21. 

 

blumeDuncan presste sich an die Hauswand, das zusammengedrehte Bettlaken lag neben ihm auf der Erde. Noch war keiner der Rotröcke zu sehen, aber er hörte Schüsse und Rufe. Direkt vor ihm lag eine Wiese. Bis Samuel und er zwischen den Bäumen verschwinden konnten, mussten sie eine Strecke von über hundert Schritt überbrücken, in freiem Gelände. Wie auf dem Präsentierteller. Links dagegen, an der Schmalseite des Hauses, erstreckten sich nach wenigen Schritten dichtes Unterholz und Bäume. Er gab Samuel, der näher an der Hausecke stand, ein Zeichen. Langsam wagte sich der Hüne vor. Duncan erstarrte; ein Soldat schob sich um die Ecke, das Gewehr mit dem aufgepflanzten Bajonett im Anschlag. Im nächsten Moment hatte Samuel sich auf den Mann gestürzt. Der Soldat schrie auf, fand aber keine Zeit mehr, seine Waffe abzufeuern. Duncan hörte es knacken, dann sank der Mann reglos zu Boden. 

»Bist du verletzt?«, flüsterte er. 

Samuel schüttelte den Kopf. Vorsichtig blickte Duncan an Samuel vorbei um die Hausecke. Alles war frei, der Soldat war alleine gewesen. Es war ein junger Mann, kaum älter als er selbst, der jetzt vor ihnen im Gras lag. Sein Kopf war verdreht wie eine vom Stängel abgeknickte Blüte. 

Samuel starrte auf seine Pranken. »Ich habe ihn umgebracht«, murmelte er. Er war fast so weiß wie die Hauswand. 

Duncan sah sich um. Dort, unter den Eukalyptusbäumen hinter den Büschen, bewegte sich etwas. Stand dort tatsächlich jemand und winkte ihnen? Er erkannte den blonden Haarschopf. Ja, das war – July! Er nickte ihr zu und zog den Hünen mit sich. 

* 

Sie hätte nicht herkommen dürfen. Die lauten Geräusche, das Knallen und der Rauch machten ihr Angst. Auch der Dingo an ihrer Seite zitterte und hatte den Schwanz unter seinen Körper geklemmt. Aber es hatte sie mit unwiderstehlicher Macht hergezogen. Auch wenn dort die Männer von Major waren und schlimme Dinge taten. Aber dort war auch Dan-Kin. Und er war in Gefahr, das spürte sie. 

Sobald Ningali merkte, dass Dan-Kin und der Riese sie gesehen hatten, drehte sie sich um und lief zurück. Ein Weg führte in den Wald, von Gestrüpp und niedrigem Gehölz befreit und mit Sand belegt. Ein Weg der Weißen. Keiner der Pfade ihres Volkes. 

Sie blieb stehen, drehte sich um und wartete, bis die beiden Männer zu ihr aufgeschlossen hatten. Aus dem großen Gebäude sah sie drei weitere Personen, die ganz ähnlich angezogen waren wie Dan-Kin und der Riese, in die andere Richtung laufen. Ein lauter Knall ertönte, dann brach einer der drei zusammen. Die anderen rannten weiter, hinein in den Wald. 

Männer in Rot und Weiß hatten den Toten, den der Riese umgebracht hatte, entdeckt und scharten sich um die Leiche. Dann deutete einer auf den Weg, genau in Ningalis Richtung, und rief etwas. Ein paar setzten ihnen nach. Ningali begann zu traben, ein leichter, müheloser Lauf, den sie lange Zeit durchhalten konnte. Dan-Kin und der Riese taten es ihr nach. 

Ihre Verfolger näherten sich. Ningali hörte das Geräusch der vielen Füße und blieb so abrupt stehen, dass der Riese fast gegen sie geprallt wäre. 

»Was …«, keuchte er. 

Sie legte den Finger auf die Lippen, zog Dan-Kin und den Riesen ins dichte Unterholz und bedeutete ihnen, sich zu ducken und den Kopf zu senken. Mehr konnte sie nicht von ihnen verlangen. Natürlich war es ihnen nicht möglich, wie die Eora geradezu mit der Umgebung zu verschmelzen. 

Es dauerte nur wenige Atemzüge, bis die Rot-Weißen auf dem Weg erschienen, unüberhörbar durch ihr Schnaufen und den gleichmäßigen Klang ihrer bekleideten Füße auf dem Waldboden. Kein Eora würde je so laufen; wie konnten sie da spüren, wo sie hintraten? Und jeder hatte eine dieser Waffen bei sich, die so schrecklich laut sein konnten. 

