3

Ehlana und Sarabian waren zu den Zinnen des mittleren Turms emporgestiegen, scheinbar, um den Sonnenuntergang zu bewundern. Obwohl die Burg sich fest in elenischer Hand befand, gab es innerhalb ihrer Mauern immer noch genug Tamuler. Deshalb war eine gewisse Vorsicht geboten, wenn man sich unbelauscht unterhalten wollte.

»Es ist alles eine Frage der Macht und wie man damit umgeht, Sarabian«, sagte Ehlana nachdenklich. »Daß es sie gibt, ist sozusagen die Triebfeder in unserem Leben. Wir können sie entweder selbst in die Hand nehmen oder sie unbenutzt liegenlassen. Aber eines ist sicher. Falls wir uns entscheiden, die Macht nicht zu benutzen, wird es ganz sicher ein anderer tun.« Ihre Worte klangen melancholisch, und ihr bleiches junges Gesicht wirkte beinahe düster.

»Ihr seid heute aber ziemlich schwermütig, Ehlana«, bemerkte Sarabian.

»Ich mag es gar nicht, wenn Sperber nicht bei mir ist. Ich habe zu viele Jahre ohne ihn verbracht, als Aldreas ihn ins Exil geschickt hatte. Worauf ich hinaus wollte – Ihr dürft keinen Widerspruch dulden, damit Eure Leute in der Regierung deutlich verstehen, daß die Dinge sich geändert haben. Im Grunde ergreift Ihr die Macht. Das ist auch eine Art von Revolution, wißt Ihr.« Sie lächelte leicht. »Ihr seid fast zu kultiviert für einen Revolutionär, Sarabian. Seid Ihr sicher, daß Ihr die Regierung stürzen wollt?«

»Großer Gott, Ehlana, es ist schließlich meine Regierung, und die Macht war von Anfang an rechtmäßig mein.«

»Aber Ihr habt Euch ihrer nicht bedient. Ihr wart faul, viel zu nachgiebig, und Ihr habt sie Euch einfach entgleiten lassen. Eure Minister haben Euch die Herrschergewalt Stück um Stück gestohlen. Jetzt werdet Ihr sie ihnen entringen müssen. Niemand gibt die Macht freiwillig auf; deshalb wird Euch nichts anderes übrigbleiben, als einige Eurer Minister zu töten, um den anderen zu beweisen, daß Euch die Autorität nicht völlig abhanden gekommen ist.«

»Töten!«

»Das ist der höchste Ausdruck der Macht, Sarabian, und Eure Lage hier bedarf einer gewissen Skrupellosigkeit. Ihr werdet Blut vergießen müssen, um zu zeigen, daß Ihr es wirklich ernst meint.«

»Ich glaube, das kann ich nicht«, sagte Sarabian beunruhigt. »Oh, ich habe natürlich manchmal große Töne gespuckt und Drohungen ausgestoßen, aber wirklich den Befehl zu erteilen, jemanden zu töten, brächte ich nicht fertig.«

»Ihr müßt es wissen. Aber wenn Ihr es nicht tut, könnt Ihr Euch nicht durchsetzen, und man wird Euch töten!« Ehlana überlegte kurz. »Wahrscheinlich wird man Euch ohnehin töten«, fügte sie hinzu, »aber dann sterbt Ihr zumindest für etwas Bedeutsames. Und vielleicht hilft Euch das Wissen, dem Tod nicht entrinnen zu können, unangenehme Entscheidungen zu treffen. Sobald Ihr ein paarmal getötet habt, wird es Euch leichter fallen. Ich spreche aus Erfahrung, da mir fast dasselbe wie Euch zugestoßen ist. Primas Annias hatte die absolute Gewalt über meine Regierung, als ich den Thron bestieg. Also mußte ich zusehen, wie ich meine Macht von ihm zurückbekam.«

»Ihr redet offen heraus über das Töten, Ehlana. Weshalb habt Ihr Annias nicht hinrichten lassen?«

Sie lachte, daß es einem kalt über den Rücken laufen mochte. »Bestimmt nicht, weil ich es nicht wollte, das dürft Ihr mir glauben. Ich war nur zu schwach. Annias hatte die Krone sehr geschickt aller Amtsgewalt beraubt. Hochmeister Vanion und seine pandionischen Ritter standen mir bei, doch Annias befehligte sowohl die Armee als auch die Kirchensoldaten. Ich habe ein paar von seinen Helfershelfern getötet, doch an ihn selbst kam ich leider nicht heran. Er wußte jedoch von meiner Absicht; deshalb hat er versucht mich zu vergiften. Annias war wirklich ein sehr guter Politiker. Er wußte genau, wann es Zeit war zu töten.«

»Das hört sich ja fast so an, als hättet Ihr ihn bewundert.«

»Ich habe ihn gehaßt. Aber das ändert nichts daran, daß er außerordentlich begabt war.«

»Tja, ich habe noch nie jemanden getötet; deshalb kann ich mich da immer noch heraushalten.«

»Da täuscht Ihr Euch aber gewaltig. Ihr habt bereits Euren Dolch gezogen, also müßt Ihr ihn auch benutzen. Ihr habt den Aufstand niedergeschlagen und Euren Innenminister festgenommen. Das kommt einer Kriegserklärung gleich.«

»Das habt Ihr getan, nicht ich«, wehrte er ab.

