25
»Komm rein«, sagte Rudi. »Bin leider noch nicht dazu gekommen, aufzuräumen.«
Er hatte seinen freien Abend und war entsprechend gekleidet. Ein leuchtend blaues Seidentuch über einer weiten Tischdecke mit indischen Mustern darauf.
Diesmal hatte ich kaum eine halbe Stunde bis zur Weinstube gebraucht, vielleicht deshalb, weil ich auf die Hilfe ortskundiger Einheimischer verzichtet hatte. Kasolaskos Bude lag im trüben Halbdunkel unter Schwaden von chinesischen Düften. Aus irgendeiner Ecke tönte Wish you were here von Pink Floyd.
»Was macht dein gefährlicher Job, Schnüffler?«, fragte Rudi.
»Deswegen bin ich hier. Ich muss drei Morde aufklären, die keine waren.«
»Hört sich direkt interessant an.«
»Und einen vierten, der doch einer war.«
Der Mann mit der weißen Mähne griff unter seine Decke und förderte eine Packung Tabak hervor. Während er seine Zigarette drehte, ließ er sich auf eine fleckige Matratze fallen, die unter der Papierlampe lag. »Das war auch keiner«, brummte er zerknirscht. »Ein Unfall war das. Genauer gesagt, eine Panne. Lamm Amirstan – das sollte mein Meisterwerk werden. Aber so geht das – irgendwelche Scheißdilettanten vermasseln alles.«
»Was?«
»Stanley Ellin, ist dir der ein Begriff?« Er blies mir den Rauch seiner Mentholzigarette entgegen und mich umnebelte ein Geruch, als wäre Kasolasko dabei, eine Packung Halstabletten abzufackeln. »Die Spezialität des Hauses? Irgendwann bringe ich den Stoff auf die Bühne, das ist alles schon fix und fertig hier drin.« Sein Zeigefinger trommelte gegen seine Stirn und erzeugte einen hohlen Klang. »Ein Restaurant, in dem es für besondere Gäste Besonderes gibt. Nichts weiter. Und wenn es auf den Tisch kommt, fehlt plötzlich einer der Gäste. Niemand sieht ihn jemals wieder. Ich wollte Lamm Amirstan zubereiten und das so, dass allen die Spucke wegbleibt. Und dass Kim endlich begreift, was ich mit einem Special Effect alles zaubern kann.«
»Und was hat die Hand damit zu tun?«
»Die Hand – das ist Lamm Amirstan. Das Schockierende an der Sache. Überleg doch mal: Wie willst du darstellen, dass das nicht einfach nur ein stinknormales Steak ist? Es ist ja keins, das ist der Witz. Deshalb habe ich die Hand besorgt.«
»Aus der Gerichtsmedizin.«
»Ich habe meine Leute. Weiß gar nicht mal, woher die die haben. Will es auch nicht wissen.«
Rudi Kasolasko war mir unheimlich. Ich war mir nicht sicher, ob man das, was er war, als durchgeknallt bezeichnen konnte. Und ich wollte es auch nicht wissen.
»Die Hand sollte von einem Teller baumeln, kannst du dir das so halbwegs vorstellen? Also, die Hand baumelt von dem Teller, tot und kalt. Und noch während sich Martens gegruselt hätte, hätte sich die Hand plötzlich bewegt. Absolute Spitze! Aber der Mechanismus hatte eine Macke. Es war ein blöder Wackelkontakt in der Fernbedienung. Also bin ich zum Baumarkt und habe mir Ersatzteile besorgt. Während ich weg war, muss dieser Hendrix aufgekreuzt sein. Und das, obwohl Kim versprochen hatte, dass ich sturmfreie Bude hätte.«
»Der hat sich wieder einmal in die Wanne gelegt.«
»Ja. Ich habe das Ding repariert und bin ahnungslos zurückgefahren. Dann bin ich dreimal um den Block gekurvt, aber es gab keine Parkplätze, nichts zu machen. Und dann habe ich, während ich an der Ampel stand, die Batterien hineingeschoben und die Fernbedienung betätigt.«
»Und die Hand auf der Fensterbank ballte sich zur Faust.«
»Genau. Dadurch muss sie abgerutscht sein.«
»Platsch! Mitten in die Wanne.«
»Scheiße! So kam es, dass das, was Stanley Ellin ein Denkmal errichten sollte, am Ende aussah wie ein lausiges Remake der Barschel-Affäre.«
Kasolasko mochte sich für den Michelangelo des Special Effects halten, aber in Wirklichkeit war er der Frankenstein der Volksbühne.