Sie hielt den Atem an. Auch die beiden Männer neben ihr verhielten sich still. Der Körper des Dingos an ihrer Seite vibrierte, seine Nackenhaare sträubten sich. Ein leises Knurren entwich seiner Kehle, er hatte drohend die Lefzen hochgezogen. Der hinterste ihrer Verfolger blieb stehen. Erneut knurrte der Dingo. Ningali spürte ihr Herz schlagen und legte dem Tier vorsichtig die Hand auf den Nacken. Dan-Kin hatte den Kopf gehoben, seine Miene war angespannt. Der Verfolger stand unschlüssig, lauschte in den atmenden, lebendigen Wald. Dann hob er die Schultern und rannte den Vorauseilenden hinterher. Ningali atmete lautlos auf. 

Als die Gefahr vorüber war, drehte sie sich zu Dan-Kin und lächelte ihn an. Seine Miene entspannte sich, dann richtete er sich auf und sagte etwas zu ihr, das sie nicht verstand. Nur den Namen, den Mo-Ra ihr gegeben hatte, erkannte sie. July. 

Sie sah ihn ernst an. »Nin-ga-li«, sagte sie langsam. Sie streckte die Hand aus und legte sie ihm auf die Brust. »Dan-Kin.« Für einen Moment konnte sie Erstaunen in seinen Zügen aufblitzen sehen. Glaubte er denn, sie wisse noch immer nicht, wie er hieß? Dann tippte sie sich mit der Hand auf ihre eigene Brust. »Ningali.« 

Er hatte verstanden. »Ningali.« Er zeigte auf den Riesen. »Samuel.« 

Dieser Sa-Mu mit den Haaren in der Farbe von frischem Blut war Ningali nicht ganz geheuer. So groß und stark, wie er war, erinnerte er sie an ein Tier. Sie würde darauf achten, ihm nicht zu nahe zu kommen. Aber er war ein Freund von Dan-Kin, also war es gut. 

Sie deutete nach vorne, in den dichten Wald, und richtete ihren Blick auf Dan-Kin. »Komm«, forderte sie ihn auf. Genau wie vor so vielen Tagen, als sie schon einmal versucht hatte, ihn zu den Ihren zu bringen. 

Er sah sie nachdenklich an, dann nickte er. Ningalis Herz jubelte. Diesmal würde er mit ihr gehen. 

* 

Die feuchte Schwüle hatte seine durchnässte Kleidung schon fast getrocknet. Jetzt knurrte sein Magen. Das war nach all der Aufregung dieses Tages ein Zeichen von solcher Normalität, dass Duncan grinsen musste. Überall im regenfeuchten Busch knackte, raschelte, lärmte es; fremde Geräusche einer fremden Welt. Über ihnen stieg laut kreischend ein Schwarm weißgefiederter Vögel auf. Es tropfte von den Sträuchern und den hohen Bäumen, von deren Stämmen die Rinde in langen Streifen hing, durch die schwere Luft wehte der Duft von feuchtem Gras, Erde und Eukalyptus. Inzwischen war es sicher später Nachmittag. Allerdings ließen die dichten Baumkronen kaum einen Blick zum Himmel zu. 

Der Waldboden war weich und schwammig vom Regen. Duncan achtete darauf, wohin er trat, schließlich wollte er nicht noch einmal einem gefährlichen Tier begegnen. Er genoss das Gefühl, wieder normal laufen zu können und nicht mehr die schweren Ketten an den Füßen zu haben, die jeden Schritt zu einer Qual gemacht hatten. 

Sie sprachen nicht. Samuel, der hinter ihm lief, war in sich gekehrt, als hinge er den Ereignissen der vergangenen Stunden nach. Und das Mädchen redete ohnehin fast nie. Sie verfolgte offenbar ein Ziel, auch wenn Duncan den Eindruck hatte, als würde sie weite Umwege laufen. Dennoch bezweifelte er nicht einen Moment, dass man ihr vertrauen konnte. Führte sie sie zu ihrem Stamm? 

Ningali hieß sie also. Es fiel Duncan schwer, den Namen July aus seinem Kopf zu streichen, so sehr hatte er sich an den Namen gewöhnt, den Moira ihr gegeben hatte. Wie lautlos sie die Füße setzte, wie anmutig sie sich neben dem Dingo in dieser Wildnis bewegte. Die blonden Haare bildeten einen auffälligen Kontrast zu ihrer braunen Haut, ihr schmaler, nur mit einem Lendentuch bekleideter Körper schien wie selbstverständlich in diese Umgebung zu gehören. Kein Wunder, dass man sie kaum wahrnehmen konnte, wenn sie sich nicht bewegte. Sein Respekt vor den Fähigkeiten der Eingeborenen stieg, bei denen selbst ein Kind in der Lage war, einen Trupp Rotröcke zu überlisten. 

Seine Gedanken gingen zurück zu Moira. Wahrscheinlich war sie noch in der Residenz des Gouverneurs und musste irgendeinem Verantwortlichen Rede und Antwort stehen. Aber sie war in Sicherheit. Die Erinnerung an ihre Umarmung, ihre jähe Freude bei ihrem Wiedersehen ließ eine warme Woge durch seine Adern schießen. 