»Ja, aber ich habe es in Eurem Namen getan; deshalb kommt es aufs selbe heraus – zumindest aus der Sicht Eurer Feinde. Ihr befindet Euch jetzt in Gefahr. Ihr habt Eure Regierung wissen lassen, daß Ihr beabsichtigt, Euch die Macht zurückzuholen, die Ihr Euch hattet entgleiten lassen. Wenn Ihr nicht zu töten beginnt – und zwar bald –, werdet Ihr diesen Monat vielleicht nicht überleben. Hättet Ihr nicht Zuflucht in dieser Burg gefunden, wärt Ihr bereits tot.«

»Ihr macht mir angst, Ehlana.«

»Weiß der Himmel, ich habe mir auch Mühe gegeben. Ob es Euch gefällt oder nicht, Sarabian, Ihr müßt jetzt handeln.« Sie schaute sich um. Die Sonne versank in den Wolkenbänken, die sich über den Bergen im Westen gebildet hatten, und ihr roter Schein spiegelte sich in den Perlmuttkuppen von Matherion. »Seht Euch Eure Stadt an, Sarabian, und denkt darüber nach, daß Politik auch Kampf bedeutet. Dann wird das Rot, das die Kuppeln befleckt, nicht mehr allein auf den Sonnenuntergang zurückzuführen sein.«

»Das reicht.« Sarabians Gesicht wirkte ungewohnt hart. »Also gut. Wie viele Personen muß ich töten, um nichts mehr befürchten zu müssen?«

»So viele Messer habt Ihr gar nicht, mein Freund. Selbst wenn Ihr jeden Bewohner Matherions niedermetzelt, wärt Ihr noch immer in Gefahr. Ihr solltet Euch lieber damit abfinden, daß für den Rest Eures Lebens ein heimtückischer Tod auf Euch lauert.« Sie lächelte ihn an. »Es ist eigentlich sehr erregend – sobald man sich daran gewöhnt hat.«

»Es ist fast so, wie wir erwartet haben, Majestät«, sagte Caalador. »Dieser Krager hat dem ollen Sperber tatsächlich die Wahrheit gesagt. Ich und Stragen haben die Burschen, die wir uns während des Coups schnappten, ordentlich in die Mangel genommen, nicht wahr, Stragen?«

Stragen bestätigte es.

Die drei hatten sich an diesem Abend in dem kleinen blauen Salon zusammengesetzt. Ehlana und Stragen hatten sich zum Abendessen feingemacht und ihren Staat anbehalten. Ehlana trug roten Samt, Stragen weißen Satin. Caalador dagegen das unauffällige Braun des Geschäftsmannes. Der kleine Salon war mehrmals sorgfältig nach Lauschern hinter den Wänden überprüft worden, und Mirtai hielt grimmig Wache vor der Tür.

»Abgesehen von Innenminister Kolata, haben wir keine bedeutende Persönlichkeit erwischt«, fuhr Caalador fort. »Unsere anderen Gefangenen wissen kaum etwas. Ich fürchte, wir haben keine Wahl, Majestät. Wir müssen Kolata ein bißchen gröber anfassen, falls wir was von ihm erfahren wollen.«

Ehlana schüttelte den Kopf. »Ihr werdet auch aus ihm nichts herausbekommen, Caalador. Man würde ihn töten, sobald er den Mund aufmacht.«

»Das ist nicht gesagt, meine Königin«, widersprach Stragen. »Es wäre durchaus möglich, daß unsere Taktik funktioniert. Meines Erachtens weiß die andere Seite nicht, daß Kolata hier gefangengehalten wird. Schließlich erhalten seine Untergebenen ihre Befehle immer noch von ihm.«

»Wir dürfen kein Risiko eingehen, denn wir brauchen ihn«, gab Ehlana zu bedenken. »Wenn er erst einmal in Stücke gerissen ist, dürfte es ziemlich schwierig sein, ihn wieder zusammenzusetzen.«

Caalador zuckte die Schultern. »Wie Ihr meint, Majestät. Jedenfalls wird es immer offensichtlicher, daß dieser Aufstand gar nicht ernstgemeint war. Der Gegner hatte ihn lediglich inszeniert, um herauszufinden, wo unsere Stärken liegen – und unsere Schwächen. Krager und seine Freunde wußten offenbar, daß wir die Unterwelt von Matherion als unsere Augen und Ohren benutzten, und das beunruhigt mich am meisten. Tut mir leid, Stragen, aber es ist so.«

Stragen seufzte. »Es war eine so gute Idee.«

»Zuerst ja. Das Problem war nur, daß Krager davon wußte. Talen erzählte mir, daß dein Freund Platime eine ganze Meute von Bettlern, Huren und Taschendieben eingesetzt hat, um Krager ständig im Auge zu behalten. Selbst die beste Idee verliert an Wert, wenn man sie zu offensichtlich in die Tat umsetzt.«

Stragen stand auf und stiefelte, vor sich hin brummelnd, in dem kleinen Salon auf und ab. Sein weißes Satinwams schimmerte im Kerzenlicht.

»Sieht ganz so aus, als hätte ich Euch enttäuscht, meine Königin«, sagte er düster. »Ich habe mich zu sehr auf meinen Plan verlassen. Nach so einem Fehlschluß könnt Ihr Euch wirklich nicht mehr auf mein Urteilsvermögen verlassen. Ich werde Vorbereitungen treffen, nach Emsat zurückzukehren.«

»Schüttet das Kind doch nicht gleich mit dem Bade aus, Stragen!« rügte Ehlana. »Und setzt Euch wieder! Ich kann nicht denken, wenn Ihr so herumtrampelt.«

»Sie weiß wirklich, wie man jemand auf den Boden der Tatsachen zurückholt, nicht wahr, Stragen?« Caalador lachte.