»Als ich dann endlich einen Parkplatz hatte, sah ich die Polizeiautos. Da hab ich mich lieber verkrümelt.«
»Alles war also nichts als ein Unfall, was? Und dass Kim Martens jetzt wieder frei zum Anbaggern ist, das ist nur so ein zufälliger Nebeneffekt.«
Rudi Kasolasko war ehrlich bestürzt. »Das ist doch nicht dein Ernst, Mann! Du denkst, ich hätte diesen Bücherwurm mit Absicht zum Absaufen gebracht?«
»So was Ähnliches geht mir gerade durch den Kopf.«
»Aber du kapierst nicht mal die Hälfte! Hendrix hatte da nichts zu suchen! Woher sollte ich denn wissen, dass er sich völlig unangemeldet in meine Inszenierung drängelt?«
»Warum solltest du diese Inszenierungen sonst kreiert haben?«
»Ich habe es für Kim getan. Sie hat mich drum gebeten.«
»Sag ich ja. Um bei ihr Punkte zu sammeln…«
»Das auch. Geb ich ja zu. Aber Fakt ist auch, dass sie mir ein Angebot gemacht hat, dass ich nicht abschlagen konnte.«
»So wie es Fakt ist, dass dein Laden vor der Pleite steht. Und da ist man nicht wählerisch.«
Er wiegte den Kopf hin und her und schüttelte seine weiße Mähne wie ein Hund, der aus dem Wasser kam. »Du weißt ja nicht, wie das ist. Die Konkurrenz ist hart. Das Geld ist knapp. Und wenn dir da einer einen Scheck rüberreicht, mit dem du locker drei Jahre weiterkommst, dann überlegst du nicht lange.«
»Mir scheint, in diesem Fall ist ›nicht lange‹ eine schamlose Übertreibung.«
»Kim hat mir aus der Patsche geholfen. Und alles, was sie dafür wollte, war dreimal Pommes rot-weiß.«
»Was wollte sie?«
»Damit ist eigentlich die Standardausführung gemeint. Ein Toter, Blut, ein paar Einschusslöcher. Das Übliche. Aber ich habe mir gesagt: Wenn schon, dann werde ich nicht einfach nur Pommes rot-weiß hinlegen. Wenigstens beim letzten Mal sollte es die Luxusklasse sein. Ich bin ein Künstler und nicht das Pizza-Taxi.«
»Du meinst die Spezialität des Hauses.«
»Du hast es erfasst.«
»Und dass Tilo Martens dabei der Dumme im wortwörtlichen Sinne ist, hat dich nicht gekratzt.«
»Wir müssen alle Opfer bringen«, erklärte Rudi schulterzuckend. »Tilo gehört zum Ensemble, er ist einer der hoffnungsvollen Talente. Also hat er schließlich auch davon profitiert.«
»Hast du sie eigentlich nie gefragt, warum sie Pommes rot-weiß wollte?«
»Sie war nicht knickerig.« Rudi drückte seinen Stummel aus. »Also, raus mit der Sprache. Warum, zum Teufel, wollte sie, dass ich diesen Zirkus für sie inszeniere?«
»Sie wollte einen Mord vertuschen. Tilo kam unerwartet nach Hause, als Hendrix, der Mann aus der Wanne, gerade einen gewissen Mölling umgebracht hatte. Und weil jeder weiß, dass Tilo ein sensibler, unsicherer und überspannter Typ ist, hat sich Kim gesagt, dass man den echten Mord am besten in einer Serie gestellter Morde versteckt.«
»Gar keine schlechte Idee«, freute sich Rudi. »Ich hab immer gewusst, dass die Frau Klasse hat.«
»Aber anstatt bei ihr Eindruck zu schinden, hast du ihr den Lieblingsautor genommen.«
»Das war nicht meine Schuld!«, erregte sich der Regisseur. Eine ganze Weile schüttelte er den Kopf in grenzenlosem Unverständnis, dann griff er nach seinem Mentholtabak. »Ein Jammer ist das. Ich komme einfach nicht drüber weg. Ich werde Jahre brauchen…«
»Vielleicht tröstet es dich, dass Hendrix nicht gerade ein Unschuldsengel war. Wenn man weiß, wie viel Dreck der am Stecken hatte, dann wundert man sich nicht mehr, weshalb er die meiste Zeit in der Wanne saß.«
»Ach, den meine ich doch nicht!«, winkte Rudi ab. »Es ist die versaute Aufführung! Wenn der Mann nicht gewesen wäre, dann wäre es mir gelungen, einen neuen Meilenstein zu setzen. Theatergeschichte zu schreiben. Einen historischen Schritt zur Versöhnung der Bühne mit dem Zelluloid.« In seinen Augen glänzten tatsächlich Tränen. »Lamm Amirstan neben der Duschszene in Psycho.«
»Amen«, sagte ich.
Er sah mich schräg an. »Was jetzt? Verhaftest du mich, oder was?« Er hielt mir pathetisch beide Handgelenke hin. »Komm schon, Mann, ich bin dir nicht mal böse deswegen. Nachdem ich mein Meisterwerk vermasselt habe, ist alles egal.«
»Ich bin kein Bulle, nur ein Schnüffler. Ich verhafte niemanden. Man engagiert mich und manchmal gebe ich Bestellungen auf.«
Er kratzte sich mit der Zigarettenhand und es roch nach verbranntem Haar. »Was für Bestellungen?«
»Zum Beispiel einmal Pommes rot-weiß.«