Wäre er den anderen auch nach Parramatta gefolgt, wenn es ihm nicht um Moira gegangen wäre? Hätte er diese Chance auf Freiheit wirklich verspielt und damit riskiert, doch noch ausgepeitscht und auf die Teufelsinsel gebracht zu werden, ohne den Versuch zu machen, diesem Schicksal zu entkommen? Das alles schien so weit weg zu sein, dabei lag es erst wenige Stunden zurück. Was wurde wohl aus den anderen geflohenen Sträflingen? Wer nach Sydney marschiert war, würde bald wieder gefasst werden. So hatte es zumindest Mrs King dargestellt, und er hatte keinen Grund, diese Aussage anzuzweifeln. Und die anderen? Schon in Toongabbie hatten sich einige in den Busch geschlagen. Auch diese Flüchtigen würden nicht weit kommen. Nicht ohne Hilfe oder einen Plan. Nicht, dass sie selbst einen Plan gehabt hätten. Nachdem Samuel den Soldaten getötet hatte, konnten sie nicht mehr mit Milde rechnen. Aber für den Moment war er zufrieden, hinter dem Mädchen herzulaufen und abzuwarten, was der Tag ihm noch brachte. 

Als hätte Ningali gespürt, dass er sie beobachtete, blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. Ein Lächeln huschte über ihr dunkles Gesicht, als sie nach oben in die Krone eines mächtigen Eukalyptusbaums deutete. Zuerst erkannte Duncan nichts außer vielen lanzenförmigen Blättern in verschiedenen Grüntönen, aber dann sah er dort oben, an der Gabelung zweier Äste, ein Tier sitzen, das sich an einen Ast klammerte und zu schlafen schien. Es ähnelte einem kleinen grauen Bären mit einer schwarzen Knopfnase und weißen Fellbüscheln an den Ohren. 

»Koa-La«, flüsterte Ningali. 

Samuel trat neben ihn und legte den Kopf in den Nacken. »Kann man das essen? Denn wenn ich nicht bald was zu beißen kriege, hole ich das kleine Vieh da vom Baum und esse es roh!« 

Ningali schien zumindest die Bedeutung dieser Worte verstanden zu haben, denn sie lachte lautlos, wies nach vorne und ging weiter. 

Es roch nach gebratenem Fleisch. Zuerst dachte Duncan, seine Sinne spielten ihm einen Streich, aber schnell verstärkte sich der Geruch. Das war keine Einbildung. 

»Hol mich doch –«, Samuel fuhr zurück, als wie aus dem Nichts ein sehniger, hochgewachsener Eingeborener vor ihnen stand, auf einen Speer gestützt. Er sprach nicht, neigte nur wortlos den schwarzen Krauskopf und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. 

Die Bäume lichteten sich. Vor ihnen erhoben sich einige einfache Behausungen, aus Ästen und Rinde gefertigt. In einem Feuer briet ein Tier direkt auf dem Holz. Mehrere nackte, dunkelhäutige Kinder rannten ihnen entgegen und umringten sie. Einige hatten dasselbe goldblonde Haar wie Ningali, doch alle wiesen eine dunklere Hautfarbe auf als sie. Dahinter kamen die Erwachsenen, Männer und Frauen. Eine von ihnen, eine ältere Frau mit kurzgeschorenen Haaren, trat zu ihnen, sprach ein paar unverständliche Worte und legte Ningali die Hand auf den Kopf, als wollte sie sie segnen. Duncan senkte den Blick, um ihr nicht auf die schweren, hängenden Brüste zu starren. Dass auch die erwachsenen Frauen bis auf eine Schnur um die Hüften unbekleidet waren, irritierte ihn. 

Er ließ zu, dass die Schwarzen seine Kleidung anfassten, über seine Haare strichen und über seine Haut rieben. Fast wie damals auf dem Schiff, nach ihrer Ankunft im Hafen von Sydney, ging ihm durch den Kopf. Fehlte nur, dass sie seine Zähne prüften. Ein Blick zur Seite zeigte ihm, dass Samuel mit seiner Körpergröße und dem roten Haarschopf noch größeres Augenmerk auf sich zog. Mit leicht geöffnetem Mund stand der Hüne da und schien dieses Interesse an seiner Person zu genießen. 

Der Duft nach Gebratenem, der über der Lichtung hing, ließ Duncans Magen erneut vernehmlich knurren. Die alte Frau öffnete den Mund zu einem zahnlosen Lachen, dann stimmten auch die anderen ein. 