Ehlana tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger ans Kinn. »Wir sollten das für uns behalten. Sarabian ist schon verstört genug. Politisch ist er ein Wickelkind. Ich bemühe mich zwar, ihn so schnell wie möglich auszubilden, aber es dauert eben doch seine Zeit.« Sie verzog das Gesicht. »Immer wieder muß ich warten, damit er ein Bäuerchen machen kann.«

»Was für ein Bild!« Caalador grinste. »Was stößt ihm denn auf, Majestät?«

»Mord, hauptsächlich.« Sie zuckte die Schultern. »Er hat offenbar nicht den Mut dafür.«

Caalador blinzelte. »Den haben nur wenige.«

»Politiker können sich diese Art von Feingefühl aber nicht leisten. Also gut, wenn Krager und seine Freunde über unser Spitzelnetz Bescheid wissen, dürfte es wohl nicht mehr lange dauern, bis sie versuchen, ihre eigenen Agenten einzuschleusen.«

»Kluges Köpfchen!« sagte Caalador bewundernd.

»Ohne lebt man nicht lange. Laßt uns überlegen, meine Herren. Wir haben eine ausbaufähige Situation, die wir jedoch schnell nutzen müssen. Wie können wir das am besten?«

»Vielleicht lassen sich echte Verschwörer finden, statt irgendwelcher armen Teufel, die selbst hereingelegt wurden, Majestät«, murmelte Stragen nachdenklich. »Wenn sie tatsächlich jemanden einschleusen, müssen sie versuchen, ein paar von unseren Leuten auf ihre Seite zu ziehen. Denken wir uns einige glaubhafte Geschichten aus – eine für ein paar Taschendiebe, eine andere für einige Bettler oder Huren. Dann lehnen wir uns zurück und warten in Ruhe ab, wie unser Plan aufgeht. Auf diese Weise können wir die Verräter in unseren Reihen enttarnen und brauchbare Namen aus ihnen herausquetschen.«

Ehlana seufzte. »Ein bißchen besser sollte unser Plan schon sein«, sagte sie verdrossen.

»Wir werden uns Mühe geben, Majestät«, versprach Caalador.

»Wenn Ihr nichts dagegen habt, möchte ich gern noch etwas anderem nachgehen. Wir wissen, daß Krager sich hier in Matherion ins Zeug gelegt hat. Wir wissen aber nicht, wie viele Informationen über unsere Methoden er an seine Freunde in anderen Reichen weitergegeben hat. Wir sollten soviel wie möglich aus diesem behelfsmäßigen Nachrichtendienst herausholen, ehe er völlig nutzlos wird. Ich werde der Unterwelt in Arjuna Bescheid geben. Ich würde gern auf die eine oder andere Weise herausfinden, ob dieser Gelehrte von der Universität über die Wahrheit gestolpert ist oder sich nur eine haltlose Theorie zusammengereimt hat. Ich glaube, eine vollständige Biographie dieses als Scarpa bekannten Burschen wäre hochinteressant für uns. Wenn schon sonst nichts dabei herauskommt, wird der Erfolg oder Mißerfolg unserer Spitzel in Arjuna uns zumindest zeigen, wieviel Krager tatsächlich über das Ausmaß unserer Mission weiß. Wenn er sie nur für örtlich begrenzt hält, ist der Schaden ja nicht allzu groß.«

»Kümmert Euch auch um die anderen«, wies Ehlana ihn an. »Seht zu, was Ihr über Baron Parok, Rebal und Säbel herausfinden könnt. Versuchen wir es auf jeden Fall bei Rebal und Säbel.«

»Wir werden alles tun, was Majestät befehlen.«

»Darüber wär' ich glücklicher als jedes Schwein im Schlamm, Caalador«, erwiderte Ehlana in tamulischem Dialekt.

Caalador konnte sich vor Lachen nicht mehr halten.

»Es liegt vermutlich am Wetterumschwung, Majestät«, meinte Baroneß Melidere. »Wir befinden uns hier direkt an der Küste, das könnte das Problem sein. Kinder sprechen auf so etwas manchmal stärker an als Erwachsene.«

»Ihr nehmt die ganze Sache zu ernst«, rügte Mirtai. »Sie braucht lediglich ein Stärkungsmittel. Sie ist nicht wirklich krank, nur ein bißchen schlapp.«

»Aber sie schläft die ganze Zeit«, jammerte Ehlana. »Sie schläft sogar beim Spielen ein!«

»Wahrscheinlich liegt es am Wachsen.« Die Riesin zuckte die Schultern. »Mir ist es als kleines Mädchen so ähnlich ergangen. Wachsen ist offenbar sehr anstrengend.«

Das Objekt ihrer Betrachtungen schlummerte auf einem Diwan am Fenster, und Rollo ruhte in ihren Armen, ohne daß sie ihn festhielt. Rollo hatte zwei Generationen heftiger Zuneigung überlebt. Er war an einem Bein herumgezerrt worden, man hatte auf ihm gelegen, ihn irgendwo hineingestopft, wo eigentlich gar kein Platz für ihn war, und ihn manchmal wochenlang vergessen. Dadurch, daß seine Füllung sich ein wenig verlagert hatte, erweckte sein Plüschgesicht einen leicht bekümmerten Eindruck, was Königin Ehlana als schlechtes Omen betrachtete. Als Rollo noch ihr Spielzeug gewesen war, hatte er nie so bekümmert ausgesehen. Murr dagegen schien ziemlich zufrieden zu sein. Ein Frauchen, das sich nicht viel bewegte, war ihr sehr recht. Solange Prinzessin Danae schlief, überlegte sie wenigstens nicht, welche lächerlichen Dinge sie mit ihrer Katze anstellen könnte. Für Murr war schon jeder Tag, an dem sie nicht in Puppenkleider gesteckt wurde, ein schöner Tag. Sie lag mit geschlossenen Augen auf der Hüfte ihrer kleinen Herrin, die Vorderpfoten unter der Brust verschränkt, und schnurrte glücklich. Solange nichts ihre Nickerchen störte, war Murr mit sich und der Welt zufrieden. Prinzessin Danae schlummerte. Ihr Geist war jedoch viel mehr mit dem Gespräch beschäftigt, das Flöte mit Sperber und seinen Freunden auf der Insel Tega führte, als mit der Besorgnis ihrer Mutter über ihre Gesundheit hier in Matherion. Danae gähnte, kuschelte sich mit Plüschbär und Katze zusammen und sank in tiefen Schlaf.

