkeiten, Schiffe schneller vorwärtszubewegen. Willst du etwa ein Schiff benutzen, das noch gar nicht erfunden ist?«

»Kein schlechter Vorschlag, Khalad, aber ich wüßte nicht, wo ich mich umsehen müßte. Die Zukunft hat noch nicht stattgefunden. Wie sollte ich da wissen, wo – oder wann – ein solches Schiff zu finden wäre? Nein, ich habe mich andernorts umgesehen.«

»Was meinst du mit ›andernorts‹?«

»Es gibt mehr als nur eine Welt, Khalad.« Flöte senkte die Stimme zu einem Flüstern, als sie eines ihrer bisher wohlgehüteten Geheimnisse preisgab. Dann verzog sie das Gesichtchen. »Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie schwierig die Verhandlungen waren!«