Jemand trug eine mit Wasser gefüllte Schale herbei, die sie sich durstig teilten, dann drängte man sie zum Feuer, nötigte sie auf ausgelegten Zweigen zum Sitzen und brachte ihnen zu essen. Das gebratene Tier ähnelte dem seltsamen Dachs, den Duncan vergeblich in den Bergen zu fangen versucht hatte. Das Fleisch war durchaus schmackhaft, wenn auch etwas zäh und hier und da fast roh. Wie lange hatte er kein Fleisch mehr gegessen? Es gab noch andere Gerichte: gegarte Wurzeln, eine Art Fladenbrot sowie ein paar große weiße Maden. Duncan konnte sich nicht überwinden, sie zu essen, von seinen Gastgebern wurden sie aber mit offensichtlichem Genuss verspeist. 

»Nette Menschen«, schmatzte Samuel neben ihm mit vollem Mund und biss schon wieder in ein Stück Fleisch. »So freundlich hat mich lange niemand mehr empfangen. Obwohl ich keine Ahnung habe, was ich hier esse.« 

Duncan drehte sich zu Ningali, die die ganze Zeit nicht von seiner Seite gewichen war, und deutete auf die Überreste des Tieres. »Was ist das?« 

Sie lächelte und sagte etwas, das wie »Wom-Back« klang. 

Die Abenddämmerung legte sich rubinrot über das kleine Lager mit den Rindenhütten, das Feuer warf zuckende Schatten in die Bäume. Duncan schien es, als kämen immer weitere Eingeborene, um sie zu begutachten. 

»Wie heißt euer Stamm?«, wollte er von Ningali wissen. Ob sie ihn verstand? 

»Es heißt Clan, nicht Stamm«, erklang in diesem Moment eine tiefe Stimme auf Englisch hinter ihm. 

Duncan zuckte zusammen und drehte sich um, heißer Schreck durchfuhr ihn. Waren ihnen die Rotröcke bis hierher gefolgt? Aber schon war Ningali aufgesprungen und zu dem Neuankömmling gelaufen. Auch Duncan richtete sich auf. 

Es war kein englischer Soldat, der da gesprochen hatte. Der Oberkörper des Mannes war in ein struppiges Fell, wahrscheinlich das eines Kängurus, gehüllt. Ein dichter grauer Bart bedeckte den größten Teil seines Gesichts, die langen grauen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden. 

»Bei meinen Eiern!«, entfuhr es Samuel, der neben Duncan auf die Füße kam. »Ihr seid ein Weißer!« 

Ningali schmiegte sich an den Graubärtigen. War das etwa ihr Vater? Das würde zumindest ihre hellere Hautfarbe erklären. 

»Was macht ein Weißer an diesem Ort?«, fragte Samuel. »Unter Wilden?« 

»Sie sind keine Wilden«, gab der Mann zurück. »Sie gehören zum Clan der Eora, und sie leben hier, seit ihre Ahnen das Land geschaffen haben. Die Weißen haben ihnen nur Krankheit und Tod gebracht.« Er klang, als sei es lange her, dass er Englisch gesprochen hatte. Dennoch war der irische Akzent unüberhörbar. 

»Hört sich an, als wärt Ihr einer von ihnen«, sagte Samuel. 

»Das bin ich. Seit vielen Jahren. Hier nennt man mich Bun-Boe.« Der Graubärtige strich dem Mädchen über den Kopf. »Und das ist meine Tochter Ningali. Hat sie Euch hierhergeführt? Dann seid willkommen.« 

Samuel wischte sich den Mund ab, rülpste zufrieden und streckte ihm seine riesige Pranke hin. »Fitzgerald. Samuel Fitzgerald. Und das ist – he, was ist los mit dir, Mann?« 

Duncan konnte nicht anders, als diesen Bun-Boe anzustarren. Eine ganze Kaskade von Empfindungen rauschte durch ihn hindurch. Die Stimme! Er kannte diese Stimme! Sie berührte etwas tief in seinem Inneren. Etwas, das viele Jahre zurücklag. Konnte es sein, dass … Nein, das war unmöglich. Völlig unmöglich. 

»Ihr kommt aus Irland?«, fragte er mühsam. 

Bun-Boe nickte. 

»Woher genau?« 

Der Ältere kniff die Augen unter den buschigen Brauen zusammen. »Aus der Gegend von Waterford. Wieso wollt Ihr das wissen?« 

»Kein Grund, uns zu misstrauen«, mischte sich Samuel ein. »Ihr seid ein geflohener Sträfling, nehme ich an. Das sind wir ebenfalls.« 

Duncan spürte sein Herz laut schlagen, er kam sich vor wie in einem Traum. Er musste mehr wissen, mehr erfahren … 

»Ich kannte jemanden aus Waterford«, sagte er langsam, während er den Graubärtigen genau beobachtete. »Ihr Name war Eileen Kelly. Das schönste Mädchen der ganzen Grafschaft.« 

Bun-Boe zuckte zusammen. »So habe ich sie immer genannt!« Er blickte Duncan argwöhnisch an. »Ihr seid viel zu jung, um sie gekannt zu haben. Wer seid Ihr? Was wollt Ihr von mir?« 

»Sie hat einen Jungen zur Welt gebracht«, fuhr Duncan leise fort, ohne auf die Frage einzugehen. »Im Dezember Fünfundsiebzig.« 

»Wer in Gottes Namen seid Ihr?« Bun-Boes Stimme klang plötzlich heiser. »Was habt Ihr mit Eileen zu tun? Lasst die Toten in Frieden ruhen!« 

Duncan blickte ihn schweigend an, das Herz trommelte in seiner Brust. »Sie war meine Mutter«, sagte er kaum hörbar. 