Liebste, wir haben Tega erreicht und werden uns die nächste Zeit in den ländlichen Gegenden umsehen. Da ich dort vermutlich nicht zum Schreiben kommen werde, möchte ich Dir jetzt rasch mitteilen, daß wir gut angekommen sind. Mach Dir bitte keine Sorgen, falls Du eine Zeitlang nichts von mir hörst. Ich weiß noch nicht, wie lange wir uns voraussichtlich unter die hiesige Bevölkerung mischen müssen.

Die anderen sind schon ungeduldig, weil sie aufbrechen wollen. Einen wirklichen Grund für diesen Brief gibt es sowieso nicht – außer daß ich Dir sagen möchte, wie sehr ich Dich liebe. Aber das ist wahrscheinlich der wichtigste Grund überhaupt, nicht wahr?

Gib Danae einen Kuß von mir.

Ich liebe Dich

Sperber »Oh, wie lieb«, murmelte Ehlana und legte den Brief ihres Gemahls auf den Schoß. Sie saßen im blauen Salon. Die Ankunft Caaladors mit Sperbers Brief hatte eine ernste Debatte unterbrochen, bei der es darum ging, was sie mit dem Innenminister tun sollten.

Caalador, wieder in Braun gewandet und mit einem grotesken Porzellanfigürchen aus dem Arjuna des zwölften Jahrhunderts in der Hand, runzelte die Stirn. »Ich glaube, Ihr solltet die Torwachen daran erinnern, Majestät, daß sie mich einzulassen haben. Ich hatte wieder einige Schwierigkeiten mit ihnen.«

»Worum geht es?« fragte Kaiser Sarabian.

»Meister Caalador dient als mein ›Einkäufer von Antiquitäten‹«, erklärte Ehlana. »Das gibt ihm einen plausiblen Grund, zu kommen und zu gehen, ohne aufgehalten zu werden. Seit ich hier bin, habe ich bereits ein ganzes Gemach voll Krimskrams gesammelt.«

»Das bringt uns wieder zu der Angelegenheit, die wir diskutiert haben, ehe du eingetroffen bist, Caalador«, sagte Stragen. Er trug heute Schwarz – was ihm gar nicht stand, wie Ehlana insgeheim fand. Dann erhob er sich und begann, auf und ab zu gehen – eine Angewohnheit, die der Königin von Elenien mißfiel. »Das Innenministerium spielt sich auf. Da wir den Minister hier haben, kann nur einer seiner Untergebenen dahinter stecken.«

»Die vom Innenministerium haben schon immer versucht sich wichtig zu machen«, warf Oscagne ein. Der Außenminister trug auch heute westliche Kleidung, und ganz offensichtlich fühlte er sich immer noch nicht wohl darin.

»Das bestärkt mich in der Meinung, die ich Euch vorhin klarzumachen versuchte, Ehlana«, sagte Sarabian. »Seid Ihr immer noch der Ansicht, wir sollten das Innenministerium nicht auflösen?«

»So ist es«, erwiderte Ehlana. »Hier in der Burg haben wir Kolata fest in der Hand, und wir haben der Öffentlichkeit einen legitimen Grund genannt, weshalb er noch hierbleibt. Er übt sein Amt aus, aber unter unserer Kontrolle. Das ist ein gewaltiger Vorteil für uns. Wir müssen Zeit schinden, Sarabian! Wir sind hier viel zu verwundbar, bis Tynian und Emban nicht mit den Ordensrittern da sind – oder zumindest, bis alle atanischen Befehlshaber wissen, daß sie nicht mehr dem Innenministerium unterstehen. Wir wollen auf gar keinen Fall, daß die Ataner auf beiden Seiten kämpfen, falls es zu Auseinandersetzungen kommt.«

»Das hatte ich nicht bedacht«, gestand der Kaiser.

»Da seid Ihr nicht der einzige, Majestät«, sagte Oscagne leise. »Es ist durchaus möglich, daß das Innenministerium die Bekanntmachung seiner Auflösung einfach nicht beachtet. Es hat die fast uneingeschränkte Macht, wißt Ihr. Königin Ehlana hat recht. Wir können erst dagegen vorgehen, wenn wir uns der Ataner sicher sind.«

Stragen hatte sein Herumstiefeln wieder aufgenommen. »Niemand kann ein Ministerium unterwandern, einen so großen Teil der Regierung!« erklärte er. »Es besteht aus viel zu vielen Personen. Ein einziger ehrlicher Ordnungshüter genügt, das Komplott aufzudecken!«

»So was wie einen ehrlichen Ordnungshüter gibt es nicht, Stragen.« Caalador lachte zynisch. »Das ist ein Widerspruch in sich.«

Stragen überging die Bemerkung mit einem Schulterzucken. »Du weißt schon, wie ich es meine. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Kolata Dreck am Stecken hat. Aber wir wissen nicht mit Sicherheit, wie weit dieser Hochverrat geht. Es könnten große Teile der Regierung darin verwickelt sein. Vielleicht sind es aber auch nur ein paar höhere Beamte des Innenministeriums.«

Caalador schüttelte den Kopf. »Letzteres ist unwahrscheinlich, Stragen. Bevor man wagen kann, Befehle zu erteilen, die wider die Staatspolitik sind, braucht man Leute, auf die man sich verlassen kann. Es muß also mehrere Mitwisser und Mitläufer geben.«

Wieder zuckte Stragen die Schultern. »Wo du recht hast, hast du recht. Es ist ziemlich sicher, daß die meisten höheren Beamten des Ministeriums an dem Komplott beteiligt sind, aber wir können unmöglich abschätzen, wie weit verbreitet es ist. Das herauszufinden, ist meines Erachtens vorrangig.«

»Dafür dürftest du nicht mehr als etwa zweihundert Jahre brauchen, Stragen«, brummte Caalador.

»Nicht unbedingt«, widersprach Baroneß Melidere. Sie blickte Oscagne an. »Ihr habt einmal erwähnt, daß das Innenministerium großen Wert darauf legt, alles schriftlich festzuhalten, Exzellenz.«

»Selbstverständlich, Baroneß. Das ist bei allen Regierungsstellen so. Viel Papierkram bedeutet gutbezahlte Posten für unsere Verwandten. Beim Innenministerium geht man sogar noch ein bißchen weiter. Und Polizeibeamte können nun mal nicht ohne Akten und Dossiers leben. Sie schreiben alles nieder.«

»Das dachte ich mir. Die Beamten im Innenministerium sind allesamt ausgebildete Ordnungshüter, nicht wahr?«

Oscagne nickte.

»Dann ist es ihnen doch sicher zur zweiten Natur geworden, alles niederzuschreiben und zu den Akten zu geben. Habe ich recht?«

»Wahrscheinlich. Aber ich verstehe nicht so ganz, worauf Ihr hinauswollt, Baroneß.«

»Denkt doch einmal nach, Oscagne!« rief Sarabian aufgeregt. »Ich glaube, diese wundervolle Maid hat soeben unser Problem gelöst. Irgendwo da drüben, in diesem Labyrinth von Innenministerium, gibt es eine Namensliste und einen Stapel Akten über sämtliche Überläufer und Geheimagenten des Imperiums. Wir müssen nur dafür sorgen, daß wir diese Akten in die Hand bekommen. Dann erfahren wir genau, wen wir festnehmen müssen, sobald es Zeit zum Zuschlagen ist.«

»Ihr vergeßt nur eines«, gab Ehlana zu bedenken. »Sie werden diese Akten unter Einsatz ihres Lebens verteidigen. Und ein Eingriff in ihr Archiv ist für sie gleichbedeutend mit einem Angriff auf das Ministerium.«

»Ihr versteht es, einen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen, Ehlana«, jammerte der Kaiser.

»Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, die Probleme zu umgehen, die Königin Ehlana angesprochen hat«, warf Melidere ein. »Gibt es hier in Matherion ein genormtes Ablagesystem, Minister Oscagne?«

»Ihr Götter, nein, Baroneß!« rief er. »Hätten wir alle das gleiche Ablagesystem, könnte jeder x-beliebige in unsere Ämter marschieren und alles finden, was er sucht. Wie sollten wir da Geheimnisse voreinander bewahren?«

»So etwas Ähnliches dachte ich mir! Also gut. Nehmen wir einmal an, Königin Ehlana erzählt dem Kaiser – ganz beiläufig –, daß ihre Regierung das Ablagesystem genormt hat, und daß in ihrem Reich die Ablage überall auf gleiche Weise gehandhabt wird. Nehmen wir weiter an, daß den Kaiser diese Idee hellauf begeisterte, wegen der Kostensenkung und so weiter. Setzen wir unsere Annahme fort, daß er eine Reichskommission mit außerordentlichen Befugnissen zur Revision der Ablagen aller Regierungsstellen ernennt, welche die Zweckmäßigkeit einer solchen Normierung feststellen soll. Würde dies eine Aktenüberprüfung im Innenministerium rechtfertigen?«

»Daraus ließe sich etwas machen, meine Königin«, unterstützte Stragen Melideres Vorschlag. »Auf diese Weise könnten wir unsere wahre Absicht gut verschleiern – vor allem, wenn wir alle Ablagen gleichzeitig überprüfen ließen.«

Oscagnes Gesicht wurde kreidebleich.

»Ich möchte Euch wirklich nicht beleidigen, meine Dame«, versicherte Caalador der Baroneß, »aber was Ihr da vorschlagt, ist eine Arbeit, für die wir zwanzig Jahre bräuchten, wenn nicht mehr.«

»Das ließe sich verkürzen, Meister Caalador. Wir müßten nur Innenminister Kolata fragen.«

»Das gestatte ich nicht!« rief Ehlana scharf. »Ich will nicht, daß Hackfleisch aus ihm gemacht wird – jedenfalls nicht, solange ich ihn noch brauche.«

»Wir würden ihm keine Fragen stellen, in deren Beantwortung irgend jemand eine Verletzung von Staatsgeheimnissen sähe, Majestät«, beruhigte Melidere sie. »Wir wollen von ihm nur wissen, wie sein Ablagesystem funktioniert. Damit würde er ja nicht gleich die Verschwörung verraten, an der er beteiligt ist, nicht wahr?«

»Ich glaube, sie hat recht, Ehlana«, warf Mirtai ein. »Es muß irgendein auslösendes Moment geben – Fragen über gewisse Themen –, das unsere Feinde veranlassen könnte, Kolata zu töten. Doch wenn wir ihn über etwas so Alltägliches wie ein Ablagesystem befragen, werden sie ihn wohl nicht gleich umbringen, nicht wahr?«

»Vermutlich nicht«, pflichtete die Königin ihr bei, doch ihre Miene wirkte immer noch skeptisch.