Trotz des flimmernden Feuerscheins sah er, wie dem Älteren jede Farbe aus dem Gesicht wich. »O mein Gott. Duncan?« 

»Moment mal«, unterbrach ihn Samuel und schaute vom einen zum anderen. »Was hat das zu bedeuten? Ihr kennt euch?« 

Duncan nickte langsam, ohne den Blick von dem Mann zu nehmen. »Das ist Joseph O’Sullivan. Mein Vater.« 

* 

»Mrs McIntyre, ich frage Euch zum letzten Mal: Wo sind dieser O’Sullivan und sein Spießgeselle?« Major Penrith beugte sich vor, legte die Fingerspitzen zusammen und sah Moira mit seinen wässrig-kalten Augen durchdringend an. 

»Und ich sage Euch zum letzten Mal, dass ich es nicht weiß«, erwiderte Moira. Das Licht der Kerze, die auf dem wuchtigen Schreibtisch im Kontor des Gouverneurs stand, spiegelte sich im Fenster. Nicht einmal einen Stuhl hatte man ihr angeboten, so dass sie stehen musste wie ein Dienstbote. Normalerweise pflegte an diesem Schreibtisch wohl der Gouverneur seine Briefe zu schreiben und sonstige Angelegenheiten zu regeln. An diesem Abend allerdings hatte sich Major Penrith dahinter niedergelassen. Ob der Gouverneur diese Eigenmächtigkeiten gutheißen würde?, ging es Moira durch den Kopf. Sie versuchte, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. 

Der Major hatte das Haus und die Nebengebäude durchsuchen lassen. Bis auf zwei Sträflinge, die man versteckt in einem Schuppen gefunden hatte, waren alle Rebellen geflohen oder erschossen worden. Danach war eine Abteilung Soldaten in Richtung Sydney geschickt worden, um die rebellischen Sträflinge wieder einzufangen, eine andere befand sich auf dem Weg zum Hawkesbury, um den Gouverneur über die Vorfälle zu informieren. Im Haus selbst dürften sich jetzt, wie Moira vermutete, nur noch wenige Rotröcke aufhalten. 

» Mrs McIntyre, Ihr tätet gut daran, die Wahrheit zu bekennen.« Der Major lehnte sich selbstgefällig wieder zurück und streckte die langen Beine in den blankgeputzten Stiefeln aus. »Ihr macht Euch strafbar, wenn Ihr etwas verschweigt.« 

Moira blickte ihn verächtlich an und blieb stumm. Wenn wenigstens Mrs King bei ihr gewesen wäre. Aber der Major hatte Moira alleine sprechen wollen. Oder fast alleine. Was Moira am meisten überrascht hatte, war nicht die Tatsache, dass der Major hier aufgetaucht war – damit war zu rechnen gewesen –, sondern dass er McIntyre mitgebracht hatte. Der alte Bock hatte noch kein Wort mit ihr geredet. Auch jetzt saß er stumm auf einem Stuhl in der Ecke des Zimmers. Er sah aus, als sei ihm übel. 

»Falls Ihr Euch fragt, was mir so wichtig an diesem O’Sullivan ist«, der Major bedachte sie mit einem anzüglichen Blick. »Lasst mich zusammenfassen: Bisher wurden ihm Falschmünzerei, Flucht und Entführung vorgeworfen. Ach nein, es war ja gar keine Entführung. Dann also Ehebruch.« Ein schmales Lächeln erschien auf seinem englischen Aristokratengesicht. »Ihr seid überrascht, Mrs McIntyre? Ja, ich weiß Bescheid über Eure geheime Liebelei.« 

Siedend heiß schoss es durch ihre Adern. Sie warf einen raschen Blick auf ihren Mann, der auf seinem Stuhl saß wie ein Häuflein Elend. Ob er den Major eingeweiht hatte? Sein Schweigen legte das nahe. Aber dann verwarf sie es wieder; zu sehr war McIntyre stets darauf bedacht gewesen, dass nichts von dieser delikaten Angelegenheit an die Öffentlichkeit drang. Insofern musste es eine große Demütigung für ihn darstellen, dass ausgerechnet der Major über diese Sache informiert war. Für einen winzigen Moment blitzte so etwas wie Mitleid in ihr auf. Dann verschwand es wieder. McIntyre hatte Duncans Verbannung nach Norfolk Island nicht verhindern wollen. Er verdiente kein Mitleid. 