»Das ist ja alles sehr klug ausgedacht, Baroneß«, sagte Stragen, »aber wir müßten zur Überprüfung tamulische Beamte in die verschiedenen Ministerien schicken. Wie sollen wir wissen, ob nicht einige von ihnen für die andere Seite arbeiten?«

»Das können wir nicht, Durchlaucht Stragen. Deshalb müssen wir unsere eigenen Leute – die Ordensritter – mit dieser Aufgabe betrauen.«

»Und wie sollten wir ihren Einsatz rechtfertigen?«

»Das neue Ablagesystem würde auf dem elenischen beruhen, Durchlaucht. Deshalb müssen wir zur Überprüfung der derzeitigen Methoden Elenier in die verschiedenen Ministerien senden, um den Beamten gleich zu demonstrieren, wie sie sich auf das neue System umstellen müssen.«

»Jetzt hab' ich Euch verstanden, Baroneß!« rief Stragen triumphierend. »Das alles ist reine Phantasie. Wir haben gar kein neues Ablagesystem!«

»Dann erfindet eines, Durchlaucht Stragen«, riet sie ihm lächelnd.

Premierminister Subat beunruhigte der Vorschlag, den der Finanzminister ihm soeben vorgelegt hatte. Die beiden saßen allein im prunkvollen Amtsgemach des Premierministers, das fast so prächtig war wie die kaiserlichen Audienzsäle. »Ihr seid übergeschnappt, Gashon«, sagte er grob.

Finanzminister Gashon war ein blutleerer, leichenähnlicher Mann mit eingefallenen Wangen, dessen erkahlten Schädel nur ein paar vereinzelte dünne Haarbüschel zierten. »Denkt in Ruhe darüber nach, Pondia Subat«, sagte er mit seiner hohlen, rostig klingenden Stimme. »Es ist nur eine Theorie, aber sie erklärt vieles, was anderenfalls unverständlich wäre.«

»Das hätten sie nicht gewagt!« behauptete Subat abfällig.

»Ihr müßt Euch endlich von Euren Ansichten aus dem vierzehnten Jahrhundert befreien, Subat!« sagte Gashon scharf. »Ihr seid der Premierminister, nicht der Direktor eines Museums für Frühgeschichte. Die ganze Welt verändert sich. Ihr könnt nicht bloß dasitzen, in die Vergangenheit starren und hoffen, daß Ihr überlebt.«

»Ich mag Euch nicht besonders, Gashon.«

»Ihr seid mir auch nicht allzu sympathisch, Subat. Laßt es mich Euch noch einmal erklären. Und versucht, diesmal dabei wach zu bleiben.«

»Wie könnt Ihr es wagen …!«

»Ich wage es, weil ich meinen Kopf gern auf dem Hals behalten möchte. Erstens: Die Elenier von Eosien sind ausgesprochene Barbaren. Sind wir uns wenigstens in dieser Hinsicht einig?«

»Ja.«

»Sie machten uns bisher keine großen Schwierigkeiten, weil sie viel zu sehr mit ihren Religionskriegen beschäftigt waren – und weil sie sich wegen Otha von Zemoch sorgen mußten. Würde es Euch sehr überraschen, wenn ich Euch erzählte, daß Otha jetzt tot ist, und daß die rendorische Rebellion so gut wie niedergeschlagen wurde?«

»Auch ich habe meine Informationsquellen, Gashon.«

»Aber habt Ihr je in Erwägung gezogen, darauf zu hören, was sie Euch berichten? Also, bevor dieser Dolmant auf den Erzprälatenthron erhoben wurde, gab es offenen Krieg auf den Straßen von Chyrellos. Meines Erachtens ist das ein deutlicher Hinweis darauf, daß Dolmant nicht überall beliebt ist. Sitzt ein Herrscher auf einem wackligen Thron, kann er seine Position am besten dadurch stärken, daß er sich eine Gefahr im Ausland ausdenkt. Und das einzige Territorium, das die Elenier des eosischen Kontinents als Ausland betrachten können, ist Daresien – das Tamulische Imperium. Das sind wir, Pondia Subat, falls Ihr es nicht bemerkt habt.«

»Das weiß ich, Gashon!«

»Ich wollte nur sichergehen. Könnt Ihr mir bis jetzt folgen?«

»Zur Sache, Gashon! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«

»Habt Ihr eine Verabredung mit dem Henker? Wie dem auch sei, die Elenier sind religiöse Fanatiker. Sie bilden sich ein, ihr Gott habe sie auserkoren, die ganze Welt zu ihrem absurden Glauben zu bekehren. Soviel ich weiß, möchten sie auch Schlangen, Spinnen und Fische bekehren. Dolmant ist ihr religiöser Führer. Wahrscheinlich würden die Elenier sogar versuchen, Gletscher und Gezeiten zu unterwerfen, würde er es ihnen befehlen. Aber Dolmant kann sich der Macht in seiner eigenen Kirche nicht mehr sicher sein. Andererseits gebietet er über riesige Horden religiöser Fanatiker. Er kann diese Leute einsetzen, um seine Gegner in der Heimat niederzuzwingen, und er kann mit ihnen den Überfall auf eine exterritoriale Macht vorbereiten. Das einfache Volk läuft jedem Agitator willig nach und läßt sich gegen die Herrschenden aufhetzen. Ist es nicht ein Zufall, daß wir ausgerechnet jetzt diesen ›Staatsbesuch‹ eines albernen Weibsbildes haben – einer Frau, die Königin von Elenien ist, wie Außenminister Oscagne behauptet? Ich hoffe, Euch ist nicht entgangen, daß nur Oscagnes Wort dafür steht. Diese sogenannte Königin hat offenbar mehr Erfahrung darin, ihre Geschäfte im Bett zu erledigen als auf einem Thron. Sie hat sich ohne Zweifel diesen Esel Alberen aus Astel hörig gemacht, und wahrscheinlich auch Androl von den Atanern.