»Ihr wäret gut beraten«, fuhr der Major fort, »Euch beizeiten etwas weniger kratzbürstig zu gebärden. Vielleicht ist Euer Mann dann so gnädig und vergisst diese ganze unschöne Geschichte. Sobald man O’Sullivan gefasst hat, wird er nämlich am Galgen baumeln.« 

»Am Galgen?« Moiras Stimme überschlug sich fast, jähe Angst schnürte ihr die Kehle zu. Erneut blickte sie zu McIntyre, dessen Kehlkopf sich bewegte, als würde er krampfhaft schlucken. »Kein Sträfling wird gehängt, nur weil er geflohen ist. Das rechtfertigt keine –« 

»Nein, natürlich nicht nur deswegen«, gab der Major zurück. Er wirkte ausgesprochen zufrieden. »Hatte ich das nicht erwähnt? Nun, dann wird Euch betrüben zu hören, dass mit dem heutigen Tag noch ein paar gravierende Anschuldigungen hinzugekommen sind. Rebellion, erneute Flucht sowie Mord.« 

Moiras Herz schien für einen Schlag auszusetzen. »Mord?« 

»So ist es. Er hat auf der Flucht einen Soldaten getötet. Dafür wird man ihn aufknüpfen und so lange hängen lassen, bis sein Körper verrottet ist.« 

Eine eiskalte Hand schien ihre Kehle zusammenzudrücken. »Das glaube ich nicht. Das … das würde er niemals tun.« Der Major wollte ihr nur Angst machen. Duncan hatte niemanden getötet. Und sie würden ihn auch nicht hinrichten. 

»Da wäre ich mir nicht so sicher. Diese irischen Verbrecher sind zu allem fähig. Sie haben keine Ehre und keine Moral.« Der Major legte die Hände zusammen. »Ich kann es gar nicht erwarten, diesen Bastard baumeln zu sehen.« 

»Der Einzige, der hier keine Ehre hat, seid Ihr«, gab Moira mit so viel Verachtung zurück, wie sie aufbringen konnte, obwohl sie ihn am liebsten angeschrien hätte. »Wenn es so etwas wie göttliche Gerechtigkeit gibt, dann werdet Ihr dereinst in der Hölle schmoren.« 

»Moira, du wirst auf der Stelle ruhig sein!« Zum ersten Mal mischte sich McIntyre in das Gespräch ein. 

»Nein, nein, McIntyre, lasst sie nur!«, winkte der Major ab. »Ich finde es höchst amüsant, was sie zu sagen hat.« Er wischte einen Fussel von seiner Uniformjacke. »Was findet Ihr eigentlich an diesem O’Sullivan, dass er Euch dermaßen den Kopf verdreht?« 

Für einen Augenblick hatte Moira den Eindruck, als würde der Major bei dieser Frage nicht sie, sondern ihren Mann ansehen. McIntyre schwitzte, feine Schweißtröpfchen standen auf seiner Oberlippe. Er holte ein Taschentuch aus seiner Westentasche und fuhr sich damit über das Gesicht. War er krank? 

»Nun, so kommen wir nicht weiter«, sagte der Major. »Ich schlage vor, Ihr zieht Euch zurück. Vielleicht vermag die Nachtruhe Euer Gedächtnis aufzufrischen.« Er rief den Soldaten, der vor der Tür stand, herein. »Bringt Mrs McIntyre nach oben ins Gästezimmer. Ihr, McIntyre, bleibt, mit Euch habe ich noch zu reden.« 

Moira blieb noch einen Augenblick stehen. »Bin ich Eure Gefangene?« 

»Aber nicht doch, Mrs McIntyre. Ihr könnt Euch frei bewegen. Und falls Euch noch etwas einfallen sollte, dann zögert nicht, mich aufzusuchen.« 

Sie zog es vor, nicht darauf zu antworten, drückte den Rücken durch und folgte dem Soldaten die Treppe hinauf in den ersten Stock. 

* 

Duncans Kopf war vollständig leer. Was hatte er da gesagt? Dieser Mann konnte nicht sein Vater sein. Sein Vater war tot. Man hatte ihn vor über dreizehn Jahren wegen Pferdediebstahls hingerichtet. Er musste träumen. Das alles passierte gar nicht wirklich. Sicher würde er gleich aufwachen und sich gefesselt im Vorratsschuppen wiederfinden. 

»O Gott, Duncan – bist du es wirklich?« Der andere – sein Vater? – schloss ihn in die Arme. Duncans Körper versteifte sich in unwillkürlicher Abwehr. »Das … das ist ja einfach unglaublich! Der Herrgott und alle Heiligen seien gepriesen! Du weißt ja gar nicht, wie sehr ich dich vermisst habe! Ich … ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen!« 

Duncan atmete schwer und ballte die Fäuste, bis sich seine Fingernägel schmerzhaft in seine Handflächen bohrten. Das fehlte noch, dass er hier in Tränen ausbrach. Fast grob befreite er sich aus der Umarmung. Sein Blick fiel auf Ningali, die sie schweigend und nahezu bewegungslos beobachtete. Nur ihre Augen glitten von einem zum anderen, verfolgten aufmerksam jede Bewegung. Verstand sie, was hier vor sich ging? 