Über ihre Abenteuer bei den Peloi und den Styrikern in Sarsos können wir nur Vermutungen anstellen. Dann lockt sie Kaiser Sarabian in ihr Schlafgemach, kaum, daß sie in Matherion eingetroffen ist. Ich wette, Ihr habt nicht gewußt, daß Sarabian und Oscagne bereits in der ersten Nacht, nachdem diese Elenierin hier angekommen war, durch die Schloßanlage zu dieser nachgebildeten elenischen Burg schlichen, oder?«

Subat wollte etwas einwenden.

Gashon ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Ja, ich weiß, das bringt uns zu Oscagne. Ich würde sagen, alles deutet darauf hin, daß Oscagne sich auf die Seite der Elenier geschlagen hat – entweder persönlichen Vorteils wegen, oder weil auch er diesem blonden elenischen Flittchen hörig ist. Sie hatte viel Zeit, sich mit ihm zu befassen, während er in Chyrellos war.«

»Das alles sind nur Vermutungen, Gashon«, entgegnete Subat, allerdings fehlte seiner Stimme jede Überzeugungskraft.

»Ja, natürlich«, erwiderte Gashon sarkastisch. »Wie kommt man am schnellsten von Chyrellos nach Matherion?«

»Mit dem Schiff, natürlich.«

»Warum hat dieses Flittchen aus Cimmura dann den Landweg gewählt? Um die Gegend zu bewundern? Oder um sich quer durch den Kontinent zu kämpfen? Stehvermögen hat dieses Weibsstück, das muß man ihr lassen.«

»Was ist mit diesem Putschversuch, der vor kurzem stattgefunden hat, Gashon? Die Regierung wäre gestürzt worden, hätten die Elenier nicht eingegriffen.«

»Ah, ja, der berühmte Putsch! Ist es nicht erstaunlich, daß eine Gruppe Elenier, die bei ihrer Ankunft nicht ein Wort Tamulisch beherrschten, dieses schreckliche Komplott innerhalb von sechs Wochen aufdecken konnten, während die Agenten des Innenministeriums, die seit ihrer Geburt hier sind, nicht auf den geringsten Hinweis stießen? Die Elenier haben einen von ihnen erfundenen Putsch niedergeschlagen, Subat, und jetzt benutzen sie ihn als Vorwand, den Kaiser in ihrer verdammten Festung festzuhalten – und Innenminister Kolata ebenfalls. Kolata ist der einzige in der Regierung, der unseren Herrscher befreien könnte! Ich habe mich mit Teovin unterhalten, dem Leiter der Geheimpolizei. Er sagte mir, daß niemand aus dem Ministerium privat mit Kolata sprechen durfte, seit er in der Burg gefangen ist. Und daß unser Kollege dort gefangengehalten wird, ist offensichtlich, ebenso die Tatsache, daß die Elenier ihm die Befehle vorschreiben, die er erteilt. Dann, als wäre das nicht schon schlimm genug, sandten sie den sogenannten Kirchenmann Emban zurück nach Chyrellos. Er soll die Ordensritter hierherführen, zur ›Klärung der Krise‹, wie es heißt. Wir haben die gesamten Kräfte des Innenministeriums und bestausgerüstete Armeen von Atanern hinter uns, Subat. Wozu brauchen wir da die Ordensritter? Welchen Grund könnte es geben, die skrupellosesten Streitkräfte der Welt nach Tamuli zu bringen? Würde das Wort Invasion Euch gefallen? Genau dafür sollte dieser angebliche Putsch dienen – als Ausrede für die elenische Kirche, in Tamuli einzudringen! Und ganz offensichtlich mit dem vollen Einverständnis des Kaisers.«

»Warum sollte sich der Kaiser mit den Eleniern zusammentun, um seine eigene Regierung zu stürzen?«

»Mir fallen da mehrere Gründe ein. Vielleicht hat diese sogenannte Königin ihm mit dem Entzug ihrer Gunst gedroht? Wahrscheinlicher jedoch ist, daß sie ihn mit Märchen über die Freuden der absoluten Macht becirct. Dieser irrigen Meinung scheinen alle Elenier zu unterliegen. Ihre Herrscher tun gern so, als träfen sie alle Entscheidungen in ihren Reichen, statt es ihrer Regierung zu überlassen, ihnen diese Arbeit abzunehmen. Wir beide wissen, wie lächerlich diese Vorstellung ist. Ein König – oder in unserem Fall der Kaiser – dient nur als Symbol der Regierung, weiter nichts. Er ist ein Idol, dem das Volk Liebe und Treue entgegenbringt. Seit gut tausend Jahren wählt die Imperiumsregierung die tamulische Gemahlin des Kaisers – jene, die den Thronerben zu gebären hat – stets nach ihrer Dummheit aus. Wir brauchen keine intelligenten Kaiser, sondern gefügige. Irgendwie ist bei Sarabian etwas schiefgegangen. Wenn Ihr Euch je die Mühe gemacht hättet, ihn im Auge zu behalten, hättet Ihr bemerkt, daß er erschreckend intelligent ist. Kolata hat nicht aufgepaßt! Sarabian hätte lange vor seiner Thronbesteigung beseitigt werden müssen. Ich fürchte, unseren verehrten Kaiser verlangt es allmählich nach wirklicher Macht. Normalerweise könnten wir etwas dagegen unternehmen. Aber wir kommen nicht an ihn heran, um ihn zu töten, solange er sich in dieser verflixten Festung aufhält.«

»Ihr spinnt da eine überzeugende Geschichte, Gashon«, gestand Subat ihm zu. »Ich wußte, daß es ein Fehler war, diesen Barbaren Sperber zu ersuchen, nach Matherion zu kommen.«

»Das wußten wir alle, Subat. Gewiß erinnert Ihr Euch, wer unsere Bedenken als Hirngespinste abtat.«

»Oscagne!« schnaubte Subat.