»Ich fass es nicht!« Samuels Schlag traf Duncans Schulter. »Das ist dein alter Herr? Freut mich, freut mich sogar sehr, Mr O’Sullivan.« Er schüttelte dem Älteren erneut die Hand. »Mensch, Duncan, wenn das keine göttliche Fügung ist, dann will ich Protestant werden. Hast du nicht gesagt, dein Vater sei tot?« 

Duncan nickte wie betäubt. Er verstand überhaupt nichts mehr. Urplötzlich fühlte er sich wieder wie der kleine Junge, dem der Kerkermeister gesagt hatte, dass man seinen Vater gehängt habe. Oder waren dessen Worte weniger deutlich gewesen? Möglicherweise hatte er auch nur gesagt: »Den haben sie vorhin abgeholt, um ihn aufzuhängen.« So genau konnte Duncan sich nicht mehr daran erinnern. Er wusste nur noch, dass ab diesem Zeitpunkt seine Kindheit zu Ende gewesen war. 

»Wieso?«, murmelte er. »Wieso bist du am Leben? Wieso bist du hier?« 

Joseph O’Sullivan wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht, einige glitzerten noch in seinem Bart. »Das hat Zeit. Lass uns doch erst einmal feiern!« 

»Nein«, sagte Duncan. »Du wirst es mir jetzt erklären!« 

»Duncan, sei nicht so unfreundlich«, mischte Samuel sich erneut ein. »Und was ist denn gegen ein bisschen Feiern einzuwenden?« 

Duncan schüttelte den Kopf. »Er wusste, dass ich lebe. Ich wusste nichts von ihm.« 

Samuel hob die Schultern. »Tu, was du für richtig hältst. Ich werde jedenfalls sehen, dass ich noch etwas zu essen bekomme.« Er nickte Ningali zu. »Komm, Mädchen, lassen wir die beiden allein.« 

»Ich konnte entkommen«, begann Joseph O’Sullivan, genannt Bun-Boe, nachdem er sich neben Duncan am Feuer niedergelassen hatte. Allmählich sprach er sicherer. Als würde er sich nach und nach wieder an seine Muttersprache erinnern.  

»Sie haben mich und zwei andere durch die Gassen zum Galgen geführt. Einer der anderen ist auf dem Weg zusammengebrochen und fing an zu flennen. Sie mussten ihn mit Gewalt wieder auf die Beine stellen und mit sich ziehen. Da bin ich losgerannt. Irgendwie kam ich zum Hafen und versteckte mich im Laderaum des erstbesten Schiffes. Es fuhr nach England.« 

Duncan blickte auf, als jemand zu singen begann. Ein fremdartiger, gleichförmiger Gesang, erst aus einer einzelnen Kehle, dann fielen mehrere Frauen mit ein. Weiter hinten konnte er Samuel sehen, der sich über sein nächstes Stück Fleisch hermachte. 

»Warum hast du dich nicht bei mir gemeldet?«, wandte er sich wieder an Bun-Boe. Joseph. Duncan würde ihn mit diesem Namen anreden. Ihn Vater zu nennen, brachte er nicht fertig. Noch nicht. »Ich dachte, du wärst tot!« 

»Wie hätte ich das denn tun sollen? Ich kann weder lesen noch schreiben, und du auch nicht.« 

Doch, wollte Duncan widersprechen. Vater Mahoney hat es mir beigebracht. Aber er schwieg. Das war jetzt nicht wichtig. 

»Ich war auf der Flucht«, fuhr Joseph fort. »Niemand durfte wissen, wo ich bin. Es war besser, wenn alle glaubten, ich sei tot. Haben sich unsere Leute denn nicht um dich gekümmert?« 

»Sie sind weitergezogen. Als man mich endlich freiließ, waren sie nicht mehr da«, gab Duncan düster zurück. Wahrscheinlich hatte man die Tinker vertrieben, wie schon so oft. Es war die härteste Zeit seines jungen Lebens gewesen. Noch heute erinnerte er sich an die vielen Nächte, die er schwach vor Hunger in Hauseingängen und alten Schuppen verbracht hatte. An die Angst, nie wieder ein Heim zu finden und ganz allein sterben zu müssen. 

»O Gott, Junge, das tut mir so leid. Natürlich wollte ich zurückkommen und dich holen. Du warst doch alles, was ich hatte.« Erneut strich Joseph sich mit dem Handrücken über die Augen. 

Ein neuer Ton mischte sich in den Gesang, die Frauen schlugen jetzt flache Stöcke aufeinander. Die Männer hatten sich in einer Reihe aufgestellt und begannen einen eigenartigen Tanz. Ruckartige Bewegungen, stampfende Füße, ähnlich wie die Tritte eines Tiers, zum Teil mit erhobenem Speer, als würden sie einem imaginären Feind drohen. Zwei Männer hatten sich dichtes Blätterwerk an die Knöchel gebunden, bei jedem ihrer stampfenden Tritte raschelte es. Dazu der monotone Singsang der Frauen, kehlig, fremd und von hypnotischer Schönheit. 

»Wovon singen sie?«, fragte Duncan. 

»Von der Zeit, als ihre Ahnen das Land schufen«, gab Joseph andächtig zurück. »Von der roten Erde und der Herkunft des Feuers.« 

Der flackernde Feuerschein huschte über die dunklen Gesichter und Körper. Noch immer war sich Duncan nicht sicher, ob er nicht doch träumte. All das – die tanzenden Eora, der Gesang, sein Vater – schien mehr einem wirren Fiebertraum entsprungen zu sein als der Wirklichkeit. 

Josephs Stimme riss ihn zurück. »Ich habe mich bis nach London durchgeschlagen«, sprach er weiter. »Aber dort ging es mir nicht besser als in Irland. Ich habe versucht, über die Runden zu kommen, aber ich hatte kein Geld und nichts zu essen. Ich musste stehlen, um zu überleben. Und dann haben sie mich ein zweites Mal geschnappt. Und wieder verurteilt, diesmal zu lebenslänglicher Deportation nach Neuholland, wo eine neue Strafkolonie errichtet werden sollte. Ich war schon unter Deck, kaum dass ich wusste, wie mir geschah. Acht Monate später trafen wir mit elf Schiffen in diesem Land ein. Mit siebenhundert Sträflingen haben wir aus dem Nichts angefangen. Oh, es waren harte Zeiten! Nur Hunger und Arbeit, und für jedes kleine Vergehen gab es die Peitsche.« Er verzog das Gesicht zu einem vagen Grinsen. »Ich bin nicht lange geblieben. Nach ein paar Wochen konnte ich meinen Bewachern entkommen. Ich landete bei diesen freundlichen Menschen hier und nahm mir eine von ihnen zur Frau. Sie bekam ein Kind, aber dann kam die Seuche. Viele starben. Auch sie.« 

Duncan sah erneut zu den Tänzern. Der monotone Gesang der Frauen und der Tanz der Männer verschmolzen zu einer einzigen Wahrnehmung. Sein Blick fiel auf Ningali, die bei den Frauen saß und wie diese rhythmisch zwei flache Stöcke aufeinander schlug. In diesem Moment wandte sie ihm ihr Gesicht zu, und ihre kindlichen Züge erstrahlten in einem Lächeln. 

»Ningali«, murmelte er, als sich schlagartig die Erkenntnis in ihm formte. »Deswegen! Sie ist … meine Schwester!« 

Joseph nickte. »Deine Halbschwester. Was meinst du mit ›deswegen‹?« 

Duncan war leicht schwindelig, als hätte er zu viel getrunken. »Sie war immer in meiner Nähe. Sie hat mir geholfen. Mehrmals.« So rasch wie möglich berichtete er von seinen Begegnungen mit dem Mädchen. »Woher wusste sie es? Wie konnte sie wissen, dass wir … dass wir Geschwister sind?« Geschwister. Welch ungewohntes Wort für ihn, der nie einen Bruder oder eine Schwester gehabt hatte. 

Joseph schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich denke nicht, dass sie es wusste. Sie wird es gespürt haben. Sie hat eine ganz besondere Gabe. Nach ihrer Initiation wird sie zur Schamanin ausgebildet werden. Wie ihre Großmutter.« 

Der Abend ging über in die Nacht. Ein blauschwarzer Himmel breitete sich über ihnen aus, die ersten Sterne glänzten über den Baumwipfeln. Nachdem der Gesang der Eora verstummt war und die Tänzer zur Ruhe gekommen waren, durchdrang eine neue Stimme die nächtliche Stille. Eine klangvolle, dunkle Stimme. Samuel sang, dasselbe irische Liebeslied, das Duncan schon einmal von ihm gehört hatte und das von Heimweh und verlorener Liebe erzählte. Mit plötzlicher, schmerzhafter Heftigkeit wünschte er, Moira könnte hier bei ihm sein. Er sehnte sich nach ihr, nach ihrem Lachen, ihrer Berührung. Und während die Nacht voranschritt und sich die Eora allmählich in die Hütten zurückzogen oder zum Schlafen um das Feuer legten, begann auch Duncan zu reden. Von seinem Leben in Irland, von seiner Verurteilung und von seinem Leben als Sträfling. Und von Moira. 

Nachdem Duncan geendet hatte, saß Joseph für eine Weile stumm neben ihm und blickte in das flackernde Feuer. 

»Ich habe eine Idee«, sagte er dann.