»Genau! Seht Ihr, wie sich alles zusammenfügt?«

»Seid Ihr ganz allein zu diesen Schlußfolgerungen gelangt, Gashon? Für jemanden, der fast seine ganze Zeit damit verbringt, Geld zu zählen, ist das mehr als bemerkenswert.«

»Um ehrlich zu sein, es war Teovin, der Leiter der Geheimpolizei, der mich darauf aufmerksam machte und mir sehr konkrete Beweise vorlegte. Ich habe die Angelegenheit nur für Euch zusammengefaßt. Das Innenministerium hat seine Agenten überall, wie Ihr wißt. Im Imperium geschieht nichts, ohne daß ein Bericht für seine berühmten Akten darüber verfaßt würde. Nun, Pondia Subat – wie beabsichtigt unser hochverehrter Premierminister darauf zu reagieren, daß unser Kaiser – freiwillig oder unfreiwillig – keine hundert Schritt von uns entfernt gefangengehalten wird? Ihr seid das nominelle Regierungsoberhaupt, Subat. Ihr müßt diese Entscheidungen treffen. Oh, und wenn Ihr schon dabei seid, solltet Ihr vielleicht auch gleich überlegen, wie wir verhindern können, daß die Ordensritter über den Kontinent fegen, in Matherion einmarschieren, alle zwingen, vor ihrem lächerlichen Gott niederzuknien – und nebenbei die gesamte Regierung niedermetzeln.«

»Sie versuchen, uns hinzuhalten, Majestäten«, berichtete Stragen. »Kaum ist Feierabend, geleiten sie uns zur Tür, schieben uns hinaus und sperren hinter uns ab. Das Gebäude bleibt die Nacht über geschlossen. Allerdings sind nach Einbruch der Dunkelheit eine Menge Lichter zu sehen, auch solche, die sich umherbewegen. Wenn wir dann am Morgen zurückkehren, finden wir alles umgestellt vor. Die Akten wandern offenbar von Raum zu Raum, ähnlich den Zugvögeln im Herbst. Ich könnte es nicht beschwören, aber ich glaube, sie tauschen auch Wände aus. Heute vormittag sind wir auf einen Raum gestoßen, der gestern nicht dagewesen ist, wenn mich nicht alles täuscht.«

»Ich werde Engessas Ataner schicken!« versprach Sarabian finster. »Wir treiben alle hinaus und reißen das Gebäude dann Stein um Stein ab.«

»Nein!« Ehlana schüttelte den Kopf. »Wenn wir offen gegen das Innenministerium vorgehen, wird sich jeder Ordnungshüter des Imperiums irgendwo verkriechen.« Sie schürzte die Lippen. »Beginnen wir damit, auch den anderen Ministerien auf die Nerven zu gehen. Es darf nicht auffallen, daß wir uns ausschließlich auf das Innenministerium konzentrieren.«

»Wie kann man etwas noch schlimmer machen, als es bereits ist, Majestät?« fragte Oscagne geknickt. »Ihr habt ohnehin in wenigen Tagen die Arbeit von Jahrhunderten durcheinandergebracht.«

»Fällt jemandem etwas ein?« Sarabian ließ den Blick in die Runde schweifen.

»Darf ich etwas sagen, Majestät?« fragte Alean schüchtern.

»Selbstverständlich, Liebes.« Ehlana lächelte.

»Ich hoffe, ihr verzeiht mir meine Anmaßung«, entschuldigte sich Alean. »Ich kann nicht einmal lesen und weiß nicht genau, was Akten sind. Aber wenn ich recht verstanden habe, behaupten wir, die Akten in ein neues System bringen zu wollen?«

»Das machen wir den anderen weis«, bestätigte Mirtai.

»Wie ich schon sagte, ich kann nicht lesen, aber ich verstehe etwas vom Umräumen von Schränken und dergleichen. Das ist doch so ähnlich, nicht wahr?«

»In etwa«, antwortete Stragen.

»Na ja«, meinte sie, »wenn man Schränke neu einräumen will, nimmt man erst alles heraus und verteilt es auf den Boden. Dann stellt man alles auf einen Haufen, was man in der obersten Schublade haben will; dann kommt das für die zweite Schublade auf einen anderen Haufen. Und so weiter. Könnte man das nicht auch mit den Akten so machen?«

»Das ist keine schlechte Idee«, lobte Caalador. »Aber im ganzen Gebäude gibt es nicht genug Bodenfläche, daß man die Akten dort verteilen könnte.«

»Es gibt doch große Rasen um die Gebäude, nicht wahr?« Alean hielt die Augen gesenkt, während sie sprach. »Könnten wir die Akten aller Regierungsgebäude nicht einfach hinaus auf die Rasenfläche schaffen und dort verteilen? Den Leuten, die in den Gebäuden arbeiten, sagen wir einfach, daß wir die Unterlagen ordnen wollen. Dagegen können sie nichts einwenden. Und ein Rasen läßt sich über Nacht nicht zuschließen. Ebensowenig kann man unbefugt etwas wegnehmen, wenn sieben Fuß große Ataner Wache halten. Ich weiß, ich bin nur eine unwissende Kammermaid, aber so jedenfalls würde ich es tun.«

Oscagne starrte sie entsetzt an.